perspektive heft 38 1999
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Ich wähle eine andere. „Ja, Señor!“<br />
antwortet er, die ersten Worte seines<br />
Lebens, aber nicht nach andalusischer Art.<br />
Ein Reisender wie ich. „Herr, man wird<br />
zum Schurken, ohne es zu merken. Ein<br />
hübsches Mädchen verdreht einem den<br />
Kopf, man flieht in die Berge, aus dem<br />
Schmuggler wird ein Räuber, aus dem<br />
Diebstahl Eigentum, aus Geschichten<br />
Geschichte, und die Zigaretten bleiben<br />
einem an den Lippen kleben wie brennende<br />
Kletten.“<br />
Nach einigen Stunden Ruhe gehe ich auf<br />
Schußweite; als die Frau uns sieht, bricht<br />
sie, anstatt zu erschrecken, zusammen. In<br />
großem Geländer: „Ah, die Lillipendi, sie<br />
halten mich für eine Erani!“ Es ist Mirjam<br />
van Doren, aber so gut verkleidet, daß ich<br />
sie in einer anderen Sprache (z.B. spanisch)<br />
nicht erkenne. Sie geht fort für viele Tage.<br />
Mir wird schwer ums Herz, doch später<br />
kommt sie. Mit lachender Miene ist alles<br />
vergessen, und wir gebärden uns.<br />
Beim Abschied sagt sie zu mir: „Es ist ein<br />
Fest, da mußt du auch.“ — „Komm mit“,<br />
sage ich zu ihr. Gut, gehen wir, sanftwortet<br />
sie. Ich setze ihre Pferde hinter sie, und wir<br />
reiten die Nacht durch, ohne ein Wort zu<br />
sprechen. Bei Tagesanbruch die Vögel ich<br />
höre ich vergesse ich spreche nicht mehr<br />
davon aber ich vergehe und schwöre daß du<br />
mir folgst und dich niemals ruhig verhältst.<br />
„Liebst du mich nicht?“ Mit gekreuzten<br />
Beinen und gekreuzten Körpern und<br />
Zungen führen wir ein anderes Leben,<br />
Carmen oder Mirjam van Doren, nicht weit<br />
von hier, gegen 120 Unzen, unter der Erde<br />
begraben. Auch haben wir noch<br />
Flüssigkeiten bei Benzin. Ich verlasse sie<br />
und gehe auf die Tankstelle zu. Der<br />
Tankwart im Gebet. Eine Rassel. Bis er<br />
fertig ist. Aber ich kann nicht. „Freund“,<br />
sage ich. „Wollen Sie für jemanden beten,<br />
der in großer Gefahr ist? Können sie für<br />
eine Seele eine Messe lesen?“ — „Jaja,<br />
klaa.“ erwidert Ginäthig vom<br />
Romanschopp. Nummer sechs. Ich bemerke<br />
meine vertiefte Rückkehr zu Hembert Nora<br />
nicht mehr. Bald nehme ich einen Blei, bald<br />
eine Zigi, dann Seife, etcetera, auch<br />
Parfum. Mit großer Schwierigkeit höre ich<br />
den Zauber, den Mirjam van Doren<br />
backbords leichthin erfindet. Genehmigt!<br />
Spanien ist eines jener der Länder, in denen<br />
sich über der denen einer dieser jener<br />
Zigeuner also vielmehr ein Wanderleben in<br />
Andalusien, Murkig, Katalonien, kommen<br />
oft nach Frankreich, Pferdehändler,<br />
Maultierscherer, undsoweiter, Schmuggel,<br />
Wahrsagen, Betteln, Verkaufen, Einkaufen.<br />
Andere sind auch leicht zu erkennen, auch<br />
einige, Individuen. Unter dieser Rasse ist<br />
nichts herauszufinden, was man nicht<br />
kennt. Die Physiognomie läßt sich leicht<br />
schreiben, aber interessiert uns nicht. Die<br />
Druckerschwärze ist dunkler als am<br />
auffallend schiefen tiefgeschlitzten Kleid<br />
mit den schwarzen Augen; es gibt auch<br />
noch vieles anderes, Männer, weit<br />
verbreitet. In Deutschland trifft man häufig<br />
sehr hübsche Zigeunerinnen, aber in<br />
Spanien nur schöne. Die Unsauberkeit des<br />
Geschlechts Hembert Noras ist ziemlich<br />
spritzwörtlich. Auf unziemlichen<br />
Karnevalsbällen versichert.<br />
Der englische Missionar Burroughs,<br />
Verfasser von William S. Burroughs, gibt<br />
ein Beispiel dafür, daß Gitana jemals eine<br />
Schwäche für einen Mann erfindet, die –<br />
wie du, liebe Leserin, weißt – ziemlich in<br />
der Mehrzahl einzutreffen sind. Einer der<br />
Namen, Roman, oder Romane, oder Gate,<br />
scheint von dem Stand zu zeugen. Im<br />
allgemeinen ist man keusch, wenn man<br />
anfragt. Vor einigen Monaten habe ich so<br />
viel über die Gastfreundschaft erfahren, daß<br />
ein Kranker zu mir sagt: Singo singo<br />
hompte di mulo! Das heißt: Verbrenne<br />
deinen Esel, aufmümpfiger Mensch. Da ruft<br />
eine auf dem Trottoir kauende Zigeunerin:<br />
Kili kakalde mas ontario gelulaes! (Soll ich<br />
Ihren Geliebten wieder zuführen?)<br />
„Besitzen sie ein Taschentuch einen Schal<br />
ein Erinnerungsstück oder etwas<br />
Liebestrank?“ Trotz ihres Elends genießt<br />
Mirjam van Doren die Üppigkeit ihres<br />
Ansehens.<br />
Das unfehlbare Mittel, einen Ofen zu<br />
rauchen, ist, ihn anzuzünden. Die Zigaretten<br />
kleben brennend meist an der Unter. Nicht<br />
an der Oberlippe.