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[ Lettisch-deutsche Kunstbegegnung ] [ Fit für die Professur ...

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[JOGU]<br />

Nr. 195 Februar 2006<br />

Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />

[ <strong>Lettisch</strong>-<strong>deutsche</strong> <strong>Kunstbegegnung</strong> ]<br />

[ <strong>Fit</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Professur</strong> ]<br />

[ Helium macht Lunge sichtbar ]<br />

[ Wirtschaftsfaktor Campus ]


Inhalt<br />

Titelbild: Acht lettische und acht <strong>deutsche</strong> junge Künstler zeigten<br />

im vergangenen November und Dezember ihre Arbeiten in Mainz.<br />

Das Gemeinschafts-Projekt „starp citu RIGA MAINZ“ ging auf das<br />

neue Sokrates/Erasmus-Austauschprogramm <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende der<br />

Kunst-Akademien beider Städte zurück. Mehr dazu auf Seite 24.<br />

3<br />

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[JOGU] 195/2006<br />

Editorial<br />

Harte Konkurrenz<br />

Campus aktuell<br />

40 Jahre Kinderintensivstation<br />

Hierarchien nicht erwünscht<br />

Hörsaalzentrum Chemie<br />

Stichwort: Bundesexzellenzwettbewerb<br />

Faszinierende Welt der Quantenphysik<br />

Studium & Lehre<br />

Puppen den Puls fühlen<br />

Der Weg des Schwertes<br />

„Früher hieß des schwätze“<br />

Wissenschaft & Forschung<br />

Living history<br />

<strong>Fit</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Professur</strong><br />

Nesselfieber<br />

Mehr Lebensqualität<br />

Wirtschaftsfaktor Campus<br />

Helium macht Lunge sichtbar<br />

Campus international<br />

Xolelanani heißt Versöhnung<br />

„Inseln der Effizienz“<br />

Traditionen pflegen<br />

Kultur auf dem Campus<br />

Weltraum-Comics und Hirsche auf gesticktem Grund<br />

Dem Rieslingtourismus auf der Spur<br />

Personen & Positionen<br />

Neu an der Uni<br />

Boehringer-Ingelheim-Preis 2005<br />

Bundesver<strong>die</strong>nstkreuz an Professor Reinhart Ricker<br />

Prof. Dr. Johannes Preuß zum Vizepräsidenten gewählt<br />

Sitzungstermine des Senats<br />

Nachruf auf Hanns Dieter Hüsch<br />

Kurz & bündig<br />

Veranstaltungstipp<br />

Buchmarktnews im Radio<br />

Impressum<br />

Foto.: Peter Thomas<br />

Foto: Peter Thomas<br />

Foto: Junghans © mdr<br />

Foto: privat<br />

2<br />

Eindrucksvolle<br />

Großübung:<br />

Puppen den<br />

Puls fühlen<br />

Seite 8<br />

Japanische<br />

Spiritualität: Der<br />

Weg des Schwertes<br />

Seite 9<br />

Living history:<br />

Abenteuer<br />

Mittelalter<br />

Seite 12<br />

Kontakt-Messe:<br />

Arbeiten und Leben<br />

im Ausland<br />

Seite 20


Foto: Thomas Hartmann<br />

Harte<br />

Von Aachen bis Dresden, von Kiel bis Passau – wenn es darum geht, sich<br />

einen Teil der Bundesmillionen aus dem Exzellenzwettbewerb* zu sichern,<br />

sind fast alle <strong>deutsche</strong>n Universitäten mit von der Partie.Antragsskizzen <strong>für</strong><br />

insgesamt 157 Exzellenzcluster und 135 Graduiertenschulen stapelten sich<br />

nach Bewerbungsschluss auf langen Tischen bei der DFG. 41 Anträge auf<br />

Exzellenzcluster und 39 auf Graduiertenschulen sind jetzt in <strong>die</strong> engere<br />

Wahl gekommen, darunter auch Graduiertenschule „Material Science in<br />

Mainz (MAINZ)“.<br />

Natürlich freuen wir uns sehr über <strong>die</strong>sen ersten Erfolg. Gerade im Hinblick<br />

auf <strong>die</strong> starke Konkurrenz ist <strong>die</strong>s eine Bestätigung der internationalen<br />

Positionierung unserer Mainzer Materialwissenschaftler – auch wenn wir<br />

gehofft hatten, noch einen oder zwei weitere Anträge in <strong>die</strong> nächste Runde<br />

zu bringen. Jetzt gilt es, alle Kräfte darauf richten, um <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Graduiertenschule<br />

den endgültigen Zuschlag zu erhalten. Gleichzeitig wollen wir in<br />

der zweiten Auswahlrunde auch bei den Exzellenzclustern erfolgreich abschneiden,<br />

um bei dem Wettbewerb um <strong>die</strong> Zukunftskonzepte <strong>die</strong> Chance<br />

zu bewahren. Hier erwarten wir Hinweise der Gutachter, um <strong>die</strong> Anträge<br />

noch optimieren zu können.<br />

Rein statistisch gesehen, liegen <strong>die</strong> Chancen auf den endgültigen Erfolg<br />

angesichts der harten Konkurrenz bei etwa 10 bis 15 Prozent. Und dennoch<br />

haben <strong>die</strong> Universitäten, auch <strong>die</strong> Johannes Gutenberg-Universität<br />

Mainz, allein schon mit ihrer Teilnahme am Bundesexzellenzwettbewerb<br />

gewonnen.<br />

Gerade <strong>die</strong>se starke Resonanz auf <strong>die</strong> Ausschreibung setzt ein deutliches<br />

Zeichen: Bundesweit herrscht „Aufbruchstimmung“ an den Universitäten.<br />

Trotz enger Terminierung und hohen Zeitdrucks definierten und positionierten<br />

<strong>die</strong> Hochschulen ihre Schwerpunkte in Forschung und Nachwuchs-<br />

* siehe auch „Stichwort: Bundesexzellenzwettbewerb“ auf Seite 7<br />

Konkurrenz<br />

3<br />

Editorial<br />

förderung, <strong>die</strong> ihrer Ansicht nach international am stärksten überzeugen.<br />

Natürlich auch <strong>die</strong> Johannes Gutenberg-Universität. Es war uns wichtig,<br />

schon an der ersten von zwei Antragsrunden mit Anträgen zu allen drei<br />

Förderlinien beteiligt zu sein.<br />

Wenn <strong>die</strong> Johannes Gutenberg-Universität letztlich auch nur den einen oder<br />

anderen Antrag durch <strong>die</strong> Auswahlrunden bringt, profitieren nicht nur <strong>die</strong><br />

Antragsteller, sondern <strong>die</strong> Universität als Ganzes. Denn der Bundeswettbewerb<br />

steht im Blickpunkt der Öffentlichkeit und unter starker Beobachtung<br />

der Me<strong>die</strong>n, so dass ein erfolgreiches Abschneiden dem Ansehen der gesamten<br />

Universität und allen ihren Mitgliedern zugute kommt.<br />

Aber auch unabhängig vom Erfolg und von den Erfolgsaussichten im Wettbewerb<br />

haben alle Hochschulen im Lande schon jetzt „gewonnen“. Indem<br />

nämlich der Wettbewerb verstärkt <strong>die</strong> Diskussion um <strong>die</strong> strategische Ausrichtung<br />

von Wissenschaft und Forschung in den Universitäten anregte. So<br />

werden wir unsere Projekte und Projektideen, insbesondere das Zukunftskonzept<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Weiterentwicklung der Gesamtuniversität, auch ohne zusätzliche<br />

Förderung des Bundes weiter verfolgen und den beschrittenen<br />

Weg fortsetzen. Hier<strong>für</strong> müssen dann gegebenenfalls interne, aber auch ergänzende<br />

Mittel des Landes aus dem Programm „Wissen schafft Zukunft“<br />

bereitgestellt werden. Insofern setzt das Bundesexzellenzprogramm ein<br />

Signal zum Aufbruch zur rechten Zeit.<br />

Univ.-Prof. Dr. med. Jörg Michaelis<br />

Präsident<br />

[JOGU] 195/2006


Campus aktuell<br />

Foto: © private Aufahme von 1967<br />

40 Jahre Kinderintensivstation<br />

Anspruch auf maximale Versorgung<br />

Vor 40 Jahren wurden <strong>die</strong><br />

Strukturen <strong>für</strong> <strong>die</strong> erste Kinderintensivstation<br />

in der Bundesrepublik Deutschland<br />

geschaffen. Aus der Anlaufstation<br />

<strong>für</strong> Notfälle an der Mainzer Uniklinik<br />

ist eine mit modernsten Geräten ausgestattete<br />

Intensivstation erwachsen,<br />

<strong>die</strong> heute über fünf Prozent der Intensivbetten<br />

in ganz Deutschland verfügt.<br />

Da der Durchschnitt der Bevölkerung nur noch<br />

1,4 Kinder hat, hätten <strong>die</strong>se Kinder den „Anspruch<br />

auf bestmögliche Lebensqualität und<br />

maximale Versorgung“, so der Leiter der Kinderklinik,<br />

Prof. Dr. Fred Zepp, zur Eröffnung des Geburtstagssymposiums<br />

anlässlich des 40jährigen<br />

Bestehens der ersten Kinderintensivstation in der<br />

Bundesrepublik Deutschland. Und maximale<br />

Versorgung bedeute <strong>für</strong> ihn, so Zepp weiter,<br />

modernste Medizin, modernste Medikamente,<br />

modernste Geräte, eben modernste Rahmenbedingungen<br />

zu schaffen.<br />

Die Kinderklinik verfügt heute über zwei Intensivbereiche:<br />

Die interdisziplinäre Station, <strong>die</strong> alle<br />

Fälle behandelt – vom Neugeborenen bis zum<br />

16jährigen Jugendlichen. Diese Station, so Zepp<br />

in seiner Rede, sei <strong>die</strong> letzte ganzheitliche Disziplin<br />

unter den Medizinern und verlange nicht nur<br />

von den Ärzten, sondern auch vom Pflegepersonal<br />

beste intensivmedizinische Kenntnisse.<br />

Der zweite Schwerpunkt der Kinderintensivmedizin<br />

in Mainz widmet sich den Neugeborenen. Die<br />

neonatologische Station umfasst – wie <strong>die</strong> interdisziplinäre<br />

Station – jeweils zehn Betten. Und<br />

dass sich Investitionen in <strong>die</strong>sem Bereich lohnen,<br />

zeigen <strong>die</strong> Fortschritte in der pädiatrischen Medizin.<br />

Früher, berichtet Professor Zepp, sei in<br />

der Neugeborenenmedizin <strong>die</strong> 29. Schwangerschaftswoche<br />

schon Grenzgebiet gewesen,<br />

heute, fährt er stolz fort, könnten Kinder schon ab<br />

der 23.Woche (rund 400 Gramm) intensivmedizinisch<br />

betreut werden.<br />

„Wir müssen darum kämpfen,<br />

dass <strong>die</strong> Chancen <strong>die</strong> hier<br />

liegen, von der Gesellschaft<br />

wahrgenommen werden.“<br />

„Aber fortschrittliche Medizin wird heute nicht<br />

mehr ausreichend finanziert“, appelliert Zepp an<br />

<strong>die</strong> Zuhörer. „Wir müssen darum kämpfen, dass<br />

<strong>die</strong> Chancen <strong>die</strong> hier liegen, von der Gesellschaft<br />

auch wahrgenommen werden.“<br />

Jährlich werden zwischen 460 und 480 Kinder auf<br />

der Kinderintensivstation behandelt. In den letzten<br />

40 Jahren hätten sich <strong>die</strong> Krankheitsbilder<br />

deutlich verändert, berichtet Oberarzt Dr. Ralf G.<br />

Huth. Wurden <strong>die</strong> Kinder früher oft mit schweren<br />

Infektionskrankheiten, etwa Hirnhautentzün-<br />

4<br />

dung, Vergiftungen oder Unfallverletzungen eingeliefert,<br />

so hätten <strong>die</strong>se Krankheitsbilder durch<br />

Impfungen und Sicherheitsvorschriften, wie etwa<br />

das Angurten beim Autofahren oder <strong>die</strong> Helmpflicht<br />

beim Fahrradfahren, deutlich abgenommen.<br />

Heute werden vor allem Notfälle im Säuglings-<br />

und Kindesalter, Kinder mit schweren<br />

Brand- oder Kopfverletzungen sowie Patienten,<br />

<strong>die</strong> eine schwere Operation oder einen neurochirurgischen<br />

Eingriff hinter sich haben, behandelt.<br />

30 Prozent der Patienten sind jedoch herzkranke<br />

Kinder, <strong>die</strong> 60 Prozent der Belegungsrate<br />

ausmachen.<br />

„Wer Erwachsene behandeln<br />

kann, kann noch lange keine<br />

Kinder behandeln.“<br />

Ursprünglich kamen in der Kinderintensivmedizin<br />

Geräte aus der Erwachsenenmedizin zum Einsatz.Aber<br />

– so Oberarzt Huth – „wer Erwachsene<br />

behandeln kann, kann noch lange keine Kinder<br />

behandeln“, und so sei es besonders wichtig,<br />

dass in den letzten 10 bis 15 Jahren <strong>die</strong> Geräte an<br />

<strong>die</strong> Anforderungen der Kinder angepasst wurden,<br />

„so dass heute sowohl <strong>die</strong> Behandlung als auch<br />

<strong>die</strong> medizinische Überwachung <strong>für</strong> <strong>die</strong> kleinen<br />

Patienten sehr viel schonender ist.“<br />

Neben der medizinischen Kompetenz ist vor allem<br />

<strong>die</strong> menschliche Nähe zu den kleinen Patienten<br />

wichtig. In Mainz wird daher größten Wert<br />

auf <strong>die</strong> Integration der Eltern gelegt. Besuchszeiten<br />

rund um <strong>die</strong> Uhr auf beiden intensivmedizinischen<br />

Stationen, psychologische Betreuung der<br />

Eltern und Schlafmöglichkeiten im Haus sind<br />

selbstverständlich.<br />

Mit einem intensivmedizinischen Jubiläumssymposium<br />

wurde <strong>die</strong> 1965 gegründete Station gefeiert.<br />

Zahlreiche nationale und internationale<br />

Gäste waren gekommen, um <strong>die</strong> medizinischen<br />

Entwicklungen und Erfolge in den letzten 40 Jahren<br />

Revue passieren zu lassen, aber auch, um an<br />

<strong>die</strong> Menschen der Ersten Stunde zu erinnern.<br />

Höhepunkt des Symposiums war sicher der Gastvortrag<br />

von Dr. Bernhard Saneke: „Was kann<br />

der Mediziner vom Jumbopiloten lernen? (Siehe<br />

nebenstehenden Beitrag).<br />

Annette SPOHN-HOFMANN ■<br />

Die Anschaffung des ersten Überwachungsschrankes<br />

(„iron-nurse“,<br />

links im Bild) schien das Nonplusultra.


Fotos: ???<br />

Hierarchien<br />

nicht erwünscht<br />

Was kann der Intensivmediziner<br />

vom Jumbopiloten lernen? Als<br />

Höhepunkt der Geburtstagsfeier wurde<br />

der Festvortrag von Dr. Bernhard<br />

Saneke angekündigt. Der fliegende<br />

Zahnarzt enttäuschte <strong>die</strong> Erwartungen<br />

nicht und vermittelte dem Publikum<br />

eindrucksvoll, warum man als Chef<br />

auf seine Mitarbeiter hören sollte.<br />

Seit nunmehr fünf Jahren reist der Pilot umher<br />

und erzählt einem wechselnden Auditorium von<br />

Ärzten, Managern, Politikern und Wissenschaftlern,<br />

wie sich Pannen im Berufsleben vermeiden<br />

lassen. Neben dem Abarbeiten von Checklisten<br />

ist laut Saneke vor allem ein gleichberechtigter<br />

Umgang mit den Kollegen wichtig. Gerade unter<br />

Stress. Dies trainieren Piloten immer wieder.<br />

„Viermal im Jahr sitze ich im Flugsimulator und<br />

lerne, mit kritischen Situationen strukturiert umzugehen“,<br />

sagt Saneke und verweist darauf, dass<br />

so etwas im klinischen Alltag leider nicht üblich<br />

ist. Sollte es aber, denn es geht um Menschenleben.<br />

Sowohl <strong>die</strong> Flugzeugbesatzung als auch das<br />

Ärzteteam im OP haben eine große Verantwortung<br />

und müssen in der Lage sein, auch unter<br />

Stress bestimmte Notfallpläne abzuarbeiten.<br />

„Und das geht nur, wenn ich <strong>die</strong> Abläufe probe,<br />

immer wieder, nach einer festen Choreographie.<br />

Genau das ist offenbar im Klinikalltag nicht immer<br />

der Fall. Hierarchische Strukturen erschweren<br />

oft <strong>die</strong> Zusammenarbeit und wichtige Hin-<br />

weise von Mitarbeitern werden entweder gar<br />

nicht geäußert oder von Vorgesetzten nicht angenommen.<br />

Ein Zustand, der im Cockpit undenkbar<br />

ist und der zu Lasten der Patienten geht. „Gerade<br />

in Krisensituationen machen wir bei<br />

Lufthansa keinen Unterschied zwischen Stewardess,<br />

Co-Pilot und Pilot. Alle sind gleich gestellt<br />

und werden mit ihren Anmerkungen ernst genommen.<br />

Und sogar Hinweise von Passagieren<br />

werden überprüft“, sagt Saneke. Der Pilot erzählt<br />

das Beispiel eines Fluggastes, der es kurz vor dem<br />

Start aus einer Tragfläche tropfen sah und <strong>die</strong><br />

Stewardess informierte. Mit einem Lächeln berichtete<br />

<strong>die</strong>se dem Cockpit, dass ein Passagier ein<br />

Leck im Tank vermute, woraufhin der Flugkapitän<br />

eine Überprüfung anordnete. Tatsächlich lief hier<br />

Benzin aus und der Start wurde erst einmal verschoben.<br />

Dieser Zustand bei Lufthansa ist natürlich<br />

auch ein Lerneffekt der vergangenen Jahrzehnte,<br />

in denen <strong>die</strong> Zahl der Flugunfälle<br />

kontinuierlich zurückging. Insgesamt seien 75%<br />

aller Totalverluste in der kommerziellen Jetfliegerei<br />

auf menschliches Versagen zurückzuführen,<br />

so Saneke. Hier habe man daher angesetzt und<br />

gezielt trainiert.<br />

„Während der Arzt seine Fehler<br />

begräbt, wird der Pilot mit<br />

seinen Fehlern begraben.“<br />

Anders als etwa beim Medizinstudium, wo jedem<br />

Stu<strong>die</strong>renden das Handwerkszeug beigebracht<br />

wird, werden angehende Piloten zuerst auf ihre<br />

grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften hin<br />

getestet. Nur wer diszipliniert und engagiert arbeitet<br />

sowie zudem ein hohes Maß an sozialer<br />

Kompetenz aufweisen kann, bekommt <strong>die</strong> Mög-<br />

5<br />

Campus aktuell<br />

Sogar Hinweise von<br />

Passagieren werden überprüft:<br />

Pilot und Zahnmediziner<br />

Dr. Bernhard Saneke<br />

lichkeit zur Ausbildung. „Damit<br />

wollen wir <strong>die</strong> größtmögliche<br />

Sicherheit <strong>für</strong> alle an Bord<br />

gewährleisten“, sagt Saneke und<br />

fügt hinzu: „ Während der Arzt seine Fehler<br />

begräbt, wird der Pilot mit seinen Fehlern begraben.“<br />

Ansatzpunkte zur Vermeidung medizinischer<br />

Fehler sieht der Zahnchirurg, der an<br />

flugfreien Tagen in seiner Gemeinschaftspraxis in<br />

Wiesbaden Zähne implantiert, daher vor allem in<br />

verbesserter Teamarbeit. Denn der Kostendruck<br />

im Gesundheitssystem verhindert den Aufbau<br />

von Redundanzen, wie sie im Flugverkehr üblich<br />

sind. So ist an Bord eines Flugzeugs jedes lebenswichtige<br />

Instrument dreifach vorhanden und das<br />

Cockpit ist stets mit zwei gleich gut qualifizierten<br />

Piloten sowie einem Flugzeugingenieur besetzt.<br />

Dies kann man nur bedingt mit den Verhältnissen<br />

im OP vergleichen, wo außerdem hierarchische<br />

Strukturen <strong>die</strong> Zusammenarbeit von Chefarzt,<br />

Assistenzarzt und Schwester erschweren. Aber<br />

eine gewisse Hierarchie herrscht auch im Cockpit.<br />

Während der zweijährigen Pilotenausbildung sowie<br />

in den andauernd stattfindenden Lehrgängen<br />

wird allerdings gezielt darauf hingearbeitet, das<br />

Gefälle in der Kommunikation zu verringern. Es<br />

soll „laut gedacht“ werden und der Vorgesetzte,<br />

sprich der Flugkapitän, soll sensibel sein <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Zeichen seiner Mitarbeiter. Die im Klinikalltag<br />

aber auch in vielen Unternehmen vorhandenen<br />

Kommunikationsbarrieren gilt es abzubauen,<br />

so dass sich auch der Assistent traut, eine möglicherweise<br />

lebenswichtige Beobachtung vor dem<br />

Chef kundzutun. „Viel zu viele von uns handeln<br />

eben genau so, wie es Stanley Milgram 1963<br />

in seinem berühmten Experiment gezeigt hat“,<br />

erklärt Saneke. In dem Versuch hatte der amerikanische<br />

Psychologe das Gewissen seiner<br />

Probanden getestet und ermittelt, dass 62% der<br />

Teilnehmer pflichtbewusst ihren Auftrag erfüllten,<br />

obwohl dadurch anderen Menschen starke<br />

Schmerzen zugefügt wurden.<br />

Frank ERDNÜSS ■<br />

[JOGU] 195/2006


Campus aktuell<br />

Hörsaalzentrum<br />

Chemie<br />

Erster Spatenstich <strong>für</strong> das umfangreiche<br />

Bauprogramm Mit dem<br />

ersten Spatenstich <strong>für</strong> das Hörsaalzentrum<br />

Chemie hat das umfangreiche<br />

Bauprogramm der Johannes-Gutenberg<br />

Universität Mainz begonnen. Mehr als<br />

320 Millionen Euro investiert der Bund<br />

und das Land Rheinland-Pfalz in den<br />

nächsten zehn Jahren.<br />

Trotz eisiger Temperaturen war <strong>die</strong> Stimmung heiter,<br />

als Vertreterinnen und Vertreter von Ministerium,<br />

Landesbetrieb Liegenschaften und Baubetreuung<br />

(LBB), der Universität und des AStA<br />

gemeinsam den Spaten schwangen. Universitätspräsident<br />

Prof. Dr. Michaelis bezeichnete den<br />

Neubau als „wichtige Investition in <strong>die</strong> Zukunft“.<br />

Besonders freue ihn <strong>die</strong> damit einhergehende<br />

„Verbesserung der Arbeitsbedingungen unserer<br />

Chemiker, denn <strong>die</strong> Chemie gehört zu den<br />

herausragenden wissenschaftlichen Leistungsträgern<br />

unserer Universität“. Das belegten unter<br />

anderem Spitzenplätze in aktuellen Rankings wie<br />

etwa in der Zeitschrift Focus. Gerade angesichts<br />

der steigenden Stu<strong>die</strong>rendenzahlen sei es wichtig,<br />

dass auch <strong>die</strong> Universität Mainz ihrem „Ausbildungs-<br />

und Bildungsauftrag in der erforderlichen<br />

Weise“ nachkommen könne.<br />

Der Startschuss <strong>für</strong> das rund 5,3 Millionen teure<br />

Hörsaalgebäude Chemie ist also gefallen: Insgesamt<br />

werden auf einer Nutzfläche von 881 Quadratmetern<br />

drei Hörsaale – einen mit 290 Plätzen,<br />

zwei mit je 135 Plätzen –, zwei große<br />

Seminarräume und <strong>die</strong> erforderlichen Lager- und<br />

Vorbereitungsräume entstehen. Im Herbst 2007<br />

soll der Bau abgeschlossen sein. Mit seiner Lage<br />

[JOGU] 195/2006<br />

nahe der naturwissenschaftlichen Institute Mathematik<br />

und Physik und als Anbau an den Neubau<br />

Chemie ist das Zentrum ideal positioniert.<br />

Besonders <strong>die</strong> bessere Akustik, <strong>die</strong> audiovisuelle<br />

Technik und <strong>die</strong> künftig kurzen Wege zwischen<br />

Labor, Hörsaal und Bibliothek werde <strong>für</strong> Wissenschaftler<br />

und Stu<strong>die</strong>rende eine erhebliche<br />

Verbesserung bringen, betonte der Dekan des<br />

Fachbereichs Chemie, Pharmazie und Geowissenschaften,<br />

Prof. Dr. Peter Langguth. Auch seien<br />

durch <strong>die</strong> technische Ausstattung der Hörsäle<br />

neue Experimentiertechniken möglich, <strong>die</strong> bisher<br />

häufig <strong>die</strong> Feuerwehr auf den Plan gerufen hätten.<br />

„Als Präventivmediziner betrachte<br />

ich den Spaziergang als<br />

gesundheitsfördernde Maßnahme<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Studenten“.<br />

Für <strong>die</strong> Physiker sei <strong>die</strong> Verfügbarkeit von modernen<br />

Hörsälen auch enorm wichtig, ergänzte der<br />

Dekan des Fachbereichs Physik, Mathematik und<br />

Informatik, Prof. Dr. Dietrich von Harrach, nun<br />

könnten endlich beispielsweise <strong>die</strong> physikalischen<br />

Kolloquien mit renommierten Gastwissenschaftlern<br />

in adäquaten Räumen stattfinden. Nur<br />

<strong>die</strong> 600 Meter Entfernung zwischen den neuen<br />

Hörsälen und dem Physikgebäude wurde von<br />

Prof. von Harrach als Wermutstropfen bemängelt.<br />

6<br />

Universitätspräsident Michaelis reagierte auf<br />

<strong>die</strong>se Äußerung gelassen: „Als Präventivmediziner<br />

betrachte ich den Spaziergang als gesundheitsfördernde<br />

Maßnahme <strong>für</strong> <strong>die</strong> Studenten“.<br />

Der Neubau des Hörsaalgebäudes Chemie ist das<br />

erste Projekt, das im Rahmen des groß angelegten<br />

Programms zur Sanierung und Erweiterung<br />

der Universität Mainz vom Land realisiert wird. In<br />

Kürze wird der Verbindungsweg zwischen Ackermannweg<br />

und Bentzel-Weg, der den Namen des<br />

verstorbenen Kabarettisten Hans Dieter Hüsch erhalten<br />

soll, eröffnet. Für das Frühjahr sind der erste<br />

Spatenstich und der Baubeginn <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erweiterung<br />

der Kernchemie geplant. Rund 9,5<br />

Millionen Euro soll der Anbau kosten, Bauende ist<br />

<strong>für</strong> 2007 vorgesehen. Auch <strong>für</strong> <strong>die</strong>ses Jahr sind<br />

der Baubeginn <strong>für</strong> den Ausbau der Bereichsbibliotheken<br />

im Philosophicum und <strong>für</strong> den Neubau<br />

Musik geplant. Die Erschließung der Bereichsbibliothek<br />

wird circa 1,675 Millionen Euro kosten,<br />

<strong>für</strong> den Neubau Musik, der 2008 fertiggestellt<br />

sein wird, sind 12 Millionen veranschlagt. Die<br />

Vorplanungen <strong>für</strong> den Neubau SB II (Neubau Sozialwissenschaften<br />

und Neubau Anthropologie)<br />

laufen ebenso.<br />

Im Rahmen des Bauprogramms wird auch <strong>die</strong><br />

Versorgungsinfrastruktur des Universitätsgeländes<br />

(Wasser, Abwasser, Strom, Gas, Wärme)<br />

grundlegend überarbeitet. Ziel ist es, möglichst<br />

umfassend vorzugehen. Auswirkungen wie<br />

Staub, Lärm oder Verkehrsbeeinträchtigungen<br />

sollen so gering wie möglich gehalten werden.<br />

Annette SPOHN-HOFMANN ■<br />

Abb: © LBB


Die fast zwei Milliarden Euro werden in den nächsten<br />

sechs Jahren (2006-2011) in drei Förderlinien<br />

vergeben: projektbezogene Förderung von<br />

bis zu 40 Graduiertenschulen zur Förderung des<br />

wissenschaftlichen Nachwuchses (durchschnittlich<br />

je eine Million Euro) und projektbezogene<br />

Förderung von bis zu 30 Exzellenzclustern zur<br />

Förderung der Spitzenforschung (durchschnittlich<br />

je 6,5 Millionen Euro). Etwa zehn Zukunftskonzepte<br />

zum projektbezogenen Ausbau der universitären<br />

Spitzenforschung (durchschnittlich<br />

21 Millionen Euro; Voraussetzung: <strong>die</strong> positive<br />

Bewertung von jeweils mindestens einem Exzellenzcluster<br />

und einer Graduiertenschule).<br />

Vorgesehen sind zwei Ausschreibungsrunden:<br />

Bewerbungsschluss der ersten Antragsrunde war<br />

der 30. September 2005; <strong>die</strong> zweite Antragsrunde<br />

wird im Frühjahr 2006 eröffnet. Der Förderzeitraum<br />

beträgt jeweils fünf Jahre.<br />

Hart und ausschließlich leistungsorientiert ist <strong>die</strong>ser<br />

Wettbewerb: Antragsskizzen <strong>für</strong> insgesamt<br />

157 Exzellenzcluster und 135 Graduiertenschulen<br />

türmten sich nach Bewerbungsschluss der<br />

ersten Runde trotz des engen Zeitplans bei der<br />

DFG. Davon sind am 20. Januar 41 Anträge auf<br />

Exzellenzcluster und 39 Anträge auf Graduiertenschulen<br />

in <strong>die</strong> engere Wahl gekommen. Zu <strong>die</strong>sen<br />

Antragsskizzen müssen <strong>die</strong> Universitäten kurz-<br />

7<br />

Campus aktuell<br />

Stichwort: Bundesexzellenzwettbewerb<br />

Spitzenforschung an den Hochschulen<br />

Es geht um insgesamt 1,9<br />

Milliarden Euro zur Förderung von<br />

Spitzenforschung an <strong>deutsche</strong>n Universitäten:<br />

Am 23. Juni 2005 haben<br />

der damalige Bundeskanzler und <strong>die</strong><br />

Ministerpräsidenten der Länder <strong>die</strong><br />

„Exzellenzinitiative des Bundes und<br />

der Länder zur Förderung von Wissenschaft<br />

und Forschung an <strong>deutsche</strong>n<br />

Hochschulen“ beschlossen.<br />

Anton Zeilinger ist Inhaber der<br />

Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur<br />

2006<br />

Er gilt weltweit als Autorität auf den Gebieten<br />

der Quantenphysik, Quantenkommunikation und<br />

Quantenkryptographie: Professor Dr. Anton<br />

Zeilinger ist Inhaber der Johannes Gutenberg-<br />

Stiftungsprofessur der „Freunde der Universität<br />

Mainz e.V.“ im Jahr 2006. In seiner Veranstaltungsreihe<br />

wird der Wiener Experimentalphysiker<br />

<strong>die</strong> faszinierende Welt der Quantenphysik vorstellen<br />

und ihre revolutionären Auswirkungen auf<br />

unser Weltbild erörtern. Unter der Leitfrage „Was<br />

ist Wirklichkeit?“ wird er sich in seinen Vorlesungen<br />

mit „Fundamentalen Fragen und technologischen<br />

Entwicklungen im Quantenexperiment“<br />

auseinandersetzen. „Wir freuen uns außerordentlich,<br />

dass es uns gelungen ist, <strong>die</strong>sen Ausnahmewissenschaftler<br />

<strong>für</strong> ein Semester nach<br />

Mainz zu holen“, erklärt<br />

Dr. Klaus Adam, Vorsitzender<br />

der Vereinigung<br />

der „Freunde der Universität<br />

Mainz e.V.“, „seine<br />

spektakulären Experimente<br />

zur Teleportation,<br />

besser bekannt auch als<br />

‘Beamen’, haben ihn<br />

schlagartig populär gemacht.<br />

Anton Zeilinger<br />

ist ähnlich wie Albert<br />

Einstein ein ‘Popstar’ unter den Wissenschaftlern<br />

und wird immer wieder als heißer Kandidat <strong>für</strong><br />

den Nobelpreis gehandelt.“<br />

In seiner Vorlesungsreihe wird Anton Zeilinger<br />

von den zentralen Aussagen der Quantenphysik<br />

ausgehen. Sie stellen eine Provokation des „gesunden<br />

Menschenverstandes“ dar. Die Quantenphysik<br />

zwingt uns, vertraute Vorstellungen und<br />

fristig ausführliche Anträge formulieren, <strong>die</strong> dann<br />

nochmals begutachtet werden. Den endgültigen<br />

Zuschlag in <strong>die</strong>ser ersten Auswahlrunde 2006<br />

erhalten dann voraussichtlich circa 15 Exzellenzcluster<br />

und 20 Graduiertenschulen. Wie viele<br />

Zukunftskonzepte finanziert werden, ist noch<br />

offen – wobei sich <strong>die</strong>se Zahl im niedrigen einstelligen<br />

Bereich bewegen wird.<br />

Zur Weiterentwicklung des Exzellenzprogramms<br />

an der Johannes Gutenberg-Universität hat der<br />

Senat eine Arbeitsgruppe aus dem Kreis der antragstellenden<br />

Wissenschaftler benannt, <strong>die</strong><br />

unter Leitung des Vizepräsidenten <strong>für</strong> Forschung<br />

gemeinsam mit dem Präsidenten <strong>die</strong> weitere Antragstellung<br />

konstruktiv begleitet und koordiniert<br />

sowie hierüber dem Senat berichtet.<br />

Das Programm wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

im Zusammenwirken mit<br />

dem Wissenschaftsrat durchgeführt. ■<br />

Information: http://www.dfg.de<br />

Faszinierende Welt der Quantenphysik<br />

Denkgewohnheiten aufzugeben.<br />

Sie eröffnet eine subatomare Welt,<br />

in der eine Reihe von Gewissheiten<br />

unserer Alltagserfahrung verabschiedet<br />

werden müssen. In der<br />

Quantenwelt versagen <strong>die</strong> uns so<br />

selbstverständlichen Kategorien<br />

wie Raum, Zeit und Kausalität.<br />

Stattdessen gewinnt der Begriff<br />

des Zufalls, noch mehr aber der<br />

Begriff der Information, entscheidende<br />

Bedeutung. Die Welt ist also<br />

Zufall? Was ist und was bedeutet dann Wirklichkeit?<br />

Offensichtlich stellt <strong>die</strong> Quantenphysik fundamentale<br />

Fragen an unser wissenschaftliches<br />

Weltbild. Zeilinger betont: „Das Weltbild steht<br />

überhaupt nicht fest. Wir haben erst begonnen,<br />

darüber nachzudenken.“ Dies mache es notwendig,<br />

auf <strong>die</strong> philosophischen Konsequenzen der<br />

neuen Erkenntnisse einzugehen und <strong>die</strong> Folgen<br />

<strong>für</strong> unser Menschenbild zu reflektieren. ■<br />

Foto: © Jacqueline Godany<br />

[JOGU] 195/2006


Foto.: Peter Thomas<br />

Studium & Lehre<br />

Puppen den Puls fühlen<br />

Spitzenposition in Europa Das Simulationszentrum der Mainzer Universitätsklinik<br />

war Gastgeber der europäischen Konferenz des Human Patient Simulator<br />

Network. Zur Tagung gehörte eine eindrucksvolle Großübung in der Mainzer<br />

Innenstadt. Dabei übten Notfallmediziner <strong>die</strong> Versorgung von Verletzten nach<br />

einem schweren Verkehrsunfall an Patienten-Simulatoren der Universitätsklinik.<br />

Schwerer Verkehrsunfall mitten in Mainz. Bleich<br />

liegt ein Verletzter neben dem roten Golf. Was ist<br />

mit den anderen Opfern? Notarzt und Rettungsassistent<br />

überprüfen Augen und Puls eines Mannes.<br />

Im Hintergrund blitzen <strong>die</strong> Blaulichter von<br />

Rettungs<strong>die</strong>nst und THW. Auf der Rückbank des<br />

kleinen Kastenwagens liegt ein Baby in seinem<br />

Sitz, <strong>die</strong> Augenlider des Kleinkinds flackern unregelmäßig.<br />

Der Fahrer des anderen Wagens ist eingeklemmt,<br />

er muss von THW-Helfern mit Spreizer<br />

und Schere befreit werden. Die verschiedenen<br />

Eindrücke stürzen ein auf den leitenden Notarzt<br />

Sascha Klemm. Der junge Mann behält den Überblick,<br />

koordiniert <strong>die</strong> Arbeiten von vier Rettungsteams.<br />

Ständig beobachten <strong>die</strong> Sanitäter und<br />

Ärzte <strong>die</strong> Lebensfunktionen ihrer Patienten, stabilisieren<br />

<strong>die</strong> Wirbelsäule mit speziellen Prothesen,<br />

bevor <strong>die</strong> Unfallopfer aus den Wagen geborgen<br />

werden.<br />

Im Getümmel zwischen Tragen und Medikamentenkoffern,<br />

Helfern in roten Warnwesten und<br />

blauen Uniformen stehen zwei Männer und kümmern<br />

sich konzentriert um kompliziert ausse-<br />

[JOGU] 195/2006<br />

Unfall nachgestellt: Rettungsübung<br />

an Patientensimulatoren<br />

hende Geräte. Die Apparate bestehen aus einem<br />

stabilen schwarzen Kunststoffkoffer, einer Pressluftflasche<br />

und einem Apple-Laptop, von dem<br />

dicke Kabel- und Schlauchstränge zu zwei Patienten<br />

führen, <strong>die</strong> gerade von den Rettungsmedizinern<br />

auf eine Trage gebettet und zum Verbandsplatz<br />

gebracht werden. Die Körper, um <strong>die</strong><br />

sich Sanitäter und Ärzte kümmern, sind keine<br />

Menschen, sondern <strong>die</strong> jüngste Generation von<br />

Patienten-Simulatoren. Auch der Unfall zwischen<br />

Railion-Gebäude und Fort Malakoff nahe des<br />

Mainzer Südbahnhofs ist kein echter Notfall,<br />

sondern eine Übung. Das Szenario war Teil einer<br />

Konferenz <strong>für</strong> Patientensimulation in der medizinischen<br />

Ausbildung, <strong>die</strong> im November unter<br />

Schirmherrschaft des Simulationszentrums der<br />

Klinik <strong>für</strong> Anästhesiologie an der Johannes<br />

Gutenberg-Universität Mainz stattfand.<br />

Die Mainzer Universitätsklinik arbeitet bereits<br />

seit neun Jahren mit Patientensimulatoren <strong>die</strong>ser<br />

Art, erklärt Professor Dr. Wolfgang Heinrichs von<br />

der Klinik <strong>für</strong> Anästhesiologie. Vor allem <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Ausbildung in der Notfallmedizin werden solche<br />

8<br />

mobilen Puppen eingesetzt. Der erste Simulator<br />

ist 1996 angeschafft worden, seit 1997 hat das<br />

Simulationszentrum mehrere tausend Trainingsteilnehmer<br />

an den komplexen Maschinen ausgebildet.<br />

Dabei arbeitet das Simulationszentrum<br />

mit seinem wirtschaftlichen Partner, der AQAI<br />

GmbH, zusammen.<br />

Die Universitätsklinik Mainz war eine der ersten<br />

Kliniken ganz Europas, <strong>die</strong> mit <strong>die</strong>ser Technologie<br />

arbeitete und hat sich seither als Kompetenzzentrum<br />

in <strong>die</strong>sem Bereich der medizinischen Ausbildung<br />

etabliert. Nicht nur Studenten, Krankenpfleger<br />

und Ärzte arbeiten in ihrer Ausbildung mit<br />

den Simulatoren, das Klinikum richtet über <strong>die</strong><br />

AQAI GmbH auch Kurse <strong>für</strong> externe Gruppen aus.<br />

So fiel <strong>die</strong> Wahl auf Mainz, als der Hersteller der<br />

Simulationspuppen, Meti, einen Ort <strong>für</strong> eine<br />

europäische Konferenz zur Simulationsmedizin<br />

suchte. Das 1996 gegründete Unternehmen Meti<br />

(Medical Education Technologies, Inc.) stellt komplexe<br />

Patientensimulatoren her, <strong>die</strong> realistische<br />

Lebenszeichen erzeugen. Dazu gehören Augenbewegungen,<br />

Herzschlag und Atmung, aber auch<br />

Reaktionen auf medizinische Eingriffe wie das Intubieren<br />

und <strong>die</strong> Gabe von Medikamenten. Die<br />

künstlichen Patienten werden kontinuierlich weiter<br />

entwickelt. Einerseits sollen <strong>die</strong> Puppen<br />

menschliche Patienten so realistisch wie möglich<br />

nachahmen: sie sollen „aussehen, sich verhalten<br />

und sich anfühlen“ wie Menschen, so Meti-Geschäftsführer<br />

Louis H. Oberndorf. Vor allem werden<br />

da<strong>für</strong> <strong>die</strong> Systeme zur Simulation von Körperfunktionen<br />

verfeinert, aber auch <strong>die</strong> Sensoren,<br />

mit denen Eingriffe und <strong>die</strong> Gabe von Medikamenten<br />

registriert werden. Die jüngsten Simulatoren<br />

<strong>für</strong> Notfallmedizin kosten rund 50.000 Euro.<br />

Die noch komplexeren Simulationspuppen, <strong>die</strong><br />

stationär eingesetzt werden, sind rund 200.000<br />

Euro teuer.<br />

Das amerikanische Unternehmen richtet jährlich<br />

eine Konferenz in den USA aus, künftig soll auch<br />

in Europa regelmäßig <strong>die</strong> Möglichkeit zur aktuellen<br />

Information und zum Austausch zwischen<br />

den Fachleuten geschaffen werden. In den nächsten<br />

Jahren werde <strong>die</strong> Konferenz sicher wieder<br />

am Rhein stattfinden, so Oberndorf in einem ersten<br />

Resümee: „Die Klinik der Mainzer Universität<br />

hat sich in <strong>die</strong>sem Bereich so etabliert, dass<br />

sie noch auf Jahre <strong>die</strong> Spitzenposition in der medizinischen<br />

Simulation in Europa haben wird“,<br />

lobte Oberndorf <strong>die</strong> Gastgeber der Konferenz.<br />

Peter THOMAS ■


Der Weg des Schwertes<br />

Japanische Spiritualität erleben<br />

Eine Verbindung aus östlicher Philosophie<br />

und Schwertkampf ist das<br />

japanische Kendo. Bereits seit 1984<br />

gibt es eine Kendo-Schule („Dojo“)<br />

im Rahmen des Allgemeinen Hochschulsports<br />

an der Mainzer Johannes<br />

Gutenberg-Universität.<br />

Trocken krachen <strong>die</strong> Schläge der Bambusschwerter,<br />

schrill hallen Schreie der Kämpfer durch den<br />

Saal. In bodenlanger schwarzer Kleidung stehen<br />

sich <strong>die</strong> Schwertkämpfer gegenüber, dicke<br />

Schutzkleidung halten <strong>die</strong> Schläge des Gegners<br />

vom Körper ab und gibt den Fechtern bei Angriff<br />

und Verteidigung eine unwirkliche, strenge Anmutung.<br />

Kendo, <strong>die</strong> Kunst des japanischen<br />

Schwertkampfs, hat so gar nichts von der theatralisch-bunten<br />

Opulenz fernöstlicher Kinoerzeugnisse,<br />

in denen sich alles um flirrende Klingen<br />

und waghalsige Sprünge dreht.<br />

Die Kendo-Fechtkunst stammt<br />

in direkter Linie von der klassischen<br />

japanischen Schwertkampftechnik<br />

der Samurai ab.<br />

Kendo, das bedeutet „Der Weg des Schwertes“.<br />

Wer <strong>die</strong>sen Weg an der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität<br />

einschlagen will, der ist an<br />

der richtigen Adresse beim Kendo-Dojo des Allgemeinen<br />

Hochschulsports. 1984 gegründet,<br />

wurde das Dojo 1998 unter der Leitung des heutigen<br />

Trainers Frank Jaehne neu formiert. Zurzeit<br />

gehören dem Dojo rund 60 Schwertkämpfer an,<br />

<strong>die</strong> Ausbildung findet in vier aufeinander aufbauenden<br />

Kursen statt.<br />

Die Kendo-Fechtkunst stammt in direkter Linie<br />

von der klassischen japanischen Schwertkampftechnik<br />

der Samurai ab: Als <strong>die</strong> Ära <strong>die</strong>ser auch<br />

„Bushi“ genannten Krieger zu Ende ging, entwickelte<br />

sich das Kendo als anspruchsvolle Methode<br />

zur körperlichen und geistigen Übung weiter.<br />

Nicht nur der Körper, auch der Charakter soll<br />

durch das Kendo-Training gestärkt werden.<br />

Daran hat sich bis heute nichts geändert: Kendo<br />

fordert von seinen Anhängern Kraft, Schnellig-<br />

keit, Geschick sowie Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit<br />

– und fördert damit zugleich <strong>die</strong><br />

Entwicklung <strong>die</strong>ser Fähigkeiten.<br />

Für den Kenshi – so heißen <strong>die</strong> Schwertkämpfer –<br />

ist der Sport auch eine Erfahrung japanischer Spiritualität.<br />

Die strenge Etikette („Reiho“) stellt das<br />

Ideal des Lernens und <strong>die</strong> Achtung vor anderen<br />

Menschen in ihren Mittelpunkt. In der Tradition<br />

verhaftet sind auch <strong>die</strong> Ausrüstungsgegenstände.<br />

Fechten zwei Kenshi gegeneinander, verwenden<br />

sie das aus Bambus gefertigte Schwert „Shinai“,<br />

das aus vier Bambusstäben besteht, <strong>die</strong> durch Lederteile<br />

zusammengehalten werden. Treffer mit<br />

dem flexiblen Schwert verletzen den Partner bei<br />

einem Kendo-Gefecht nicht. Die hölzernern<br />

Übungsschwerter „Bokken“ (Langschwert) und<br />

„Kodachi“ (Kurzschwert)<br />

werden dagegen <strong>für</strong> Kata-<br />

Übungen benutzt, bei denen<br />

stilisierte Kampfszenen als<br />

Grundformen des Kendo geübt<br />

werden.<br />

Die Bekleidung des Kenshi besteht<br />

aus der Jacke „Keikogi“ und dem<br />

Rock „Hakama“. Der „Men“ genannte<br />

Helm aus Stahlstäben<br />

und einem widerstandsfähigen<br />

Überzug aus Baumwolle und<br />

Leder schützt den Kopf, darunter<br />

wird das Kopftuch<br />

„Tenugue“ getragen. Der<br />

Brustpanzer „Do“ sichert<br />

den Oberkörper, der Hüftschutz<br />

„Tare“ den Unterkörper<br />

vor Treffern. Spezielle<br />

Kendo-Handschuhe mit dicker<br />

Polsterung heißen „Kote“.<br />

Mit dem Auftritt klassischer<br />

Fechter in ihren<br />

weißen Anzügen hat<br />

Kendo auf den ersten<br />

Blick wenig gemein. Doch<br />

<strong>die</strong> martialischen Gestalten<br />

mit ihren Bambusschwertern<br />

sind äußerst<br />

beweglich, wie das<br />

Training des Mainzer<br />

Dojo zeigt. Im-<br />

Studium & Lehre<br />

merhin liegen <strong>die</strong> Grundzüge des heute weltweit<br />

als Sport betriebenen Kendo in der Geschichte japanischer<br />

Krieger: Die beiden hölzernen Übungsschwerter<br />

der Kenshi und <strong>die</strong> beiden Schwerter<br />

der Samurai haben den selben Ursprung.<br />

Vier Kurse bietet der Kendo-Dojo Mainz an: Im<br />

Anfänger-Kurs wird zunächst mit einem Leihschwert<br />

trainiert, danach folgen eigenes Schwert<br />

und Oberbekleidung. Trainiert werden Grundlagen<br />

des Kendo ohne Rüstung und <strong>die</strong> Etikette<br />

(„Reiho“). Im Kurs <strong>für</strong> Geübte wird mit einer Leih-<br />

Rüstung gefochten. Zu den Grundübungen kommen<br />

zunehmend <strong>die</strong> komplexen Bewegungsmuster<br />

des Kendo, Ziel des Kurses ist der freie Kampf<br />

(„Ji-Geiko“). Bei den „Fortgeschrittenen“, vor allem<br />

aber in der „Leistungsgruppe“ steht schließlich<br />

<strong>die</strong> Begegnung im freien Kampf im Mittelpunkt.<br />

Peter THOMAS ■<br />

Information: www.kendo-mainz.de.<br />

Kaeshi-Technik:<br />

Mitglieder des Mainzer<br />

Kendo-Dojo beim<br />

Training<br />

Foto: Peter Thomas


Studium & Lehre<br />

„Früher hieß des schwätze“<br />

Mainz 05-Trainer Klopp über mentales Coaching Was machte der nach<br />

Johannes Gutenberg wohl bekannteste Mainzer Jürgen Klopp, Trainer des<br />

FSV Mainz 05, mehr als zehn Jahre nach Abschluss seines Studiums in seiner<br />

„alten“ Uni? Mit einem breiten, professionelle Gelassenheit verkündenden<br />

Grinsen berichtete er als Gastdozent der Sportpsychologie-Vorlesung von<br />

Prof. Dr. Michael Macsenaere im November 2005 von dem, was er am besten<br />

kann: Trainieren.<br />

„Wenn mir vor zehn Jahren jemand gesagt hätte,<br />

dass ich einmal selbst hier als Dozent stehen<br />

würde, hätte ich ihm wohl nicht geglaubt.Wie ihr<br />

seht, kann aus jedem etwas werden“, sagte<br />

Klopp.Während des eineinhalbstündigen Dialogs<br />

zwischen Macsenaere und Klopp mit anschließender<br />

Fragestunde unter dem Titel „Mentales<br />

Coaching im Profifußball“, war jeder erdenkliche<br />

Sitz-, Treppen- und Stehplatz besetzt.<br />

„Von solchen Engagements erhoffe ich mir eine<br />

große Praxisnähe“, sagte Prof. Macsenaere später,<br />

und Jürgen Klopp sei da<strong>für</strong> <strong>die</strong> Idealbesetzung<br />

gewesen. Denn das Forschungsgebiet des Honorarprofessors<br />

Macsenaere ist <strong>die</strong> Sportpsychologie<br />

und Klopp sei einer der ganz wenigen Trainer,<br />

<strong>die</strong> sportpsychologisch arbeiten. „Ich las immer<br />

wieder von Klopps Arbeit in der Zeitung. Als das<br />

Thema bei mir in der Vorlesung anstand, rief ich<br />

Jürgen Klopp an, der sofort vollauf begeistert<br />

war“, ergänzte Macsenaere. Und so stellte der<br />

Professor Fragen und zeigte <strong>die</strong> Theorie auf, während<br />

Jürgen Klopp aus seinem Trainingsalltag erzählte.<br />

„Jürgen Klopp ist der<br />

kompletteste Trainer in der<br />

Fußballbundesliga.“<br />

„Kloppo“ ist in der Tat ein Kuriosum: Er gehört zu<br />

einer verschwindend geringen Schar von Fußballtrainern<br />

mit abgeschlossenem Diplom-Sportstudium<br />

– der allerdings bis Mitte November als<br />

einziger keinen Trainerschein hatte. Doch nachdem<br />

nun auch <strong>die</strong>se Hürde genommen ist, „ist<br />

Jürgen Klopp der kompletteste Trainer in der Fußballbundesliga“,<br />

so Macsenaere in seiner Ansprache.<br />

Sein „mentales Coaching“ hat inzwischen<br />

viele Nachahmer gefunden. Mentales<br />

Coaching befasst sich unter anderem mit den<br />

[JOGU] 195/2006<br />

Themen „Team“, „Diagnostik“, „Kommunikation“<br />

(O-Ton Klopp: „früher hieß des schwätze“),<br />

„Motivation“ und „Problembewältigung“.<br />

„Mein Sportstudium ist <strong>die</strong> Basis <strong>für</strong> alles, was ich<br />

heute mache. Das ist sozusagen mein linkes Bein.<br />

Das rechte ist meine Erfahrung.“<br />

Teamzusammenstellung und -bildung waren,<br />

nachdem Klopp vor viereinhalb Jahren – wie erhofft<br />

– den Abstieg aus der zweiten Bundesliga<br />

verhindert hatte, seine nächsten und wichtigsten<br />

Aufgaben. Er verpflichtete in <strong>die</strong>ser Zeit mehr als<br />

20 Spieler – <strong>die</strong> Zahl der Bewerber lag deutlich<br />

darüber. „In meinen vier- bis fünfstündigen Vorstellungsgesprächen<br />

versuche ich herauszufinden,<br />

ob der Bewerber den Gedanken, der Mainz<br />

05 ausmacht, mitgehen kann: sich trotz begrenzter<br />

Möglichkeiten nach der Decke zu strecken“.<br />

Mit Hilfe des so genannten Reiss-Profils versucht<br />

Klopp, nach jeder Verpflichtung sein Bild von einem<br />

Spieler zu verstärken und Zusatzinformationen<br />

zu bekommen, wie er mit ihm in den <strong>für</strong> Fußballer<br />

extremsten Situationen „Anerkennung vs.<br />

Kritik“ umgehen kann. Das Reiss-Profil versucht,<br />

<strong>die</strong> so genannten Lebensziele eines jeden Men-<br />

10<br />

schen aufzuzeigen. „Anfangs testete ich es an<br />

mir selbst und erkannte mich gut darin wieder. Jedoch<br />

würde ich mich niemals alleine auf seine<br />

Aussage verlassen.“ Auf <strong>die</strong>se Weise sorgte<br />

Klopp da<strong>für</strong>, „dass <strong>die</strong> Jungs alle einigermaßen<br />

zusammenpassen und das darstellen, was Mainz<br />

05 ausmacht. Das behauptet zwar jeder Verein<br />

von sich, aber bei uns ist es am Ende auch so.Wir<br />

wollen dominant und mutig Fußball spielen und<br />

jeden letzten Rest an Kraft raushauen, den wir<br />

haben, mehr rennen als jede andere Mannschaft.<br />

Es geht darum, sich in einen Rausch zu spielen.<br />

Wir wollen in den 90 Minuten <strong>die</strong> Träume der Zuschauer<br />

wahrmachen und sie von den Sitzen reißen.<br />

Jeder Spieler soll überzeugt sein, dass er da<br />

mitmachen will, obwohl er weniger Geld als anderswo<br />

bekommt, und <strong>für</strong> sich beschließen, dass<br />

er, egal ob er gewinnt oder nicht, bei der geilsten<br />

Truppe mitspielt.“<br />

„Mein Sportstudium ist <strong>die</strong><br />

Basis <strong>für</strong> alles, was ich heute<br />

mache. Das ist sozusagen mein<br />

linkes Bein. Das rechte ist<br />

meine Erfahrung.“<br />

Mit altbekannten Teambildungsmaßnahmen<br />

„wie Kegelabende veranstalten oder einen saufen<br />

gehen“, hielt sich Klopp nicht lange auf. „Das<br />

machte ich zwar auch alles mit, aber der Erfolg ist


nicht allzu langanhaltend.“ Initialzündung war<br />

eine Reportage über <strong>die</strong> Neuseeländische Rugby-<br />

Nationalmannschaft „All Blacks“, <strong>die</strong> 75 Prozent<br />

ihrer Spiele gewinnen. Grund da<strong>für</strong> ist ein extrem<br />

ausgeprägtes Mannschaftsgefühl. Nach einem<br />

gemeinsamen „Videoabend“ beschlossen <strong>die</strong><br />

FSV-Spieler, dass sie das auch erreichen wollten,<br />

und nannten sich ab sofort <strong>die</strong> „All Reds“. „Es<br />

darf niemals <strong>die</strong> Situation eintreten, dass auch<br />

nur ein einziger Zuschauer das Stadion verlässt<br />

und sagt: Wenigstens kämpfen hätten sie können.<br />

Dann hätte ich als Trainer nämlich alles<br />

falsch gemacht“, konstatierte Klopp. „Wir wollten<br />

etwas machen, das sonst keiner macht.“ Und<br />

so packte er <strong>die</strong> ganze Mannschaft ein und<br />

schleppte sie während der WM 2002 vier Tage in<br />

den Schwarzwald. „Die Jungs hatten keine Ahnung,<br />

was sie erwartet“. Ein <strong>für</strong> nur zehn Personen<br />

ausgelegtes Selbstversorgerhaus beherbergte<br />

<strong>die</strong> 26 Mainzer. Ohne Fernseher und ein<br />

einziges WM-Spiel. „Es ging um das Zusammenleben.Wenn<br />

wir abends abgestrampelt vom Fahrradfahren<br />

kamen, musste erst einmal ein Spieler<br />

gefunden werden, der <strong>für</strong> 26 Mann kochen<br />

konnte.“ Die Erinnerungen an <strong>die</strong> Mallorca-,<br />

Zypern- und andere Trainingslager seien verblasst,<br />

aber an <strong>die</strong> Schwarzwaldtage würden sich<br />

alle erinnern, sinnierte Klopp. Eine Saison später<br />

setzte er noch einen drauf: „Die Jungs wussten<br />

wieder nicht, was auf sie zukommt, als ich sie <strong>die</strong>ses<br />

Mal nach Schweden schleppte, wo es <strong>die</strong><br />

ganze Zeit wolkenbruchartig schüttete.“ Nur das<br />

Nötigste durfte mitgenommen werden. „Den<br />

Grund da<strong>für</strong> erfuhren <strong>die</strong> Spieler erst vor Ort:<br />

Kanufahren stand auf dem Programm.“ Außer<br />

Brot – und davon zu wenig – packte Klopp nichts<br />

Essbares ein. Wer vom Hunger gequält wurde,<br />

stand also vor einem neuen Problem: „Das Essen<br />

mussten wir erst noch fangen.“<br />

„Es gibt nichts Demotivierenderes<br />

als nicht erreichbare<br />

Ziele.“<br />

Dieses Trainingslager sei eine „extreme Erfahrung“<br />

gewesen und habe wirklich zu dem geführt,<br />

was er erwartet hatte: „Gemeinsame Erfahrungen<br />

und gegenseitiger Respekt – so<br />

entwickelt sich ein Team.“ Klopp setzt allgemein<br />

auf den „Pawlowscher Hund-Effekt“: „Ich erinnere<br />

niemanden mehr verbal an das Besprochene.<br />

Wenn <strong>die</strong> Jungs wissen, dass sie ein Spiel<br />

bestreiten müssen, läuft vor ihren Augen eine Art<br />

Film ab“. Dabei arbeitet Klopp mit den verschiedensten<br />

Schlüsselreizen: Seien es Armbänder<br />

oder „Jetzt-erst-recht-Kappen“, Plakate im Umkleideraum<br />

oder <strong>die</strong> Briefe, <strong>die</strong> sich <strong>die</strong> Spieler im<br />

strömenden Regen in Schweden selbst geschrieben<br />

haben. In <strong>die</strong>sen haben sie <strong>für</strong> sich klare Ziele<br />

formuliert.<br />

Den ultimativen Fehler gibt es nicht:<br />

Trainer Jürgen Klopp im Dialog mit Prof.<br />

Michael Macsenaere (l.)<br />

11<br />

Studium & Lehre<br />

Weitere Motivationstricks sind zum Beispiel meinungsbildende<br />

Videos der Gegner vor dem Spiel:<br />

„Manchmal ist es gar nicht so einfach, ein Video<br />

zusammenzuschneiden, auf dem der Gegner einfach<br />

gar nichts mehr kann“; schmunzelte Klopp.<br />

„Die wichtigste Möglichkeit, mit dem aufgebauten<br />

Druck umzugehen, ist jede Aufgabe als machbar<br />

darzustellen. Wir halten jeden Gegner an bestimmten<br />

Tagen <strong>für</strong> schlagbar und <strong>die</strong>se Tage<br />

wollen wir festlegen.“ Wichtig <strong>für</strong> das Mannschaftsgefühl<br />

sei außerdem, „dass ich mit meinen<br />

Jungs so umgehe, wie ich selbst als Fußballspieler<br />

behandelt werden wollte.“ Sich selbst<br />

nehme er auch nach Niederlagen nie aus der Verantwortung.<br />

„Ich haue außerdem niemals einzelne<br />

Spieler in <strong>die</strong> Pfanne. Die Verantwortung <strong>für</strong><br />

ein Ergebnis hat immer das Team. Den ultimativen<br />

Fehler gibt es nicht.“<br />

Ziele stecke er sich und der Mannschaft nur im<br />

Wochenrhythmus. Grundregel dabei: „Es gibt<br />

nichts Demotivierenderes als nicht erreichbare<br />

Ziele.“ Man müsse sich immer voll und ganz auf<br />

das einlassen, was gerade anstehe. Von unschätzbarem<br />

Wert <strong>für</strong> <strong>die</strong> Motivation sei nicht zuletzt<br />

<strong>die</strong> Stadionatmosphäre“: „Der geilste Ort<br />

auf der Welt ist der Mittelkreis im Bruchweg 25<br />

Minuten vor Spielbeginn.“ Dennis MÜLLER ■<br />

[JOGU] 195/2006<br />

Foto.: Peter Pulkowski


Wissenschaft & Forschung<br />

Living history<br />

Abenteuer Mittelalter Historikern wird zumeist ein Mangel an Gegenwartstauglichkeit<br />

unterstellt. Was aber, wenn <strong>die</strong> Geschichte uns einholt? Als der<br />

Mittel<strong>deutsche</strong> Rundfunk eine Zeitreise in das fünfzehnte Jahrhundert realisierte,<br />

war Expertenrat gefragt. Der Mainzer Historiker Jörg Rogge half den Filmemachern,<br />

<strong>die</strong> Zeitmaschine zu be<strong>die</strong>nen.<br />

Deutschland im späten Mittelalter. Hätte jemand<br />

auf einer Landkarte alle Machtzentren farbig<br />

markiert, das Abbild des Reiches sähe wie eine<br />

Patchwork-Decke aus. Kirchliche und weltliche<br />

Herren haben ihre Herrschaftsgebiete abgesteckt.<br />

Die Menschen in den Einflusszonen von<br />

Burgen und Klöstern werden <strong>für</strong> den Erhalt der<br />

aufwändigen Bauwerke zu Fron<strong>die</strong>nsten herangezogen.<br />

Vor allem aber müssen <strong>die</strong> Bauern Abgaben<br />

leisten, zumeist in Form von Naturalien.<br />

Nur <strong>die</strong> Stadtluft macht frei, nur in den großen<br />

Handelsmetropolen, den Hansestädten etwa, ist<br />

das Leben selbstbestimmt, zumindest dem Gesetz<br />

nach. Ansonsten gibt es kaum eine Alternative<br />

zu einem Leben in Arbeit und Gehorsam.<br />

„Eine Magd erreichte im<br />

Mittelalter selten das hohe<br />

Alter von 62 Jahren.“<br />

Schloss Burgk in Thüringen, am 22. Mai 2005.<br />

Sechs Frauen und Männer versammeln sich im<br />

Burghof. Ihre Schürzen, Hauben und Hemden sind<br />

aus schlichtem Stoff gefertigt, kein Zierrat, kein<br />

Muster ist ihnen erlaubt. Klaus Werner, 52 Jahre<br />

alt, Ingenieur, Kay Dunker, 36 Jahre alt, Zimmermann,<br />

Andreas Burkhardt, 18 Jahre alt, Abiturient,<br />

Edelgard Lemcke, 62 Jahre alt, Rentnerin,<br />

Swaantje Kleff, 21 Jahre alt, Studentin und Bianca<br />

Wangemann, 18 Jahre alt, Schülerin, werden in<br />

ihre neuen Rollen eingewiesen. Als älterer, mittlerer<br />

und junger Knecht, als ältere, mittlere und<br />

junge Magd werden sie <strong>die</strong> nächsten sechs<br />

Wochen das Mittelalter am eigenen Leibe erfahren.<br />

Die Zeitreisemaschine des Mittel<strong>deutsche</strong>n<br />

Rundfunks hat sie dort abgesetzt, wo viele Menschen<br />

seinerzeit den Überlebenskampf aufnehmen<br />

mussten: im unmittelbaren Machtbereich eines<br />

mittelalterlichen Feudalherrn.<br />

„Völlig authentisch ist <strong>die</strong>se nachgestellte Situation<br />

natürlich nicht“, erläutert Dr. Jörg Rogge,<br />

Hochschuldozent am Historischen Seminar der<br />

[JOGU] 195/2006<br />

Johannes Gutenberg-Universität und in seiner<br />

Experten-Eigenschaft Berater der Fernsehproduktion<br />

„Abenteuer Mittelalter – Leben im 15. Jahrhundert“.<br />

„Eine Magd erreichte im Mittelalter<br />

selten das hohe Alter von 62 Jahren. Man muss<br />

ja auch bedenken, dass sie bereits als Kind in ihrer<br />

physischen Entwicklung gehemmt war, der<br />

Mangelernährung wegen. Im Grunde hätte<br />

man“, schmunzelt Rogge, „alle Darsteller vorher<br />

erst einmal einige Wochen hungern lassen müssen,<br />

das hätte zu Beginn ein realistischeres Bild<br />

abgegeben. Selbstverständlich ist das niemandem<br />

zuzumuten.“<br />

Thüringen im Jahre 1419. Bis <strong>die</strong> erste <strong>deutsche</strong><br />

Revolution ausbricht, bis Reformation und Bauernkriege<br />

zum ersten Mal in der <strong>deutsche</strong>n Geschichte<br />

<strong>die</strong> gesellschaftlichen Hierarchien in<br />

Frage stellen, werden noch über hundert Jahre<br />

vergehen. Am Anfang des 15. Jahrhunderts prägt<br />

<strong>die</strong> Vorstellung von einer gottgewollten Ordnung<br />

das Zusammenleben der Menschen, zumindest<br />

fern von Prag, wo <strong>die</strong> Hussiten bereits das Gegenwärtige<br />

in Frage stellen. Die gesellschaftlichen<br />

Grenzen sind jenseits von Böhmen klar gezogen:<br />

oben der Adel, dann einige wohlhabendere Bürger,<br />

unten der Rest. Der kulturelle Glanz höfischen<br />

Lebens war nur den geburtsrechtlich legitimierten<br />

Eliten vorbehalten. Der Alltag der<br />

anderen <strong>die</strong>nte der Sicherung des puren Überlebens<br />

– des eigenen, vor allem aber desjenigen<br />

der Herrschaft.<br />

Auch auf Schloss Burgk wurden Nutztiere<br />

gehalten, <strong>die</strong>se mussten versorgt<br />

und geschlachtet werden, zudem musste<br />

Brot gebacken, mussten Küchenkräuter<br />

angebaut und Reparaturen ausgeführt<br />

werden – im Mittelalter und im Jahr 2005.<br />

Den Mägden und Knechten, den gegenwärtigen<br />

ebenso wie den Profis des 15.<br />

Jahrhunderts, standen trotz der harten<br />

Waschen ist nötig:<br />

Nur am Sonntag darf<br />

gebadet werden<br />

Arbeit nur sehr karge Rationen zu: Das Gesinde<br />

aß, was von der herrschaftlichen Mahlzeit übrig<br />

blieb. Die Dienstboten bekamen kein Fleisch, und<br />

wenn, dann höchstens Verdorbenes oder Verbackenes,<br />

das eben nicht mehr <strong>für</strong> den herrschaftlichen<br />

Tisch taugte.Am Ende der Drehzeit wirkten<br />

<strong>die</strong> Darsteller deutlich authentischer denn zu Beginn.<br />

Die Härten des Burgalltags 2005 entsprachen<br />

den mittelalterlichen Zuständen durchaus.<br />

„Das Gesinde aß, was von der<br />

herrschaftlichen Mahlzeit<br />

übrig blieb.“<br />

Berater Rogge hat das allerdings nicht live miterlebt,<br />

er wurde erst in der Endphase des, wie er betont,<br />

gut vorbereiteten Projektes zu Rate gezogen.<br />

„Drehbuchautor Peter Behle hat, unterstützt<br />

durch Professor Ernst Schubert, welcher in Göttingen<br />

Geschichte des Mittelalters und niedersächsische<br />

Landesgeschichte lehrt, zwei Jahre recherchiert,<br />

das hat sich schließlich ausgezahlt“,<br />

so Rogge. Dennoch gab es <strong>für</strong> den Mainzer Historiker<br />

jede Menge zu tun. Während der Drehzeit<br />

hielten sich nur <strong>die</strong> Darsteller und das Kamerateam<br />

auf der Burg auf, schließlich sollte sich <strong>die</strong><br />

Situation eigenständig entwickeln können. Nachdem<br />

,das Gesinde’ von Küchenmeister Michael<br />

Kirchschlager, einem 39 Jahre alten Thüringer Historiker,<br />

in seine Aufgaben eingewiesen worden<br />

war, musste es weitgehend eigenständig den<br />

mittelalterlichen Alltag bewältigen. Unter dem<br />

Kommando von Burgvogt Maik Ellinger, 39 Jahre<br />

alt und im normalen Leben Unternehmer, sollte<br />

<strong>die</strong> Ordnung des Sozialkosmos Burg so lange aufrechterhalten<br />

werden, bis der adlige Burgherr<br />

von seiner Reise zurückkehren würde.<br />

Das Ergebnis <strong>die</strong>ser konzertierten Aktion wurde<br />

im November in komprimierter Form in Arte und<br />

im Dezember als Langfassung in der ARD ausgestrahlt.<br />

Für Rogge bedeutete das eine Sonderschicht<br />

zum Beginn des Wintersemesters. Knapp<br />

15 Stunden Rohschnitt hat er gesichtet. „Das Material<br />

übergab ein Bote aus Leipzig“, erinnert sich<br />

Fotos: Junghans © mdr


der Historiker. „Es wurde mir morgens, vor<br />

Dienstbeginn, in mein Sprechzimmer an der Uni<br />

gebracht, abends habe ich es mir angeschaut und<br />

der Redaktion mein Feedback durchgegeben.“<br />

Bei der Durchsicht ging es vor allem darum, <strong>die</strong> in<br />

der Phase der Eigenregie gemachten Fehler zu<br />

benennen. „Ein Problem stellten zum Beispiel <strong>die</strong><br />

Begrüßungsszenen dar. Die Darsteller haben sich<br />

am ersten Tag <strong>die</strong> Hand gegeben. Im Mittelalter<br />

verbeugten sich gut erzogene Menschen voreinander.<br />

Für das Gesinde spielten <strong>die</strong>se Regeln jedoch<br />

keine Rolle. Der Adel nahm <strong>die</strong> Dienerschaft<br />

überhaupt nicht wahr, und der Burgvogt, der in<br />

der Regel zum niederen Adel gehörte, gab allenfalls<br />

Befehle, er redete seine Untergebenen dabei<br />

nicht einmal mit ihren Namen an.“<br />

„Undenkbar, dass ein Angehöriger<br />

des niederen Adels sich im<br />

Mittelalter mit dem Dienstpersonal<br />

freundschaftlich unterhalten<br />

hätte.“<br />

Den Burgbewohnern des Jahres 2005 hat <strong>die</strong>ses<br />

Denken in Hierarchien Probleme bereitet. Das<br />

galt nicht nur <strong>für</strong> <strong>die</strong> Gruppe der Mägde und<br />

Knechte, sondern auch <strong>für</strong> ihre Vorgesetzten. Allein<br />

Burgvogt Maik Elliger habe seine Kommandofunktion<br />

ohne Schwierigkeiten ausgefüllt, so<br />

Rogge. Immerhin war und ist Elliger auch jenseits<br />

des Fernsehprojektes als amtierender Ritter, genauer,<br />

als Chef des Thüringer Ritterbundes, unterwegs.<br />

Der vom Vogt nach einiger Zeit auf <strong>die</strong> Burg<br />

geholte Knappe hingegen habe sich den Rollenvorgaben<br />

kaum fügen können. Als Auszubildender<br />

im Ritterhandwerk hätte der Zivil<strong>die</strong>nstleistende<br />

Christoph Krause zum Beispiel nur mit<br />

seinem Lehrherrn, Elliger also, kommunizieren<br />

dürfen. „Undenkbar, dass ein Angehöriger des<br />

niederen Adels sich im Mittelalter mit dem<br />

Dienstpersonal freundschaftlich unterhalten<br />

hätte“, erläutert der Mainzer Experte. Die Knappenausbildung<br />

sei ohnehin zur Fehlerquelle gera-<br />

ten. So hätte Christoph Krause wiederholt zur<br />

Armbrust gegriffen. Diese aber zähle ebenso wenig<br />

zu den Waffen eines künftigen Ritters wie<br />

Pfeil und Bogen – <strong>die</strong> mittelalterliche Kavallerie<br />

zog mit Lanzen und Schwertern in den Krieg.<br />

Auch mit den Kampfübungen habe sich das Team<br />

schwer getan. „Um einen Zweikampf zu zeigen,<br />

wurde einem der Knechte eine Ritterrüstung verpasst.<br />

Das war zwar filmisch interessant, wäre im<br />

15. Jahrhundert aber völlig undenkbar gewesen,<br />

weil unstandesgemäß.“<br />

„Die mittelalterliche Kavallerie<br />

zog mit Lanzen und Schwertern<br />

in den Krieg.“<br />

Rogge hat <strong>die</strong> entsprechenden Szenen gestrichen,<br />

und <strong>die</strong> Redaktion ist seinem Rat gefolgt.<br />

„Gott sei Dank hatte ich als Experte keine Alibifunktion<br />

inne“, so Rogge. Seine aktuelle Beratertätigkeit<br />

resultierte aus einer früheren Zusammenarbeit<br />

mit dem mittel<strong>deutsche</strong>n Rundfunk.<br />

Das Ergebnis des gegenwärtigen „Living<br />

history-Experimentes“ bewertet der Historiker<br />

positiv. „Hier werden geschichtliche, lebensweltliche<br />

Fakten einem breiteren Publikum zugänglich<br />

gemacht. Studenten der Geschichtswissenschaften<br />

wird das Anschauungsmaterial zum<br />

Quellentext geliefert. Und sie bekommen Lust auf<br />

<strong>die</strong> Me<strong>die</strong>narbeit.“ Der schreibenden und filmenden<br />

Zunft wirft Rogge einen zuweilen überbordenden<br />

Hang zur Ungenauigkeit vor, gegenwärtige<br />

und künftige Experten könnten hier<br />

korrigierend eingreifen, eben Klischees vermeiden<br />

helfen. Dass der Priester sich während der<br />

Predigt der Gemeinde zuwende, jeden Einzelnen<br />

beim Namen nenne und ihn in <strong>deutsche</strong>r Sprache<br />

anrede, entspräche ebenso wenig der mittelalterlichen<br />

Realität wie ein gemeinsames Sonnwendfest<br />

aller Burgbewohner, beschreibt Rogge weitere,<br />

im Rohmaterial der Fernsehfassungen<br />

enthaltene Eigenwilligkeiten. Allerdings hat der<br />

akademische Fachmann auch Verständnis <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

technischen Voraussetzungen der Fernseharbeit<br />

mitgebracht. „Beim Umbau des Drehortes haben<br />

Hunger besiegen:<br />

Versuche Brot zu backen<br />

sind fehl geschlagen<br />

13<br />

Abschlußfest:<br />

Das Gesinde muß<br />

arbeiten, arbeiten,<br />

arbeiten...<br />

Wissenschaft & Forschung<br />

<strong>die</strong> Verantwortlichen historisch korrekte Bedingungen<br />

geschaffen, sie haben etwa Fenster abgedeckt,<br />

damit <strong>die</strong> Räume dunkler werden. Dass<br />

nun aber in den Gesindestuben Kerzen und keine<br />

Ölfunzeln brennen, sollte nicht kritisiert werden.<br />

Schließlich brauchen Kameraleute eine Mindestbeleuchtung,<br />

sonst können sie ihre Arbeit nicht<br />

machen.“<br />

Deutschland in der späten Neuzeit. Im Fernsehen<br />

wird <strong>die</strong> Zeitmaschine von der Aktualität angehalten,<br />

auf das „Abenteuer Mittelalter“ folgen<br />

neue Arbeitslosenstatistiken, <strong>die</strong> sich in der Börsenkurve<br />

als zu erwartende Unternehmensrenditen<br />

spiegeln, dann, zur Erholung, der Tagesthemenströmungsfilm.<br />

Für Thüringen ist ein durchschnittlicher<br />

Wintertag angekündigt. Schloss<br />

Burgk ist längst von den Umbauten der Filmleute<br />

befreit, es strahlt in denkmalgeschütztem Glanz.<br />

Wie hart muss im fünfzehnten Jahrhundert ein<br />

Winter auf der Burg gewesen sein? Auch <strong>die</strong><br />

Burgherrn waren übrigens vor Unbilden witterungsbedingter<br />

und wirtschaftlicher Natur nicht<br />

geschützt. Im Spätmittelalter ließ sich kaum ein<br />

Knappe noch zum Ritter schlagen – <strong>die</strong> standesgemäße<br />

Ausrüstung war einfach zu teuer...<br />

Ulrike BRANDENBURG ■<br />

Tiere versorgen: Wichtigste<br />

Aufgabe und größtes Problem


Wissenschaft & Forschung<br />

Foto: Peter Thomas<br />

<strong>Fit</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Professur</strong><br />

Qualifizierungsprogramm mit Zertifikat Mainzer Wissenschaftler<br />

machen sich mit einem Programm des Zentrums <strong>für</strong> Qualitätssicherung und –<br />

entwicklung fit <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Professur</strong>. Neben dem Schwerpunkt Lehre sind auch<br />

Themen wie Mitarbeiterführung und Verwaltung Bestandteile des Angebots.<br />

Erst kommen Magister oder Diplom, dann Promotion,<br />

Habilitation oder <strong>die</strong> Juniorprofessur:<br />

Akademische Abschlüsse garantieren <strong>die</strong> fachliche<br />

Qualifikation von Universitätslehrern. Doch<br />

eine eigentliche Ausbildung zum Professor, <strong>die</strong><br />

auch Themen wie Lehre, Verwaltung und Mitarbeiterführung<br />

anschneidet, gibt es nicht. Hier<br />

setzt das Programm „Auf dem Weg zur <strong>Professur</strong>“<br />

des Zentrums <strong>für</strong> Qualitätssicherung und<br />

-entwicklung an, dessen zweiter Block im Wintersemester<br />

2005/06 zu Ende geht. Privatdozent<br />

Dr. Manfred Herzer hat das Programm entwickelt,<br />

dessen erste Staffel im Sommersemester 2004<br />

endete. Damals überreichte Herzer 27 erfolgreichen<br />

Absolventen ihr Zertifikat.<br />

[JOGU] 195/2006<br />


Nesselfieber<br />

Schubweises Auftreten der Krankheit<br />

rätselhaft Mediziner nennen <strong>die</strong><br />

Krankheit Urtikaria, weil <strong>die</strong> Haut der<br />

Patienten aussieht, als seien sie in <strong>die</strong><br />

Brennnesseln (lat. Urtica dioica) gefallen.<br />

Statistisch erleidet jeder vierte Erdenbürger<br />

mindestens einmal im Leben eine<br />

Urtikaria, meist in akuter Form.<br />

Nesselfieber (auch Nesselsucht oder engl. hives)<br />

zeichnet sich durch Quaddeln, Rötungen und/<br />

oder Schwellungen der Haut sowie starken Juckreiz<br />

aus. Quaddeln sind durch undichte Blutgefäße<br />

mit Flüssigkeit gefüllte Hohlräume zwischen<br />

den obersten Hautzellen. Sie können aber auch in<br />

tieferen Hautschichten auftreten. Dann heißen<br />

sie Angioödem und <strong>die</strong> Schwellung der Haut ist<br />

weniger gut sichtbar. Diese stets gleiche Symptomatik<br />

kann sehr verschiedene Ursachen haben<br />

und manchmal wird der eigentliche Krankheitsgrund<br />

gar nicht gefunden (idiopathische Urtikaria).<br />

Dauern <strong>die</strong> Beschwerden länger als sechs<br />

Wochen, sprechen Mediziner von chronischer Urtikaria.<br />

Etwa ein Prozent der Deutschen sind davon<br />

betroffen, meistens Frauen im Alter zwischen<br />

30 und 50 Jahren. Sie leiden dann täglich unter<br />

starkem Juckreiz, der den Schlaf raubt und sich<br />

manchmal durch Kratzen noch verstärkt. Ein Teufelskreis.<br />

Bei den meisten Menschen hat <strong>die</strong><br />

Krankheit jedoch einen akuten Auslöser, zum Beispiel<br />

einen Infekt oder eine Allergie, und auch<br />

ohne Behandlung verschwinden <strong>die</strong> Symptome<br />

bald wieder.<br />

Stets werden <strong>die</strong> Mastzellen in<br />

der Haut aktiviert, den Botenstoff<br />

Histamin auszuschütten,<br />

was dann zu den Quaddeln und<br />

dem Juckreiz führt.<br />

Kompetente Hilfe finden Betroffene vor allem in<br />

so genannten Urtikaria-Spezial-Sprechstunden<br />

(USS).Vorreiter war hier <strong>die</strong> Mainzer Universitäts-<br />

Hautklinik, wo 1998 <strong>die</strong> erste USS ins Leben gerufen<br />

wurde. Wie <strong>die</strong> Mitbegründerin und jetzige<br />

Leiterin der Mainzer USS, Dr. Petra Staubach, im<br />

Gespräch mit JOGU bestätigt, wird <strong>die</strong>ses Angebot<br />

von mehr als 1.000 Patienten jährlich ange-<br />

Leiterin der USS: Dr. Petra Staubach<br />

nommen. Mittlerweile gibt es in Deutschland<br />

mehrere USS, aber auch im Internet kann man<br />

sich informieren: Die website des urticaria network<br />

e.V., einem Verein von Dermatologen, der<br />

sich aus der Mainzer USS entwickelt hat, bietet<br />

sowohl Fachaustausch als auch Patienteninformationen.<br />

Die Arbeit in der Sprechstunde konfrontiert<br />

Staubach und ihr Team mit einer besonderen<br />

Gruppe von Urtikaria-Patienten. „In der<br />

Regel sind es chronische Fälle oder solche, <strong>die</strong> nur<br />

stationär abgeklärt werden können, so dass das<br />

Finden und Beseitigen der Krankheitsursache<br />

nicht immer einfach ist“, erklärt sie. Dabei kennt<br />

man den Mechanismus, der <strong>die</strong> Symptome hervorruft,<br />

seit langem: Stets werden <strong>die</strong> Mastzellen<br />

in der Haut aktiviert, den Botenstoff Histamin<br />

auszuschütten, was dann zu den Quaddeln und<br />

dem Juckreiz führt. Nur wundern sich <strong>die</strong> Experten<br />

bis heute, dass <strong>die</strong>se Körperreaktion von so<br />

verschiedenen Ursachen wie Medikamenten, einer<br />

Allergie oder einer Infektion hervorgerufen<br />

werden kann. So wird in vielen Fällen erst einmal<br />

symptomatisch behandelt, zum Beispiel mit Antihistaminika.<br />

Mit ihrer intensiven Ursachenforschung sowie<br />

der teilweisen Anwendung von alternativen Heilmethoden<br />

gehen <strong>die</strong> Mainzer einen Schritt weiter.<br />

„Wir haben zum Beispiel bei der autoreaktiven<br />

Form der Urtikaria in einer Stu<strong>die</strong> sehr gute<br />

Erfolge mit einer Eigenbluttherapie nachweisen<br />

können“, berichtet Staubach, „aber es gibt noch<br />

viele offene Fragen.“ Warum etwa sind Frauen<br />

nur im Erwachsenenalter häufiger betroffen? Es<br />

erkranken nämlich genauso viele Mädchen wie<br />

Jungen an Urtikaria. Rätselhaft ist weiterhin das<br />

schubweise Auftreten der Krankheit. Oft sind <strong>die</strong><br />

Quaddeln und Rötungen bereits nach wenigen<br />

Stunden wieder verschwunden. Ebenso muss<br />

15<br />

Foto: Frank Erdnüß<br />

Wissenschaft & Forschung<br />

noch erforscht werden, warum <strong>die</strong> Urtikaria bei<br />

Patienten, <strong>die</strong> auch Angioödeme aufweisen, häufig<br />

länger dauert und öfter einen schwereren Verlauf<br />

nimmt, als bei Patienten, <strong>die</strong> nur Quaddeln<br />

bekommen (etwa 40 %). Andererseits haben bisherige<br />

Untersuchungen schon viele neue Erkenntnisse<br />

gebracht. Es gibt zum Beispiel keinen<br />

Anhalt da<strong>für</strong>, dass das Auftreten einer Urtikaria<br />

vererbt wird und auch Stress ist entgegen vielen<br />

Vermutungen bisher nicht als Ursache identifiziert.<br />

„Er kann <strong>die</strong> Krankheit aber verschlimmern“,<br />

betont Staubach. Auf <strong>die</strong> nicht ganz ernst<br />

gemeinte Frage, ob auch Tiere Nesselfieber bekommen<br />

können, nickt <strong>die</strong> Ärztin und meint:<br />

„Meinen Hund habe ich bereits erfolgreich therapiert,<br />

natürlich außer<strong>die</strong>nstlich.“<br />

Frank ERDNÜSS ■<br />

Information: http://www.urtikaria.net/<br />

Typische Hautrötung und Quaddeln bei<br />

einer Urtikaria-Erkrankung.<br />

Fürs Leben<br />

gerne Blutspenden<br />

Spendeort Universität<br />

Mainz, Linke Aula<br />

Alte Mensa – Becher-Weg 5<br />

Spendetermine 2006<br />

Dienstag, 14. März<br />

Dienstag, 16. Mai<br />

Donnerstag, 13. Juli<br />

Dienstag, 19. Dezember<br />

Spendezeit<br />

8.00 – 14.00 Uhr<br />

Anzeige<br />

Klinikum der Johannes-<br />

Gutenberg Universität Mainz<br />

Transfusionszentrale<br />

Tel. 06131/17-3216<br />

oder 3217<br />

[JOGU] 195/2006<br />

Abbildung: © Staubach


Fotos: B. Schumann-Schmid<br />

Wissenschaft & Forschung<br />

Mehr Lebensqualität<br />

Mainzer Modellprojekt „Bewegte<br />

Alten- und Pflegeheime“ Der Anteil<br />

älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung<br />

wird zunehmend größer.<br />

Daraus resultieren steigende Kosten<br />

<strong>für</strong> deren Betreuung und Pflege. Ein<br />

wichtiges Ziel ist deshalb, präventiv<br />

<strong>die</strong> körperliche Mobilität im Alter zu<br />

erhalten. Dadurch steigt <strong>die</strong> Lebensqualität<br />

der Betroffenen, werden Pflegepersonal<br />

entlastet und langfristig<br />

Pflegekosten reduziert.<br />

Pilotprojekte der Wissenschaftlerinnen PD Dr.<br />

Manuela Dittmar, Institut <strong>für</strong> Anthropologie, und<br />

Dr. Brunhilde Schumann-Schmid, Institut <strong>für</strong><br />

Sportwissenschaften der Johannes Gutenberg-<br />

Universität Mainz, sowie Untersuchungen anderer<br />

Forschergruppen zeigen, dass Menschen im<br />

hohen Alter sehr gut trainierbar sind. Allerdings<br />

liegen nur wenige Untersuchungen über <strong>die</strong> Trai-<br />

[JOGU] 195/2006<br />

Positive Testergebnisse:Gewichtsmanschetten<br />

(450g) an den<br />

Armen verbessern <strong>die</strong><br />

Kraftausdauer (Abb. 1)<br />

Gangsicherungstraining:Aufstehtest<br />

zur Ermittlung<br />

der Beinkraft (Abb. 2)<br />

nierbarkeit pflegebedürftiger Heimbewohner vor.<br />

Das Mainzer Modellprojekt „Bewegte Alten- und<br />

Pflegeheime“ der beiden Wissenschaftlerinnen<br />

wurde jetzt mit dem mit 30.000 Euro dotierten<br />

Förderpreis der Wilhelm-Woort-Stiftung <strong>für</strong> Alternsforschung<br />

ausgezeichnet.<br />

Dieses Projekt zielt darauf ab, ein modellhaftes<br />

anwendungsorientiertes sporttherapeutisches<br />

Interventionsprogramm zur Bewahrung und Reaktivierung<br />

körperlicher Mobilität <strong>für</strong> pflegebedürftige<br />

Heimbewohner zu entwickeln und zu<br />

etablieren. Das Projekt ist als Ausgangsbasis <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> Initiierung von bewegungsfreundlichen Alten-<br />

und Pflegeheimen vorgesehen.<br />

Eine Trainingseinheit dauert<br />

mindestens 30 Minuten und<br />

beinhaltet Kraft-, Flexibilitätsund<br />

Gleichgewichtsübungen.<br />

Das Besondere des Forschungsprojekts liegt in<br />

der Art der Durchführung eines Bewegungsprogramms<br />

in der Großgruppe, der Länge des Bewegungsprogramms<br />

(6 Monate), den Nachuntersuchungen<br />

nach Beenden des Bewegungsprogramms<br />

und der Fortbildung der<br />

Pflegekräfte als Multiplikatoren<br />

<strong>für</strong> ein „bewegtes Altersheim“.<br />

Das Projekt gliedert sich in vier<br />

Phasen: Pilotphase (3 Monate),<br />

Hauptphase (6 Monate), Nachuntersuchung<br />

(3 Monate) und<br />

Weiterführungsphase (zeitlich unbegrenzt).<br />

In der Pilotphase<br />

wurde das Trainingsprogramm<br />

entwickelt und in einem ausgewählten<br />

Altersheim evaluiert,<br />

ebenso ein geriatrisches Assessment<br />

zur Erfassung von motorischem,<br />

kognitivem und sozialem Status der<br />

Heimbewohner. Auf <strong>die</strong>ser Grundlage wurde in<br />

der Hauptphase ein regelmäßiges Trainingsprogramm<br />

mit anschließendem geriatrischen Assessment<br />

in fünf Mainzer Alten- und Pflegeheimen<br />

(Bruder-Konrad-Stift, Alice-Schwesternschaft des<br />

DRK, Martinsstift, Bilhildis und Caritas-Altenzentrum<br />

Maria Königin) durchgeführt. Eine Trainingseinheit<br />

dauert mindestens 30 Minuten und beinhaltet<br />

Kraft-, Flexibilitäts- und Gleichgewichts-<br />

16<br />

übungen. Ziel ist, <strong>die</strong> Kraft der Bein- und Handmuskulatur<br />

zu kräftigen, <strong>die</strong> Beweglichkeit der<br />

Fuß-, Hand- und Schultergelenke zu verbessern<br />

sowie das statische und dynamische Gleichgewicht<br />

zu schulen (Abb. 1). Kleine Spielformen <strong>die</strong>nen<br />

primär der Motivation und Kommunikation<br />

in der Gruppe.<br />

Zur Weiterführung der Trainingseinheiten wurde<br />

speziell <strong>für</strong> Pflegekräfte ein kurzes Trainingsprogramm<br />

(10 Minuten Kurzprogramm) mit Fotodokumentation<br />

der Übungen konzipiert. Im Rahmen<br />

von Fortbildungsmaßnahmen wurden bisher<br />

60 Pflegekräfte über <strong>die</strong> Bedeutung des Trainings<br />

im Alter und dem damit einhergehenden Erhalt<br />

der Selbständigkeit, zum Beispiel beim Treppensteigen<br />

oder Ankleiden, informiert und in <strong>die</strong><br />

Kurzprogramme eingeführt. An <strong>die</strong> Hauptphase<br />

schließt sich nach einer Nachuntersuchung <strong>die</strong><br />

„Weiterführungsphase des Projektes in Eigenregie“<br />

durch <strong>die</strong> Alten- und Pflegeheime an. In<br />

drei der fünf Altenheime wurde <strong>die</strong>ses Ziel bereits<br />

erreicht, indem eine Pflegekraft <strong>für</strong> <strong>die</strong> regelmäßige<br />

Durchführung des Bewegungsprogramms<br />

freigestellt beziehungsweise eine qualifizierte<br />

Übungsleiterin in Kooperation mit einem Sportverein<br />

angestellt wurde.<br />

Neustes Projekt ist <strong>die</strong> Unterstützung der Altenund<br />

Pflegeheime bei der Umsetzung des Expertenstandards<br />

zur Sturzprophylaxe. Hierzu bieten<br />

<strong>die</strong> Wissenschaftlerinnen eine sportmotorische<br />

Testreihe zur Evaluierung des individuellen Sturzrisikos<br />

aus motorischer Sicht an und geben Hilfestellung<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Einrichtung eines präventiven<br />

Gangsicherungstrainings (Abb. 2). In zwei Altenheimen<br />

wurden aufgrund der Testergebnisse<br />

bereits Sportstudenten angestellt, <strong>die</strong> einmal wöchentlich<br />

ein spezielles Bewegungsprogramm zur<br />

Sturzprophylaxe durchführen. Auch <strong>die</strong>ses Sturzprophylaxeprogramm<br />

wird evaluiert. ■<br />

Information: http://www.MAMP.uni-mainz.de<br />

Interessenten an „Bewegten Alten- und Pflegeheimen“<br />

wenden sich bitte an:<br />

Dr. Brunhilde Schumann-Schmid, Tel. 06131/39<br />

23520, E-Mail: schumann@uni-mainz.de<br />

PD Dr. Manuela Dittmar, Tel. 06131/39 24003,<br />

E-Mail: dittmar@uni-mainz.de


Wirtschaftsfaktor Campus<br />

Stu<strong>die</strong> zeigt wirtschaftliche<br />

Bedeutung von Hochschulen<br />

Investitionen in Universitäten gelten<br />

als Investitionen in <strong>die</strong> Zukunft. Doch<br />

schon in der Gegenwart entstehen<br />

durch sie direkte ökonomische Effekte<br />

in der Region. Das belegen Wirtschaftswissenschaftler<br />

aus Kaiserslautern,<br />

Trier und Mainz in einer<br />

neuen Stu<strong>die</strong> über Rheinland-Pfalz.<br />

Hochschulen, Forschungseinrichtungen und <strong>die</strong><br />

Studentenwerke sind ein Wirtschaftsfaktor <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Region und über <strong>die</strong> Landesgrenze hinaus. Das<br />

belegt eine jetzt vorgelegte Stu<strong>die</strong> von Wirtschaftswissenschaftlern<br />

der Technischen Universität<br />

Kaiserslautern sowie der Universitäten Trier<br />

und Mainz. Gemeinsam haben sie <strong>die</strong> regionalwirtschaftlichen<br />

Effekte untersucht, <strong>die</strong> der Bau<br />

und Betrieb von Bildungseinrichtungen auslösen.<br />

Nach einjähriger Forschungsarbeit liegen ihre Ergebnisse<br />

jetzt vor: Für jeden vom Wissenschaftsministerium<br />

investierten Euro entstehe eine Bruttowertschöpfung<br />

von 1,58 Euro, errechnete das<br />

Forscherteam. Das macht <strong>für</strong> <strong>die</strong> vom Ministerium<br />

durchschnittlich investierten 560 Millionen<br />

Euro Wertschöpfungseffekte von 890 Millionen<br />

Euro.<br />

Für <strong>die</strong> Auftragsstu<strong>die</strong> des Ministeriums <strong>für</strong> Wissenschaft,<br />

Weiterbildung, Forschung und Kultur<br />

haben <strong>die</strong> Wissenschaftler <strong>die</strong> Durchschnittswerte<br />

von 35 öffentlich finanzierten Institutionen<br />

in Rheinland-Pfalz von 1999 bis 2003 ausgewertet.<br />

„Bundesweit ist <strong>die</strong> Untersuchung einmalig“,<br />

sagt Martin Flohr, Projektmitarbeiter an der Universität<br />

Mainz. „Denn zum ersten Mal werden<br />

<strong>die</strong> Input-Output-Analyse und <strong>die</strong> Multiplikatoranalyse<br />

zusammen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Untersuchung eines<br />

Flächenstaates eingesetzt.“ Dadurch würden <strong>die</strong><br />

gefundenen Ergebnisse durch <strong>die</strong> jeweils andere<br />

Methode abgesichert, so Flohr weiter.<br />

Für <strong>die</strong> Berechnungen zogen <strong>die</strong> Forscher <strong>die</strong> verfügbaren<br />

Einkommen der Beschäftigten, <strong>die</strong> Ausgaben<br />

der Studenten sowie <strong>die</strong> Investitionen und<br />

Sachausgaben der jeweiligen Einrichtung, etwaige<br />

Bauaufträge oder <strong>die</strong> Anschaffung von Geräten<br />

heran. Die rund 82.000 Studenten gäben<br />

jährlich etwa 585 Millionen Euro aus, das entspricht<br />

7.100 Euro je Student. Ein Ergebnis, mit<br />

dem <strong>die</strong> Wissenschaftler in dem Umfang nicht gerechnet<br />

hatten. „Über <strong>die</strong> Hälfte der Gesamteffekte<br />

werden durch <strong>die</strong> Konsumausgaben von<br />

Studenten verursacht“, sagt Prof. Dr. Peter M.<br />

Schulze vom Institut <strong>für</strong> Statistik und Ökonometrie<br />

der Universität Mainz. „Wir hatten nur mit einem<br />

Anteil von 30 bis 40 Prozent gerechnet.“ Von<br />

<strong>die</strong>sen Ausgaben profitierten insbesondere regionale<br />

Dienstleistungsbranchen. Auch als Arbeitgeber<br />

erfüllen <strong>die</strong> Einrichtungen eine wichtige<br />

Funktion und stellen 10.863 Vollzeitarbeitsplätze<br />

bereit, davon entfallen 8.888 auf in Rheinland-<br />

Pfalz ansässige Beschäftigte. Die vier direkten Effekte<br />

führen in der weiteren Wertschöpfungskette<br />

zu zusätzlichen indirekten Wirkungen, zum<br />

Beispiel weiteren rund 11.000 Arbeitsplätze bei<br />

rheinland-pfälzischen Unternehmen.<br />

„Zum ersten Mal werden <strong>die</strong><br />

Input-Output-Analyse und <strong>die</strong><br />

Multiplikatoranalyse zusammen<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Untersuchung eines<br />

Flächenstaates eingesetzt.“<br />

Bezogen auf <strong>die</strong> fünf Hochschulregionen zeigt<br />

sich ein differenziertes Bild. So steht <strong>die</strong> Region<br />

Mainz-Bingen mit einer Bruttowertschöpfung<br />

von 1,37 Euro je investiertem Euro an Platz zwei<br />

nach der Hochschulregion Trier (1,40 Euro). Auf<br />

den Plätzen drei bis fünf stehen <strong>die</strong> Regionen<br />

Landau, Kaiserslautern und Koblenz. Prof. Schulze<br />

warnt davor, eine Wertigkeit in <strong>die</strong>se Ergebnisse<br />

zu interpretieren. Die Stu<strong>die</strong> sei nicht mit einem<br />

Ranking zu verwechseln, weil sehr unterschiedliche<br />

Hochschulen und Forschungseinrichtungen<br />

verglichen worden seien.<br />

Die Zahlen spiegeln strukturelle Unterschiede<br />

wieder, keine qualitativen. Denn <strong>die</strong> Geisteswissenschaften<br />

benötigen meist niedrigere Investitionen<br />

und eine einfachere Ausstattung als Naturwissenschaften.<br />

Weist eine Universität hohe<br />

Studentenzahlen in geisteswissenschaftlichen<br />

Fächern auf, so führt das zu einer höheren Bruttowertschöpfung,<br />

wie der Spitzenreiter Trier belegt.<br />

Auf Basis der jetzt veröffentlichten Zahlen ver-<br />

17<br />

Wissenschaft & Forschung<br />

meintlich „billige“ Stu<strong>die</strong>ngänge zu fördern, sei<br />

jedoch der falsche Schluss, warnen <strong>die</strong> Wissenschaftler<br />

in der Stu<strong>die</strong>, zumal noch nicht alle Ergebnisse<br />

vorlägen. Denn der „klassischen Aufgabe“<br />

von Universitäten, der Bereitstellung von<br />

qualifizierten Absolventen und Forschungsergebnissen,<br />

wenden sich <strong>die</strong> Wissenschaftler erst im<br />

zweiten Teil des Projektes zu. Dann untersuchen<br />

sie, wie <strong>die</strong> Unternehmen durch <strong>die</strong> Nähe zu<br />

Hochschulen und Forschungsinstituten profitieren,<br />

zum Beispiel durch neue Patente und gut<br />

ausgebildete Arbeitskräfte. Bei der sogenannten<br />

Leistungsabgabe rechnen <strong>die</strong> Wissenschaftler<br />

hingegen eher bei technischen, naturwissenschaftlichen<br />

und wirtschaftlichen Stu<strong>die</strong>ngängen<br />

mit höheren Effekten. Ihre abschließenden<br />

Ergebnisse will das Forscherteam Ende <strong>die</strong>sen<br />

Jahres präsentieren. Sonja SMALIAN ■<br />

Information: Die Stu<strong>die</strong> steht unter<br />

http://www.statoek.vwl.uni-mainz.de/forschungsprojekt.htm<br />

als Download bereit.<br />

[JOGU] 195/2006


Wissenschaft & Forschung<br />

Helium macht<br />

Lunge sichtbar<br />

Innovation in Mainz Auf der„Medica<br />

2005“, der weltgrößten Messe <strong>für</strong> Medizinprodukte,<br />

wurden Physiker der Johannes<br />

Gutenberg-Universität ausgezeichnet, und<br />

zwar <strong>für</strong> <strong>die</strong> Entwicklung einer Apparatur zur<br />

Anwendung der Helium-Magnetresonanz-<br />

Tomographie. Die dazu notwendige Forschung<br />

wird vom Bundesministerium <strong>für</strong> Bildung und<br />

Forschung mit 300.000 Euro unterstützt.<br />

Bereits im Mai 1996 machten Professor Dr.<br />

Werner Heil und seine Kollegen mit ihrer Publikation<br />

in der medizinischen Fachzeitschrift „The<br />

Lancet“ 1 Furore. Sie hatten Bilder einer menschlichen<br />

Lunge mit Hilfe der so genannten Helium-<br />

Magnetresonanz-Tomographie (MRT) angefer-<br />

Foto: Frank Erdnüss<br />

Prof. Dr. Werner Heil im Labor mit Hyperpolarisationsanlage.<br />

tigt. Damit war es erstmals möglich, <strong>die</strong> Lunge<br />

detailliert dreidimensional darzustellen, ohne<br />

den Patienten einer Strahlenbelastung auszusetzen,<br />

wie sie beim Röntgen oder bei der Computer-Tomographie<br />

(CT) unvermeidlich ist. Am<br />

16. November 2005 wurde der Physiker Heil jetzt<br />

als einer von zehn Gewinnern<br />

beim Innovationswettbewerb<br />

zur Förderung der<br />

Medizintechnik in Düsseldorf<br />

geehrt. Im nächsten Jahr soll<br />

<strong>die</strong> dreijährige Förderung des<br />

Bundesministerium <strong>für</strong> Bildung<br />

und Forschung (BMBF)<br />

beginnen, denn, so Heil, „bis<br />

jetzt haben wir noch keine<br />

anwenderfreundliche Apparatur<br />

(einen so genannten<br />

Applikator), mit der das Edelgas<br />

dem Patienten zum richtigen<br />

Zeitpunkt und korrekt<br />

dosiert verabreicht werden<br />

kann.“ Bei der Entwicklung<br />

<strong>die</strong>ses marktreifen Applikators<br />

werden <strong>die</strong> Wissenschaftler<br />

von der Firma<br />

ic-automation GmbH unterstützt,<br />

einem Unternehmen<br />

mit einschlägiger Erfahrung<br />

und Sitz in Mainz-Weisenau.<br />

1 Lancet 1996; 347: 1297-1299<br />

18<br />

Eine normale MRT nutzt <strong>die</strong> Protonen des Wasserstoffs,<br />

welcher reichlich im menschlichen Körper<br />

vorhanden ist, um ein Bild zu erzeugen. Sie<br />

werden durch das starke Magnetfeld des Tomographen<br />

polarisiert und liefern dann ein elektrisches<br />

Signal, das gemessen und optisch sichtbar<br />

gemacht wird. So lassen sich Bilder von allen Organen<br />

anfertigen, <strong>die</strong> Wasser beziehungsweise<br />

Wasserstoff enthalten. Bei der luftgefüllten<br />

Lunge scheitert <strong>die</strong> MRT also. Es sei denn, man ersetzt<br />

<strong>die</strong> überwiegend aus Stickstoff und Sauerstoff<br />

bestehende Luft in der Lunge durch ein Gas,<br />

das ebenso wie <strong>die</strong> Protonen des Wasserstoffs<br />

polarisiert werden kann. Genau danach haben<br />

Heil und seine Kollegen gesucht und mit dem reaktionsträgen<br />

Edelgas Helium einen Stoff gefunden,<br />

der auch noch ungiftig ist – eine entscheidende<br />

Voraussetzung <strong>für</strong> <strong>die</strong> medizinische<br />

Anwendung. So atmet also der Patient einen<br />

„Schluck“ polarisiertes Helium ein und schon<br />

lässt sich seine Lunge per MRT abbilden. Allerdings<br />

muss <strong>die</strong> Aufnahme genau im richtigen Moment<br />

gemacht werden, ansonsten ist das Helium<br />

schon wieder ausgeatmet. Und auch <strong>die</strong> eingeatmete<br />

Heliummenge, der so genannte Gasbolus,<br />

muss exakt bestimmbar sein. Nur dann kann man<br />

von einer standardisierten Methode sprechen,<br />

deren Ergebnisse vergleichbar sind. Zurzeit testen<br />

verschiedene Kliniken im In- und Ausland Helium-MRT’s<br />

innerhalb von klinischen Stu<strong>die</strong>n. Dabei<br />

werden zum Teil <strong>die</strong>jenigen Applikatoren<br />

genutzt, <strong>die</strong> als Prototypen in Mainz im Rahmen<br />

von Diplom- und Doktorarbeiten entwickelt wur-


den. Oder man behilft sich mit einfachen Plastiktüten,<br />

aus denen der Patient einen „Schluck“ Gas<br />

erhält. Für eine medizinische Routineanwendung<br />

ist das natürlich unbefriedigend, da das große<br />

diagnostische Potenzial <strong>die</strong>ser Methode nicht<br />

vollständig ausgeschöpft werden kann.<br />

So atmet also der Patient einen<br />

„Schluck“ polarisiertes Helium<br />

ein und schon lässt sich seine<br />

Lunge per MRT abbilden.<br />

In seinem Labor auf dem Mainzer Campus demonstriert<br />

Professor Heil <strong>die</strong> Hyperpolarisations-<br />

Anlage, etwa vier Meter lang und bestehend aus<br />

Röhren, Lasern und druckresistenten Zylindern.<br />

„Hyper“ heißt <strong>die</strong> Anlage deshalb, weil darin ein<br />

besonders hoher Prozentanteil des Edelgases polarisiert<br />

wird. Das Gas ist also schon vorpolarisiert,<br />

wenn es am Tomographen zum Einsatz<br />

kommt. Das wiederum hat zur Folge, dass man<br />

bei der Helium-MRT durchaus auch mit schwächeren<br />

Magnetfeldern arbeiten kann, um ein Signal<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Bildgebung zu empfangen. „Zurzeit<br />

laufen Experimente bei der Firma Boehringer in<br />

Ingelheim, um unter anderem festzustellen, welche<br />

magnetische Feldstärke <strong>für</strong> <strong>die</strong> Helium-MRT<br />

optimal ist“, erläutert Heil. Die Hyperpolarisation<br />

des Gases, einer Variante des natürlichen Heliums,<br />

der im Kern ein Neutron fehlt (3He oder 3-<br />

Helium), ist dagegen schon Routine. Der „leichte<br />

Bruder des Heliums“, wie Heil das Gas bezeichnet,<br />

wird bei sehr geringem Druck (1/1.000 bar)<br />

mit zirkular polarisiertem Laserlicht polarisiert.<br />

Das Verfahren heißt Optisches Pumpen und ist<br />

schon seit den 1960er Jahren bekannt. Dabei<br />

wird der Drehsinn des Lichtes auf <strong>die</strong> Elektronenhülle<br />

und schließlich über magnetische Wechselwirkung<br />

auch auf den Kern des 3-Helium-Atoms<br />

übertragen. Die Kerne, <strong>die</strong> als kleine rotierende<br />

Kreisel (Spin) aufgefasst werden können, richten<br />

sich dann fast vollständig entlang der Einfallsrichtung<br />

des Lichtes aus (Polarisation) und erzeugen<br />

so ein Magnetfeld. Dieses wird dann letztlich<br />

in der Helium-MRT nachgewiesen. Das polarisierte<br />

Gas wird anschließend in einem Druckzylinder<br />

komprimiert und bei zirka drei bar in speziellen<br />

Glaskolben gelagert. „Nur darin bleibt <strong>die</strong><br />

Polarisation möglichst lange erhalten“, erklärt<br />

der Experte, „denn unter Normalbedingungen<br />

würden <strong>die</strong> Spins ziemlich schnell wieder in den<br />

chaotischen Urzustand zurückkehren.“ Mehrere<br />

Jahre habe man geforscht, um <strong>die</strong>se optimale Lagerungsart<br />

zu finden. Jetzt kann das Gas noch<br />

nach mehr als 100 Stunden <strong>für</strong> eine MRT ver-<br />

Helium-MRT in der Mainzer Uni-Klinik: Ein Patient im<br />

Kernspin-Tomographen atmet polarisiertes 3-Helium ein.<br />

Diesen Prototyp eines Applikators gilt es nun zu ersetzen.<br />

wendet werden – was seinen Marktwert steigert.<br />

So wird das in Mainz polarisierte 3-Helium zum<br />

Beispiel auch ins europäische Ausland zu Kliniken<br />

nach Kopenhagen, Paris und Sheffield verschickt.<br />

Für den Transport mussten ebenfalls besondere<br />

Boxen entwickelt werden, in denen <strong>die</strong> Glaskolben<br />

sicher und von einem schwachen Magnetfeld<br />

umgeben verschickt werden können.<br />

Nur ungefähr 1,5 Millionen<br />

Liter 3-Helium fallen pro Jahr<br />

an, weltweit, und mit einem<br />

Liter Gas können in der Regel<br />

drei Patienten untersucht<br />

werden.<br />

Auf <strong>die</strong> Frage, woher er denn das „leichte Helium“<br />

bekommt, antwortet Heil: „3-Helium ist in<br />

der Atmosphäre nicht vorhanden. Es wird als Abfallprodukt<br />

aus dem radioaktiven Zerfall des Tritiums<br />

gewonnen und wir müssen es kaufen.“ Nur<br />

ungefähr 1,5 Millionen Liter 3-Helium fallen pro<br />

Jahr an, weltweit, und mit einem Liter Gas können<br />

in der Regel drei Patienten untersucht werden.<br />

Daher wird das seltene Edelgas nach der<br />

MRT wieder aufgefangen. Glaskolben und Transportbox<br />

mit verbrauchtem (nicht mehr polarisiertem)<br />

3-Helium kommen dann nach Mainz und damit<br />

in den Kreislauf zurück. Frank ERDNÜSS ■<br />

Information:<br />

http://www.helium.uni-mainz.de/<br />

oder http://www.physik.uni-mainz.de/exakt/<br />

helium3/forsch/anwend/lung/<br />

19<br />

Wissenschaft & Forschung<br />

Darstellung der menschlichen Lunge mit Hilfe der Helium-MRT.<br />

Oben <strong>die</strong> Lunge eines Gesunden, unten eine<br />

Raucherlunge. Die Pfeile markieren <strong>die</strong> nicht mehr funktionstüchtigen<br />

bzw. nicht mehr durchlüfteten Bereiche<br />

der Lunge.<br />

[JOGU] 195/2006<br />

Foto.: © Werner Heil<br />

Abb.: © Werner Heil


Campus international<br />

Xolelanani heißt Versöhnung<br />

Arbeiten und Leben im Ausland<br />

Studenten zieht’s in <strong>die</strong> Ferne, das<br />

war schon immer so. Noch nie aber<br />

war das Angebot so reichhaltig – von<br />

„Work and Travel“ bis zum Berufspraktikum<br />

reicht <strong>die</strong> Palette der Auslandsmöglichkeiten.<br />

Immer gefragter<br />

werden Engagements im Sozialbereich.<br />

Der Mainzer Student Jonas<br />

Schumacher stellte in Südafrika ein<br />

Schülerhilfsprojekt auf <strong>die</strong> Beine –<br />

und sucht mittlerweile Praktikanten.<br />

Andere Organisationen werben <strong>für</strong><br />

eine Mitarbeit im Umweltbereich.<br />

Folgende Organisationen waren<br />

auf der ersten Kontakt-Messe<br />

<strong>für</strong> Praktika im Ausland vertreten<br />

und stehen als ständige<br />

Ansprechpartner zur Verfügung:<br />

Das Kürzel ASA steht <strong>für</strong> „Arbeits- und Stu<strong>die</strong>naufenthalte<br />

in Asien, Afrika, Lateinamerika und Südosteuropa“.<br />

Es geht um <strong>die</strong> dreimonatige Mitarbeit in<br />

lokalen Entwicklungsprojekten, das ASA-Programm<br />

übernimmt <strong>die</strong> Flug- und Visakosten und garantiert den<br />

Lebensunterhalt vor Ort. Im WM-Jahr 2006 werden sich<br />

auch zehn Projekte mit dem Thema „Fußball und Entwicklung“<br />

beschäftigen.<br />

Infos unter www.asa-programm.de.<br />

AIESEC ist eine Studentenorganisation (mit UN-Berater-Mandat),<br />

<strong>die</strong> weltweit Praktika in den Bereichen<br />

Wirtschaft, Informationstechnologie und Entwicklungshilfe<br />

vermittelt. Die von der Organisation vermittelten<br />

Praktika werden bezahlt, <strong>die</strong> Vermittlungsgebühr beträgt<br />

250 Euro, davon werden 60 Euro <strong>für</strong> Vor- und<br />

Nachbereitungsseminare aufgewendet. Die Organisation,<br />

<strong>die</strong> mit 750 Lokalkomitees in über 90 Ländern der<br />

Welt präsent ist, verfügt auch über ein Büro an der<br />

Mainzer Uni, das unter der Telefonnummer 06131 / 38<br />

10 30 erreichbar ist und Auskünfte über <strong>die</strong> näheren<br />

[JOGU] 195/2006<br />

Wer wäre nicht daran interessiert, „ein junges<br />

Projekt zu leiten und durch den eigenen Input<br />

längerfristige Strukturen mitzugestalten“? Die<br />

Anforderungen – „abgeschlossenes Grundstudium<br />

der Betriebswirtschaftslehre, gute Englischkenntnisse,<br />

MS-Office und Web-Kenntnisse“ klingen<br />

erfüllbar. Außerdem wird ein „weltoffenes,<br />

selbstbewusstes“, vor allem aber „geduldiges<br />

Naturell“ gewünscht. Nanu!? „Arbeiten und Leben“<br />

sind übrigens im „Walmer Township (südafrikanisches<br />

Ghetto)“ angesiedelt!? Ja, richtig<br />

gelesen. Diese Anzeige steht so im Web, sie ist unter<br />

www.masifunde.de zu finden. Auch wenn das<br />

Angebot im aktuellen Trend liegt, der da heißt:<br />

fort von den Sprachaufenthalten, hin zu Sozialprojekten,<br />

sprich aktiv geleisteter Entwicklungsarbeit,<br />

bleibt das Anforderungsprofil ungewöhnlich.<br />

Ungewöhnlich ist auch der Arbeitgeber.<br />

Jonas Schumacher stu<strong>die</strong>rt in Mainz Politikwissenschaften,<br />

BWL und afrikanische Ethnologie,<br />

und er engagiert sich in Südafrika – und zwar<br />

schon seit einem guten halben Jahrzehnt.<br />

Teilnahmebedingungen gibt. AIESEC ist übrigens <strong>die</strong><br />

Abkürzung <strong>für</strong> „Association Internationale des étudiants<br />

en sciences économiques et commerciales“, das<br />

Kürzel AIESEC wird inzwischen als eigenständiger<br />

Name benutzt. Weitere Infos auch unter<br />

www.aiesec.de, Kontakt: info@aiesec oder Tel. 0228 /<br />

289 80 10 (auch Seminaranmeldung).<br />

IAESTE ist das Kurzwort <strong>für</strong> „International Association<br />

for the Exchange of Students for Technical Experience“,<br />

<strong>die</strong> Organisation ist aus AIESEC hervorgegangen.<br />

IAESTE managt seit 57 Jahren weltweit den Austausch<br />

von Stu<strong>die</strong>renden der Ingenieur- und Naturwissenschaften,<br />

und zwar in einer Größenordnung von<br />

300.000 Praktika. Das <strong>deutsche</strong> IAESTE-Komitee ist <strong>für</strong><br />

<strong>die</strong> ausländischen Stu<strong>die</strong>renden zuständig, Deutsche<br />

werden von den entsprechenden Organisationen des<br />

Gastlandes betreut. IAESTE arbeitet eng mit dem DAAD<br />

(Deutscher Akademischer Austausch<strong>die</strong>nst) zusammen.<br />

Infos unter www.iaeste.de.<br />

Ein Sonderforum <strong>für</strong> Juristen stellt <strong>die</strong> Vereinigung elsa<br />

dar. Die „European Law Students’ Association“ vermittelt<br />

ihren Mitgliedern Trainee-Programme im europäischen<br />

Ausland. Die Praktika werden bezahlt, der Lebensunterhalt<br />

vor Ort ist damit gesichert. Grund- und<br />

Vermittlungsgebühren belaufen sich auf maximal 38,50<br />

Euro, <strong>die</strong> Kosten <strong>für</strong> Reise und Unterkunft müssen selbst<br />

aufgebracht werden. Infos unter www.elsa.org, Kontakt:<br />

vpstep@elsa-germany.org.<br />

20<br />

Wie aus einem Praktikanten ein selbständiger Organisator<br />

von nachhaltiger Entwicklungshilfe<br />

werden kann, zeigt Schumachers südafrikanischer<br />

Werdegang. Von 1998 bis Anfang 2000 arbeitete<br />

er, selbstfinanziert, als Zivil<strong>die</strong>nstleistender<br />

im Jugendzentrum Xolelanani. Das hieß nach<br />

einer Weile auch Wohnen im Township – „ich<br />

wollte nicht immer <strong>die</strong> Hunde meiner weißen Vermieter<br />

anketten müssen, wenn schwarze Freunde<br />

kamen.“ 2002 war er wieder vor Ort, als Praktikant<br />

der Naumann-Stiftung Südafrika und Student<br />

an der Mainzer Partneruniversität in Port<br />

Elizabeth, der Nelson Mandela Metropolitan University.<br />

Allerdings: „Die Begegnung mit den<br />

Freunden aus dem Jugendzentrum, <strong>die</strong> ich in meiner<br />

Zivi-Zeit kennen gelernt hatte, war insofern<br />

frustrierend, als keiner von ihnen seine Pläne verwirklicht<br />

hatte“, erzählt Schumacher. „Wer eine<br />

Township-Schule besucht, hat an der Uni keine<br />

Chance.“ Denn hier wird englisch gesprochen<br />

und nicht Xhosa, <strong>die</strong> in Südafrika neben Zulu gebräuchlichste<br />

Bantu-Sprache. Englisch lernt aber<br />

Info-Kasten Info-Kasten<br />

Auch <strong>die</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit vermittelt<br />

weltweit Praktika. Eine Info-Broschüre liegt vor, zudem<br />

kann ein monatlich erscheinender, elektronischer<br />

Newsletter über bonn-zav.jobs-und-praktika-imausland@arbeitsagentur.de<br />

abonniert werden. Weitere<br />

Infos unter www.wege-ins-ausland.de, www.europaserviceba.de<br />

und Hotline 01805 / 22 20 23 (0,12 Cent<br />

pro Festnetzminute).<br />

An eine dreimonatige Mindestdauer gebundene<br />

Stipen<strong>die</strong>n im europäischen Ausland vermittelt <strong>die</strong><br />

Fachhochschule Trier. Es können sich Stu<strong>die</strong>rende und<br />

Graduierte aller Fachrichtungen bewerben, Voraussetzung<br />

ist, dass sie an einer rheinland-pfälzischen oder<br />

saarländischen (Fach)Hochschule eingeschrieben sind<br />

und dass sie sich bereits selber einen Praktikumsplatz<br />

organisiert haben. In den Leistungen enthalten sind <strong>die</strong><br />

Fahrtkosten, ein Sprachkurs und ein Kurs zur kulturellen<br />

Vorbereitung. Der Aufenthalt wird, abhängig von der<br />

Praktikumsvergütung, mit monatlichen Beträgen zwischen<br />

50 und 500 Euro unterstützt. Infos unter www.<br />

leonardopraktika.de, Kontakt: leonardo@fh-trier.de<br />

oder Tel. 0651 / 810 33 13 (Prof. Dr.-Ing. Jan Christoph<br />

Otten).<br />

Masifunde Bildungspatenschaften e.V. Infos<br />

unter www.masifunde.de, Kontakt: info@masifunde.de<br />

oder Jonas Schumacher (0176 / 22 21 57 66). Spenden:<br />

Masifunde Patenschaften e. V., Kto. 1605856, BLZ<br />

50950068, Sparkasse Bensheim.


nur der, der <strong>die</strong> ehemals staatlich geförderten und<br />

ehemals ausschließlich , weißen’ Eliteschulen besucht.<br />

Das kostet im Monat 400 Rand (40 Euro)<br />

und ist <strong>für</strong> <strong>die</strong> meisten Menschen im Township<br />

nicht bezahlbar, zumal noch Kosten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Schuluniform,<br />

das Schulmaterial, den Transport, <strong>die</strong><br />

Verpflegung und diverse Rahmenprogramme<br />

dazu kommen. Schumacher begann, Eltern, Verwandte,<br />

Freunde und Bekannte um Unterstützung<br />

<strong>für</strong> Township-Kinder zu bitten. „Das funktionierte<br />

über <strong>die</strong> Maßen gut“, so Schumacher im<br />

Rückblick. Unter der Mithilfe von Uli Thum, Pola<br />

Etz und anderen Studenten entwickelte sich das<br />

Schul-Projekt „Masifunde“ kontinuierlich im<br />

Sinne eines Patenschaftsmodells weiter. Insgesamt<br />

16 Kinder erhalten inzwischen durch <strong>die</strong><br />

Unterstützung von „Masifunde“ eine englische<br />

Bildung, <strong>die</strong> reale gesellschaftliche Perspektiven<br />

erschließen kann. Bei „Masifunde“ (übersetzt:<br />

„Lasst uns lernen“) handelt es sich mittlerweile<br />

um einen eingetragenen Verein unter der Schirmherrschaft<br />

von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.<br />

Die Projekt-Arbeit läuft nach wie vor auf<br />

ehrenamtlicher Basis. In Zukunft soll „Masifunde“<br />

in Afrika vor allem durch Praktikanten<br />

(gewünscht: ein „weltoffenes, selbstbewusstes<br />

Die Frankfurter Steuben-Schurz-Gesellschaft,<br />

laut Eigenwerbung Deutschlands ältester deutsch-amerikanischer<br />

Freundschaftsverein, bietet im Rahmen ihres<br />

USA-Interns-Programmes eine kostenlose Vermittlung<br />

von USA-Praktika an. Die Praktika sind zumeist<br />

bezahlt, <strong>die</strong> Kosten <strong>für</strong> Flug und Unterkunft tragen<br />

<strong>die</strong> Teilnehmer. Infos unter www.usa-interns.org,<br />

www.steuben-schurz.org, info@usa-interns.de, 069 /<br />

71 44 86 09, Mo.-Do. 9-17 Uhr, Frau Tamsin Barford.<br />

Unter dem Stichwort „Abenteuer Artenschutz“<br />

werben unter anderem <strong>die</strong> Zoologische Gesellschaft<br />

Frankfurt und das Forschungsinstitut Senckenberg <strong>für</strong><br />

Praktika und Volontariate auf der Leguanstation der Isla<br />

de Utila (Honduras). Infos unter www.utila-iguana.de,<br />

www.zgf.de, www.senckenberg.de, www.aboututila.<br />

com. Kontakt: volo@utila-iguana.de.<br />

Weltweit agiert auch Travelworks, <strong>die</strong> Organisation<br />

vermittelt Kombi-Pakete, im Bereich „Arbeiten (Job und<br />

Freiwilligenarbeit) und Reisen“ und Sprachkurse. Infos<br />

unter info@travelworks.de, www.travelworks.de, Tel.<br />

02506 / 30 47-0.<br />

Frankophilen sei der Kontakt zum Haus Burgund<br />

empfohlen.Wer in Rheinland-Pfalz geboren wurde, dort<br />

wohnt oder stu<strong>die</strong>rt, kann sich an das hauseigene Praktikantenbüro<br />

wenden, und zwar unter 06131 / 23 43 17<br />

oder burgund@uni-mainz.de.<br />

Mit „Internationalen Praktika mit attraktiven Stipen-<br />

Info-Kasten<br />

und geduldiges Naturell“) betreut werden. „Vor<br />

Ort herrscht Organisationsbedarf. Jetzt im Januar<br />

geht <strong>die</strong> Betriebswirtschaftlerin Anita Börner<br />

nach Port Elizabeth, sie wird <strong>die</strong> Buchhaltung<br />

professionalisieren“, erläutert Schumacher. Ab<br />

Juli werden Praktikanten durch <strong>die</strong> ASA (siehe<br />

Info-Kasten) unterstützt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Kosten <strong>für</strong> Flug<br />

und Unterkunft übernimmt und ein Taschengeld<br />

zahlt.<br />

„Wer eine Township-Schule<br />

besucht, hat an der Uni<br />

keine Chance.“<br />

„Praktikant/in gesucht“ – auch jenseits des<br />

Ghettos gibt es eine Fülle von Möglichkeiten. Die<br />

Liste der Ansprechpartner ist größer als im Info-<br />

Kasten aufgeführt. Es hilft <strong>die</strong> Informationsbroschüre<br />

der „Abteilung Internationales der Johannes<br />

Gutenberg-Universität Mainz“ weiter. Auf 23<br />

Seiten finden sich <strong>die</strong> Adressen von Kulturinstituten,<br />

Anbietern von Austauschprogrammen,<br />

Jugendwerken und Stipen<strong>die</strong>n vergebenden Organisationen,<br />

außerdem gibt der DAAD Info-Broschüren<br />

heraus. Denjenigen, <strong>die</strong> nicht mit einem<br />

<strong>deutsche</strong>n Arbeitgeber ins Ausland gehen möch-<br />

<strong>die</strong>n bei Global Playern“ werben auch MLP Services <strong>für</strong><br />

Studenten und Absolventen. Unter dem Kampagnen-<br />

Motto „Join the best“ ist eine Bewerbung um insgesamt<br />

13 Praktikumsplätze etwa bei Shell London oder<br />

Siemens New York möglich. Leider liegt der Bewerbungsschluss<br />

stets im Spätherbst. Die MLP-Akademiker-Beratung<br />

ist unter hochschulteam.unimainz@mlp.de<br />

oder Tel. 06131 / 20 15 19 zu erreichen.<br />

Jobben, Au-Pair, Praktika und Freiwilligenprojekte in<br />

Amerika, Kanada, Neu Seeland, Australien, Süd Afrika<br />

und In<strong>die</strong>n bietet auch AIFS Deutschland, eine Tochterorganisation<br />

der American Institute For Foreign<br />

Study Group, an. Die Vermittlungsgebühren liegen oft<br />

über 540 Euro, Jobs werden unter anderem im Restaurant-Bereich<br />

angeboten. Infos unter Info@aifs.de,<br />

www.aifs.de.<br />

Fachpraktika in Übersee vermittelt InterSwop. Diese<br />

Full-Time-Jobs sind allerdings größtenteils unbezahlt,<br />

<strong>die</strong> Aufenthaltskosten müssen vom Teilnehmer getragen<br />

werden. Infos unter www.interswop.com,<br />

info@interswop.com.<br />

Sprachreisen <strong>für</strong> Selbstzahler bieten <strong>die</strong> Carl Duisberg<br />

Sprachreisen. Bei <strong>die</strong>sem Programm gibt es<br />

auch <strong>die</strong> Möglichkeit, Teilstipen<strong>die</strong>n zu erhalten. Infos<br />

unter 0221/16 26-289, sprachreisen@cdc.de.<br />

Die Vermittlung bezahlter Auslandspraktika und eine<br />

weitergehende Betreuung verspricht <strong>die</strong> niederländi-<br />

21<br />

Campus international<br />

ten, sondern sich vor Ort bewerben wollen, sei an<br />

<strong>die</strong>ser Stelle das von AISEC (siehe Info-Kasten)<br />

wiederholt angebotene Bewerbungstraining<br />

empfohlen. Denn natürlich bringt jedes Auslandspraktikum<br />

ganz eigene Erfahrungen und<br />

Vorteile mit sich, auch jenseits des Township,<br />

auch jenseits des Mangrovenwaldes – und selbst<br />

jenseits des Pluspunktes in der Kategorie „Soft<br />

Skills“, <strong>die</strong> von potentiellen Arbeitgebern so geschätzt<br />

wird.<br />

„Ich selber hatte mich weiter entwickeln können“,<br />

erläuterte Jonas Schumacher seine Motivation<br />

<strong>für</strong> sein Schulprojekt. „Die Zukunfts-Visionen<br />

der Freunde waren im Sande verlaufen.“ ,Die eigene<br />

Zukunft gestalten’ ist also das Stichwort –<br />

innerhalb und außerhalb von Port Elizabeth.<br />

Denn das Motto des Walmer Township gilt <strong>für</strong><br />

alle: „Xolelanani“ heißt „Versöhnung“ – eben<br />

der verschiedenen und jederzeit erlebbaren Welten<br />

unseres Planeten. Ulrike BRANDENBURG ■<br />

Hinten: Jonas Schumacher und Thembisile „Prof“<br />

Mtyaleka, stehend von links: Olwethu Mabele,<br />

Nomazangwa Magopeni, Liyema Nkomo, Yonela<br />

Mkele, kniend von links: Cindy Gamanda, Nolusindiso<br />

Nonto, Hussein Jbonomali, Zanele Stout<br />

sche Organisation „Euro Praktikum“. Die Kosten <strong>für</strong><br />

das Service-Paket liegen zwischen satten 1.250 und<br />

1.950 Euro. Infos unter www.europracticum.com (Zum<br />

Vergleich: Die Teilnahme an einem von AIESEC professionell<br />

organisierten zweistündigen englischen Bewerbungstraining<br />

kostet fünf Euro.) ■<br />

[JOGU] 195/2006<br />

Foto: privat


Campus international<br />

„Inseln der Effizienz“<br />

Der Staat im Fokus der Ethnologie<br />

2006 beginnt ein dreijähriges<br />

Forschungsprojekt zur Funktion staatlicher<br />

Institutionen in Westafrika, das<br />

von dem Mainzer Ethnologen Professor<br />

Dr. Thomas Bierschenk koordiniert<br />

wird. Das umfangreiche Unternehmen,<br />

bei dem Forscher aus Deutschland und<br />

vier afrikanischen Ländern zusammenarbeiten,<br />

wird von der Volkswagen-<br />

Stiftung mit 515.800 Euro unterstützt.<br />

Das viel zitierte Bild vom chaotischen Staat lässt<br />

der Mainzer Ethnologe Professor Dr.Thomas Bierschenk<br />

nicht gelten. „Inseln der Effizienz“ nennt<br />

der Professor am Institut <strong>für</strong> Ethnologie und Afrikastu<strong>die</strong>n<br />

der Johannes Gutenberg-Universität<br />

Mainz seine Gegenbeispiele: gut funktionierende<br />

Verwaltungsseinrichtungen, <strong>die</strong> Bierschenk<br />

selbst aus seinen Aufenthalten in Westafrika<br />

kennt. Das können zum Beispiel öffentliche Schulen<br />

sein, <strong>die</strong> trotz widriger Bedingungen guten<br />

Unterricht anbieten. Solchen Beispielen stehen<br />

jedoch durchaus auch chaotische Zustände in der<br />

Verwaltung und Korruption gegenüber.<br />

Staatliche Funktionen in Afrika wird Bierschenk<br />

zusammen mit Kollegen aus Afrika in den nächsten<br />

drei Jahren in einem umfangreichen Forschungsprojekt<br />

untersuchen. Das Vorhaben heißt<br />

„Der öffentliche Dienst und seine Beamten in<br />

Westafrika: Das Erziehungswesen und <strong>die</strong> Justiz<br />

in Benin, Ghana, Mali und Niger“ und soll eine<br />

empirische Datenbasis über afrikanische Verwaltungseinrichtungen<br />

auf verschiedenen Ebenen<br />

am Beispiel von Rechtssprechung und Ausbildung<br />

ergeben. So will das deutsch-afrikanische<br />

Team eine Lücke schließen, <strong>die</strong> immer wieder in<br />

Diskussionen deutlich wird: „Der Staat<br />

als Institution in Afrika ist definitiv untererforscht,<br />

dennoch wird er immer wieder<br />

<strong>für</strong> Entwicklungsdefizite verantwortlich<br />

gemacht“, so erläutert Bierschenk den<br />

Hintergrund des Projektes. Die Bedeutung<br />

des Vorhabens hat auch <strong>die</strong> Volkswagen-<br />

Stiftung erkannt: Sie fördert das Projekt mit<br />

515.800 Euro.<br />

„Der Staat als Institution in<br />

Afrika ist definitiv untererforscht,<br />

dennoch wird er<br />

wieder <strong>für</strong> Entwicklungsdefizite<br />

verantwortlich<br />

gemacht.“<br />

Im Januar 2006 beginnt das Projekt mit der Besprechung<br />

des Arbeitsprogramms. Zurzeit sind<br />

acht Senior Researchers, darunter <strong>die</strong> Mainzer<br />

Professoren Dr. Carola Lentz und Dr. Michael Bierschenk,<br />

sowie neun Doktoranden in <strong>die</strong> Untersuchung<br />

eingebunden. Die Wissenschaftler kommen<br />

aus Deutschland sowie den Ländern, in<br />

denen <strong>die</strong> Forschungen stattfinden: Benin, Niger,<br />

Mali und Ghana. Geleitet wird das Projekt von<br />

Bierschenk und Dr. Tidjani Alou.<br />

Durch <strong>die</strong>se enge, gleichberechtigte Zusammenarbeit<br />

mit afrikanischen Kollegen setzt das Mainzer<br />

Projekt darauf, Beziehungen und Abläufe<br />

staatlicher Verwaltung aus der Innensicht der<br />

untersuchten Staaten zu verstehen. Die dreijährige<br />

Dauer des Vorhabens, so Bierschenk, mache<br />

es auch möglich, noch während des Projektes mit<br />

Methoden und Fragestellungen dynamisch auf<br />

<strong>die</strong> ersten Ergebnisse zu reagieren. Ziel der Kooperation<br />

ist es aber auch, <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />

zwischen europäischen und afrikanischen Wissenschaftlern<br />

zu verbessern und den Dialog zwischen<br />

afrikanischen Forschern aus frankophonen<br />

und anglophonen Ländern zu verbessern.<br />

Polizeialltag im Film: Videokassettencover<br />

aus Westafrika<br />

Während das ambitionierte deutsch-afrikanische<br />

Forschungsprojekt anläuft, setzt sich das Institut<br />

im Wintersemester 2005/06 mit der Vortragsreihe<br />

„Krieg, Krisen und Konfliktbewältigung in Afrika“<br />

mit der politischen und sozialen Gegenwart in<br />

Afrika auseinander. Auch in <strong>die</strong>ser Vortragsreihe,<br />

begleitend zur Ausstellung „Africa Screams“ im<br />

Frankfurter Museum der Weltkulturen, wird <strong>die</strong><br />

Rolle des Staates und seiner Institutionen <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Entwicklung Afrikas thematisiert.<br />

Peter THOMAS ■<br />

Information: Vortragsthemen im Februar sind<br />

„Paradoxien staatlich geförderter Kriminalitätsprävention<br />

in Südafrika“ (Thomas Kirsch,<br />

7. Februar), „Dezentralisierung in Kamerun:<br />

Ressourcen, Interessen, Konflikte“ (Projektgruppe<br />

Mainz, 14. Februar) sowie „Strategie<br />

und Beiträge der Entwicklungszusammenarbeit<br />

zur Konfliktbearbeitung und Friedenskonsoli<strong>die</strong>rung<br />

in Afrika“ (Uwe Kievelitz, 21. Februar).<br />

Abb. © Sunny Collins Production


Traditionen pflegen<br />

Studenten feiern schwedisches Lucia-Fest Die Vorweihnachtszeit geht an<br />

der Universität meist in den allgemeinen Vorbereitungen <strong>für</strong> Prüfungen und<br />

Referate unter. Weihnachtsfeiern finden auf hastig geschmückten Gängen mit<br />

Glühwein und Spekulatius aus der Tüte statt oder werden gleich direkt auf den<br />

Weihnachtsmarkt verlegt. Dass es auch anders geht, demonstrierten <strong>die</strong><br />

Studenten und Lehrkräfte des Stu<strong>die</strong>ngangs Sprachen Nordeuropas und des<br />

Baltikums (SNEB). Sie feierten das schwedische Lucia-Fest mit einer Prozession<br />

durchs Philosophicum.<br />

Einen Kranz mit fünf weißen Kerzen trägt Martina<br />

Grasmück auf ihrem Kopf. In einem langen weißen<br />

Kleid schreitet <strong>die</strong> 22 Jahre alte Studentin<br />

aufrecht durch das Erdgeschoss des Philosophicums.<br />

Mit einer Kerze in der Hand folgen ihr etwa<br />

50 Studenten und Lehrkräfte gemessenen Schrittes.<br />

Gemeinsam singen sie, begleitet von einer<br />

Gitarre, das Lucia-Lied – auf schwedisch. Die Stu<strong>die</strong>renden<br />

in der Halle beobachten verwundert<br />

und neugierig zugleich den ungewöhnlichen<br />

Umzug.<br />

Zum dritten Mal feiert der Forschungs- und Lehrbereich<br />

„Sprachen Nordeuropas und des Baltikums“,<br />

kurz SNEB genannt, im Dezember das<br />

schwedische Lucia-Fest. Seit 1780 ist <strong>die</strong>ses Fest<br />

in Schweden bekannt und seit 1929 auch in Finnland<br />

offizieller Feiertag. Dabei wird der heiligen<br />

Lucia gedacht, <strong>die</strong> wegen ihres christlichen Glaubens<br />

getötet worden ist. Traditionell weckt <strong>die</strong><br />

Lussibrud, also <strong>die</strong> Lucienbraut, ihre schlafenden<br />

Familienmitglieder am 13. Dezember sehr früh<br />

morgens und serviert ihnen Gebäck mit Kaffee.<br />

Dabei trägt sie ein weißes Kleid und einen Kranz<br />

mit Kerzen. „Aber auch jedes Unternehmen, jede<br />

Schule und jede Stadt wählt eine Lucia“, sagt Eva<br />

Windrath, seit vielen Jahren Lehrbeauftragte <strong>für</strong><br />

Schwedisch an der Universität. Die Lucia von<br />

Stockholm sei etwa mit einer <strong>deutsche</strong>n Weinkönigin<br />

vergleichbar, nur das sie blond sein sollte.<br />

Zu ihren Aufgaben zähle auch, <strong>die</strong> Nobelpreisträger<br />

auf traditionelle Weise zu wecken. „Die<br />

finden das jedoch meist nicht so gut“, lacht<br />

Windrath, eine gebürtige Schwedin. „Denn <strong>die</strong><br />

Lucia kommt schon sehr früh.“<br />

In Mainz beginnt <strong>die</strong> Feier erst um 12 Uhr und<br />

viele Studenten des kleinen Fachbereichs sind gekommen.<br />

Nach der Prozession treffen sich alle<br />

auf dem weihnachtlich geschmückten Flur im er-<br />

sten Stock und drängen sich um den großen Tisch<br />

mit den traditionellen schwedischen Keksen und<br />

Stollen. Es gibt Lussekatter, ein mit Rosinen verziertes<br />

Hefegebäck und Pepparkakor, also Pfefferkuchen.<br />

Dazu trinkt man Glögg, den schwedischen<br />

Glühwein mit Mandeln und Rosinen. „Das<br />

wäre in Schweden oder Finnland gar nicht möglich“,<br />

sagt Eva Windrath. Denn dort dürfe in Universitäten<br />

kein Alkohol ausgeschenkt werden.<br />

„Die Lucia kommt schon<br />

sehr früh.“<br />

Mit den regionalen Besonderheiten Nordeuropas<br />

und des Baltikums können sich <strong>die</strong> Studenten am<br />

Lehrbereich intensiv vertraut machen. Acht<br />

Hauptsprachen werden angeboten: Schwedisch,<br />

Norwegisch, Dänisch, Isländisch, <strong>Lettisch</strong>, Litauisch,<br />

Finnisch und Estnisch. Jeder Student erlerne<br />

davon mindestens drei Sprachen, aus den verschiedenen<br />

Sprachfamilien, sagt Prof. Dr. Anneli<br />

Sarhimaa, <strong>die</strong> den Stu<strong>die</strong>ngang seit 2002 leitet.<br />

Diese Form mache den Stu<strong>die</strong>ngang in Europa<br />

einzigartig, erläutert sie nicht ohne Stolz. Seit seiner<br />

Gründung 1993 werden im Lehrbereich <strong>die</strong><br />

Besonderheiten des Nord-Ostens der Europäischen<br />

Union vermittelt und <strong>die</strong> Region als Ganzes<br />

behandelt. Neben Mainz gibt es weltweit nur<br />

noch zwei weitere Lehrstühle, an denen das gesamte<br />

Spektrum der ostseefinnischen Sprachen<br />

gelehrt werde, nämlich in Tartu (Estland) und Helsinki,<br />

heißt es auf der Homepage des Instituts.<br />

Derzeit gebe es etwa 65 reguläre Stu<strong>die</strong>rende<br />

im Haupt- und Nebenfach, sagt Prof. Sarhimaa.<br />

Die Sprachkurse stünden jedoch <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende<br />

aller Fachbereiche offen, an denen<br />

jährlich mehr als 600 Studenten teilnähmen,<br />

so Sarhimaa weiter. Um <strong>die</strong>se umfangreiche<br />

Angebot zu gewährleisten,<br />

23<br />

Schwedische Tradition:<br />

Martina Grasmück als Lucia<br />

Campus international<br />

kämen regelmäßig Gastdozenten an <strong>die</strong> Universität<br />

Mainz. Außerdem unterhalte der Lehrbereich<br />

mit mehr als zehn Universitäten Kooperationen.<br />

Für <strong>die</strong> Organisation der Austauschprogramme<br />

arbeiten sie eng mit dem Erasmus-<br />

Sokrates-Programm der Europäischen Union zusammen.<br />

Und obwohl viele der Studenten schon<br />

längere Zeit in einem nordischen Land gelebt<br />

haben, ist es doch <strong>für</strong> einige von ihnen das erste<br />

Lucia-Fest, wie <strong>die</strong> Eintragungen in dem blauen<br />

Gästebuch belegen: „Mein erstes Lucia-Fest –<br />

ich komme wieder…“ Das ist Ansporn <strong>die</strong> Tradition<br />

zu pflegen. Und weil nach dem Fest vor dem<br />

Fest ist, hat Martina Grasmück ihr Amt schon <strong>für</strong><br />

das nächste Jahr an ihre ebenfalls blonde<br />

Kommilitonin Wanda Guckes übergeben.<br />

Sonja SMALIAN ■<br />

Information: Die SNEB-Studenten treffen<br />

sich jeden 1. und 3. Mittwoch im Semester um<br />

19 Uhr zu einem offenen Stammtisch im<br />

„Besitos“ am Mainzer Hauptbahnhof. Infos<br />

auch unter www.sneb.uni-mainz.de<br />

[JOGU] 195/2006<br />

Foto: Katharina Zeller


Kultur auf dem Campus<br />

Weltraum-Comics und Hirsche<br />

auf gesticktem Grund<br />

<strong>Lettisch</strong>-<strong>deutsche</strong> <strong>Kunstbegegnung</strong><br />

Acht lettische und acht<br />

<strong>deutsche</strong> junge Künstler zeigten im<br />

vergangenen November und Dezember<br />

ihre Arbeiten in Mainz. Das Gemeinschafts-Projekt<br />

„starp citu RIGA<br />

MAINZ“ ging auf das neue Sokrates/<br />

Erasmus-Austauschprogramm <strong>für</strong><br />

Stu<strong>die</strong>rende der Kunst-Akademien<br />

beider Städte zurück.<br />

Was erzählt das Ölbild eines afrikanischen Künstlers<br />

über den afrikanischen Kontinent? Zunächst<br />

einmal gar nichts, denn Ölbilder haben mit einer<br />

genuin afrikanischen Tradition nicht das Mindeste<br />

zu tun, in den Ländern Afrikas widmete<br />

man sich vorrangig der Skulptur, und <strong>die</strong>se besaß<br />

einen primär religiösen Bezug. Beim innereuropäischen<br />

Kunstaustausch scheinen solche Missverständnisse<br />

ausgeschlossen zu sein, immerhin<br />

gibt es den gemeinsamen, den kontinentalen<br />

Nenner – <strong>die</strong> vielbeschworene Kontinuität<br />

abendländischer Kulturgeschichte. Was also soll<br />

da noch schief gehen – vorausgesetzt, dass der<br />

Ausstellungs-Besucher Klischees aus seinem Ge-<br />

[JOGU] 195/2006<br />

„Defilee“ von Agnese Rudzıte -<br />

dächtnis streicht, allgemeine historische Sonderentwicklungen<br />

beachtet und auf keinen Fall den<br />

internationalen Bezug außer Acht lässt, schließlich<br />

ist der Kunstmarkt weltumspannend, und <strong>die</strong><br />

Künstler nutzen dessen vielfältige Einflüsse.<br />

Lebensgroße gipserne Schafe,<br />

Mäuse und Affen hatten sich<br />

auf Geheiß der Künstlerin in<br />

grelle Kunststoff-Felle gehüllt<br />

und auf <strong>die</strong> Hinterbeine<br />

gestellt.<br />

Im November und Dezember zeigten lettische<br />

und <strong>deutsche</strong> Künstler ihre Arbeiten in den Beton-Gewölben<br />

der Mainzer Katakomben und in<br />

den Räumen der Hauptfiliale Mainz der Deutschen<br />

Bundesbank. Die Gemeinschaftsausstellung<br />

war ein Projekt der Universität, genauer, ein<br />

Geschenk der Uni an <strong>die</strong> ganze Stadt, das dritte<br />

nach einer rein <strong>deutsche</strong>n Kunstschau im vorletzten<br />

und einer italienischen Gastpräsentation im<br />

letzten Jahr. Auslöser der jüngsten<br />

Ausstellung war der frisch initiierte<br />

Sokrates/Erasmus-Stu<strong>die</strong>rendenaustausch<br />

der Kunstakademien Mainz<br />

und Riga. Tanja Löhr, ihres Zeichens<br />

Künstlerin und Beauftragte <strong>für</strong> Öffentlichkeitsarbeit<br />

an der Mainzer<br />

Akademie und Sabine Teichreb, als<br />

Slawistin speziell <strong>für</strong> <strong>die</strong> Auslandskontakte<br />

eben der Akademie zuständig,<br />

waren ab November 2004 in Riga<br />

unterwegs. Sie stellten ihr Vorhaben<br />

vor, knüpften Kontakte und tourten<br />

durch <strong>die</strong> Ateliers, denn Kuratorin<br />

Löhr und Übersetzerin Teichreb wa-<br />

ren und sind neugierig auf Kultur(en).<br />

Die Projektleiterinnen verbuchten<br />

ihre optischen Eindrücke nicht unter<br />

dem Stichwort „Reizüberflutung“, sondern unter<br />

der Kategorie „prima, gefällt mir gut, aber was<br />

gibt’s sonst noch?“. Zur Seite stand ihnen <strong>die</strong> in<br />

Riga arbeitende Künstlerin Solveiga Vasiljeva. Im<br />

Oktober 2005 waren <strong>die</strong> auf der Grundlage von<br />

Bewerbungen jurierten Ergebnisse der <strong>deutsche</strong>n<br />

Kunstreise durch fremde und heimische Werkstätten<br />

in Riga zu sehen, es folgte Mainz.<br />

24<br />

Lettland also – ehemals sozialistisch, inzwischen<br />

moderner als der Westen, zumindest in Teilen der<br />

Gesellschaft. Aus der Kunstszene schwappen immer<br />

wieder avantgardistische Highlights nach<br />

Westeuropa, aus der Theaterszene zumal. Und<br />

<strong>die</strong> Bildende Kunst? Sie hat sich vom sozialistischen<br />

Realismus längst verabschiedet, und vom<br />

krampfhaften Festhalten an ins Illustrative gewendeten<br />

Vorbildern der Klassischen Moderne<br />

auch. Kein Ostblock-typischer Neo-Chagall also<br />

in Mainz, das wäre auch fatal gewesen, schließlich<br />

haben wir den echten. Und <strong>die</strong> Künstler waren<br />

<strong>für</strong> so etwas auch viel zu jung. Der Hang zum<br />

Poetischen, Erzählerischen und Magischen aber<br />

war durchaus gegeben, und <strong>die</strong>ses Spielerisch-<br />

Leichte hätte eine Ostperspektive bestätigen<br />

können, wenn, ja wenn <strong>deutsche</strong> Kolleg/innen<br />

nicht zuweilen ähnliche Vorlieben hegten. Aber<br />

vielleicht sind alle internationalen Gemeinsamkeiten<br />

bereits <strong>die</strong> Früchte diverser Austauschprogramme<br />

oder privater Reisen.<br />

Im Falle Laura Prikules, Jahrgang 1977, ist das definitiv<br />

so. Wie alle Gäste hat sie an der lettischen<br />

Kunstakademie stu<strong>die</strong>rt, zugleich hat sie am San<br />

Francisco Art Institute ihren Master of Fine Arts<br />

erworben. Ihre farbigen Bildtafeln arbeiten mit<br />

den Prinzipien der Reihung und Variation von Zeichen,<br />

ihre Arbeit lässt sich wie eine Theorie der<br />

Semiotik lesen – der entsprechende Diskurs aber<br />

gehört in West und Ost zum intellektuellen Rüstzeug,<br />

<strong>die</strong> Frage nach Herkunftsidentitäten muss<br />

einmal mehr unbeantwortet bleiben.<br />

Bei der zweiten im lettischen Bunde könnte man<br />

genuin Östliches vermuten, suchte man es denn.<br />

Agnese Rudzıte, - wurde 1980 geboren und<br />

machte ihr Examen im Fach Bildhauerei. Rudzıtes -<br />

in Mainz gezeigte „Defilees“ wirkten wie Bühnenbilder<br />

zu einem Science-Fiction-Film, lebensgroße<br />

gipserne Schafe, Mäuse und Affen hatten<br />

sich auf Geheiß der Künstlerin in grelle Kunststoff-Felle<br />

gehüllt und auf <strong>die</strong> Hinterbeine gestellt<br />

– eine psychologisch motivierte Feier des<br />

Skurrilen.<br />

Rasa Jansone dann, Jahrgang 1973. Das Figurenbild<br />

ist ihr Fach, allerdings behandelt sie das<br />

Genre nicht in klassischer Manier. Zum Ausdruck<br />

von Gemütszuständen hat sie offensichtlich Comic-,<br />

genauer Manga-Vorlagen bemüht, das


wirkt expressiv und ironisch zugleich, Selbstbeobachtung<br />

auf distanziertem Niveau – und japanisch<br />

inspiriert.<br />

Elına - Gibite , schließlich, als vierte von insgesamt<br />

acht lettischen Künstler/innen sei sie genannt. Ihr<br />

so genanntes Selbstporträt ist fragmentiert und<br />

facettenreich, Gibite , hat Kunstleder, Metall, Siebund<br />

Digitaldruck verwendet, um beidseitig lesbare,<br />

durch Fäden verknüpfte Bildtafeln im Raum<br />

schweben zu lassen. Ein Mobile der Stimmungen<br />

ist entstanden: Prinzip Monet (Achtung Frankreich!),<br />

angewendet auf das Selbstbild.<br />

Gibite , hat Kunstleder, Metall,<br />

Sieb- und Digitaldruck verwendet,<br />

um beidseitig lesbare,<br />

durch Fäden verknüpfte Bildtafeln<br />

im Raum schweben<br />

zu lassen.<br />

Und <strong>die</strong> <strong>deutsche</strong>n Teilnehmer, waren sie auch so<br />

international oder erzählten sie uns etwas über<br />

Deutschland? Anke Schreck hat letzteres auf ironische<br />

Weise getan.Wir erfahren, dass es alle Klischees<br />

noch gibt, von denen wir nie wieder etwas<br />

wissen wollten. Die ehemalige Meisterschülerin<br />

Friedemann Hahns ließ in ihrem so genannten<br />

Deutschen Pavillon Hirsche auf gesticktem Grund<br />

weiden, eine Zeitungsannonce vom Ableben des<br />

geliebten Waldi erzählen und über allem <strong>die</strong> Loreley<br />

thronen. Ein Gartenzelt voller Flohmarktreifer<br />

Versatzstücke <strong>deutsche</strong>r Leitkultur, nur Dürers<br />

„betende Hände“ fehlten, vermutlich nicht<br />

unabsichtlich, man hätte ja fragen können: „Beten<br />

<strong>für</strong> was?“ Vielleicht <strong>für</strong> etwas, was längst eingetreten<br />

ist, <strong>die</strong> Entrümpelung <strong>deutsche</strong>r Bilderwelten<br />

nämlich. Susanne Dietz, noch an der<br />

Mainzer Akademie stu<strong>die</strong>rend, hat ihre Figurenkosmen<br />

jedenfalls internationalisiert (also<br />

doch!).Aus transparentem Papier erstandene Gestalten<br />

bewegen sich Chimären gleich über graue<br />

Betonwand. Passend zum Ausstellungsort ,Katakombe’<br />

kommuniziert ein Pharao mit einem alles<br />

andere als gruftigen Comic-Helden. Den „Tempel“<br />

aber, den Dietz in einiger Entfernung aus<br />

meterlangen Bahnen Abdeckfolie hat erstehen<br />

lassen, hält <strong>die</strong> Künstlerin Figuren-frei – <strong>die</strong> luftige<br />

Konstruktion wird auf <strong>die</strong>se Weise zum Projektionsraum<br />

<strong>für</strong> imaginierte Heiligkeiten. Noch<br />

weiter hinaus aus Deutschland möchte Anika Rosenberg.<br />

In ihrer Video-Arbeit inszenierte sie sich<br />

als Tramp zwischen den Galaxien, in ihren mit Eitempera<br />

auf Leinwand aufgebrachten Gemälden<br />

entwarf sie kristalline, <strong>für</strong> den Kampf im All be-<br />

stimmte Waffen, dem Trend einer Militarisierung<br />

von Welt und Kultur folgend. „Bis zum Vietnam-<br />

Krieg“, so erläuterte Rosenberg ihr Konzept,<br />

„kam in Weltraum-Comics kein martialisches Gerät<br />

vor.“ Wieder ‘was gelernt. Und gleich eine lettisch-<strong>deutsche</strong><br />

Gemeinsamkeit entdeckt – <strong>die</strong><br />

Nutzung von Versatzstücken<br />

der so genannten<br />

Populärkultur, zwecks<br />

theatralisierender Formulierungübernationaler<br />

Positionen. Bei<br />

deren Inszenierung <strong>die</strong><br />

Ausstellungsräume, besonders<br />

<strong>die</strong>jenigen der<br />

Mainzer Katakomben, grandios mitspielten. Der<br />

Charme des Betongraus unterstützte sogar <strong>die</strong><br />

Fotoarbeiten Frank Möllenbergs. Des Künstlers<br />

menschenleere Szenarien, gerne in Bunkeratmosphäre<br />

gehalten, nahmen in ähnlicher Umgebung<br />

an Intensität zu.<br />

Der sechsköpfigen Jury, an der unter anderem<br />

Solvita Krese, Direktorin des Zentrums <strong>für</strong> zeitgenössische<br />

Kunst Lettlands und <strong>die</strong><br />

Mainzer Kunstprofessorin Anne Berning<br />

beteiligt waren, ist <strong>die</strong> Auswahl<br />

von 16 aus 80 Bewerbern, <strong>die</strong> beiden<br />

Gastkünstler nicht mitgerechnet, nicht<br />

leicht gefallen. Das Ergebnis aber überzeugte<br />

als überaus anspruchsvolles<br />

und gelungenes Projekt. Seine Kosten<br />

von 35.000 Euro waren übrigens von<br />

Stadt, Land und Bund, vor allem aber<br />

von Sponsoren übernommen worden.<br />

Parallel zu den Kunstausstellungen<br />

fand ein reichhaltiges Begleitprogramm<br />

statt, das Musik, Film und Literatur<br />

umfasste.<br />

Der interkulturelle Dialog „starp citu RIGA<br />

MAINZ“ kann also als erfolgreich bezeichnet<br />

werden. Weil <strong>Lettisch</strong>-Kenntnisse erworben werden<br />

konnten – ‘starp’ bedeutet ‘zwischen’ und<br />

‘citu’ steht <strong>für</strong> ‘das Andere’. Weil deutlich wurde,<br />

dass in Lettland nicht nur Öl- beziehungsweise<br />

Acrylbilder gemalt werden (obwohl <strong>die</strong> kontinentale<br />

Tradition solche Aktivitäten durchaus erlaubt).<br />

Weil sichtbar wurde, dass <strong>die</strong> lettische<br />

junge Kunst poetisch, magisch, farbig und spielerisch<br />

und international ist. Wie <strong>die</strong> <strong>deutsche</strong><br />

junge Kunst auch. Ulrike BRANDENBURG ■<br />

25<br />

„Selbstportrait“<br />

von Elına - Gibite ,<br />

Kultur auf dem Campus<br />

„Deutscher Pavillon“ von Anke Schreck<br />

„Entwicklung“ von Laura Prikules<br />

[JOGU] 195/2006


Foto: Peter Thomas<br />

Kultur auf dem Campus<br />

Dem Rieslingtourismus auf der Spur<br />

Untersucht Tourismus und Weinbau:<br />

Studentin Beatrice Fraccaro<br />

„Im Ausland herrscht <strong>die</strong> Meinung vor, dass<br />

Deutschland <strong>die</strong> Heimat des Biers ist, <strong>die</strong> <strong>deutsche</strong><br />

Weinkultur scheint den Menschen weniger<br />

bewusst zu sein“, sagt Beatrice Fraccaro. Die 22<br />

Jahre alte italienische Tourismus-Studentin<br />

[JOGU] 195/2006<br />

Abschlussarbeit über Weinbau Wie sich<br />

Tourismus und Weinbau in Rheinland-Pfalz gegenseitig<br />

ergänzen, untersucht <strong>die</strong> italienische<br />

Erasmus-Studentin Beatrice Fraccaro während<br />

ihres Semesters an der Universität Mainz.<br />

schreibt gegen <strong>die</strong>sen Zustand mit ihrer Abschlussarbeit<br />

an. Beatrice Fraccaro kommt selbst<br />

aus einer bedeutenden Weinregion Europas, dem<br />

italienischen Veneto. In Mainz absolviert sie zurzeit<br />

ein Erasmus-Gastsemester und recherchiert<br />

<strong>für</strong> eine Abschlussarbeit über den Weinbau in<br />

Rheinland-Pfalz und seine touristische Dimension.<br />

Auf das Thema ist <strong>die</strong> junge Frau aus Verona gekommen,<br />

als sie sich über ihren <strong>deutsche</strong>n Stu<strong>die</strong>nort<br />

informierte. Immer wieder wurde in den<br />

Berichten <strong>die</strong> Rolle der Bischofsstadt als bedeutender<br />

Weinhandelsort thematisiert. So beschäftigte<br />

sich Beatrice Fraccaro näher mit Wein, Winzern<br />

und der Weinwirtschaft und entwickelte das<br />

26<br />

Konzept einer Abschlussarbeit mit dem vorläufigen<br />

Titel „Touristische Folgen des Weinbaus“. Die<br />

Darstellung der Weinkultur aus dem Blickwinkel<br />

von Reisenden passt zum Stu<strong>die</strong>nfach von<br />

Fraccaro.<br />

Die größten Unterschiede zwischen dem Weinbau<br />

in Deutschland und Italien standen <strong>für</strong><br />

Fraccaro schon früh fest. Besonders betreffe <strong>die</strong>s<br />

<strong>die</strong> Verteilung der Weinbauflächen in beiden Ländern:<br />

„Während es in Deutschland <strong>die</strong> bestimmten<br />

Anbaugebiete gibt, haben in Italien fast alle<br />

Regionen eine eigene Weinbautradition“, so <strong>die</strong><br />

Italienerin. In ihrer Heimat, dem Veneto, sei <strong>die</strong><br />

Weinkultur sehr stark ausgeprägt, erzählt<br />

Fraccaro. Ihre eigene Familie betreibt zwar selbst<br />

keinen Weinbau, aber der Wein ist dennoch Teil<br />

des täglichen Lebens: „In Italien gilt <strong>die</strong> Maxime,<br />

dass das beste Essen nicht ohne ein kleines Glas<br />

Wein schmeckt“.<br />

Wo am Rhein Riesling, Müller-Thurgau, Weißburgunder,<br />

Spätburgunder und Dornfelder angebaut<br />

werden, wachsen rund um Verona <strong>die</strong> Rebsorten<br />

Valpolicella, Amarone, Soave, Bardolino und der<br />

als Rosé ausgebaute Chiaretto. Eine<br />

große Rolle spiele der Wein in beiden<br />

Regionen. Deshalb freut sie sich<br />

auf einen detaillierten Vergleich des<br />

Veneto mit Rheinland-Pfalz.<br />

Aufgefallen ist der Gaststudentin<br />

bereits der unterschiedliche Umgang<br />

mit Wein im täglichen Leben:<br />

Während in Italien vor allem zum<br />

Essen Wein getrunken wird, inszenierten<br />

<strong>deutsche</strong> Weinliebhaber das<br />

Getränk eher als Mittelpunkt geselliger<br />

Treffen in Weinstuben und<br />

Straußwirtschaften. Auf <strong>die</strong>se Konsumgewohnheiten<br />

will Fraccaro einen<br />

Schwerpunkt ihrer Arbeit legen.<br />

Im Mittelpunkt wird jedoch <strong>die</strong> Einbindung<br />

von Wein und Weinbau in<br />

<strong>die</strong> touristischen Konzepte des<br />

Bundeslandes stehen. Gerade <strong>die</strong><br />

Präsentation von kleineren Regionen<br />

oder einzelnen Städten und Gemeinden<br />

über das Thema Wein<br />

interessiert sie besonders.<br />

Peter THOMAS ■


Fotos: Peter Pulkowski<br />

Als neuer W2-<br />

Professor <strong>für</strong> Neue<br />

Me<strong>die</strong>n ist Professor<br />

Dieter Kiessling<br />

tätig.<br />

Dieter Kiessling, Jahrgang<br />

1957, nahm zum<br />

Wintersemester 1978/<br />

79 sein Kunststudium<br />

an der Kunstakademie Münster auf. Im folgenden<br />

Semester entschied sich Kiessling <strong>für</strong> Sport als<br />

weiteres Fach <strong>für</strong> sein 1986 abgelegtes Erstes<br />

Staatsexamen <strong>für</strong> das Lehramt <strong>für</strong> Sekundarstufe<br />

II in den Fächern Kunst, Erziehungswissenschaften<br />

und Sport. Im selben Jahr wurde er zum Meisterschüler<br />

der Kunstakademie Münster ernannt,<br />

erhielt den Produktionspreis der Internationalen<br />

Videonale Bonn und ist bereits seit <strong>die</strong>ser Zeit<br />

freiberuflich als Bildender Künstler tätig. 1990<br />

erhielt Kiessling das Karl Schmidt-Rottluff-Stipendiat,<br />

den Förderpreis des Kulturkreises im BDI<br />

sowie den Caspar-von-Zumbusch-Preis, im Folgejahr<br />

den Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen<br />

und 1992 den Förderpreis zum ersten Deutschen<br />

Videopreis. Ebenfalls 1992 wurde ihm der<br />

Akademiebrief der Kunstakademie Münster ausgehändigt.<br />

Lehrerfahrung sammelte Kiessling<br />

während einer Gastprofessur an der Hochschule<br />

der Künste Bremen, von 1997 bis 2003 als Professor<br />

<strong>für</strong> Me<strong>die</strong>nkunst an der Staatlichen Hochschule<br />

<strong>für</strong> Gestaltung Karlsruhe, sowie von 2004<br />

bis 2005 als Vertretungsprofessor <strong>für</strong> künstlerische<br />

Fotografie an der Universität Duisburg-<br />

Essen. Kiesslings künstlerische Arbeiten beschäftigen<br />

sich v.a. mit Video, Fotografie und Installation,<br />

vor allem als Closed-circuit-Installation. ■<br />

Dr. Friedemann<br />

Kreuder wurde auf<br />

<strong>die</strong> W3-<strong>Professur</strong><br />

<strong>für</strong> das Fach Theaterwissenschaft<br />

berufen.<br />

Friedemann Kreuder,<br />

Jahrgang 1967, stu<strong>die</strong>rte<br />

von 1988 bis<br />

1994 Theaterwissenschaft,<br />

Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft<br />

sowie Germanistik an der Mainzer<br />

Johannes Gutenberg-Universität. Die folgenden<br />

zwei Jahre war er Stipendiat am Mainzer Graduiertenkolleg<br />

„Theater als Paradigma der<br />

Neu an der Uni<br />

Moderne: Drama und Theater im 20. Jahrhundert<br />

(ab 1880)“. 1996 wechselte Kreuder als Wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter an das Institut <strong>für</strong> Theaterwissenschaft<br />

der Freien Universität Berlin, wo<br />

er ab April 2001 auch als Wissenschaftlicher<br />

Assistent tätig war und sich im Sommer <strong>die</strong>ses<br />

Jahres mit einer Arbeit über „Spielräume der<br />

Identität in Theaterformen des 18. Jahrhunderts“<br />

habilitierte. Kreuder ist Gastdozent am Institut <strong>für</strong><br />

Theaterwissenschaft der Universität Bern und am<br />

Gilmorehill Center for Theatre, Arts and TV der<br />

University of Glasgow sowie Gastprofessor am<br />

Stu<strong>die</strong>ngang Schauspieltheaterregie der Hamburger<br />

Theaterakademie. Seine Forschungsgebiete<br />

umfassen Theater als Medium des kulturellen<br />

Gedächtnisses sowie ältere und neuere<br />

Theatergeschichte. Für seine im Berliner Alexander-Verlag<br />

als Buch erschienene Dissertation<br />

„Formen des Erinnerns im Theater Klaus Michael<br />

Grübers“ erhielt er im Jahr 2004 den 2. Tiburtius-<br />

Preis der Berliner Hochschulen. Kreuder wurde im<br />

November vergangenen Jahres zum Vize-Präsidenten<br />

der Gesellschaft <strong>für</strong> Theaterwissenschaft<br />

gewählt. ■<br />

25 27<br />

Als neuer W3-Professor<br />

im Fachbereich<br />

03 <strong>für</strong> das<br />

Fach Öffentliches<br />

Recht und Steuerrecht<br />

ist Prof. Dr.<br />

Hanno Kube tätig.<br />

Hanno Kube stu<strong>die</strong>rte<br />

von 1989 bis 1994<br />

Rechtswissenschaft an den Universitäten Heidelberg<br />

und Genf. Während seines Studiums war er<br />

bereits als Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut<br />

<strong>für</strong> Finanz- und Steuerrecht der Universität<br />

Heidelberg (Lehrstuhl Prof. Dr. Paul Kirchhof)<br />

tätig. Von 1994 bis 1995 nahm Kube am Master<br />

of Law-Programm der Cornell University/NY teil,<br />

bevor er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an<br />

das Institut <strong>für</strong> Finanz- und Steuerrecht nach Heidelberg<br />

zurückkehrte. Sein Rechtsreferendariat<br />

absolvierte er ebenfalls in Heidelberg. Schließlich<br />

legte Kube seine summa cum laude-Dissertation<br />

„Eigentum an Naturgütern – Zuordnung und<br />

Unverfügbarkeit“ vor. Von 1999 bis 2003 war er<br />

als Wissenschaftlicher Assistent am Institut <strong>für</strong> Finanz-<br />

und Steuerrecht der Universität Heidelberg<br />

beschäftigt. Dort legte er, nach einem Zwischenaufenthalt<br />

als Jean Monnet-Fellow am Europäischen<br />

Hochschulinstitut in Florenz, auch seine<br />

Personen & Positionen<br />

Habilitationsschrift „Finanzgewalt in der Kompetenzordnung“<br />

vor, bevor er 2004 zunächst eine<br />

Lehrstuhlvertretung und schließlich den Lehrstuhl<br />

<strong>für</strong> Öffentliches Recht und Europäisches Steuerrecht<br />

an der Katholischen Universität Eichstätt-<br />

Ingolstadt übernahm. Kube ist Mitglied u.a. in der<br />

Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer,<br />

der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft,<br />

der European Association of Tax Law Professors,<br />

der Deutschen Gesellschaft <strong>für</strong> Gesetzgebung<br />

und der Cornell Law Association. ■<br />

Dr. Hartmut Wittig<br />

wurde zum W3-<br />

Professor <strong>für</strong> Theoretische<br />

Kernphysik<br />

berufen.<br />

Hartmut Wittig stu<strong>die</strong>rte<br />

als Stipendiat<br />

der Stu<strong>die</strong>nstiftung<br />

des <strong>deutsche</strong>n Volkes<br />

von 1982 bis 1987<br />

erst Chemie und später Physik an der Universität<br />

Mainz, bevor er als graduate student nach Oxford<br />

wechselte. Wittig promovierte 1992 mit seiner<br />

Dissertation „Study of a Chiral Lattice Yukawa<br />

Model with Mirror Fermions“ an der Universität<br />

Hamburg, wo er sich mit der Schrift „Leptonic<br />

Decays of Heavy Quarks on the Lattice“ 1998<br />

ebenfalls habilitierte. Von 1992 bis 1995 war<br />

Wittig als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der<br />

Universität Southampton und im Folgejahr am<br />

Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Zeuthen<br />

beschäftigt. Von 1996 bis 2000 war er<br />

PPARC Advanced Fellow und Research Fellow der<br />

Universität Oxford. In <strong>die</strong>ser Zeit führten ihn Forschungsaufenthalte<br />

nach Tsukuba/Japan und<br />

zum CERN in Genf. Von 2000 bis 2001 dozierte<br />

Wittig an der Universität Liverpool. Von 2001 bis<br />

zu seiner Berufung nach Mainz 2005 war er als<br />

ständiger Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der<br />

Theoriegruppe des Deutschen Elektronen-Synchrotrons<br />

DESY, Hamburg tätig. Wittigs Forschungsgebiet<br />

ist <strong>die</strong> theoretische Kern- und Elementarteilchenphysik.<br />

Speziell befasst er sich mit<br />

Gitter-Eichtheorien, <strong>die</strong> Berechnungen der Eigenschaften<br />

von stark wechselwirkenden Teilchen<br />

durch numerische Simulationen auf speziellen<br />

Grossrechnern erlauben. Derartige Rechnungen<br />

bilden eine wichtige Ergänzung zu experimentellen<br />

Untersuchungen an Beschleunigern, wie beispielsweise<br />

dem Mainzer Mikrotron MAMI. ■<br />

[JOGU] [JOGU] 194/2005 195/2006


Personen & Positionen<br />

Boehringer-Ingelheim-Preis 2005<br />

Auszeichnung <strong>für</strong> hervorragende<br />

wissenschaftliche Leistungen<br />

Dr. med. habil. Klaus Markstaller und Dr. rer. nat.<br />

Michael P. Stassen wurden mit dem Boehringer-<br />

Ingelheim-Preis 2005 ausgezeichnet. Der Boehringer-Ingelheim-Preis<br />

wird jährlich von der<br />

Boehringer Ingelheim Stiftung <strong>für</strong> hervorragende<br />

wissenschaftliche Leistungen auf<br />

dem Gebiet der theoretischen und der klinischen<br />

Medizin vergeben und ist mit 20.000<br />

Euro dotiert.<br />

Dr. med. habil. Klaus Markstaller aus der Klinik<br />

<strong>für</strong> Anästhesiologie der Universität wird<br />

<strong>für</strong> seine herausragende Leistung auf dem<br />

Gebiet der klinischen Forschung zur Verbesserung<br />

der Beatmung bei der Wiederbelebung<br />

nach einem Herz-Kreislaufstillstand<br />

ausgezeichnet. Mit dem Preis wird seine<br />

Habilitationsschrift aus dem Jahre 2004<br />

prämiert. Die Wiederbelebung eines Menschen<br />

nach einem Herz-Kreislaufstillstand<br />

gehört zu den eindrucksvollen und sofort<br />

am Erfolg messbaren Eingriffen des Arztes<br />

in der modernen Medizin. Viele therapeutische<br />

Maßnahmen im Rahmen einer Reani-<br />

Für sein wissenschaftliches und kulturelles Engagement<br />

erhielt Prof. Dr. Reinhart Ricker durch den<br />

Chef der Hessischen Staatskanzlei, Stefan Grüttner,<br />

das Ver<strong>die</strong>nstkreuz 1. Klasse des Ver<strong>die</strong>nstordens<br />

der Bundesrepublik Deutschland überreicht.<br />

Der Professor <strong>für</strong> Me<strong>die</strong>nrecht und Me<strong>die</strong>npolitik<br />

am Institut <strong>für</strong> Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität<br />

Mainz war maßgeblich an der<br />

Einführung des privaten Rundfunks beteiligt.<br />

„Professor Ricker gilt zurecht als einer der Pioniere<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Neuordnung einer vom Wettbewerb<br />

geprägten Me<strong>die</strong>nlandschaft in Deutschland“,<br />

erklärte der Chef der Staatskanzlei, „er ist einer<br />

der Väter des privaten Rundfunks in unserem<br />

Land.“<br />

mation sind jedoch wissenschaftlich unzureichend<br />

belegt. Dr. Markstaller habe es verstanden,<br />

so heißt es in der Auswahlbegründung, unter<br />

Nutzung modernster Messverfahren wichtige Erkenntnisse<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Optimierung der Beatmung bei<br />

Reanimation zu gewinnen.<br />

Bundesver<strong>die</strong>nstkreuz an Professor Reinhart Ricker<br />

[JOGU] 195/2006<br />

1944 in Königstein (Taunus) geboren, stu<strong>die</strong>rte<br />

Reinhart Ricker Rechtswissenschaft, Publizistik,<br />

Politikwissenschaft und Buchwesen in Frankfurt<br />

und Mainz. 1973 promovierte er zum Dr. jur.,<br />

1974 folgten zweites juristisches Staatsexamen<br />

in Wiesbaden und Magister Artium in Mainz. Von<br />

1974 bis 1980 war er Lehrbeauftragter am Institut<br />

<strong>für</strong> Publizistik. 1974 erhielt er <strong>die</strong> Zulassung<br />

zum Rechtsanwalt in Frankfurt. Seit 1980 ist Reinhart<br />

Ricker Professor am Institut <strong>für</strong> Publizistik.<br />

Von 1981 bis 1983 war er Mitglied der Enquête-<br />

Kommission des Deutschen Bundestages <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Neuen Informations- und Kommunikationstechnologien,<br />

von 1983 bis 1987 Vorsitzender der<br />

Wissenschaftlichen Begleitkommission <strong>für</strong> das<br />

Kabelpilotprojekt Ludwigshafen/Vorderpfalz und<br />

von 1984 bis 1986 stellvertretender Vorsitzender<br />

28<br />

Dr. rer. nat. Michael P. Stassen vom Institut <strong>für</strong> Immunologie<br />

wird <strong>für</strong> seine international sichtbare,<br />

herausragende Leistung auf dem Gebiet der präklinischen<br />

Forschung zur Regulation der Immunantwort<br />

durch regulatorische T-Zellen ausgezeichnet.<br />

Die Auswahlkommission verweist dazu<br />

insbesondere auf eine Veröffentlichung im<br />

hochrangigen Journal of Experimental<br />

Medicine vom Januar 2005. Die Regulation<br />

der Immunantwort ist der Schlüssel zum<br />

Verständnis zahlreicher Erkrankungen und<br />

damit von größter medizinischer Wichtigkeit.<br />

Das zentrale Steuerungselement der<br />

Immunantwort sind <strong>die</strong> regulatorischen<br />

T-Zellen. Die Arbeitsgruppe um Stassen hat<br />

<strong>die</strong> Bedeutung der Transkriptionsfaktoren<br />

NFATc2 und NFATc3 <strong>für</strong> <strong>die</strong> Regulierbarkeit<br />

von T-Zellen entdeckt. Damit sei dem Fachbereich<br />

Medizin an der Johannes Gutenberg-Universität<br />

wieder einmal ein Beitrag<br />

zur internationalen Spitzenforschung gelungen,<br />

heißt es in der Auswahlbegründung<br />

der Kommission. ■<br />

Foto: Peter Pulkowski<br />

Hervorragende wissenschaftliche<br />

Leistungen: Dr. Michael P. Stassen<br />

und Dr. Klaus Markstaller (v.l.)<br />

der Me<strong>die</strong>nkommission der Länder. Von 1996 bis<br />

1998 gehörte Prof. Ricker als Mitglied der Enquête-Kommission<br />

„Zukunft der Me<strong>die</strong>n“ des<br />

Deutschen Bundestages an. Seit 1998 ist er Mitglied<br />

des Beirats des wissenschaftlichen Instituts<br />

<strong>für</strong> Kommunikations<strong>die</strong>nste des Bundes, seit<br />

2002 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des<br />

Freien Russisch-Deutschen Instituts <strong>für</strong> Publizistik<br />

der Staatlichen Lomonossow-Universität Moskau<br />

und seit 2004 Vorsitzender des Patronatenvereins<br />

der Hochschule <strong>für</strong> Musik und Darstellende Kunst<br />

in Frankfurt. ■<br />

http://www.ifp.uni-mainz.de/ricker/index.php<br />

Hier der Link zu einem Bild von Herrn Ricker,<br />

glaube allerdings, dass das Bild von der Qualität<br />

nicht gut genug ist.


***Nach Redaktionsschluss***<br />

Prof. Dr. Johannes<br />

Preuß zum Vizepräsidenten<br />

gewählt<br />

Zum künftigen Vizepräsidenten hat der Senat der<br />

Johannes Gutenberg-Universität Mainz in seiner<br />

Sitzung mit Mehrheit Prof. Dr. Johannes Preuß gewählt.<br />

Preuß ist Professor am Geographischen<br />

Institut der Universität Mainz und hatte bereits<br />

von 2000 bis 2004 das Amt des Vizepräsidenten<br />

<strong>für</strong> Forschung inne. Professor Preuß blickt auf<br />

jahrelange Erfahrungen in der wissenschaftlichen<br />

Selbstverwaltung der Hochschule zurück.<br />

1946 geboren, war Professor Preuß nach dem<br />

Studium der Geographie, Biologie, Soziologie und<br />

Politik wissenschaftlicher Assistent an den Universitäten<br />

Mainz und Marburg. 1990 erfolgte <strong>die</strong><br />

Habilitation in Marburg. Seit 1991 ist er Professor<br />

am Geographischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität<br />

Mainz. Professor Preuß war<br />

geschäftsführender Leiter des Geographischen<br />

Instituts und jahrelang Mitglied im Fachbereichsrat<br />

Geowissenschaften bzw. im Senat der Johannes<br />

Gutenberg-Universität Mainz. ■<br />

Sitzungstermine des Senats<br />

im Sommersemester 2006<br />

Freitag, den 05. 05. 2006<br />

Freitag, den 02. 06. 2006<br />

Freitag, den 30. 06. 2006<br />

Freitag, den 14. 07. 2006 (Sondersitzung:<br />

Anhörung der Bewerberinnen und Bewerber<br />

<strong>für</strong> <strong>die</strong> Präsidentenwahl)<br />

Freitag, den 21. 07. 2006<br />

Freitag, den 22. 09. 2006 (Feriensitzung)<br />

Die Sitzungen finden im Sitzungszimmer der<br />

Naturwissenschaftlichen Fachbereiche (Johann-<br />

Joachim-Becher-Weg 21, 7. Stock) statt und<br />

beginnen jeweils um 13.00 Uhr. ■<br />

Nachruf auf<br />

Hanns Dieter Hüsch<br />

29<br />

Personen & Positionen<br />

Lieber Hanns Dieter,<br />

wenn ich an Dich denke, kann ich fast mit Dir sprechen, so deutlich höre ich Deine Stimme.<br />

Deine Stimme, <strong>die</strong>ser Wohlklang.<br />

Die schöne, offene, wandlungsfähige Stimme. Deine berühmte Stimme.<br />

Männlich. Kraftvoll. Farbig.<br />

Die schnelle Stimme, <strong>die</strong> getragene, <strong>die</strong> warme und menschliche Stimme.<br />

Ich sehe Dein liebes Gesicht, mit oder ohne Bart, jung oder alt.<br />

Du hast immer ausgesehen wie Deine Stimme.<br />

Ich sehe Dich irgendwo sitzen, gerade und aufrecht, in Gedanken oder in Rage,<br />

im Hotel beim Frühstück. Im Auto.<br />

Nur kurz von der Bühne runter, frisch machen und wieder rauf.<br />

Du bist ein großer Redner. Ein Denker.<br />

Du kannst singen. Und wie! – Du schwingst keine Reden, du singst sie.<br />

Du kannst gut zuhören. Du hörst alles. Auch <strong>die</strong> kleinen Notenwerte.<br />

Natürlich konntest Du doch tanzen. Du bist nicht der Mann, der nicht tanzen kann.<br />

Du warst ein phantastischer Tänzer, ein Kunsttänzer, ein Tourneetänzer. Du warst sehr gut.<br />

Weißt Du, dass Du mich angesteckt hast mit <strong>die</strong>sem komischen Beruf?<br />

Mit der Sucht. Man muss auch aufhören können damit.<br />

Aber Du spielst weiter. Ich hör Dich doch.<br />

Halt mir was frei. Ich komme nach …<br />

Wir machen was zusammen – open air – irgendwas.<br />

Ich hör Dich, Hanns Dieter. Du hast was liegenlassen.<br />

Irgendwas auf Deiner Orgel liegen lassen. Irgendein Steinchen.<br />

Irgendwas Schweres. Irgendwas zum Weinen.<br />

Du spielst doch noch, oder?<br />

Da liegt was drauf. Lass das bloß liegen.<br />

Dass man immer noch den kleinen Orgelton hört.<br />

Einen zum Festhalten. Einen Halteton. Einen Liegeton. Einen Stehton.<br />

Und zieh Dich warm an. Lass Dich malen. In Öl.<br />

Du bist jetzt größer als Kleinkunst. Hohe Kunst.<br />

Hüsch, hüsch – <strong>die</strong> schnellste Legende der Welt.<br />

Hör nur … Sie fangen schon an zu stricken.<br />

Exil. Der Schweizer im Himmel.<br />

Du darfst gehen, aber nicht wegbleiben.<br />

Mach wie Du willst. Bist trotzdem da.<br />

Du kannst alles, nur auftreten muss man Dich lassen.<br />

In guten und in schlechten Zeiten.<br />

Auf Erden oder meinetwegen auch im Himmel.<br />

Auf Erden warst Du ausverkauft.<br />

Im Himmel werden sie Dir ewig zujubeln.<br />

Du bist doch ein Christ, oder?<br />

Alter Freund.<br />

Sehen wir uns wieder?<br />

Lars Reichow ■<br />

[JOGU] 195/2006


Kurz & Bündig<br />

Mainzer<br />

Universitätsgespräche<br />

Normen und Werte in verschiedenen Kulturen<br />

Werte und Normen bilden das Korsett einer Gesellschaft. Sie verleihen ihr<br />

Haltung, wenn <strong>die</strong>se etwas Neues bewerten muss. Normen sind jedoch nicht<br />

starre Gesetze, sondern verändern sich im Laufe der Zeit. Ihr Wandel und ein<br />

Vergleich kulturell unterschiedlicher Werte sind nur einige Aspekte, <strong>die</strong> in der<br />

Kolloquienreihe „Mainzer Universitätsgespräche“ diskutiert werden. In acht<br />

Einzelvorträgen nähern sich Vertreter unterschiedlicher Disziplinen dem<br />

Thema „Normen und Kulturen“ mit den jeweiligen Methoden ihres Faches.<br />

In den ersten Vorträgen skizzierten <strong>die</strong> Referenten grundlegende Phänomene,<br />

wie den Wertewandel und <strong>die</strong> Historizität von Werten. Prof. Dr. Andreas<br />

Rödder, Professor <strong>für</strong> Neueste Geschichte an der Universität Mainz, gewährte<br />

in der Auftaktveranstaltung einen historischen Überblick über den<br />

Wandel der Familie. Anhand <strong>die</strong>ses Beispiels erläuterte er den Wertewandel<br />

in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.Welche Funktionen <strong>die</strong> Familie erfüllte<br />

und wie sich das Verhältnis der Familienmitglieder zueinander gestaltete,<br />

waren <strong>die</strong> Kernfragen, an denen er Trends wie <strong>die</strong> Pluralisierung und <strong>die</strong><br />

Individualisierung aufzeigte. Ferner verglichen <strong>die</strong> Referenten Normen unterschiedlicher<br />

Kulturen und diskutierten <strong>die</strong> Frage, ob trotz der Vielfalt an Normen<br />

und Kulturen eine Einheit in der Ethik möglich ist.<br />

Die besondere Art der Normbildung in den Vereinigten Staaten wird Prof. Dr.<br />

Oliver Scheiding, Professor <strong>für</strong> Amerikanistik in Mainz, anhand der Leitfigur<br />

George Washingtons vorstellen. Als visuell orientierte Kultur erfolgt dort<br />

<strong>die</strong> Einschreibung von Werten in Bildern, im Gegensatz zu Deutschland, wo<br />

eher <strong>die</strong> Textform dominiert. Anhand der Veränderungsprozesse der Ikone<br />

Washingtons will Scheiding den Wertewandel in der Gesellschaft aufzeigen.<br />

Die Normenbildung in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation beleuchtet<br />

Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Lübbe zum Abschluss der Kolloquienreihe.<br />

Lübbe analysiert das Zusammenspiel von Sachverstand und Commonsense<br />

und vertritt <strong>die</strong> These, dass sich dadurch neue Formen direkter Demokratie<br />

und nicht etwa technokratische Strukturen durchsetzen werden. Die Vortragsreihe<br />

ist eine theoretische Entdeckungsreise zu den normativen Grundfesten<br />

der Gesellschaft. Sonja SMALIAN ■<br />

8. Februar 2006<br />

George Washington: Normbildung im Spiegel nationaler Ikonen<br />

Prof. Dr. Oliver Scheiding<br />

(Professor <strong>für</strong> Amerikanistik, Department of English and Linguistics,<br />

Johannes Gutenberg-Universität Mainz)<br />

15. Februar 2006<br />

Der Sachverstand und der Commonsense. Über Normenbildung in<br />

der wissenschaftlich-technischen Zivilisation<br />

Prof. Dr. Dr. h. c. Hermann Lübbe (Professor <strong>für</strong> Philosophie und Politische<br />

Theorie an der Universität Zürich)<br />

Veranstaltungsort: Hörsaal N3 (Muschel), Johann-Joachim-Becher Weg 23,<br />

jeweils 18.15 Uhr.<br />

Infos unter www.studgen.uni-mainz.de<br />

[JOGU] 195/2006<br />

Veranstaltungstipp<br />

Buchmarktnews im Radio<br />

Studenten gehen auf Sendung<br />

Das Institut <strong>für</strong> Buchwissenschaft der Johannes Gutenberg-<br />

Universität ist bekannt <strong>für</strong> seine Praxisorientierung. Im laufenden<br />

Wintersemester führt Prof. Dr. Ernst Fischer seine Studenten<br />

nun mit einer Übung an den Rundfunk heran.<br />

„Buchmarktnews – Erstellung eines Hörfunkformats“ lautet<br />

der Titel der Übung, in deren Rahmen drei Sendungen auf<br />

Radio Rheinwelle 92,5 übertragen werden. Darin werden<br />

Neuigkeiten und Wissenswertes rund ums Buch präsentiert.<br />

Die Reihe startete am 9. Dezember 2005 mit den Themen Hörbuch Belletristik<br />

und Hörbuch Sachbuch. Der nächste Termin am 20. Januar 2006 war den Informationen<br />

über Klein- und Nischenverlage sowie Kinder- und Jugendbücher<br />

gewidmet und am 17. Februar 2006 geht es um <strong>die</strong> Entstehung von Büchern<br />

und Bestsellern. Sendezeit ist von 15.00 bis 17.00 Uhr. ■<br />

Impressum<br />

Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,<br />

Univ.-Prof. Dr. Jörg Michaelis<br />

Verantwortlich: Petra Giegerich, Leiterin Bereich Öffentlichkeitsarbeit<br />

Redaktion: Annette Spohn-Hofmann (Leitung)<br />

Mitarbeiter <strong>die</strong>ser Ausgabe: Dr. Ulrike Brandenburg, Dr. Frank Erdnüß, Dennis Müller,<br />

Sonja Smalian, Peter Thomas, Peter Pulkowski (Fotos)<br />

Redaktionsassistenz: Kathrin Voigt, Birgitt Maurus<br />

Kontakt:<br />

Telefon: (0 61 31) 39 -2 23 69, 39 -2 05 93<br />

Telefax: (0 61 31) 39 -2 41 39<br />

E-Mail: Annette.Spohn@verwaltung.uni-mainz.de<br />

Auflage: 10.000 Exemplare, <strong>die</strong> Zeitschrift erscheint viermal im Jahr<br />

Redaktionsschluss der JOGU 196, Ausgabe Mai 2006,<br />

ist der 7. April 2006<br />

Titelbild: Agnese Rudzıte -<br />

Gestaltung: Thomas & Thomas Design, Heidesheim<br />

Vertrieb: Bereich Öffentlichkeitsarbeit<br />

Anzeigenverwaltung und Druck:<br />

Grafisches Zentrum Bödige und Partner GmbH, Dekan-Laist-Str. 38, 55129 Hechtsheim,<br />

Telefon: (0 61 31) 58 04-0, Telefax: (0 61 31) 58 04-15, E-Mail: email@gzm-mainz.de<br />

Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt <strong>die</strong> Meinung des Herausgebers<br />

wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte oder Bildmaterial wird keine Gewähr<br />

geleistet. Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet.<br />

JOGU wird kostenlos an <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden und an <strong>die</strong> Angehörigen der Johannes Gutenberg-Universität<br />

Mainz sowie an <strong>die</strong> Mitglieder der Vereinigung „Freunde der Universität<br />

Mainz e. V.“ verteilt.<br />

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