Die Farbinteraktion
Die Farbinteraktion
Die Farbinteraktion
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<strong>Die</strong> <strong>Farbinteraktion</strong><br />
Eine <strong>Farbinteraktion</strong> wird in Kleingruppen von s bis 8 Teil-<br />
nehmern durchgeführt. <strong>Die</strong> Zusammensetzung der Gruppen erfolgt<br />
im psychiakischen Arbeitsfeld nach solchen Erfordernissen, wie sie<br />
fur klinische Therapiegruppen üblich sind. Im nichtpsychiatrischen<br />
Bereich gelten die üblichen Kriterien ftir gruppendynamische<br />
Therapie- oder Selbsterfahrungsgruppen. Aus meiner Sicht ist das<br />
gemeins ame Inte resse entscheidend.<br />
<strong>Die</strong> Arbeitssituation wird über das Setting und durch Spielregeln<br />
strukturiert. Setting und Regeln bleiben fur jede <strong>Farbinteraktion</strong><br />
gleich. Sie haben sornit eine Parameter-Funktion und sorgen dafur,<br />
daß die diversen Vorgänge gut objektiviert werden können und sich<br />
Anderungen deutlich zeigen. Entwicklungen werden dadurch an-<br />
schaulicher.<br />
Das Setting (externale Gestaltung des Handlungsraumes) sieht so<br />
aus, daß die Malfläche vertikal präsentiert wird und die Gruppe im<br />
Flalbkreis davor s7tzt. Es werden Farbkreiden angeboten, clie gut<br />
übermalbar sind und nicht verschmieren.<br />
Als Malgrund wird eine homogen beschichtete Platte verwendet,<br />
bei der die Eigenstruktur maximal reduziert ist. Darauf ist ein Bogen<br />
offsetpapier (ca.80 bis 120 g, Format z0 cm x Ta cm oder s0 cm X<br />
70 cm) befestigt, das ebenfalls kaum Eigenskuktur aufweist. Das hat<br />
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den Vorteil, daß sich die subjektiven Malskukturen gut abbilden<br />
und von Materialstrukturen nur minimal beeinflußt werden. <strong>Die</strong><br />
Verwendung des quadratischen Malraumes neutralisiert die beim<br />
Rechteckformat vorgegebenen Links-Rechts- (beim euerformat)<br />
oder oben-unten-Tendenzen (beim Hochformat), kann jedoch zu<br />
einer Betonung des Mittelfeldes führen.<br />
Der Gruppe llrerden die folgenden spielregeln angeboten:<br />
; Wir haben eine gemeinsame Fläche zum Mslen.<br />
t Pro Malaktion wird mit einer Farbe gemalt.<br />
; Wir beschränken uns auf gegenstandsfreies Malen.<br />
t Ansonsten kann jeder malen wie er roill.<br />
: leder kann sich dabei auf das beziehen, wss schon ds ist.<br />
t Es malt immer nur ein Teilnehmer aus der Gruppe (fishpool).<br />
+ Alles r.oeitere ist ffin.<br />
Es ist darauf zu achten, daß jeder in der Gruppe diese spielregeln<br />
verstanden und akzeptiert hat (Konsens). Ohne diesen Konsens ist<br />
keine strukturierende <strong>Farbinteraktion</strong> möglich. Eine Sitzung dauert<br />
120 bis 180 Minuten.<br />
Sobald diese Ausgangssituation vorbereitet isf beginnl sich das<br />
Rad der Handlung zu drehen, wobei zu beachten ist, daß der Grup-<br />
penleiter am Prozeß des bildnerischen Handelns mitbeteiligt ist. Mit<br />
anderen Worten: Der Gruppenleiter (Therapeut oder Moderator)<br />
kißt sich auf dieselbe Ebene des bildnerischen Interagierens ein und<br />
ist dadurch ein wichtiger Aspekt des kreativen Handlungs- und<br />
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Erfahrungssystems. Über das Verbale hinaus ergeben sich dadurch<br />
auch wichtige bil dn e ri s che I nt e ro en ti o n wtö gli chkei t en Figur 4) .<br />
Interaktionen sind Handlungen zwischen Menschen. In der Farb-<br />
interaktion ereignen sie sich als gegenstandsfreier bildnerischer<br />
Austausch wechselwirkend zwischen den daran Beteiligten.<br />
<strong>Die</strong> vielfältigen Möglichkeiten der Art und Weise des Betei-<br />
ligtseins durch kreative und gestaltende Ausdruckshandlungen<br />
können durch ein Polaritätenmodell differenziert werden:<br />
Annehmen - Ablehnen<br />
Beachten - Ignorieren<br />
Bezugnehmen - Vermeiden<br />
Zuwenden - Abwenden<br />
Einlassen - Zurückhalten<br />
Integrieren - Isolieren<br />
Weiterführen - Unterbrechen<br />
Auflösen - Verfestigen<br />
Verstärken - Abschwächen<br />
Loslassen - Festhalten<br />
Zulassen*Verweigern<br />
Zeigen - Verbergen<br />
Aufdecken - Zudecken<br />
Komponieren - Dekomponieren<br />
Formieren - Deformieren<br />
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Realität der i Realität der<br />
individuellen r bildnerischen<br />
bildnerischen i Merkmale und<br />
Gestaltungen ; der Bildgestalt<br />
Realität der<br />
bildnerisehen<br />
und veüalen<br />
lnterventionen<br />
\/<br />
Realität der<br />
gruppendynamischen<br />
lnteraktionen<br />
<strong>Die</strong>se Phasen beziehen sich arf das Verhältnis des Einzelnen<br />
und der Grupre zurzBildg6fllalt,ezrlqr§ponenten und/oder<br />
31<br />
Figur4<br />
FigurS
Bildnerische Interaentionen sind nonverbale Ausdrucks- und Ge-<br />
staltungshandlungen des Therapeuten. Es sind von ihm in das bild-<br />
nerische Gruppengeschehen eingebrachte gegenstandsfreie bildne-<br />
rische Merkmale, die sich auf die weiteren Malaktionen der Gruppe<br />
und die Entwicklung der Bildgestalt auswirken. <strong>Die</strong>ser Einfluß kann<br />
sanf! bis dominant sein.<br />
Und man muß nicht nur die Einzelmerkmale beachten und sie in geeigneter<br />
Weise behandeln,sondern man muß zusätzlich berücksichtigen,daß die<br />
verschiedenen Variablen eines Systems nicht unabhängig voneinander<br />
existieren, sondern sich wechselseitig beeinflussen.<br />
DtETt
Das Überlagern und überdecken bildnerischer Merkmale:<br />
Intention der f)irektheit, Intensität, der Mut zum Nein, zur drssti-<br />
schen Veränderung und zwm Neuanfang,<br />
r Das Wiederholen von bildnerischen Merkmalen:<br />
Intention der " spiegelung" uon etwas Geschehenem, um die Aufrrcerk-<br />
samkeit darauf zu lenken.<br />
r f)as Verstärken bildnerischer Merkmale:<br />
Intention der Sättigung und l)nterstützung bildnerischer Handlungen.<br />
r Das konsequente weiterführen bildnerischer Merkmale:<br />
lntention des Annehmens, sich Einlqssens und Abwartens, zuie sich et-<br />
zoas entfaltet, ohne dati man beständig Neues dazu fi)gt.<br />
r Das Übertreiben von bildnerischen Merkmalen:<br />
Intention der lranisierung und Prwokation zum Zweck des Verdeut-<br />
li che n s e in e r b il dne ri s che n H an dlu n gs r e *lit ät.<br />
r Das Integrieren:<br />
Intention, die oftmals aen»irrende Vielfalt bildnerischer Merkmale<br />
zusamm.enzufassen, zu ordnen und auf das Bildganze hin zu aereinfa-<br />
chen. <strong>Die</strong> Bildgestalt wird aerändert in Richtung Zusammenhang<br />
und Komposition, Synthese und Ordnung.<br />
I Das Zerstören bildnerischer Merkmale oder der Bildgestalt:<br />
Intentionen des Wandels, Anregung und Llnterstützung aon Selbst-<br />
dur chsetzung und N eub e ginn.<br />
Jede dieser bildnerischen lnteroentionen (Figur 6) erhalt ihre<br />
Funktion durch den Gesamtzusammenha,'rp ulu dem heraus sie<br />
/, al<br />
JJ
erfolgt. <strong>Die</strong> Wirkungen sind deshalb völlig relativ zum Kontext und<br />
nicht zu verallgemeinern. weil sie außerdem fur sich allein ge-<br />
nofiunen therapeutisch unzureichend wärer1 deshalb werden sie<br />
durch a erb ale s {nteru enieren er gänzt.<br />
Das erfolgt überwiegend in Form von Fragestellungen, die sich auf<br />
das kreative verhalten und Handeln, auf die darnit verbundenen<br />
Gefühle, Gedanken, vorstellungen und Meinungen der Gruppe<br />
beziehen . l) azu werden folgende Methoden angewendet:<br />
+ offene Fragen. <strong>Die</strong> Fragen sind so formuriert, daß der Klient völ-<br />
lig frei darauf antworten kann.<br />
t ceschlossene Fragen. <strong>Die</strong> Fragen sind so formuliert, daß der Kli-<br />
ent nur mit Ja od.er Nein (oder ich weiß es nicht) darauf antwor_<br />
ten kann.<br />
t Fragenreformulierung. Der Therapeut reformuliert die Aussage des<br />
Klienten in der Form einer Frage.<br />
+ Antzuortenreformulierung. Der Therapeut reformuliert die Aussage<br />
des Klienten in Form einer Aussage.<br />
Auf jeden Fall ist dabei zu beachten, daß die Fragen nicht dazu<br />
verfü hre n, Warum-Weil-E rkl ärun gen abzugeben !<br />
Durch das In-Frage-Stellen wird ein Bewußtseinsprozeß ausgelöst,<br />
der die kritische Anschauung dessen, worum es jeweils gehg for-<br />
dert. <strong>Die</strong> Fragen haben dabei eine Hinweis- und Leitfunktion; sie<br />
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Wffi Moderator<br />
Vorzeigen<br />
Auflösen<br />
überlagern<br />
Wiederholen<br />
Verstärken<br />
Weiterführen<br />
Ubertreiben<br />
lntegrieren<br />
Zerstören<br />
35<br />
Offene Fragen<br />
Geschlossene<br />
Fragen<br />
Fragenreformulierung<br />
Antvyortenreformulierung<br />
Redundanz<br />
4
lenken die Aufmerksamkeit und das Denken in eine bestimmte<br />
Richtung und stellen so den Kontakt her zu dern, rAras man genauer<br />
betrachten und in Arbeit nehmen möchte.<br />
Wenn man zweckmäßig fragt, wird fast immer auch das Verhalten<br />
bei der Lösung der Aufgabe zum Zweckmäßigen hin verwandelt. Je weniger<br />
zweckmäßig eine Aufgabe gestellt ist, desto größer ist die Verführung, sich<br />
unzweckmäßig zu verhalten! Kein Mensch kann zweckmäßig fragen,<br />
wenn er keine Beziehung zur Lösung hat. Auch Fragenkönnen<br />
ist etwas, das man sich nur erobern kann durch vier probieren.<br />
An der unbefriedigenden Antwort kann man erkennen,<br />
daß die Frage noch nicht ganz zweckmäßig war.<br />
HEINRIC-H IACOBY<br />
Im Zusamrnenwirken von setting, spielregeln, verbalem und<br />
bildnerischem Intervenieren entfaltet sich ein prozeß, der die<br />
psychomentalen Potenzen des Menschen anspricht und seine<br />
Wahlmöglichkeiten (Optionen und Ressourcen) erweitert.<br />
Ein solcher gruppendynamischer Prozeß entfaltet sich nach g"-<br />
wissen Regeln (Figur 5). Zu Beginn zeigen sich diverse Flemmun-<br />
Sen, die das Resultat von falsch verstandener Rücksichtnahme,<br />
internalisierten Ge- und Verboten, Abhängigkeiten unterschiedli-<br />
cher Art und unüberlegten Überzeugungen sind (Dependenz). Da-<br />
nach iernt die Gruppe, sich davon zu lösen, Eigeninteressen werden<br />
zugelassen, Konfrontationen und Konflikte gewagt (Konterdepen-<br />
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denz). vereinfacht gesagt: Jeder meint, er mtißte unbedingt das Ge-<br />
genteil von dem tun, was die Anderen machen.<br />
Weil diese Phase nach einiger ZeTt auch nicht als befriedigend<br />
empfunden wird, steuert die Gruppe in Richtung Eigenverant-<br />
wortung und gestaltendes Handeln (Independenz). Man orientiert<br />
sich immer noch an den eigenen Bedtirfnissenr Interessen und<br />
Motiven, doch so, daß deren Außerungen zunehmend gestaltet<br />
erscheinen.<br />
<strong>Die</strong>s fuhrt dazu, daß das wnhrnehmen mehr und mehr notwendig<br />
und interessant wird. Dadurch kommt es ztt einer phase neuer<br />
Möglichkeiten des Handelns und sichbeziehens, in der die Gruppe<br />
lernt, sich auch an der Bildgestalt als Ganzem z1r. orientieren<br />
(Interdependenz).<br />
Der hier beschriebene und für Gruppen geltende Zusammenhang<br />
kann mit einigen Anderungen auch im Interaktionsdialog durch<br />
Interagieren in der Klient-Therapeut-Beziehung hergestellt werden.<br />
Häufig reproduzieren lnteraktionsspiele auf vereinfachende Weise<br />
die struktur wirklicher Lebens- und Gruppensituationen.<br />
Auf diese Weise wird die intellektuelle und emotionale Energie<br />
der Teilnehmer auf einen Brennpunkt gerichtet.<br />
KI,AUS iI/. VOPEL<br />
^a5/
<strong>Farbinteraktion</strong><br />
sie haben eine gute Karte und befinden sich im Gelände auf dem<br />
weg. sie sind nicht allein, sondern in einer Gruppe unterwegs.<br />
Je vielfältiger und abwechslungsreicher die Landschaft erscheint,<br />
desto vielfältiger und unterschiedlicher sind auch die wege. Sie<br />
verlaufen selten schnurgerade.<br />
Trotten alle hinter einem Führer her oder verläßt sich jeder auf den<br />
anderen (der sich seinerseits auf die anderen verläßt)? Geht jeder<br />
plötzlich seinen eigenen weg und rennt drauftos? S.ieht jemand<br />
überhaupt die Eigenart und Schönheit des Geländes?<br />
lrgendwann hat die Gruppe vielleicht Mittel und wege gefunden,<br />
um sich nicht mehr aus den Augen zu verlieren. Man benutzt eine<br />
gemeinsame Karte und geht eigene wege und doch gibt es dabei<br />
eine für alle verbindliche orientierung, eine Richtung, die für jeden<br />
interessant und erstrebenswert ist.<br />
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Melleicht täßt sich auch erfahren, daß es darum geht Man-isf da<br />
wirklich angekommen, wo man gerade isf.<br />
wenn man sich nicht um die Gestaltung des Augenblicks bemüht,<br />
wenn man seine Wahrnehmung nicht mit dem aktuellen Geschehen<br />
seiner Handlungen verbindet, dann kann man die besten tdeen<br />
haben und es kommt doch nichts Zufriedenstellendes dabei zu-<br />
stande.<br />
Nur kein Suchen hinter anderen her!<br />
Weit oh weitentfrbmdet's Dich Dit selbst<br />
Bald bist Du kein anderer als Er,<br />
bald ist Er kein anderer als Ich.<br />
(Br YAN LU)<br />
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