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Der Winterfeldtplatz in Berlin-Schöneberg Das ... - Motzbuch

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<strong>Das</strong> Abenteuer<br />

liegt um die Ecke<br />

<strong>Der</strong> <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong>-<strong>Schöneberg</strong><br />

Susanne Twardawa<br />

Bilder von Horst Happatz<br />

und Susanne Twardawa<br />

mit e<strong>in</strong>em Beitrag von<br />

Daniela von Raffay<br />

motzbuch edition 6<br />

1


2 3<br />

© dieser Ausgabe 2006<br />

motzbuch edition<br />

Copyright der Fotos und Texte<br />

bei den Urhebern<br />

Alle Rechte vorbehalten<br />

Idee, Konzeption, Text:<br />

Susanne Twardawa<br />

Gestaltung: Kar<strong>in</strong> Schmidt-Ruhland<br />

Druck: MK-Druck Berl<strong>in</strong><br />

Pr<strong>in</strong>ted <strong>in</strong> Germany<br />

ISBN: 3-935790-06-6<br />

Dieses Buch ist allen<br />

Puppenspieler<strong>in</strong>nen und<br />

Puppenspielern dieser Welt gewidmet,<br />

besonders aber Annemi und Sebastian.<br />

Dedicado a todos los titiriteros<br />

y marionetistas de este mundo,<br />

en especial, a Annemi y Sebastian.


4 5<br />

<strong>Der</strong> <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

„Kennt ihr das Märchen vom Goldenen<br />

Topf, er<strong>in</strong>nert ihr euch an das seltsame<br />

Äpfelweib, dem der Student Anselmus<br />

da am Anfang begegnet? Oder kennt<br />

ihr Hauffs Märchen ‚Zwerg Nase‘, das<br />

mit e<strong>in</strong>em Markt beg<strong>in</strong>nt, auf dem die<br />

Hexe mit sp<strong>in</strong>deldürren F<strong>in</strong>gern die<br />

Waren betastet, um das Beste für sich<br />

mit nach Hause zu nehmen? Ist es euch<br />

nicht selbst schon, wenn ihr mit der<br />

Mutter den Markt betratet, spannend<br />

und festlich vorgekommen? Denn noch<br />

im e<strong>in</strong>fachen Wochenmarkt steckt et-<br />

was vom Zauber der orientalischen<br />

Märkte, der Bazare von Samarkand.“<br />

<strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> <strong>in</strong> <strong>Schöneberg</strong>-Wochenmarkt 1993<br />

Radierung von Eberhard Franke (1936-2004)<br />

Damit beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>e der Rundfunkgeschichten<br />

für K<strong>in</strong>der, die Walter Benjam<strong>in</strong><br />

zwischen 1929 und 32 schrieb.<br />

<strong>Der</strong> W<strong>in</strong>terfeldtmarkt bietet solch e<strong>in</strong>e<br />

romantische Alternative zum Supermarkt<br />

an der nächsten Ecke. Und das, obwohl<br />

der Platz e<strong>in</strong>st schnurgerade auf dem<br />

Reißbrett entworfen wurde. 1890 wur-<br />

de der 290 Meter lange und 80 Meter<br />

breite Platz auf e<strong>in</strong>em Feld vor den Toren<br />

der Stadt Berl<strong>in</strong> befestigt, mit Bäumen<br />

umgeben und zum Marktplatz bestimmt.<br />

Es waren damals die Bauern aus <strong>Schöneberg</strong>,<br />

die auf dem <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> ihre<br />

Waren feilboten und die Höker<strong>in</strong>nen aus<br />

Berl<strong>in</strong>: Frauen von niederem Stand, die<br />

nur billige Waren verkaufen durften.


Nach dem Berl<strong>in</strong>er Adressbuch 1921<br />

6 7<br />

<strong>Das</strong> „Ratswagenhäuschen“ für die Rats-<br />

waage, auf der die Händler ihre Ware<br />

unter Aufsicht und mit geeichten Gewichten<br />

abwogen, kam 1900 auf die<br />

Südseite des <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>es. Da es<br />

<strong>in</strong> jeder Stadt nur e<strong>in</strong>e dieser sorgsam<br />

gehüteten Waagen gab, erhielt der Platz<br />

dadurch e<strong>in</strong>e besondere Aufwertung.<br />

Erst irgendwann nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg verschwand das Waagenhaus<br />

mit der Waage.<br />

Auch verkehrsmäßig lag der W<strong>in</strong>ter-<br />

feldtplatz günstig. Bereits 1887 fuhr<br />

e<strong>in</strong>e Dampfstraßenbahn von der Haupt-<br />

straße durch die Goltzstraße und Maaßenstraße<br />

zum Nollendorfplatz. Kurze<br />

Vor der Kirche rechts ist das<br />

„Ratswagenhäuschen“ zu sehen 1935<br />

Zeit später wurde sie von der elektrischen<br />

Straßenbahn abgelöst.<br />

Mit der Stadtwerdung <strong>Schöneberg</strong>s am<br />

1. April 1898 wurde der <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

städtisch. Die Grenze zwischen<br />

<strong>Schöneberg</strong> und Berl<strong>in</strong> verlief durch<br />

die Gleditschstraße. Die Häuser an der<br />

Gleditschstraße gehörten zu Berl<strong>in</strong>, die<br />

an der Goltzstraße zu <strong>Schöneberg</strong>. Mit<br />

der Bildung Großberl<strong>in</strong>s 1920 wurde<br />

der Platz großstädtisch. Damit konnten<br />

nun auch Händler aus Berl<strong>in</strong> auf dem<br />

W<strong>in</strong>terfeldtmarkt ihre Ware verkaufen.<br />

<strong>Der</strong> Bau der Untergrundbahn im Jahr<br />

1902 ermöglichte e<strong>in</strong>e schnelle Verb<strong>in</strong>dung<br />

von Berl<strong>in</strong> zu den Stadtrandgebie-<br />

Alte Postkarte um 1900<br />

ten. Auch die <strong>Schöneberg</strong>er Gaststätten<br />

waren am Wochenende gut besucht. Die<br />

Gegend um den Nollendorfplatz und<br />

um den Bülowbogen zog besonders die<br />

Boheme- und Künstlerszene des beg<strong>in</strong>nenden<br />

20. Jahrhunderts an. Gewalt,<br />

Prostitution und Armut häuften sich<br />

besonders <strong>in</strong> der Zeit nach dem Ersten<br />

Weltkrieg. Trotzdem bezeichnete der<br />

Schriftsteller Joseph Roth den <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

1921 noch als „Dorfidyll bei<br />

der Untergrundbahn“.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der<br />

Platz weitgehend zerstört. Frauen räumten<br />

die Trümmer beiseite und sorgten<br />

für die übriggebliebenen Familien. An<br />

die karge Nachkriegszeit gibt es aber<br />

auch schöne Er<strong>in</strong>nerungen. In den<br />

Ru<strong>in</strong>en suchten spielende K<strong>in</strong>der ihre<br />

Abenteuer. Flirtende Teenager fanden<br />

<strong>in</strong> den unbeleuchteten Hause<strong>in</strong>gängen<br />

die nötige Dunkelheit. Die Älteren kamen<br />

mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong>s Gespräch, wenn<br />

sie <strong>in</strong> der Schlange standen, um mit<br />

Lebensmittelmarken e<strong>in</strong>zukaufen. Bald<br />

fuhr auch wieder die L<strong>in</strong>ie 3 der Straßenbahn<br />

quietschend am Platz vorbei.<br />

Nach Wiederaufbau und Teilung der<br />

Stadt blieb <strong>in</strong> <strong>Schöneberg</strong> die Zeit stehen:<br />

die Straßenbahnen verschwanden,<br />

Häuser verfielen. Den Nollendorf- und<br />

<strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> eroberte die Drogen-


<strong>Der</strong> <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> 1898 <strong>Der</strong> <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> galt als hässlichster Platz von West-Berl<strong>in</strong> (1982)<br />

8 9<br />

und Prostituiertenszene und die Berl<strong>in</strong>er<br />

Morgenpost bezeichnete den <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

1978 als „Berl<strong>in</strong>s hässlichsten<br />

Platz“.<br />

1985 musste der Markt vorübergehend<br />

<strong>in</strong> die Gleditschstraße umziehen. <strong>Der</strong><br />

Platz wurde mit den rötlichen Bodenplatten<br />

„Marke Tauentzien“ gepflastert<br />

und von der Bezirksverwaltung zur Be-<br />

nutzung für Rollschuhläufer und Inl<strong>in</strong>eskater<br />

freigegeben.<br />

Pieke Biermann schrieb 1990 darüber<br />

<strong>in</strong> ihrem Krimi „Violetta“: „Sie trat aus<br />

der Tür und g<strong>in</strong>g l<strong>in</strong>ks die Goltzstraße<br />

h<strong>in</strong>auf <strong>in</strong> Richtung <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>.<br />

Montag ist ke<strong>in</strong> Markttag, und so schlenderte<br />

sie schräg über das Rechteck vor<br />

der Kirche, das vor e<strong>in</strong> paar Jahren mit<br />

Granitplatten belegt worden war. Mit e<strong>in</strong>er<br />

Billig- und Scheußlich-Version, was<br />

Marktleute, Anwohner und Stadtplaner<br />

bis zuletzt zu verh<strong>in</strong>dern versucht<br />

hatten. Als Untergrund für lustvoll<br />

klappernde Stöckelschuhe und gut geschmierte<br />

Rollschuhe waren die Platten<br />

ganz brauchbar. ... Besser als das Bernburger<br />

Kle<strong>in</strong>mosaik, das den Platz früher<br />

geziert hatte. Und sehr viel besser<br />

als die Asphaltschicht, die der deutsche<br />

Amtsschimmel <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Wahn, nach<br />

jedem Markttag den Platz flächendeckend<br />

des<strong>in</strong>fizieren zu müssen, über die<br />

Pflasterste<strong>in</strong>e hatte gießen lassen.“<br />

Die „Neue Heimat“ übernahm <strong>in</strong> den<br />

1980er Jahren die Sanierung des öst-<br />

lichen Blockes um Zieten- und Nollendorfstraße<br />

und h<strong>in</strong>terließ e<strong>in</strong> Hausensemble<br />

im historisierenden Stil. Hausbesetzer,<br />

Hausbesitzer, Kirche, Bezirk<br />

und Städteplaner kümmerten sich um<br />

die weiteren Grundstücke. Die Sankt-<br />

Matthias-Kirche musste nach schwerer<br />

Kriegszerstörung restauriert und erneuert<br />

werden. Erst im Jahr 1987 begann<br />

man die zugemauerten Kirchenfenster<br />

zu öffnen.<br />

Heute weicht der <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> stark<br />

von se<strong>in</strong>em historischen Ersche<strong>in</strong>ungs-<br />

bild ab. Was sich nicht verändert hat,<br />

ist se<strong>in</strong>e Nutzung als Markt; und als<br />

Markt ist er Kult.


Blick auf den <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> Richtung Nord-Osten 2005<br />

10 11<br />

Blick auf den <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> Richtung Süd-Westen 2005


12 13<br />

<strong>Der</strong> W<strong>in</strong>terfeldtmarkt<br />

Autogeräusche der Zulieferer, Rufe und<br />

das typische Klappern beim Aufbauen<br />

der Stände hallen an den Markttagen ab<br />

4 Uhr morgens über den Platz. Noch<br />

sche<strong>in</strong>t sich die harte Arbeit zu lohnen:<br />

nachts aufstehen, anreisen, Ware bereitstellen<br />

und bei jedem Wetter im Freien<br />

verkaufen.<br />

E<strong>in</strong>ige Marktstände werden von Generation<br />

zu Generation weitergegeben.<br />

Andere verschw<strong>in</strong>den mangels Nachfrage.<br />

So gibt es heute ke<strong>in</strong>e Sandwagen<br />

mehr. Mit dem fe<strong>in</strong>en märkischen Sand<br />

wurden die Parkettböden gescheuert.<br />

Auch die politischen Büchertische der<br />

1970er Jahre oder die noch älteren Bücherkarren<br />

s<strong>in</strong>d verschwunden. Dafür<br />

gibt es im Umkreis des Platzes heute<br />

viele Antiquariate.<br />

Und es gibt weiterh<strong>in</strong> Orig<strong>in</strong>ale, über<br />

die sich Glaßbrenner (der Schöpfer von<br />

Nante, dem Eckensteher) gefreut hätte:<br />

zwischen den Ausrufern, die Obst oder<br />

frischgepresste Säfte anbieten, hörte man<br />

früher die kräftige Stimme des „alles für<br />

e<strong>in</strong> Zehnerle“ rufenden Blumenhändlers.<br />

Nachdem sich Anwohner über die<br />

Lautstärke beschwerten, ruft er jetzt um<br />

e<strong>in</strong>iges leiser „alles für e<strong>in</strong> Fünferle“.<br />

<strong>Der</strong> Euro hat <strong>in</strong>zwischen die DM abgelöst.<br />

Zwischen türkischem Akzent und hoch-<br />

deutsch sächselt auch schon mal jemand,<br />

und die Berl<strong>in</strong>er Schnauze zu hören,<br />

macht Spaß. „mir is ejal, wovon ma<br />

schlecht wird“ oder „falln se langsam,<br />

da ham se mehr Jenuss von“, s<strong>in</strong>d nur<br />

e<strong>in</strong>ige Beispiele für den berühmt-berüchtigten<br />

Berl<strong>in</strong>er Witz.<br />

Auch das Fotografieren für dieses Buch<br />

wird von den Marktleuten nicht kommentarlos<br />

h<strong>in</strong>genommen: „jerne lächle<br />

ick ihnen an“ hören wir oder „jedes<br />

Bild macht E<strong>in</strong> Euro fuffzich“.<br />

Aber nicht immer s<strong>in</strong>d die Marktleute<br />

laut und schlagfertig. Die Ökobauern<br />

erklären oft ausführlich die Vorzüge ihrer<br />

Ware, und der Kartoffelhändler beschreibt<br />

die Qualitäten der unterschiedlichen<br />

Kartoffelsorten.<br />

Diese Gemüsesorte war nicht immer so<br />

gut gelitten. 1720 verordnete der Sol-<br />

datenkönig Friedrich Wilhelm I. den<br />

Anbau der Kartoffel als Folge e<strong>in</strong>er verheerenden<br />

Missernte an Getreide. Da<br />

die Bauern angeblich nicht die <strong>in</strong> der<br />

Erde liegenden Knollen aßen, sondern<br />

die ungenießbaren gelbgrünen oder<br />

-roten Beerenfrüchte, konnte anfänglich<br />

selbst die Androhung drakonischer<br />

Strafen das Landvolk nicht zum Anbau<br />

bewegen. Den widerspenstigen Bauern<br />

wurde mit dem Abschneiden von<br />

Nasen und Ohren gedroht. Preußens


14 15<br />

Aufschwung war jedoch vom Kartoffelanbau<br />

abhängig und so lenkten die<br />

Bauern schließlich e<strong>in</strong>. Inzwischen gehört<br />

die ursprünglich <strong>in</strong> Südamerika<br />

heimische Kartoffel mit dem hohen<br />

Vitam<strong>in</strong>-D-Gehalt zu unseren Grundnahrungsmitteln.<br />

Die goldgelben Honig-Bonbons oder<br />

solche, die wie Himbeeren oder Brombeeren<br />

aussehen, gibt es wie zu Großmutters<br />

Zeiten beim Kräutermann.<br />

Neben der Spreewälder Gurke, die auf<br />

dem Markt aus dem Fass verkauft wird,<br />

oder dem Schusterjungen mit Schmalz,<br />

bieten sich noch viele weitere Delikatessen<br />

zum Schnellimbiss an. Die Currywurst<br />

– e<strong>in</strong>e Wurst mit Soße – ließ die<br />

Berl<strong>in</strong>er Imbissbudenbesitzer<strong>in</strong> Herta<br />

Heuwer 1959 patentieren. Zur „Bulette<br />

mit Mostrich“ gab es früher „Molle“ für<br />

die Großen und „Brause“ für die Kle<strong>in</strong>en.<br />

Inzwischen werden frisch gepresste<br />

Obst- und Gemüsesäfte bevorzugt.<br />

Aus der Mark kommen frisches Obst<br />

und Gemüse und Fisch von der Ost-<br />

und Nordsee, manchmal gibt es sogar<br />

Havelzander. Und natürlich werden<br />

viele Kräuter und Gewürze angeboten,<br />

sowie regionale und <strong>in</strong>ternationale Besonderheiten<br />

z.B. bayerische Weißwurst<br />

und „Obatzda“, Beelitzer Spargel oder<br />

italienisches Tiramisu.<br />

Zwischen den verschiedenen Ständen<br />

drängen sich jeden Samstag (am Mitt-<br />

woch besuchen weniger Touristen den<br />

Markt) gutgelaunte Menschen, denen<br />

es nichts ausmacht, <strong>in</strong> der Schlange zu<br />

stehen. „Diogenes g<strong>in</strong>g auf den Markt,<br />

dort suchte er den Menschen und se<strong>in</strong><br />

Gespräch. Urbanus tritt <strong>in</strong> die Schlange“,<br />

bemerkte der Theaterkritiker Friedrich<br />

Luft, „hier wohnt die Leidenschaft<br />

und Ungeduld der Menschen unserer<br />

Tage. Die Schlange als philosophischer<br />

Ort. Verachtet sie nicht allzu sehr.“<br />

Auch ihn, den <strong>Schöneberg</strong>er Friedrich<br />

Luft, der 50 Jahre lang bis zu se<strong>in</strong>em<br />

Tod 1990 <strong>in</strong> der Maienstraße 4 wohnte,<br />

konnte man öfter auf dem W<strong>in</strong>terfeldtmarkt<br />

treffen.


16 17<br />

endlich samstag!<br />

<strong>in</strong> unserem kiez unterteilt sich die woche<br />

<strong>in</strong> zwei hälften, zwischen samstag und<br />

mittwoch.<br />

me<strong>in</strong>e verabredungen und erledigungen<br />

hangeln sich an diesen beiden eckpfeilern<br />

entlang.<br />

da is was los. da fließt e<strong>in</strong> strom richtung<br />

w<strong>in</strong>terfeldtplatz rechts und l<strong>in</strong>ks der maaßenstrasse<br />

entlang.<br />

für mich als münchner<strong>in</strong> <strong>in</strong> der „diaspora“<br />

kommt fast wies’nfeel<strong>in</strong>g auf.<br />

der strom fließt natürlich ständig. täglich,<br />

tagaus, tage<strong>in</strong>, aber mittwoch und vor<br />

allem samstag s<strong>in</strong>d besondere tage, denn<br />

da ist w<strong>in</strong>terfeldtmarkt!<br />

ich werde an allen marktständen entlangrollen.<br />

im lauf der zeit hab ich natürlich<br />

me<strong>in</strong>e liebl<strong>in</strong>gsstände ausgeknattert (von<br />

nick knatterton, dem meisterdetektiv).<br />

viele marktleute kenne ich mittlerweile<br />

persönlich und genieße den luxus, samstag<br />

vormittags auszuschlafen und me<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>käufe<br />

erstmal per telefon vorzubestellen.<br />

eier und obst und gemüse und blumen bei<br />

gisela.<br />

brot, käse, wurst und die laugenbrezeln<br />

fürs sonntagsfrühstück bei kerst<strong>in</strong> und<br />

katr<strong>in</strong>, den aufgebürsteten schwäger<strong>in</strong>nen<br />

aus birkenwerder.<br />

gisela lieben alle. gisela liebt nicht alle,<br />

das merkt man, wenn sie ihr langes allzweckmesser<br />

fast beiläufig fester umgreift.<br />

dann nämlich, wenn besonders aggressive<br />

bettler oder siebenmalgescheite hausfrauen<br />

bei ihr andocken wollen.<br />

unser giselchen würzt uns den tag mit<br />

liebeserklärungen: „na, me<strong>in</strong>e sonne, was<br />

darfs denn heut se<strong>in</strong>?“ und „nimm noch’n<br />

bund mairübchen. dünne scheiben <strong>in</strong><br />

olivenöl kurz heiss dünsten, bisschen salz<br />

und pfeffer drüber, mmh“ und für e<strong>in</strong>geweihte:<br />

„aber nicht die mit dem jelben<br />

jummi rum“.<br />

alle leiden mit, wenns wetter nicht mitspielt<br />

und unsre liebl<strong>in</strong>gsdamen bei nacht<br />

und nebel, im schwülen hochsommer<br />

oder klirrender w<strong>in</strong>terskälte rausmüssen.<br />

mittlerweile lernten wir gegenseitig all<br />

unsre zipperle<strong>in</strong>, haustiere und vorlieben<br />

kennen.<br />

berl<strong>in</strong>besucher werden sofort auf den<br />

markt geschleppt und alle geburtstagsgeschenke<br />

und mitbr<strong>in</strong>gsel werden dort<br />

gesucht und gefunden.<br />

die seidenschals von majid aus kaschmir<br />

umhüllen mich ganzjährig, egal ob als<br />

stola an kühlen maiabenden oder w<strong>in</strong>dschutz<br />

im nieseligen novemberwetter.<br />

me<strong>in</strong>e filzhauspuschen mit reißverschluss<br />

vorne, trage ich als kaltfüßler<strong>in</strong> ganzjährig,<br />

herrlich, wie <strong>in</strong> omas zeiten.<br />

ich b<strong>in</strong> quasi von kopf bis fuß „auf w<strong>in</strong>terfeldt<br />

e<strong>in</strong>gestellt“.<br />

brauch ich für unsren chorauftritt noch<br />

fix e<strong>in</strong> schwarzes gewand, werde ich ga-


18 19<br />

rantiert auf unsrem markt noch ne chice<br />

le<strong>in</strong>enhose und e<strong>in</strong> passendes oberteil dazu<br />

f<strong>in</strong>den.<br />

schmuck für ber<strong>in</strong>gte damen gibt’s <strong>in</strong> hülle<br />

und fülle. halbeldelste<strong>in</strong>e, silber – sogar<br />

reparaturen von gerissenen halsketten<br />

werden im handumdrehn erledigt.<br />

ich muss nur me<strong>in</strong>e marktrunde mit dem<br />

obligaten cappucc<strong>in</strong>o im puppentheater<br />

bei „hans wurst nachfahren“ abrunden,<br />

dann kann ich nochmal bei den freundlichen<br />

jungs von „süds<strong>in</strong>n“ vorbeirollen<br />

und die kette oder das armband wieder<br />

anlegen.<br />

bei „wurst‘ns“, wie wir sie nennen, ist<br />

alles vere<strong>in</strong>t. ich kann dort mühelos aufs<br />

wc rollen, da dort alles barrierefrei ohne<br />

stufen ist.<br />

oft sitzen me<strong>in</strong>e freund<strong>in</strong>nen und ich bis<br />

zum letzten sonnenstrahl auf der terrasse,<br />

schwätzen, treffen leute. irgende<strong>in</strong>e nette<br />

nachbar<strong>in</strong> oder bekannte kommt garantiert<br />

vorbei.<br />

bei lust und laune könnten wir auch um<br />

16 uhr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e der entzückenden puppentheateraufführungen<br />

gehen. der kle<strong>in</strong>e<br />

muck oder der teufel mit den 3 goldenen<br />

haaren holt uns auch persönlich vor der<br />

türe ab.<br />

mitgebrachtes kann hochoffiziell verzehrt<br />

werden. so bleibt bei uns samstags oft die<br />

küche kalt, weil wir uns durch die marktstände<br />

gefuttert haben. göttliche moussaka<br />

oder köstliche zwiebelquiche bei angelikas<br />

griechischem stand. oder mal e<strong>in</strong> teller<br />

vegetarisches mit meeresfrüchten.<br />

am frühen abend wird e<strong>in</strong> hefeweizen<br />

gezischt und die zeitung vom wochenende<br />

gelesen.<br />

wer lust hat, kann hier abends auch <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>e der aufführungen oder lesungen für<br />

erwachsene gehen.<br />

rund um den w<strong>in</strong>terfeldtplatz gibt’s natürlich<br />

noch ’zig läden und lokale<br />

kennenzulernen.<br />

aber kommen sie und schaun sie selber!<br />

wir sehen uns bestimmt.<br />

rabugl<br />

berl<strong>in</strong>, nollendorfstraße im august 2005


Blick auf die Ostseite des <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>es,<br />

begrenzt durch die Gleditschstraße 2005<br />

20 21<br />

Vom Hobrecht-Plan<br />

zum Baller-Plan<br />

„Ach – wie scheen is draußen jewesen...<br />

da trillern de Lerchen, und det blieht<br />

und jrient uff die Wiesen,“ lässt Erdmann<br />

Graeser Tante Marie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Roman „Lemkes sel. Witwe“ vom Dorf<br />

<strong>Schöneberg</strong> schwärmen.<br />

Erdmann Graeser (1870-1937) wuchs<br />

um den <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> herum auf und<br />

spielte noch im Gras zwischen den alten<br />

Weidenbäumen. Er wohnte zeitweise <strong>in</strong><br />

der W<strong>in</strong>terfeldtstraße 24 (heute 33), <strong>in</strong><br />

der Luitpoldstraße 6 und <strong>in</strong> der Münchener<br />

Straße 36.<br />

Die Straßenführung <strong>in</strong> <strong>Schöneberg</strong> orientierte<br />

sich 1890 noch an den Feldwegen<br />

entlang den <strong>Schöneberg</strong>er Wiesen.<br />

Regierungsbaumeister James Hobrecht<br />

hatte 1862 e<strong>in</strong>en Bebauungsplan entwickelt,<br />

wonach der äußere Stadtr<strong>in</strong>g nach<br />

allen Richtungen <strong>in</strong> rechtw<strong>in</strong>klige Baublöcke<br />

aufgeteilt wurde. <strong>Der</strong> Bebauungsplan<br />

war von Anfang an umstritten, weil<br />

er durch die großen Blöcke e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>tensive<br />

Bebauung ermöglichte, was wiederum<br />

Grundstücksspekulationen unterstützte.<br />

Als Ergebnis dieser Planung konnte Ende<br />

1900 e<strong>in</strong> so großer zusammenhängender<br />

Häuserblock wie der zwischen Gleditschstraße,<br />

W<strong>in</strong>terfeldtstraße, Potsdamer<br />

Straße und Pallasstraße entstehen.<br />

Drogerie, Gleditschstraße 3-5 (am <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>) 1911<br />

<strong>Das</strong> Areal bestand ursprünglich jedoch<br />

nicht nur aus Wiese. <strong>Der</strong> „Hopfengarten“,<br />

e<strong>in</strong> Teil des Königlichen Botanischen<br />

Gartens war hierher ausgelagert.<br />

Als dieser Gartenteil wegen der Straßenziehung<br />

und Bebauungsplanung<br />

aufgegeben werden musste, reservierte<br />

sich Grundstücksbesitzer Koch e<strong>in</strong>en<br />

Teil dieser gärtnerischen Anlage. Er baute<br />

sich hier e<strong>in</strong>e Villa mit großem Garten.<br />

Nachdem an den Straßen entlang<br />

Wohn- und Geschäftshäuser entstanden,<br />

lag nun <strong>in</strong>nerhalb der Mietshäuser<br />

e<strong>in</strong>e une<strong>in</strong>sehbare grüne Oase. Koch<br />

bewohnte sie bis zu se<strong>in</strong>em Tode 1921.<br />

Die Erben verkauften das Grundstück<br />

und 1928 wurde das Fernmeldeamt<br />

darauf gebaut. Dabei wurde die Baufläche<br />

so <strong>in</strong>tensiv genutzt, dass e<strong>in</strong>ige Bewohner<br />

der umliegenden Häuser heute<br />

auf e<strong>in</strong>e rote Backste<strong>in</strong>mauer sehen,<br />

wenn sie zum H<strong>in</strong>terhoffenster h<strong>in</strong>ausschauen.<br />

Auch <strong>in</strong> der Höhe überragt<br />

das Gebäude des Fernmeldeamtes die<br />

5 bis 6-geschossigen Wohnhäuser.<br />

1884 entstand h<strong>in</strong>ter der Häuserfront<br />

e<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>terhofschule mit Sportplatz,<br />

die 1. und 2. Volksschule, die heutige<br />

Spreewald-Grundschule. Sie ist von der<br />

Pallasstraße 15 und vom <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

aus zu erreichen. Stolz s<strong>in</strong>d Lehrer<br />

und K<strong>in</strong>der heute auf ihr vom Architektenbüro<br />

Baller entworfenes „futu-


Die Sporthalle Lilli Henoch, die zur<br />

Spreewaldschule gehört (2005)<br />

22 23<br />

ristisches Freizeithaus“ mit Sporthalle,<br />

filigranem Gitter und vielen Pflanzen.<br />

„Unser Schulhof ist e<strong>in</strong>zigartig <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>:<br />

viel Grün, tolle Spiel- und Sportgeräte“,<br />

steht auf der Schulwebseite.<br />

Die Sporthalle hat Wendeltreppen, runde<br />

Zimmer mit Glasbauste<strong>in</strong>en und<br />

Schächte, die Sonnenlicht <strong>in</strong> das Haus<br />

lassen. <strong>Das</strong> Dach wirkt mit den Ste<strong>in</strong>en<br />

und Pflanzen wie e<strong>in</strong> Gebirge. E<strong>in</strong> Teil<br />

des Daches funktioniert als K<strong>in</strong>dertagesstätte<br />

und Spielfläche für K<strong>in</strong>der.<br />

Auf dem Schulgelände gehen die K<strong>in</strong>der<br />

auf geschwungenen Wegen, vorbei<br />

an Weißdorn- und Rosenbüschen. <strong>Der</strong><br />

Bodenbelag ist mit Mosaiken ausgelegt.<br />

Unter e<strong>in</strong>em mit Felsen verkleideten<br />

Berg verbirgt sich das Heizkraftwerk.<br />

Seit dem Richtfest 1994 geriet die ungewöhnliche<br />

Anlage wiederholt <strong>in</strong> die<br />

Schlagzeilen. Berichte über Baustopps,<br />

Fehlkalkulationen, e<strong>in</strong> undichtes Dach,<br />

falsche Planung und e<strong>in</strong>e überforderte<br />

Behörde begleiteten den schleppenden<br />

Bauverlauf. <strong>Der</strong> Bau verschlang immerh<strong>in</strong><br />

61 Millionen Mark.<br />

10 Jahre wurde an der Sporthalle gebaut,<br />

die nun den Namen der Berl<strong>in</strong>er<br />

Sportler<strong>in</strong> Lilli Henoch trägt. Henoch<br />

(1899 – 1942) war e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />

Leichtathlet<strong>in</strong> und e<strong>in</strong>e Vorkämpfer<strong>in</strong><br />

des Frauensports. 1933 als Jüd<strong>in</strong> aus<br />

dem Berl<strong>in</strong>er Sport-Club (BSC) ausgeschlossen,<br />

arbeitete sie bis 1941 als<br />

Wohn- und Geschäftshaus <strong>in</strong> der Gleditschstraße 1,<br />

entworfen von Inken und H<strong>in</strong>rich Baller (2005)<br />

Sportlehrer<strong>in</strong> an jüdischen Schulen.<br />

1942 wurde sie zusammen mit ihrer<br />

Mutter nach Riga deportiert und dort<br />

ermordet.<br />

Eigentlich sollte im Rahmen der Internationalen<br />

Bauausstellung an der Ostseite<br />

des <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>es e<strong>in</strong>e Blockbebauung<br />

durchgeführt werden.<br />

In den 1980er Jahren gelang es der Alternativen<br />

Liste und der extra gegründeten<br />

„Bürger<strong>in</strong>itiative <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>“,<br />

dies zu verh<strong>in</strong>dern und die Architekten<br />

Inken und H<strong>in</strong>rich Baller mit der Planung<br />

zu beauftragen. <strong>Der</strong> durch Bomben<br />

entstandene offene Raum wurde<br />

im S<strong>in</strong>ne der Architekten als Chance<br />

Blick nach oben<br />

begriffen, <strong>in</strong> der dicht bebauten <strong>Schöneberg</strong>er<br />

Innenstadt Licht und Bäume<br />

zu erhalten und nur die Ecken zu bebauen.<br />

E<strong>in</strong> Plan, der sich langfristig<br />

auszahlt und zur Urbanität des Platzes,<br />

wie er sich heute darstellt, beiträgt. Im<br />

August 1999 wurde das postmoderne<br />

Wohn- und Geschäftshaus <strong>in</strong> der Gleditschstraße<br />

1 zum Erstbezug freigegeben.<br />

<strong>Der</strong> 6-stöckige geschwungene Bau<br />

leuchtet <strong>in</strong> den Farben rosa und blau.<br />

Die großzügigen Balkone zeigen alle zur<br />

Süd- und Ostseite. Im Dachgeschoss<br />

bef<strong>in</strong>den sich zwei Maisonette-Wohnungen<br />

mit Wendeltreppe, Dachterrasse<br />

und Blick über <strong>Schöneberg</strong>. Vom<br />

Bad <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er dieser Wohnungen führt


Die „Ru<strong>in</strong>e“ 1997 Die „Ru<strong>in</strong>e“ brannte 1997 ab<br />

Spielplatz am ehemaligen Standort der „Ru<strong>in</strong>e“ mit<br />

mehrköpfiger Ste<strong>in</strong>skulptur (2005)<br />

24 25<br />

e<strong>in</strong>e Tür direkt auf die une<strong>in</strong>sehbare<br />

Süd-Terrasse, e<strong>in</strong>e der ungewöhnlichen<br />

Ideen <strong>in</strong> diesem Haus.<br />

Bei entsprechender natürlicher Beleuchtung<br />

wirken die Balkonabschirmungen<br />

wie Segel. Solche Details haben dem<br />

Architekten Baller den Spitznamen<br />

“<strong>Der</strong> mit den Segeln tanzt“ e<strong>in</strong>gebracht.<br />

Die „Ru<strong>in</strong>e“<br />

In der Gleditschstraße 9 stand bis 1997<br />

die „Ru<strong>in</strong>e“, e<strong>in</strong> kriegszerstörtes Haus<br />

mit Gastwirtschaft, die seit 1957 die<br />

Schankerlaubnis hatte. Über den Kiez<br />

h<strong>in</strong>aus erlangte die „Ru<strong>in</strong>e“ <strong>in</strong> den<br />

1970er Jahren ihren Ruf als Kneipe für<br />

Hausbesetzer, Trebegänger und Kiffer,<br />

die nicht nur aus den besetzten Häusern<br />

der W<strong>in</strong>terfeldtstraße und Goltzstraße<br />

kamen. Die „Ru<strong>in</strong>e“ gehörte als<br />

fester Bestandteil zum „<strong>Schöneberg</strong>er<br />

Trampelpfad“, e<strong>in</strong>er Kette von Kneipen,<br />

die zu Fuß erreichbar waren. Ständige<br />

Prügeleien und fliegende Biergläser<br />

s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige der Legenden, die sich um<br />

die „Ru<strong>in</strong>e“ ranken. Trotzdem die Besucher<br />

<strong>in</strong> Bierlachen standen und es dort<br />

fürchterlich stank, er<strong>in</strong>nert sich noch<br />

jeder ehemalige Kneipenbesucher mit<br />

Rührung an das Lokal, egal ob Bohemien<br />

oder Penner.<br />

Natürlich gab es <strong>in</strong> dem Haus außer der<br />

Kneipe auch noch Wohnungen, die allerd<strong>in</strong>gs<br />

leer standen. Nach und nach eigneten<br />

sich Menschen ohne Wohnraum<br />

diese Wohnungen an. E<strong>in</strong>ige bekamen<br />

Mietverträge, andere Duldungsverträge.<br />

Geme<strong>in</strong>sam war den Bewohnern, dass<br />

sie alle jeweils sozialen Randgruppen<br />

angehörten. Also bildeten sie e<strong>in</strong>en Vere<strong>in</strong>,<br />

<strong>in</strong> dem der E<strong>in</strong>zelne lernen sollte,<br />

Verantwortung für sich und die Gruppe<br />

zu tragen. Sowohl das Hausprojekt<br />

als auch die Kneipenkarriere endeten<br />

1986, als die Brandwand abgerissen<br />

wurde und das Haus noch mehr vergammelte.<br />

Es gab Initiativen, die dieses<br />

Grundstück als Baudenkmal <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>ne-<br />

rung an den Zweiten Weltkrieg erhalten<br />

wollten. Auch die E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>es<br />

Museums war angedacht. 1989 zog die<br />

Gärtnerei „Hofgrün“ <strong>in</strong> das Vorderhaus<br />

e<strong>in</strong>. Ihr wurde 1996 gekündigt. Nun<br />

stand das Gelände unbeaufsichtigt nur<br />

noch Pennern offen. Als die „Ru<strong>in</strong>e“<br />

1997 brannte, unternahm die Feuerwehr<br />

ke<strong>in</strong>e übermäßigen Anstrengungen,<br />

das Haus zu retten. Danach wurde<br />

es endgültig abgerissen.<br />

Fünf Jahre später entstand dort e<strong>in</strong> Spielplatz.<br />

Terrassenförmige Rasenflächen,<br />

Sitzecken, Skulpturen aus Ste<strong>in</strong> und<br />

Holz ziehen nicht nur die K<strong>in</strong>der an.<br />

<strong>Das</strong> Spielplatz-Konzept entwickelte das<br />

Planungsbüro Dietzen & Teichmann


<strong>Das</strong> Theater am <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> „Hans-Wurst-Nachfahren“<br />

26 27<br />

geme<strong>in</strong>sam mit dem Quartiermanagement,<br />

K<strong>in</strong>dern und Anwohnern.<br />

Unter dem Motto „Grün macht Schule“<br />

bauten und gestalteten Schüler und<br />

Schüler<strong>in</strong>nen der Spreewald-Grundschule<br />

und der Sophie-Scholl-Oberschule<br />

die Mäuerchen um die Spielflächen<br />

mit Mosaiken, Zwiebeltürmchen<br />

und Fabelwesen. Zwölf Oberschüler<strong>in</strong>nen<br />

schufen geme<strong>in</strong>sam mit dem Bildhauer<br />

Christoph Glamm e<strong>in</strong>e Ste<strong>in</strong>skulptur<br />

mit mehreren Gesichtern.<br />

<strong>Das</strong> Theater am <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

„Hans-Wurst-Nachfahren“<br />

Im Haus daneben, Gleditschstraße 5,<br />

hat seit 1993 das Theater „Hans-Wurst-<br />

Nachfahren“ se<strong>in</strong> Domizil. <strong>Der</strong> Abriss<br />

der ehemaligen Tischlerei konnte durch<br />

das Engagement der Theaterleute, e<strong>in</strong>er<br />

aktiven Bürger<strong>in</strong>itiative sowie Politikern<br />

aus mehreren Parteien (AL/ SPD/<br />

CDU) verh<strong>in</strong>dert werden. <strong>Der</strong> zweistöckige<br />

freistehende Bau wird heute <strong>in</strong><br />

zwei Theaterräumen bespielt.<br />

<strong>Der</strong> Name „Hans-Wurst-Nachfahren“<br />

weist zurück auf die Figur des Spaßmachers<br />

<strong>in</strong> den Theaterstücken der


Szene aus Wilhelm Hauffs Märchen „<strong>Das</strong> kalte Herz“ (2005) Emblem des Theaters „Hans-Wurst-Nachfahren“<br />

28 29<br />

Wandertruppen Deutschlands des 17.<br />

und 18. Jahrhunderts. Hans Wurst<br />

verkörperte dort den pfiffigen Spaßmacher,<br />

den derben Zotenreißer, den<br />

anarchistischen Clown. In der damaligen<br />

Zeit hatte der Hans Wurst die<br />

Aufgabe – und das Vergnügen – <strong>in</strong> Zwischenspielen<br />

und Pausen die gezeigten<br />

Szenen, losgelöst von der gekünstelten<br />

und verbrämten Welt der Aristokratie<br />

und des Bürgertums, frech und direkt<br />

zu persiflieren und sie auf den Boden<br />

se<strong>in</strong>er Welt, der Welt des „e<strong>in</strong>fachen<br />

Volkes“ herunterzuholen. Er steht für<br />

e<strong>in</strong>e Dramaturgie für Kle<strong>in</strong>e und Große,<br />

ohne elitäres Gehabe, klar, deutlich,<br />

direkt, aber dennoch kunstvoll und vor<br />

allem nicht ohne Witz und gute Laune<br />

zu verbreiten.<br />

Siegfried He<strong>in</strong>zmann und Barbara<br />

Kilian gründeten das Theater „Hans-<br />

Wurst-Nachfahren“ im Januar 1981.<br />

Unter ihrer künstlerischen Leitung<br />

wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em ganzjährigen Spielbetrieb<br />

Ensemblearbeit gezeigt, e<strong>in</strong>e Seltenheit<br />

im Genre Puppentheater. <strong>Das</strong> Projekt<br />

dieses selbstverwalteten Freien Theaters<br />

ist <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> e<strong>in</strong>zigartig. Selbst Ilona<br />

Zarypow vom legendären Zan-Pollo-<br />

Theater gastiert hier immer wieder mit<br />

e<strong>in</strong>er jungen Truppe unter dem Namen<br />

„<strong>Der</strong> grüne Hund“. Inzwischen machen<br />

die Puppenspieler auch Theaterarbeit<br />

mit Schülern.<br />

<strong>Das</strong> Angebot des Theaters umfasst mehr<br />

als zwanzig Stücke für alle Altersgruppen.<br />

Gespielt wird auch <strong>in</strong> englischer und<br />

französischer Sprache. <strong>Das</strong> Programm des<br />

Theaters führt den Zuschauer e<strong>in</strong>erseits<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e wundersame Phantasiewelt – be-<br />

sonders bee<strong>in</strong>druckend: „<strong>Das</strong> kalte<br />

Herz“ von Wilhelm Hauff, <strong>in</strong> dem der<br />

Schatzhauser e<strong>in</strong>em Sonntagsk<strong>in</strong>d dazu<br />

verhilft, das leichts<strong>in</strong>nig gegen e<strong>in</strong>en<br />

kalten Ste<strong>in</strong> getauschte Herz zurückzuerhalten.<br />

Unter den Stücken für Erwachsene<br />

gibt es groteske E<strong>in</strong>akter von<br />

Anton Tschechow oder Bearbeitungen<br />

von Geschichten zeitgenössischer Autoren<br />

wie Michael Kleebergs „<strong>Der</strong> Kommunist<br />

vom Montmartre“.<br />

Mit Musikkompositionen auf höchstem<br />

Niveau, wunderschönen Bühnenbildern<br />

und kunstvoll gefertigten Puppen aus<br />

der Werkstatt von Siegfried He<strong>in</strong>zmann<br />

ziehen die Theaterleute das große und<br />

kle<strong>in</strong>e Publikum <strong>in</strong> ihren Bann.<br />

So kann es vorkommen, dass der hässliche<br />

Riese fragt: „Als ich dich hier noch<br />

schlafend fand, fand, fand... was reimt<br />

sich auf fand?“ Und die K<strong>in</strong>der antworten<br />

begeistert: „Fanta!!!“. Oder e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d<br />

ruft während der Vorführung zu „Alad<strong>in</strong><br />

und die Wunderlampe“ aus: „Besser<br />

als Fernsehen!“ Was will man mehr?


Blick <strong>in</strong> die östliche W<strong>in</strong>terfeldtstraße 1905 Schlacht auf <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>, fotografiert von der ehem.<br />

Redaktionsfotograf<strong>in</strong> der FAZ Barbara Klemm 11.06.1982<br />

30 31<br />

Rebellion am <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

<strong>Der</strong> Gang <strong>in</strong>s Café gehört <strong>in</strong> dieser Ge-<br />

gend zum Ritual mancher Alt-68er. Sie<br />

sitzen am Samstag nach dem Markt oder<br />

Sonntag morgens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der vielen<br />

Cafés und lesen Zeitungen oder diskutieren.<br />

Sie können sagen, sie waren dabei<br />

gewesen, damals, als es am <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

noch knisterte. Aber sie sagen<br />

es nicht oft, denn viele Träume haben<br />

sich nicht verwirklicht.<br />

<strong>Der</strong> Kiez um W<strong>in</strong>terfeldt- und Nollen-<br />

dorfplatz im damaligen Postbezirk<br />

<strong>Schöneberg</strong> 30 war e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> rebellischer<br />

Bezirk. Es waren vor allem Studenten<br />

aus der westdeutschen Prov<strong>in</strong>z,<br />

die sich <strong>in</strong> den 1960er Jahren <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

zum Zweck des Andersse<strong>in</strong>s versammelten<br />

und neue Lebensmuster ausprobierten.<br />

Pazifistische junge Männer zogen<br />

nach Berl<strong>in</strong>, denn der dortige Vier-<br />

Mächte-Status sah vor, dass West-Berl<strong>in</strong>er<br />

nicht zur Bundeswehr e<strong>in</strong>gezogen<br />

werden durften.<br />

Wegen des großen Altbaubestandes und<br />

des damals noch gültigen „schwarzen<br />

Kreises“ (Mietpreisb<strong>in</strong>dung auf Altbauten)<br />

konnten sich viele junge Leute<br />

zu Wohngeme<strong>in</strong>schaften zusammenschließen<br />

– oft ohne dass die Vermieter<br />

Bescheid wussten. Angebliche Fotograf<strong>in</strong>nen,<br />

Psychologen oder Jurist<strong>in</strong>nen<br />

mieteten große Wohnungen mit<br />

Untermietserlaubnis an. Irgendwann<br />

merkten die Vermieter natürlich, dass<br />

die vielen Leute, die sich <strong>in</strong> der Wohnung<br />

angemeldet hatten, e<strong>in</strong>e Wohngeme<strong>in</strong>schaft<br />

bildeten und ke<strong>in</strong> Atelier<br />

oder e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaftspraxis. Jedoch<br />

gab es auch tatsächliche Rechtsanwälte,<br />

die gewitzt genug waren, e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>auswurf<br />

zu verh<strong>in</strong>dern. Viele WGs waren<br />

untere<strong>in</strong>ander vernetzt und zogen oft<br />

geschlossen zu Protestaktionen gegen<br />

Konsumterror, gegen den Vietnamkrieg,<br />

amerikanischen Imperialismus,<br />

Ausbeutung der Arbeitskraft und Me<strong>in</strong>ungsverBILDung.<br />

E<strong>in</strong> Knistern im<br />

Telefon wurde mit e<strong>in</strong>em Gruß an den<br />

Verfassungsschutz beantwortet. Manche<br />

68er erkannten im Pflasterste<strong>in</strong> wieder<br />

se<strong>in</strong>e Bedeutung als Waffe.<br />

Barbara Klemm, ehemalige Redaktionsfotograf<strong>in</strong><br />

der „Frankfurter Allgeme<strong>in</strong>en<br />

Zeitung“ verfolgte die Ereignisse mit<br />

der Kamera: „<strong>Das</strong> Foto entstand am <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, als US-Präsident<br />

Ronald Reagan zu Besuch war. Zwei<br />

Studenten hatten mich freundlich mit<br />

<strong>in</strong> ihre Wohngeme<strong>in</strong>schaft genommen;<br />

ich stand auf dem Balkon. Vorher war<br />

ich unten auf der Straße gewesen, es<br />

flogen dicke Wackerste<strong>in</strong>e, die Polizei<br />

hat Tränengas geschossen und man sah<br />

nichts mehr. So hatte ich Glück, dass ich<br />

von oben herunterfotografieren konnte.<br />

Trotzdem hatte ich maßlose Angst.“


Eckhaus Maaßenstraße 15, W<strong>in</strong>terfeldtstraße 40<br />

(2005)<br />

32 33<br />

Ende der 1970er Jahre begannen junge<br />

Leute Häuser zu besetzen. Leer stehende<br />

Häuser verfielen oder wurden zu teuer<br />

saniert, so dass die Bewohner abwanderten.<br />

„Berl<strong>in</strong> stirbt abrißweise“ stand<br />

1981 auf dem besetzten Haus W<strong>in</strong>terfeldtstraße<br />

37.<br />

<strong>Das</strong> e<strong>in</strong>stige Haus auf dem Grundstück<br />

Maaßenstraße 15, Ecke W<strong>in</strong>terfeldtstraße<br />

40, fiel e<strong>in</strong>em „warmen Abriss“<br />

zum Opfer. Seit 1881 stand hier e<strong>in</strong> repräsentatives<br />

dreistöckiges Eckhaus. Im<br />

Zweiten Weltkrieg beschädigt, wurde es<br />

nach dem Krieg wieder aufgebaut. E<strong>in</strong>e<br />

1972 durchgeführte Substanzuntersuchung<br />

ergab, dass das Haus erhaltenswert<br />

sei. Die Grundstückseigentümer<br />

Eckhaus Maaßenstraße 15, W<strong>in</strong>terfeldtstraße 40<br />

nach dem Brand 1981<br />

planten jedoch e<strong>in</strong>en sechsgeschossigen<br />

Neubau. 1980 lag die Abrissgenehmigung<br />

vor und das Haus wurde entmietet.<br />

Noch während die Mieter auszogen,<br />

ordneten die Grundstücksbesitzer die<br />

Zerstörung der Wohnungen an, unter<br />

Polizeischutz, da e<strong>in</strong>ige Mietparteien<br />

nicht freiwillig auszogen. Im Oktober<br />

1981 brannte der Dachboden. Die verbliebenen<br />

Mieter konnten sich noch<br />

retten, die Wohnungen aber waren un-<br />

bewohnbar geworden. <strong>Der</strong> endgültige<br />

Abriss konnte nun beg<strong>in</strong>nen. Auf dem<br />

leerstehenden und bis auf die Grund-<br />

mauern abgebrannten Gebäude war<br />

lange Zeit zu lesen: „<strong>Das</strong> Haus war be-<br />

wohnt. Entmietung durch Brandstif-<br />

Aus dem Comic „Wo soll das alles enden“ von Seyfried 1978<br />

tung“. <strong>Der</strong> heutige 6-geschossige Neu-<br />

bau wird durch Balkone, Erker und Fenster<br />

zur Sonnenseite h<strong>in</strong> aufgelockert.<br />

E<strong>in</strong>em Vergleich mit e<strong>in</strong>em gediegenen<br />

Altbau hält das Gebäude jedoch nicht<br />

stand.<br />

1980/81 kam es zu Straßenkämpfen<br />

wegen des Abrisses der Gebäude <strong>in</strong> der<br />

Goltzstraße und der W<strong>in</strong>terfeldtstraße.<br />

<strong>Das</strong> plötzliche E<strong>in</strong>ziehen und „Instandbesetzen“<br />

von vorwiegend Jugendlichen<br />

beantworteten die Eigentümer <strong>in</strong> der<br />

Regel mit Zwangsräumungen durch die<br />

Polizei, <strong>in</strong> deren Verlauf es zu „flammenden“<br />

Ause<strong>in</strong>andersetzungen und<br />

Straßenschlachten kam. Sie erreichten<br />

ihren traurigen Höhepunkt im Herbst<br />

1981 als Innensenator He<strong>in</strong>rich Lummer<br />

die Räumung von acht besetzten<br />

Häusern veranlasste. Auf die daraufh<strong>in</strong><br />

stattf<strong>in</strong>dende Protestdemonstration ant-<br />

wortete die Polizei mit Wasserwerfern<br />

und Hetzjagden. Bei der dadurch entstandenen<br />

Panik geriet der Demonstrant<br />

Jürgen Rattay <strong>in</strong> der Potsdamer<br />

Straße unter e<strong>in</strong>en Autobus, der ihn zu<br />

Tode schleifte.<br />

Zu e<strong>in</strong>er Eskalation führten auch die<br />

Krawalle auf dem Nollendorf- und<br />

dem <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> 1981 und 1982.<br />

Zur nicht genehmigten Anti-Reagan-<br />

Demonstration gegen die US-Politik<br />

<strong>in</strong> Zentralamerika und gegen die Nato


Protestveranstaltung auf dem <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> Blick auf die Nordseite des <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>es<br />

und <strong>in</strong> die Maaßenstraße 1905<br />

34 35<br />

versammelten sich 1982 ungefähr<br />

5000 Menschen am Nollendorfplatz.<br />

Den Stacheldraht, der sie e<strong>in</strong>kesselte,<br />

konnten sie durchbrechen und abends<br />

glich der Kiez zwischen Nollendorfplatz<br />

und <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen<br />

Schlachtfeld. Die Straßen waren übersät<br />

mit unzähligen Ste<strong>in</strong>en und Scherben,<br />

Tränengaskartuschen und verbrannten<br />

Gegenständen.<br />

Die Barrikadenkämpfe s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen<br />

Geschichte. Wohngeme<strong>in</strong>schaften s<strong>in</strong>d<br />

heute e<strong>in</strong>e akzeptierte Lebensform für<br />

jede Altersstufe. Kritik an herrschenden<br />

Verhältnissen und Systemen wird<br />

heute differenzierter ausgeübt und die<br />

damaligen Revoluzzer s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die Jahre<br />

gekommen. Viele Häuser entkamen der<br />

Abrissbirne nicht; e<strong>in</strong>ige konnten jedoch<br />

gerettet werden und stehen heute<br />

unter Denkmalschutz.<br />

<strong>Das</strong> Haus W<strong>in</strong>terfeldtstraße 37 besetzten<br />

und retteten vorwiegend Frauen.<br />

<strong>Das</strong> Frauencafé, das dort e<strong>in</strong>gerichtet<br />

war, ist <strong>in</strong>zwischen verschwunden und<br />

jeder H<strong>in</strong>weis auf die Rettungsaktion<br />

fehlt.<br />

Die Bewohner des Hauses W<strong>in</strong>terfeldtstraße<br />

25 wehren sich heute noch gegen<br />

die „fe<strong>in</strong>dliche Übernahme“ durch den<br />

jeweiligen Hausbesitzer. Mit ihrem<br />

Internetauftritt unter www.w25.de<br />

haben sich die dort noch wohnenden<br />

Mieter e<strong>in</strong> neues Agitationsmedium<br />

erschlossen.<br />

<strong>Der</strong> Zukunftsforscher Robert Jungk<br />

schrieb 1978 im Geleitwort zum „1. West-<br />

Berl<strong>in</strong>er Stattbuch“: „...wir lassen uns<br />

nicht anpassen und stumm machen.<br />

Unter der ste<strong>in</strong>ernen Oberfläche aus<br />

Kommerz und Repression regt sich<br />

vielfältig neues Leben, das e<strong>in</strong>e andere<br />

Zukunft verheißt.“ – und Jungk erhoffte<br />

sich von der alternativen Bewegung<br />

auch „e<strong>in</strong>e Stadt des Lachens, der Feste<br />

und des guten Essens“.<br />

Im Bermuda-Dreieck über<br />

die „Maaßen“ <strong>in</strong> die „Nolle“<br />

<strong>Das</strong> E<strong>in</strong>gangstor zur Maaßenstraße<br />

bilden zwei rosa gestrichene Häuser, als<br />

wären sie e<strong>in</strong> Symbol für das schwullesbische<br />

Leben, das sich nördlich des<br />

<strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>es abpielt. E<strong>in</strong> berühmter<br />

Homosexueller war der Schriftsteller<br />

Christopher Isherwood. Er wohnte <strong>in</strong><br />

der Nollendorfstraße 17 als Untermieter.<br />

1935 und 1939 erschienen se<strong>in</strong>e<br />

Romane „Mr. Norris steigt um“ und<br />

„Lebwohl, Berl<strong>in</strong>“, <strong>in</strong> denen er se<strong>in</strong>e<br />

Erlebnisse <strong>in</strong> der Pension von „Fräule<strong>in</strong><br />

Schröder“ schildert. Wegen se<strong>in</strong>er sexuellen<br />

Vorliebe für junge Männer suchte


Die Schriftsteller<strong>in</strong> Anna Elisabet Weirauch<br />

Buddy-Bär“, e<strong>in</strong>e moderne Version des Berl<strong>in</strong>er Bären<br />

(1887-1970)<br />

(Initiative von Eva und Klaus Herlitz,<br />

Entwurf von Roman Strobl)<br />

36 37<br />

Isherwood besonders gerne das „Bermuda-Dreieck“<br />

von <strong>Schöneberg</strong> auf. Die<br />

Gegend um die Motzstraße wird von der<br />

schwulen Szene als „Bermuda-Dreieck“<br />

bezeichnet. Isherwoods Bücher dienten<br />

später als Vorlage für das Musical „Cabaret“.<br />

Die Schwulen hatten sich <strong>in</strong> den<br />

1920er Jahren den Kiez erobert und<br />

heute wieder. Hier treffen sie sich, hier<br />

feiern sie ihre Parties. Manche tragen Lederkleidung,<br />

e<strong>in</strong>en Ohrr<strong>in</strong>g im rechten<br />

Ohr und Silberschmuck an der Haut.<br />

Lesben betreiben ke<strong>in</strong>en so auffallenden<br />

Kleiderkult mehr wie <strong>in</strong> den „Roar<strong>in</strong>g<br />

Twenties“ des 20. Jahrhunderts. <strong>Das</strong><br />

Monokel im Auge und der elegante<br />

Hosenanzug s<strong>in</strong>d nicht mehr <strong>in</strong> Mode.<br />

E<strong>in</strong>e damals berühmte, modisch auffallende<br />

<strong>Schöneberg</strong>er Lesbe war die<br />

Bildhauer<strong>in</strong> Renée S<strong>in</strong>tenis, auf die sich<br />

folgende Scherzfrage bezog: „Wer ist<br />

das größere Kunstwerk: die Person Renée<br />

S<strong>in</strong>tenis oder ihre Kunstwerke?“ Sie<br />

entwarf die Vorlage des Berl<strong>in</strong>er Bären,<br />

die Symbolfigur Berl<strong>in</strong>s, wie sie uns seit<br />

1953 im Stadtbild immer wieder begegnet.<br />

(siehe Abb. Seite 43).<br />

Moderne Varianten wie der Buddy-Bär<br />

zieren heute die Stadt.<br />

Die Schriftsteller<strong>in</strong> Anna Elisabet Wei-<br />

rauch (1887 –1970) aus der Zietenstraße<br />

16 schrieb 1919 den dreibändigen<br />

Roman „<strong>Der</strong> Skorpion“, e<strong>in</strong>en<br />

Skandal-Roman, der zur damaligen<br />

Zeit berühmt war: die Liebesbeziehung<br />

zwischen der schönen Olga und Mette<br />

beg<strong>in</strong>nt <strong>in</strong> <strong>Schöneberg</strong>. Ständig bedroht<br />

von der bürgerlichen Umwelt emanzipiert<br />

sich Mette doch noch zu e<strong>in</strong>er<br />

selbstbewussten Lesbe. Olga dagegen<br />

zerbricht an den Zugeständnissen, die<br />

sie an die spießbürgerliche Wohlanständigkeit<br />

macht und erschießt sich.<br />

Seit Mitte der 1920er Jahre bis zu ihrem<br />

Tod lebten die Autor<strong>in</strong> und ihre Freund<strong>in</strong><br />

zusammen. In den 1930er Jahren<br />

siedelten sie von Berl<strong>in</strong>-<strong>Schöneberg</strong><br />

nach Oberbayern über. 1961 kehrten<br />

sie nach Berl<strong>in</strong> zurück, wo sie bis zu<br />

ihrem Tod im Käte-Dorsch-Heim für<br />

ehemalige Schauspieler<strong>in</strong>nen wohnten.<br />

In der Zietenstraße 20 wohnte der Sprachforscher<br />

Georg Büchmann (1822 – 1884),<br />

der mit se<strong>in</strong>er Sammlung „Geflügelte Worte“<br />

berühmt wurde.<br />

In den Cafés und auf den Gehwegen wird<br />

gemütlich entspannt, auch wenn das Ambiente<br />

eher ste<strong>in</strong>ern ist. Nicht nur Häuser<br />

und Gehwege, auch Pflanzenkübel s<strong>in</strong>d<br />

aus Ste<strong>in</strong>. Die Bewohner lassen sich jedoch<br />

nicht e<strong>in</strong>betonieren. Trotz digitalem Zeitalter<br />

mit der Möglichkeit zur virtuellen<br />

Kommunikation nutzen sie die öffentlichen<br />

Plätze als Treffpunkt und manchmal<br />

kommt der Leierkastenmann vorbei und<br />

spielt alte Berl<strong>in</strong>er Gassenhauer.


Goltzstraße 24/W<strong>in</strong>terfeldtstraße 45 im Jahr 2005 E<strong>in</strong>gang zur Goltzstraße 24<br />

38 39<br />

Von der Gründerzeit bis zum<br />

Wiederaufbauplan<br />

<strong>Das</strong> Eckhaus Goltzstraße 24/W<strong>in</strong>terfeldtstraße<br />

45 ist e<strong>in</strong> typisches Haus<br />

der Gründerzeit. Grundstücksbesitzer<br />

Ernst Janensch begann1887 mit dem<br />

Hausbau. Er beauftragte dafür den Berl<strong>in</strong>er<br />

Architekten Otto Sohre, der auch<br />

das Haus <strong>in</strong> der W<strong>in</strong>terfeldtstraße 31<br />

entwarf.<br />

Durch die offenen Balkone und die e<strong>in</strong>-<br />

ladenden Erker wirkt das 6-stöckige Haus<br />

freundlich und aufgelockert. Wie zur wil-<br />

helm<strong>in</strong>ischen Zeit üblich, ist es zur Stra-<br />

ßenseite h<strong>in</strong> aufwändig verziert. Die stei-<br />

len E<strong>in</strong>gänge werden von Säulen flan-<br />

kiert, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Blumenkapitel enden.<br />

Neben den tatsächlich tragenden<br />

Säulen verteilt sich das Säulenmotiv über<br />

das ganze Haus. Teilweise s<strong>in</strong>d sie nur<br />

angedeutet, aufgemalt oder mit Stuck<br />

halb an das Haus gemauert.<br />

<strong>Der</strong> Innenhof entspricht der 1853 erlassenen<br />

Baupolizeiordnung. Er musste<br />

m<strong>in</strong>destens 5,34 mal 5,34 Meter messen,<br />

um der Feuerspritze Raum zum<br />

Drehen zu geben. Die – <strong>in</strong>zwischen geschlossenen<br />

– Toiletten im Treppenhaus<br />

s<strong>in</strong>d Zeugnis e<strong>in</strong>er revolutionären Neuerung<br />

Ende des 19. Jahrhunderts. Bis<br />

dah<strong>in</strong> gab es noch ke<strong>in</strong>e Toiletten im<br />

städtischen Haus und die st<strong>in</strong>kenden<br />

Unrateimer entleerten die Frauen <strong>in</strong><br />

Wassergräben oder auf Wiesen. Wenn<br />

diese Eimer tragbares Gas genannt wurden,<br />

lachten alle und die Berl<strong>in</strong>er witzelten<br />

„Berl<strong>in</strong> is dufte“. Berl<strong>in</strong> war aber<br />

nicht nur dufte, sondern lebensgefährlich.<br />

Immer wieder brach aufgrund des<br />

Drecks auf der Straße und <strong>in</strong> der Spree<br />

die Cholera aus. Um sie e<strong>in</strong>zudämmen,<br />

entwarf der damalige Oberbürgermeister<br />

von Berl<strong>in</strong> und spätere Abgeordnete<br />

Arthur Hobrecht mit öffentlicher Unterstützung<br />

des Arztes Rudolf Virchow<br />

und dem technischen Wissen se<strong>in</strong>es Bruders<br />

James Hobrecht e<strong>in</strong> Kanalisationsprojekt.<br />

<strong>Der</strong> Architekt und Ingenieur<br />

James Hobrecht sah vor, die Abwässer<br />

Mädel: Guck doch, Mutter, die<br />

schöne Säule!<br />

Maurermeister: Ja, auf die Säule<br />

bild ich mir was e<strong>in</strong>. Mitten mang<br />

zwischens Hauptportal so ne Säule<br />

bis untern Balkon vom vierten<br />

Stock. <strong>Das</strong> hat mir wenigstens noch<br />

ke<strong>in</strong>er vorgemacht.<br />

<strong>Der</strong> Junge: Is das chorr<strong>in</strong>tisch?<br />

<strong>Der</strong> Meister: Na, so alles durche<strong>in</strong>ander.<br />

Man wird sonst leicht zu<br />

langweilig.<br />

„<strong>Das</strong> herrschaftliche Haus“ von<br />

Christian Morgenstern (1871-1914)<br />

nicht mehr <strong>in</strong> die fließenden Gewässer<br />

zu schütten, sondern durch Druckleitungen<br />

auf weit außerhalb der Stadt ge-<br />

legene Rieselfelder zu transportieren.<br />

In <strong>Schöneberg</strong> durfte der Dung nicht<br />

mehr auf die bisher dafür vorgesehenen<br />

Niederungswiesen beim Nollendorfplatz<br />

geschüttet werden. Mit dem zwischen<br />

1875 und 1892 fertiggestellten<br />

Hobrechtschen Kanal- und Rieselfeldersystem<br />

entwickelte sich Berl<strong>in</strong> zur<br />

damals weltweit saubersten Stadt.<br />

1899 komponierte Paul L<strong>in</strong>cke deshalb<br />

für die Operette „Frau Luna“ den be-<br />

rühmten Marsch „Berl<strong>in</strong>er Luft“, welcher<br />

als heimliche Hymne Berl<strong>in</strong>s bezeichnet<br />

wird.


Treppenhaus <strong>in</strong> der Goltzstraße 24 mit Außentoiletten<br />

(2005)<br />

40 41<br />

Hof der Goltzstraße 24 (2005)<br />

Auch die Geschäfte im Haus passten<br />

sich der Zeit an, wie man aus den alten<br />

Adressbüchern entnehmen kann. So<br />

gab es dort e<strong>in</strong>e Kolonialwarenhandlung,<br />

denn auch Deutschland beteiligte<br />

sich an der Kolonialisierung ferner Länder.<br />

Die „Posamentenwarenhändler<strong>in</strong>“<br />

verkaufte Bandgeflechte zum Schmücken<br />

der Kleidung, der „Zahnkünstler“<br />

stellte künstliche Gebisse und Zähne<br />

her, und die Bezeichnung Bierverleger<br />

stand für e<strong>in</strong>e Biergroßhandlung. Im<br />

Jahr 2005 gibt es dort e<strong>in</strong>en Frisör, e<strong>in</strong><br />

Stehcafé, e<strong>in</strong>en Kakaoladen, e<strong>in</strong>en Sushi-Imbiss,<br />

e<strong>in</strong>en Falafel-Laden und das<br />

Lokal „Slumberland“.<br />

„Berl<strong>in</strong>er Luft“ von Paul L<strong>in</strong>cke,<br />

der Text stammt von He<strong>in</strong>z Bolten-Baeckers<br />

(1899):<br />

„<strong>Das</strong> ist die Berl<strong>in</strong>er Luft, Luft,<br />

Luft, so mit ihrem holden Duft,<br />

Duft, Duft, wo nur selten was<br />

verpufft, pufft, pufft <strong>in</strong> dem Duft,<br />

Duft, Duft dieser Luft, Luft, Luft<br />

Ja, ja, ja, das ist die Berl<strong>in</strong>er Luft,<br />

Luft, Luft, so mit ihrem holden<br />

Duft, Duft, Duft, wo nur selten<br />

was verpufft, pufft, pufft,<br />

das macht die Berl<strong>in</strong>er Luft.“


Haus aus dem Wiederaufbauplan West-Berl<strong>in</strong>s<br />

zwischen 1952 und 1961 (2005)<br />

42 43<br />

<strong>Das</strong> Eckhaus hat zwei E<strong>in</strong>gänge. <strong>Der</strong><br />

E<strong>in</strong>gang an der Goltzstraße, ursprünglich<br />

e<strong>in</strong>e Viehtrift, bekam von Anfang<br />

an die Nummer 24. Die W<strong>in</strong>terfeldtstraße,<br />

e<strong>in</strong> ehemaliger Feldweg, bekam<br />

1885 die Bezeichnung W<strong>in</strong>terfeldtstraße.<br />

Sie führt von der Potsdamer Straße<br />

bis zum <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>. Vier Jahre<br />

später wurde die Straße bis zum Viktoria-Luise-Platz<br />

verlängert und hieß <strong>in</strong><br />

diesem Abschnitt Neue W<strong>in</strong>terfeldtstraße.<br />

Mit der Vere<strong>in</strong>heitlichung des Straßennamens<br />

1962 erhielt das Haus die<br />

heutige Adresse W<strong>in</strong>terfeldtstraße 45.<br />

Die Ehrung von Persönlichkeiten durch<br />

Straßennamen war und ist heute noch<br />

<strong>Der</strong> Berl<strong>in</strong>er Bär ist e<strong>in</strong> Erkennungszeichen für staatlich<br />

geförderte Häuser im Wiederaufbauplan<br />

so wichtig wie e<strong>in</strong>e Denkmalaufstellung.<br />

Hans Karl von W<strong>in</strong>terfeldt, e<strong>in</strong><br />

enger Vertauter König Friedrichs II.,<br />

durchlief die militärische Laufbahn und<br />

fiel 1757 fünfzigjährig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Schlacht<br />

bei Görlitz. Ihm wurden der Platz und<br />

die Straße gewidmet.<br />

Die Goltzstraße bekam ihren Namen<br />

von Friedrich Goltz (1825–1888), ei-<br />

nem preußischen Politiker, der die Geme<strong>in</strong>de<br />

<strong>Schöneberg</strong> <strong>in</strong> kommunalpolitischen<br />

Fragen beriet. Karl Georg Maaßen<br />

(1769–1834), nach dem die Maaßenstraße<br />

benannt ist, arbeitete als preußischer<br />

F<strong>in</strong>anzm<strong>in</strong>ister und begründete mit Frie-<br />

drich Christ Adolf von Motz den deutschen<br />

Zollvere<strong>in</strong> (1834), der erste wirt-<br />

Die Form des Bären stammt von<br />

der Bildhauer<strong>in</strong> Renèe S<strong>in</strong>tenis<br />

schaftliche Zusammenschluss deutscher<br />

Staaten unter preußischer Führung.<br />

E<strong>in</strong> Gang <strong>in</strong> die westliche W<strong>in</strong>terfeldtstraße<br />

führt an repräsentativen Häusern<br />

vorbei zu schlichten Hausreihen. Die<br />

e<strong>in</strong>fache aber durchaus solide und ansprechende<br />

moderne Bauweise ergab<br />

sich zwangsläufig aus der F<strong>in</strong>anzmittelknappheit<br />

und den e<strong>in</strong>schränkenden<br />

Vorschriften des staatlichen Wohnungsbaus<br />

<strong>in</strong> der zerstörten Stadt. Nach 1945<br />

war die Unterbr<strong>in</strong>gung der Menschen<br />

vorrangige Aufgabe. Mit zu den damals<br />

am schwersten zerstörten Gebieten zähl-<br />

te das Bayerische Viertel <strong>in</strong> <strong>Schöneberg</strong>.<br />

<strong>Der</strong> Berl<strong>in</strong>er Wiederaufbauplan <strong>in</strong> West-<br />

Berl<strong>in</strong> wurde von 1952 bis 1961 zu<br />

über 50 Prozent aus öffentlichen Mitteln<br />

f<strong>in</strong>anziert. E<strong>in</strong>e Plakette mit dem<br />

Bild des Berl<strong>in</strong>er Bären hängt neben<br />

den E<strong>in</strong>gängen. <strong>Der</strong> Berl<strong>in</strong>er Bär ist<br />

das Erkennungszeichen für die staatlich<br />

geförderten Häuser im Wiederaufbauplan.


Blick auf das „Seniorenwohnhaus Kard<strong>in</strong>al von Galen“ (2005) Sommerlicher Schmuck H<strong>in</strong>terhof des Seniorenwohnhauses<br />

44 45<br />

Seniorenwohnhaus und Schulen<br />

Gegen den Abriss des Altbaubestandes <strong>in</strong><br />

der Goltzstraße westlich des <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>es<br />

formierten sich <strong>in</strong> den 1970er<br />

Jahren Bürger<strong>in</strong>itiativen, politische Or-<br />

ganisationen und Hausbesetzer. Die ka-<br />

tholische Kirche, Besitzer<strong>in</strong> der Grundstücke<br />

Goltzstraße 26-31, blieb jedoch<br />

bei ihrem Plan, die ganze Seite abzureißen<br />

und durchgängig Neubauten zu er-<br />

richten. <strong>Der</strong> von ihr beauftragte Architekt<br />

G. Maiwald entwarf e<strong>in</strong>e gleichförmige<br />

6-8-geschossige Bebauung, die<br />

1982 umgesetzt wurde.<br />

<strong>Das</strong> Seniorenwohnhaus „Kard<strong>in</strong>al<br />

von Galen“ belegt nun mit 115 Woh-<br />

nungen die Grundstücke Goltzstraße<br />

26-28. <strong>Der</strong> schlichte Neubau umfasst<br />

e<strong>in</strong>en großem Innenhof und schließt<br />

die Habsburger Straße 13 mit e<strong>in</strong>. Die<br />

Balkone werden von den Bewohnern<br />

geschmückt und die abgeschlossenen<br />

Wohnungen mit eigener Küche s<strong>in</strong>d gemütlich<br />

und hell. Aus den Fenstern des<br />

Seniorenheimes gibt es den besten Blick<br />

auf <strong>Schöneberg</strong>. <strong>Das</strong> Geme<strong>in</strong>dehaus<br />

Sankt-Matthias ist e<strong>in</strong> weiterer Neubau<br />

<strong>in</strong> der Goltzstraße 29. <strong>Der</strong> Hof wird für<br />

Veranstaltungen genutzt, wie den Mart<strong>in</strong>sumzug<br />

am 11. November. <strong>Der</strong> Umzug<br />

mit Reiter und Pferd endet hier mit<br />

e<strong>in</strong>em Mart<strong>in</strong>sfeuer. Nicht nur K<strong>in</strong>der,<br />

die dabei s<strong>in</strong>gend ihre Laternen tragen,<br />

freuen sich auf dieses alljährliche Fest.<br />

Auf den Grundstücken Goltzstraße 30<br />

und 31 steht e<strong>in</strong> Erweiterungsbau der<br />

Sankt-Franziskus-Schule. Die Wand des<br />

Schulbaus aus den 1960er Jahren <strong>in</strong> der<br />

Hohenstaufenstraße, Ecke Goltzstraße<br />

hat e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante abstrakte Wandbemalung.<br />

Die Architekt<strong>in</strong> Zech-Weymann<br />

war an dem Entwurf beteiligt.<br />

<strong>Das</strong> Gebäude steht unter Denkmalschutz.<br />

Die Vorläufer<strong>in</strong> der Schule war die katholische<br />

höhere Privat-Mädchenschule,<br />

zu der auch e<strong>in</strong>e private Lehrer<strong>in</strong>nen-<br />

Bildungsanstalt gehörte. Heute unterrichtet<br />

die katholische Gesamtschule<br />

K<strong>in</strong>der bis zur 10. Klasse. In e<strong>in</strong>em<br />

Klassenzug wird nach Montessori gearbeitet.<br />

Die Schule arbeitet mit dem<br />

Malteser Hilfsprojekt zusammen, das<br />

über den Lehrplan h<strong>in</strong>ausgehende Projekte<br />

anbietet.<br />

Auf gleicher Höhe steht seit 1884 auf<br />

der Ostseite des Platzes, Ecke Pallasstraße<br />

15, die heutige Spreewald-Grundschule,<br />

die früher verdeckt durch e<strong>in</strong>e<br />

Häuserfront, e<strong>in</strong>e H<strong>in</strong>terhofschule war.<br />

E<strong>in</strong> von den Schülern geschmückter<br />

E<strong>in</strong>gang führt <strong>in</strong> e<strong>in</strong> lichtdurchflutetes<br />

Gebäude. Bilder und Projektarbeiten<br />

schmücken die Schulflure. K<strong>in</strong>der spielen<br />

<strong>in</strong> den Pausen und unterhalten sich


E<strong>in</strong>gang zur Sankt-Franziskus-Schule<br />

<strong>in</strong> der Goltzstraße/Ecke Hohenstaufenstraße<br />

Wandbemalung an der Fassade<br />

der Sankt-Franziskus-Schule<br />

46 47<br />

Schulhof der Spreewald-Grundschule, Pallasstraße 15<br />

– nicht nur auf deutsch –, denn die<br />

Muttersprache ist häufig e<strong>in</strong>e andere.<br />

Auf die Förderung der Zweisprachigkeit<br />

legt die Schule e<strong>in</strong>en besonderer Schwerpunkt.<br />

Die theaterbetonte Grundschule<br />

kooperiert mit dem benachbarten Puppentheater<br />

„Hans-Wurst-Nachfahren“.<br />

Und auch die Interessen der Schüler<br />

und Schüler<strong>in</strong>nen werden berücksichtigt:<br />

es gibt e<strong>in</strong> eigenes Schülerparlament.<br />

Die Sankt-Matthias-Kirche<br />

Auf der Südseite des Platzes steht seit<br />

1895 die katholische Sankt-Matthias-<br />

Kirche. Sie gehört mit ihren 50 Metern<br />

Länge und 25 Metern Breite zu den<br />

größten Kirchen Berl<strong>in</strong>s. <strong>Der</strong> Architekt<br />

Engelbert Seibertz entwarf die dreischiffige<br />

neugotische Kirche. <strong>Der</strong> Turm und<br />

die nach oben strebenden Fenster lassen<br />

den Blick <strong>in</strong> die Höhe schweifen.<br />

<strong>Der</strong> 93 Meter hohe Turm war <strong>in</strong> <strong>Schöneberg</strong><br />

weith<strong>in</strong> sichtbar e<strong>in</strong>e Landmarke.<br />

Im Zweiten Weltkrieg zerstört, ist er<br />

heute entschieden kürzer. Die Uhr am<br />

Kirchturm ist e<strong>in</strong> Zeitmesser nicht nur<br />

für die Gläubigen.


Hauptportal und Turm der Sankt-Matthias-Kirche (2005)<br />

48 49<br />

<strong>Der</strong> Stifter der ersten Sankt-Matthias-<br />

Kirche <strong>in</strong> der Potsdamer Straße (heute<br />

St. Ludgerus), Matthias Aulike, hatte<br />

den besonderen Wunsch, dass Priester<br />

aus se<strong>in</strong>er Heimatdiözese Münster die<br />

Seelsorge übernehmen sollten. So kam<br />

Clemens August Graf von Galen als<br />

Pfarrer von 1919 – 29 an die Kirche.<br />

Als späterer Bischof von Münster trat er<br />

während des Nationalsozialismus unerschrocken<br />

für die Rechte der Menschen<br />

e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e Tafel zu se<strong>in</strong>em Andenken<br />

hängt l<strong>in</strong>ks neben dem Haupte<strong>in</strong>gang.<br />

Er wurde am 9. Oktober 2005 durch<br />

Papst Benedikt XVI. selig gesprochen.<br />

Von Professor Gailis stammt das Abschlussgitter<br />

am Hauptportal, dar<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong> Löwenkopf e<strong>in</strong>gearbeitet ist. Dieses<br />

Gitter ehrt ebenfalls den Bischof von<br />

Galen. Se<strong>in</strong>e Münsteraner Geme<strong>in</strong>de<br />

nannte ihn den „Löwen von Münster“.<br />

Im Kirchenfenster am Ostaltar bef<strong>in</strong>det<br />

sich e<strong>in</strong> dritter H<strong>in</strong>weis auf ihn: dort ist<br />

der Bischof abgebildet.<br />

Ab 1929 hatte die Pfarrerstelle Albert<br />

Coppenrath <strong>in</strong>ne, der „Dickkopf vom<br />

<strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>“. Auch er bezog leidenschaftlich<br />

Stellung gegen die Hetze und<br />

die Lügen der Nazis. Leider gibt es <strong>in</strong><br />

der Kirche ke<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis auf ihn.<br />

Seit 1977 ist es der gebürtige Münsteraner<br />

Pfarrer Edgar Kotzur, der <strong>in</strong> der


Die gemalten Sandalen des Moses im Kirchenfenster über dem<br />

Hauptportal weisen darauf h<strong>in</strong>, dass die Kirche „heilig“ ist<br />

50 51<br />

Sankt-Matthias-Kirche e<strong>in</strong>e lebendige<br />

Geme<strong>in</strong>de aufgebaut hat. Pfarrer Kotzur<br />

hat auch den Wiederaufbau der<br />

Kirche sachverständig unterstützt.<br />

1952 begann die erste Aufbauphase.<br />

15 von 26 Kirchenfenstern blieben aus<br />

Geldmangel zugemauert. Erst zwischen<br />

1987 und 1993 konnte die Kirche von<br />

Grund auf restauriert werden. Bis auf<br />

drei wurden alle Fenster geöffnet und<br />

vom Kirchenmaler Hermann Gottfried<br />

bearbeitet.<br />

Vor dem Hauptportal stehen drei Ste<strong>in</strong>figuren.<br />

Die l<strong>in</strong>ke Figur stellt den heiligen<br />

Ludgerus dar, den ersten Bischof<br />

von Münster. Die Ste<strong>in</strong>figur <strong>in</strong> der Mit-<br />

te bildet den heiligen Matthias ab, den<br />

Namensgeber der Kirche. Rechts steht<br />

das Abbild von Johannes dem Täufer,<br />

dem Patron des Erz-Bistums Breslau.<br />

Die Rosette über dem Hauptportal ist<br />

nachts meistens beleuchtet und strahlt<br />

<strong>in</strong> die Stadt h<strong>in</strong>aus. Die Sandalen des<br />

Moses <strong>in</strong> der Fenstermalerei über der<br />

E<strong>in</strong>gangstür weisen den Kirchenbesucher<br />

darauf h<strong>in</strong>, dass dieser Ort „heilig“<br />

ist.<br />

E<strong>in</strong> Rundgang durch die Kirche führt<br />

an den Kreuzstationen vorbei. Sie s<strong>in</strong>d<br />

Orig<strong>in</strong>ale des Münchener Künstlers<br />

Phillipp Schuhmacher aus den Jahren<br />

1907 bis 1915. Es gibt verschiedene<br />

<strong>Das</strong> Löwenmedaillon ehrt den Bischof von Münster,<br />

Clemens August von Galen<br />

kle<strong>in</strong>e Altäre und Marienbilder. E<strong>in</strong>e<br />

Reliquie vom heiligen Matthias, wird <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em sichtbaren Schre<strong>in</strong> im östlichen<br />

Seitenchor aufbewahrt. Reliquien waren<br />

zwar schon im Altertum bekannt,<br />

jedoch erst das Christentum hat sie zu<br />

e<strong>in</strong>em Teil des Heiligenkultes gemacht.<br />

Am Ostausgang der Kirche hat der Wetterhahn<br />

se<strong>in</strong>en Platz gefunden. Er fiel<br />

1934 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er stürmischen Nacht von<br />

der Kirchturmspitze. E<strong>in</strong> orig<strong>in</strong>eller<br />

Text zu se<strong>in</strong>en Ehren ist unter dem<br />

Wetterhahn angebracht.<br />

<strong>Der</strong> Kirchenmaler Hermann Gottfried<br />

erläutert nach welchen Kriterien er die<br />

<strong>Der</strong> Wetterhahn hat über dem Oste<strong>in</strong>gang e<strong>in</strong>en neuen<br />

Platz gefunden. <strong>Das</strong> Gedicht unterhalb des Wetterhahns<br />

beschreibt se<strong>in</strong> Schicksal


Reliquie des heiligen Matthias im Ostaltar <strong>Der</strong> Zug der Vertriebenen, dargestellt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der<br />

Kirchenfenster<br />

52 53<br />

Marienaltar<br />

Fensterbemalung entworfen hat. „Alle<br />

figürlichen Darstellungen s<strong>in</strong>d bewusst<br />

<strong>in</strong> weiß bis silbergrauen Tonwerten ge-<br />

halten, also <strong>in</strong> den Farbwerten des ge-<br />

samten Fond, um zu e<strong>in</strong>er Entmaterialisierung<br />

der figürlichen Themen zu<br />

kommen, womit gleichzeitig die Möglichkeit<br />

bestand, dem Umfeld Farbe<br />

zu geben.“ In der Taufkapelle ist die<br />

Rückkehr des „verlorenen Sohnes“ dargestellt,<br />

umgeben von e<strong>in</strong>em farbigen Regenbogen.<br />

In der Totenkapelle ersche<strong>in</strong>t<br />

Joseph e<strong>in</strong> Engel, um ihn und Maria zur<br />

Flucht aus Ägypten aufzufordern. So entgeht<br />

Jesus als Neugeborener dem Tod.<br />

Auch die unmittelbare Geschichte wur-<br />

de vom Künstler dargestellt: Flücht-<br />

l<strong>in</strong>gsströme, brennende Kleider, zerstörte<br />

Städte, e<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Menschheitsgeschichte<br />

nie enden wollendes Thema<br />

der Zerstörung und e<strong>in</strong>e Aufforderung<br />

zur Barmherzigkeit.<br />

Auch e<strong>in</strong>e Art Wunder vollzog sich <strong>in</strong><br />

der Kirche: <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kirchenbroschüre<br />

wird die Geschichte des von Wilhelm<br />

Polders jun. geschaffenen Altarkreuzes<br />

beschrieben: „Die Geschichte des<br />

Kreuzes beg<strong>in</strong>nt 1985. Polders kam <strong>in</strong><br />

jenem Jahr nach Berl<strong>in</strong> und besuchte<br />

auch den Ostteil der Stadt. Auf dem<br />

Rückweg musste er sich stundenlangen<br />

Verhören unterziehen. Unter den E<strong>in</strong>druck<br />

dieser Erlebnisse kam ihm die<br />

Idee zu e<strong>in</strong>em Kreuz. Se<strong>in</strong> Leitgedanke<br />

war: Die Mauer muß weg. Mit der<br />

Gestaltung des Kreuzes nahm er diesen<br />

Gedanken auf. Er fertigte e<strong>in</strong> Kreuz mit<br />

zerbrochenen Mauern an den vier Enden.<br />

Den Corpus bildet e<strong>in</strong> vergoldeter<br />

Bronzeabguß e<strong>in</strong>es von se<strong>in</strong>em Vater aus<br />

Silber getriebenen Christus. 1986 kam<br />

das Kreuz nach Berl<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e Kirche <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> (Ost) kam aus politischen Gründen<br />

nicht <strong>in</strong>frage. So h<strong>in</strong>g es bis 1989 <strong>in</strong><br />

der Totengedächtnis-Kapelle. In diesem<br />

Jahr wurden die Apsisfenster e<strong>in</strong>gesetzt<br />

und das große Hängekreuz von Eg<strong>in</strong>o<br />

We<strong>in</strong>ert musste weichen. Am 19. August<br />

1989 kam das „Mauerkreuz“ <strong>in</strong><br />

den Altarraum. Es war der Tag, an dem


Zum Ernte-Dank-Fest geschmückter Altar.<br />

Im Altarraum hängt das Mauerkreuz<br />

54 55<br />

die Mauer an der österreichisch-ungarischen<br />

Grenze aufzubrechen begann.“<br />

Pfarrer Kotzur brachte das Mauerkreuz<br />

im Altarraum an und erst am Abend<br />

erfuhr er <strong>in</strong> den Nachrichten, dass sich<br />

die Mauer geöffnet hatte.<br />

Rechts vom Altar steht die Tabernakelsäule,<br />

e<strong>in</strong>e Arbeit von Eg<strong>in</strong>o We<strong>in</strong>ert.<br />

<strong>Das</strong> kunstvoll gearbeitete Gehäuse dient<br />

als Aufbewahrungsort für die Hostien.<br />

Die Seifert-Orgel mit 74 Registern ist<br />

e<strong>in</strong>e der größten Kirchenorgeln Berl<strong>in</strong>s.<br />

Sie wurde 1958/1974 von der Firma<br />

Seifert & Sohn erbaut. Es f<strong>in</strong>den regelmäßig<br />

Konzerte mit namhaften Künstlern<br />

statt. Die Messen s<strong>in</strong>d gut besucht.<br />

Die Weihnachtsmesse wird nach traditionellem<br />

katholischem Brauch gefeiert<br />

und die Stimmung ist weihnachtlich,<br />

wenn die Geme<strong>in</strong>de bei Kerzensche<strong>in</strong><br />

„Stille Nacht, heilige Nacht“ s<strong>in</strong>gt.<br />

Am letzten Tag des Jahres wird vor der<br />

Kirche auf dem <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> mit<br />

großem Feuerwerk das alte Jahr verabschiedet<br />

und das neue begrüßt.<br />

Die Sankt-Matthias-Kirche an Silvester


Collage aus „der Berl<strong>in</strong>er Bierboykott<br />

von 1894“, Berl<strong>in</strong> 1980<br />

56 57<br />

<strong>Der</strong> Berl<strong>in</strong>er Bierboykott und<br />

die Kultur des Essens und<br />

Tr<strong>in</strong>kens<br />

Arbeiten, helfen, feiern, diese Lebensmaxime<br />

wollten sich auch die Arbeiter<br />

nicht nehmen lassen, als sie 1894 zum<br />

Berl<strong>in</strong>er Bierboykott aufriefen. Damals<br />

sperrten Berl<strong>in</strong>er Brauereien die Böttcher<br />

(Fassbauer) aus, weil sie am 1. Mai<br />

die Arbeit niederlegten.<br />

Auch der sozialdemokratische Parteivorsitzende<br />

und Reichstagsabgeordnete<br />

August Bebel, der um 1900 <strong>in</strong> der Habsburger<br />

Straße 5 <strong>in</strong> <strong>Schöneberg</strong> wohnte,<br />

unterzeichnete den Boykott-Aufruf ge-<br />

gen die Brauere<strong>in</strong>. Nach mehreren ge-<br />

scheiterten Verhandlungsversuchen kam<br />

es zu e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>igung mit den Gewerkschaften.<br />

Die Parteizeitung der SPD, der<br />

„Vorwärts“, konnte am 29. Dezember<br />

1894 das Ende des Boykotts bekannt<br />

geben. Zum Glück dauerte diese bierernste<br />

Geschichte der sozialen Klassenkämpfe<br />

nur e<strong>in</strong>ige Monate und die<br />

Gastwirte schenkten bald wieder jede<br />

Form von Alkohol aus.<br />

Am <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> gab es seit jeher<br />

Lokale, die früher die Kirchgänger zum<br />

Frühschoppen e<strong>in</strong>luden, die Spaziergänger<strong>in</strong>nen<br />

zum Nachmittagskaffee und<br />

die Arbeiter zum Feierabendumtrunk.<br />

Die typischen Berl<strong>in</strong>er Eckkneipen mit<br />

Alte Postkarte<br />

rustikalem folkloristischem Ambiente<br />

und die Konditoreien mit Häkeldeckchen<br />

s<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs verschwunden.<br />

Auch die Künstlercafés und Verbrecherlokale,<br />

die Christopher Isherwood <strong>in</strong><br />

den 1920er Jahren beschrieb, gibt es<br />

nicht mehr, die Studentencafés und<br />

Hausbesetzer-Treffs gehören ebenfalls<br />

der Vergangenheit an.<br />

Auch heute ist der Platz gesäumt von<br />

Lokalen und Cafés, die gleichzeitig als<br />

Gaststätte, Bühne und als Wohnzimmer<br />

genutzt werden. Zwischen Autoabgasen<br />

und Fußgängern stehen Stühle, Liegestühle<br />

oder e<strong>in</strong>fache Holzbänke und<br />

deutsches, <strong>in</strong>disches, vietnamesisches,<br />

oder persisches Essen wird serviert.<br />

Manchmal gesellt sich auch e<strong>in</strong> Spatz<br />

dazu. <strong>Das</strong> Ambiente der Lokale reicht<br />

von weiß gedeckten Tischen über Bibelzitaten<br />

an den Wänden bis h<strong>in</strong> zu<br />

m<strong>in</strong>imalistischer E<strong>in</strong>richtung.<br />

<strong>Das</strong> „Slumberland“ im Eckhaus Goltzstraße<br />

24 / W<strong>in</strong>terfeldtstraße 45 lädt<br />

mit fe<strong>in</strong>em weißem Sand als Bodenbelag<br />

unter Kunstpalmen oder auf dem<br />

Bürgersteig unter echten L<strong>in</strong>den zum<br />

Entspannen e<strong>in</strong>. Manchmal ist es die<br />

letzte Station e<strong>in</strong>er bereits geschrumpften<br />

geselligen Gruppe, die durch die<br />

Kneipen gezogen ist. E<strong>in</strong>ige haben hier<br />

auch schon manche Nacht durchgeschlafen.<br />

Als das Szenelokal <strong>in</strong> den


<strong>Das</strong> Lokal „Slumberland“ im Haus Goltzstraße 24<br />

(2005)<br />

58 59<br />

1970er Jahren noch „Dschungel“ hieß,<br />

trafen sich Studenten und auch Arbeiter<br />

zu hitzigen Diskussionen. Nachtschwärmer<br />

führten ihren westdeutschen<br />

Besuch dorth<strong>in</strong>, weil es seit dem Mauerbau<br />

<strong>in</strong> West-Berl<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e Sperrstunde<br />

mehr gab und die Kneipen bis morgens<br />

geöffnet hatten. Seit der Wiedervere<strong>in</strong>igung<br />

müssen Lokale <strong>in</strong> der Hauptstadt<br />

zwar zwischen 5 und 6 Uhr morgens<br />

schließen. Diese Regelung wird den<br />

meisten Kneipengängern jedoch kaum<br />

auffallen.<br />

Hans Fallada, der se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dheit <strong>in</strong> der<br />

Luitpoldstraße 11 verbrachte ( heute<br />

steht dort die Werbell<strong>in</strong>see-Schule), be-<br />

schreibt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Buch „Damals bei<br />

uns daheim“ wie e<strong>in</strong>e Abendgesellschaft<br />

um 1900 standesgemäß zuhause vorbereitet<br />

wurde: „Oh, diese wichtige Frage:<br />

Koch oder Köch<strong>in</strong>? Jeder Koch war<br />

nach e<strong>in</strong>em alten Glaubenssatz wichtiger<br />

als jede Köch<strong>in</strong>, aber er war auch<br />

teurer und ließ sich nie etwas sagen.<br />

... Was die Speisenfolge ang<strong>in</strong>g, zeigte<br />

sich der Vater un<strong>in</strong>teressiert. ... Dafür<br />

hatte aber der Vater als re<strong>in</strong> männliches<br />

Geschäft den We<strong>in</strong> zu besorgen. An<br />

sich wäre auch me<strong>in</strong>e Mutter dafür die<br />

Richtige gewesen, denn sie trank we-<br />

„Café m“ (2005)<br />

nigstens ab und zu e<strong>in</strong> Glas We<strong>in</strong>. Aber<br />

die Zeiten waren nun e<strong>in</strong>mal so, dass<br />

das Weibliche unter ke<strong>in</strong>en Umständen<br />

<strong>in</strong> männliche Vorrechte e<strong>in</strong>greifen<br />

durfte: Männer tranchierten den Braten,<br />

rauchten und kauften den We<strong>in</strong>,<br />

Frauen waren für Küche, K<strong>in</strong>der und<br />

Dienstboten zuständig.“<br />

Ob wir nicht auch was tr<strong>in</strong>ken gehen<br />

wollen? – im „Café m“ <strong>in</strong> der Goltzstraße?<br />

Es war die erste Berl<strong>in</strong>er Neon-Bar<br />

der 1980er Jahre und ist immer noch e<strong>in</strong><br />

Anziehungspunkt für die Berl<strong>in</strong>er Szene.<br />

Daran, dass es e<strong>in</strong>mal „Café Mitropa“<br />

hieß, wie die Bahn-Gastronomiegesellschaft<br />

der ehemaligen DDR, können<br />

sich allerd<strong>in</strong>gs nur noch die Älteren<br />

er<strong>in</strong>nern.<br />

Auf dem Weg durch die Goltzstraße<br />

lohnt sich e<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> die Schaufenster<br />

der Geschäfte.


Figur am Haus Goltzstraße 32 (2005)<br />

60 61<br />

Freimaurer, Neorenaissance<br />

und Moderne<br />

Maurische Terrakotta-Gesichter beobachten<br />

lächelnd die Spaziergänger, wel-<br />

che durch die Goltzstraße gehen. Sie<br />

schmücken den Sims des Eckhauses<br />

Goltzstraße 32/Hohenstaufenstraße 69.<br />

Muster und Formen an der Kl<strong>in</strong>kerfas-<br />

sade des Hauses ähneln e<strong>in</strong>em Teppich-<br />

muster. <strong>Das</strong> ungewöhnliche Haus wurde<br />

1895 nach e<strong>in</strong>em Entwurf von Richard<br />

Landé erbaut und 1951 <strong>in</strong>standgesetzt.<br />

Die Hausfassade trägt viele Freimaurermotive.<br />

Die Freimaurer waren um<br />

1900 wichtig für die Architektur Berl<strong>in</strong>s,<br />

da sie zu Experimenten bereit wa-<br />

ren und ungewöhnliche, repräsentative<br />

Hauskonstruktionen entwarfen. Die<br />

große Länderloge der Freimaurer von<br />

Deutschland befand sich <strong>in</strong> der Eisenacher<br />

Straße 11-12, unweit des <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>es.<br />

Die Balkone des 5-geschosssigen Hauses<br />

werden von offenen Stahlträgern ge-<br />

halten. Die Kacheln s<strong>in</strong>d unterschiedlich<br />

angeordnet und glasiert. Dazwischen<br />

ragen unbehandelte Ziegelste<strong>in</strong>e<br />

hervor. Im unbehauenen Ste<strong>in</strong> sieht sich<br />

der Freimaurer selbst, dessen Lebenss<strong>in</strong>n<br />

e<strong>in</strong> lebenslanges Lernen be<strong>in</strong>haltet.<br />

Den Mittelpunkt des Türschmucks über<br />

dem E<strong>in</strong>gang Goltzstraße 32 bildet e<strong>in</strong><br />

Goltzstraße 32 (2005) Den Dachsims krönt e<strong>in</strong>e Rosette (2005)


Ketten von Halbkugeln mit Meridianen und Blumenmotiven<br />

umgeben das Haus (2005)<br />

62 63<br />

typisches Jugendstilmotiv: e<strong>in</strong> liegender<br />

Mann betrachtet die Sonne. Blätter der<br />

mehrfach gefiederten Raute verzieren<br />

das Bild, das von e<strong>in</strong>er Pflanzenkette<br />

umrankt ist. Die Blätter der gefiederten<br />

Raute symbolisieren die mathematische<br />

Raute, das Zeichen der Freimaurer. Die<br />

Kette bedeutet Verbundenheit und die<br />

Strahlen der Gestirne durchdr<strong>in</strong>gen die<br />

Dunkelheit mit geistigem Licht.<br />

Um das Haus herum ziehen sich Ketten<br />

mit runden Bällen. Verschiedene Meridiane<br />

durchziehen die Halbkugeln, wobei<br />

das W<strong>in</strong>kelmaß für Aufrichtigkeit,<br />

Geradheit und richtiges Handeln steht.<br />

Die 32, die Hausnummer, gilt als Zahl<br />

des Herzens und das Herzmotiv f<strong>in</strong>det<br />

sich im Deckenstuck der Salons wieder.<br />

Den Dachsims schmückt e<strong>in</strong> ste<strong>in</strong>erner<br />

Rosenkranz. Die Rose ist als Zeichen<br />

der Liebe zur Schöpfung das höchste<br />

Symbol der Freimaurer.<br />

<strong>Das</strong> Haus erfuhr mehrere bauliche Ver-<br />

änderungen. <strong>Der</strong> Inhaber e<strong>in</strong>es Wäschegeschäftes<br />

verband das Erdgeschoss mit<br />

dem ersten Stockwerk und unternahm<br />

entsprechende Umbauten. Die Treppenaufgänge<br />

wurden verändert und <strong>in</strong><br />

neuerer Zeit erhielten e<strong>in</strong>ige Fenster<br />

Kunststoffrahmen. Geblieben s<strong>in</strong>d die<br />

mit e<strong>in</strong>em Eisenrost geschützten Lüf-<br />

<strong>Der</strong> Salon im 1. Stock der Goltzstraße 32 ist mit Herzsymbolen<br />

verziert (2005)<br />

tungsschächte der Kellerfenster. Ausgerechnet<br />

<strong>in</strong> diese Schächte fällt e<strong>in</strong>em<br />

mit Vorliebe der Schlüssel oder das Geld<br />

aus der Hand. E<strong>in</strong>e Stange mit e<strong>in</strong>em<br />

Haken daran war e<strong>in</strong> beliebtes Accessoire<br />

der Nachkriegsk<strong>in</strong>der, die damit<br />

auf dem Bauch liegend Schätze aus den<br />

Schächten fischten.<br />

In den repräsentativen Neubau zogen<br />

Ärzte, Offiziere und Kaufleute e<strong>in</strong>.<br />

E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> alte Adressbücher zeigt die<br />

Männerknappheit und die veränderte<br />

Stellung der Frau nach dem Ersten<br />

Weltkrieg. Nun gab es unter den Haushaltsvorständen<br />

der Goltzstraße 32 die<br />

Verwalter<strong>in</strong>, die Ärzt<strong>in</strong>, die Witwe oder<br />

ganz e<strong>in</strong>fach die „Frau“.<br />

Aber auch der Nationalsozialismus h<strong>in</strong>terließ<br />

im Haus se<strong>in</strong>e Spuren: e<strong>in</strong> Mitbewohner<br />

aus dem Haus Goltzstraße<br />

32 wurde deportiert und 1941 im KZ<br />

Lodz ermordet.<br />

<strong>Das</strong> unsche<strong>in</strong>bare Eckhaus gegenüber,<br />

Goltzstraße 23, hat se<strong>in</strong> e<strong>in</strong>st prächtiges<br />

Aussehen e<strong>in</strong>gebüßt. In den 1960er Jahren<br />

führten staatliche f<strong>in</strong>anzielle Anreize<br />

dazu, dass die Hausbesitzer den Stuck<br />

an den Häusern abklopfen ließen. Und<br />

doch bewahrt das Haus e<strong>in</strong>en Schatz:<br />

die Pallas-Apotheke. Von außen unsche<strong>in</strong>bar,<br />

besitzt sie e<strong>in</strong>e vollständig<br />

erhaltene orig<strong>in</strong>ale Apotheken-Ausstattung<br />

der Jahrhundertwende.


Emblem über dem E<strong>in</strong>gang Goltzstraße 32. Die Blätter<br />

der Pflanze „Raute“ umranken das Bild. Die Strahlen<br />

Apothekene<strong>in</strong>richtung von 1892 (2005)<br />

64<br />

der Gestirne durchdr<strong>in</strong>gen die Dunkelheit<br />

Oben die Pallas Athene,<br />

Schirmherr<strong>in</strong> der Heilkunst<br />

65<br />

1892 ließ der Apotheker Albert Porsch<br />

die Apotheke im Stil der Neorenaissance<br />

für sich ausbauen. In den nummerierten<br />

und mit Buchstaben versehenen<br />

Nussbaum-Schränken und -Regalen<br />

stehen stilechte Porzellangefäße und<br />

Fläschchen für Salben und T<strong>in</strong>kturen.<br />

Schlanke, gedrechselte Holzsäulen mit<br />

ionischen Kapitellen unterteilen die<br />

Regale. Verglaste Flügeltüren und e<strong>in</strong>e<br />

marmorne Ablage vollenden die schöne<br />

Handwerksarbeit. In e<strong>in</strong>em Relief über<br />

dem Regal ist das Monogramm des er-<br />

sten Apothekenbesitzers Albert Porsch<br />

„AP“ zu sehen, geschmückt von Füllhörnern<br />

mit Granatäpfeln und anderen<br />

Früchten. E<strong>in</strong> weiteres Relief zeigt das<br />

Gründungsjahr 1892. Es gibt e<strong>in</strong>iges zu<br />

entdecken und zu bestaunen: zum Beispiel<br />

Mädchenköpfe, welche den Helm<br />

der Pallas Athene tragen, der Schirmherr<strong>in</strong><br />

der Heilkunst.<br />

Werner Liebheit, der jetzige Besitzer, ist<br />

zu Recht stolz auf se<strong>in</strong>e kunstvoll ausgestattete<br />

Apotheke.


Modernes Haus <strong>in</strong> der Pallasstraße 22-23/Ecke Elßholzstraße 26.<br />

Die Hausaufgänge s<strong>in</strong>d mit runden Glasste<strong>in</strong>en verziert (2005)<br />

66 67<br />

<strong>Der</strong> moderne Stil der 1960er Jahre zeigt<br />

sich im anschließendem Hauskomplex<br />

<strong>in</strong> der Pallasstraße. In Beton gegossene<br />

Glaskugeln verzieren die Hause<strong>in</strong>gänge<br />

und die Treppenhäuser. <strong>Das</strong> dicke mit<br />

Luftblasen versetzte Glas er<strong>in</strong>nert an<br />

mittelalterliche Butzenscheiben.<br />

Ebenfalls aus den 1960er Jahren stammt<br />

das gegenüberliegende Gebäude der<br />

AOK, Pallas-, Ecke Elßholzstraße. Auch<br />

dessen Verzierung besteht aus Glas und<br />

Beton. Bügel am Dach unterbrechen<br />

die ansonsten klassisch e<strong>in</strong>heitliche Fassade.<br />

Als durchgezogene L<strong>in</strong>ie geben<br />

Glasfenster der Fassade e<strong>in</strong> elegantes<br />

Aussehen.<br />

Auf Glas, Beton und Stahl waren die<br />

Bauherren und Architekten <strong>in</strong> den<br />

1960er Jahren besonders stolz. Mit dem<br />

neuen Baumaterial konnte fast jede<br />

Form gegossen werden und Glas erhielt<br />

durch Zusätze von Farbe und Materialien<br />

besondere Effekte.<br />

<strong>Das</strong> AOK-Gebäude <strong>in</strong> der Pallasstraße 23-24/Ecke Elßholtzstraße 31-32.<br />

<strong>Das</strong> Dach wir durch Betonbügel betont (2005)


Gedenktafel im Hof des Pestalozzi-Fröbel-Hauses Buchumschlag von 1950<br />

68 69<br />

Von der Frauenunterdrückung<br />

zur Frauenbildung<br />

„Nicht mehr dienen! Sich e<strong>in</strong>mal nicht<br />

mehr sch<strong>in</strong>den, sich nicht h<strong>in</strong>- und herjagen<br />

lassen, sich nicht mehr ducken<br />

um das bisschen täglich Brot“, lässt<br />

Clara Viebig (1860-1952) ihre Romanfigur<br />

Emma nicht sagen, aber denken.<br />

1900 veröffentlichte Clara Viebig den<br />

Berl<strong>in</strong>-Roman „<strong>Das</strong> tägliche Brot“.<br />

M<strong>in</strong>e kommt mit e<strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> aus<br />

ihrem Dorf zur Verwandtschaft nach<br />

Berl<strong>in</strong>-<strong>Schöneberg</strong>, um sich hier als<br />

Dienstmädchen zu verd<strong>in</strong>gen. Sie wird<br />

erniedrigt und ausgenutzt. Als sie voller<br />

Heimweh <strong>in</strong> ihr Dorf zurückkommt,<br />

ist sie auch dort nicht mehr zu Hause,<br />

weil sie nicht den Vorstellungen e<strong>in</strong>er<br />

reichen Städter<strong>in</strong> entspricht. Sie steht<br />

müde, arbeitslos und mit e<strong>in</strong>em unehelichen<br />

K<strong>in</strong>d vor ihren verständnislosen<br />

Eltern. <strong>Der</strong> Roman endet mit e<strong>in</strong>em<br />

Happy End: M<strong>in</strong>e erhält e<strong>in</strong>e Hauswartstelle<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em der neu errichteten<br />

Häuser <strong>in</strong> der Neuen W<strong>in</strong>terfeldtstraße<br />

und bezieht mit ihrer Familie e<strong>in</strong>e ganz<br />

neue Wohnung, „Trockenwohnen“ <strong>in</strong>-<br />

begriffen.<br />

Bevor e<strong>in</strong>e Wohnung bezugsfertig war,<br />

wurde sie für e<strong>in</strong>ige Zeit unentgeltlich<br />

vermietet. Durch die ständige Nutzung<br />

trockneten Mörtel und Ste<strong>in</strong>e. Die Folge<br />

waren Krankheiten bei den Bewoh-<br />

nern, was von Obdachlosigkeit bedrohte<br />

Familien <strong>in</strong> Kauf nahmen.<br />

E<strong>in</strong>e Hauswartstelle zu erhalten, gelang<br />

im 19. Jahrhundert e<strong>in</strong>er Frau fast nur<br />

im Roman. Clara Viebig beschreibt <strong>in</strong><br />

ihrem Buch auch den ständigen Gang<br />

zur Arbeitsvermittlung. Auf dem <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

stand seit 1904 e<strong>in</strong>e städtische<br />

Baracke, die der Arbeitsvermittlung<br />

von weiblichem Personal diente.<br />

Wenn überhaupt e<strong>in</strong>e Stelle ergattert<br />

wurde, dann als ungelernte Arbeiter<strong>in</strong>,<br />

Dienstmädchen oder Näher<strong>in</strong>. Vor<br />

der Baracke lockten die Anwerber, bis<br />

manche Frau die angebotene Stelle als<br />

Damentänzer<strong>in</strong> annahm.<br />

<strong>Der</strong> Zugang zu Schulen und Ausbildungse<strong>in</strong>richtungen<br />

war für mittellose<br />

Frauen schwierig.<br />

So war die Gründung der „Sozialen<br />

Frauenschule“ <strong>in</strong> <strong>Schöneberg</strong> unter der<br />

Leitung von Alice Salomon im Jahr<br />

1908 e<strong>in</strong> herausragendes Projekt der<br />

bürgerlichen Frauenbewegung. Die<br />

Philosoph<strong>in</strong>, Ökonom<strong>in</strong> und Frauenrechtler<strong>in</strong><br />

Dr. Alice Salomon fand<br />

Unterstützung bei der Gründer<strong>in</strong> des<br />

Pestalozzi-Fröbel-Hauses, Henriette<br />

Schrader, der Frau des damaligen <strong>Schöneberg</strong>er<br />

Bürgermeisters. 1925 konnte<br />

Alice Salomon auf dem Gelände des Pestalozzi-Fröbel-Hauses<br />

e<strong>in</strong> Schulgebäu-


70 71<br />

de errichten. Sie setzte ihre Vorstellung<br />

um, für die Schüler<strong>in</strong>nen und Lehrer<strong>in</strong>nen<br />

e<strong>in</strong>en sonnigen Dachgarten auf<br />

dem Haus errichten zu lassen. Als im<br />

Zweiten Weltkrieg die Bomben fielen,<br />

blieben e<strong>in</strong>ige Geschosse <strong>in</strong> diesem<br />

Garten stecken. <strong>Der</strong> ganze Flügel, der<br />

zum Dachgarten führt, ist deshalb noch<br />

erhalten. Nach dem Krieg wurde die<br />

Schule <strong>in</strong> „Alice-Salomon-Fachhochschule<br />

für Sozialarbeit und Sozialpädagogik<br />

Berl<strong>in</strong>“ umbenannt. <strong>Der</strong> E<strong>in</strong>gang<br />

lag im Erweiterungsbau Goltzstraße<br />

44. Im Jahr 1998 zog die Schule nach<br />

Berl<strong>in</strong>-Hellersdorf um. Im historischen<br />

Flügel ist jetzt noch das Alice-Salomon-<br />

Archiv untergebracht.<br />

Alice Salomon trat 1914 vom Judentum<br />

zur evangelischen Kirche über.<br />

Geehrt für ihre vielfältigen Verdienste<br />

durch das preußische Staatsm<strong>in</strong>isterium<br />

wurde sie dennoch ab 1933 von den Na-<br />

tionalsozialisten aus allen öffentlichen<br />

Ämtern gedrängt und 1937 im Alter<br />

von 65 Jahren zur Emigration gezwungen.<br />

1939 wurden ihr die deutsche<br />

Staatsbürgerschaft und beide Doktortitel<br />

aberkannt. 1948 starb Alice Salomon<br />

hochgeehrt <strong>in</strong> Amerika.<br />

In der Hohenstaufenstraße 64 konnten<br />

Frauen ab 1975 bei „Labrys“, dem<br />

ersten West-Berl<strong>in</strong>er Frauenbuchladen<br />

e<strong>in</strong>kaufen. Männer hatten ke<strong>in</strong>en Zutritt.<br />

„Wenn e<strong>in</strong>mal zugegeben wird, dass Menschen<br />

das Recht haben, ‚unproduktive‘ Mitmenschen<br />

zu töten – und wenn es jetzt auch<br />

nur arme, wehrlose Geisteskranke trifft –,<br />

dann ist grundsätzlich der Mord an allen<br />

unproduktiven Menschen, also den unheilbar<br />

Kranken, den Invaliden der Arbeit und<br />

des Krieges, dann ist der Mord an uns allen,<br />

wenn wir alt und altersschwach und damit<br />

unproduktiv werden, freigegeben! ... Dann<br />

ist ke<strong>in</strong>er von uns se<strong>in</strong>es Lebens mehr sicher:<br />

Irgende<strong>in</strong>e Kommission kann ihn auf die Liste<br />

der ‚Unproduktiven’ setzen, die nach ihrem<br />

Urteil ‚lebensunwert’ geworden s<strong>in</strong>d! Und ke<strong>in</strong>e<br />

Polizei wird ihn schützen und ke<strong>in</strong> Gericht<br />

se<strong>in</strong>e Ermordung ahnden.“<br />

Auszug aus der Predigt des Bischofs Clemens August Graf von<br />

Galen am 3. August 1941 <strong>in</strong> der Lambertikirche zu Münster<br />

Verfolgung und Widerstand<br />

unter den Nationalsozialisten<br />

In den Jahren zwischen den beiden<br />

Weltkriegen gehörte <strong>Schöneberg</strong> zu den<br />

Bezirken, <strong>in</strong> denen die Nationalsozialisten<br />

nicht Fuß fassen konnten. Kaum<br />

e<strong>in</strong> Viertel der <strong>Schöneberg</strong>er stimmte<br />

1932 für die NSDAP.<br />

Auch die Sankt-Matthias-Geme<strong>in</strong>de am<br />

<strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> nahm e<strong>in</strong>e kritische<br />

Haltung e<strong>in</strong>.<br />

Von 1919 bis 1929 bekleidete Clemens<br />

August Graf von Galen (1878 – 1946)<br />

das dortige Pfarramt. Anschließend<br />

wurde er als Bischof nach Münster<br />

berufen, wo er im Namen der katholi-<br />

schen Kirche öffentlich Anklage gegen<br />

das Terrorregime des „Dritten Reiches“,<br />

gegen die staatliche Kirchenpolitik und<br />

das Euthanasieprogramm erhob.<br />

Ab 1929 übte der zunächst national ges<strong>in</strong>nte<br />

Pfarrer Alfred Coppenrath (1883<br />

-1960) das Pfarramt <strong>in</strong> der Kirche aus.<br />

Als die Hitlerjugend auf dem <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

Mitglieder der katholischen<br />

Jungschar verprügelte und grölend und<br />

s<strong>in</strong>gend die Messe störte, schimpfte er<br />

anfangs nur auf deren „bolschewistisches<br />

Benehmen“. Erst als Hitler-Scher-<br />

gen 1934, im Zusammenhang mit dem<br />

Röhm-Putsch, Dr. Erich Klausener,<br />

M<strong>in</strong>isterialdirektor im Reichsverkehrsm<strong>in</strong>isterium<br />

und Vorsitzender der Ka-


72 73<br />

tholischen Aktion <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, ermordeten,<br />

bezog Pfarrer Coppenrath offen<br />

Stellung gegen den Nationalsozialismus.<br />

Er widersprach von der Kanzel herab<br />

der amtlich verbreiteten Lüge vom<br />

Selbstmord Klauseners und prangerte<br />

die Unterdrückung der katholischen<br />

Vere<strong>in</strong>e und Orden an. Pfarrer Coppenrath<br />

rechnete ständig damit, von der<br />

Gestapo überwacht zu werden. Deshalb<br />

bot er den anwesenden Spitzeln der<br />

Gestapo von der Kanzel aus an, nach<br />

dem Gottesdienst e<strong>in</strong>en Durchschlag<br />

mit den aktuellen Kanzelvermeldungen<br />

<strong>in</strong> der Sakristei zu erstehen. Er verlangte<br />

für die Kanzelvermeldungen e<strong>in</strong>e<br />

Reichsmark als Spende an die Caritas.<br />

<strong>Das</strong>s me<strong>in</strong>e Kanzelvermeldungen<br />

zuweilen ‚gefährlich’ s<strong>in</strong>d, weiß ich.<br />

Dennoch halte ich mich im Gewissen<br />

dazu verpflichtet. Ich sehne mich<br />

zwar ke<strong>in</strong>eswegs nach dem Martyrium,<br />

aber ich me<strong>in</strong>e, wenn unser Volk<br />

die Angstpsychose – vielfach auch<br />

noch im Schlaf – überw<strong>in</strong>den soll,<br />

dann müssen wir zunächst erst mal<br />

beweisen, dass wir selber k e i n e<br />

Angst haben und n i c h t schlafen.<br />

(Brief von Pfarrer Albert Coppenrath<br />

an e<strong>in</strong>en Geistlichen <strong>in</strong> Münster<br />

vom 18. September 1934)<br />

Pfarrer Albert Coppenrath (1883-1960) Gedenktafel für Michael Hirschberg <strong>in</strong> der<br />

W<strong>in</strong>terfeldtstraße 8<br />

Pfarrer Coppenrath erhielt den Be<strong>in</strong>amen<br />

„westfälischer Dickkopf vom <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>“.<br />

Er lebte bis 1960.<br />

<strong>Der</strong> ehemalige Landgerichtsrat Michael<br />

Hirschberg wohnte <strong>in</strong> der W<strong>in</strong>terfeldt-<br />

Straße 8. Er war bis 1933 SPD-Vor-<br />

sitzender der Abteilung 8, die den Bü-<br />

lowbogen und die Potsdamer Straße<br />

umfasste. Nach dem SPD-Verbot im<br />

Juni 1933 arbeitete er für die illegale SPD<br />

um Alfred Markwitz <strong>in</strong> der „Gruppe<br />

Westen“ und lagerte und verteilte Untergrundmaterial.<br />

Am 17. Mai 1935<br />

verhaftete ihn die politische Polizei we-<br />

gen illegaler Arbeit. <strong>Der</strong> Mitangeklagte<br />

Walter Löffler er<strong>in</strong>nerte sich: „Zu<br />

bemerken ist besonders die Haltung<br />

des Genossen Hirschberg, e<strong>in</strong>es ’Volljuden’,<br />

der vor Gericht sagte: „Ich war<br />

stolz darauf, dass die Arbeiter, die stets<br />

mit Misstrauen gegen uns Akademiker<br />

erfüllt waren, mir die Aufgaben anvertrauten,<br />

illegal die 8. Abteilung weiterzuführen<br />

und <strong>in</strong> der Widerstandsbewegung<br />

mitzuarbeiten. Ich habe getan, was<br />

ich konnte, um mich dieses Vertrauens<br />

würdig zu erweisen und bereue nichts,<br />

als dass es mir nicht vergönnt ist, weiterh<strong>in</strong><br />

zu kämpfen.“<br />

Obwohl schwer misshandelt, bekannte<br />

Hirschberg sich zu se<strong>in</strong>er Arbeit und<br />

klagte die Richter des Rechtsbruchs an.<br />

Am 20. März 1937 erlag er im Zucht-<br />

haus Brandenburg e<strong>in</strong>em Herzschlag.<br />

Die jüdische Schriftsteller<strong>in</strong> Nelly (eig.<br />

Leonie) Sachs, die 1891 im der Maaßenstraße<br />

15 (heute12) zur Welt kam,<br />

lebte mit ihrer kranken Mutter trotz<br />

Berufsverbotes bis 1940 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>. Als<br />

experimentelle Schriftsteller<strong>in</strong> schrieb<br />

sie auch skurrile Texte fürs Puppentheater.<br />

Noch im letzten Augenblick gelang<br />

beiden mit Unterstützung der Freund<strong>in</strong><br />

Gudrun Harlan, der schwedischen<br />

Schriftsteller<strong>in</strong> Selma Lagerlöf und des<br />

schwedischen Pr<strong>in</strong>zen Eugen die Flucht<br />

nach Schweden. Unter Depressionen<br />

leidend, widmete sie fortan ihre Texte<br />

den sechs Millionen Opfern des Terrors<br />

im Dritten Reich. Nelly Sachs erhielt


Gedenktafel für Nelly Sachs <strong>in</strong> der Maaßenstraße 12<br />

74 75<br />

1966 den Nobelpreis für Literatur und<br />

1970 die Ehrenbürgerwürde von Berl<strong>in</strong>.<br />

Sie starb 1970 <strong>in</strong> Stockholm.<br />

Die vom Kunstamt <strong>Schöneberg</strong> veranstaltete<br />

Ausstellung „Wir waren Nachbarn“,<br />

die im Jahr 2005 im Rathaus<br />

zu besichtigen war, führt die vielen<br />

Bewohner um den <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong>,<br />

die im „Dritten Reich“ aufgrund ihrer<br />

Zugehörigkeit zur jüdischen Geme<strong>in</strong>de<br />

deportiert wurden, namentlich auf.<br />

Es ist im Gespräch, für diese wichtige<br />

Sammlung e<strong>in</strong>en festen Ausstellungsplatz<br />

zu schaffen.<br />

Den ehemaligen Sportpalast <strong>in</strong> der Pal-<br />

lasstraße, Ecke Potsdamer Straße 72,<br />

nutzten <strong>in</strong> der Zeit der Weimarer Re-<br />

publik alle Parteien als Versammlungsstätte.<br />

Im Anschluss an die letzte SPD-<br />

Versammlung am 27. Februar 1933<br />

stand die SA bereits gewaltbereit am<br />

Ausgang und verfolgte die Teilnehmer<br />

bis nach Kreuzberg. In derselben Nacht<br />

brannte der Reichstag. Von nun an hielt<br />

ausschließlich die NSDAP im Sportpalast<br />

politische Versammlungen ab und<br />

bezeichnete ihn als „Heimstätte ihrer<br />

Bewegung“. Am 18. Februar 1943 hielt<br />

Josef Goebbels dort vor 15 000 ausgewählten<br />

Anhängern se<strong>in</strong>e berüchtigte<br />

Rede, die über Rundfunk <strong>in</strong>s ganze<br />

E<strong>in</strong> Teil des „Pallasseums“ wurde um den Bunker gebaut<br />

Reich übertragen wurde. Auf se<strong>in</strong>e rhetorische<br />

Frage „Wollt ihr den totalen<br />

Krieg?“ antworteten die geladenen Teilnehmer<br />

mit Zustimmung und Jubel.<br />

Nach der Rede soll Goebbels gesagt haben:<br />

„Diese Stunde der Idiotie! Wenn<br />

ich den Leuten gesagt hätte, spr<strong>in</strong>gt aus<br />

dem dritten Stock des Columbushauses,<br />

sie hätten es auch getan.“<br />

Anfang der 1950er Jahre wurde der kriegszerstörte<br />

Sportpalast <strong>in</strong> vere<strong>in</strong>fachter<br />

Form wieder aufgebaut.<br />

<strong>Das</strong> legendäre Sechstagerennen, Karnevalsfeten<br />

und Rockkonzerte fanden dort<br />

statt. 1958 sorgten die „Halbstarken“<br />

für Schlagzeilen. E<strong>in</strong> Rock’n Roll-Konzert<br />

des Sängers Bill Haley wurde von<br />

der Polizei abgebrochen, nachdem die<br />

Zuschauer das Podium gestürmt hatten.<br />

Jugendliche, die als „gefährlich, desillusioniert<br />

und frustriert“ e<strong>in</strong>gestuft wurden,<br />

h<strong>in</strong>terließen zerschlagene Sche<strong>in</strong>werfer<br />

und kaputtes Mobiliar.<br />

Nachdem die Kl<strong>in</strong>gbeil-Gruppe 1973<br />

das Grundstück und e<strong>in</strong>en Teil des umliegenden<br />

Geländes übernommen hatte,<br />

wurde der Sportpalast abgerissen und<br />

der „Sozialpalast“ mit über 500 Wohnungen<br />

errichtet. „E<strong>in</strong>es der schönsten<br />

Wohnprojekte Berl<strong>in</strong>s“, wie e<strong>in</strong>st angekündigt,<br />

wurde der Betonklotz mit<br />

Sicherheit nicht. Heute nennt sich die<br />

Wohnanlage „Pallasseum“. Diesen Na-


E<strong>in</strong>er von mehreren Kommentaren,<br />

die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zaun am Bunker e<strong>in</strong>geritzt s<strong>in</strong>d<br />

76 77<br />

men erfand e<strong>in</strong> dort wohnendes Mädchen<br />

bei e<strong>in</strong>em Wettbewerb.<br />

<strong>Das</strong> Pallasseum besitzt e<strong>in</strong>e Kuriosität:<br />

der große Gebäudekomplex überbrückt<br />

nicht nur die Pallasstraße sondern um-<br />

schließt auch e<strong>in</strong>en Hochbunker. <strong>Der</strong><br />

Bunker wurde 1943 für das Fernmelde-<br />

amt <strong>in</strong> der W<strong>in</strong>terfeldtstraße vorwiegend<br />

von russischen Zwangsarbeitern<br />

gebaut. Versuche, ihn <strong>in</strong> der Nachkriegszeit<br />

zu sprengen, scheiterten. Trotz der<br />

<strong>in</strong>tensiven Bebauung sprießen durch<br />

den Asphalt Wiesenblumen: Brennnessel,<br />

Löwenzahn und Gräser. Sie s<strong>in</strong>d die<br />

ursprünglichen Bewohner dieses Areals.<br />

Als die Straßen im südlichen Teil des<br />

Platzes zwischen 1891 und 1893 ihre<br />

Namen erhielten, befand sich noch der<br />

königliche Botanische Garten auf dem<br />

Gelände des heutigen Kleistparks.<br />

Johann Sigismund Elßholz (1623-1688),<br />

Hofmedikus des Großen Kurfürsten<br />

Friedrich Wilhelm, war e<strong>in</strong>er der bedeutendsten<br />

Botaniker se<strong>in</strong>er Zeit.<br />

Johann Gottlieb Gleditsch (1714-1786)<br />

leitete 40 Jahre lang den Botanischen<br />

Garten. <strong>Der</strong> Berl<strong>in</strong>er Mediz<strong>in</strong>er und<br />

Naturforscher Peter Simon Pallas (1741<br />

-1811) bereiste große Teile Russlands<br />

und Sibiriens, über die er anschließend<br />

mehrbändige Reiseberichte veröffentlichte.<br />

1910 zog der Botanische Garten<br />

nach Steglitz um, die Straßen behielten<br />

ihre Bezeichnung.<br />

Beleuchtung auf dem Platz vor dem<br />

Theater „Hans-Wurst-Nachfahren“<br />

<strong>Der</strong> Himmel über dem <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

Straßenlaternen unterschiedlichster Art<br />

stehen auf und um den Platz vor der<br />

Kirche. Die Berl<strong>in</strong>er Aufbruchstimmung<br />

um die Jahrhundertwende f<strong>in</strong>det sich<br />

<strong>in</strong> der Form der dekorativen Jugendstillampen<br />

wieder. Die Vision der autogerechten<br />

Stadt <strong>in</strong> den 1950er und 1960er<br />

Jahren zeigt sich <strong>in</strong> den licht<strong>in</strong>tensiven<br />

Peitschenmasten.<br />

Hydranten mit Brauchwasser und der<br />

Marktbrunnen mit Tr<strong>in</strong>kwasser stehen<br />

etwas unbeachtet am Rande des Platzes.<br />

Aber sie haben ja auch eigentlich ke<strong>in</strong>e dekorative,<br />

sondern e<strong>in</strong>e nützliche Funktion.<br />

Doppelarmige Jugendstillampe<br />

<strong>Der</strong> Spielplatz neben der Kirche mit dem<br />

hübschen Namen „Paradiesgärtchen“ mit<br />

filigranen Zäunen und dem sp<strong>in</strong>nenartigen<br />

Baldach<strong>in</strong> verrottet seit 1995. Die<br />

kalten Metallbänke werden für kurze<br />

Erholungspausen genutzt. Die K<strong>in</strong>der<br />

lassen den dunklen Platz l<strong>in</strong>ks liegen,<br />

nur e<strong>in</strong>ige Jugendliche treffen sich dort.<br />

Es gibt genügend Platz zwischen Marktbrunnen,<br />

Hydranten und Jugendstillampen.<br />

Inl<strong>in</strong>e-Skater, Rollschuh- und<br />

Fahrradfahrer geben dem Platz die sportliche<br />

Note wie es das Bezirksamt 1990<br />

geplant hatte, als er zum Roll-, Ball-<br />

und Lauffeld freigegeben wurde.<br />

Auch wenn an den restlichen 5 Tagen<br />

ke<strong>in</strong> Markt stattf<strong>in</strong>det, umgeben die


E<strong>in</strong>armige Jugenstillampe Moderner Peitschenmast<br />

78 79<br />

abgestellten Marktstände und -wagen<br />

den Platz immer mit e<strong>in</strong>er Marktatmosphäre.<br />

Um den Platz herum fahren<br />

Autos und Fahrräder.<br />

Im Sommer locken die L<strong>in</strong>den an den<br />

Straßen mit ihrem süßen Duft und<br />

Himmel und Wolken verbreiten e<strong>in</strong>e<br />

besondere Stimmung von Weite und<br />

Leichtigkeit. <strong>Der</strong> <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> ist so<br />

frei und offen, dass die Sonne ungestört<br />

alles beleuchten kann und sich e<strong>in</strong> mediterranes<br />

Gefühl e<strong>in</strong>stellt. An manchen<br />

Tagen leuchtet der Himmel über <strong>Schöneberg</strong><br />

golden.


Literatur<br />

Walter Benjam<strong>in</strong>: Berl<strong>in</strong>er Chronik,<br />

Nachträge und Rundfunkgeschichten<br />

für K<strong>in</strong>der 1929-32<br />

<strong>Der</strong> Berl<strong>in</strong>er Bierboykott von 1894,<br />

Sonderdruck 1980 der Berl<strong>in</strong>er Handpresse<br />

Pieke Biermann: Violetta,<br />

Erstveröffentlichung 1990<br />

He<strong>in</strong>rich Wilhelm Wörmann: Widerstand<br />

<strong>in</strong> <strong>Schöneberg</strong> und Tempelhof.<br />

Herausgegeben von der Gedenkstätte<br />

Deutscher Widerstand 2002<br />

Bildnachweise:<br />

Susanne Twardawa, geboren 1952 <strong>in</strong><br />

Nürnberg, Soziolog<strong>in</strong> und Buchhändler<strong>in</strong>,<br />

Kaffeehaus-Literat<strong>in</strong> mit Liebe zum<br />

Spaziergang.<br />

Horst Happatz, geboren 1950 <strong>in</strong> Wiesbaden.<br />

Lebt seit 1972 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, arbeitet<br />

als Lehrer und hat se<strong>in</strong> Interesse an der<br />

Fotografie Mitte der 1980er Jahre <strong>in</strong><br />

den VHS-Kursen der Photowerkstatt<br />

Kreuzberg entdeckt und seitdem nicht<br />

mehr verloren.<br />

Hans Fallada: Damals bei uns daheim,<br />

Happatz, Horst: Titelbild h<strong>in</strong>ten, S. 10<br />

(o.),12 (li. u. re.), 15 (li. o. u. re. u.),<br />

20, 22, 23 (li.), 25, 26 (u.), 27, 37, 38,<br />

rabugl (eig Daniela von Raffay)<br />

Er<strong>in</strong>nerungen. Erstveröffentlichung 39 (li.), 45 (re.), 46 (re.), 47, 48, 50, 51<br />

Soziolog<strong>in</strong> und Autor<strong>in</strong>, geboren 1951<br />

1942<br />

(re), 52, 53 (o.), 54, 59, 61, 66 (o.), 67<br />

<strong>in</strong> München und seit den frühen 1970er<br />

(o.), 77 (re.), 78 (li.), 81 (m.)<br />

Jahren Wahlberl<strong>in</strong>er<strong>in</strong>, konnte im Lauf<br />

Erdmann Graeser: Lemkes sel. Witwe, Kar<strong>in</strong> Schmidt-Ruhland: Titelbild vor-<br />

der Jahre e<strong>in</strong>ige E<strong>in</strong>zelhändler davon<br />

Erstveröffentlichung 1907<br />

ne, S. 14, 17 (re. o., re. u., li. u.), 19,<br />

überzeugen, sich e<strong>in</strong>e Rampe anzuschaf-<br />

80 49 (re)<br />

fen, um Rollstuhlfahrer und Eltern mit<br />

81<br />

Christopher Isherwood: Mr. Norris Galerie Taube, Berl<strong>in</strong>: S. 5<br />

K<strong>in</strong>derwagen als Kunden zu gew<strong>in</strong>nen.<br />

steigt um und Lebwohl Berl<strong>in</strong>, im Museen Tempelhof-<strong>Schöneberg</strong>: S. 6<br />

Orig<strong>in</strong>al 1935 bzw. 1939<br />

(re.), 8, 9, 21, 30, 35<br />

Dr. Gudrun Schwarz: S. 16 (li. u. re.),<br />

Orte des Er<strong>in</strong>nerns. Herausgegeben 81 (u.)<br />

vom Kunstamt <strong>Schöneberg</strong> 1995 Esther Disteldorf: S. 24 (li. u. re.)<br />

Ich bedanke mich bei me<strong>in</strong>em Freund Kotzur, der so mitreißend erzählen<br />

Hans-Wurst-Nachfahren: S. 28<br />

Wilfried Hepperle, der mir laufend kann, bei dem Literaturwissenschaftler<br />

Gerhard Seyfried: Wo soll das alles Barbara Klemm: S. 31<br />

Denkanstöße gibt, bei Esther Distel- Alw<strong>in</strong> Müller-Arnke, der das Manus-<br />

enden. Kle<strong>in</strong>er Leitfaden durch die Helix GmbH, Mar<strong>in</strong>a Krolik: S. 44<br />

dorf, die mir spontan für Recherchen kript <strong>in</strong>tensiv gegengelesen hat, bei den<br />

Geschichte der APO,<br />

Kai Vöckle S. 55<br />

ihre Diplomarbeit anbot, bei Barbara Hauswartsleuten und der Leiter<strong>in</strong> des<br />

Erstveröffentlichung 1978<br />

Dr. Weiss: S. 63<br />

Kilian vom Theater „Hans-Wurst-Nach- Senioren-Wohnhauses (Kard<strong>in</strong>al von<br />

Bez.-Amt Tempelhof-<strong>Schöneberg</strong>. Amt<br />

fahren“, die mich <strong>in</strong> kürzester Zeit mit Galen), bei allen Freunden und Freun-<br />

Clara Viebig: <strong>Das</strong> tägliche Brot, für Geo<strong>in</strong>formation und Vermessung,<br />

Material versorgte, bei Daniela von Rafd<strong>in</strong>nen, Kunden und Mitarbeiter<strong>in</strong>nen<br />

Erstausgabe 1901<br />

Ausschnitt aus der Karte Berl<strong>in</strong> 1:5000<br />

fay, die sofort bereit war, e<strong>in</strong>en Beitrag von Archiven, die uns unterstützt ha-<br />

Blatt Nr. 413A: S. 82<br />

zu schreiben, bei Horst Happatz, mit ben.<br />

Anna E. Weirauch: <strong>Der</strong> Skorpion. 3 Aus dem Buch „<strong>Das</strong> Dritte Reich“,<br />

dem es Vergnügen macht, auf Bildersu-<br />

Bände, Erstveröffentlichung 1919 München 1964: S. 71, 72<br />

che zu gehen, bei den Marktleuten, die<br />

wir fotografieren durften, bei Pfarrer Susanne Twardawa 2005


26<br />

23<br />

24<br />

25<br />

11<br />

12<br />

10<br />

13<br />

14 1<br />

15 16<br />

9<br />

5 6 7 8<br />

4 3<br />

2<br />

21<br />

22<br />

17<br />

19<br />

20<br />

82 steht unter Denkmalschutz<br />

83<br />

27<br />

18<br />

Adressen<br />

1 Kirche und ehemaliger Standort der<br />

Marktwaage<br />

2 Spreewald-Grundschule mit der Lilli<br />

Henoch Sporthalle, entworfen von den<br />

Architekten Inken und H<strong>in</strong>rich Baller<br />

3 Standort der ehemaligen Ru<strong>in</strong>e bis 1997<br />

4 Puppentheater Hans-Wurst-Nachfahren<br />

5 Wohn- und Geschäftshaus <strong>in</strong> der<br />

Gleditschstraße 1, entworfen von den<br />

Architekten Inken und H<strong>in</strong>rich Baller<br />

6 W<strong>in</strong>terfeldtstraße 37, e<strong>in</strong>es der ehemals<br />

besetzten Häuser<br />

7 W<strong>in</strong>terfeldtstraße 33, hier lebte der<br />

Schriftsteller Erdmann Graeser als K<strong>in</strong>d<br />

am Ende des 19. Jahrhunderts (damalige<br />

Nr. 24)<br />

8 W<strong>in</strong>terfeldtstraße 25, <strong>in</strong> diesem Haus<br />

wehren sich Mieter heute noch aktiv<br />

gegen die Vorgehensweise ihrer Hausbesitzer<br />

9 W<strong>in</strong>terfeldtstraße 40/Ecke Maaßenstraße,<br />

das Vorgängerhaus fiel e<strong>in</strong>em<br />

„warmen Abriss“ zum Opfer, heute<br />

steht hier e<strong>in</strong> Neubau<br />

10 Maaßenstraße 12, Geburtshaus der<br />

Schriftsteller<strong>in</strong> Nelly Sachs (eig. Leonie)<br />

(1891-1970), heute e<strong>in</strong> Neubau (Gedenktafel<br />

am Haus)<br />

11 Goltzstraße 24/Ecke W<strong>in</strong>terfeldtstraße<br />

45, von Otto Sohre entworfenes<br />

Gründerzeithaus. Es steht unter Denkmalschutz.<br />

In dem Haus bef<strong>in</strong>det sich<br />

das Lokal „Slumberland“<br />

12 Häuser der Kirche, entworfen vom<br />

Architekten G. Maiwald<br />

13 Goltzstraße 31/Ecke Hohenstaufenstraße,<br />

Sankt-Franziskus-Schule mit<br />

abstrakter Hausbemalung, das Haus<br />

14 Toilettenhäuschen (WALL AG),<br />

entworfen vom Architektenbüro Kleihues<br />

15 Goltzstraße 32/Ecke Hohenstaufenstraße,<br />

Kachelhaus mit Freimaurersymbolen,<br />

entworfen von Richard Landé.<br />

Es steht unter Denkmalschutz<br />

16 Goltzstraße 23, Pallas-Apotheke mit<br />

e<strong>in</strong>er Laden-Ausstattung im Stil der<br />

Neorenaissance. Sie steht unter Denkmalschutz


17 Fernmeldeamt (unter Denkmalschutz),<br />

der E<strong>in</strong>gang ist <strong>in</strong> der W<strong>in</strong>terfeldtstraße.<br />

Hier war der „Hopfengarten“,<br />

e<strong>in</strong> ehemaliger Teil des<br />

Botanischen Gartens, der auf dem<br />

Areal des heutigen He<strong>in</strong>rich-von-Kleist-<br />

Parkes lag<br />

18 Hochbunker <strong>in</strong> der Pallasstraße<br />

19 Pallasstraße/ Ecke Potsdamer Straße<br />

72, Wohnkomplex „Pallasseum“. Auf<br />

e<strong>in</strong>em Teil des Grundstücks stand der<br />

ehemalige „Sportpalast“<br />

20 W<strong>in</strong>terfeldtstraße 8, Wohnort des<br />

Widerstandskämpfers Michael Hirschberg<br />

(1889-1937), heute e<strong>in</strong> Neubau<br />

(Gedenktafel am Haus)<br />

84 85<br />

21 Zietenstraße 20, Wohnhaus des<br />

Sprachforschers Georg Büchmann<br />

(1822-1884)<br />

22 Zietenstraße 16, Wohnhaus der<br />

Schriftsteller<strong>in</strong> Anna Elisabet Weirauch<br />

(1887-1970)<br />

23 Nollendorfplatz 17, Wohnort des<br />

Schriftstellers Christopher Isherwood<br />

(1906-1986) (Gedenktafel am Haus)<br />

24 Häuser aus dem Berl<strong>in</strong>er Wiederaufbauplan<br />

von 1952 bis 1961<br />

25 Habsburger Straße 5, Wohnhaus des<br />

sozialdemokratischen Politikers August<br />

Bebel (1840-1930) und auch e<strong>in</strong>es<br />

Stammkunden<br />

26 Luitpoldstraße 11, Wohnhaus des<br />

Schriftstellers Hans Fallada (eig. Rudolf<br />

Dietzen) (1893-1947). Heute steht dort<br />

e<strong>in</strong>e Schule<br />

27 Goltzstraße 44, ehemaliges Gebäude<br />

der Alice-Salomon-Fachhochschule, begründet<br />

von Alice Salomon (1872-1948)<br />

(Gedenktafel am Gebäude im Innenhof)


86<br />

Susanne Twardawa<br />

Die motzbuch edition gibt es <strong>in</strong><br />

Buchhandlungen oder direkt im<br />

motzbuch<br />

Motzstraße 32<br />

10777 Berl<strong>in</strong><br />

Fon/Fax: 030 - 2115958<br />

www.motzbuch.de<br />

Inhalt<br />

<strong>Der</strong> <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> 5<br />

<strong>Der</strong> W<strong>in</strong>terfeldtmarkt 12<br />

„endlich samstag!“ 16<br />

Vom Hobrecht-Plan<br />

zum Baller-Plan 20<br />

Die „Ru<strong>in</strong>e“ 24<br />

<strong>Das</strong> Theater am <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong><br />

„Hans-Wurst-Nachfahren“ 27<br />

Rebellion am <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> 30<br />

Im Bermuda-Dreieck über<br />

die „Maaßen“ <strong>in</strong> die „Nolle“ 35<br />

Von der Gründerzeit bis<br />

zum Wiederaufbauplan 38<br />

Seniorenwohnhaus und Schulen 44<br />

Die Sankt-Matthias-Kirche 47<br />

<strong>Der</strong> Berl<strong>in</strong>er Bierboykott und die<br />

Kultur des Essens und Tr<strong>in</strong>kens 56<br />

Freimaurer, Neorenaissance<br />

und Moderne 60<br />

Von der Frauenunterdrückung zur<br />

Frauenbildung 68<br />

Verfolgung und Widerstand<br />

unter den Nationalsozialisten 71<br />

<strong>Der</strong> Himmel über<br />

dem <strong>W<strong>in</strong>terfeldtplatz</strong> 77<br />

Literatur 80<br />

Plan 82

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