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Auto-Euthanasie – Ein unbekanntes Phänomen? - DGHS

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<strong>Auto</strong>-<strong>Euthanasie</strong> <strong>–</strong><br />

<strong>Ein</strong> <strong>unbekanntes</strong> <strong>Phänomen</strong>?<br />

Bislang kaum beachtete Sterbeform im Rampenlicht<br />

INTERVIEW MIT DR. BOUDEWIJN CHABOT<br />

Er ist seit Jahren kein Unbekannter in den Niederlanden: Der<br />

Arzt und Psychiater Dr. Boudewijn Chabot. Ohne dass er dies<br />

nötig gehabt hätte, arbeitete der über 60-jährige erneut hart<br />

auf wissenschaftlichem Gebiet. Das Ergebnis: <strong>Ein</strong>e viel beachtete<br />

Dissertation über <strong>Auto</strong>-<strong>Euthanasie</strong>. <strong>Ein</strong>es der von ihm<br />

analysierten <strong>Phänomen</strong>e ist das freiwillige Aufhören von Essen<br />

und Trinken. Die Thematik erinnert an die „Indische Ethik<br />

für Freitod durch Fasten“, die bereits vor über 15 Jahren in dieser<br />

Zeitschrift beschrieben wurde. In seiner „Indischen Philosophie“,<br />

Band 1, schreibt Sir Radhakrishnan (1888 - 1975,<br />

Staatspräsident Indiens von 1962 bis 1967) über den<br />

JAINISMUS, dass er im Gegensatz zum Buddhismus bezüglich<br />

Suizid lehre, letzterer „steigere“ das Leben (vgl. HLS 3/1991,<br />

S. 11). Der Jainismus oder Dschainismus, eine indische Religion,<br />

verkündet eine asketische Erlösungslehre. Askese und Meditation befähigen<br />

u. U. den Menschen, sich von den Fesseln der Materie zu befreien. Als<br />

ehrenwert und besonders löblich galt und gilt es, sein Leben durch striktes Fasten<br />

zu beenden. Unabhängig von religiöser Ausrichtung geht es bei dem von<br />

Chabot untersuchten <strong>Phänomen</strong> um Fälle, bei denen der Tod von Patienten freiwillig<br />

dadurch erwirkt wurde, dass diese weder Essen noch Flüssigkeit zu sich<br />

nahmen, abgesehen von jener palliativen Versorgung, die notwendig ist, damit<br />

kein Durstgefühl entsteht. Bei dieser Verhaltensweise begleiten Angehörige,<br />

Freunde oder gute Nachbarn die Sterbenden. Das Interview bezieht sich auf darauf<br />

ausgerichtete Untersuchungen im Zeitraum von fünf Jahren. Für die Doktorarbeit<br />

(Dissertation) hat Chabot 110 Fälle analysiert und die Angehörigen interviewt.<br />

Diese Sterbeform durch Ablehnung von Nahrung und Flüssigkeit kommt<br />

unerwartet häufig vor, nach vorsichtiger Hochrechnung und Schätzung in mindestens<br />

2 800 bis 3 000 Fällen pro Jahr. Zählt man noch eine zweite Form der<br />

von Dr. Chabot beschriebenen <strong>Auto</strong>-<strong>Euthanasie</strong> von 1 600 Fällen pro Jahr dazu,<br />

kommt die AUTO-EUTHANASIE in den Niederlanden etwa doppelt so häufig vor<br />

wie EUTHANASIE. Dies überraschte selbst Experten.<br />

HLS: Sie haben, Herr Dr. Chabot, nicht nur<br />

wissenschaftlich untersucht, Sie kennen die<br />

Praxis; und Sie haben maßgeblich vorher<br />

schon an dem Expertenbuch über freiwillige<br />

Lebensbeendigung geschrieben, zusammen<br />

mit Dr. Pieter Admiraal, das<br />

auch in deutscher Sprache erscheinen<br />

wird. Gibt es da Zusammenhänge?<br />

Dr. Chabot: Ja, das Buch mit Dr. Admiraal<br />

und meine Dissertation über <strong>Auto</strong>-<strong>Euthanasie</strong><br />

hängen zusammen. Das Buch<br />

über freiwillige Lebensbeendigung ist geschrieben<br />

für Menschen, die tatsächlich ihr<br />

Leben beenden wollen. Meine Dissertation<br />

untersucht dagegen, wie viele Menschen<br />

das gemacht haben. <strong>Auto</strong>-<strong>Euthanasie</strong> ba-<br />

siert auf den griechischen Worten „Eu“ und<br />

„Thanatos“, womit wir meinen: gut und<br />

würdig sterben. Die Entscheidung, zu<br />

sterben, fällt genau genommen im Ge-<br />

INTERVIEW<br />

<strong>Ein</strong> langer Weg: Was hier nach dem Treffen im<br />

NuTech-Bereich (Seattle, USA, Januar 2004)<br />

zu einer Reise der beiden Interviewpartner<br />

führte, findet nun konkrete Gestalt in der<br />

niederländischen Publikation, in die auch Erkenntnisse<br />

der Doktorarbeit von Boudewijn<br />

Chabot (li.), hier mit Dr. Pieter Admiraal (re.),<br />

eingearbeitet werden <strong>–</strong> mit ergänzendem Zuschnitt<br />

für die deutschsprachige Ausgabe (in<br />

Vorbereitung). Über das Treffen im NuTech-Bereich<br />

berichteten wir bereits (vgl. HLS 2/2004,<br />

S. 38).<br />

spräch mit einer vertrauten Person. Bei der<br />

<strong>Euthanasie</strong> in den Niederlanden, wo sie gestattet<br />

ist, ist diese vertraute Person ein<br />

Arzt. Aber im Fall der <strong>Auto</strong>-<strong>Euthanasie</strong>,<br />

die ich untersucht habe, ist diese vertraute<br />

Person ein Verwandter, ein Freund, eine<br />

Freundin, oder, wenn die älteren Leute keine<br />

Kinder haben oder die Freunde schon<br />

gestorben sind oder weiter weg leben,<br />

dann hilft in meinen Untersuchungen ein<br />

Krankenpfleger oder Pflegedienst, der<br />

täglich nach Hause kommt. Zweitens geschieht<br />

das <strong>Ein</strong>schlafen nicht alleine, son-<br />

„<strong>Auto</strong>-<strong>Euthanasie</strong> basiert auf den griechischen Worten ,Eu‘<br />

und ,Thanatos‘, womit wir meinen: gut und würdig sterben.“<br />

dern mit einer vertrauten Person des sozialen<br />

Umfeldes, die dabei sein will und<br />

kann.<br />

HLS: Wäre nach jetziger niederländischer<br />

Humanes Leben · Humanes Sterben 4/2007 63<br />

Bild: Schobert


INTERVIEW<br />

Rechtslage die <strong>Auto</strong>-<strong>Euthanasie</strong> verboten?<br />

Dr. Chabot: Nein, sie ist nicht verboten.<br />

Entscheidendes Kriterium ist, dass diese<br />

Menschen nicht einsam sterben. Die Entscheidung,<br />

nicht mehr zu essen und zu trinken,<br />

wird begleitet, auch mit Gesprächen,<br />

mit Zuwendung, mit Hilfen, die sinnvoll<br />

sind, wenn die sterbenskranke Person<br />

schwächer und schwächer wird. Mit <strong>Auto</strong>-<br />

<strong>Euthanasie</strong> ist auch gemeint: <strong>Ein</strong> selbst<br />

durchgeführter „Eu-Thanatos“, d. h. man<br />

hat selbst die Verantwortung übernommen,<br />

um zu sterben. Dann ist auch gleich klar,<br />

dass es nicht verboten ist, weil, wie in<br />

Deutschland, Suizid nie strafbar gewesen<br />

ist in den Niederlanden.<br />

Ich habe die Methode untersucht, mit<br />

der Menschen sich selbst das Leben genommen<br />

haben durch rechtsgültige Verweigerung<br />

von Essen und Trinken bei einer<br />

Person, die ihren klaren Willen hat, die<br />

entscheidungsfähig ist. So eine Person ist<br />

frei, selbst über das Leben zu entscheiden.<br />

Dann gibt es mehrere Voraussetzungen, damit<br />

diese Methode friedlich verläuft.<br />

HLS: <strong>Ein</strong>e Art zu sterben, die, provokativ<br />

gefragt, auch von gesunden Menschen<br />

mit akutem Liebeskummer angewandt<br />

wird?<br />

Dr. Chabot: Diese Methode ist nur zu machen,<br />

wenn eine ernsthafte Krankheit<br />

vorliegt, z. B. Krebs, der noch nicht im letzten<br />

Stadium ist, MS, Parkinson, ALS oder<br />

Hirninfarkt, wobei das Bewusstsein noch<br />

vorhanden sein muss <strong>–</strong> denn dies ist eine<br />

bewusste Verweigerung. Für meine Untersuchung<br />

hatte ich Personen im Alter von<br />

über 60 Jahren herangezogen. Es ist sehr<br />

wichtig, dass sich die Person gut informiert<br />

hat, speziell über gute Mundpflege, damit<br />

sie nicht austrocknet und Durstgefühle vermieden<br />

werden. Es zeigt sich von anderen<br />

Untersuchungen, dass das Gefühl von<br />

Durst zum großen Teil durch einen trokkenen<br />

Mund verursacht wird. Es gibt in der<br />

Palliativmedizin viele Mittel, die das Austrocknen<br />

des Mundes verhindern. Nicht oft<br />

genug wiederhole ich: Man muss mit einer<br />

vertrauten Person darüber gesprochen<br />

haben, über den Wunsch zu sterben und<br />

dass man dann aufhören will zu essen. Man<br />

64<br />

sollte Pro und Kontra gründlich abgewogen<br />

haben sowie Alternativen prüfen, die<br />

das Leben noch erträglich machen könnten.<br />

Bei dieser Methode soll auch dafür gesorgt<br />

werden, dass eventuell Verwandte,<br />

Nachbarn oder andere Personen die erwünschte<br />

Pflege geben während der Zeit,<br />

die der Sterbevorgang dauert. Auch Palliativbetreuung<br />

von einem Arzt ist sehr erwünscht,<br />

aber nicht notwendig.<br />

„Mit <strong>Auto</strong>-<strong>Euthanasie</strong> ist auch gemeint: <strong>Ein</strong> selbst<br />

durchgeführter ,Eu-Thanatos‘, d. h. man hat selbst die<br />

Verantwortung übernommen, um zu sterben.“<br />

Humanes Leben · Humanes Sterben 4/2007<br />

HLS: Bitte erläutern Sie ein Beispiel.<br />

Dr. Chabot: In den Niederlanden ist es so:<br />

Wenn eine urteilsfähige Person, die diese<br />

Entscheidung macht, weil sie sehr krank<br />

und alt ist und vielleicht noch ein halbes<br />

Jahr zu leben hat und dies nicht durchmachen<br />

will, dann wird das mit den Kindern<br />

diskutiert, wenn es welche gibt, und<br />

dann kommt die Frage: „Kann man das etwas<br />

erleichtern, ohne mein Bewusstsein<br />

wegzunehmen? Vielleicht durch einen<br />

Krankenpfleger, der dann dabei ist und<br />

dass die Mundpflege gut ist und die Verwandten<br />

täglich Fragen, die aufkommen,<br />

besprechen können.“ Sollte der Arzt z. B.<br />

aus ethischen Gründen nicht willens sein<br />

zu helfen, dann ist es auch möglich, wenn<br />

ein in Palliativmedizin erfahrener Krankenpfleger<br />

die Angehörigen mit Rat und<br />

Tat unterstützt. Dieser Krankenpfleger<br />

und auch ein Arzt machen sich hier nicht<br />

strafbar, denn sie verhelfen nicht zum Suizid,<br />

es ist eine Verweigerung von Essen<br />

und Trinken. Es ist eine Verweigerung von<br />

künstlicher Ernährung. Das ist auch in<br />

Deutschland erlaubt. Da gibt es natürlich<br />

immer noch die ethische Frage, ob ich das<br />

persönlich mit meinem Gewissen vereinbaren<br />

kann.<br />

HLS: Kennen Sie aus Ihrer Untersuchung<br />

auch Fälle, wo jemand diese Methode<br />

ganz allein durchgeführt hat?<br />

Dr. Chabot: Nein. Das ist bei dieser Methode<br />

nicht möglich, weil nach einigen Tagen<br />

oder nach einer Woche die Kraft des<br />

Patienten so nachlässt, dass er sich nicht<br />

mehr selbst versorgen kann. Dann braucht<br />

man jemanden, der sich um einen kümmert.<br />

Das kann man alleine nicht menschenwürdig<br />

machen. Denn sonst stirbt<br />

man in seinen eigenen Exkrementen.<br />

HLS: In Ihrer Kurzfassung schreiben Sie,<br />

dass der Vorgang zum Teil bis zu drei Monate<br />

gedauert hat.<br />

Dr. Chabot: Das sind zwar sehr wenige Fälle,<br />

aber mitunter gibt es das. Personen, die<br />

abrupt, von einem Tag auf den anderen<br />

aufgehört hatten zu trinken, in diesen<br />

Fällen dauerte es sieben bis 16 Tage.<br />

Wenn die Leute noch ein wenig tranken,<br />

dann hat es zweieinhalb Wochen bis zu einem<br />

Monat gedauert. Und dann gibt es<br />

sehr wenige Fälle von Menschen, die eigentlich<br />

nur aufgehört hatten zu essen und<br />

weiterhin Flüssigkeit zu sich genommen haben.<br />

HLS: Und wenn Sie hier von Trinken<br />

sprechen, kann das auch Apfelsaft gewesen<br />

sein <strong>–</strong> oder immer nur Wasser oder<br />

Tee?<br />

Dr. Chabot: Nein, wenn man aufhört zu essen,<br />

endet das Hungergefühl bereits nach<br />

meist zwei Tagen. Voraussetzung ist, dass<br />

man auch über Getränke keine Kohlehydrate<br />

zu sich nimmt, denn sonst kommt das<br />

Hungergefühl wieder zurück. Wenn man<br />

fastet und sterben will, muss man nur<br />

Wasser trinken und keine Cola, keinen Apfelsaft<br />

oder ähnliches.<br />

HLS: Achtzig Prozent der Beobachter bei<br />

einem solchen Sterbeprozess waren der<br />

Ansicht, dass die Verstorbenen in Würde<br />

starben?<br />

„Wenn man aufhört zu essen, endet das Hungergefühl<br />

bereits nach meist zwei Tagen.“<br />

Dr. Chabot: Die Zahlen zeigen, dass wir<br />

nichts idealisieren sollten. Denn es gab<br />

auch Beispiele, die sagen, dass es schrekklich<br />

war, wenn es z. B. oft Streit gab zwischen<br />

der Person, die nicht mehr leben<br />

wollte, und einem der Kinder, das dagegen<br />

war. Wenn es einen solchen Streit gibt,<br />

dann verläuft das Sterben sehr schwer. Es<br />

gab andere Fälle, wo die Mundpflege<br />

nicht gut war. Dann war es auch schrekklich.<br />

Was wir von dieser Untersuchung<br />

und solchen Beispielen lernen ist, dass sich<br />

viele Menschen nicht genug informierten,<br />

bevor sie anfingen, nichts mehr zu essen<br />

und zu trinken. Sie haben gleich angefan-


gen und die Kinder<br />

mussten im Nachhinein alles noch regeln<br />

und organisieren, z. B. eine gute Matratze,<br />

dass man nicht Dekubitus bekommt,<br />

manchmal einen Katheter, oder<br />

Medikamente wie z. B. Valium, um in der<br />

Nacht schlafen zu können. All dies kann<br />

man besser vorher schon vorbereiten.<br />

HLS: Hat Sie ein Fall besonders beeindruckt?<br />

Oder gibt es einen Fall, der veranschaulicht,<br />

wann diese Art der Beendigung<br />

des eigenen Lebens Sinn machen<br />

kann?<br />

Dr. Chabot: Von den untersuchten Fällen<br />

gab es viele mit einer Krebsdiagnose. Da<br />

gab es z. B. eine ältere Person, eine alte<br />

Dame, die sofort die Chemotherapie verweigert<br />

hatte, sie hatte gesagt: „Ich bin<br />

schon 83, ich will das keinesfalls machen,<br />

weder Chemotherapie noch ähnliches,<br />

ich gehe auch nicht ins Krankenhaus.“<br />

Dann hat sie sich zusammen mit ihrem<br />

Sohn über diese Möglichkeit informiert<br />

und sie hat das gemacht. Das war noch jemand,<br />

der vielleicht noch ein Jahr gehabt<br />

hätte zu leben. Sinngemäß war die <strong>Ein</strong>stellung:<br />

„Ich habe schon gelebt, ich fürchte<br />

mich nicht vor dem Tod, ich fürchte<br />

mich vor der herkömmlichen Art zu sterben,<br />

vor einem vielleicht schrecklichen<br />

Tod. Ich kann es selbst machen.“<br />

HLS: Gab es für Sie ein unerwartetes Ergebnis<br />

Ihrer Untersuchungen?<br />

Dr. Chabot: Ja: In den Niederlanden ist<br />

diese Art zu sterben <strong>–</strong> die Verweigerung<br />

von Essen und Trinken <strong>–</strong> mehr verbreitet<br />

in der Bevölkerung als <strong>Euthanasie</strong> durch<br />

einen Arzt. Das hat mich sehr erstaunt,<br />

und andere auch, weil wir wussten, dass<br />

diese Fälle passieren, dass diese Art zu<br />

sterben manchmal schrecklich ist, dass sie<br />

aber auch gut verlaufen kann. Dass es aber<br />

so oft geschieht und in 80 % als menschenwürdig<br />

beurteilt war, das ist erstaunlich.<br />

Allerdings ist diese Methode der<br />

Verweigerung von Essen und Trinken<br />

nicht für alle Menschen geeignet. So gibt<br />

es zum Beispiel auch in hohem Alter Personen,<br />

für die Essen und Trinken so wichtig<br />

bleiben, dass diese Methode nicht<br />

auszuführen ist.<br />

HLS: In solchen Fälle fehlt dann vielleicht<br />

die Willenskraft?<br />

Dr. Chabot: Ja, vielleicht. Den eigenen Tod<br />

zu bewerkstelligen, das ist eine so persönliche<br />

Sache, dass auch die Methode<br />

zum jeweiligen Menschen passen muss.<br />

Wenn eine Methode einem Menschen gegen<br />

den Strich geht, dann sollte er sie besser<br />

nicht auswählen.<br />

HLS: Noch einmal eine Nachfrage zu einer<br />

dritten Form: Es gibt in Deutschland<br />

und auch in der anglo-amerikanischen<br />

Welt den Ausdruck „terminale Sedierung“.<br />

In der Regel versteht man darunter<br />

dass, wenn es an das Sterben geht, der<br />

Arzt bereit ist, den Patienten so stark zu<br />

sedieren, dass er vielleicht noch ein paar<br />

Mal aufwacht, aber manchmal auch nicht<br />

mehr aufwacht. Das haben Sie nicht<br />

untersucht?<br />

Dr. Chabot: Das ist eine gute Frage. Ich<br />

musste in meiner Fallauswahl eine Gren-<br />

„In den Niederlanden ist diese Art zu sterben <strong>–</strong><br />

die Verweigerung von Essen und Trinken <strong>–</strong> mehr verbreitet<br />

in der Bevölkerung als <strong>Euthanasie</strong> durch einen Arzt.“<br />

ze ziehen und ich habe die Grenze so gezogen,<br />

indem ich gesagt habe: „Ich studiere<br />

nur diese Fälle, bei denen zwischen dem<br />

Aufhören des Essens und Trinkens und<br />

dem Sterben mindestens sieben Tage lagen.“<br />

Wenn man das nicht macht, dann<br />

muss man auch Fälle einbeziehen, bei denen<br />

Patienten die letzten drei oder vier<br />

Tage so krank waren, dass sie nicht mehr<br />

gegessen hatten und dann gestorben sind.<br />

Aber ich wollte diese Fälle untersuchen,<br />

bei denen die Verweigerung von Essen<br />

und Trinken, neben dem Krebs, den Tod<br />

bewirkt und beschleunigt hat. Deshalb war<br />

die eine Grenze sieben Tage zwischen <strong>Ein</strong>stellung<br />

von Essen und Trinken und Sterben;<br />

die anderen Fälle, bei denen mir Verwandte<br />

erzählt haben, dass die Patienten<br />

früher gestorben sind, sind nicht in diese<br />

Untersuchung aufgenommen worden, d.<br />

h. sie zählen auch nicht zu den besprochenen<br />

etwa dreitausend Fällen.<br />

Die andere Grenze, das ist die palliative<br />

Sedierung, ist, dass ich nur Fälle studiert<br />

hatte, bei denen zwischen dem Aufhören<br />

der Flüssigkeitsaufnahme und dem Sterben<br />

mindestens vier Tage das Bewusstsein<br />

klar war, die Patienten also nicht sediert<br />

waren. Sedierung ist natürlich etwas an-<br />

deres als z. B. eine Tablette Valium für die<br />

Nacht. Aber in den ersten vier Tagen<br />

muss te der Patient noch klar sein, um zu<br />

entscheiden, „Ja, ich will das noch immer,<br />

ich will noch immer den Tod.“ Und dann<br />

gab es natürlich Menschen, die nach den<br />

vier Tagen vom Arzt Morphin bekommen<br />

hatten. Das war eine Minderheit, aber die<br />

gab es. Dann hatte ich gesagt, das ist Palliativmedizin,<br />

aber diese Grenze von sieben<br />

Tagen, d. h. sieben Tage nichts trinken,<br />

wovon der Patient vier Tage bei klarem<br />

Bewusstsein war, das unterscheidet diese<br />

Art zu sterben von der anderen.<br />

HLS: Wir danken für dieses Interview.<br />

Das Interview führte HLS-<br />

Chefredakteur Dr. Kurt F. Schobert.<br />

IMPRESSUM<br />

HUMANES LEBEN <strong>–</strong> HUMANES STERBEN<br />

(HLS) Die Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft<br />

für Humanes Sterben. Erscheint viermal jährlich.<br />

Herausgeber und Verleger: <strong>DGHS</strong>, vertreten<br />

durch ihren Präsidenten Karlheinz Wichmann.<br />

Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben<br />

(<strong>DGHS</strong>) e.V., Postfach 11 05 29,<br />

86030 Augsburg, Tel.: 08 21/50 23 50,<br />

Fax: 08 21/5 02 35 55,<br />

E-Mail: info@dghs.de, Internet: www.dghs.de.<br />

und www.humanesleben-humanessterben.de<br />

Bankverbindung: Postbank Nürnberg,<br />

Konto Nr. 10 4343 853, BLZ 760 100 85<br />

Chefredakteur: Dr. phil. Kurt F. Schobert<br />

(verantwortlich)<br />

Redaktion: Susanne Dehmel (Sonderthemen,<br />

Medien, Kurzberichte), Dr. jur. Oliver Kautz, Franz<br />

Kocher, Manuela Hauptmann (Berlinkorr., prak -<br />

tische Orientierungshilfen), Rolf Knoll, Gerhard<br />

Rampp, Chris toph Sattler, Gerlinde Steinherr,<br />

Claudia Wiedenmann M.A. (Sonder berichte national<br />

und international, Leserseiten, Selbstbestimmtes<br />

Leben, Serviceteil, Anzeigenbereich).<br />

Layout: Silvia Günther-Kränzle, Dießen.<br />

Druck: Augsburger Druck- und Verlagshaus,<br />

Aindlinger Str. 17-19, 86167 Augsburg.<br />

Preis pro Exemplar € 4,00 zzgl. Porto- u. Versandkosten<br />

(für Mitglieder im Beitrag enthalten).<br />

Beiträge geben nicht zwangsläufig die Meinung<br />

der Redaktion oder der <strong>DGHS</strong> wieder. Alle Rechte<br />

(inkl. Vervielfältigung oder Speicherung auf<br />

EDV) vorbehalten. Ablehnung und Kürzungen<br />

von Beiträgen und zugesandten Manuskripten<br />

möglich.<br />

Unverlangt zugesandte Manuskripte werden in<br />

der Regel nicht abgedruckt. Angaben, Zahlen<br />

und Termine in Texten und Anzeigen ohne Gewähr.<br />

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übernommen für beiliegende Hinweise, Separatdrucke<br />

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Dies gilt analog für den Internet-Auftritt.<br />

Journalisten, Schulen und Bibliotheken erhalten<br />

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Gerichtsstand ist Augsburg.<br />

ISSN 0938-9717<br />

Humanes Leben · Humanes Sterben 4/2007 65

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