perspektive heft 38 1999
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Qualitäten als Tante. Sein Name ist aus<br />
diesem leicht zu erraten, daher hier nichts<br />
davon.<br />
Welche anderen Personen sind auf der<br />
Photographie zu erkennen (nicht zu<br />
erkennen), und wie werden sie beschrieben?<br />
Neben dem Australier und der Tante<br />
befinden sich noch fünf weitere Gestalten in<br />
dieser Weidelandschaft. Der Australier als<br />
einziger ist Nichtpfadfinder, indem er eine<br />
Baskenmütze trägt. Drei der Personen sind<br />
typische kanadische Wildhüter-Imitationen,<br />
Lederstrümpfe mit Wollsocken. Auf jeden<br />
Fall ist ein Rumäne dabei, der weder<br />
schreiben noch lesen kann, dann ein<br />
Mathematikprofessor, ein Schauspieler, ein<br />
Rauchfangkehrer (Schornsteinfeger) und<br />
ein ehemaliger Priester, der seinen Abgott<br />
nicht verläugnen kann (oder mag).<br />
Zähle noch einmal.<br />
Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs … Sieben<br />
sind es mit dir. Du hältst den Stock so – auf<br />
diese Weise –, um deine Souvenirplaketten<br />
… wie heißen die? … die darauf<br />
angenagelten Souvenirplätzchen vor der<br />
Photographin zu verbergen und deinen<br />
staunenden Bergkameraden besser ins Licht<br />
zu rücken. Vielleicht ist der Verhalt auch<br />
umgekehrt. Gruß aus Mariazell.<br />
Die Schafe, die sich als Gruppe hinter der<br />
Gruppe zeigen, sind leicht unscharf. Die<br />
damalige Kameratechnik ist, besitzt man<br />
keine Ernemann, nicht dazu geeignet,<br />
hintergründige Schafe oder vordergründiges<br />
Gras scharf darzustellen, da sie aus dem<br />
Fokus geraten. Der Rauchfangkehrer blickt<br />
aus dem Schatten seiner selbst in die Linse.<br />
Seine Augen liegen im Schatten. Er macht<br />
einen verschmitzten Eindruck, ein<br />
köstliches Lippchen ziert seine Visage.<br />
Köstlich dargeboten, präsentiert geradezu!<br />
Der Rumäne schaut als einziger nicht in die<br />
Kamera, was schon damit erklärt wird, daß<br />
er nicht lesen kann. Der Schauspieler hat<br />
auch einen Gehstock, einen schwarzen<br />
jedoch, wahrscheinlich ein Requisit. Die<br />
Plaketten darauf, schwer zu erkennen<br />
allerdings, wirken unecht. Die Tante hat die<br />
Tasche des Photoapparates umhängen, mit<br />
dem die Aufnahme gemacht wird. Sie<br />
verwaltet alle Güter der Gruppe und teilt sie<br />
je nach ziemlichem Benehmen aus.<br />
Der Himmel wird direkt nahtlos ohne<br />
Übergang aus dem weißen Rand des Photos<br />
gebildet, ist also wie eine endoplasmatische<br />
Überfüllung zu betrachten. Niemand<br />
spricht. Nur die Tante lächelt frei und<br />
natürlich im Rahmen ihrer Fähigkeiten.<br />
Man läßt sich – das ist eindeutig – schon<br />
vor langer Zeit hier nieder und wartet dann<br />
eine ganze Weile, bis die Schafe kommen,<br />
um das Photo zu schießen. Die Steine<br />
zeigen die selbe Unverrückbarkeit wie die<br />
Menschen, dürfen also ebenso schon<br />
geraume Zeit warten. Man sieht auch, wie<br />
sich alle auf der Erde befindlichen<br />
Gegenstände und Lebewesen mit gleicher<br />
Geschwindigkeit durch den Kosmos<br />
bewegen; aber auch die Photographin, und<br />
so wird alles gleichmäßig dargestellt.<br />
Das Bild ist nicht als Erinnerungsphoto zu<br />
verwenden, denn außer dem<br />
Rauchfangkehrer trägt niemand eine Uhr,<br />
und dieser hat seine Augen im Schatten<br />
verborgen – Falsch! Auch der ehemalige<br />
Priester besitzt eine Uhr, schaut aber leider<br />
in die Kamera. Möglicherweise schaut der<br />
Rumäne, der nicht in die Kamera schaut, in<br />
die Ferne zu einer Turmuhr oder zu einem<br />
frühen Fernsehgerät außerhalb des<br />
Bildrahmens, welches gerade die<br />
Zeitansage sendet, um Zeit und Ort dingfest<br />
zu machen; oder auch zu einem schönen<br />
Mädchen, einer rumänischen Schönheit, die<br />
wie er auf die Leiden des Alphabetismus<br />
verzichtet hat und nun bald bei ihm ihr<br />
Vergnügen suchen wird, wenn ihr die<br />
Photographin nicht den Platz an seinem<br />
Schooß streitig macht.<br />
Die Photographin als einzige ist dem Bild<br />
entkommen.