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«Der Natur ist der Autofriedhof egal»
Von Timo Kollbrunner. Aktualisiert am 28.08.2009 Drucken Mailen
Am 19. September werden die Oldtimer des Autofriedhofs in Kaufdorf versteigert. Nun
nehmen Wissenschaftler Materialproben, bevor das Zeitzeugnis verschwindet. Die
Hoffnung, dass der Friedhof doch irgendwie gerettet wird, ist derweil immer noch da.
Für Tobias Schenkel sind die Oldtimer Kulturgut,
das erhalten werden sollte. (Valérie Chételat)
Mit einem Ast kratzt Tobias Schenkel Spinnweben
aus dem Türrahmen des Riley RMA, Baujahr 1945.
Dann betritt er den Oldtimer, aus dessen Boden
durch Rostlöcher Unkraut emporspriesst. Schenkel
hat es auf das Armaturenbrett abgesehen. Er will
retten, was von den Bordinstrumenten noch übrig
ist. «Einige Bordinstrumente haben sich gut
erhalten», staunt er. Durch die Analyse der
Objekte möchte er Erkenntnisse gewinnen über die
Rolle der Uhrenindustrie beim Autobau. Welche
Schweizer Uhren wurden in welchen Autos
verbaut? Wie haben die Uhren die Jahre in der
Natur überstanden? Haben sich gar Tiere darin
eingenistet? Antworten auf solche Fragen erhofft
sich Schenkel von den hier gefundenen Uhren und
Tachometern.
«Notentnahme» vor der Räumung
Schenkel ist gelernter Uhrmacher. Und er ist
Projektleiter einer Delegation der Fachschule für Konservierung und Restaurierung Arc in
La Chaux-de-Fonds. Das fünfköpfige Team aus Forschern sammelt diese und nächste
Woche auf dem Autofriedhof Material. «Hier bietet sich uns eine grossartige Chance,
unberührtes Material sicherzustellen», erklärt Schenkel. Die Autos auf dem Friedhof seien
über Jahrzehnte und stets am gleichen Ort kontinuierlichen Abbauprozessen ausgesetzt
gewesen. «Da Oldtimer normalerweise gehegt, restauriert und mit Ersatzteilen bestückt
werden, ist es sehr schwierig, an alte Fahrzeuge in ihrer ursprünglichen Form zu
kommen», sagt der Projektleiter. Einer der Forscher interessiert sich besonders für
Rückstände von Schmiermitteln, ein anderer möchte Erkenntnisse gewinnen, wie die
Kunststoff- und Metallteile die Jahre überdauert haben. Das Projekt hat zum Ziel, mit den
entnommenen Proben eine «Materiothek» für Lehre und Forschung aufzubauen. Das
Verständnis der Zerfallsprozesse soll schliesslich dazu beitragen, dass Massnahmen zum
Schutz und Erhalt von Kulturgut entwickelt werden können.
Auf dem Autofriedhof werden deshalb fleissig Tachos abmontiert und Lackproben
genommen. Denn die Zeit drängt. Die Autos stehen auf Naturboden, und das verstösst
gegen die Umwelt- und Gewässerschutzauflagen. Der Autofriedhof wird deshalb in diesem
Herbst geräumt. Am 19. September werden die Fahrzeuge versteigert. Forschungsarbeiten
über einen längeren Zeitraum sind somit nicht mehr möglich. Deshalb habe sich die
Fachhochschule zu einer «Notentnahme» von Materialien entschlossen, erklärt Schenkel.
Erhaltenswertes Kulturgut
BERN
Schenkel bedauert, dass der Friedhof bald geräumt wird. Seiner Meinung nach handelt es
sich bei den 788 überwucherten Wracks um «erhaltenswertes Kulturgut». In der Schweiz
sei die Restaurierung und Konservierung von technischem Kulturgut eine noch sehr junge
Disziplin. Das Selbstverständnis, dass Zeitzeugnisse wie der Autofriedhof geschützt werden
sollten, sei noch wenig vorhanden: «Für die Archäologen sind die Autos zu wenig alt, und
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auch die Denkmalschützer haben kein Interesse.» Mit anderen Worten: Die
überwucherten Oldtimer haben keine Lobby. Schenkel will die Räumung des Autofriedhofs
noch nicht als Tatsache akzeptieren. «Eine fundierte Untersuchung mit der Perspektive,
die Stätte zu erhalten, fand bisher nicht statt», beschwert er sich. Ein runder Tisch schwebt
ihm vor, an dem sich Befürworter und Gegner des Autofriedhofs austauschen könnten.
Den Einwand, dafür sei es wohl zu spät, lässt er nicht gelten: «Es ist nie zu spät, zu
hinterfragen, was man tut.»
Zerstörung im Namen der Natur?
Bevor eine Probe von einem Oldtimer entfernt wird, muss jeweils Roger Linder um
Erlaubnis gebeten werden. Was bei der Auktion vielleicht verkauft werden kann, darf nicht
entfernt werden. Linder, seit fast dreissig Jahren Angestellter des Besitzers Franz Messerli,
begrüsst die Anwesenheit der Forscher: «Ich finde alles gut, was zum Erhalt des Friedhofs
beitragen kann.» Auch er hat die Hoffnung 22 Tage vor der Zwangsversteigerung noch
nicht aufgegeben. «Es will einfach nicht in meinen Kopf, wie man im Namen des
Naturschutzes die Natur zerstören kann», klagt er. Es habe sich hier ein einmaliger
Lebensraum gebildet, der Autofriedhof sei das Zuhause von drei Fuchsfamilien, von
Dachsen und Vögeln und seltenen Pflanzen. «Der Natur ist es egal, ob hier Autos stehen.
Sie hat sich ihren Platz längst zurückerobert» findet Linder. Zur Bergung der Wracks
müssten nun jedoch alle Bäume abgeholzt werden, ein gesunder Lebensraum werde
zerstört.
Eine würdige Beerdigung
«Wenn die Zeit nicht so kurz wäre, würde auch ich den Forschern eine Chance
einräumen», meint Reinhard Schmidlin, der die Zwangsversteigerung organisiert. Unter
den gegebenen Voraussetzungen glaube er jedoch nicht mehr an die Rettung des Friedhofs.
«Die Behörden können ja gar nicht so schnell reagieren», ist der Chef der Oldtimer-Galerie
Toffen überzeugt. Ihm als Gürbetaler sei es ein Anliegen, den Friedhof wenigstens würdig
zu begraben. Im Moment bereitet er die Auktion vor. «Wenn schon kaputtmachen, dann
mit Stil», findet er. Bei dem Konflikt um den Friedhof geht es seiner Meinung nach schon
lange nicht mehr um Umweltschutz. Es sei vielmehr eine Fehde zwischen dem Besitzer
Messerli und dem Gemeinderat. «Hätte Messerli mehr Hand geboten und wäre
diplomatischer gewesen, wären wir heute an einem anderen Ort», ist er überzeugt, «doch
auch die Behörden hätten sich kooperativer zeigen können.»
Auch Roger Linder weiss, dass die Rettung des Friedhofs wenig realistisch ist. »Ich möchte
hier als Friedhofswärter alt werden«, sagt er zwar. Trotzdem wird er heute zu einem
Bewerbungsgespräch für eine neue Stelle erscheinen.
(Der Bund)
Erstellt: 28.08.2009, 01:15 Uhr
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