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Rede von Richter Hans-Peter Kaul

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Über Hoffnung und Gerechtigkeit<br />

Vortrag <strong>von</strong> <strong>Hans</strong>-<strong>Peter</strong> <strong>Kaul</strong><br />

<strong>Richter</strong> am Internationalen Strafgerichtshof<br />

Präsident der Vorverfahrensabteilung<br />

bei der<br />

Akademischen Feier der<br />

Verleihung der Würde eines Doktors der Rechte ehrenhalber<br />

(Endgültiger <strong>Rede</strong>text)<br />

Maanweg 174, 2516 AB The Hague, The Netherlands – Maanweg 174, 2516 AB La Haye, Pays-Bas www.icc-cpi.int<br />

an<br />

S.E. <strong>Hans</strong>-<strong>Peter</strong> <strong>Kaul</strong><br />

<strong>Richter</strong> am Internationalen Strafgerichtshof<br />

vor der<br />

Rechtswissenschaftlichen Fakultät<br />

in der<br />

Universität zu Köln<br />

19. November 2008<br />

Telephone – Téléphone +31(0)70 515 85 15 / Facsimile – Télécopie +31(0)70 515 85 55


Sehr geehrter Herr Dekan,<br />

meine Damen und Herren,<br />

Rom, 17. Juli 1998 – Niemand, der an diesem für den Internationalen<br />

Strafgerichtshof so entscheidenden Tag in Rom dabei war, wird diesen Tag je<br />

vergessen.<br />

Und es ist schön, ja wunderbar, daβ auβer Professor Ferencz, Claus Kreß<br />

und mir einige Mitglieder der deutschen Delegation und andere Teilnehmer<br />

der Rom-Konferenz heute unter uns sind, allesamt wackere Streitgenossen,<br />

etwa <strong>Hans</strong>jörg Strohmeyer, eigens aus New York eingeflogen und mein<br />

derzeitiger <strong>Richter</strong>kollege in Den Haag, Daniel Nsereko aus Uganda. Nur<br />

schade, daß einige meiner engsten Mitarbeiter am Strafgerichtshof, vor allem<br />

Eleni Chaitidou, meine Assistentin, so hart arbeiten müssen, daß sie sogar<br />

heute nicht hier sein können.<br />

Ja, wie war, wie ist die Lage am 17. Juli 1998 in Rom?<br />

Besonders in der Schluβphase der Konferenz hat sich eine unglaubliche<br />

Spannung aufgebaut, quälend, ja nervzerreisend. In den Wochen zuvor ist die<br />

Verhandlungslage immer klarer geworden: auf der einen Seite die<br />

gerichtshofrestriktiven Staaten. Viele <strong>von</strong> ihnen wollen in Wahrheit, trotz aller<br />

Lippenbekenntnisse, keinen Internationalen Strafgerichtshof. Die meisten <strong>von</strong><br />

ihnen wollen möglichst ein Gericht „nur für andere“. Die US-Delegation will<br />

eine besondere Variante eines Gerichtes „nur für andere“, nämlich einen<br />

völlig vom Sicherheitsrat abhängigen permanenten ad hoc-Strafgerichtshof,<br />

ein Werkzeug der Politik.<br />

Auf der anderen Seite die groβe Gruppe der gerichtshoffreundlichen,<br />

gleichgesinnten Staaten, alles kleine oder mittlere Staaten, die für ein wirklich<br />

funktionsfähiges und unabhängiges Weltstrafgericht eintreten.<br />

Dann, am 17. Juli 1998, nach einem letzten, dramatischen<br />

Verhandlungsringen der Klimax, ja der Durchbruch:<br />

als das Römische Statut, unser Gründungsvertrag, mit 120 Ja, 21<br />

Enthaltungen und 7 Nein-Stimmen angenommen wird, bricht unter den<br />

eintausendfünfhundert Teilnehmern ein Sturm <strong>von</strong> Emotionen los, beispiellos<br />

für eine solche Konferenz: Schreie, Getrampel, nicht enden wollender Jubel,<br />

Tränen der Freude und der Erleichterung; hartgesottene Delegierte und<br />

2


Journalisten, die vorher die ganze Zeit die Konferenz mit heruntergezogenen<br />

Mundwinkeln verfolgt haben, liegen sich gegenseitig in den Armen. Und ich<br />

erinnere mich auch, daβ ein deutscher Delegierter, sonst eher besonnen, wie<br />

ein Gummiball auf- und abhüpft, mir ständig in die Rippen boxt, völlig atemlos:<br />

„Herr <strong>Kaul</strong>, Herr <strong>Kaul</strong>, wir haben es geschafft! Wir bekommen einen<br />

Internationalen Strafgerichtshof!“.<br />

Was war nun – und dies ist eine bedeutsame Frage – die entscheidende<br />

Triebkraft, die zu diesem Durchbruch, zu diesem „Wunder <strong>von</strong> Rom“ führte?<br />

Was war die entscheidende Triebkraft, die letzlich den Internationalen<br />

Strafgerichtshof zustande brachte?<br />

Viele Antworten sind möglich, viele Faktoren haben mitgewirkt.<br />

• Allen voran die bereits 1872 entwickelte Vision eines Internationalen<br />

Strafgerichtshofs als groβe, zündende Idee. Groβe Ideen, groβe<br />

Entwürfe haben es an sich – das wissen wir -, daβ sie viele Hoffnungen<br />

und dann auch den Willen zur Tat auslösen. So war Leitmotiv der<br />

deutschen Delegation, mit dem wir uns selbst und andere immer<br />

wieder aufgebaut haben, wenn es schwierig wurde – und es wurde oft<br />

schwierig! – ein Satz frei nach Victor Hugo: „Nichts ist stärker als eine<br />

Idee, deren Zeit gekommen ist!“<br />

Es gab weitere günstige Umstände für den Erfolg der Rom-Konferenz:<br />

• das Ende des Ost-West-Konflikts;<br />

• dann auch die Modell-Funktion der 1993/1994 errichteten Ad hoc –<br />

Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und für Ruanda;<br />

• entscheidend: die entschlossene Haltung der gerichtshoffreundlichen,<br />

gleichgesinnten Staaten; sowie<br />

• gleichermaßen konsequente Unterstützung durch die Zivilgesellschaft,<br />

gut organisiert durch die International NGO Coalition, Human Rights<br />

Watch und Amnesty International, mit herausragenden<br />

Führungspersönlichkeiten wie Benjamin Ferencz.<br />

Was aber war nun die wirklich entscheidende Triebkraft? Aus meiner Sicht<br />

gab es und gibt es weiterhin eine sanfte Urgewalt, die man oft nicht sieht und<br />

die eine eher leise Stimme hat. Und auch wenn auf dieser Kraft immer wieder<br />

3


herumgetrampelt wird, auch wenn ihre Stimme im permanenten Gedröhne<br />

der Medien, <strong>von</strong> CNN und der schlechten Nachrichten untergeht, so ist diese<br />

Kraft dennoch unter der Oberfläche außerordentlich wirksam:<br />

Menschen in allen Erdteilen, Männer und Frauen in allen Ländern sind vereint<br />

im Wunsch nach Friede und Gerechtigkeit. Menschen überall auf der Welt<br />

stimmen überein, daβ Menschenwürde und Menschenrechte besser gegen<br />

schwerste Verletzungen geschützt werden müssen. Die entscheidende Kraft,<br />

die letztlich den Internationalen Strafgerichtshof zustandebrachte, ist dieser<br />

weltweit tief empfundene Wunsch, diese Hoffnung auf mehr internationale<br />

Gerechtigkeit.<br />

Ich bin berührt <strong>von</strong> der Ehre, die mir heute zuteil wird. In meiner Arbeit für den<br />

Strafgerichtshof war ich manchmal sehr einsam, auch wenn ich <strong>von</strong> meiner<br />

Frau, meinen Kindern und meinen engsten Mitarbeitern rückhaltlos unterstützt<br />

wurde.<br />

Und nun, was für eine Erfahrung, aus diesem Anlaβ in der Universität zu Köln<br />

sein zu dürfen, dieser groβartigen und ehrwürdigen deutschen Universität!<br />

Was für ein Erlebnis, aus diesem Anlaβ in Köln sein zu dürfen, dieser<br />

wunderbaren, lebensfrohen Stadt, 2000 Jahre alt, die nach den Zerstörungen<br />

und Leiden des letzten Krieges heute wieder in neuer Schönheit erstrahlt!<br />

Ihnen, Herr Dekan, und allen, die zu dieser Veranstaltung beigetragen haben,<br />

möchte ich sagen, wie dankbar ich bin, heute hier sein zu dürfen.<br />

Bitte sehen Sie mir nach, wenn ich heute nicht über den Internationalen<br />

Strafgerichtshof spreche. Vielleicht darf ich stattdessen wenigstens einige<br />

persönliche Gedanken zu zwei Fragen vortragen, die mich seit langem<br />

umtreiben:<br />

• Erstens: Was sind die wichtigsten Bedrohungen für die Achtung der<br />

Menschenrechte und unsere Hoffnung auf mehr Gerechtigkeit? Welche<br />

Haltungen und Risiken sind es, die immer wieder zu massenhaften<br />

Verbrechen führen?<br />

• Und zweitens: Was sind einige Entwicklungen oder Ereignisse, die<br />

belegen können, daβ unsere gemeinsame Hoffnung auf mehr<br />

Gerechtigkeit vielleicht doch nicht vergeblich sein muβ?<br />

4


Wenn ich im folgenden <strong>von</strong> der Hoffnung auf Gerechtigkeit spreche, dann<br />

meine ich vor allem eine Lage, in der schwerste Verbrechen wie Völkermord,<br />

Verbrechen gegen die Menschlichkeit und massenhafte Kriegsverbrechen<br />

nicht vorkommen oder, falls sie doch begangen werden, die Täter<br />

strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Ich bitte um Verständnis,<br />

daß ich auf andere Bedrohungen der Gerechtigkeit, auf anderes<br />

haarsträubendes Unrecht nicht eingehen kann. Das gilt zum Beispiel auch für<br />

das große Unrecht, für die wirklich zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit,<br />

daß diejenigen, welche mit ihren Machenschaften die derzeitige Finanzkrise<br />

herbeigeführt haben, mit ihren Profiten vermutlich ungeschoren da<strong>von</strong><br />

kommen werden.<br />

Zurück also zu der Frage, warum es immer wieder zu schwersten<br />

internationalen Verbrechen kommt, die unsere Hoffnungen auf Recht und<br />

Gerechtigkeit existenziell in Frage stellen. Es ist gut, daβ Professor Ferencz<br />

vor mir über die Nürnberger Prozesse gesprochen hat. Immer noch haben wir<br />

groβe Schwierigkeiten zu sehen, welche Faktoren, welche Haltungen es<br />

waren, die das nationalsozialistische Unrechtsregime und die <strong>von</strong> seinen<br />

Machthabern begangenen Verbrechen ermöglichten. Was war es, was 1933<br />

in Deutschland den tiefen Sturz in Willkürherrschaft und Rechtlosigkeit,<br />

verbrecherische Angriffskriege, den millionenfachen Mord an Juden und<br />

andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit möglich machte?<br />

Weiterhin müssen wir den ernsthaften Versuch unternehmen, dies zu<br />

verstehen. Wenn wir dies tun, so erkennen wir sie wieder, diese dunklen<br />

schwankenden Gestalten. Ihre Namen sind:<br />

Zynismus; Stumpfheit und Gleichgültigkeit gegenüber dem Recht;<br />

Duckmäuser- und Mitläufertum statt Zivilcourage. Oft eine willfährige<br />

Bereitschaft, sich brutaler Macht unterzuordnen. Oder sogar eine geile<br />

Bereitschaft, möglichst an totaler Machtausübung teilzuhaben, um sich<br />

Einfluβ, Karriere, Reichtum und Vorteile aller Art zu sichern. Nationale<br />

Überheblichkeit, ethnische Vorurteile und Intoleranz senken die<br />

Hemmschwelle weiter. Über allem bei den Machthabern skrupellose<br />

Bereitschaft, Gewalt aller Art einschlieβlich militärischer Gewalt einzusetzen.<br />

5


Wenn all dies zusammenkommt – das wissen wir heute – dann ist Gefahr,<br />

allergrößte Gefahr im Verzug, damals wie heute. Alle diese Haltungen und<br />

Einstellungen zusammengenommen, das ist die explosive Mischung, die<br />

Verderben bringende Mischung, die Deutschland in die Katastrophe führte.<br />

Zuerst die Judenverfolgung, dann der Überfall auf Polen am 1. September<br />

1939, geradezu der klassische Fall eines verbrecherischen Angriffskrieges,<br />

eines „Crime of Aggression“, als direkter Weg in den Zweiten Weltkrieg, mit<br />

allen damit verbundenen Verbrechen gegen den Frieden, gegen die<br />

Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.<br />

Es ist möglich, daβ manche heute einen solchen Blick zurück für überflüssig<br />

oder gar befremdlich finden. Wenn wir aber über die Hoffnung auf mehr<br />

Gerechtigkeit nachdenken, so müssen wir, um ein festes Fundament zu<br />

haben, auch vom Krieg sprechen – dies auch dann, obwohl wir Deutschen<br />

seit nunmehr 63 Jahren in Frieden leben dürfen, dies auch dann, obwohl die<br />

unerhörte Katastrophe der Nazi-Verbrechen und des Zweiten Weltkriegs in<br />

weite Ferne gerückt erscheint.<br />

Über den Krieg hat Carl <strong>von</strong> Ossietzky bereits 1932 gesagt, seherisch:<br />

„Wir Anhänger des Friedens haben die Pflicht, ständig aufs Neue zu<br />

beweisen, daß am Krieg nichts Heroisches ist und daß er der Menschheit<br />

nichts bringt als Angst und Schrecken.“<br />

Erlauben Sie, daß ich dieses Vermächtnis heute mit meinen eigenen Worten<br />

so ausdrücke: Krieg – das ist die ultimative Bedrohung aller menschlichen<br />

Werte. Krieg ist blanker Nihilimus, zugleich die totale Verneinung <strong>von</strong><br />

Hoffnung und Gerechtigkeit. Krieg, das Unrecht des Krieges an sich, gebiert<br />

erfahrungsgemäβ massenhafte Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die<br />

Menschlichkeit. Und, nochmals mit meinen eigenen Worten, so hart wie die<br />

Realität selbst hart ist: Kriegsverbrechen – das sind die Exkremente des<br />

Krieges, zwangsläufig und abscheulich. Wir haben dies immer wieder<br />

gesehen, im Zweiten Weltkrieg, in Vietnam, im Krieg im ehemaligen<br />

Jugoslawien, im Irak.<br />

Es ist auch kein Zufall, daβ die Verbrechen, die derzeit vom Internationalen<br />

Strafgerichtshof verfolgt werden, allesamt in kriegerischen Konflikten<br />

begangen wurden, in Uganda, in der Demokratischen Republik Kongo, in der<br />

6


Zentralafrikanischen Republik wie auch in Darfur / Sudan. Genau wie im<br />

vergangenen Jahrhundert gibt es offenbar weiterhin eine verheerende<br />

Gesetzmäβigkeit: Krieg, die skrupellose Bereitschaft, militärische Gewalt für<br />

machtpolitische Ziele einzusetzen, gebiert regelmäβig und massenhaft<br />

schwerste Verbrechen aller Art.<br />

Es war daher ein großer rechtspolitischer Fortschritt, daβ die Nürnberger<br />

Prozesse das Prinzip individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit auch <strong>von</strong><br />

führenden Politikern und Militärs für ihre Taten etablierten. Das war primär<br />

eine amerikanische Großtat, <strong>von</strong> Männern wie Robert Jackson, Telford Taylor<br />

und Benjamin Ferencz. Es war aus meiner Sicht ein ebenso epochaler<br />

Durchbruch, daβ in Nürnberg erstmals die sogenannten Verbrechen gegen<br />

den Frieden als Völkerstraftat anerkannt und verfolgt wurden.<br />

Der Internationale Strafgerichtshof ist eine direkte Konsequenz <strong>von</strong> Nürnberg.<br />

Angesichts unserer eigenen Erfahrungen, unser eigenen Vergangenheit, ist<br />

es, wie ich glaube, nur folgerichtig, daβ sich Deutschland mit Nachdruck für<br />

einen effektiven, funktionsfähigen, unabhängigen und damit glaubwürdigen<br />

Internationalen Strafgerichtshof eingesetzt hat.<br />

So ist auch weithin anerkannt, daβ es maβgeblich auf den deutschen Einsatz<br />

zurückzuführen ist, daβ das „Crime of Aggression“, das Verbrechen des<br />

Angriffskriegs in Artikel 5, Absatz 1 (d) das Römischen Statuts für immer als<br />

internationales Verbrechen anerkannt worden ist. Denn hier in Artikel 5 steht<br />

seit 1998 sehr klar unter der Überschrift „Crimes within the jurisdiction of the<br />

Court“ in Absatz 1 (d) „The crime of aggression“.<br />

Vor allem Benjamin Ferencz und Claus Kreβ wissen: Wir können damit bei<br />

weitem nicht zufrieden sein. Denn der Internationale Strafgerichtshof wird<br />

gemäß Artikel 5, Absatz 2 des Römischen Statuts erst dann Strafgewalt über<br />

das Aggressionsverbrechen haben, wenn eine angemessene Definition für<br />

dieses Verbrechen angenommen sein wird und die Frage der Befugnisse des<br />

Strafgerichtshofs im Verhältnis zu den Befugnissen des UNO-Sicherheitsrats,<br />

eine Aggression feststellen zu können, geklärt ist.<br />

Hier gibt es also weiterhin erheblichen Handlungsbedarf.<br />

7


An dieser Stelle möchte ich einen kleinen Austausch mit Benjamin Ferencz<br />

erwähnen. Kurz vor Weihnachten letzten Jahres, im Dezember 2007 habe ich<br />

am Brandenburger Tor, in der Akademie der Künste, diese kleine Postkarte<br />

gefunden. Sie hat mich interessiert. Die Aufnahme zeigt – Sie werden das<br />

nicht sehen können – Hausruinen und Trümmerberge 1945 in Berlin. Auf eine<br />

stehengebliebene Wand hat jemand mit groβen weiβen Buchstaben drei<br />

Worte geschrieben: „Nie wieder Krieg“.<br />

Wir wissen wieviel Hunger, Elend und Entbehrungen es 1945 in Berlin gab,<br />

wie Menschen täglich um das Überleben kämpfen mussten.<br />

Und dennoch gab es Einzelne, kleine Gruppen, die mit Eimer und Pinsel<br />

durch die völlig zerstörte Stadt zogen, um möglichst überall ihre Hoffnung<br />

aufzumalen: „Nie wieder Krieg“. Dieser Gedanke, diese Vorstellung hat mich<br />

angerührt.<br />

Da ich weiß, daβ Benjamin Ferencz nach Kriegsende in Berlin war, daß er<br />

und seine Frau einmal sogar mit dem Fallschirm über dem zerstörten Berlin<br />

abspringen mussten, haben wir ihm diese Karte als Gruβ nach Amerika<br />

geschickt. Schon am 6. Januar 2008 erhielten wir unsererseits diesen Gruβ<br />

<strong>von</strong> Professor Ferencz, aus dem ich ausnahmsweise zitieren darf:<br />

„I vividly recall the scene depicted in your photo of Berlin “Nie wieder Krieg”. I<br />

hope one day with your help, we can add a postscriptum “Krieg ist strafbar!” I<br />

am still working on it.“<br />

Ja, hieran müssen wir weiterarbeiten, gemeinsam und entschlossen.<br />

Zweiter Teil:<br />

Was sind einige Ereignisse und Entwicklungen, welche belegen können, daß<br />

unsere gemeinsame Hoffnung auf mehr Gerechtigkeit vielleicht doch nicht<br />

vergeblich sein muβ?<br />

Vielleicht klingt diese Frage recht nüchtern. Ich möchte aber nicht<br />

missverstanden werden. Gottseidank gibt es immer wieder Ereignisse und<br />

Entwicklungen, die uns Mut machen, uns neue Hoffnung geben können. Und<br />

gerade wir Deutschen wissen auch, daβ auch in größter Bedrängnis, ja in der<br />

Katastrophe die Hoffnung lebt, daβ das Unheil überwunden werden kann.<br />

8


Vielleicht darf ich exemplarisch noch einmal auf vier Geschehnisse eingehen,<br />

die vielen Hoffnung gegeben haben und die ich aus der Nähe miterleben<br />

konnte.<br />

Im Sommer 1989 war ich politischer Botschaftsrat an unserer Botschaft in<br />

Washington, zuständig für amerikanische Nahost- und Asien-Politik. Und es<br />

ist ebenfalls wunderbar, daß mein damaliger Chef, Botschafter Paschke, und<br />

seine Frau heute hier anwesend sind. Plötzlich geschahen unerhörte Dinge –<br />

und Sie ahnen bereits, worum es geht: Ungarn öffnete die Grenze zu<br />

Österreich, in der DDR gab es Montagsdemonstrationen und wachsende<br />

Unruhe. Weil ich, auch wegen meiner Herkunft aus Glashütte und Dresden,<br />

so absolut fasziniert war <strong>von</strong> dem, was sich da abspielte, konnte ich<br />

schliesslich erreichen, daβ mir an der Botschaft ad hoc die Zuständigkeit für<br />

amerikanische Deutschlandpolitik / die Frage deutscher Einheit übertragen<br />

wurde. Wir alle wissen, was dann geschah. Wir alle haben die Öffnung der<br />

Mauer in Berlin, diese dramatischen Tage des 9. und 10. November 1989,<br />

schicksalhaft und beglückend, in unterschiedlicher Weise miterlebt. Am 9.<br />

November nachmittags stürmte ein Kollege in mein Zimmer in der Botschaft in<br />

Washington und rief: „Komm sofort zum Fernseher, die Mauer ist offen!“<br />

Danach ging die Arbeit erst richtig los. Der zwei plus vier Prozeβ wurde<br />

eingeleitet. Jeden Tag war die Regierung in Bonn auf das höchste daran<br />

interessiert, ob die Regierung Bush/Baker weiterhin die deutsche Einheit<br />

konsequent unterstützen würde. Und besonders für einen aus Dresden<br />

stammenden Angehörigen des Auswärtigen Amtes war es eine unglaubliche<br />

Erfahrung, an der Wiedervereinigung des eigenen Volkes und der eigenen<br />

Familie mitarbeiten zu dürfen.<br />

Nun, vor wenigen Wochen haben wir den achtzehnten Jahrestag, sozusagen<br />

das Erwachsensein des wiedervereinten Deutschlands gefeiert. Was ich<br />

sagen möchte, ist einfach: Wenn wir manchmal verzagt oder kleinmütig sind<br />

wegen all der Probleme, mit denen wir uns Tag für Tag herumschlagen<br />

müssen, so sollten wir doch Hoffnung und Kraft schöpfen aus dem, was wir<br />

miterleben konnten. Es war und ist groβartig, daβ es uns gelungen ist, die<br />

deutsche Einheit auf friedlichem Wege zu erreichen, im Einvernehmen mit<br />

unseren Nachbarn, ohne einen einzigen Verletzten oder einen einzigen<br />

9


Schuss. Es war und ist groβartig, daβ das gesamte deutsche Volk seither in<br />

Freiheit und Rechtsstaatlichkeit leben kann.<br />

Es wird Sie nicht überraschen, daβ mein zweites Beispiel die Errichtung des<br />

Internationalen Strafgerichtshofs selbst betrifft. Es ist mir bewuβt, ja<br />

schmerzlich bewuβt, welche groβen Hoffnungen und Erwartungen sich an<br />

unsere kleine und schwache, eher symbolische Institution richten. Obwohl<br />

diese Hoffnungen weithin unrealistisch sind, so sind sie doch verständlich.<br />

Denn die Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs stellt in der Tat<br />

einen Durchbruch, ja einen rechtsgeschichtlichen Meilenstein dar.<br />

• Erstmals gibt es ein allgemeines, ein ständiges, ein zukunftsgerichtetes<br />

internationales Strafgericht, welches auf dem freien Willen der<br />

internationalen Gemeinschaft, auf dem freien Willen der Vertragstaaten<br />

beruht, welches also nicht vom UNO-Sicherheitsrat oder<br />

Siegermächten aufoktroyiert wurde, nachdem vorher Völkerstraftaten<br />

in gröβerem Umfang begangen wurden.<br />

• Erstmals gibt es ein allgemeines internationales Strafgericht, für das in<br />

vollem Umfang der allgemeine Rechtsgrundsatz „Gleichheit vor dem<br />

Recht, gleiches Recht für alle“ gilt, das also nicht selektiv ist, wie die<br />

Gerichte für das ehemalige Jugoslawien, Ruanda, Sierra Leone und<br />

Kambodscha das allesamt sind.<br />

Im sechsten Jahr meiner Arbeit in Den Haag weiβ ich aber auch – und das ist<br />

keine Klage, sondern eine schlichte Feststellung: es ist weiterhin ungeheuer<br />

schwierig, diese schwache Institution, zu 100 Prozent <strong>von</strong> der Unterstützung<br />

durch die Vertragsstaaten abhängig, zu einem wirklich funktionsfähigen und<br />

universell anerkannten Weltgericht zu machen. Es werden noch gröβte<br />

Anstrengungen und ein langer Atem, <strong>von</strong> vielen, erforderlich sein.<br />

Ich habe heute die Chance, zu Ihnen über Hoffnung, Friede und Gerechtigkeit<br />

sprechen zu dürfen. Auf das Risiko hin, daβ ich dafür kritisiert werde, möchte<br />

ich ein drittes Beispiel / Ereignis aus dem Jahre 2003 erwähnen, welches<br />

auch mir persönlich groβen Auftrieb und Hoffnung gegeben hat. Es war nach<br />

meiner Auffassung eine Sternstunde, eine Sternstunde für unser Land, daβ<br />

die damalige Bundesregierung <strong>von</strong> Bundeskanzler Schröder und<br />

10


Auβenminister Fischer sich geweigert hat, an dem amerikanisch-britischen<br />

Krieg gegen den Irak teilzunehmen. Das war eine glückliche, eine wahrhaft<br />

gerechte Entscheidung, in voller Übereinstimmung mit dem Völkerrecht. Sie<br />

ist auch in voller Übereinstimmung mit unserem Grundgesetz, in dem es in<br />

Art. 26 heißt:<br />

„Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen<br />

werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören,<br />

insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind<br />

verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“<br />

Mit ihrer Nichtbeteiligung an der Irak-Invasion des Jahres 2003 hat die<br />

Bundesregierung aus meiner Sicht einen für die deutsche Verfassungspraxis<br />

höchst bedeutsamen Präzedenzfall gesetzt. Es ist zu hoffen, daβ der klare<br />

Maβstab dieses Präzedenzfalles erneut voll angewandt werden wird, wenn<br />

wieder einmal versucht werden sollte, <strong>von</strong> wem auch immer, Deutschland in<br />

einen völkerrechtswidrigen Krieg zu verstricken.<br />

Mein letztes Beispiel für ein Ereignis, welches auf seine Art die Hoffnung auf<br />

Gerechtigkeit stärken kann, ist ganz anderer Art:<br />

Die Hoffnung auf Gerechtigkeit braucht ein Symbol, das neue Weltstrafgericht<br />

braucht auch ein angemessenes Haus. In der Sprache <strong>von</strong> Bejamin Ferencz:<br />

„We need a Temple of Law“. Seit 2003 sind wir provisorisch im ehemaligen<br />

Bürogebäude der niederländischen Telefongesellschaft KPN untergebracht.<br />

Seit 2003, <strong>von</strong> Anfang an, habe ich daher nach besten Kräften versucht, die<br />

Planungsarbeiten für die endgültigen Gebäude des Internationalen<br />

Strafgerichtshofs voranzutreiben. Ich habe mich besonders dafür eingesetzt,<br />

möglichst bald einen groβen internationalen Architektenwettbewerb zustande<br />

zu bringen, bei dem einige der besten Architekten der Welt – zum Beispiel<br />

Norman Foster, Rem Koolhaas, Moshe Safdie, Zaha Hadid und andere –<br />

versuchen sollten, dem Strafgerichtshof ein konkretes Gesicht zu geben.<br />

Vor drei Wochen hat die Jury dieses internationalen Architektenwettbewerbs,<br />

der ich als einziger <strong>Richter</strong> angehöre, die Preisträger gekürt. Gestern Abend<br />

hat der niederländische Außenminister im Rathaus <strong>von</strong> Den Haag vor den<br />

Delegierten aller Vertragsstaaten den mit dem 1. Preis ausgezeichneten<br />

Entwurf vorgestellt. Dieser Entwurf wurde <strong>von</strong> der Düsseldorfer<br />

Architektenfirma Ingenhoven erarbeitet. Es ist eine wunderbare bauliche<br />

11


Konzeption für den Internationalen Strafgerichtshof, leicht, sorgfältig,<br />

transparent und sehr human.<br />

Damit ist die Chance gewachsen, daβ der Internationale Strafgerichtshof etwa<br />

2013 / 2014 auch ein bauliches Gesicht haben wird, welches die <strong>von</strong> ihm<br />

ausgehende Botschaft weiter verstärkt. Diese Botschaft lautet:<br />

Vor dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Niemand steht über dem Gesetz.<br />

Immer mehr Menschen stimmen überein, trotz aller Rückschläge: es geht um<br />

die Stärke des Rechtes, nicht um das Recht des Stärkeren.<br />

Für diese Hoffnung möchte ich, wenn es geht, noch ein bißchen weiter<br />

arbeiten.<br />

Ich danke Ihnen.<br />

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