20 <strong>Schaufenster</strong> „Ich wollte schon immer gewinnen“ <strong>Die</strong> italienische Cantautrice Gianna Nannini will nicht unbedingt eine lebende Legende sein. Sie spricht über Krisen und ihre kreative Tochter. Interview: Sarah Vianney
Fotos: Getty, Photoshot Während des Interviews fragt Gianna Nannini, ob ich bei dem Konzert damals in Wien dabei gewesen bin, als sie das Klavier auf der Bühne zerstört hat. Ihr eigenes Klavier, wohlgemerkt. Das ist zwar nicht der Fall, aber es scheint, als ob es „la Gianna“ immer schon gegeben habe. Ihre raue Stimme ist verbunden mit nachgegröhlten Hits, Sommer, Glück. In einem kleinen Café in London sitzt die mittlerweile 56-Jährige vor dem Kaminfeuer und plaudert über ihr Leben als Singer-Songwriter oder, richtiger, „Cantautrice“. Sie lacht immer wieder, flucht vor sich hin, sprüht vor Energie und entspricht ganz dem Bild, das man sich von ihr macht. Mit der Geburt Ihrer Tochter Penelope vor zwei Jahren muss sich Ihr Leben drastisch geändert haben. Kommt sie mit auf Tour? Ja, wir benützen ein deutsches Wohnmobil. Wir übernachten wahrscheinlich in einem Hotel, aber für die Reise selbst verwenden wir das Wohnmobil. Du kannst Musik spielen, Essen vorbereiten. Früher fuhr ich in einem BMW von einem Gig zum nächsten. Jetzt ist alles stiller, entspannter, und wenn wir an einem Strand stehen bleiben wollen, dann machen wir das, wie eine Abenteuerreise. Und ich möchte, dass meine Tochter zu dem Konzert kommt, zumindest bis zu „Ninna Nein“, bevor sie im Wohnmobil ins Bett geht. „Ninna Nein“? Erzählen Sie davon? „Ninna Nein“ ist der einzige Song, den ich Penelope gewidmet habe. Wir haben in Sardinien Ferien gemacht. Ich habe dort ein Klavier und ein Mikrofon gehabt, wie überall, wo ich lebe. Während ich an einem neuen Song arbeitete, komponierte ich eine Melodie. Da kam meine Tochter herein und erklärte, sie möge die Melodie nicht. Sie wiederholte das Wort „Nein“, ich weiß nicht, wieso sie plötzlich Deutsch sprach. Das war der einzige Moment – und sie sagt das auch nicht mehr, nur zu diesem Song. Ihre Mutter erklärte, dass Penelope die bessere Sängerin sei. Und sie komponiert sogar schon! Penelope wollte einfach nicht, dass wir eine bestimmte Textstelle singen. Ich weiß auch nicht, warum. Sie wiederholte immer wieder „Nein, nein!“ auf Deutsch. Vielleicht gefiel ihr einfach der Ton des Worts, und sie probierte neue Geräusche aus. Aber ich bin altmodisch. Ich hörte auf sie und komponierte das Lied entsprechend. Sie war sehr bestimmt. Ich konnte sie nicht aufhalten, sie ließ mir gar keine Alternative als ihren Anweisungen zu folgen. Mutter und Rockstar zu sein, ist das nicht ein Balanceakt? Penelope hat einen guten Geschmack. Sie ist gern dabei, wenn ich komponiere, sie hört zu, vom Anfang bis zum Ende. Ich hatte gar nicht vor, sie mitzuschleppen. Aber sie möchte zuhören, es ist wie ein Spielzeug für sie. Sie schreit, wenn man sie wegholen will: „Aawww, ich will aber . . .“ Ich finde das alles sehr schön. Ein neues Album, „Inno“, eine Europa-Tournee, eine Tochter, die nicht einmal drei Jahre alt ist. Ist das nicht zu strapaziös? Meine Zusammenarbeit mit dem Produzenten Wil Malone hat einen positiven Effekt. Ich bin motiviert, weil ich mich verstanden fühle. <strong>Die</strong> letzten fünf Jahre bin ich im Komponieren aufgegangen. Es dau- ert nicht lange, fünf Minuten hier und da. Wenn du beim Liederschreiben zuviel Zeit verlierst, sind die Songs meist nicht gut. Derzeit beschäftige ich mich in meinen Songs mit weiblichen Themen. Ich denke, Frauen im Allgemeinen und ich persönlich, wir spielen nicht gern das Opfer. Ich fing an, Musik zu „Ich wurde vor der psychischen Zerstörung bewahrt und neugeboren!“ Tipp Gianna Nannini, die Sienneserin, deren raue Stimme Italianità verbreitet, deren Vorbild aber Janis Joplin war, kommt am 8. 5 nach Wien. machen, als ich etwa sieben Jahre alt war. Ich wollte immer ein Gewinner sein. Ich erinnere mich, als Janis Joplin starb. Ich war gerade dabei, meinen ersten Plattenvertrag zu unterzeichnen, als ich herausfand, dass sie wegen des Musikbusiness tot war, wegen der Drogen, die in dieser Musikindustrie umgehen. Ich will für Rock’n’Roll nicht sterben! Ich will überleben, mehr, ich möchte siegen, mit Rock’n’Roll. Es ist wichtig für mich, dass Frauen die Einstellung haben, sich als Gewinnerinnen zu sehen, nicht als das Opfer. Fühlen Sie sich als lebende Legende? Ich habe nie dafür gekämpft, als Legende gesehen zu werden. Ich habe gekämpft, das zu sagen, was ich denke, über meine Probleme zu sprechen, über gesellschaftliche Probleme, denen ich als Frau begegne und auch als Mensch. Und ich wollte immer für Menschen sprechen, die diese Freiheit nicht haben. Für Männer und Frauen. Das neue Album heißt „Inno“, „Hymne“. Es geht um Wiedergeburt und Tod. Dabei durchleben Sie eine positive Phase. Denken Sie noch manchmal an Ihren Nervenzusammenbruch? Momentan ist das sehr weit weg. Das war 1983, als ich wiedergeboren wurde. Es war wie bei einem Computer, wenn er neu aufgesetzt wird. Ich tat nichts, es war, als ob meine Harddisk verbrannte. <strong>Die</strong> Harddisk war zerstört. So etwas passiert, gerade in dem Alter, 27, 29. Ich beschloss weiterzumachen. <strong>Die</strong>ser Moment, in dem du nicht mehr weißt, wer du bist, in dem du normalerweise in eine psychiatrische Klinik gehst – ich bin vor all dem bewahrt worden. Ich bin immer noch hier. Ich kam mit einer Menge Inspiration aus dieser Situation, weil ich alles viel intensiver fühlte. Ich war wie neugeboren, nackt. Alles berührte mich viel mehr. Seit damals hatte ich keine Probleme mehr. Ihre Stimme hat sich über die Jahre verändert. Ich habe nie etwas für meine Stimme getan, ich habe nie singen gelernt. Ich musste einmal eine Therapie in London machen, als ich auf Tour für das „Scandal“-Album ging, weil es ein Punk-Album war und ich meine Stimme auf eine andere Art verwenden musste. Mein damaliger Produzent meinte: „Geh zu dieser Therapie, damit deine Stimme gut klingt, auch wenn du krank bist.“ Damals hatte ich eine Verkühlung. Ich benütze diese Technik vor allem, um meine Stimme zu bewahren, aber nicht um besser oder schlechter zu singen. Genau wie dein Körper ist auch die Stimme eine Frage der Übung: Je mehr du singst, umso besser klingt deine Stimme. Giorgio Armani hat Ihr Bühnenoutfit designt? <strong>Die</strong> Outfits waren mir eigentlich immer egal, aber ein minimalistischer Zugang ist besser für meine Musik, denn wenn dein Kleid zu übertrieben ist, dann wirkt die Emotion künstlich. Ich muss nicht angeben, mein Fokus liegt in der Musik. Ich halte Armani einfach für einen guten Modedesigner, weil er keine zu extravaganten Dinge entwirft. Es soll um die Person gehen, nicht um das Outfit. Sie haben 18 Alben herausgebracht, besitzen ein Weingut, betreiben eine Galerie in Mailand und verfolgen interessante Projekte mit bildenden Künstlern. Es scheint, als ob Sie die Liebe der Italiener zu allem Schönen ausleben. Für mich kommt die Schönheit ganz klar und eindeutig aus der Musik, wenn ich an einem Album arbeite oder eine Vision für etwas habe, in die richtige Richtung strebe und rund um diese Idee etwas kreiere. Ich suche nach dieser Schönheit auf allen Ebenen meines Lebens. Und nichts ist so schön wie die Schönheit der menschlichen Seele. s <strong>Schaufenster</strong> 21