[ Lettisch-deutsche Kunstbegegnung ] [ Fit für die Professur ...
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[JOGU]<br />
Nr. 195 Februar 2006<br />
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz<br />
[ <strong>Lettisch</strong>-<strong>deutsche</strong> <strong>Kunstbegegnung</strong> ]<br />
[ <strong>Fit</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Professur</strong> ]<br />
[ Helium macht Lunge sichtbar ]<br />
[ Wirtschaftsfaktor Campus ]
Inhalt<br />
Titelbild: Acht lettische und acht <strong>deutsche</strong> junge Künstler zeigten<br />
im vergangenen November und Dezember ihre Arbeiten in Mainz.<br />
Das Gemeinschafts-Projekt „starp citu RIGA MAINZ“ ging auf das<br />
neue Sokrates/Erasmus-Austauschprogramm <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende der<br />
Kunst-Akademien beider Städte zurück. Mehr dazu auf Seite 24.<br />
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[JOGU] 195/2006<br />
Editorial<br />
Harte Konkurrenz<br />
Campus aktuell<br />
40 Jahre Kinderintensivstation<br />
Hierarchien nicht erwünscht<br />
Hörsaalzentrum Chemie<br />
Stichwort: Bundesexzellenzwettbewerb<br />
Faszinierende Welt der Quantenphysik<br />
Studium & Lehre<br />
Puppen den Puls fühlen<br />
Der Weg des Schwertes<br />
„Früher hieß des schwätze“<br />
Wissenschaft & Forschung<br />
Living history<br />
<strong>Fit</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Professur</strong><br />
Nesselfieber<br />
Mehr Lebensqualität<br />
Wirtschaftsfaktor Campus<br />
Helium macht Lunge sichtbar<br />
Campus international<br />
Xolelanani heißt Versöhnung<br />
„Inseln der Effizienz“<br />
Traditionen pflegen<br />
Kultur auf dem Campus<br />
Weltraum-Comics und Hirsche auf gesticktem Grund<br />
Dem Rieslingtourismus auf der Spur<br />
Personen & Positionen<br />
Neu an der Uni<br />
Boehringer-Ingelheim-Preis 2005<br />
Bundesver<strong>die</strong>nstkreuz an Professor Reinhart Ricker<br />
Prof. Dr. Johannes Preuß zum Vizepräsidenten gewählt<br />
Sitzungstermine des Senats<br />
Nachruf auf Hanns Dieter Hüsch<br />
Kurz & bündig<br />
Veranstaltungstipp<br />
Buchmarktnews im Radio<br />
Impressum<br />
Foto.: Peter Thomas<br />
Foto: Peter Thomas<br />
Foto: Junghans © mdr<br />
Foto: privat<br />
2<br />
Eindrucksvolle<br />
Großübung:<br />
Puppen den<br />
Puls fühlen<br />
Seite 8<br />
Japanische<br />
Spiritualität: Der<br />
Weg des Schwertes<br />
Seite 9<br />
Living history:<br />
Abenteuer<br />
Mittelalter<br />
Seite 12<br />
Kontakt-Messe:<br />
Arbeiten und Leben<br />
im Ausland<br />
Seite 20
Foto: Thomas Hartmann<br />
Harte<br />
Von Aachen bis Dresden, von Kiel bis Passau – wenn es darum geht, sich<br />
einen Teil der Bundesmillionen aus dem Exzellenzwettbewerb* zu sichern,<br />
sind fast alle <strong>deutsche</strong>n Universitäten mit von der Partie.Antragsskizzen <strong>für</strong><br />
insgesamt 157 Exzellenzcluster und 135 Graduiertenschulen stapelten sich<br />
nach Bewerbungsschluss auf langen Tischen bei der DFG. 41 Anträge auf<br />
Exzellenzcluster und 39 auf Graduiertenschulen sind jetzt in <strong>die</strong> engere<br />
Wahl gekommen, darunter auch Graduiertenschule „Material Science in<br />
Mainz (MAINZ)“.<br />
Natürlich freuen wir uns sehr über <strong>die</strong>sen ersten Erfolg. Gerade im Hinblick<br />
auf <strong>die</strong> starke Konkurrenz ist <strong>die</strong>s eine Bestätigung der internationalen<br />
Positionierung unserer Mainzer Materialwissenschaftler – auch wenn wir<br />
gehofft hatten, noch einen oder zwei weitere Anträge in <strong>die</strong> nächste Runde<br />
zu bringen. Jetzt gilt es, alle Kräfte darauf richten, um <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Graduiertenschule<br />
den endgültigen Zuschlag zu erhalten. Gleichzeitig wollen wir in<br />
der zweiten Auswahlrunde auch bei den Exzellenzclustern erfolgreich abschneiden,<br />
um bei dem Wettbewerb um <strong>die</strong> Zukunftskonzepte <strong>die</strong> Chance<br />
zu bewahren. Hier erwarten wir Hinweise der Gutachter, um <strong>die</strong> Anträge<br />
noch optimieren zu können.<br />
Rein statistisch gesehen, liegen <strong>die</strong> Chancen auf den endgültigen Erfolg<br />
angesichts der harten Konkurrenz bei etwa 10 bis 15 Prozent. Und dennoch<br />
haben <strong>die</strong> Universitäten, auch <strong>die</strong> Johannes Gutenberg-Universität<br />
Mainz, allein schon mit ihrer Teilnahme am Bundesexzellenzwettbewerb<br />
gewonnen.<br />
Gerade <strong>die</strong>se starke Resonanz auf <strong>die</strong> Ausschreibung setzt ein deutliches<br />
Zeichen: Bundesweit herrscht „Aufbruchstimmung“ an den Universitäten.<br />
Trotz enger Terminierung und hohen Zeitdrucks definierten und positionierten<br />
<strong>die</strong> Hochschulen ihre Schwerpunkte in Forschung und Nachwuchs-<br />
* siehe auch „Stichwort: Bundesexzellenzwettbewerb“ auf Seite 7<br />
Konkurrenz<br />
3<br />
Editorial<br />
förderung, <strong>die</strong> ihrer Ansicht nach international am stärksten überzeugen.<br />
Natürlich auch <strong>die</strong> Johannes Gutenberg-Universität. Es war uns wichtig,<br />
schon an der ersten von zwei Antragsrunden mit Anträgen zu allen drei<br />
Förderlinien beteiligt zu sein.<br />
Wenn <strong>die</strong> Johannes Gutenberg-Universität letztlich auch nur den einen oder<br />
anderen Antrag durch <strong>die</strong> Auswahlrunden bringt, profitieren nicht nur <strong>die</strong><br />
Antragsteller, sondern <strong>die</strong> Universität als Ganzes. Denn der Bundeswettbewerb<br />
steht im Blickpunkt der Öffentlichkeit und unter starker Beobachtung<br />
der Me<strong>die</strong>n, so dass ein erfolgreiches Abschneiden dem Ansehen der gesamten<br />
Universität und allen ihren Mitgliedern zugute kommt.<br />
Aber auch unabhängig vom Erfolg und von den Erfolgsaussichten im Wettbewerb<br />
haben alle Hochschulen im Lande schon jetzt „gewonnen“. Indem<br />
nämlich der Wettbewerb verstärkt <strong>die</strong> Diskussion um <strong>die</strong> strategische Ausrichtung<br />
von Wissenschaft und Forschung in den Universitäten anregte. So<br />
werden wir unsere Projekte und Projektideen, insbesondere das Zukunftskonzept<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Weiterentwicklung der Gesamtuniversität, auch ohne zusätzliche<br />
Förderung des Bundes weiter verfolgen und den beschrittenen<br />
Weg fortsetzen. Hier<strong>für</strong> müssen dann gegebenenfalls interne, aber auch ergänzende<br />
Mittel des Landes aus dem Programm „Wissen schafft Zukunft“<br />
bereitgestellt werden. Insofern setzt das Bundesexzellenzprogramm ein<br />
Signal zum Aufbruch zur rechten Zeit.<br />
Univ.-Prof. Dr. med. Jörg Michaelis<br />
Präsident<br />
[JOGU] 195/2006
Campus aktuell<br />
Foto: © private Aufahme von 1967<br />
40 Jahre Kinderintensivstation<br />
Anspruch auf maximale Versorgung<br />
Vor 40 Jahren wurden <strong>die</strong><br />
Strukturen <strong>für</strong> <strong>die</strong> erste Kinderintensivstation<br />
in der Bundesrepublik Deutschland<br />
geschaffen. Aus der Anlaufstation<br />
<strong>für</strong> Notfälle an der Mainzer Uniklinik<br />
ist eine mit modernsten Geräten ausgestattete<br />
Intensivstation erwachsen,<br />
<strong>die</strong> heute über fünf Prozent der Intensivbetten<br />
in ganz Deutschland verfügt.<br />
Da der Durchschnitt der Bevölkerung nur noch<br />
1,4 Kinder hat, hätten <strong>die</strong>se Kinder den „Anspruch<br />
auf bestmögliche Lebensqualität und<br />
maximale Versorgung“, so der Leiter der Kinderklinik,<br />
Prof. Dr. Fred Zepp, zur Eröffnung des Geburtstagssymposiums<br />
anlässlich des 40jährigen<br />
Bestehens der ersten Kinderintensivstation in der<br />
Bundesrepublik Deutschland. Und maximale<br />
Versorgung bedeute <strong>für</strong> ihn, so Zepp weiter,<br />
modernste Medizin, modernste Medikamente,<br />
modernste Geräte, eben modernste Rahmenbedingungen<br />
zu schaffen.<br />
Die Kinderklinik verfügt heute über zwei Intensivbereiche:<br />
Die interdisziplinäre Station, <strong>die</strong> alle<br />
Fälle behandelt – vom Neugeborenen bis zum<br />
16jährigen Jugendlichen. Diese Station, so Zepp<br />
in seiner Rede, sei <strong>die</strong> letzte ganzheitliche Disziplin<br />
unter den Medizinern und verlange nicht nur<br />
von den Ärzten, sondern auch vom Pflegepersonal<br />
beste intensivmedizinische Kenntnisse.<br />
Der zweite Schwerpunkt der Kinderintensivmedizin<br />
in Mainz widmet sich den Neugeborenen. Die<br />
neonatologische Station umfasst – wie <strong>die</strong> interdisziplinäre<br />
Station – jeweils zehn Betten. Und<br />
dass sich Investitionen in <strong>die</strong>sem Bereich lohnen,<br />
zeigen <strong>die</strong> Fortschritte in der pädiatrischen Medizin.<br />
Früher, berichtet Professor Zepp, sei in<br />
der Neugeborenenmedizin <strong>die</strong> 29. Schwangerschaftswoche<br />
schon Grenzgebiet gewesen,<br />
heute, fährt er stolz fort, könnten Kinder schon ab<br />
der 23.Woche (rund 400 Gramm) intensivmedizinisch<br />
betreut werden.<br />
„Wir müssen darum kämpfen,<br />
dass <strong>die</strong> Chancen <strong>die</strong> hier<br />
liegen, von der Gesellschaft<br />
wahrgenommen werden.“<br />
„Aber fortschrittliche Medizin wird heute nicht<br />
mehr ausreichend finanziert“, appelliert Zepp an<br />
<strong>die</strong> Zuhörer. „Wir müssen darum kämpfen, dass<br />
<strong>die</strong> Chancen <strong>die</strong> hier liegen, von der Gesellschaft<br />
auch wahrgenommen werden.“<br />
Jährlich werden zwischen 460 und 480 Kinder auf<br />
der Kinderintensivstation behandelt. In den letzten<br />
40 Jahren hätten sich <strong>die</strong> Krankheitsbilder<br />
deutlich verändert, berichtet Oberarzt Dr. Ralf G.<br />
Huth. Wurden <strong>die</strong> Kinder früher oft mit schweren<br />
Infektionskrankheiten, etwa Hirnhautentzün-<br />
4<br />
dung, Vergiftungen oder Unfallverletzungen eingeliefert,<br />
so hätten <strong>die</strong>se Krankheitsbilder durch<br />
Impfungen und Sicherheitsvorschriften, wie etwa<br />
das Angurten beim Autofahren oder <strong>die</strong> Helmpflicht<br />
beim Fahrradfahren, deutlich abgenommen.<br />
Heute werden vor allem Notfälle im Säuglings-<br />
und Kindesalter, Kinder mit schweren<br />
Brand- oder Kopfverletzungen sowie Patienten,<br />
<strong>die</strong> eine schwere Operation oder einen neurochirurgischen<br />
Eingriff hinter sich haben, behandelt.<br />
30 Prozent der Patienten sind jedoch herzkranke<br />
Kinder, <strong>die</strong> 60 Prozent der Belegungsrate<br />
ausmachen.<br />
„Wer Erwachsene behandeln<br />
kann, kann noch lange keine<br />
Kinder behandeln.“<br />
Ursprünglich kamen in der Kinderintensivmedizin<br />
Geräte aus der Erwachsenenmedizin zum Einsatz.Aber<br />
– so Oberarzt Huth – „wer Erwachsene<br />
behandeln kann, kann noch lange keine Kinder<br />
behandeln“, und so sei es besonders wichtig,<br />
dass in den letzten 10 bis 15 Jahren <strong>die</strong> Geräte an<br />
<strong>die</strong> Anforderungen der Kinder angepasst wurden,<br />
„so dass heute sowohl <strong>die</strong> Behandlung als auch<br />
<strong>die</strong> medizinische Überwachung <strong>für</strong> <strong>die</strong> kleinen<br />
Patienten sehr viel schonender ist.“<br />
Neben der medizinischen Kompetenz ist vor allem<br />
<strong>die</strong> menschliche Nähe zu den kleinen Patienten<br />
wichtig. In Mainz wird daher größten Wert<br />
auf <strong>die</strong> Integration der Eltern gelegt. Besuchszeiten<br />
rund um <strong>die</strong> Uhr auf beiden intensivmedizinischen<br />
Stationen, psychologische Betreuung der<br />
Eltern und Schlafmöglichkeiten im Haus sind<br />
selbstverständlich.<br />
Mit einem intensivmedizinischen Jubiläumssymposium<br />
wurde <strong>die</strong> 1965 gegründete Station gefeiert.<br />
Zahlreiche nationale und internationale<br />
Gäste waren gekommen, um <strong>die</strong> medizinischen<br />
Entwicklungen und Erfolge in den letzten 40 Jahren<br />
Revue passieren zu lassen, aber auch, um an<br />
<strong>die</strong> Menschen der Ersten Stunde zu erinnern.<br />
Höhepunkt des Symposiums war sicher der Gastvortrag<br />
von Dr. Bernhard Saneke: „Was kann<br />
der Mediziner vom Jumbopiloten lernen? (Siehe<br />
nebenstehenden Beitrag).<br />
Annette SPOHN-HOFMANN ■<br />
Die Anschaffung des ersten Überwachungsschrankes<br />
(„iron-nurse“,<br />
links im Bild) schien das Nonplusultra.
Fotos: ???<br />
Hierarchien<br />
nicht erwünscht<br />
Was kann der Intensivmediziner<br />
vom Jumbopiloten lernen? Als<br />
Höhepunkt der Geburtstagsfeier wurde<br />
der Festvortrag von Dr. Bernhard<br />
Saneke angekündigt. Der fliegende<br />
Zahnarzt enttäuschte <strong>die</strong> Erwartungen<br />
nicht und vermittelte dem Publikum<br />
eindrucksvoll, warum man als Chef<br />
auf seine Mitarbeiter hören sollte.<br />
Seit nunmehr fünf Jahren reist der Pilot umher<br />
und erzählt einem wechselnden Auditorium von<br />
Ärzten, Managern, Politikern und Wissenschaftlern,<br />
wie sich Pannen im Berufsleben vermeiden<br />
lassen. Neben dem Abarbeiten von Checklisten<br />
ist laut Saneke vor allem ein gleichberechtigter<br />
Umgang mit den Kollegen wichtig. Gerade unter<br />
Stress. Dies trainieren Piloten immer wieder.<br />
„Viermal im Jahr sitze ich im Flugsimulator und<br />
lerne, mit kritischen Situationen strukturiert umzugehen“,<br />
sagt Saneke und verweist darauf, dass<br />
so etwas im klinischen Alltag leider nicht üblich<br />
ist. Sollte es aber, denn es geht um Menschenleben.<br />
Sowohl <strong>die</strong> Flugzeugbesatzung als auch das<br />
Ärzteteam im OP haben eine große Verantwortung<br />
und müssen in der Lage sein, auch unter<br />
Stress bestimmte Notfallpläne abzuarbeiten.<br />
„Und das geht nur, wenn ich <strong>die</strong> Abläufe probe,<br />
immer wieder, nach einer festen Choreographie.<br />
Genau das ist offenbar im Klinikalltag nicht immer<br />
der Fall. Hierarchische Strukturen erschweren<br />
oft <strong>die</strong> Zusammenarbeit und wichtige Hin-<br />
weise von Mitarbeitern werden entweder gar<br />
nicht geäußert oder von Vorgesetzten nicht angenommen.<br />
Ein Zustand, der im Cockpit undenkbar<br />
ist und der zu Lasten der Patienten geht. „Gerade<br />
in Krisensituationen machen wir bei<br />
Lufthansa keinen Unterschied zwischen Stewardess,<br />
Co-Pilot und Pilot. Alle sind gleich gestellt<br />
und werden mit ihren Anmerkungen ernst genommen.<br />
Und sogar Hinweise von Passagieren<br />
werden überprüft“, sagt Saneke. Der Pilot erzählt<br />
das Beispiel eines Fluggastes, der es kurz vor dem<br />
Start aus einer Tragfläche tropfen sah und <strong>die</strong><br />
Stewardess informierte. Mit einem Lächeln berichtete<br />
<strong>die</strong>se dem Cockpit, dass ein Passagier ein<br />
Leck im Tank vermute, woraufhin der Flugkapitän<br />
eine Überprüfung anordnete. Tatsächlich lief hier<br />
Benzin aus und der Start wurde erst einmal verschoben.<br />
Dieser Zustand bei Lufthansa ist natürlich<br />
auch ein Lerneffekt der vergangenen Jahrzehnte,<br />
in denen <strong>die</strong> Zahl der Flugunfälle<br />
kontinuierlich zurückging. Insgesamt seien 75%<br />
aller Totalverluste in der kommerziellen Jetfliegerei<br />
auf menschliches Versagen zurückzuführen,<br />
so Saneke. Hier habe man daher angesetzt und<br />
gezielt trainiert.<br />
„Während der Arzt seine Fehler<br />
begräbt, wird der Pilot mit<br />
seinen Fehlern begraben.“<br />
Anders als etwa beim Medizinstudium, wo jedem<br />
Stu<strong>die</strong>renden das Handwerkszeug beigebracht<br />
wird, werden angehende Piloten zuerst auf ihre<br />
grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften hin<br />
getestet. Nur wer diszipliniert und engagiert arbeitet<br />
sowie zudem ein hohes Maß an sozialer<br />
Kompetenz aufweisen kann, bekommt <strong>die</strong> Mög-<br />
5<br />
Campus aktuell<br />
Sogar Hinweise von<br />
Passagieren werden überprüft:<br />
Pilot und Zahnmediziner<br />
Dr. Bernhard Saneke<br />
lichkeit zur Ausbildung. „Damit<br />
wollen wir <strong>die</strong> größtmögliche<br />
Sicherheit <strong>für</strong> alle an Bord<br />
gewährleisten“, sagt Saneke und<br />
fügt hinzu: „ Während der Arzt seine Fehler<br />
begräbt, wird der Pilot mit seinen Fehlern begraben.“<br />
Ansatzpunkte zur Vermeidung medizinischer<br />
Fehler sieht der Zahnchirurg, der an<br />
flugfreien Tagen in seiner Gemeinschaftspraxis in<br />
Wiesbaden Zähne implantiert, daher vor allem in<br />
verbesserter Teamarbeit. Denn der Kostendruck<br />
im Gesundheitssystem verhindert den Aufbau<br />
von Redundanzen, wie sie im Flugverkehr üblich<br />
sind. So ist an Bord eines Flugzeugs jedes lebenswichtige<br />
Instrument dreifach vorhanden und das<br />
Cockpit ist stets mit zwei gleich gut qualifizierten<br />
Piloten sowie einem Flugzeugingenieur besetzt.<br />
Dies kann man nur bedingt mit den Verhältnissen<br />
im OP vergleichen, wo außerdem hierarchische<br />
Strukturen <strong>die</strong> Zusammenarbeit von Chefarzt,<br />
Assistenzarzt und Schwester erschweren. Aber<br />
eine gewisse Hierarchie herrscht auch im Cockpit.<br />
Während der zweijährigen Pilotenausbildung sowie<br />
in den andauernd stattfindenden Lehrgängen<br />
wird allerdings gezielt darauf hingearbeitet, das<br />
Gefälle in der Kommunikation zu verringern. Es<br />
soll „laut gedacht“ werden und der Vorgesetzte,<br />
sprich der Flugkapitän, soll sensibel sein <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Zeichen seiner Mitarbeiter. Die im Klinikalltag<br />
aber auch in vielen Unternehmen vorhandenen<br />
Kommunikationsbarrieren gilt es abzubauen,<br />
so dass sich auch der Assistent traut, eine möglicherweise<br />
lebenswichtige Beobachtung vor dem<br />
Chef kundzutun. „Viel zu viele von uns handeln<br />
eben genau so, wie es Stanley Milgram 1963<br />
in seinem berühmten Experiment gezeigt hat“,<br />
erklärt Saneke. In dem Versuch hatte der amerikanische<br />
Psychologe das Gewissen seiner<br />
Probanden getestet und ermittelt, dass 62% der<br />
Teilnehmer pflichtbewusst ihren Auftrag erfüllten,<br />
obwohl dadurch anderen Menschen starke<br />
Schmerzen zugefügt wurden.<br />
Frank ERDNÜSS ■<br />
[JOGU] 195/2006
Campus aktuell<br />
Hörsaalzentrum<br />
Chemie<br />
Erster Spatenstich <strong>für</strong> das umfangreiche<br />
Bauprogramm Mit dem<br />
ersten Spatenstich <strong>für</strong> das Hörsaalzentrum<br />
Chemie hat das umfangreiche<br />
Bauprogramm der Johannes-Gutenberg<br />
Universität Mainz begonnen. Mehr als<br />
320 Millionen Euro investiert der Bund<br />
und das Land Rheinland-Pfalz in den<br />
nächsten zehn Jahren.<br />
Trotz eisiger Temperaturen war <strong>die</strong> Stimmung heiter,<br />
als Vertreterinnen und Vertreter von Ministerium,<br />
Landesbetrieb Liegenschaften und Baubetreuung<br />
(LBB), der Universität und des AStA<br />
gemeinsam den Spaten schwangen. Universitätspräsident<br />
Prof. Dr. Michaelis bezeichnete den<br />
Neubau als „wichtige Investition in <strong>die</strong> Zukunft“.<br />
Besonders freue ihn <strong>die</strong> damit einhergehende<br />
„Verbesserung der Arbeitsbedingungen unserer<br />
Chemiker, denn <strong>die</strong> Chemie gehört zu den<br />
herausragenden wissenschaftlichen Leistungsträgern<br />
unserer Universität“. Das belegten unter<br />
anderem Spitzenplätze in aktuellen Rankings wie<br />
etwa in der Zeitschrift Focus. Gerade angesichts<br />
der steigenden Stu<strong>die</strong>rendenzahlen sei es wichtig,<br />
dass auch <strong>die</strong> Universität Mainz ihrem „Ausbildungs-<br />
und Bildungsauftrag in der erforderlichen<br />
Weise“ nachkommen könne.<br />
Der Startschuss <strong>für</strong> das rund 5,3 Millionen teure<br />
Hörsaalgebäude Chemie ist also gefallen: Insgesamt<br />
werden auf einer Nutzfläche von 881 Quadratmetern<br />
drei Hörsaale – einen mit 290 Plätzen,<br />
zwei mit je 135 Plätzen –, zwei große<br />
Seminarräume und <strong>die</strong> erforderlichen Lager- und<br />
Vorbereitungsräume entstehen. Im Herbst 2007<br />
soll der Bau abgeschlossen sein. Mit seiner Lage<br />
[JOGU] 195/2006<br />
nahe der naturwissenschaftlichen Institute Mathematik<br />
und Physik und als Anbau an den Neubau<br />
Chemie ist das Zentrum ideal positioniert.<br />
Besonders <strong>die</strong> bessere Akustik, <strong>die</strong> audiovisuelle<br />
Technik und <strong>die</strong> künftig kurzen Wege zwischen<br />
Labor, Hörsaal und Bibliothek werde <strong>für</strong> Wissenschaftler<br />
und Stu<strong>die</strong>rende eine erhebliche<br />
Verbesserung bringen, betonte der Dekan des<br />
Fachbereichs Chemie, Pharmazie und Geowissenschaften,<br />
Prof. Dr. Peter Langguth. Auch seien<br />
durch <strong>die</strong> technische Ausstattung der Hörsäle<br />
neue Experimentiertechniken möglich, <strong>die</strong> bisher<br />
häufig <strong>die</strong> Feuerwehr auf den Plan gerufen hätten.<br />
„Als Präventivmediziner betrachte<br />
ich den Spaziergang als<br />
gesundheitsfördernde Maßnahme<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Studenten“.<br />
Für <strong>die</strong> Physiker sei <strong>die</strong> Verfügbarkeit von modernen<br />
Hörsälen auch enorm wichtig, ergänzte der<br />
Dekan des Fachbereichs Physik, Mathematik und<br />
Informatik, Prof. Dr. Dietrich von Harrach, nun<br />
könnten endlich beispielsweise <strong>die</strong> physikalischen<br />
Kolloquien mit renommierten Gastwissenschaftlern<br />
in adäquaten Räumen stattfinden. Nur<br />
<strong>die</strong> 600 Meter Entfernung zwischen den neuen<br />
Hörsälen und dem Physikgebäude wurde von<br />
Prof. von Harrach als Wermutstropfen bemängelt.<br />
6<br />
Universitätspräsident Michaelis reagierte auf<br />
<strong>die</strong>se Äußerung gelassen: „Als Präventivmediziner<br />
betrachte ich den Spaziergang als gesundheitsfördernde<br />
Maßnahme <strong>für</strong> <strong>die</strong> Studenten“.<br />
Der Neubau des Hörsaalgebäudes Chemie ist das<br />
erste Projekt, das im Rahmen des groß angelegten<br />
Programms zur Sanierung und Erweiterung<br />
der Universität Mainz vom Land realisiert wird. In<br />
Kürze wird der Verbindungsweg zwischen Ackermannweg<br />
und Bentzel-Weg, der den Namen des<br />
verstorbenen Kabarettisten Hans Dieter Hüsch erhalten<br />
soll, eröffnet. Für das Frühjahr sind der erste<br />
Spatenstich und der Baubeginn <strong>für</strong> <strong>die</strong> Erweiterung<br />
der Kernchemie geplant. Rund 9,5<br />
Millionen Euro soll der Anbau kosten, Bauende ist<br />
<strong>für</strong> 2007 vorgesehen. Auch <strong>für</strong> <strong>die</strong>ses Jahr sind<br />
der Baubeginn <strong>für</strong> den Ausbau der Bereichsbibliotheken<br />
im Philosophicum und <strong>für</strong> den Neubau<br />
Musik geplant. Die Erschließung der Bereichsbibliothek<br />
wird circa 1,675 Millionen Euro kosten,<br />
<strong>für</strong> den Neubau Musik, der 2008 fertiggestellt<br />
sein wird, sind 12 Millionen veranschlagt. Die<br />
Vorplanungen <strong>für</strong> den Neubau SB II (Neubau Sozialwissenschaften<br />
und Neubau Anthropologie)<br />
laufen ebenso.<br />
Im Rahmen des Bauprogramms wird auch <strong>die</strong><br />
Versorgungsinfrastruktur des Universitätsgeländes<br />
(Wasser, Abwasser, Strom, Gas, Wärme)<br />
grundlegend überarbeitet. Ziel ist es, möglichst<br />
umfassend vorzugehen. Auswirkungen wie<br />
Staub, Lärm oder Verkehrsbeeinträchtigungen<br />
sollen so gering wie möglich gehalten werden.<br />
Annette SPOHN-HOFMANN ■<br />
Abb: © LBB
Die fast zwei Milliarden Euro werden in den nächsten<br />
sechs Jahren (2006-2011) in drei Förderlinien<br />
vergeben: projektbezogene Förderung von<br />
bis zu 40 Graduiertenschulen zur Förderung des<br />
wissenschaftlichen Nachwuchses (durchschnittlich<br />
je eine Million Euro) und projektbezogene<br />
Förderung von bis zu 30 Exzellenzclustern zur<br />
Förderung der Spitzenforschung (durchschnittlich<br />
je 6,5 Millionen Euro). Etwa zehn Zukunftskonzepte<br />
zum projektbezogenen Ausbau der universitären<br />
Spitzenforschung (durchschnittlich<br />
21 Millionen Euro; Voraussetzung: <strong>die</strong> positive<br />
Bewertung von jeweils mindestens einem Exzellenzcluster<br />
und einer Graduiertenschule).<br />
Vorgesehen sind zwei Ausschreibungsrunden:<br />
Bewerbungsschluss der ersten Antragsrunde war<br />
der 30. September 2005; <strong>die</strong> zweite Antragsrunde<br />
wird im Frühjahr 2006 eröffnet. Der Förderzeitraum<br />
beträgt jeweils fünf Jahre.<br />
Hart und ausschließlich leistungsorientiert ist <strong>die</strong>ser<br />
Wettbewerb: Antragsskizzen <strong>für</strong> insgesamt<br />
157 Exzellenzcluster und 135 Graduiertenschulen<br />
türmten sich nach Bewerbungsschluss der<br />
ersten Runde trotz des engen Zeitplans bei der<br />
DFG. Davon sind am 20. Januar 41 Anträge auf<br />
Exzellenzcluster und 39 Anträge auf Graduiertenschulen<br />
in <strong>die</strong> engere Wahl gekommen. Zu <strong>die</strong>sen<br />
Antragsskizzen müssen <strong>die</strong> Universitäten kurz-<br />
7<br />
Campus aktuell<br />
Stichwort: Bundesexzellenzwettbewerb<br />
Spitzenforschung an den Hochschulen<br />
Es geht um insgesamt 1,9<br />
Milliarden Euro zur Förderung von<br />
Spitzenforschung an <strong>deutsche</strong>n Universitäten:<br />
Am 23. Juni 2005 haben<br />
der damalige Bundeskanzler und <strong>die</strong><br />
Ministerpräsidenten der Länder <strong>die</strong><br />
„Exzellenzinitiative des Bundes und<br />
der Länder zur Förderung von Wissenschaft<br />
und Forschung an <strong>deutsche</strong>n<br />
Hochschulen“ beschlossen.<br />
Anton Zeilinger ist Inhaber der<br />
Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur<br />
2006<br />
Er gilt weltweit als Autorität auf den Gebieten<br />
der Quantenphysik, Quantenkommunikation und<br />
Quantenkryptographie: Professor Dr. Anton<br />
Zeilinger ist Inhaber der Johannes Gutenberg-<br />
Stiftungsprofessur der „Freunde der Universität<br />
Mainz e.V.“ im Jahr 2006. In seiner Veranstaltungsreihe<br />
wird der Wiener Experimentalphysiker<br />
<strong>die</strong> faszinierende Welt der Quantenphysik vorstellen<br />
und ihre revolutionären Auswirkungen auf<br />
unser Weltbild erörtern. Unter der Leitfrage „Was<br />
ist Wirklichkeit?“ wird er sich in seinen Vorlesungen<br />
mit „Fundamentalen Fragen und technologischen<br />
Entwicklungen im Quantenexperiment“<br />
auseinandersetzen. „Wir freuen uns außerordentlich,<br />
dass es uns gelungen ist, <strong>die</strong>sen Ausnahmewissenschaftler<br />
<strong>für</strong> ein Semester nach<br />
Mainz zu holen“, erklärt<br />
Dr. Klaus Adam, Vorsitzender<br />
der Vereinigung<br />
der „Freunde der Universität<br />
Mainz e.V.“, „seine<br />
spektakulären Experimente<br />
zur Teleportation,<br />
besser bekannt auch als<br />
‘Beamen’, haben ihn<br />
schlagartig populär gemacht.<br />
Anton Zeilinger<br />
ist ähnlich wie Albert<br />
Einstein ein ‘Popstar’ unter den Wissenschaftlern<br />
und wird immer wieder als heißer Kandidat <strong>für</strong><br />
den Nobelpreis gehandelt.“<br />
In seiner Vorlesungsreihe wird Anton Zeilinger<br />
von den zentralen Aussagen der Quantenphysik<br />
ausgehen. Sie stellen eine Provokation des „gesunden<br />
Menschenverstandes“ dar. Die Quantenphysik<br />
zwingt uns, vertraute Vorstellungen und<br />
fristig ausführliche Anträge formulieren, <strong>die</strong> dann<br />
nochmals begutachtet werden. Den endgültigen<br />
Zuschlag in <strong>die</strong>ser ersten Auswahlrunde 2006<br />
erhalten dann voraussichtlich circa 15 Exzellenzcluster<br />
und 20 Graduiertenschulen. Wie viele<br />
Zukunftskonzepte finanziert werden, ist noch<br />
offen – wobei sich <strong>die</strong>se Zahl im niedrigen einstelligen<br />
Bereich bewegen wird.<br />
Zur Weiterentwicklung des Exzellenzprogramms<br />
an der Johannes Gutenberg-Universität hat der<br />
Senat eine Arbeitsgruppe aus dem Kreis der antragstellenden<br />
Wissenschaftler benannt, <strong>die</strong><br />
unter Leitung des Vizepräsidenten <strong>für</strong> Forschung<br />
gemeinsam mit dem Präsidenten <strong>die</strong> weitere Antragstellung<br />
konstruktiv begleitet und koordiniert<br />
sowie hierüber dem Senat berichtet.<br />
Das Programm wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
im Zusammenwirken mit<br />
dem Wissenschaftsrat durchgeführt. ■<br />
Information: http://www.dfg.de<br />
Faszinierende Welt der Quantenphysik<br />
Denkgewohnheiten aufzugeben.<br />
Sie eröffnet eine subatomare Welt,<br />
in der eine Reihe von Gewissheiten<br />
unserer Alltagserfahrung verabschiedet<br />
werden müssen. In der<br />
Quantenwelt versagen <strong>die</strong> uns so<br />
selbstverständlichen Kategorien<br />
wie Raum, Zeit und Kausalität.<br />
Stattdessen gewinnt der Begriff<br />
des Zufalls, noch mehr aber der<br />
Begriff der Information, entscheidende<br />
Bedeutung. Die Welt ist also<br />
Zufall? Was ist und was bedeutet dann Wirklichkeit?<br />
Offensichtlich stellt <strong>die</strong> Quantenphysik fundamentale<br />
Fragen an unser wissenschaftliches<br />
Weltbild. Zeilinger betont: „Das Weltbild steht<br />
überhaupt nicht fest. Wir haben erst begonnen,<br />
darüber nachzudenken.“ Dies mache es notwendig,<br />
auf <strong>die</strong> philosophischen Konsequenzen der<br />
neuen Erkenntnisse einzugehen und <strong>die</strong> Folgen<br />
<strong>für</strong> unser Menschenbild zu reflektieren. ■<br />
Foto: © Jacqueline Godany<br />
[JOGU] 195/2006
Foto.: Peter Thomas<br />
Studium & Lehre<br />
Puppen den Puls fühlen<br />
Spitzenposition in Europa Das Simulationszentrum der Mainzer Universitätsklinik<br />
war Gastgeber der europäischen Konferenz des Human Patient Simulator<br />
Network. Zur Tagung gehörte eine eindrucksvolle Großübung in der Mainzer<br />
Innenstadt. Dabei übten Notfallmediziner <strong>die</strong> Versorgung von Verletzten nach<br />
einem schweren Verkehrsunfall an Patienten-Simulatoren der Universitätsklinik.<br />
Schwerer Verkehrsunfall mitten in Mainz. Bleich<br />
liegt ein Verletzter neben dem roten Golf. Was ist<br />
mit den anderen Opfern? Notarzt und Rettungsassistent<br />
überprüfen Augen und Puls eines Mannes.<br />
Im Hintergrund blitzen <strong>die</strong> Blaulichter von<br />
Rettungs<strong>die</strong>nst und THW. Auf der Rückbank des<br />
kleinen Kastenwagens liegt ein Baby in seinem<br />
Sitz, <strong>die</strong> Augenlider des Kleinkinds flackern unregelmäßig.<br />
Der Fahrer des anderen Wagens ist eingeklemmt,<br />
er muss von THW-Helfern mit Spreizer<br />
und Schere befreit werden. Die verschiedenen<br />
Eindrücke stürzen ein auf den leitenden Notarzt<br />
Sascha Klemm. Der junge Mann behält den Überblick,<br />
koordiniert <strong>die</strong> Arbeiten von vier Rettungsteams.<br />
Ständig beobachten <strong>die</strong> Sanitäter und<br />
Ärzte <strong>die</strong> Lebensfunktionen ihrer Patienten, stabilisieren<br />
<strong>die</strong> Wirbelsäule mit speziellen Prothesen,<br />
bevor <strong>die</strong> Unfallopfer aus den Wagen geborgen<br />
werden.<br />
Im Getümmel zwischen Tragen und Medikamentenkoffern,<br />
Helfern in roten Warnwesten und<br />
blauen Uniformen stehen zwei Männer und kümmern<br />
sich konzentriert um kompliziert ausse-<br />
[JOGU] 195/2006<br />
Unfall nachgestellt: Rettungsübung<br />
an Patientensimulatoren<br />
hende Geräte. Die Apparate bestehen aus einem<br />
stabilen schwarzen Kunststoffkoffer, einer Pressluftflasche<br />
und einem Apple-Laptop, von dem<br />
dicke Kabel- und Schlauchstränge zu zwei Patienten<br />
führen, <strong>die</strong> gerade von den Rettungsmedizinern<br />
auf eine Trage gebettet und zum Verbandsplatz<br />
gebracht werden. Die Körper, um <strong>die</strong><br />
sich Sanitäter und Ärzte kümmern, sind keine<br />
Menschen, sondern <strong>die</strong> jüngste Generation von<br />
Patienten-Simulatoren. Auch der Unfall zwischen<br />
Railion-Gebäude und Fort Malakoff nahe des<br />
Mainzer Südbahnhofs ist kein echter Notfall,<br />
sondern eine Übung. Das Szenario war Teil einer<br />
Konferenz <strong>für</strong> Patientensimulation in der medizinischen<br />
Ausbildung, <strong>die</strong> im November unter<br />
Schirmherrschaft des Simulationszentrums der<br />
Klinik <strong>für</strong> Anästhesiologie an der Johannes<br />
Gutenberg-Universität Mainz stattfand.<br />
Die Mainzer Universitätsklinik arbeitet bereits<br />
seit neun Jahren mit Patientensimulatoren <strong>die</strong>ser<br />
Art, erklärt Professor Dr. Wolfgang Heinrichs von<br />
der Klinik <strong>für</strong> Anästhesiologie. Vor allem <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Ausbildung in der Notfallmedizin werden solche<br />
8<br />
mobilen Puppen eingesetzt. Der erste Simulator<br />
ist 1996 angeschafft worden, seit 1997 hat das<br />
Simulationszentrum mehrere tausend Trainingsteilnehmer<br />
an den komplexen Maschinen ausgebildet.<br />
Dabei arbeitet das Simulationszentrum<br />
mit seinem wirtschaftlichen Partner, der AQAI<br />
GmbH, zusammen.<br />
Die Universitätsklinik Mainz war eine der ersten<br />
Kliniken ganz Europas, <strong>die</strong> mit <strong>die</strong>ser Technologie<br />
arbeitete und hat sich seither als Kompetenzzentrum<br />
in <strong>die</strong>sem Bereich der medizinischen Ausbildung<br />
etabliert. Nicht nur Studenten, Krankenpfleger<br />
und Ärzte arbeiten in ihrer Ausbildung mit<br />
den Simulatoren, das Klinikum richtet über <strong>die</strong><br />
AQAI GmbH auch Kurse <strong>für</strong> externe Gruppen aus.<br />
So fiel <strong>die</strong> Wahl auf Mainz, als der Hersteller der<br />
Simulationspuppen, Meti, einen Ort <strong>für</strong> eine<br />
europäische Konferenz zur Simulationsmedizin<br />
suchte. Das 1996 gegründete Unternehmen Meti<br />
(Medical Education Technologies, Inc.) stellt komplexe<br />
Patientensimulatoren her, <strong>die</strong> realistische<br />
Lebenszeichen erzeugen. Dazu gehören Augenbewegungen,<br />
Herzschlag und Atmung, aber auch<br />
Reaktionen auf medizinische Eingriffe wie das Intubieren<br />
und <strong>die</strong> Gabe von Medikamenten. Die<br />
künstlichen Patienten werden kontinuierlich weiter<br />
entwickelt. Einerseits sollen <strong>die</strong> Puppen<br />
menschliche Patienten so realistisch wie möglich<br />
nachahmen: sie sollen „aussehen, sich verhalten<br />
und sich anfühlen“ wie Menschen, so Meti-Geschäftsführer<br />
Louis H. Oberndorf. Vor allem werden<br />
da<strong>für</strong> <strong>die</strong> Systeme zur Simulation von Körperfunktionen<br />
verfeinert, aber auch <strong>die</strong> Sensoren,<br />
mit denen Eingriffe und <strong>die</strong> Gabe von Medikamenten<br />
registriert werden. Die jüngsten Simulatoren<br />
<strong>für</strong> Notfallmedizin kosten rund 50.000 Euro.<br />
Die noch komplexeren Simulationspuppen, <strong>die</strong><br />
stationär eingesetzt werden, sind rund 200.000<br />
Euro teuer.<br />
Das amerikanische Unternehmen richtet jährlich<br />
eine Konferenz in den USA aus, künftig soll auch<br />
in Europa regelmäßig <strong>die</strong> Möglichkeit zur aktuellen<br />
Information und zum Austausch zwischen<br />
den Fachleuten geschaffen werden. In den nächsten<br />
Jahren werde <strong>die</strong> Konferenz sicher wieder<br />
am Rhein stattfinden, so Oberndorf in einem ersten<br />
Resümee: „Die Klinik der Mainzer Universität<br />
hat sich in <strong>die</strong>sem Bereich so etabliert, dass<br />
sie noch auf Jahre <strong>die</strong> Spitzenposition in der medizinischen<br />
Simulation in Europa haben wird“,<br />
lobte Oberndorf <strong>die</strong> Gastgeber der Konferenz.<br />
Peter THOMAS ■
Der Weg des Schwertes<br />
Japanische Spiritualität erleben<br />
Eine Verbindung aus östlicher Philosophie<br />
und Schwertkampf ist das<br />
japanische Kendo. Bereits seit 1984<br />
gibt es eine Kendo-Schule („Dojo“)<br />
im Rahmen des Allgemeinen Hochschulsports<br />
an der Mainzer Johannes<br />
Gutenberg-Universität.<br />
Trocken krachen <strong>die</strong> Schläge der Bambusschwerter,<br />
schrill hallen Schreie der Kämpfer durch den<br />
Saal. In bodenlanger schwarzer Kleidung stehen<br />
sich <strong>die</strong> Schwertkämpfer gegenüber, dicke<br />
Schutzkleidung halten <strong>die</strong> Schläge des Gegners<br />
vom Körper ab und gibt den Fechtern bei Angriff<br />
und Verteidigung eine unwirkliche, strenge Anmutung.<br />
Kendo, <strong>die</strong> Kunst des japanischen<br />
Schwertkampfs, hat so gar nichts von der theatralisch-bunten<br />
Opulenz fernöstlicher Kinoerzeugnisse,<br />
in denen sich alles um flirrende Klingen<br />
und waghalsige Sprünge dreht.<br />
Die Kendo-Fechtkunst stammt<br />
in direkter Linie von der klassischen<br />
japanischen Schwertkampftechnik<br />
der Samurai ab.<br />
Kendo, das bedeutet „Der Weg des Schwertes“.<br />
Wer <strong>die</strong>sen Weg an der Mainzer Johannes Gutenberg-Universität<br />
einschlagen will, der ist an<br />
der richtigen Adresse beim Kendo-Dojo des Allgemeinen<br />
Hochschulsports. 1984 gegründet,<br />
wurde das Dojo 1998 unter der Leitung des heutigen<br />
Trainers Frank Jaehne neu formiert. Zurzeit<br />
gehören dem Dojo rund 60 Schwertkämpfer an,<br />
<strong>die</strong> Ausbildung findet in vier aufeinander aufbauenden<br />
Kursen statt.<br />
Die Kendo-Fechtkunst stammt in direkter Linie<br />
von der klassischen japanischen Schwertkampftechnik<br />
der Samurai ab: Als <strong>die</strong> Ära <strong>die</strong>ser auch<br />
„Bushi“ genannten Krieger zu Ende ging, entwickelte<br />
sich das Kendo als anspruchsvolle Methode<br />
zur körperlichen und geistigen Übung weiter.<br />
Nicht nur der Körper, auch der Charakter soll<br />
durch das Kendo-Training gestärkt werden.<br />
Daran hat sich bis heute nichts geändert: Kendo<br />
fordert von seinen Anhängern Kraft, Schnellig-<br />
keit, Geschick sowie Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit<br />
– und fördert damit zugleich <strong>die</strong><br />
Entwicklung <strong>die</strong>ser Fähigkeiten.<br />
Für den Kenshi – so heißen <strong>die</strong> Schwertkämpfer –<br />
ist der Sport auch eine Erfahrung japanischer Spiritualität.<br />
Die strenge Etikette („Reiho“) stellt das<br />
Ideal des Lernens und <strong>die</strong> Achtung vor anderen<br />
Menschen in ihren Mittelpunkt. In der Tradition<br />
verhaftet sind auch <strong>die</strong> Ausrüstungsgegenstände.<br />
Fechten zwei Kenshi gegeneinander, verwenden<br />
sie das aus Bambus gefertigte Schwert „Shinai“,<br />
das aus vier Bambusstäben besteht, <strong>die</strong> durch Lederteile<br />
zusammengehalten werden. Treffer mit<br />
dem flexiblen Schwert verletzen den Partner bei<br />
einem Kendo-Gefecht nicht. Die hölzernern<br />
Übungsschwerter „Bokken“ (Langschwert) und<br />
„Kodachi“ (Kurzschwert)<br />
werden dagegen <strong>für</strong> Kata-<br />
Übungen benutzt, bei denen<br />
stilisierte Kampfszenen als<br />
Grundformen des Kendo geübt<br />
werden.<br />
Die Bekleidung des Kenshi besteht<br />
aus der Jacke „Keikogi“ und dem<br />
Rock „Hakama“. Der „Men“ genannte<br />
Helm aus Stahlstäben<br />
und einem widerstandsfähigen<br />
Überzug aus Baumwolle und<br />
Leder schützt den Kopf, darunter<br />
wird das Kopftuch<br />
„Tenugue“ getragen. Der<br />
Brustpanzer „Do“ sichert<br />
den Oberkörper, der Hüftschutz<br />
„Tare“ den Unterkörper<br />
vor Treffern. Spezielle<br />
Kendo-Handschuhe mit dicker<br />
Polsterung heißen „Kote“.<br />
Mit dem Auftritt klassischer<br />
Fechter in ihren<br />
weißen Anzügen hat<br />
Kendo auf den ersten<br />
Blick wenig gemein. Doch<br />
<strong>die</strong> martialischen Gestalten<br />
mit ihren Bambusschwertern<br />
sind äußerst<br />
beweglich, wie das<br />
Training des Mainzer<br />
Dojo zeigt. Im-<br />
Studium & Lehre<br />
merhin liegen <strong>die</strong> Grundzüge des heute weltweit<br />
als Sport betriebenen Kendo in der Geschichte japanischer<br />
Krieger: Die beiden hölzernen Übungsschwerter<br />
der Kenshi und <strong>die</strong> beiden Schwerter<br />
der Samurai haben den selben Ursprung.<br />
Vier Kurse bietet der Kendo-Dojo Mainz an: Im<br />
Anfänger-Kurs wird zunächst mit einem Leihschwert<br />
trainiert, danach folgen eigenes Schwert<br />
und Oberbekleidung. Trainiert werden Grundlagen<br />
des Kendo ohne Rüstung und <strong>die</strong> Etikette<br />
(„Reiho“). Im Kurs <strong>für</strong> Geübte wird mit einer Leih-<br />
Rüstung gefochten. Zu den Grundübungen kommen<br />
zunehmend <strong>die</strong> komplexen Bewegungsmuster<br />
des Kendo, Ziel des Kurses ist der freie Kampf<br />
(„Ji-Geiko“). Bei den „Fortgeschrittenen“, vor allem<br />
aber in der „Leistungsgruppe“ steht schließlich<br />
<strong>die</strong> Begegnung im freien Kampf im Mittelpunkt.<br />
Peter THOMAS ■<br />
Information: www.kendo-mainz.de.<br />
Kaeshi-Technik:<br />
Mitglieder des Mainzer<br />
Kendo-Dojo beim<br />
Training<br />
Foto: Peter Thomas
Studium & Lehre<br />
„Früher hieß des schwätze“<br />
Mainz 05-Trainer Klopp über mentales Coaching Was machte der nach<br />
Johannes Gutenberg wohl bekannteste Mainzer Jürgen Klopp, Trainer des<br />
FSV Mainz 05, mehr als zehn Jahre nach Abschluss seines Studiums in seiner<br />
„alten“ Uni? Mit einem breiten, professionelle Gelassenheit verkündenden<br />
Grinsen berichtete er als Gastdozent der Sportpsychologie-Vorlesung von<br />
Prof. Dr. Michael Macsenaere im November 2005 von dem, was er am besten<br />
kann: Trainieren.<br />
„Wenn mir vor zehn Jahren jemand gesagt hätte,<br />
dass ich einmal selbst hier als Dozent stehen<br />
würde, hätte ich ihm wohl nicht geglaubt.Wie ihr<br />
seht, kann aus jedem etwas werden“, sagte<br />
Klopp.Während des eineinhalbstündigen Dialogs<br />
zwischen Macsenaere und Klopp mit anschließender<br />
Fragestunde unter dem Titel „Mentales<br />
Coaching im Profifußball“, war jeder erdenkliche<br />
Sitz-, Treppen- und Stehplatz besetzt.<br />
„Von solchen Engagements erhoffe ich mir eine<br />
große Praxisnähe“, sagte Prof. Macsenaere später,<br />
und Jürgen Klopp sei da<strong>für</strong> <strong>die</strong> Idealbesetzung<br />
gewesen. Denn das Forschungsgebiet des Honorarprofessors<br />
Macsenaere ist <strong>die</strong> Sportpsychologie<br />
und Klopp sei einer der ganz wenigen Trainer,<br />
<strong>die</strong> sportpsychologisch arbeiten. „Ich las immer<br />
wieder von Klopps Arbeit in der Zeitung. Als das<br />
Thema bei mir in der Vorlesung anstand, rief ich<br />
Jürgen Klopp an, der sofort vollauf begeistert<br />
war“, ergänzte Macsenaere. Und so stellte der<br />
Professor Fragen und zeigte <strong>die</strong> Theorie auf, während<br />
Jürgen Klopp aus seinem Trainingsalltag erzählte.<br />
„Jürgen Klopp ist der<br />
kompletteste Trainer in der<br />
Fußballbundesliga.“<br />
„Kloppo“ ist in der Tat ein Kuriosum: Er gehört zu<br />
einer verschwindend geringen Schar von Fußballtrainern<br />
mit abgeschlossenem Diplom-Sportstudium<br />
– der allerdings bis Mitte November als<br />
einziger keinen Trainerschein hatte. Doch nachdem<br />
nun auch <strong>die</strong>se Hürde genommen ist, „ist<br />
Jürgen Klopp der kompletteste Trainer in der Fußballbundesliga“,<br />
so Macsenaere in seiner Ansprache.<br />
Sein „mentales Coaching“ hat inzwischen<br />
viele Nachahmer gefunden. Mentales<br />
Coaching befasst sich unter anderem mit den<br />
[JOGU] 195/2006<br />
Themen „Team“, „Diagnostik“, „Kommunikation“<br />
(O-Ton Klopp: „früher hieß des schwätze“),<br />
„Motivation“ und „Problembewältigung“.<br />
„Mein Sportstudium ist <strong>die</strong> Basis <strong>für</strong> alles, was ich<br />
heute mache. Das ist sozusagen mein linkes Bein.<br />
Das rechte ist meine Erfahrung.“<br />
Teamzusammenstellung und -bildung waren,<br />
nachdem Klopp vor viereinhalb Jahren – wie erhofft<br />
– den Abstieg aus der zweiten Bundesliga<br />
verhindert hatte, seine nächsten und wichtigsten<br />
Aufgaben. Er verpflichtete in <strong>die</strong>ser Zeit mehr als<br />
20 Spieler – <strong>die</strong> Zahl der Bewerber lag deutlich<br />
darüber. „In meinen vier- bis fünfstündigen Vorstellungsgesprächen<br />
versuche ich herauszufinden,<br />
ob der Bewerber den Gedanken, der Mainz<br />
05 ausmacht, mitgehen kann: sich trotz begrenzter<br />
Möglichkeiten nach der Decke zu strecken“.<br />
Mit Hilfe des so genannten Reiss-Profils versucht<br />
Klopp, nach jeder Verpflichtung sein Bild von einem<br />
Spieler zu verstärken und Zusatzinformationen<br />
zu bekommen, wie er mit ihm in den <strong>für</strong> Fußballer<br />
extremsten Situationen „Anerkennung vs.<br />
Kritik“ umgehen kann. Das Reiss-Profil versucht,<br />
<strong>die</strong> so genannten Lebensziele eines jeden Men-<br />
10<br />
schen aufzuzeigen. „Anfangs testete ich es an<br />
mir selbst und erkannte mich gut darin wieder. Jedoch<br />
würde ich mich niemals alleine auf seine<br />
Aussage verlassen.“ Auf <strong>die</strong>se Weise sorgte<br />
Klopp da<strong>für</strong>, „dass <strong>die</strong> Jungs alle einigermaßen<br />
zusammenpassen und das darstellen, was Mainz<br />
05 ausmacht. Das behauptet zwar jeder Verein<br />
von sich, aber bei uns ist es am Ende auch so.Wir<br />
wollen dominant und mutig Fußball spielen und<br />
jeden letzten Rest an Kraft raushauen, den wir<br />
haben, mehr rennen als jede andere Mannschaft.<br />
Es geht darum, sich in einen Rausch zu spielen.<br />
Wir wollen in den 90 Minuten <strong>die</strong> Träume der Zuschauer<br />
wahrmachen und sie von den Sitzen reißen.<br />
Jeder Spieler soll überzeugt sein, dass er da<br />
mitmachen will, obwohl er weniger Geld als anderswo<br />
bekommt, und <strong>für</strong> sich beschließen, dass<br />
er, egal ob er gewinnt oder nicht, bei der geilsten<br />
Truppe mitspielt.“<br />
„Mein Sportstudium ist <strong>die</strong><br />
Basis <strong>für</strong> alles, was ich heute<br />
mache. Das ist sozusagen mein<br />
linkes Bein. Das rechte ist<br />
meine Erfahrung.“<br />
Mit altbekannten Teambildungsmaßnahmen<br />
„wie Kegelabende veranstalten oder einen saufen<br />
gehen“, hielt sich Klopp nicht lange auf. „Das<br />
machte ich zwar auch alles mit, aber der Erfolg ist
nicht allzu langanhaltend.“ Initialzündung war<br />
eine Reportage über <strong>die</strong> Neuseeländische Rugby-<br />
Nationalmannschaft „All Blacks“, <strong>die</strong> 75 Prozent<br />
ihrer Spiele gewinnen. Grund da<strong>für</strong> ist ein extrem<br />
ausgeprägtes Mannschaftsgefühl. Nach einem<br />
gemeinsamen „Videoabend“ beschlossen <strong>die</strong><br />
FSV-Spieler, dass sie das auch erreichen wollten,<br />
und nannten sich ab sofort <strong>die</strong> „All Reds“. „Es<br />
darf niemals <strong>die</strong> Situation eintreten, dass auch<br />
nur ein einziger Zuschauer das Stadion verlässt<br />
und sagt: Wenigstens kämpfen hätten sie können.<br />
Dann hätte ich als Trainer nämlich alles<br />
falsch gemacht“, konstatierte Klopp. „Wir wollten<br />
etwas machen, das sonst keiner macht.“ Und<br />
so packte er <strong>die</strong> ganze Mannschaft ein und<br />
schleppte sie während der WM 2002 vier Tage in<br />
den Schwarzwald. „Die Jungs hatten keine Ahnung,<br />
was sie erwartet“. Ein <strong>für</strong> nur zehn Personen<br />
ausgelegtes Selbstversorgerhaus beherbergte<br />
<strong>die</strong> 26 Mainzer. Ohne Fernseher und ein<br />
einziges WM-Spiel. „Es ging um das Zusammenleben.Wenn<br />
wir abends abgestrampelt vom Fahrradfahren<br />
kamen, musste erst einmal ein Spieler<br />
gefunden werden, der <strong>für</strong> 26 Mann kochen<br />
konnte.“ Die Erinnerungen an <strong>die</strong> Mallorca-,<br />
Zypern- und andere Trainingslager seien verblasst,<br />
aber an <strong>die</strong> Schwarzwaldtage würden sich<br />
alle erinnern, sinnierte Klopp. Eine Saison später<br />
setzte er noch einen drauf: „Die Jungs wussten<br />
wieder nicht, was auf sie zukommt, als ich sie <strong>die</strong>ses<br />
Mal nach Schweden schleppte, wo es <strong>die</strong><br />
ganze Zeit wolkenbruchartig schüttete.“ Nur das<br />
Nötigste durfte mitgenommen werden. „Den<br />
Grund da<strong>für</strong> erfuhren <strong>die</strong> Spieler erst vor Ort:<br />
Kanufahren stand auf dem Programm.“ Außer<br />
Brot – und davon zu wenig – packte Klopp nichts<br />
Essbares ein. Wer vom Hunger gequält wurde,<br />
stand also vor einem neuen Problem: „Das Essen<br />
mussten wir erst noch fangen.“<br />
„Es gibt nichts Demotivierenderes<br />
als nicht erreichbare<br />
Ziele.“<br />
Dieses Trainingslager sei eine „extreme Erfahrung“<br />
gewesen und habe wirklich zu dem geführt,<br />
was er erwartet hatte: „Gemeinsame Erfahrungen<br />
und gegenseitiger Respekt – so<br />
entwickelt sich ein Team.“ Klopp setzt allgemein<br />
auf den „Pawlowscher Hund-Effekt“: „Ich erinnere<br />
niemanden mehr verbal an das Besprochene.<br />
Wenn <strong>die</strong> Jungs wissen, dass sie ein Spiel<br />
bestreiten müssen, läuft vor ihren Augen eine Art<br />
Film ab“. Dabei arbeitet Klopp mit den verschiedensten<br />
Schlüsselreizen: Seien es Armbänder<br />
oder „Jetzt-erst-recht-Kappen“, Plakate im Umkleideraum<br />
oder <strong>die</strong> Briefe, <strong>die</strong> sich <strong>die</strong> Spieler im<br />
strömenden Regen in Schweden selbst geschrieben<br />
haben. In <strong>die</strong>sen haben sie <strong>für</strong> sich klare Ziele<br />
formuliert.<br />
Den ultimativen Fehler gibt es nicht:<br />
Trainer Jürgen Klopp im Dialog mit Prof.<br />
Michael Macsenaere (l.)<br />
11<br />
Studium & Lehre<br />
Weitere Motivationstricks sind zum Beispiel meinungsbildende<br />
Videos der Gegner vor dem Spiel:<br />
„Manchmal ist es gar nicht so einfach, ein Video<br />
zusammenzuschneiden, auf dem der Gegner einfach<br />
gar nichts mehr kann“; schmunzelte Klopp.<br />
„Die wichtigste Möglichkeit, mit dem aufgebauten<br />
Druck umzugehen, ist jede Aufgabe als machbar<br />
darzustellen. Wir halten jeden Gegner an bestimmten<br />
Tagen <strong>für</strong> schlagbar und <strong>die</strong>se Tage<br />
wollen wir festlegen.“ Wichtig <strong>für</strong> das Mannschaftsgefühl<br />
sei außerdem, „dass ich mit meinen<br />
Jungs so umgehe, wie ich selbst als Fußballspieler<br />
behandelt werden wollte.“ Sich selbst<br />
nehme er auch nach Niederlagen nie aus der Verantwortung.<br />
„Ich haue außerdem niemals einzelne<br />
Spieler in <strong>die</strong> Pfanne. Die Verantwortung <strong>für</strong><br />
ein Ergebnis hat immer das Team. Den ultimativen<br />
Fehler gibt es nicht.“<br />
Ziele stecke er sich und der Mannschaft nur im<br />
Wochenrhythmus. Grundregel dabei: „Es gibt<br />
nichts Demotivierenderes als nicht erreichbare<br />
Ziele.“ Man müsse sich immer voll und ganz auf<br />
das einlassen, was gerade anstehe. Von unschätzbarem<br />
Wert <strong>für</strong> <strong>die</strong> Motivation sei nicht zuletzt<br />
<strong>die</strong> Stadionatmosphäre“: „Der geilste Ort<br />
auf der Welt ist der Mittelkreis im Bruchweg 25<br />
Minuten vor Spielbeginn.“ Dennis MÜLLER ■<br />
[JOGU] 195/2006<br />
Foto.: Peter Pulkowski
Wissenschaft & Forschung<br />
Living history<br />
Abenteuer Mittelalter Historikern wird zumeist ein Mangel an Gegenwartstauglichkeit<br />
unterstellt. Was aber, wenn <strong>die</strong> Geschichte uns einholt? Als der<br />
Mittel<strong>deutsche</strong> Rundfunk eine Zeitreise in das fünfzehnte Jahrhundert realisierte,<br />
war Expertenrat gefragt. Der Mainzer Historiker Jörg Rogge half den Filmemachern,<br />
<strong>die</strong> Zeitmaschine zu be<strong>die</strong>nen.<br />
Deutschland im späten Mittelalter. Hätte jemand<br />
auf einer Landkarte alle Machtzentren farbig<br />
markiert, das Abbild des Reiches sähe wie eine<br />
Patchwork-Decke aus. Kirchliche und weltliche<br />
Herren haben ihre Herrschaftsgebiete abgesteckt.<br />
Die Menschen in den Einflusszonen von<br />
Burgen und Klöstern werden <strong>für</strong> den Erhalt der<br />
aufwändigen Bauwerke zu Fron<strong>die</strong>nsten herangezogen.<br />
Vor allem aber müssen <strong>die</strong> Bauern Abgaben<br />
leisten, zumeist in Form von Naturalien.<br />
Nur <strong>die</strong> Stadtluft macht frei, nur in den großen<br />
Handelsmetropolen, den Hansestädten etwa, ist<br />
das Leben selbstbestimmt, zumindest dem Gesetz<br />
nach. Ansonsten gibt es kaum eine Alternative<br />
zu einem Leben in Arbeit und Gehorsam.<br />
„Eine Magd erreichte im<br />
Mittelalter selten das hohe<br />
Alter von 62 Jahren.“<br />
Schloss Burgk in Thüringen, am 22. Mai 2005.<br />
Sechs Frauen und Männer versammeln sich im<br />
Burghof. Ihre Schürzen, Hauben und Hemden sind<br />
aus schlichtem Stoff gefertigt, kein Zierrat, kein<br />
Muster ist ihnen erlaubt. Klaus Werner, 52 Jahre<br />
alt, Ingenieur, Kay Dunker, 36 Jahre alt, Zimmermann,<br />
Andreas Burkhardt, 18 Jahre alt, Abiturient,<br />
Edelgard Lemcke, 62 Jahre alt, Rentnerin,<br />
Swaantje Kleff, 21 Jahre alt, Studentin und Bianca<br />
Wangemann, 18 Jahre alt, Schülerin, werden in<br />
ihre neuen Rollen eingewiesen. Als älterer, mittlerer<br />
und junger Knecht, als ältere, mittlere und<br />
junge Magd werden sie <strong>die</strong> nächsten sechs<br />
Wochen das Mittelalter am eigenen Leibe erfahren.<br />
Die Zeitreisemaschine des Mittel<strong>deutsche</strong>n<br />
Rundfunks hat sie dort abgesetzt, wo viele Menschen<br />
seinerzeit den Überlebenskampf aufnehmen<br />
mussten: im unmittelbaren Machtbereich eines<br />
mittelalterlichen Feudalherrn.<br />
„Völlig authentisch ist <strong>die</strong>se nachgestellte Situation<br />
natürlich nicht“, erläutert Dr. Jörg Rogge,<br />
Hochschuldozent am Historischen Seminar der<br />
[JOGU] 195/2006<br />
Johannes Gutenberg-Universität und in seiner<br />
Experten-Eigenschaft Berater der Fernsehproduktion<br />
„Abenteuer Mittelalter – Leben im 15. Jahrhundert“.<br />
„Eine Magd erreichte im Mittelalter<br />
selten das hohe Alter von 62 Jahren. Man muss<br />
ja auch bedenken, dass sie bereits als Kind in ihrer<br />
physischen Entwicklung gehemmt war, der<br />
Mangelernährung wegen. Im Grunde hätte<br />
man“, schmunzelt Rogge, „alle Darsteller vorher<br />
erst einmal einige Wochen hungern lassen müssen,<br />
das hätte zu Beginn ein realistischeres Bild<br />
abgegeben. Selbstverständlich ist das niemandem<br />
zuzumuten.“<br />
Thüringen im Jahre 1419. Bis <strong>die</strong> erste <strong>deutsche</strong><br />
Revolution ausbricht, bis Reformation und Bauernkriege<br />
zum ersten Mal in der <strong>deutsche</strong>n Geschichte<br />
<strong>die</strong> gesellschaftlichen Hierarchien in<br />
Frage stellen, werden noch über hundert Jahre<br />
vergehen. Am Anfang des 15. Jahrhunderts prägt<br />
<strong>die</strong> Vorstellung von einer gottgewollten Ordnung<br />
das Zusammenleben der Menschen, zumindest<br />
fern von Prag, wo <strong>die</strong> Hussiten bereits das Gegenwärtige<br />
in Frage stellen. Die gesellschaftlichen<br />
Grenzen sind jenseits von Böhmen klar gezogen:<br />
oben der Adel, dann einige wohlhabendere Bürger,<br />
unten der Rest. Der kulturelle Glanz höfischen<br />
Lebens war nur den geburtsrechtlich legitimierten<br />
Eliten vorbehalten. Der Alltag der<br />
anderen <strong>die</strong>nte der Sicherung des puren Überlebens<br />
– des eigenen, vor allem aber desjenigen<br />
der Herrschaft.<br />
Auch auf Schloss Burgk wurden Nutztiere<br />
gehalten, <strong>die</strong>se mussten versorgt<br />
und geschlachtet werden, zudem musste<br />
Brot gebacken, mussten Küchenkräuter<br />
angebaut und Reparaturen ausgeführt<br />
werden – im Mittelalter und im Jahr 2005.<br />
Den Mägden und Knechten, den gegenwärtigen<br />
ebenso wie den Profis des 15.<br />
Jahrhunderts, standen trotz der harten<br />
Waschen ist nötig:<br />
Nur am Sonntag darf<br />
gebadet werden<br />
Arbeit nur sehr karge Rationen zu: Das Gesinde<br />
aß, was von der herrschaftlichen Mahlzeit übrig<br />
blieb. Die Dienstboten bekamen kein Fleisch, und<br />
wenn, dann höchstens Verdorbenes oder Verbackenes,<br />
das eben nicht mehr <strong>für</strong> den herrschaftlichen<br />
Tisch taugte.Am Ende der Drehzeit wirkten<br />
<strong>die</strong> Darsteller deutlich authentischer denn zu Beginn.<br />
Die Härten des Burgalltags 2005 entsprachen<br />
den mittelalterlichen Zuständen durchaus.<br />
„Das Gesinde aß, was von der<br />
herrschaftlichen Mahlzeit<br />
übrig blieb.“<br />
Berater Rogge hat das allerdings nicht live miterlebt,<br />
er wurde erst in der Endphase des, wie er betont,<br />
gut vorbereiteten Projektes zu Rate gezogen.<br />
„Drehbuchautor Peter Behle hat, unterstützt<br />
durch Professor Ernst Schubert, welcher in Göttingen<br />
Geschichte des Mittelalters und niedersächsische<br />
Landesgeschichte lehrt, zwei Jahre recherchiert,<br />
das hat sich schließlich ausgezahlt“,<br />
so Rogge. Dennoch gab es <strong>für</strong> den Mainzer Historiker<br />
jede Menge zu tun. Während der Drehzeit<br />
hielten sich nur <strong>die</strong> Darsteller und das Kamerateam<br />
auf der Burg auf, schließlich sollte sich <strong>die</strong><br />
Situation eigenständig entwickeln können. Nachdem<br />
,das Gesinde’ von Küchenmeister Michael<br />
Kirchschlager, einem 39 Jahre alten Thüringer Historiker,<br />
in seine Aufgaben eingewiesen worden<br />
war, musste es weitgehend eigenständig den<br />
mittelalterlichen Alltag bewältigen. Unter dem<br />
Kommando von Burgvogt Maik Ellinger, 39 Jahre<br />
alt und im normalen Leben Unternehmer, sollte<br />
<strong>die</strong> Ordnung des Sozialkosmos Burg so lange aufrechterhalten<br />
werden, bis der adlige Burgherr<br />
von seiner Reise zurückkehren würde.<br />
Das Ergebnis <strong>die</strong>ser konzertierten Aktion wurde<br />
im November in komprimierter Form in Arte und<br />
im Dezember als Langfassung in der ARD ausgestrahlt.<br />
Für Rogge bedeutete das eine Sonderschicht<br />
zum Beginn des Wintersemesters. Knapp<br />
15 Stunden Rohschnitt hat er gesichtet. „Das Material<br />
übergab ein Bote aus Leipzig“, erinnert sich<br />
Fotos: Junghans © mdr
der Historiker. „Es wurde mir morgens, vor<br />
Dienstbeginn, in mein Sprechzimmer an der Uni<br />
gebracht, abends habe ich es mir angeschaut und<br />
der Redaktion mein Feedback durchgegeben.“<br />
Bei der Durchsicht ging es vor allem darum, <strong>die</strong> in<br />
der Phase der Eigenregie gemachten Fehler zu<br />
benennen. „Ein Problem stellten zum Beispiel <strong>die</strong><br />
Begrüßungsszenen dar. Die Darsteller haben sich<br />
am ersten Tag <strong>die</strong> Hand gegeben. Im Mittelalter<br />
verbeugten sich gut erzogene Menschen voreinander.<br />
Für das Gesinde spielten <strong>die</strong>se Regeln jedoch<br />
keine Rolle. Der Adel nahm <strong>die</strong> Dienerschaft<br />
überhaupt nicht wahr, und der Burgvogt, der in<br />
der Regel zum niederen Adel gehörte, gab allenfalls<br />
Befehle, er redete seine Untergebenen dabei<br />
nicht einmal mit ihren Namen an.“<br />
„Undenkbar, dass ein Angehöriger<br />
des niederen Adels sich im<br />
Mittelalter mit dem Dienstpersonal<br />
freundschaftlich unterhalten<br />
hätte.“<br />
Den Burgbewohnern des Jahres 2005 hat <strong>die</strong>ses<br />
Denken in Hierarchien Probleme bereitet. Das<br />
galt nicht nur <strong>für</strong> <strong>die</strong> Gruppe der Mägde und<br />
Knechte, sondern auch <strong>für</strong> ihre Vorgesetzten. Allein<br />
Burgvogt Maik Elliger habe seine Kommandofunktion<br />
ohne Schwierigkeiten ausgefüllt, so<br />
Rogge. Immerhin war und ist Elliger auch jenseits<br />
des Fernsehprojektes als amtierender Ritter, genauer,<br />
als Chef des Thüringer Ritterbundes, unterwegs.<br />
Der vom Vogt nach einiger Zeit auf <strong>die</strong> Burg<br />
geholte Knappe hingegen habe sich den Rollenvorgaben<br />
kaum fügen können. Als Auszubildender<br />
im Ritterhandwerk hätte der Zivil<strong>die</strong>nstleistende<br />
Christoph Krause zum Beispiel nur mit<br />
seinem Lehrherrn, Elliger also, kommunizieren<br />
dürfen. „Undenkbar, dass ein Angehöriger des<br />
niederen Adels sich im Mittelalter mit dem<br />
Dienstpersonal freundschaftlich unterhalten<br />
hätte“, erläutert der Mainzer Experte. Die Knappenausbildung<br />
sei ohnehin zur Fehlerquelle gera-<br />
ten. So hätte Christoph Krause wiederholt zur<br />
Armbrust gegriffen. Diese aber zähle ebenso wenig<br />
zu den Waffen eines künftigen Ritters wie<br />
Pfeil und Bogen – <strong>die</strong> mittelalterliche Kavallerie<br />
zog mit Lanzen und Schwertern in den Krieg.<br />
Auch mit den Kampfübungen habe sich das Team<br />
schwer getan. „Um einen Zweikampf zu zeigen,<br />
wurde einem der Knechte eine Ritterrüstung verpasst.<br />
Das war zwar filmisch interessant, wäre im<br />
15. Jahrhundert aber völlig undenkbar gewesen,<br />
weil unstandesgemäß.“<br />
„Die mittelalterliche Kavallerie<br />
zog mit Lanzen und Schwertern<br />
in den Krieg.“<br />
Rogge hat <strong>die</strong> entsprechenden Szenen gestrichen,<br />
und <strong>die</strong> Redaktion ist seinem Rat gefolgt.<br />
„Gott sei Dank hatte ich als Experte keine Alibifunktion<br />
inne“, so Rogge. Seine aktuelle Beratertätigkeit<br />
resultierte aus einer früheren Zusammenarbeit<br />
mit dem mittel<strong>deutsche</strong>n Rundfunk.<br />
Das Ergebnis des gegenwärtigen „Living<br />
history-Experimentes“ bewertet der Historiker<br />
positiv. „Hier werden geschichtliche, lebensweltliche<br />
Fakten einem breiteren Publikum zugänglich<br />
gemacht. Studenten der Geschichtswissenschaften<br />
wird das Anschauungsmaterial zum<br />
Quellentext geliefert. Und sie bekommen Lust auf<br />
<strong>die</strong> Me<strong>die</strong>narbeit.“ Der schreibenden und filmenden<br />
Zunft wirft Rogge einen zuweilen überbordenden<br />
Hang zur Ungenauigkeit vor, gegenwärtige<br />
und künftige Experten könnten hier<br />
korrigierend eingreifen, eben Klischees vermeiden<br />
helfen. Dass der Priester sich während der<br />
Predigt der Gemeinde zuwende, jeden Einzelnen<br />
beim Namen nenne und ihn in <strong>deutsche</strong>r Sprache<br />
anrede, entspräche ebenso wenig der mittelalterlichen<br />
Realität wie ein gemeinsames Sonnwendfest<br />
aller Burgbewohner, beschreibt Rogge weitere,<br />
im Rohmaterial der Fernsehfassungen<br />
enthaltene Eigenwilligkeiten. Allerdings hat der<br />
akademische Fachmann auch Verständnis <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
technischen Voraussetzungen der Fernseharbeit<br />
mitgebracht. „Beim Umbau des Drehortes haben<br />
Hunger besiegen:<br />
Versuche Brot zu backen<br />
sind fehl geschlagen<br />
13<br />
Abschlußfest:<br />
Das Gesinde muß<br />
arbeiten, arbeiten,<br />
arbeiten...<br />
Wissenschaft & Forschung<br />
<strong>die</strong> Verantwortlichen historisch korrekte Bedingungen<br />
geschaffen, sie haben etwa Fenster abgedeckt,<br />
damit <strong>die</strong> Räume dunkler werden. Dass<br />
nun aber in den Gesindestuben Kerzen und keine<br />
Ölfunzeln brennen, sollte nicht kritisiert werden.<br />
Schließlich brauchen Kameraleute eine Mindestbeleuchtung,<br />
sonst können sie ihre Arbeit nicht<br />
machen.“<br />
Deutschland in der späten Neuzeit. Im Fernsehen<br />
wird <strong>die</strong> Zeitmaschine von der Aktualität angehalten,<br />
auf das „Abenteuer Mittelalter“ folgen<br />
neue Arbeitslosenstatistiken, <strong>die</strong> sich in der Börsenkurve<br />
als zu erwartende Unternehmensrenditen<br />
spiegeln, dann, zur Erholung, der Tagesthemenströmungsfilm.<br />
Für Thüringen ist ein durchschnittlicher<br />
Wintertag angekündigt. Schloss<br />
Burgk ist längst von den Umbauten der Filmleute<br />
befreit, es strahlt in denkmalgeschütztem Glanz.<br />
Wie hart muss im fünfzehnten Jahrhundert ein<br />
Winter auf der Burg gewesen sein? Auch <strong>die</strong><br />
Burgherrn waren übrigens vor Unbilden witterungsbedingter<br />
und wirtschaftlicher Natur nicht<br />
geschützt. Im Spätmittelalter ließ sich kaum ein<br />
Knappe noch zum Ritter schlagen – <strong>die</strong> standesgemäße<br />
Ausrüstung war einfach zu teuer...<br />
Ulrike BRANDENBURG ■<br />
Tiere versorgen: Wichtigste<br />
Aufgabe und größtes Problem
Wissenschaft & Forschung<br />
Foto: Peter Thomas<br />
<strong>Fit</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Professur</strong><br />
Qualifizierungsprogramm mit Zertifikat Mainzer Wissenschaftler<br />
machen sich mit einem Programm des Zentrums <strong>für</strong> Qualitätssicherung und –<br />
entwicklung fit <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Professur</strong>. Neben dem Schwerpunkt Lehre sind auch<br />
Themen wie Mitarbeiterführung und Verwaltung Bestandteile des Angebots.<br />
Erst kommen Magister oder Diplom, dann Promotion,<br />
Habilitation oder <strong>die</strong> Juniorprofessur:<br />
Akademische Abschlüsse garantieren <strong>die</strong> fachliche<br />
Qualifikation von Universitätslehrern. Doch<br />
eine eigentliche Ausbildung zum Professor, <strong>die</strong><br />
auch Themen wie Lehre, Verwaltung und Mitarbeiterführung<br />
anschneidet, gibt es nicht. Hier<br />
setzt das Programm „Auf dem Weg zur <strong>Professur</strong>“<br />
des Zentrums <strong>für</strong> Qualitätssicherung und<br />
-entwicklung an, dessen zweiter Block im Wintersemester<br />
2005/06 zu Ende geht. Privatdozent<br />
Dr. Manfred Herzer hat das Programm entwickelt,<br />
dessen erste Staffel im Sommersemester 2004<br />
endete. Damals überreichte Herzer 27 erfolgreichen<br />
Absolventen ihr Zertifikat.<br />
[JOGU] 195/2006<br />
Nesselfieber<br />
Schubweises Auftreten der Krankheit<br />
rätselhaft Mediziner nennen <strong>die</strong><br />
Krankheit Urtikaria, weil <strong>die</strong> Haut der<br />
Patienten aussieht, als seien sie in <strong>die</strong><br />
Brennnesseln (lat. Urtica dioica) gefallen.<br />
Statistisch erleidet jeder vierte Erdenbürger<br />
mindestens einmal im Leben eine<br />
Urtikaria, meist in akuter Form.<br />
Nesselfieber (auch Nesselsucht oder engl. hives)<br />
zeichnet sich durch Quaddeln, Rötungen und/<br />
oder Schwellungen der Haut sowie starken Juckreiz<br />
aus. Quaddeln sind durch undichte Blutgefäße<br />
mit Flüssigkeit gefüllte Hohlräume zwischen<br />
den obersten Hautzellen. Sie können aber auch in<br />
tieferen Hautschichten auftreten. Dann heißen<br />
sie Angioödem und <strong>die</strong> Schwellung der Haut ist<br />
weniger gut sichtbar. Diese stets gleiche Symptomatik<br />
kann sehr verschiedene Ursachen haben<br />
und manchmal wird der eigentliche Krankheitsgrund<br />
gar nicht gefunden (idiopathische Urtikaria).<br />
Dauern <strong>die</strong> Beschwerden länger als sechs<br />
Wochen, sprechen Mediziner von chronischer Urtikaria.<br />
Etwa ein Prozent der Deutschen sind davon<br />
betroffen, meistens Frauen im Alter zwischen<br />
30 und 50 Jahren. Sie leiden dann täglich unter<br />
starkem Juckreiz, der den Schlaf raubt und sich<br />
manchmal durch Kratzen noch verstärkt. Ein Teufelskreis.<br />
Bei den meisten Menschen hat <strong>die</strong><br />
Krankheit jedoch einen akuten Auslöser, zum Beispiel<br />
einen Infekt oder eine Allergie, und auch<br />
ohne Behandlung verschwinden <strong>die</strong> Symptome<br />
bald wieder.<br />
Stets werden <strong>die</strong> Mastzellen in<br />
der Haut aktiviert, den Botenstoff<br />
Histamin auszuschütten,<br />
was dann zu den Quaddeln und<br />
dem Juckreiz führt.<br />
Kompetente Hilfe finden Betroffene vor allem in<br />
so genannten Urtikaria-Spezial-Sprechstunden<br />
(USS).Vorreiter war hier <strong>die</strong> Mainzer Universitäts-<br />
Hautklinik, wo 1998 <strong>die</strong> erste USS ins Leben gerufen<br />
wurde. Wie <strong>die</strong> Mitbegründerin und jetzige<br />
Leiterin der Mainzer USS, Dr. Petra Staubach, im<br />
Gespräch mit JOGU bestätigt, wird <strong>die</strong>ses Angebot<br />
von mehr als 1.000 Patienten jährlich ange-<br />
Leiterin der USS: Dr. Petra Staubach<br />
nommen. Mittlerweile gibt es in Deutschland<br />
mehrere USS, aber auch im Internet kann man<br />
sich informieren: Die website des urticaria network<br />
e.V., einem Verein von Dermatologen, der<br />
sich aus der Mainzer USS entwickelt hat, bietet<br />
sowohl Fachaustausch als auch Patienteninformationen.<br />
Die Arbeit in der Sprechstunde konfrontiert<br />
Staubach und ihr Team mit einer besonderen<br />
Gruppe von Urtikaria-Patienten. „In der<br />
Regel sind es chronische Fälle oder solche, <strong>die</strong> nur<br />
stationär abgeklärt werden können, so dass das<br />
Finden und Beseitigen der Krankheitsursache<br />
nicht immer einfach ist“, erklärt sie. Dabei kennt<br />
man den Mechanismus, der <strong>die</strong> Symptome hervorruft,<br />
seit langem: Stets werden <strong>die</strong> Mastzellen<br />
in der Haut aktiviert, den Botenstoff Histamin<br />
auszuschütten, was dann zu den Quaddeln und<br />
dem Juckreiz führt. Nur wundern sich <strong>die</strong> Experten<br />
bis heute, dass <strong>die</strong>se Körperreaktion von so<br />
verschiedenen Ursachen wie Medikamenten, einer<br />
Allergie oder einer Infektion hervorgerufen<br />
werden kann. So wird in vielen Fällen erst einmal<br />
symptomatisch behandelt, zum Beispiel mit Antihistaminika.<br />
Mit ihrer intensiven Ursachenforschung sowie<br />
der teilweisen Anwendung von alternativen Heilmethoden<br />
gehen <strong>die</strong> Mainzer einen Schritt weiter.<br />
„Wir haben zum Beispiel bei der autoreaktiven<br />
Form der Urtikaria in einer Stu<strong>die</strong> sehr gute<br />
Erfolge mit einer Eigenbluttherapie nachweisen<br />
können“, berichtet Staubach, „aber es gibt noch<br />
viele offene Fragen.“ Warum etwa sind Frauen<br />
nur im Erwachsenenalter häufiger betroffen? Es<br />
erkranken nämlich genauso viele Mädchen wie<br />
Jungen an Urtikaria. Rätselhaft ist weiterhin das<br />
schubweise Auftreten der Krankheit. Oft sind <strong>die</strong><br />
Quaddeln und Rötungen bereits nach wenigen<br />
Stunden wieder verschwunden. Ebenso muss<br />
15<br />
Foto: Frank Erdnüß<br />
Wissenschaft & Forschung<br />
noch erforscht werden, warum <strong>die</strong> Urtikaria bei<br />
Patienten, <strong>die</strong> auch Angioödeme aufweisen, häufig<br />
länger dauert und öfter einen schwereren Verlauf<br />
nimmt, als bei Patienten, <strong>die</strong> nur Quaddeln<br />
bekommen (etwa 40 %). Andererseits haben bisherige<br />
Untersuchungen schon viele neue Erkenntnisse<br />
gebracht. Es gibt zum Beispiel keinen<br />
Anhalt da<strong>für</strong>, dass das Auftreten einer Urtikaria<br />
vererbt wird und auch Stress ist entgegen vielen<br />
Vermutungen bisher nicht als Ursache identifiziert.<br />
„Er kann <strong>die</strong> Krankheit aber verschlimmern“,<br />
betont Staubach. Auf <strong>die</strong> nicht ganz ernst<br />
gemeinte Frage, ob auch Tiere Nesselfieber bekommen<br />
können, nickt <strong>die</strong> Ärztin und meint:<br />
„Meinen Hund habe ich bereits erfolgreich therapiert,<br />
natürlich außer<strong>die</strong>nstlich.“<br />
Frank ERDNÜSS ■<br />
Information: http://www.urtikaria.net/<br />
Typische Hautrötung und Quaddeln bei<br />
einer Urtikaria-Erkrankung.<br />
Fürs Leben<br />
gerne Blutspenden<br />
Spendeort Universität<br />
Mainz, Linke Aula<br />
Alte Mensa – Becher-Weg 5<br />
Spendetermine 2006<br />
Dienstag, 14. März<br />
Dienstag, 16. Mai<br />
Donnerstag, 13. Juli<br />
Dienstag, 19. Dezember<br />
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Gutenberg Universität Mainz<br />
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Tel. 06131/17-3216<br />
oder 3217<br />
[JOGU] 195/2006<br />
Abbildung: © Staubach
Fotos: B. Schumann-Schmid<br />
Wissenschaft & Forschung<br />
Mehr Lebensqualität<br />
Mainzer Modellprojekt „Bewegte<br />
Alten- und Pflegeheime“ Der Anteil<br />
älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung<br />
wird zunehmend größer.<br />
Daraus resultieren steigende Kosten<br />
<strong>für</strong> deren Betreuung und Pflege. Ein<br />
wichtiges Ziel ist deshalb, präventiv<br />
<strong>die</strong> körperliche Mobilität im Alter zu<br />
erhalten. Dadurch steigt <strong>die</strong> Lebensqualität<br />
der Betroffenen, werden Pflegepersonal<br />
entlastet und langfristig<br />
Pflegekosten reduziert.<br />
Pilotprojekte der Wissenschaftlerinnen PD Dr.<br />
Manuela Dittmar, Institut <strong>für</strong> Anthropologie, und<br />
Dr. Brunhilde Schumann-Schmid, Institut <strong>für</strong><br />
Sportwissenschaften der Johannes Gutenberg-<br />
Universität Mainz, sowie Untersuchungen anderer<br />
Forschergruppen zeigen, dass Menschen im<br />
hohen Alter sehr gut trainierbar sind. Allerdings<br />
liegen nur wenige Untersuchungen über <strong>die</strong> Trai-<br />
[JOGU] 195/2006<br />
Positive Testergebnisse:Gewichtsmanschetten<br />
(450g) an den<br />
Armen verbessern <strong>die</strong><br />
Kraftausdauer (Abb. 1)<br />
Gangsicherungstraining:Aufstehtest<br />
zur Ermittlung<br />
der Beinkraft (Abb. 2)<br />
nierbarkeit pflegebedürftiger Heimbewohner vor.<br />
Das Mainzer Modellprojekt „Bewegte Alten- und<br />
Pflegeheime“ der beiden Wissenschaftlerinnen<br />
wurde jetzt mit dem mit 30.000 Euro dotierten<br />
Förderpreis der Wilhelm-Woort-Stiftung <strong>für</strong> Alternsforschung<br />
ausgezeichnet.<br />
Dieses Projekt zielt darauf ab, ein modellhaftes<br />
anwendungsorientiertes sporttherapeutisches<br />
Interventionsprogramm zur Bewahrung und Reaktivierung<br />
körperlicher Mobilität <strong>für</strong> pflegebedürftige<br />
Heimbewohner zu entwickeln und zu<br />
etablieren. Das Projekt ist als Ausgangsbasis <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Initiierung von bewegungsfreundlichen Alten-<br />
und Pflegeheimen vorgesehen.<br />
Eine Trainingseinheit dauert<br />
mindestens 30 Minuten und<br />
beinhaltet Kraft-, Flexibilitätsund<br />
Gleichgewichtsübungen.<br />
Das Besondere des Forschungsprojekts liegt in<br />
der Art der Durchführung eines Bewegungsprogramms<br />
in der Großgruppe, der Länge des Bewegungsprogramms<br />
(6 Monate), den Nachuntersuchungen<br />
nach Beenden des Bewegungsprogramms<br />
und der Fortbildung der<br />
Pflegekräfte als Multiplikatoren<br />
<strong>für</strong> ein „bewegtes Altersheim“.<br />
Das Projekt gliedert sich in vier<br />
Phasen: Pilotphase (3 Monate),<br />
Hauptphase (6 Monate), Nachuntersuchung<br />
(3 Monate) und<br />
Weiterführungsphase (zeitlich unbegrenzt).<br />
In der Pilotphase<br />
wurde das Trainingsprogramm<br />
entwickelt und in einem ausgewählten<br />
Altersheim evaluiert,<br />
ebenso ein geriatrisches Assessment<br />
zur Erfassung von motorischem,<br />
kognitivem und sozialem Status der<br />
Heimbewohner. Auf <strong>die</strong>ser Grundlage wurde in<br />
der Hauptphase ein regelmäßiges Trainingsprogramm<br />
mit anschließendem geriatrischen Assessment<br />
in fünf Mainzer Alten- und Pflegeheimen<br />
(Bruder-Konrad-Stift, Alice-Schwesternschaft des<br />
DRK, Martinsstift, Bilhildis und Caritas-Altenzentrum<br />
Maria Königin) durchgeführt. Eine Trainingseinheit<br />
dauert mindestens 30 Minuten und beinhaltet<br />
Kraft-, Flexibilitäts- und Gleichgewichts-<br />
16<br />
übungen. Ziel ist, <strong>die</strong> Kraft der Bein- und Handmuskulatur<br />
zu kräftigen, <strong>die</strong> Beweglichkeit der<br />
Fuß-, Hand- und Schultergelenke zu verbessern<br />
sowie das statische und dynamische Gleichgewicht<br />
zu schulen (Abb. 1). Kleine Spielformen <strong>die</strong>nen<br />
primär der Motivation und Kommunikation<br />
in der Gruppe.<br />
Zur Weiterführung der Trainingseinheiten wurde<br />
speziell <strong>für</strong> Pflegekräfte ein kurzes Trainingsprogramm<br />
(10 Minuten Kurzprogramm) mit Fotodokumentation<br />
der Übungen konzipiert. Im Rahmen<br />
von Fortbildungsmaßnahmen wurden bisher<br />
60 Pflegekräfte über <strong>die</strong> Bedeutung des Trainings<br />
im Alter und dem damit einhergehenden Erhalt<br />
der Selbständigkeit, zum Beispiel beim Treppensteigen<br />
oder Ankleiden, informiert und in <strong>die</strong><br />
Kurzprogramme eingeführt. An <strong>die</strong> Hauptphase<br />
schließt sich nach einer Nachuntersuchung <strong>die</strong><br />
„Weiterführungsphase des Projektes in Eigenregie“<br />
durch <strong>die</strong> Alten- und Pflegeheime an. In<br />
drei der fünf Altenheime wurde <strong>die</strong>ses Ziel bereits<br />
erreicht, indem eine Pflegekraft <strong>für</strong> <strong>die</strong> regelmäßige<br />
Durchführung des Bewegungsprogramms<br />
freigestellt beziehungsweise eine qualifizierte<br />
Übungsleiterin in Kooperation mit einem Sportverein<br />
angestellt wurde.<br />
Neustes Projekt ist <strong>die</strong> Unterstützung der Altenund<br />
Pflegeheime bei der Umsetzung des Expertenstandards<br />
zur Sturzprophylaxe. Hierzu bieten<br />
<strong>die</strong> Wissenschaftlerinnen eine sportmotorische<br />
Testreihe zur Evaluierung des individuellen Sturzrisikos<br />
aus motorischer Sicht an und geben Hilfestellung<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Einrichtung eines präventiven<br />
Gangsicherungstrainings (Abb. 2). In zwei Altenheimen<br />
wurden aufgrund der Testergebnisse<br />
bereits Sportstudenten angestellt, <strong>die</strong> einmal wöchentlich<br />
ein spezielles Bewegungsprogramm zur<br />
Sturzprophylaxe durchführen. Auch <strong>die</strong>ses Sturzprophylaxeprogramm<br />
wird evaluiert. ■<br />
Information: http://www.MAMP.uni-mainz.de<br />
Interessenten an „Bewegten Alten- und Pflegeheimen“<br />
wenden sich bitte an:<br />
Dr. Brunhilde Schumann-Schmid, Tel. 06131/39<br />
23520, E-Mail: schumann@uni-mainz.de<br />
PD Dr. Manuela Dittmar, Tel. 06131/39 24003,<br />
E-Mail: dittmar@uni-mainz.de
Wirtschaftsfaktor Campus<br />
Stu<strong>die</strong> zeigt wirtschaftliche<br />
Bedeutung von Hochschulen<br />
Investitionen in Universitäten gelten<br />
als Investitionen in <strong>die</strong> Zukunft. Doch<br />
schon in der Gegenwart entstehen<br />
durch sie direkte ökonomische Effekte<br />
in der Region. Das belegen Wirtschaftswissenschaftler<br />
aus Kaiserslautern,<br />
Trier und Mainz in einer<br />
neuen Stu<strong>die</strong> über Rheinland-Pfalz.<br />
Hochschulen, Forschungseinrichtungen und <strong>die</strong><br />
Studentenwerke sind ein Wirtschaftsfaktor <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Region und über <strong>die</strong> Landesgrenze hinaus. Das<br />
belegt eine jetzt vorgelegte Stu<strong>die</strong> von Wirtschaftswissenschaftlern<br />
der Technischen Universität<br />
Kaiserslautern sowie der Universitäten Trier<br />
und Mainz. Gemeinsam haben sie <strong>die</strong> regionalwirtschaftlichen<br />
Effekte untersucht, <strong>die</strong> der Bau<br />
und Betrieb von Bildungseinrichtungen auslösen.<br />
Nach einjähriger Forschungsarbeit liegen ihre Ergebnisse<br />
jetzt vor: Für jeden vom Wissenschaftsministerium<br />
investierten Euro entstehe eine Bruttowertschöpfung<br />
von 1,58 Euro, errechnete das<br />
Forscherteam. Das macht <strong>für</strong> <strong>die</strong> vom Ministerium<br />
durchschnittlich investierten 560 Millionen<br />
Euro Wertschöpfungseffekte von 890 Millionen<br />
Euro.<br />
Für <strong>die</strong> Auftragsstu<strong>die</strong> des Ministeriums <strong>für</strong> Wissenschaft,<br />
Weiterbildung, Forschung und Kultur<br />
haben <strong>die</strong> Wissenschaftler <strong>die</strong> Durchschnittswerte<br />
von 35 öffentlich finanzierten Institutionen<br />
in Rheinland-Pfalz von 1999 bis 2003 ausgewertet.<br />
„Bundesweit ist <strong>die</strong> Untersuchung einmalig“,<br />
sagt Martin Flohr, Projektmitarbeiter an der Universität<br />
Mainz. „Denn zum ersten Mal werden<br />
<strong>die</strong> Input-Output-Analyse und <strong>die</strong> Multiplikatoranalyse<br />
zusammen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Untersuchung eines<br />
Flächenstaates eingesetzt.“ Dadurch würden <strong>die</strong><br />
gefundenen Ergebnisse durch <strong>die</strong> jeweils andere<br />
Methode abgesichert, so Flohr weiter.<br />
Für <strong>die</strong> Berechnungen zogen <strong>die</strong> Forscher <strong>die</strong> verfügbaren<br />
Einkommen der Beschäftigten, <strong>die</strong> Ausgaben<br />
der Studenten sowie <strong>die</strong> Investitionen und<br />
Sachausgaben der jeweiligen Einrichtung, etwaige<br />
Bauaufträge oder <strong>die</strong> Anschaffung von Geräten<br />
heran. Die rund 82.000 Studenten gäben<br />
jährlich etwa 585 Millionen Euro aus, das entspricht<br />
7.100 Euro je Student. Ein Ergebnis, mit<br />
dem <strong>die</strong> Wissenschaftler in dem Umfang nicht gerechnet<br />
hatten. „Über <strong>die</strong> Hälfte der Gesamteffekte<br />
werden durch <strong>die</strong> Konsumausgaben von<br />
Studenten verursacht“, sagt Prof. Dr. Peter M.<br />
Schulze vom Institut <strong>für</strong> Statistik und Ökonometrie<br />
der Universität Mainz. „Wir hatten nur mit einem<br />
Anteil von 30 bis 40 Prozent gerechnet.“ Von<br />
<strong>die</strong>sen Ausgaben profitierten insbesondere regionale<br />
Dienstleistungsbranchen. Auch als Arbeitgeber<br />
erfüllen <strong>die</strong> Einrichtungen eine wichtige<br />
Funktion und stellen 10.863 Vollzeitarbeitsplätze<br />
bereit, davon entfallen 8.888 auf in Rheinland-<br />
Pfalz ansässige Beschäftigte. Die vier direkten Effekte<br />
führen in der weiteren Wertschöpfungskette<br />
zu zusätzlichen indirekten Wirkungen, zum<br />
Beispiel weiteren rund 11.000 Arbeitsplätze bei<br />
rheinland-pfälzischen Unternehmen.<br />
„Zum ersten Mal werden <strong>die</strong><br />
Input-Output-Analyse und <strong>die</strong><br />
Multiplikatoranalyse zusammen<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Untersuchung eines<br />
Flächenstaates eingesetzt.“<br />
Bezogen auf <strong>die</strong> fünf Hochschulregionen zeigt<br />
sich ein differenziertes Bild. So steht <strong>die</strong> Region<br />
Mainz-Bingen mit einer Bruttowertschöpfung<br />
von 1,37 Euro je investiertem Euro an Platz zwei<br />
nach der Hochschulregion Trier (1,40 Euro). Auf<br />
den Plätzen drei bis fünf stehen <strong>die</strong> Regionen<br />
Landau, Kaiserslautern und Koblenz. Prof. Schulze<br />
warnt davor, eine Wertigkeit in <strong>die</strong>se Ergebnisse<br />
zu interpretieren. Die Stu<strong>die</strong> sei nicht mit einem<br />
Ranking zu verwechseln, weil sehr unterschiedliche<br />
Hochschulen und Forschungseinrichtungen<br />
verglichen worden seien.<br />
Die Zahlen spiegeln strukturelle Unterschiede<br />
wieder, keine qualitativen. Denn <strong>die</strong> Geisteswissenschaften<br />
benötigen meist niedrigere Investitionen<br />
und eine einfachere Ausstattung als Naturwissenschaften.<br />
Weist eine Universität hohe<br />
Studentenzahlen in geisteswissenschaftlichen<br />
Fächern auf, so führt das zu einer höheren Bruttowertschöpfung,<br />
wie der Spitzenreiter Trier belegt.<br />
Auf Basis der jetzt veröffentlichten Zahlen ver-<br />
17<br />
Wissenschaft & Forschung<br />
meintlich „billige“ Stu<strong>die</strong>ngänge zu fördern, sei<br />
jedoch der falsche Schluss, warnen <strong>die</strong> Wissenschaftler<br />
in der Stu<strong>die</strong>, zumal noch nicht alle Ergebnisse<br />
vorlägen. Denn der „klassischen Aufgabe“<br />
von Universitäten, der Bereitstellung von<br />
qualifizierten Absolventen und Forschungsergebnissen,<br />
wenden sich <strong>die</strong> Wissenschaftler erst im<br />
zweiten Teil des Projektes zu. Dann untersuchen<br />
sie, wie <strong>die</strong> Unternehmen durch <strong>die</strong> Nähe zu<br />
Hochschulen und Forschungsinstituten profitieren,<br />
zum Beispiel durch neue Patente und gut<br />
ausgebildete Arbeitskräfte. Bei der sogenannten<br />
Leistungsabgabe rechnen <strong>die</strong> Wissenschaftler<br />
hingegen eher bei technischen, naturwissenschaftlichen<br />
und wirtschaftlichen Stu<strong>die</strong>ngängen<br />
mit höheren Effekten. Ihre abschließenden<br />
Ergebnisse will das Forscherteam Ende <strong>die</strong>sen<br />
Jahres präsentieren. Sonja SMALIAN ■<br />
Information: Die Stu<strong>die</strong> steht unter<br />
http://www.statoek.vwl.uni-mainz.de/forschungsprojekt.htm<br />
als Download bereit.<br />
[JOGU] 195/2006
Wissenschaft & Forschung<br />
Helium macht<br />
Lunge sichtbar<br />
Innovation in Mainz Auf der„Medica<br />
2005“, der weltgrößten Messe <strong>für</strong> Medizinprodukte,<br />
wurden Physiker der Johannes<br />
Gutenberg-Universität ausgezeichnet, und<br />
zwar <strong>für</strong> <strong>die</strong> Entwicklung einer Apparatur zur<br />
Anwendung der Helium-Magnetresonanz-<br />
Tomographie. Die dazu notwendige Forschung<br />
wird vom Bundesministerium <strong>für</strong> Bildung und<br />
Forschung mit 300.000 Euro unterstützt.<br />
Bereits im Mai 1996 machten Professor Dr.<br />
Werner Heil und seine Kollegen mit ihrer Publikation<br />
in der medizinischen Fachzeitschrift „The<br />
Lancet“ 1 Furore. Sie hatten Bilder einer menschlichen<br />
Lunge mit Hilfe der so genannten Helium-<br />
Magnetresonanz-Tomographie (MRT) angefer-<br />
Foto: Frank Erdnüss<br />
Prof. Dr. Werner Heil im Labor mit Hyperpolarisationsanlage.<br />
tigt. Damit war es erstmals möglich, <strong>die</strong> Lunge<br />
detailliert dreidimensional darzustellen, ohne<br />
den Patienten einer Strahlenbelastung auszusetzen,<br />
wie sie beim Röntgen oder bei der Computer-Tomographie<br />
(CT) unvermeidlich ist. Am<br />
16. November 2005 wurde der Physiker Heil jetzt<br />
als einer von zehn Gewinnern<br />
beim Innovationswettbewerb<br />
zur Förderung der<br />
Medizintechnik in Düsseldorf<br />
geehrt. Im nächsten Jahr soll<br />
<strong>die</strong> dreijährige Förderung des<br />
Bundesministerium <strong>für</strong> Bildung<br />
und Forschung (BMBF)<br />
beginnen, denn, so Heil, „bis<br />
jetzt haben wir noch keine<br />
anwenderfreundliche Apparatur<br />
(einen so genannten<br />
Applikator), mit der das Edelgas<br />
dem Patienten zum richtigen<br />
Zeitpunkt und korrekt<br />
dosiert verabreicht werden<br />
kann.“ Bei der Entwicklung<br />
<strong>die</strong>ses marktreifen Applikators<br />
werden <strong>die</strong> Wissenschaftler<br />
von der Firma<br />
ic-automation GmbH unterstützt,<br />
einem Unternehmen<br />
mit einschlägiger Erfahrung<br />
und Sitz in Mainz-Weisenau.<br />
1 Lancet 1996; 347: 1297-1299<br />
18<br />
Eine normale MRT nutzt <strong>die</strong> Protonen des Wasserstoffs,<br />
welcher reichlich im menschlichen Körper<br />
vorhanden ist, um ein Bild zu erzeugen. Sie<br />
werden durch das starke Magnetfeld des Tomographen<br />
polarisiert und liefern dann ein elektrisches<br />
Signal, das gemessen und optisch sichtbar<br />
gemacht wird. So lassen sich Bilder von allen Organen<br />
anfertigen, <strong>die</strong> Wasser beziehungsweise<br />
Wasserstoff enthalten. Bei der luftgefüllten<br />
Lunge scheitert <strong>die</strong> MRT also. Es sei denn, man ersetzt<br />
<strong>die</strong> überwiegend aus Stickstoff und Sauerstoff<br />
bestehende Luft in der Lunge durch ein Gas,<br />
das ebenso wie <strong>die</strong> Protonen des Wasserstoffs<br />
polarisiert werden kann. Genau danach haben<br />
Heil und seine Kollegen gesucht und mit dem reaktionsträgen<br />
Edelgas Helium einen Stoff gefunden,<br />
der auch noch ungiftig ist – eine entscheidende<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> <strong>die</strong> medizinische<br />
Anwendung. So atmet also der Patient einen<br />
„Schluck“ polarisiertes Helium ein und schon<br />
lässt sich seine Lunge per MRT abbilden. Allerdings<br />
muss <strong>die</strong> Aufnahme genau im richtigen Moment<br />
gemacht werden, ansonsten ist das Helium<br />
schon wieder ausgeatmet. Und auch <strong>die</strong> eingeatmete<br />
Heliummenge, der so genannte Gasbolus,<br />
muss exakt bestimmbar sein. Nur dann kann man<br />
von einer standardisierten Methode sprechen,<br />
deren Ergebnisse vergleichbar sind. Zurzeit testen<br />
verschiedene Kliniken im In- und Ausland Helium-MRT’s<br />
innerhalb von klinischen Stu<strong>die</strong>n. Dabei<br />
werden zum Teil <strong>die</strong>jenigen Applikatoren<br />
genutzt, <strong>die</strong> als Prototypen in Mainz im Rahmen<br />
von Diplom- und Doktorarbeiten entwickelt wur-
den. Oder man behilft sich mit einfachen Plastiktüten,<br />
aus denen der Patient einen „Schluck“ Gas<br />
erhält. Für eine medizinische Routineanwendung<br />
ist das natürlich unbefriedigend, da das große<br />
diagnostische Potenzial <strong>die</strong>ser Methode nicht<br />
vollständig ausgeschöpft werden kann.<br />
So atmet also der Patient einen<br />
„Schluck“ polarisiertes Helium<br />
ein und schon lässt sich seine<br />
Lunge per MRT abbilden.<br />
In seinem Labor auf dem Mainzer Campus demonstriert<br />
Professor Heil <strong>die</strong> Hyperpolarisations-<br />
Anlage, etwa vier Meter lang und bestehend aus<br />
Röhren, Lasern und druckresistenten Zylindern.<br />
„Hyper“ heißt <strong>die</strong> Anlage deshalb, weil darin ein<br />
besonders hoher Prozentanteil des Edelgases polarisiert<br />
wird. Das Gas ist also schon vorpolarisiert,<br />
wenn es am Tomographen zum Einsatz<br />
kommt. Das wiederum hat zur Folge, dass man<br />
bei der Helium-MRT durchaus auch mit schwächeren<br />
Magnetfeldern arbeiten kann, um ein Signal<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Bildgebung zu empfangen. „Zurzeit<br />
laufen Experimente bei der Firma Boehringer in<br />
Ingelheim, um unter anderem festzustellen, welche<br />
magnetische Feldstärke <strong>für</strong> <strong>die</strong> Helium-MRT<br />
optimal ist“, erläutert Heil. Die Hyperpolarisation<br />
des Gases, einer Variante des natürlichen Heliums,<br />
der im Kern ein Neutron fehlt (3He oder 3-<br />
Helium), ist dagegen schon Routine. Der „leichte<br />
Bruder des Heliums“, wie Heil das Gas bezeichnet,<br />
wird bei sehr geringem Druck (1/1.000 bar)<br />
mit zirkular polarisiertem Laserlicht polarisiert.<br />
Das Verfahren heißt Optisches Pumpen und ist<br />
schon seit den 1960er Jahren bekannt. Dabei<br />
wird der Drehsinn des Lichtes auf <strong>die</strong> Elektronenhülle<br />
und schließlich über magnetische Wechselwirkung<br />
auch auf den Kern des 3-Helium-Atoms<br />
übertragen. Die Kerne, <strong>die</strong> als kleine rotierende<br />
Kreisel (Spin) aufgefasst werden können, richten<br />
sich dann fast vollständig entlang der Einfallsrichtung<br />
des Lichtes aus (Polarisation) und erzeugen<br />
so ein Magnetfeld. Dieses wird dann letztlich<br />
in der Helium-MRT nachgewiesen. Das polarisierte<br />
Gas wird anschließend in einem Druckzylinder<br />
komprimiert und bei zirka drei bar in speziellen<br />
Glaskolben gelagert. „Nur darin bleibt <strong>die</strong><br />
Polarisation möglichst lange erhalten“, erklärt<br />
der Experte, „denn unter Normalbedingungen<br />
würden <strong>die</strong> Spins ziemlich schnell wieder in den<br />
chaotischen Urzustand zurückkehren.“ Mehrere<br />
Jahre habe man geforscht, um <strong>die</strong>se optimale Lagerungsart<br />
zu finden. Jetzt kann das Gas noch<br />
nach mehr als 100 Stunden <strong>für</strong> eine MRT ver-<br />
Helium-MRT in der Mainzer Uni-Klinik: Ein Patient im<br />
Kernspin-Tomographen atmet polarisiertes 3-Helium ein.<br />
Diesen Prototyp eines Applikators gilt es nun zu ersetzen.<br />
wendet werden – was seinen Marktwert steigert.<br />
So wird das in Mainz polarisierte 3-Helium zum<br />
Beispiel auch ins europäische Ausland zu Kliniken<br />
nach Kopenhagen, Paris und Sheffield verschickt.<br />
Für den Transport mussten ebenfalls besondere<br />
Boxen entwickelt werden, in denen <strong>die</strong> Glaskolben<br />
sicher und von einem schwachen Magnetfeld<br />
umgeben verschickt werden können.<br />
Nur ungefähr 1,5 Millionen<br />
Liter 3-Helium fallen pro Jahr<br />
an, weltweit, und mit einem<br />
Liter Gas können in der Regel<br />
drei Patienten untersucht<br />
werden.<br />
Auf <strong>die</strong> Frage, woher er denn das „leichte Helium“<br />
bekommt, antwortet Heil: „3-Helium ist in<br />
der Atmosphäre nicht vorhanden. Es wird als Abfallprodukt<br />
aus dem radioaktiven Zerfall des Tritiums<br />
gewonnen und wir müssen es kaufen.“ Nur<br />
ungefähr 1,5 Millionen Liter 3-Helium fallen pro<br />
Jahr an, weltweit, und mit einem Liter Gas können<br />
in der Regel drei Patienten untersucht werden.<br />
Daher wird das seltene Edelgas nach der<br />
MRT wieder aufgefangen. Glaskolben und Transportbox<br />
mit verbrauchtem (nicht mehr polarisiertem)<br />
3-Helium kommen dann nach Mainz und damit<br />
in den Kreislauf zurück. Frank ERDNÜSS ■<br />
Information:<br />
http://www.helium.uni-mainz.de/<br />
oder http://www.physik.uni-mainz.de/exakt/<br />
helium3/forsch/anwend/lung/<br />
19<br />
Wissenschaft & Forschung<br />
Darstellung der menschlichen Lunge mit Hilfe der Helium-MRT.<br />
Oben <strong>die</strong> Lunge eines Gesunden, unten eine<br />
Raucherlunge. Die Pfeile markieren <strong>die</strong> nicht mehr funktionstüchtigen<br />
bzw. nicht mehr durchlüfteten Bereiche<br />
der Lunge.<br />
[JOGU] 195/2006<br />
Foto.: © Werner Heil<br />
Abb.: © Werner Heil
Campus international<br />
Xolelanani heißt Versöhnung<br />
Arbeiten und Leben im Ausland<br />
Studenten zieht’s in <strong>die</strong> Ferne, das<br />
war schon immer so. Noch nie aber<br />
war das Angebot so reichhaltig – von<br />
„Work and Travel“ bis zum Berufspraktikum<br />
reicht <strong>die</strong> Palette der Auslandsmöglichkeiten.<br />
Immer gefragter<br />
werden Engagements im Sozialbereich.<br />
Der Mainzer Student Jonas<br />
Schumacher stellte in Südafrika ein<br />
Schülerhilfsprojekt auf <strong>die</strong> Beine –<br />
und sucht mittlerweile Praktikanten.<br />
Andere Organisationen werben <strong>für</strong><br />
eine Mitarbeit im Umweltbereich.<br />
Folgende Organisationen waren<br />
auf der ersten Kontakt-Messe<br />
<strong>für</strong> Praktika im Ausland vertreten<br />
und stehen als ständige<br />
Ansprechpartner zur Verfügung:<br />
Das Kürzel ASA steht <strong>für</strong> „Arbeits- und Stu<strong>die</strong>naufenthalte<br />
in Asien, Afrika, Lateinamerika und Südosteuropa“.<br />
Es geht um <strong>die</strong> dreimonatige Mitarbeit in<br />
lokalen Entwicklungsprojekten, das ASA-Programm<br />
übernimmt <strong>die</strong> Flug- und Visakosten und garantiert den<br />
Lebensunterhalt vor Ort. Im WM-Jahr 2006 werden sich<br />
auch zehn Projekte mit dem Thema „Fußball und Entwicklung“<br />
beschäftigen.<br />
Infos unter www.asa-programm.de.<br />
AIESEC ist eine Studentenorganisation (mit UN-Berater-Mandat),<br />
<strong>die</strong> weltweit Praktika in den Bereichen<br />
Wirtschaft, Informationstechnologie und Entwicklungshilfe<br />
vermittelt. Die von der Organisation vermittelten<br />
Praktika werden bezahlt, <strong>die</strong> Vermittlungsgebühr beträgt<br />
250 Euro, davon werden 60 Euro <strong>für</strong> Vor- und<br />
Nachbereitungsseminare aufgewendet. Die Organisation,<br />
<strong>die</strong> mit 750 Lokalkomitees in über 90 Ländern der<br />
Welt präsent ist, verfügt auch über ein Büro an der<br />
Mainzer Uni, das unter der Telefonnummer 06131 / 38<br />
10 30 erreichbar ist und Auskünfte über <strong>die</strong> näheren<br />
[JOGU] 195/2006<br />
Wer wäre nicht daran interessiert, „ein junges<br />
Projekt zu leiten und durch den eigenen Input<br />
längerfristige Strukturen mitzugestalten“? Die<br />
Anforderungen – „abgeschlossenes Grundstudium<br />
der Betriebswirtschaftslehre, gute Englischkenntnisse,<br />
MS-Office und Web-Kenntnisse“ klingen<br />
erfüllbar. Außerdem wird ein „weltoffenes,<br />
selbstbewusstes“, vor allem aber „geduldiges<br />
Naturell“ gewünscht. Nanu!? „Arbeiten und Leben“<br />
sind übrigens im „Walmer Township (südafrikanisches<br />
Ghetto)“ angesiedelt!? Ja, richtig<br />
gelesen. Diese Anzeige steht so im Web, sie ist unter<br />
www.masifunde.de zu finden. Auch wenn das<br />
Angebot im aktuellen Trend liegt, der da heißt:<br />
fort von den Sprachaufenthalten, hin zu Sozialprojekten,<br />
sprich aktiv geleisteter Entwicklungsarbeit,<br />
bleibt das Anforderungsprofil ungewöhnlich.<br />
Ungewöhnlich ist auch der Arbeitgeber.<br />
Jonas Schumacher stu<strong>die</strong>rt in Mainz Politikwissenschaften,<br />
BWL und afrikanische Ethnologie,<br />
und er engagiert sich in Südafrika – und zwar<br />
schon seit einem guten halben Jahrzehnt.<br />
Teilnahmebedingungen gibt. AIESEC ist übrigens <strong>die</strong><br />
Abkürzung <strong>für</strong> „Association Internationale des étudiants<br />
en sciences économiques et commerciales“, das<br />
Kürzel AIESEC wird inzwischen als eigenständiger<br />
Name benutzt. Weitere Infos auch unter<br />
www.aiesec.de, Kontakt: info@aiesec oder Tel. 0228 /<br />
289 80 10 (auch Seminaranmeldung).<br />
IAESTE ist das Kurzwort <strong>für</strong> „International Association<br />
for the Exchange of Students for Technical Experience“,<br />
<strong>die</strong> Organisation ist aus AIESEC hervorgegangen.<br />
IAESTE managt seit 57 Jahren weltweit den Austausch<br />
von Stu<strong>die</strong>renden der Ingenieur- und Naturwissenschaften,<br />
und zwar in einer Größenordnung von<br />
300.000 Praktika. Das <strong>deutsche</strong> IAESTE-Komitee ist <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> ausländischen Stu<strong>die</strong>renden zuständig, Deutsche<br />
werden von den entsprechenden Organisationen des<br />
Gastlandes betreut. IAESTE arbeitet eng mit dem DAAD<br />
(Deutscher Akademischer Austausch<strong>die</strong>nst) zusammen.<br />
Infos unter www.iaeste.de.<br />
Ein Sonderforum <strong>für</strong> Juristen stellt <strong>die</strong> Vereinigung elsa<br />
dar. Die „European Law Students’ Association“ vermittelt<br />
ihren Mitgliedern Trainee-Programme im europäischen<br />
Ausland. Die Praktika werden bezahlt, der Lebensunterhalt<br />
vor Ort ist damit gesichert. Grund- und<br />
Vermittlungsgebühren belaufen sich auf maximal 38,50<br />
Euro, <strong>die</strong> Kosten <strong>für</strong> Reise und Unterkunft müssen selbst<br />
aufgebracht werden. Infos unter www.elsa.org, Kontakt:<br />
vpstep@elsa-germany.org.<br />
20<br />
Wie aus einem Praktikanten ein selbständiger Organisator<br />
von nachhaltiger Entwicklungshilfe<br />
werden kann, zeigt Schumachers südafrikanischer<br />
Werdegang. Von 1998 bis Anfang 2000 arbeitete<br />
er, selbstfinanziert, als Zivil<strong>die</strong>nstleistender<br />
im Jugendzentrum Xolelanani. Das hieß nach<br />
einer Weile auch Wohnen im Township – „ich<br />
wollte nicht immer <strong>die</strong> Hunde meiner weißen Vermieter<br />
anketten müssen, wenn schwarze Freunde<br />
kamen.“ 2002 war er wieder vor Ort, als Praktikant<br />
der Naumann-Stiftung Südafrika und Student<br />
an der Mainzer Partneruniversität in Port<br />
Elizabeth, der Nelson Mandela Metropolitan University.<br />
Allerdings: „Die Begegnung mit den<br />
Freunden aus dem Jugendzentrum, <strong>die</strong> ich in meiner<br />
Zivi-Zeit kennen gelernt hatte, war insofern<br />
frustrierend, als keiner von ihnen seine Pläne verwirklicht<br />
hatte“, erzählt Schumacher. „Wer eine<br />
Township-Schule besucht, hat an der Uni keine<br />
Chance.“ Denn hier wird englisch gesprochen<br />
und nicht Xhosa, <strong>die</strong> in Südafrika neben Zulu gebräuchlichste<br />
Bantu-Sprache. Englisch lernt aber<br />
Info-Kasten Info-Kasten<br />
Auch <strong>die</strong> Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit vermittelt<br />
weltweit Praktika. Eine Info-Broschüre liegt vor, zudem<br />
kann ein monatlich erscheinender, elektronischer<br />
Newsletter über bonn-zav.jobs-und-praktika-imausland@arbeitsagentur.de<br />
abonniert werden. Weitere<br />
Infos unter www.wege-ins-ausland.de, www.europaserviceba.de<br />
und Hotline 01805 / 22 20 23 (0,12 Cent<br />
pro Festnetzminute).<br />
An eine dreimonatige Mindestdauer gebundene<br />
Stipen<strong>die</strong>n im europäischen Ausland vermittelt <strong>die</strong><br />
Fachhochschule Trier. Es können sich Stu<strong>die</strong>rende und<br />
Graduierte aller Fachrichtungen bewerben, Voraussetzung<br />
ist, dass sie an einer rheinland-pfälzischen oder<br />
saarländischen (Fach)Hochschule eingeschrieben sind<br />
und dass sie sich bereits selber einen Praktikumsplatz<br />
organisiert haben. In den Leistungen enthalten sind <strong>die</strong><br />
Fahrtkosten, ein Sprachkurs und ein Kurs zur kulturellen<br />
Vorbereitung. Der Aufenthalt wird, abhängig von der<br />
Praktikumsvergütung, mit monatlichen Beträgen zwischen<br />
50 und 500 Euro unterstützt. Infos unter www.<br />
leonardopraktika.de, Kontakt: leonardo@fh-trier.de<br />
oder Tel. 0651 / 810 33 13 (Prof. Dr.-Ing. Jan Christoph<br />
Otten).<br />
Masifunde Bildungspatenschaften e.V. Infos<br />
unter www.masifunde.de, Kontakt: info@masifunde.de<br />
oder Jonas Schumacher (0176 / 22 21 57 66). Spenden:<br />
Masifunde Patenschaften e. V., Kto. 1605856, BLZ<br />
50950068, Sparkasse Bensheim.
nur der, der <strong>die</strong> ehemals staatlich geförderten und<br />
ehemals ausschließlich , weißen’ Eliteschulen besucht.<br />
Das kostet im Monat 400 Rand (40 Euro)<br />
und ist <strong>für</strong> <strong>die</strong> meisten Menschen im Township<br />
nicht bezahlbar, zumal noch Kosten <strong>für</strong> <strong>die</strong> Schuluniform,<br />
das Schulmaterial, den Transport, <strong>die</strong><br />
Verpflegung und diverse Rahmenprogramme<br />
dazu kommen. Schumacher begann, Eltern, Verwandte,<br />
Freunde und Bekannte um Unterstützung<br />
<strong>für</strong> Township-Kinder zu bitten. „Das funktionierte<br />
über <strong>die</strong> Maßen gut“, so Schumacher im<br />
Rückblick. Unter der Mithilfe von Uli Thum, Pola<br />
Etz und anderen Studenten entwickelte sich das<br />
Schul-Projekt „Masifunde“ kontinuierlich im<br />
Sinne eines Patenschaftsmodells weiter. Insgesamt<br />
16 Kinder erhalten inzwischen durch <strong>die</strong><br />
Unterstützung von „Masifunde“ eine englische<br />
Bildung, <strong>die</strong> reale gesellschaftliche Perspektiven<br />
erschließen kann. Bei „Masifunde“ (übersetzt:<br />
„Lasst uns lernen“) handelt es sich mittlerweile<br />
um einen eingetragenen Verein unter der Schirmherrschaft<br />
von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries.<br />
Die Projekt-Arbeit läuft nach wie vor auf<br />
ehrenamtlicher Basis. In Zukunft soll „Masifunde“<br />
in Afrika vor allem durch Praktikanten<br />
(gewünscht: ein „weltoffenes, selbstbewusstes<br />
Die Frankfurter Steuben-Schurz-Gesellschaft,<br />
laut Eigenwerbung Deutschlands ältester deutsch-amerikanischer<br />
Freundschaftsverein, bietet im Rahmen ihres<br />
USA-Interns-Programmes eine kostenlose Vermittlung<br />
von USA-Praktika an. Die Praktika sind zumeist<br />
bezahlt, <strong>die</strong> Kosten <strong>für</strong> Flug und Unterkunft tragen<br />
<strong>die</strong> Teilnehmer. Infos unter www.usa-interns.org,<br />
www.steuben-schurz.org, info@usa-interns.de, 069 /<br />
71 44 86 09, Mo.-Do. 9-17 Uhr, Frau Tamsin Barford.<br />
Unter dem Stichwort „Abenteuer Artenschutz“<br />
werben unter anderem <strong>die</strong> Zoologische Gesellschaft<br />
Frankfurt und das Forschungsinstitut Senckenberg <strong>für</strong><br />
Praktika und Volontariate auf der Leguanstation der Isla<br />
de Utila (Honduras). Infos unter www.utila-iguana.de,<br />
www.zgf.de, www.senckenberg.de, www.aboututila.<br />
com. Kontakt: volo@utila-iguana.de.<br />
Weltweit agiert auch Travelworks, <strong>die</strong> Organisation<br />
vermittelt Kombi-Pakete, im Bereich „Arbeiten (Job und<br />
Freiwilligenarbeit) und Reisen“ und Sprachkurse. Infos<br />
unter info@travelworks.de, www.travelworks.de, Tel.<br />
02506 / 30 47-0.<br />
Frankophilen sei der Kontakt zum Haus Burgund<br />
empfohlen.Wer in Rheinland-Pfalz geboren wurde, dort<br />
wohnt oder stu<strong>die</strong>rt, kann sich an das hauseigene Praktikantenbüro<br />
wenden, und zwar unter 06131 / 23 43 17<br />
oder burgund@uni-mainz.de.<br />
Mit „Internationalen Praktika mit attraktiven Stipen-<br />
Info-Kasten<br />
und geduldiges Naturell“) betreut werden. „Vor<br />
Ort herrscht Organisationsbedarf. Jetzt im Januar<br />
geht <strong>die</strong> Betriebswirtschaftlerin Anita Börner<br />
nach Port Elizabeth, sie wird <strong>die</strong> Buchhaltung<br />
professionalisieren“, erläutert Schumacher. Ab<br />
Juli werden Praktikanten durch <strong>die</strong> ASA (siehe<br />
Info-Kasten) unterstützt, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Kosten <strong>für</strong> Flug<br />
und Unterkunft übernimmt und ein Taschengeld<br />
zahlt.<br />
„Wer eine Township-Schule<br />
besucht, hat an der Uni<br />
keine Chance.“<br />
„Praktikant/in gesucht“ – auch jenseits des<br />
Ghettos gibt es eine Fülle von Möglichkeiten. Die<br />
Liste der Ansprechpartner ist größer als im Info-<br />
Kasten aufgeführt. Es hilft <strong>die</strong> Informationsbroschüre<br />
der „Abteilung Internationales der Johannes<br />
Gutenberg-Universität Mainz“ weiter. Auf 23<br />
Seiten finden sich <strong>die</strong> Adressen von Kulturinstituten,<br />
Anbietern von Austauschprogrammen,<br />
Jugendwerken und Stipen<strong>die</strong>n vergebenden Organisationen,<br />
außerdem gibt der DAAD Info-Broschüren<br />
heraus. Denjenigen, <strong>die</strong> nicht mit einem<br />
<strong>deutsche</strong>n Arbeitgeber ins Ausland gehen möch-<br />
<strong>die</strong>n bei Global Playern“ werben auch MLP Services <strong>für</strong><br />
Studenten und Absolventen. Unter dem Kampagnen-<br />
Motto „Join the best“ ist eine Bewerbung um insgesamt<br />
13 Praktikumsplätze etwa bei Shell London oder<br />
Siemens New York möglich. Leider liegt der Bewerbungsschluss<br />
stets im Spätherbst. Die MLP-Akademiker-Beratung<br />
ist unter hochschulteam.unimainz@mlp.de<br />
oder Tel. 06131 / 20 15 19 zu erreichen.<br />
Jobben, Au-Pair, Praktika und Freiwilligenprojekte in<br />
Amerika, Kanada, Neu Seeland, Australien, Süd Afrika<br />
und In<strong>die</strong>n bietet auch AIFS Deutschland, eine Tochterorganisation<br />
der American Institute For Foreign<br />
Study Group, an. Die Vermittlungsgebühren liegen oft<br />
über 540 Euro, Jobs werden unter anderem im Restaurant-Bereich<br />
angeboten. Infos unter Info@aifs.de,<br />
www.aifs.de.<br />
Fachpraktika in Übersee vermittelt InterSwop. Diese<br />
Full-Time-Jobs sind allerdings größtenteils unbezahlt,<br />
<strong>die</strong> Aufenthaltskosten müssen vom Teilnehmer getragen<br />
werden. Infos unter www.interswop.com,<br />
info@interswop.com.<br />
Sprachreisen <strong>für</strong> Selbstzahler bieten <strong>die</strong> Carl Duisberg<br />
Sprachreisen. Bei <strong>die</strong>sem Programm gibt es<br />
auch <strong>die</strong> Möglichkeit, Teilstipen<strong>die</strong>n zu erhalten. Infos<br />
unter 0221/16 26-289, sprachreisen@cdc.de.<br />
Die Vermittlung bezahlter Auslandspraktika und eine<br />
weitergehende Betreuung verspricht <strong>die</strong> niederländi-<br />
21<br />
Campus international<br />
ten, sondern sich vor Ort bewerben wollen, sei an<br />
<strong>die</strong>ser Stelle das von AISEC (siehe Info-Kasten)<br />
wiederholt angebotene Bewerbungstraining<br />
empfohlen. Denn natürlich bringt jedes Auslandspraktikum<br />
ganz eigene Erfahrungen und<br />
Vorteile mit sich, auch jenseits des Township,<br />
auch jenseits des Mangrovenwaldes – und selbst<br />
jenseits des Pluspunktes in der Kategorie „Soft<br />
Skills“, <strong>die</strong> von potentiellen Arbeitgebern so geschätzt<br />
wird.<br />
„Ich selber hatte mich weiter entwickeln können“,<br />
erläuterte Jonas Schumacher seine Motivation<br />
<strong>für</strong> sein Schulprojekt. „Die Zukunfts-Visionen<br />
der Freunde waren im Sande verlaufen.“ ,Die eigene<br />
Zukunft gestalten’ ist also das Stichwort –<br />
innerhalb und außerhalb von Port Elizabeth.<br />
Denn das Motto des Walmer Township gilt <strong>für</strong><br />
alle: „Xolelanani“ heißt „Versöhnung“ – eben<br />
der verschiedenen und jederzeit erlebbaren Welten<br />
unseres Planeten. Ulrike BRANDENBURG ■<br />
Hinten: Jonas Schumacher und Thembisile „Prof“<br />
Mtyaleka, stehend von links: Olwethu Mabele,<br />
Nomazangwa Magopeni, Liyema Nkomo, Yonela<br />
Mkele, kniend von links: Cindy Gamanda, Nolusindiso<br />
Nonto, Hussein Jbonomali, Zanele Stout<br />
sche Organisation „Euro Praktikum“. Die Kosten <strong>für</strong><br />
das Service-Paket liegen zwischen satten 1.250 und<br />
1.950 Euro. Infos unter www.europracticum.com (Zum<br />
Vergleich: Die Teilnahme an einem von AIESEC professionell<br />
organisierten zweistündigen englischen Bewerbungstraining<br />
kostet fünf Euro.) ■<br />
[JOGU] 195/2006<br />
Foto: privat
Campus international<br />
„Inseln der Effizienz“<br />
Der Staat im Fokus der Ethnologie<br />
2006 beginnt ein dreijähriges<br />
Forschungsprojekt zur Funktion staatlicher<br />
Institutionen in Westafrika, das<br />
von dem Mainzer Ethnologen Professor<br />
Dr. Thomas Bierschenk koordiniert<br />
wird. Das umfangreiche Unternehmen,<br />
bei dem Forscher aus Deutschland und<br />
vier afrikanischen Ländern zusammenarbeiten,<br />
wird von der Volkswagen-<br />
Stiftung mit 515.800 Euro unterstützt.<br />
Das viel zitierte Bild vom chaotischen Staat lässt<br />
der Mainzer Ethnologe Professor Dr.Thomas Bierschenk<br />
nicht gelten. „Inseln der Effizienz“ nennt<br />
der Professor am Institut <strong>für</strong> Ethnologie und Afrikastu<strong>die</strong>n<br />
der Johannes Gutenberg-Universität<br />
Mainz seine Gegenbeispiele: gut funktionierende<br />
Verwaltungsseinrichtungen, <strong>die</strong> Bierschenk<br />
selbst aus seinen Aufenthalten in Westafrika<br />
kennt. Das können zum Beispiel öffentliche Schulen<br />
sein, <strong>die</strong> trotz widriger Bedingungen guten<br />
Unterricht anbieten. Solchen Beispielen stehen<br />
jedoch durchaus auch chaotische Zustände in der<br />
Verwaltung und Korruption gegenüber.<br />
Staatliche Funktionen in Afrika wird Bierschenk<br />
zusammen mit Kollegen aus Afrika in den nächsten<br />
drei Jahren in einem umfangreichen Forschungsprojekt<br />
untersuchen. Das Vorhaben heißt<br />
„Der öffentliche Dienst und seine Beamten in<br />
Westafrika: Das Erziehungswesen und <strong>die</strong> Justiz<br />
in Benin, Ghana, Mali und Niger“ und soll eine<br />
empirische Datenbasis über afrikanische Verwaltungseinrichtungen<br />
auf verschiedenen Ebenen<br />
am Beispiel von Rechtssprechung und Ausbildung<br />
ergeben. So will das deutsch-afrikanische<br />
Team eine Lücke schließen, <strong>die</strong> immer wieder in<br />
Diskussionen deutlich wird: „Der Staat<br />
als Institution in Afrika ist definitiv untererforscht,<br />
dennoch wird er immer wieder<br />
<strong>für</strong> Entwicklungsdefizite verantwortlich<br />
gemacht“, so erläutert Bierschenk den<br />
Hintergrund des Projektes. Die Bedeutung<br />
des Vorhabens hat auch <strong>die</strong> Volkswagen-<br />
Stiftung erkannt: Sie fördert das Projekt mit<br />
515.800 Euro.<br />
„Der Staat als Institution in<br />
Afrika ist definitiv untererforscht,<br />
dennoch wird er<br />
wieder <strong>für</strong> Entwicklungsdefizite<br />
verantwortlich<br />
gemacht.“<br />
Im Januar 2006 beginnt das Projekt mit der Besprechung<br />
des Arbeitsprogramms. Zurzeit sind<br />
acht Senior Researchers, darunter <strong>die</strong> Mainzer<br />
Professoren Dr. Carola Lentz und Dr. Michael Bierschenk,<br />
sowie neun Doktoranden in <strong>die</strong> Untersuchung<br />
eingebunden. Die Wissenschaftler kommen<br />
aus Deutschland sowie den Ländern, in<br />
denen <strong>die</strong> Forschungen stattfinden: Benin, Niger,<br />
Mali und Ghana. Geleitet wird das Projekt von<br />
Bierschenk und Dr. Tidjani Alou.<br />
Durch <strong>die</strong>se enge, gleichberechtigte Zusammenarbeit<br />
mit afrikanischen Kollegen setzt das Mainzer<br />
Projekt darauf, Beziehungen und Abläufe<br />
staatlicher Verwaltung aus der Innensicht der<br />
untersuchten Staaten zu verstehen. Die dreijährige<br />
Dauer des Vorhabens, so Bierschenk, mache<br />
es auch möglich, noch während des Projektes mit<br />
Methoden und Fragestellungen dynamisch auf<br />
<strong>die</strong> ersten Ergebnisse zu reagieren. Ziel der Kooperation<br />
ist es aber auch, <strong>die</strong> Zusammenarbeit<br />
zwischen europäischen und afrikanischen Wissenschaftlern<br />
zu verbessern und den Dialog zwischen<br />
afrikanischen Forschern aus frankophonen<br />
und anglophonen Ländern zu verbessern.<br />
Polizeialltag im Film: Videokassettencover<br />
aus Westafrika<br />
Während das ambitionierte deutsch-afrikanische<br />
Forschungsprojekt anläuft, setzt sich das Institut<br />
im Wintersemester 2005/06 mit der Vortragsreihe<br />
„Krieg, Krisen und Konfliktbewältigung in Afrika“<br />
mit der politischen und sozialen Gegenwart in<br />
Afrika auseinander. Auch in <strong>die</strong>ser Vortragsreihe,<br />
begleitend zur Ausstellung „Africa Screams“ im<br />
Frankfurter Museum der Weltkulturen, wird <strong>die</strong><br />
Rolle des Staates und seiner Institutionen <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Entwicklung Afrikas thematisiert.<br />
Peter THOMAS ■<br />
Information: Vortragsthemen im Februar sind<br />
„Paradoxien staatlich geförderter Kriminalitätsprävention<br />
in Südafrika“ (Thomas Kirsch,<br />
7. Februar), „Dezentralisierung in Kamerun:<br />
Ressourcen, Interessen, Konflikte“ (Projektgruppe<br />
Mainz, 14. Februar) sowie „Strategie<br />
und Beiträge der Entwicklungszusammenarbeit<br />
zur Konfliktbearbeitung und Friedenskonsoli<strong>die</strong>rung<br />
in Afrika“ (Uwe Kievelitz, 21. Februar).<br />
Abb. © Sunny Collins Production
Traditionen pflegen<br />
Studenten feiern schwedisches Lucia-Fest Die Vorweihnachtszeit geht an<br />
der Universität meist in den allgemeinen Vorbereitungen <strong>für</strong> Prüfungen und<br />
Referate unter. Weihnachtsfeiern finden auf hastig geschmückten Gängen mit<br />
Glühwein und Spekulatius aus der Tüte statt oder werden gleich direkt auf den<br />
Weihnachtsmarkt verlegt. Dass es auch anders geht, demonstrierten <strong>die</strong><br />
Studenten und Lehrkräfte des Stu<strong>die</strong>ngangs Sprachen Nordeuropas und des<br />
Baltikums (SNEB). Sie feierten das schwedische Lucia-Fest mit einer Prozession<br />
durchs Philosophicum.<br />
Einen Kranz mit fünf weißen Kerzen trägt Martina<br />
Grasmück auf ihrem Kopf. In einem langen weißen<br />
Kleid schreitet <strong>die</strong> 22 Jahre alte Studentin<br />
aufrecht durch das Erdgeschoss des Philosophicums.<br />
Mit einer Kerze in der Hand folgen ihr etwa<br />
50 Studenten und Lehrkräfte gemessenen Schrittes.<br />
Gemeinsam singen sie, begleitet von einer<br />
Gitarre, das Lucia-Lied – auf schwedisch. Die Stu<strong>die</strong>renden<br />
in der Halle beobachten verwundert<br />
und neugierig zugleich den ungewöhnlichen<br />
Umzug.<br />
Zum dritten Mal feiert der Forschungs- und Lehrbereich<br />
„Sprachen Nordeuropas und des Baltikums“,<br />
kurz SNEB genannt, im Dezember das<br />
schwedische Lucia-Fest. Seit 1780 ist <strong>die</strong>ses Fest<br />
in Schweden bekannt und seit 1929 auch in Finnland<br />
offizieller Feiertag. Dabei wird der heiligen<br />
Lucia gedacht, <strong>die</strong> wegen ihres christlichen Glaubens<br />
getötet worden ist. Traditionell weckt <strong>die</strong><br />
Lussibrud, also <strong>die</strong> Lucienbraut, ihre schlafenden<br />
Familienmitglieder am 13. Dezember sehr früh<br />
morgens und serviert ihnen Gebäck mit Kaffee.<br />
Dabei trägt sie ein weißes Kleid und einen Kranz<br />
mit Kerzen. „Aber auch jedes Unternehmen, jede<br />
Schule und jede Stadt wählt eine Lucia“, sagt Eva<br />
Windrath, seit vielen Jahren Lehrbeauftragte <strong>für</strong><br />
Schwedisch an der Universität. Die Lucia von<br />
Stockholm sei etwa mit einer <strong>deutsche</strong>n Weinkönigin<br />
vergleichbar, nur das sie blond sein sollte.<br />
Zu ihren Aufgaben zähle auch, <strong>die</strong> Nobelpreisträger<br />
auf traditionelle Weise zu wecken. „Die<br />
finden das jedoch meist nicht so gut“, lacht<br />
Windrath, eine gebürtige Schwedin. „Denn <strong>die</strong><br />
Lucia kommt schon sehr früh.“<br />
In Mainz beginnt <strong>die</strong> Feier erst um 12 Uhr und<br />
viele Studenten des kleinen Fachbereichs sind gekommen.<br />
Nach der Prozession treffen sich alle<br />
auf dem weihnachtlich geschmückten Flur im er-<br />
sten Stock und drängen sich um den großen Tisch<br />
mit den traditionellen schwedischen Keksen und<br />
Stollen. Es gibt Lussekatter, ein mit Rosinen verziertes<br />
Hefegebäck und Pepparkakor, also Pfefferkuchen.<br />
Dazu trinkt man Glögg, den schwedischen<br />
Glühwein mit Mandeln und Rosinen. „Das<br />
wäre in Schweden oder Finnland gar nicht möglich“,<br />
sagt Eva Windrath. Denn dort dürfe in Universitäten<br />
kein Alkohol ausgeschenkt werden.<br />
„Die Lucia kommt schon<br />
sehr früh.“<br />
Mit den regionalen Besonderheiten Nordeuropas<br />
und des Baltikums können sich <strong>die</strong> Studenten am<br />
Lehrbereich intensiv vertraut machen. Acht<br />
Hauptsprachen werden angeboten: Schwedisch,<br />
Norwegisch, Dänisch, Isländisch, <strong>Lettisch</strong>, Litauisch,<br />
Finnisch und Estnisch. Jeder Student erlerne<br />
davon mindestens drei Sprachen, aus den verschiedenen<br />
Sprachfamilien, sagt Prof. Dr. Anneli<br />
Sarhimaa, <strong>die</strong> den Stu<strong>die</strong>ngang seit 2002 leitet.<br />
Diese Form mache den Stu<strong>die</strong>ngang in Europa<br />
einzigartig, erläutert sie nicht ohne Stolz. Seit seiner<br />
Gründung 1993 werden im Lehrbereich <strong>die</strong><br />
Besonderheiten des Nord-Ostens der Europäischen<br />
Union vermittelt und <strong>die</strong> Region als Ganzes<br />
behandelt. Neben Mainz gibt es weltweit nur<br />
noch zwei weitere Lehrstühle, an denen das gesamte<br />
Spektrum der ostseefinnischen Sprachen<br />
gelehrt werde, nämlich in Tartu (Estland) und Helsinki,<br />
heißt es auf der Homepage des Instituts.<br />
Derzeit gebe es etwa 65 reguläre Stu<strong>die</strong>rende<br />
im Haupt- und Nebenfach, sagt Prof. Sarhimaa.<br />
Die Sprachkurse stünden jedoch <strong>für</strong> Stu<strong>die</strong>rende<br />
aller Fachbereiche offen, an denen<br />
jährlich mehr als 600 Studenten teilnähmen,<br />
so Sarhimaa weiter. Um <strong>die</strong>se umfangreiche<br />
Angebot zu gewährleisten,<br />
23<br />
Schwedische Tradition:<br />
Martina Grasmück als Lucia<br />
Campus international<br />
kämen regelmäßig Gastdozenten an <strong>die</strong> Universität<br />
Mainz. Außerdem unterhalte der Lehrbereich<br />
mit mehr als zehn Universitäten Kooperationen.<br />
Für <strong>die</strong> Organisation der Austauschprogramme<br />
arbeiten sie eng mit dem Erasmus-<br />
Sokrates-Programm der Europäischen Union zusammen.<br />
Und obwohl viele der Studenten schon<br />
längere Zeit in einem nordischen Land gelebt<br />
haben, ist es doch <strong>für</strong> einige von ihnen das erste<br />
Lucia-Fest, wie <strong>die</strong> Eintragungen in dem blauen<br />
Gästebuch belegen: „Mein erstes Lucia-Fest –<br />
ich komme wieder…“ Das ist Ansporn <strong>die</strong> Tradition<br />
zu pflegen. Und weil nach dem Fest vor dem<br />
Fest ist, hat Martina Grasmück ihr Amt schon <strong>für</strong><br />
das nächste Jahr an ihre ebenfalls blonde<br />
Kommilitonin Wanda Guckes übergeben.<br />
Sonja SMALIAN ■<br />
Information: Die SNEB-Studenten treffen<br />
sich jeden 1. und 3. Mittwoch im Semester um<br />
19 Uhr zu einem offenen Stammtisch im<br />
„Besitos“ am Mainzer Hauptbahnhof. Infos<br />
auch unter www.sneb.uni-mainz.de<br />
[JOGU] 195/2006<br />
Foto: Katharina Zeller
Kultur auf dem Campus<br />
Weltraum-Comics und Hirsche<br />
auf gesticktem Grund<br />
<strong>Lettisch</strong>-<strong>deutsche</strong> <strong>Kunstbegegnung</strong><br />
Acht lettische und acht<br />
<strong>deutsche</strong> junge Künstler zeigten im<br />
vergangenen November und Dezember<br />
ihre Arbeiten in Mainz. Das Gemeinschafts-Projekt<br />
„starp citu RIGA<br />
MAINZ“ ging auf das neue Sokrates/<br />
Erasmus-Austauschprogramm <strong>für</strong><br />
Stu<strong>die</strong>rende der Kunst-Akademien<br />
beider Städte zurück.<br />
Was erzählt das Ölbild eines afrikanischen Künstlers<br />
über den afrikanischen Kontinent? Zunächst<br />
einmal gar nichts, denn Ölbilder haben mit einer<br />
genuin afrikanischen Tradition nicht das Mindeste<br />
zu tun, in den Ländern Afrikas widmete<br />
man sich vorrangig der Skulptur, und <strong>die</strong>se besaß<br />
einen primär religiösen Bezug. Beim innereuropäischen<br />
Kunstaustausch scheinen solche Missverständnisse<br />
ausgeschlossen zu sein, immerhin<br />
gibt es den gemeinsamen, den kontinentalen<br />
Nenner – <strong>die</strong> vielbeschworene Kontinuität<br />
abendländischer Kulturgeschichte. Was also soll<br />
da noch schief gehen – vorausgesetzt, dass der<br />
Ausstellungs-Besucher Klischees aus seinem Ge-<br />
[JOGU] 195/2006<br />
„Defilee“ von Agnese Rudzıte -<br />
dächtnis streicht, allgemeine historische Sonderentwicklungen<br />
beachtet und auf keinen Fall den<br />
internationalen Bezug außer Acht lässt, schließlich<br />
ist der Kunstmarkt weltumspannend, und <strong>die</strong><br />
Künstler nutzen dessen vielfältige Einflüsse.<br />
Lebensgroße gipserne Schafe,<br />
Mäuse und Affen hatten sich<br />
auf Geheiß der Künstlerin in<br />
grelle Kunststoff-Felle gehüllt<br />
und auf <strong>die</strong> Hinterbeine<br />
gestellt.<br />
Im November und Dezember zeigten lettische<br />
und <strong>deutsche</strong> Künstler ihre Arbeiten in den Beton-Gewölben<br />
der Mainzer Katakomben und in<br />
den Räumen der Hauptfiliale Mainz der Deutschen<br />
Bundesbank. Die Gemeinschaftsausstellung<br />
war ein Projekt der Universität, genauer, ein<br />
Geschenk der Uni an <strong>die</strong> ganze Stadt, das dritte<br />
nach einer rein <strong>deutsche</strong>n Kunstschau im vorletzten<br />
und einer italienischen Gastpräsentation im<br />
letzten Jahr. Auslöser der jüngsten<br />
Ausstellung war der frisch initiierte<br />
Sokrates/Erasmus-Stu<strong>die</strong>rendenaustausch<br />
der Kunstakademien Mainz<br />
und Riga. Tanja Löhr, ihres Zeichens<br />
Künstlerin und Beauftragte <strong>für</strong> Öffentlichkeitsarbeit<br />
an der Mainzer<br />
Akademie und Sabine Teichreb, als<br />
Slawistin speziell <strong>für</strong> <strong>die</strong> Auslandskontakte<br />
eben der Akademie zuständig,<br />
waren ab November 2004 in Riga<br />
unterwegs. Sie stellten ihr Vorhaben<br />
vor, knüpften Kontakte und tourten<br />
durch <strong>die</strong> Ateliers, denn Kuratorin<br />
Löhr und Übersetzerin Teichreb wa-<br />
ren und sind neugierig auf Kultur(en).<br />
Die Projektleiterinnen verbuchten<br />
ihre optischen Eindrücke nicht unter<br />
dem Stichwort „Reizüberflutung“, sondern unter<br />
der Kategorie „prima, gefällt mir gut, aber was<br />
gibt’s sonst noch?“. Zur Seite stand ihnen <strong>die</strong> in<br />
Riga arbeitende Künstlerin Solveiga Vasiljeva. Im<br />
Oktober 2005 waren <strong>die</strong> auf der Grundlage von<br />
Bewerbungen jurierten Ergebnisse der <strong>deutsche</strong>n<br />
Kunstreise durch fremde und heimische Werkstätten<br />
in Riga zu sehen, es folgte Mainz.<br />
24<br />
Lettland also – ehemals sozialistisch, inzwischen<br />
moderner als der Westen, zumindest in Teilen der<br />
Gesellschaft. Aus der Kunstszene schwappen immer<br />
wieder avantgardistische Highlights nach<br />
Westeuropa, aus der Theaterszene zumal. Und<br />
<strong>die</strong> Bildende Kunst? Sie hat sich vom sozialistischen<br />
Realismus längst verabschiedet, und vom<br />
krampfhaften Festhalten an ins Illustrative gewendeten<br />
Vorbildern der Klassischen Moderne<br />
auch. Kein Ostblock-typischer Neo-Chagall also<br />
in Mainz, das wäre auch fatal gewesen, schließlich<br />
haben wir den echten. Und <strong>die</strong> Künstler waren<br />
<strong>für</strong> so etwas auch viel zu jung. Der Hang zum<br />
Poetischen, Erzählerischen und Magischen aber<br />
war durchaus gegeben, und <strong>die</strong>ses Spielerisch-<br />
Leichte hätte eine Ostperspektive bestätigen<br />
können, wenn, ja wenn <strong>deutsche</strong> Kolleg/innen<br />
nicht zuweilen ähnliche Vorlieben hegten. Aber<br />
vielleicht sind alle internationalen Gemeinsamkeiten<br />
bereits <strong>die</strong> Früchte diverser Austauschprogramme<br />
oder privater Reisen.<br />
Im Falle Laura Prikules, Jahrgang 1977, ist das definitiv<br />
so. Wie alle Gäste hat sie an der lettischen<br />
Kunstakademie stu<strong>die</strong>rt, zugleich hat sie am San<br />
Francisco Art Institute ihren Master of Fine Arts<br />
erworben. Ihre farbigen Bildtafeln arbeiten mit<br />
den Prinzipien der Reihung und Variation von Zeichen,<br />
ihre Arbeit lässt sich wie eine Theorie der<br />
Semiotik lesen – der entsprechende Diskurs aber<br />
gehört in West und Ost zum intellektuellen Rüstzeug,<br />
<strong>die</strong> Frage nach Herkunftsidentitäten muss<br />
einmal mehr unbeantwortet bleiben.<br />
Bei der zweiten im lettischen Bunde könnte man<br />
genuin Östliches vermuten, suchte man es denn.<br />
Agnese Rudzıte, - wurde 1980 geboren und<br />
machte ihr Examen im Fach Bildhauerei. Rudzıtes -<br />
in Mainz gezeigte „Defilees“ wirkten wie Bühnenbilder<br />
zu einem Science-Fiction-Film, lebensgroße<br />
gipserne Schafe, Mäuse und Affen hatten<br />
sich auf Geheiß der Künstlerin in grelle Kunststoff-Felle<br />
gehüllt und auf <strong>die</strong> Hinterbeine gestellt<br />
– eine psychologisch motivierte Feier des<br />
Skurrilen.<br />
Rasa Jansone dann, Jahrgang 1973. Das Figurenbild<br />
ist ihr Fach, allerdings behandelt sie das<br />
Genre nicht in klassischer Manier. Zum Ausdruck<br />
von Gemütszuständen hat sie offensichtlich Comic-,<br />
genauer Manga-Vorlagen bemüht, das
wirkt expressiv und ironisch zugleich, Selbstbeobachtung<br />
auf distanziertem Niveau – und japanisch<br />
inspiriert.<br />
Elına - Gibite , schließlich, als vierte von insgesamt<br />
acht lettischen Künstler/innen sei sie genannt. Ihr<br />
so genanntes Selbstporträt ist fragmentiert und<br />
facettenreich, Gibite , hat Kunstleder, Metall, Siebund<br />
Digitaldruck verwendet, um beidseitig lesbare,<br />
durch Fäden verknüpfte Bildtafeln im Raum<br />
schweben zu lassen. Ein Mobile der Stimmungen<br />
ist entstanden: Prinzip Monet (Achtung Frankreich!),<br />
angewendet auf das Selbstbild.<br />
Gibite , hat Kunstleder, Metall,<br />
Sieb- und Digitaldruck verwendet,<br />
um beidseitig lesbare,<br />
durch Fäden verknüpfte Bildtafeln<br />
im Raum schweben<br />
zu lassen.<br />
Und <strong>die</strong> <strong>deutsche</strong>n Teilnehmer, waren sie auch so<br />
international oder erzählten sie uns etwas über<br />
Deutschland? Anke Schreck hat letzteres auf ironische<br />
Weise getan.Wir erfahren, dass es alle Klischees<br />
noch gibt, von denen wir nie wieder etwas<br />
wissen wollten. Die ehemalige Meisterschülerin<br />
Friedemann Hahns ließ in ihrem so genannten<br />
Deutschen Pavillon Hirsche auf gesticktem Grund<br />
weiden, eine Zeitungsannonce vom Ableben des<br />
geliebten Waldi erzählen und über allem <strong>die</strong> Loreley<br />
thronen. Ein Gartenzelt voller Flohmarktreifer<br />
Versatzstücke <strong>deutsche</strong>r Leitkultur, nur Dürers<br />
„betende Hände“ fehlten, vermutlich nicht<br />
unabsichtlich, man hätte ja fragen können: „Beten<br />
<strong>für</strong> was?“ Vielleicht <strong>für</strong> etwas, was längst eingetreten<br />
ist, <strong>die</strong> Entrümpelung <strong>deutsche</strong>r Bilderwelten<br />
nämlich. Susanne Dietz, noch an der<br />
Mainzer Akademie stu<strong>die</strong>rend, hat ihre Figurenkosmen<br />
jedenfalls internationalisiert (also<br />
doch!).Aus transparentem Papier erstandene Gestalten<br />
bewegen sich Chimären gleich über graue<br />
Betonwand. Passend zum Ausstellungsort ,Katakombe’<br />
kommuniziert ein Pharao mit einem alles<br />
andere als gruftigen Comic-Helden. Den „Tempel“<br />
aber, den Dietz in einiger Entfernung aus<br />
meterlangen Bahnen Abdeckfolie hat erstehen<br />
lassen, hält <strong>die</strong> Künstlerin Figuren-frei – <strong>die</strong> luftige<br />
Konstruktion wird auf <strong>die</strong>se Weise zum Projektionsraum<br />
<strong>für</strong> imaginierte Heiligkeiten. Noch<br />
weiter hinaus aus Deutschland möchte Anika Rosenberg.<br />
In ihrer Video-Arbeit inszenierte sie sich<br />
als Tramp zwischen den Galaxien, in ihren mit Eitempera<br />
auf Leinwand aufgebrachten Gemälden<br />
entwarf sie kristalline, <strong>für</strong> den Kampf im All be-<br />
stimmte Waffen, dem Trend einer Militarisierung<br />
von Welt und Kultur folgend. „Bis zum Vietnam-<br />
Krieg“, so erläuterte Rosenberg ihr Konzept,<br />
„kam in Weltraum-Comics kein martialisches Gerät<br />
vor.“ Wieder ‘was gelernt. Und gleich eine lettisch-<strong>deutsche</strong><br />
Gemeinsamkeit entdeckt – <strong>die</strong><br />
Nutzung von Versatzstücken<br />
der so genannten<br />
Populärkultur, zwecks<br />
theatralisierender Formulierungübernationaler<br />
Positionen. Bei<br />
deren Inszenierung <strong>die</strong><br />
Ausstellungsräume, besonders<br />
<strong>die</strong>jenigen der<br />
Mainzer Katakomben, grandios mitspielten. Der<br />
Charme des Betongraus unterstützte sogar <strong>die</strong><br />
Fotoarbeiten Frank Möllenbergs. Des Künstlers<br />
menschenleere Szenarien, gerne in Bunkeratmosphäre<br />
gehalten, nahmen in ähnlicher Umgebung<br />
an Intensität zu.<br />
Der sechsköpfigen Jury, an der unter anderem<br />
Solvita Krese, Direktorin des Zentrums <strong>für</strong> zeitgenössische<br />
Kunst Lettlands und <strong>die</strong><br />
Mainzer Kunstprofessorin Anne Berning<br />
beteiligt waren, ist <strong>die</strong> Auswahl<br />
von 16 aus 80 Bewerbern, <strong>die</strong> beiden<br />
Gastkünstler nicht mitgerechnet, nicht<br />
leicht gefallen. Das Ergebnis aber überzeugte<br />
als überaus anspruchsvolles<br />
und gelungenes Projekt. Seine Kosten<br />
von 35.000 Euro waren übrigens von<br />
Stadt, Land und Bund, vor allem aber<br />
von Sponsoren übernommen worden.<br />
Parallel zu den Kunstausstellungen<br />
fand ein reichhaltiges Begleitprogramm<br />
statt, das Musik, Film und Literatur<br />
umfasste.<br />
Der interkulturelle Dialog „starp citu RIGA<br />
MAINZ“ kann also als erfolgreich bezeichnet<br />
werden. Weil <strong>Lettisch</strong>-Kenntnisse erworben werden<br />
konnten – ‘starp’ bedeutet ‘zwischen’ und<br />
‘citu’ steht <strong>für</strong> ‘das Andere’. Weil deutlich wurde,<br />
dass in Lettland nicht nur Öl- beziehungsweise<br />
Acrylbilder gemalt werden (obwohl <strong>die</strong> kontinentale<br />
Tradition solche Aktivitäten durchaus erlaubt).<br />
Weil sichtbar wurde, dass <strong>die</strong> lettische<br />
junge Kunst poetisch, magisch, farbig und spielerisch<br />
und international ist. Wie <strong>die</strong> <strong>deutsche</strong><br />
junge Kunst auch. Ulrike BRANDENBURG ■<br />
25<br />
„Selbstportrait“<br />
von Elına - Gibite ,<br />
Kultur auf dem Campus<br />
„Deutscher Pavillon“ von Anke Schreck<br />
„Entwicklung“ von Laura Prikules<br />
[JOGU] 195/2006
Foto: Peter Thomas<br />
Kultur auf dem Campus<br />
Dem Rieslingtourismus auf der Spur<br />
Untersucht Tourismus und Weinbau:<br />
Studentin Beatrice Fraccaro<br />
„Im Ausland herrscht <strong>die</strong> Meinung vor, dass<br />
Deutschland <strong>die</strong> Heimat des Biers ist, <strong>die</strong> <strong>deutsche</strong><br />
Weinkultur scheint den Menschen weniger<br />
bewusst zu sein“, sagt Beatrice Fraccaro. Die 22<br />
Jahre alte italienische Tourismus-Studentin<br />
[JOGU] 195/2006<br />
Abschlussarbeit über Weinbau Wie sich<br />
Tourismus und Weinbau in Rheinland-Pfalz gegenseitig<br />
ergänzen, untersucht <strong>die</strong> italienische<br />
Erasmus-Studentin Beatrice Fraccaro während<br />
ihres Semesters an der Universität Mainz.<br />
schreibt gegen <strong>die</strong>sen Zustand mit ihrer Abschlussarbeit<br />
an. Beatrice Fraccaro kommt selbst<br />
aus einer bedeutenden Weinregion Europas, dem<br />
italienischen Veneto. In Mainz absolviert sie zurzeit<br />
ein Erasmus-Gastsemester und recherchiert<br />
<strong>für</strong> eine Abschlussarbeit über den Weinbau in<br />
Rheinland-Pfalz und seine touristische Dimension.<br />
Auf das Thema ist <strong>die</strong> junge Frau aus Verona gekommen,<br />
als sie sich über ihren <strong>deutsche</strong>n Stu<strong>die</strong>nort<br />
informierte. Immer wieder wurde in den<br />
Berichten <strong>die</strong> Rolle der Bischofsstadt als bedeutender<br />
Weinhandelsort thematisiert. So beschäftigte<br />
sich Beatrice Fraccaro näher mit Wein, Winzern<br />
und der Weinwirtschaft und entwickelte das<br />
26<br />
Konzept einer Abschlussarbeit mit dem vorläufigen<br />
Titel „Touristische Folgen des Weinbaus“. Die<br />
Darstellung der Weinkultur aus dem Blickwinkel<br />
von Reisenden passt zum Stu<strong>die</strong>nfach von<br />
Fraccaro.<br />
Die größten Unterschiede zwischen dem Weinbau<br />
in Deutschland und Italien standen <strong>für</strong><br />
Fraccaro schon früh fest. Besonders betreffe <strong>die</strong>s<br />
<strong>die</strong> Verteilung der Weinbauflächen in beiden Ländern:<br />
„Während es in Deutschland <strong>die</strong> bestimmten<br />
Anbaugebiete gibt, haben in Italien fast alle<br />
Regionen eine eigene Weinbautradition“, so <strong>die</strong><br />
Italienerin. In ihrer Heimat, dem Veneto, sei <strong>die</strong><br />
Weinkultur sehr stark ausgeprägt, erzählt<br />
Fraccaro. Ihre eigene Familie betreibt zwar selbst<br />
keinen Weinbau, aber der Wein ist dennoch Teil<br />
des täglichen Lebens: „In Italien gilt <strong>die</strong> Maxime,<br />
dass das beste Essen nicht ohne ein kleines Glas<br />
Wein schmeckt“.<br />
Wo am Rhein Riesling, Müller-Thurgau, Weißburgunder,<br />
Spätburgunder und Dornfelder angebaut<br />
werden, wachsen rund um Verona <strong>die</strong> Rebsorten<br />
Valpolicella, Amarone, Soave, Bardolino und der<br />
als Rosé ausgebaute Chiaretto. Eine<br />
große Rolle spiele der Wein in beiden<br />
Regionen. Deshalb freut sie sich<br />
auf einen detaillierten Vergleich des<br />
Veneto mit Rheinland-Pfalz.<br />
Aufgefallen ist der Gaststudentin<br />
bereits der unterschiedliche Umgang<br />
mit Wein im täglichen Leben:<br />
Während in Italien vor allem zum<br />
Essen Wein getrunken wird, inszenierten<br />
<strong>deutsche</strong> Weinliebhaber das<br />
Getränk eher als Mittelpunkt geselliger<br />
Treffen in Weinstuben und<br />
Straußwirtschaften. Auf <strong>die</strong>se Konsumgewohnheiten<br />
will Fraccaro einen<br />
Schwerpunkt ihrer Arbeit legen.<br />
Im Mittelpunkt wird jedoch <strong>die</strong> Einbindung<br />
von Wein und Weinbau in<br />
<strong>die</strong> touristischen Konzepte des<br />
Bundeslandes stehen. Gerade <strong>die</strong><br />
Präsentation von kleineren Regionen<br />
oder einzelnen Städten und Gemeinden<br />
über das Thema Wein<br />
interessiert sie besonders.<br />
Peter THOMAS ■
Fotos: Peter Pulkowski<br />
Als neuer W2-<br />
Professor <strong>für</strong> Neue<br />
Me<strong>die</strong>n ist Professor<br />
Dieter Kiessling<br />
tätig.<br />
Dieter Kiessling, Jahrgang<br />
1957, nahm zum<br />
Wintersemester 1978/<br />
79 sein Kunststudium<br />
an der Kunstakademie Münster auf. Im folgenden<br />
Semester entschied sich Kiessling <strong>für</strong> Sport als<br />
weiteres Fach <strong>für</strong> sein 1986 abgelegtes Erstes<br />
Staatsexamen <strong>für</strong> das Lehramt <strong>für</strong> Sekundarstufe<br />
II in den Fächern Kunst, Erziehungswissenschaften<br />
und Sport. Im selben Jahr wurde er zum Meisterschüler<br />
der Kunstakademie Münster ernannt,<br />
erhielt den Produktionspreis der Internationalen<br />
Videonale Bonn und ist bereits seit <strong>die</strong>ser Zeit<br />
freiberuflich als Bildender Künstler tätig. 1990<br />
erhielt Kiessling das Karl Schmidt-Rottluff-Stipendiat,<br />
den Förderpreis des Kulturkreises im BDI<br />
sowie den Caspar-von-Zumbusch-Preis, im Folgejahr<br />
den Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen<br />
und 1992 den Förderpreis zum ersten Deutschen<br />
Videopreis. Ebenfalls 1992 wurde ihm der<br />
Akademiebrief der Kunstakademie Münster ausgehändigt.<br />
Lehrerfahrung sammelte Kiessling<br />
während einer Gastprofessur an der Hochschule<br />
der Künste Bremen, von 1997 bis 2003 als Professor<br />
<strong>für</strong> Me<strong>die</strong>nkunst an der Staatlichen Hochschule<br />
<strong>für</strong> Gestaltung Karlsruhe, sowie von 2004<br />
bis 2005 als Vertretungsprofessor <strong>für</strong> künstlerische<br />
Fotografie an der Universität Duisburg-<br />
Essen. Kiesslings künstlerische Arbeiten beschäftigen<br />
sich v.a. mit Video, Fotografie und Installation,<br />
vor allem als Closed-circuit-Installation. ■<br />
Dr. Friedemann<br />
Kreuder wurde auf<br />
<strong>die</strong> W3-<strong>Professur</strong><br />
<strong>für</strong> das Fach Theaterwissenschaft<br />
berufen.<br />
Friedemann Kreuder,<br />
Jahrgang 1967, stu<strong>die</strong>rte<br />
von 1988 bis<br />
1994 Theaterwissenschaft,<br />
Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft<br />
sowie Germanistik an der Mainzer<br />
Johannes Gutenberg-Universität. Die folgenden<br />
zwei Jahre war er Stipendiat am Mainzer Graduiertenkolleg<br />
„Theater als Paradigma der<br />
Neu an der Uni<br />
Moderne: Drama und Theater im 20. Jahrhundert<br />
(ab 1880)“. 1996 wechselte Kreuder als Wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter an das Institut <strong>für</strong> Theaterwissenschaft<br />
der Freien Universität Berlin, wo<br />
er ab April 2001 auch als Wissenschaftlicher<br />
Assistent tätig war und sich im Sommer <strong>die</strong>ses<br />
Jahres mit einer Arbeit über „Spielräume der<br />
Identität in Theaterformen des 18. Jahrhunderts“<br />
habilitierte. Kreuder ist Gastdozent am Institut <strong>für</strong><br />
Theaterwissenschaft der Universität Bern und am<br />
Gilmorehill Center for Theatre, Arts and TV der<br />
University of Glasgow sowie Gastprofessor am<br />
Stu<strong>die</strong>ngang Schauspieltheaterregie der Hamburger<br />
Theaterakademie. Seine Forschungsgebiete<br />
umfassen Theater als Medium des kulturellen<br />
Gedächtnisses sowie ältere und neuere<br />
Theatergeschichte. Für seine im Berliner Alexander-Verlag<br />
als Buch erschienene Dissertation<br />
„Formen des Erinnerns im Theater Klaus Michael<br />
Grübers“ erhielt er im Jahr 2004 den 2. Tiburtius-<br />
Preis der Berliner Hochschulen. Kreuder wurde im<br />
November vergangenen Jahres zum Vize-Präsidenten<br />
der Gesellschaft <strong>für</strong> Theaterwissenschaft<br />
gewählt. ■<br />
25 27<br />
Als neuer W3-Professor<br />
im Fachbereich<br />
03 <strong>für</strong> das<br />
Fach Öffentliches<br />
Recht und Steuerrecht<br />
ist Prof. Dr.<br />
Hanno Kube tätig.<br />
Hanno Kube stu<strong>die</strong>rte<br />
von 1989 bis 1994<br />
Rechtswissenschaft an den Universitäten Heidelberg<br />
und Genf. Während seines Studiums war er<br />
bereits als Wissenschaftliche Hilfskraft am Institut<br />
<strong>für</strong> Finanz- und Steuerrecht der Universität<br />
Heidelberg (Lehrstuhl Prof. Dr. Paul Kirchhof)<br />
tätig. Von 1994 bis 1995 nahm Kube am Master<br />
of Law-Programm der Cornell University/NY teil,<br />
bevor er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an<br />
das Institut <strong>für</strong> Finanz- und Steuerrecht nach Heidelberg<br />
zurückkehrte. Sein Rechtsreferendariat<br />
absolvierte er ebenfalls in Heidelberg. Schließlich<br />
legte Kube seine summa cum laude-Dissertation<br />
„Eigentum an Naturgütern – Zuordnung und<br />
Unverfügbarkeit“ vor. Von 1999 bis 2003 war er<br />
als Wissenschaftlicher Assistent am Institut <strong>für</strong> Finanz-<br />
und Steuerrecht der Universität Heidelberg<br />
beschäftigt. Dort legte er, nach einem Zwischenaufenthalt<br />
als Jean Monnet-Fellow am Europäischen<br />
Hochschulinstitut in Florenz, auch seine<br />
Personen & Positionen<br />
Habilitationsschrift „Finanzgewalt in der Kompetenzordnung“<br />
vor, bevor er 2004 zunächst eine<br />
Lehrstuhlvertretung und schließlich den Lehrstuhl<br />
<strong>für</strong> Öffentliches Recht und Europäisches Steuerrecht<br />
an der Katholischen Universität Eichstätt-<br />
Ingolstadt übernahm. Kube ist Mitglied u.a. in der<br />
Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer,<br />
der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft,<br />
der European Association of Tax Law Professors,<br />
der Deutschen Gesellschaft <strong>für</strong> Gesetzgebung<br />
und der Cornell Law Association. ■<br />
Dr. Hartmut Wittig<br />
wurde zum W3-<br />
Professor <strong>für</strong> Theoretische<br />
Kernphysik<br />
berufen.<br />
Hartmut Wittig stu<strong>die</strong>rte<br />
als Stipendiat<br />
der Stu<strong>die</strong>nstiftung<br />
des <strong>deutsche</strong>n Volkes<br />
von 1982 bis 1987<br />
erst Chemie und später Physik an der Universität<br />
Mainz, bevor er als graduate student nach Oxford<br />
wechselte. Wittig promovierte 1992 mit seiner<br />
Dissertation „Study of a Chiral Lattice Yukawa<br />
Model with Mirror Fermions“ an der Universität<br />
Hamburg, wo er sich mit der Schrift „Leptonic<br />
Decays of Heavy Quarks on the Lattice“ 1998<br />
ebenfalls habilitierte. Von 1992 bis 1995 war<br />
Wittig als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der<br />
Universität Southampton und im Folgejahr am<br />
Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Zeuthen<br />
beschäftigt. Von 1996 bis 2000 war er<br />
PPARC Advanced Fellow und Research Fellow der<br />
Universität Oxford. In <strong>die</strong>ser Zeit führten ihn Forschungsaufenthalte<br />
nach Tsukuba/Japan und<br />
zum CERN in Genf. Von 2000 bis 2001 dozierte<br />
Wittig an der Universität Liverpool. Von 2001 bis<br />
zu seiner Berufung nach Mainz 2005 war er als<br />
ständiger Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der<br />
Theoriegruppe des Deutschen Elektronen-Synchrotrons<br />
DESY, Hamburg tätig. Wittigs Forschungsgebiet<br />
ist <strong>die</strong> theoretische Kern- und Elementarteilchenphysik.<br />
Speziell befasst er sich mit<br />
Gitter-Eichtheorien, <strong>die</strong> Berechnungen der Eigenschaften<br />
von stark wechselwirkenden Teilchen<br />
durch numerische Simulationen auf speziellen<br />
Grossrechnern erlauben. Derartige Rechnungen<br />
bilden eine wichtige Ergänzung zu experimentellen<br />
Untersuchungen an Beschleunigern, wie beispielsweise<br />
dem Mainzer Mikrotron MAMI. ■<br />
[JOGU] [JOGU] 194/2005 195/2006
Personen & Positionen<br />
Boehringer-Ingelheim-Preis 2005<br />
Auszeichnung <strong>für</strong> hervorragende<br />
wissenschaftliche Leistungen<br />
Dr. med. habil. Klaus Markstaller und Dr. rer. nat.<br />
Michael P. Stassen wurden mit dem Boehringer-<br />
Ingelheim-Preis 2005 ausgezeichnet. Der Boehringer-Ingelheim-Preis<br />
wird jährlich von der<br />
Boehringer Ingelheim Stiftung <strong>für</strong> hervorragende<br />
wissenschaftliche Leistungen auf<br />
dem Gebiet der theoretischen und der klinischen<br />
Medizin vergeben und ist mit 20.000<br />
Euro dotiert.<br />
Dr. med. habil. Klaus Markstaller aus der Klinik<br />
<strong>für</strong> Anästhesiologie der Universität wird<br />
<strong>für</strong> seine herausragende Leistung auf dem<br />
Gebiet der klinischen Forschung zur Verbesserung<br />
der Beatmung bei der Wiederbelebung<br />
nach einem Herz-Kreislaufstillstand<br />
ausgezeichnet. Mit dem Preis wird seine<br />
Habilitationsschrift aus dem Jahre 2004<br />
prämiert. Die Wiederbelebung eines Menschen<br />
nach einem Herz-Kreislaufstillstand<br />
gehört zu den eindrucksvollen und sofort<br />
am Erfolg messbaren Eingriffen des Arztes<br />
in der modernen Medizin. Viele therapeutische<br />
Maßnahmen im Rahmen einer Reani-<br />
Für sein wissenschaftliches und kulturelles Engagement<br />
erhielt Prof. Dr. Reinhart Ricker durch den<br />
Chef der Hessischen Staatskanzlei, Stefan Grüttner,<br />
das Ver<strong>die</strong>nstkreuz 1. Klasse des Ver<strong>die</strong>nstordens<br />
der Bundesrepublik Deutschland überreicht.<br />
Der Professor <strong>für</strong> Me<strong>die</strong>nrecht und Me<strong>die</strong>npolitik<br />
am Institut <strong>für</strong> Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität<br />
Mainz war maßgeblich an der<br />
Einführung des privaten Rundfunks beteiligt.<br />
„Professor Ricker gilt zurecht als einer der Pioniere<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Neuordnung einer vom Wettbewerb<br />
geprägten Me<strong>die</strong>nlandschaft in Deutschland“,<br />
erklärte der Chef der Staatskanzlei, „er ist einer<br />
der Väter des privaten Rundfunks in unserem<br />
Land.“<br />
mation sind jedoch wissenschaftlich unzureichend<br />
belegt. Dr. Markstaller habe es verstanden,<br />
so heißt es in der Auswahlbegründung, unter<br />
Nutzung modernster Messverfahren wichtige Erkenntnisse<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Optimierung der Beatmung bei<br />
Reanimation zu gewinnen.<br />
Bundesver<strong>die</strong>nstkreuz an Professor Reinhart Ricker<br />
[JOGU] 195/2006<br />
1944 in Königstein (Taunus) geboren, stu<strong>die</strong>rte<br />
Reinhart Ricker Rechtswissenschaft, Publizistik,<br />
Politikwissenschaft und Buchwesen in Frankfurt<br />
und Mainz. 1973 promovierte er zum Dr. jur.,<br />
1974 folgten zweites juristisches Staatsexamen<br />
in Wiesbaden und Magister Artium in Mainz. Von<br />
1974 bis 1980 war er Lehrbeauftragter am Institut<br />
<strong>für</strong> Publizistik. 1974 erhielt er <strong>die</strong> Zulassung<br />
zum Rechtsanwalt in Frankfurt. Seit 1980 ist Reinhart<br />
Ricker Professor am Institut <strong>für</strong> Publizistik.<br />
Von 1981 bis 1983 war er Mitglied der Enquête-<br />
Kommission des Deutschen Bundestages <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />
Neuen Informations- und Kommunikationstechnologien,<br />
von 1983 bis 1987 Vorsitzender der<br />
Wissenschaftlichen Begleitkommission <strong>für</strong> das<br />
Kabelpilotprojekt Ludwigshafen/Vorderpfalz und<br />
von 1984 bis 1986 stellvertretender Vorsitzender<br />
28<br />
Dr. rer. nat. Michael P. Stassen vom Institut <strong>für</strong> Immunologie<br />
wird <strong>für</strong> seine international sichtbare,<br />
herausragende Leistung auf dem Gebiet der präklinischen<br />
Forschung zur Regulation der Immunantwort<br />
durch regulatorische T-Zellen ausgezeichnet.<br />
Die Auswahlkommission verweist dazu<br />
insbesondere auf eine Veröffentlichung im<br />
hochrangigen Journal of Experimental<br />
Medicine vom Januar 2005. Die Regulation<br />
der Immunantwort ist der Schlüssel zum<br />
Verständnis zahlreicher Erkrankungen und<br />
damit von größter medizinischer Wichtigkeit.<br />
Das zentrale Steuerungselement der<br />
Immunantwort sind <strong>die</strong> regulatorischen<br />
T-Zellen. Die Arbeitsgruppe um Stassen hat<br />
<strong>die</strong> Bedeutung der Transkriptionsfaktoren<br />
NFATc2 und NFATc3 <strong>für</strong> <strong>die</strong> Regulierbarkeit<br />
von T-Zellen entdeckt. Damit sei dem Fachbereich<br />
Medizin an der Johannes Gutenberg-Universität<br />
wieder einmal ein Beitrag<br />
zur internationalen Spitzenforschung gelungen,<br />
heißt es in der Auswahlbegründung<br />
der Kommission. ■<br />
Foto: Peter Pulkowski<br />
Hervorragende wissenschaftliche<br />
Leistungen: Dr. Michael P. Stassen<br />
und Dr. Klaus Markstaller (v.l.)<br />
der Me<strong>die</strong>nkommission der Länder. Von 1996 bis<br />
1998 gehörte Prof. Ricker als Mitglied der Enquête-Kommission<br />
„Zukunft der Me<strong>die</strong>n“ des<br />
Deutschen Bundestages an. Seit 1998 ist er Mitglied<br />
des Beirats des wissenschaftlichen Instituts<br />
<strong>für</strong> Kommunikations<strong>die</strong>nste des Bundes, seit<br />
2002 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des<br />
Freien Russisch-Deutschen Instituts <strong>für</strong> Publizistik<br />
der Staatlichen Lomonossow-Universität Moskau<br />
und seit 2004 Vorsitzender des Patronatenvereins<br />
der Hochschule <strong>für</strong> Musik und Darstellende Kunst<br />
in Frankfurt. ■<br />
http://www.ifp.uni-mainz.de/ricker/index.php<br />
Hier der Link zu einem Bild von Herrn Ricker,<br />
glaube allerdings, dass das Bild von der Qualität<br />
nicht gut genug ist.
***Nach Redaktionsschluss***<br />
Prof. Dr. Johannes<br />
Preuß zum Vizepräsidenten<br />
gewählt<br />
Zum künftigen Vizepräsidenten hat der Senat der<br />
Johannes Gutenberg-Universität Mainz in seiner<br />
Sitzung mit Mehrheit Prof. Dr. Johannes Preuß gewählt.<br />
Preuß ist Professor am Geographischen<br />
Institut der Universität Mainz und hatte bereits<br />
von 2000 bis 2004 das Amt des Vizepräsidenten<br />
<strong>für</strong> Forschung inne. Professor Preuß blickt auf<br />
jahrelange Erfahrungen in der wissenschaftlichen<br />
Selbstverwaltung der Hochschule zurück.<br />
1946 geboren, war Professor Preuß nach dem<br />
Studium der Geographie, Biologie, Soziologie und<br />
Politik wissenschaftlicher Assistent an den Universitäten<br />
Mainz und Marburg. 1990 erfolgte <strong>die</strong><br />
Habilitation in Marburg. Seit 1991 ist er Professor<br />
am Geographischen Institut der Johannes Gutenberg-Universität<br />
Mainz. Professor Preuß war<br />
geschäftsführender Leiter des Geographischen<br />
Instituts und jahrelang Mitglied im Fachbereichsrat<br />
Geowissenschaften bzw. im Senat der Johannes<br />
Gutenberg-Universität Mainz. ■<br />
Sitzungstermine des Senats<br />
im Sommersemester 2006<br />
Freitag, den 05. 05. 2006<br />
Freitag, den 02. 06. 2006<br />
Freitag, den 30. 06. 2006<br />
Freitag, den 14. 07. 2006 (Sondersitzung:<br />
Anhörung der Bewerberinnen und Bewerber<br />
<strong>für</strong> <strong>die</strong> Präsidentenwahl)<br />
Freitag, den 21. 07. 2006<br />
Freitag, den 22. 09. 2006 (Feriensitzung)<br />
Die Sitzungen finden im Sitzungszimmer der<br />
Naturwissenschaftlichen Fachbereiche (Johann-<br />
Joachim-Becher-Weg 21, 7. Stock) statt und<br />
beginnen jeweils um 13.00 Uhr. ■<br />
Nachruf auf<br />
Hanns Dieter Hüsch<br />
29<br />
Personen & Positionen<br />
Lieber Hanns Dieter,<br />
wenn ich an Dich denke, kann ich fast mit Dir sprechen, so deutlich höre ich Deine Stimme.<br />
Deine Stimme, <strong>die</strong>ser Wohlklang.<br />
Die schöne, offene, wandlungsfähige Stimme. Deine berühmte Stimme.<br />
Männlich. Kraftvoll. Farbig.<br />
Die schnelle Stimme, <strong>die</strong> getragene, <strong>die</strong> warme und menschliche Stimme.<br />
Ich sehe Dein liebes Gesicht, mit oder ohne Bart, jung oder alt.<br />
Du hast immer ausgesehen wie Deine Stimme.<br />
Ich sehe Dich irgendwo sitzen, gerade und aufrecht, in Gedanken oder in Rage,<br />
im Hotel beim Frühstück. Im Auto.<br />
Nur kurz von der Bühne runter, frisch machen und wieder rauf.<br />
Du bist ein großer Redner. Ein Denker.<br />
Du kannst singen. Und wie! – Du schwingst keine Reden, du singst sie.<br />
Du kannst gut zuhören. Du hörst alles. Auch <strong>die</strong> kleinen Notenwerte.<br />
Natürlich konntest Du doch tanzen. Du bist nicht der Mann, der nicht tanzen kann.<br />
Du warst ein phantastischer Tänzer, ein Kunsttänzer, ein Tourneetänzer. Du warst sehr gut.<br />
Weißt Du, dass Du mich angesteckt hast mit <strong>die</strong>sem komischen Beruf?<br />
Mit der Sucht. Man muss auch aufhören können damit.<br />
Aber Du spielst weiter. Ich hör Dich doch.<br />
Halt mir was frei. Ich komme nach …<br />
Wir machen was zusammen – open air – irgendwas.<br />
Ich hör Dich, Hanns Dieter. Du hast was liegenlassen.<br />
Irgendwas auf Deiner Orgel liegen lassen. Irgendein Steinchen.<br />
Irgendwas Schweres. Irgendwas zum Weinen.<br />
Du spielst doch noch, oder?<br />
Da liegt was drauf. Lass das bloß liegen.<br />
Dass man immer noch den kleinen Orgelton hört.<br />
Einen zum Festhalten. Einen Halteton. Einen Liegeton. Einen Stehton.<br />
Und zieh Dich warm an. Lass Dich malen. In Öl.<br />
Du bist jetzt größer als Kleinkunst. Hohe Kunst.<br />
Hüsch, hüsch – <strong>die</strong> schnellste Legende der Welt.<br />
Hör nur … Sie fangen schon an zu stricken.<br />
Exil. Der Schweizer im Himmel.<br />
Du darfst gehen, aber nicht wegbleiben.<br />
Mach wie Du willst. Bist trotzdem da.<br />
Du kannst alles, nur auftreten muss man Dich lassen.<br />
In guten und in schlechten Zeiten.<br />
Auf Erden oder meinetwegen auch im Himmel.<br />
Auf Erden warst Du ausverkauft.<br />
Im Himmel werden sie Dir ewig zujubeln.<br />
Du bist doch ein Christ, oder?<br />
Alter Freund.<br />
Sehen wir uns wieder?<br />
Lars Reichow ■<br />
[JOGU] 195/2006
Kurz & Bündig<br />
Mainzer<br />
Universitätsgespräche<br />
Normen und Werte in verschiedenen Kulturen<br />
Werte und Normen bilden das Korsett einer Gesellschaft. Sie verleihen ihr<br />
Haltung, wenn <strong>die</strong>se etwas Neues bewerten muss. Normen sind jedoch nicht<br />
starre Gesetze, sondern verändern sich im Laufe der Zeit. Ihr Wandel und ein<br />
Vergleich kulturell unterschiedlicher Werte sind nur einige Aspekte, <strong>die</strong> in der<br />
Kolloquienreihe „Mainzer Universitätsgespräche“ diskutiert werden. In acht<br />
Einzelvorträgen nähern sich Vertreter unterschiedlicher Disziplinen dem<br />
Thema „Normen und Kulturen“ mit den jeweiligen Methoden ihres Faches.<br />
In den ersten Vorträgen skizzierten <strong>die</strong> Referenten grundlegende Phänomene,<br />
wie den Wertewandel und <strong>die</strong> Historizität von Werten. Prof. Dr. Andreas<br />
Rödder, Professor <strong>für</strong> Neueste Geschichte an der Universität Mainz, gewährte<br />
in der Auftaktveranstaltung einen historischen Überblick über den<br />
Wandel der Familie. Anhand <strong>die</strong>ses Beispiels erläuterte er den Wertewandel<br />
in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.Welche Funktionen <strong>die</strong> Familie erfüllte<br />
und wie sich das Verhältnis der Familienmitglieder zueinander gestaltete,<br />
waren <strong>die</strong> Kernfragen, an denen er Trends wie <strong>die</strong> Pluralisierung und <strong>die</strong><br />
Individualisierung aufzeigte. Ferner verglichen <strong>die</strong> Referenten Normen unterschiedlicher<br />
Kulturen und diskutierten <strong>die</strong> Frage, ob trotz der Vielfalt an Normen<br />
und Kulturen eine Einheit in der Ethik möglich ist.<br />
Die besondere Art der Normbildung in den Vereinigten Staaten wird Prof. Dr.<br />
Oliver Scheiding, Professor <strong>für</strong> Amerikanistik in Mainz, anhand der Leitfigur<br />
George Washingtons vorstellen. Als visuell orientierte Kultur erfolgt dort<br />
<strong>die</strong> Einschreibung von Werten in Bildern, im Gegensatz zu Deutschland, wo<br />
eher <strong>die</strong> Textform dominiert. Anhand der Veränderungsprozesse der Ikone<br />
Washingtons will Scheiding den Wertewandel in der Gesellschaft aufzeigen.<br />
Die Normenbildung in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation beleuchtet<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. Hermann Lübbe zum Abschluss der Kolloquienreihe.<br />
Lübbe analysiert das Zusammenspiel von Sachverstand und Commonsense<br />
und vertritt <strong>die</strong> These, dass sich dadurch neue Formen direkter Demokratie<br />
und nicht etwa technokratische Strukturen durchsetzen werden. Die Vortragsreihe<br />
ist eine theoretische Entdeckungsreise zu den normativen Grundfesten<br />
der Gesellschaft. Sonja SMALIAN ■<br />
8. Februar 2006<br />
George Washington: Normbildung im Spiegel nationaler Ikonen<br />
Prof. Dr. Oliver Scheiding<br />
(Professor <strong>für</strong> Amerikanistik, Department of English and Linguistics,<br />
Johannes Gutenberg-Universität Mainz)<br />
15. Februar 2006<br />
Der Sachverstand und der Commonsense. Über Normenbildung in<br />
der wissenschaftlich-technischen Zivilisation<br />
Prof. Dr. Dr. h. c. Hermann Lübbe (Professor <strong>für</strong> Philosophie und Politische<br />
Theorie an der Universität Zürich)<br />
Veranstaltungsort: Hörsaal N3 (Muschel), Johann-Joachim-Becher Weg 23,<br />
jeweils 18.15 Uhr.<br />
Infos unter www.studgen.uni-mainz.de<br />
[JOGU] 195/2006<br />
Veranstaltungstipp<br />
Buchmarktnews im Radio<br />
Studenten gehen auf Sendung<br />
Das Institut <strong>für</strong> Buchwissenschaft der Johannes Gutenberg-<br />
Universität ist bekannt <strong>für</strong> seine Praxisorientierung. Im laufenden<br />
Wintersemester führt Prof. Dr. Ernst Fischer seine Studenten<br />
nun mit einer Übung an den Rundfunk heran.<br />
„Buchmarktnews – Erstellung eines Hörfunkformats“ lautet<br />
der Titel der Übung, in deren Rahmen drei Sendungen auf<br />
Radio Rheinwelle 92,5 übertragen werden. Darin werden<br />
Neuigkeiten und Wissenswertes rund ums Buch präsentiert.<br />
Die Reihe startete am 9. Dezember 2005 mit den Themen Hörbuch Belletristik<br />
und Hörbuch Sachbuch. Der nächste Termin am 20. Januar 2006 war den Informationen<br />
über Klein- und Nischenverlage sowie Kinder- und Jugendbücher<br />
gewidmet und am 17. Februar 2006 geht es um <strong>die</strong> Entstehung von Büchern<br />
und Bestsellern. Sendezeit ist von 15.00 bis 17.00 Uhr. ■<br />
Impressum<br />
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,<br />
Univ.-Prof. Dr. Jörg Michaelis<br />
Verantwortlich: Petra Giegerich, Leiterin Bereich Öffentlichkeitsarbeit<br />
Redaktion: Annette Spohn-Hofmann (Leitung)<br />
Mitarbeiter <strong>die</strong>ser Ausgabe: Dr. Ulrike Brandenburg, Dr. Frank Erdnüß, Dennis Müller,<br />
Sonja Smalian, Peter Thomas, Peter Pulkowski (Fotos)<br />
Redaktionsassistenz: Kathrin Voigt, Birgitt Maurus<br />
Kontakt:<br />
Telefon: (0 61 31) 39 -2 23 69, 39 -2 05 93<br />
Telefax: (0 61 31) 39 -2 41 39<br />
E-Mail: Annette.Spohn@verwaltung.uni-mainz.de<br />
Auflage: 10.000 Exemplare, <strong>die</strong> Zeitschrift erscheint viermal im Jahr<br />
Redaktionsschluss der JOGU 196, Ausgabe Mai 2006,<br />
ist der 7. April 2006<br />
Titelbild: Agnese Rudzıte -<br />
Gestaltung: Thomas & Thomas Design, Heidesheim<br />
Vertrieb: Bereich Öffentlichkeitsarbeit<br />
Anzeigenverwaltung und Druck:<br />
Grafisches Zentrum Bödige und Partner GmbH, Dekan-Laist-Str. 38, 55129 Hechtsheim,<br />
Telefon: (0 61 31) 58 04-0, Telefax: (0 61 31) 58 04-15, E-Mail: email@gzm-mainz.de<br />
Namentlich gezeichnete Beiträge geben nicht unbedingt <strong>die</strong> Meinung des Herausgebers<br />
wieder. Für unverlangt eingesandte Manuskripte oder Bildmaterial wird keine Gewähr<br />
geleistet. Nachdruck nur mit Quellenangabe gestattet.<br />
JOGU wird kostenlos an <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>renden und an <strong>die</strong> Angehörigen der Johannes Gutenberg-Universität<br />
Mainz sowie an <strong>die</strong> Mitglieder der Vereinigung „Freunde der Universität<br />
Mainz e. V.“ verteilt.<br />
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