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Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 2010

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Klaus Weschenfelder<br />

Engel im Diskurs<br />

Zu einer Coburger Tafel aus dem Umkreis Michael Wolgemuts<br />

Zusammenfassung<br />

Die dem Meister <strong>des</strong> Augustiner-Altars zugeschriebene Tafel mit<br />

der Geburt Christi befindet sich seit 1986 als Leihgabe und seit<br />

2003 als Eigentum in den Kunstsammlungen <strong>des</strong> Veste Coburg.<br />

Weder über den ursprünglichen Aufstellungsort der spätmittelalterlichen<br />

Tafel noch über ihre zeitweilige Zugehörigkeit zur<br />

Sammlung William Randolph Hearst im walisischen St. Donat’s<br />

Castle gibt es letzte Sicherheit. Eine stilistische Zuordnung zur<br />

Nürnberger Kunst ist jedoch durch enge, teilweise aus der niederländischen<br />

und oberrheinischen Kunst vermittelte Motivübernahmen<br />

aus dem Umkreis von Hans Pleydenwurff (um 1425–<br />

vor 1472) und Michael Wolgemut (1434 oder 1437–1519)<br />

eindeutig. Den Übergang zu Renaissanceformen, wie er sich bei<br />

Wolgemut beispielsweise im Schwabacher Altar (1506/08) findet,<br />

hat der Maler der Coburger Tafel nicht vollzogen. Auch hierdurch<br />

ist eine Entstehung <strong>des</strong> Gemäl<strong>des</strong> um 1480/90 wahrscheinlich,<br />

selbst wenn die differenzierte Ausgestaltung der<br />

anbetenden Engel ihrer Zeit voraus ist. Da Vorbilder fehlen, zeugen<br />

sie von der ikonographischen Innovationsfreude <strong>des</strong> Malers.<br />

Sein auf der Tafel dargestellter Engelsdiskurs ist einzigartig,<br />

eine Deutung erst in Umrissen möglich.<br />

Die spätmittelalterliche Tafelmalerei bietet zahlreiche<br />

Bilderfindungen, die zum einen dem drängenden<br />

Wunsch nach Verbildlichung differenzierter religiöser<br />

Aussagen geschuldet sind, zum anderen dem zunehmenden<br />

Interesse an wirklichkeitsnaher Darstellung. So<br />

beobachtete Johan Huizinga in der spätmittelalterlichen<br />

Kunst, wie die »ungezügelte Ausarbeitung der Einzelheiten,<br />

[...] unbemerkt in das behagliche Erzählen<br />

von Kleinigkeiten, in das Genreartige übergeht.« 1 In<br />

seiner Tendenz, Wirklichkeit abzubilden, scheint sich<br />

der erstarkende Naturalismus zunehmend der Einbindung<br />

in formale Strukturen oder in symbolische Sinnzusammenhänge<br />

zu widersetzen. 2 Zugleich lassen sich<br />

andererseits in der religiösen Tafelmalerei viele Details,<br />

seien es Gegenstände, Gesten oder Handlungen, als<br />

Bedeutungsträger identifizieren. Gerade in den Darstellungen<br />

Christi sei nichts allein der allgemeinen Alltagserfahrung<br />

entnommen, konstatiert Leo Steinberg. 3<br />

45<br />

Abstract<br />

The panel attributed to the Master of the Saint Augustine-Altarpiece<br />

that depicts the Birth of Christ had been in the art collection<br />

of the Veste Coburg since 1986, first as a loan and since<br />

2003 as an acquisition. There is no absolute certainty concerning<br />

either the original location of the late medieval panel or<br />

its sometime inclusion in the collection of William Randolph<br />

Hearst at St. Donat’s Castle in Wales. Stylistically, however, it<br />

can be definitely attributed to the artistic sphere of Nuremberg<br />

on the basis of the close borrowing of motifs – some drawn from<br />

Dutch and Upper Rhenish art – from the circle of Hans Pleydenwurff<br />

(ca 1425– before 1472) and Michael Wolgemut<br />

(1434 or 1437–1519). The transition to Renaissance forms<br />

that Wolgemut demonstrates, for example, in the Schwabach<br />

Altar (1506/08), has not been completed by the painter of the<br />

Coburg panel. This is another indication that the panel was<br />

probably painted ca 1480/90, even if the differentiated treatment<br />

of the adoring angels is advanced for its time. In the absence<br />

of prototypes, they testify to the iconographic inventiveness<br />

of the artist. The »angelic discourse« depicted on the panel<br />

is unique; thus far, it can only be tentatively interpreted.<br />

Nichts was der Christusknabe macht, ist »kindgemäß«,<br />

ob er nun Katharina einen Ring an den Finger steckt<br />

oder Petrus den Schlüssel überreicht, ob er eine Frucht<br />

isst oder ein Buch durchblättert. Das gleiche gilt für<br />

Handlungen, die in Bezug auf den Jesusknaben vorgenommen<br />

werden. Sie sind voller Bedeutung.<br />

Im Licht dieses Urteils erweckt eine auf den ersten Blick<br />

wenig spektakulär wirkende Tafel eines spätgotischen<br />

Flügelaltars in den Kunstsammlungen der Veste Coburg<br />

Neugier und bietet Gelegenheit zur Entdeckung einer<br />

Besonderheit in der Darstellung der Geburt Christi<br />

(Abb. 1). Wie es scheint ist sie in der Kunstgeschichte<br />

ohne Vergleich und daher einer näheren Betrachtung<br />

wert. Zu erörtern sind Gestik und Haltung der drei das<br />

Christkind umgebenden Engel. Wissenswertes über<br />

Provenienz und stilistische Einordnung <strong>des</strong> Bil<strong>des</strong> soll<br />

vorangestellt werden.

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