Schaeben/Leseprobe: ES IST EIN HARTES LEBEN IN DER PROVINZ
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Noch etwas habe ich gelernt. In Grüß Gott! ist „Gott” nicht<br />
Akkusativ, sondern Nominativ. Deswegen ist die Antwort „...<br />
wenn Du ihn siehst” auch a bissel bled. Dazu muss man wissen,<br />
dass Grüß Gott! die verkürzte Form von Grüße dich Gott! ist und<br />
eigentlich Gott segne dich! bedeutet. Grüß Gott! ist also eine<br />
Wunschformel. Wer soll dich segnen? Gott. Nicht du sollst<br />
Gott grüßen, sondern er dich segnen. Und darum ist Gott nicht<br />
Akkusativ, sondern Nominativ. Alles klar?<br />
In Oberammergau ist Gott darüber hinaus noch etwas, kommunikativ<br />
nämlich. Das konnten wir vor, während und auch<br />
noch lange nach der Passionsspielzeit 2010 feststellen. Immer<br />
wenn wir von irgendwoher mit dem Auto nach Oberammergau<br />
zurückkehrten, begegnete uns Gottes Sohn plakativ am Ortseingang.<br />
„Passionsspiele 2010” stand auf dem Plakat, darüber<br />
war ein gekreuzigter antiker Holzchristus zu sehen. Die Qualen<br />
des Todeskampfes bestimmten seine Züge. Was nicht zu sehen<br />
war, war das Holzkreuz, an dem er hing. Und weil das Kreuz<br />
selbst ausgespart worden war, wirkten die scheinbar ins Nichts<br />
genagelten Hände so, als formten sie im Todeskampf das<br />
Victory-Zeichen. Die Medien hatten diese „Botschaft” sofort<br />
verstanden. Das Bild sei symbolisch für Oberammergau: Die<br />
Dörfler spielen die letzten Tage im Leben Jesu, verdienen daran<br />
einige Millionen und erlösen sich damit von ihren Schulden.<br />
Hätten die beiden Finger aneinander gelegen, hätte dies<br />
auf den Friedensgruß hingedeutet, den man Jesus zuschreibt:<br />
„Friede sei mit euch – Fürchtet euch nicht.” So oder so ist in<br />
Oberammergau, Gott sei Dank, am Ende immer noch alles gut<br />
gegangen.<br />
70<br />
Der Herr der Fliegen<br />
15. Nachricht<br />
Fliegen fliegen Fliegen hinterher. Sie folgen aber auch dem<br />
Menschen. Sie folgen dem Menschen über den gesamten Erdball.<br />
Wobei man das nicht wörtlich nehmen muss. Ich denke,<br />
dass sie schon vor unserer Ankunft in Oberammergau gewesen<br />
sein müssen. Ihre Flugrichtung richten sie nämlich nach ihren<br />
Vorlieben aus – vor allem Dung und Mist. Besonders in ländlichen<br />
Gegenden ist die Fliege darum ein lästiger Zeitgenosse. In<br />
Kuh- und Hühnerställen finden sie das ideale Lebensmilieu. Bei<br />
der Menge an Fliegen, die man auf dem Land antrifft, kommt<br />
man sich als Mensch fast wie ein Eindringling vor.<br />
Bekanntschaft machten wir mit Schwebfliegen, Schwingfliegen,<br />
Dasselfliegen, Dungfliegen und Pferdefliegen. Die<br />
bekannteste unter ihnen war wohl die Stubenfliege. Die Stubenfliege<br />
heißt Stubenfliege, weil sie gerne in der Stube –<br />
also nah beim Menschen lebt. Man weiß, dass sie sich schon<br />
in der „Stube“ der Neandertaler zu Hause fühlte und ihnen<br />
das Höhlendasein schwer machte. Seitdem verfolgt sie den<br />
modernen Menschen, treuer als ein Hund. Dabei können wir<br />
mit ihr so gar nichts anfangen. Sie ist nicht putzig, hat keine<br />
Kulleraugen und holt auch nicht das Stöckchen. Fliegen sind<br />
einfach nur lästig; viele sind sehr lästig. Auch wir fühlten uns<br />
verfolgt. Die Stubenfliege ist eben ein Kulturfolger. Alfred<br />
Brehm formulierte es 1884 in seinem Werk Brehm´s Tierleben<br />
so: „Kein Thier – das kann wohl ohne Übertreibung<br />
behauptet werden – ist dem Menschen ohne sein Zuthun<br />
und ohne ihn selbst zu bewohnen, ein so treuer, in der Regel<br />
recht lästiger, unter Umständen unausstehlicher Begleiter,<br />
als die Stubenfliege.“<br />
71