Verliert letzte Molkerei ihre Unabhängigkeit
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GN vom 03.06.2009<br />
<strong>Verliert</strong> <strong>letzte</strong> <strong>Molkerei</strong> <strong>ihre</strong> <strong>Unabhängigkeit</strong>?<br />
Milchveredelung Niedergrafschaft soll mit Humana Milchunion in Everswinkel<br />
verschmelzen<br />
Die rund 190 Genossenschaftsmitglieder sollen morgen Abend über die Fusion<br />
abstimmen. Nach Ansicht von <strong>Molkerei</strong>leiter Jens Klausen gibt es keine Alternative.<br />
Die dramatischen Preiseinbrüche auf dem Milchmarkt seien nur mit einem starken<br />
Partner auszugleichen. Die 22 Mitarbeiter erhalten eine Beschäftigungsgarantie.<br />
Von Daniel Klause - Uelsen. „Im Sinne der<br />
Milcherzeuger in Deutschland sind<br />
größere Einheiten notwendig.“ Mit diesem<br />
Fazit hat <strong>Molkerei</strong>leiter Klausen eine der<br />
Informationsveranstaltungen mit den<br />
Mitgliedern beendet. Morgen haben es die<br />
Milcherzeuger selbst in der Hand, ob sie<br />
mit der Humana Milchunion eG eine<br />
größere Einheit bilden möchten. Damit<br />
wäre die Geschichte der<br />
Niedergrafschafter Genossenschaft (siehe<br />
Kasten) nach 97 Jahren zuende.<br />
Im Vergleich zur Humana ist die <strong>Molkerei</strong><br />
in Uelsen ein Zwerg. Der Milchkonzern mit Sitz in Everswinkel beschäftigt an neun<br />
Produktionsstandorten in Deutschland rund 2800 Mitarbeiter. Die Liefermenge betrug<br />
im vergangenen Jahr insgesamt 3,3 Milliarden Kilogramm. Die Milchveredelung<br />
Niedergrafschaft beschäftigt in Uelsen 22 Mitarbeiter. Knapp 200 Bauern lieferten im<br />
vergangenen Jahr rund 70 Millionen Kilogramm Milch an.<br />
Die Entwicklung, die in der Fusion mit der Humana Milchunion eG gipfeln soll, ist<br />
nach Klausens Worten auf äußere Faktoren zurückzuführen. Als folgenschwerste<br />
Entscheidung für sein Unternehmen nennt er den Milchgipfel 2008. Dabei sei auf<br />
Betreiben des damaligen CSU-Landwirtschaftsministers Horst Seehofer zwischen<br />
<strong>Molkerei</strong>en und Handel ein politischer Preis für Frischeprodukte vereinbart worden.<br />
Seehofer sei dabei als Vertreter der vielen kleinen bayerischen <strong>Molkerei</strong>en<br />
aufgetreten. In der Folge seien die Preise für Frischeprodukte gestützt worden,<br />
während die Preise für Industrieprodukte abstürzten.<br />
Für die Lieferanten in Uelsen tat sich eine Preisschere auf. Zeitweise erhielten sie<br />
sechs Cent weniger pro Kilogramm Milch als andere Erzeuger. Der Druck auf<br />
Aufsichtsrat und Vorstand nahm zu. „Wir als <strong>Molkerei</strong> haben die Verpflichtung,<br />
diesen Abwärtstrend zu kompensieren“, betont Klausen. Die <strong>Molkerei</strong> sei zwar ein<br />
gesundes Unternehmen, „aber unsere Bauern gehen kaputt bei diesen<br />
Auszahlungspreisen“.<br />
Im Herbst 2008 schlug die Finanzkrise durch. „An der Grenze zu Italien stauten sich<br />
die Lastwagen mit Magermilchkonzentraten, weil die weiterverarbeitenden Betriebe<br />
keine Kredite mehr bekamen“, erläutert Klausen, „wir waren nicht mehr in der Lage,<br />
unsere Milchmengen unterzubringen“. Nach der Umstellung der Produktion in Uelsen<br />
im Jahr 2003 auf Industrieprodukte wie Laktose- und Milchproteinkonzentrate stieg<br />
der Exportanteil auf 50 Prozent des Umsatzes. Was bis vor zwei Jahren ein Vorteil<br />
war, kehrte sich nun ins Gegenteil um.
„Der chinesische Markt war in Folge der Wirtschaftskrise plötzlich weg“, so der<br />
<strong>Molkerei</strong>leiter weiter. Außerdem hätten die Käse- und Speiseishersteller in der<br />
Hochpreisphase <strong>ihre</strong> Rezepturen von Sahne auf Pflanzenfett umgestellt. „Die<br />
kommen nicht mehr zurück“, befürchtet Klausen.<br />
Bereits Anfang vergangenen Jahres habe er daher nach Partnern gesucht, nicht<br />
nach Fusionen. Aber weder die Gespräche mit der Nordmilch noch mit der <strong>Molkerei</strong><br />
Ammerland in Wiefelstede hätten zum Erfolg geführt. Auch der Versuch, mit Zott und<br />
Karwendel neue Produkte zu entwickeln, sei letztlich gescheitert.<br />
Zur Humana im westfälischen Everswinkel habe es dagegen bereits<br />
Anknüpfungspunkte gegeben. Der <strong>Molkerei</strong>konzern ist seit 2002 Kunde der Uelsener<br />
<strong>Molkerei</strong>, und in Lage, also in unmittelbarer Nähe, gebe es bereits einige Bauern, die<br />
nach Everswinkel liefern, so Klausen. Der 43-Jährige, der Ende 2001 von der<br />
Nordmilch-Zentrale in Bremen nach Uelsen wechselte, berichtet von fairen<br />
Gesprächen mit der Humana. „Unser Vorstand und Aufsichtsrat und die Gremien der<br />
Humana Milchunion eG erkannten ein echtes, gemeinsames Interesse“, so Klausen.<br />
Im Oktober 2008 begannen die Fusiongespräche, Anfang 2009 legte die Humana<br />
das erste konkrete Angebot vor. „Wir mussten eine Entscheidung treffen: Entweder<br />
die Genossenschaft löst sich innerhalb der nächsten zwei Jahre auf, weil die<br />
Lieferanten gezwungen sind, Verträge mit anderen Abnehmern zu schließen, oder<br />
wir gehen geschlossen zu einem Partner“, erläutert er.<br />
Abzustimmen haben die Genossenschaftsmitglieder morgen über die Fusion mit der<br />
Humana Milchunion eG, die einer von drei Zulieferern der Anfang dieses Jahres<br />
gegründeten Humana Milchindustrie GmbH ist. Diese wiederum hält Beteiligungen<br />
an einer Reihe von Betrieben aus der Nahrungsmittel- und Non-Food-Branche, etwa<br />
Fabriken für Babynahrung, Brausepulver und Molkeherstellung, aber auch an einer<br />
Spedition und einer Vertriebsgesellschaft in Italien. Die Erlöse aller Betriebe und<br />
Genossenschaften werden in der Milchindustrie GmbH gesammelt und stützen somit<br />
den Milchauszahlungspreis, der derzeit bei 23 Cent liegt. Die Nordmilch zahlt 22<br />
Cent.<br />
An den Betriebabläufen in Uelsen soll sich nach Klausens Worten durch die Fusion<br />
zunächst nichts ändern. Die beiden Tankwagen der Spedition Schoemaker liefern die<br />
Milch weiterhin an der <strong>Molkerei</strong> ab. Überschussproduktionen von Magermilch und<br />
Rahm nehmen die Speiseeiswerke der Humana in Recke und Everswinkel ab.