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Stellvertreter Schulmaterialien - Münchner Volkstheater

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I. zum Autor Rolf Hochhuth<br />

Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong><br />

in der Regie von Christian Stückl<br />

II. zur Entstehungs- und Wirkungsgeschichte von Der <strong>Stellvertreter</strong><br />

III. zur Handlung und zu den Figuren in der Inszenierung am <strong>Volkstheater</strong><br />

IV. Vorschläge für die Auseinandersetzung mit der Inszenierung und der Aufführung<br />

im <strong>Volkstheater</strong><br />

V. Fragen an die Inszenierung und die Aufführung im <strong>Volkstheater</strong><br />

VI. Literaturhinweise und Internetlinks<br />

Der <strong>Stellvertreter</strong> bietet Anknüpfungsmöglichkeiten an die Fächer Deutsch (z.B.<br />

Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Theater; Aufführungs- und<br />

Inszenierungsanalyse; zur Auseinandersetzung mit dem Dokumentartheater und dem<br />

politischen Theater; zur Auseinandersetzung mit der literarischen Darstellung des<br />

Holocaust), Kunst (z.B. Auseinandersetzung mit Bühnenbild, Kostüm und Lichtgestaltung<br />

in der Inszenierung am <strong>Volkstheater</strong>), Philosophie / Ethik / Religion (z.B. zur<br />

Auseinandersetzung mit der Frage nach persönlicher, gesellschaftlicher und<br />

institutioneller Verantwortung und Entscheidungsfreiheit; zur Auseinandersetzung mit der<br />

Rolle der katholischen und der evangelischen Kirche während der NS-Diktatur),<br />

Geschichte / Sozialkunde (z.B. zur Auseinandersetzung mit der Geschichte der NS-<br />

Diktatur, zur Auseinandersetzung mit dem Holocaust) und Dramatisches Gestalten /<br />

Theater (z.B. zur Auseinandersetzung mit Regie- und Dramaturgieentscheidungen bei der<br />

Inszenierung) ab der 10./11. Jahrgangsstufe.<br />

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden<br />

– Anne Steiner: Materialien zur Inszenierung am <strong>Volkstheater</strong> München –


Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

Rolf Hochhuth – kurze Hinweise zu Leben und Werk *<br />

Rolf Hochhuth wird am 1. April 1931 als zweiter von drei Söhnen eines Schuhfabrikanten in<br />

Eschwege, Hessen, geboren und verbringt Kindheit und Jugend in seiner Geburtsstadt. Er<br />

wächst in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur auf und erlebt als Heranwachsender<br />

den Zweiten Weltkrieg mit.<br />

1948 verlässt Hochhuth das Gymnasium mit der Mittleren Reife und absolviert eine<br />

Buchhändlerlehre. Nach der Ausbildung arbeitet er als Buchhändler in verschiedenen<br />

Buchhandlungen und als Verlagslektor im Bertelsmann Lesering. In Heidelberg und München<br />

besucht er zudem als Gasthörer die Universität. Daneben widmet er sich intensiv dem<br />

Schreiben, es entstehen Lyrik- und Prosaentwürfe.<br />

Während eines mehrmonatigen Aufenthalts in Rom 1959 beginnt Hochhuth mit der Arbeit an<br />

seinem ersten Drama Der <strong>Stellvertreter</strong>. Obwohl er das Schauspiel bereits 1961 fertigstellt,<br />

kann er es erst 1963 veröffentlichen, weil der Vatikan gegen die Veröffentlichung<br />

interveniert. Im Februar 1963 wird das Schauspiel im Theater am Kurfürstendamm in Berlin<br />

uraufgeführt, die Inszenierung von Erwin Piscator ist äußerst erfolgreich und begründet den<br />

Ruf Hochhuths als eines Schriftstellers von Weltruhm, der in seinen Werken zu Politik und<br />

Zeitgeschichte engagiert und kritisch Stellung nimmt.<br />

Hochhuth kann sich nun ganz dem Schreiben widmen und veröffentlicht in den nächsten<br />

Jahrzehnten zahlreiche weltweit beachtete Theaterstücke und Prosaschriften, in denen er<br />

aktuelle Themen aufgreift und gesellschaftliche Entwicklungen diskutiert, darunter z.B.<br />

Soldaten – Nekroleg auf Genf (1967; ein Stück, das die Mitverantwortung Churchills an der<br />

Zerstörung deutscher Städte durch die Luftangriffe der alliierten Streitkräfte im Zweiten Welt-<br />

* Ausführliche Informationen zu Leben und Werk des Autors finden sich z.B. auf der Homepage von Rolf<br />

Hochhuth (http://www.rolf-hochhuth.de/), der Seite des „lebendigen virtuellen Museums Online“ der Stiftung<br />

Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (http://www.hdg.de/lemo/html/biografien/HochhuthRolf<br />

/index.html) und in Puknus / Göttler (2011): Rolf Hochhuth. Störer im Schweigen.


Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

krieg thematisiert und das in England zunächst mit einem Aufführungs- und<br />

Veröffentlichungsverbot belegt wird, zu einem zeitweiligen Einreiseverbot für Hochhuth und<br />

zu mehreren Prozessen gegen ihn führt), Juristen (1979; ein Stück über ehemalige NS-Richter<br />

und ihre Rolle in der Bundesrepublik Deutschland; die Vorarbeiten und Recherchen<br />

Hochhuths gelten als Mitauslöser für die „Filbinger-Affäre“, die 1978 den baden-<br />

württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger zum Rücktritt zwingt, als bekannt<br />

wird, dass er als Marinerichter während der NS-Zeit auch Todesurteile gefällt hat), Wessis in<br />

Weimar (1993; ein Stück, das sich mit dem Verhalten der Westdeutschen gegenüber den<br />

Ostdeutschen beschäftigt und die Vergabepraxis der Treuhandanstalt hinterfragt) und<br />

McKinsey kommt (2004; ein Stück über gewinnmaximierende, menschenverachtende<br />

Wirtschaftspraktiken). Hochhuth wird mit etlichen Auszeichnungen geehrt, darunter dem<br />

Berliner Kunstpreis / Preis „Junge Generation“ (1963), dem Geschwister-Scholl-Preis der<br />

Stadt München (1980) und dem Jacob-Grimm-Preis für Deutsche Sprache (2001).<br />

Hochhuth gründet 1993 die Ilse-Holzapfel-Stiftung (benannt nach seiner Mutter), die sich der<br />

Förderung von Kunst und Kultur widmet. Die Stiftung erwirbt 1995 das Theater am<br />

Schiffbauerdamm, das Haus von Brechts „Berliner Ensemble“. Es kommt in der Folgezeit zu<br />

Streitigkeiten mit Intendanz und Ensemble des Theaters um das Recht zur Aufführung eigener<br />

Werke im Theater, das sich Hochhuth gesichert hat. 2010 werden diese jedoch beigelegt und<br />

in den Sommerpausen des Theaters kommen Werke Hochhuths, der heute in Berlin lebt, zur<br />

Aufführung.


Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

Der <strong>Stellvertreter</strong> – zu Bedeutung und<br />

Wirkung des Schauspiels<br />

Hochhuths Drama läutet einen Wandel im bundesrepublikanischen Theater ein, weil es als<br />

eines der ersten Stücke nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die jüngere Zeitgeschichte<br />

thematisiert. Es markiert den Beginn einer Reihe von Dokumentartheaterstücken, die<br />

gesellschaftliche und politische Fragen kritisch reflektieren und diskutieren, indem sie<br />

historische Fakten recherchieren und auf die Bühne bringen. Dazu gehören Stücke wie<br />

beispielsweise In der Sache J. Robert Oppenheimer (1964) von Heinar Kipphardt und Die<br />

Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen (1965) von Peter Weiss. Sie alle führen zu einem<br />

gesellschaftskritischen Theater, das deutlich zu Politik und Zeitgeschichte Stellung bezieht<br />

und zum Teil heftige öffentliche Diskussionen provoziert, weil es die Gesellschaft zwingt,<br />

sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen und Verantwortung für eigene<br />

Versäumnisse zu übernehmen.<br />

In Der <strong>Stellvertreter</strong>. Ein christliches Trauerspiel kritisiert Hochhuth das Verhalten einer so<br />

machtvollen Institution wie der katholischen Kirche während der Zeit des National-<br />

sozialismus, die sich zu den Gräueltaten des Hitler-Regimes nicht offen geäußert habe. Er<br />

prangert das Schweigen des damaligen Papstes Pius XII. als moralische Verfehlung an, die<br />

zahllose Juden das Leben gekostet habe. Hätte Pius − als Oberhaupt der katholischen Kirche<br />

eine moralische Instanz von höchster Autorität, die sich durchaus auch politisch hätte Respekt<br />

und Gehör verschaffen können, − die nationalsozialistischen Machthaber offen angeprangert,<br />

hätte er scharf und deutlich gegen die Konzentrationslager protestiert, hätte er nach Ansicht<br />

von Hochhuth die Ermordung von Tausenden von Juden verhindern können.<br />

Hochhuth hat zunächst Schwierigkeiten, das Stück zu veröffentlichen, weil der Vatikan<br />

erfolgreich interveniert. Als es 1963 zeitgleich in einer Inszenierung von Erwin Piscator im<br />

Theater am Kurfürstendamm in Berlin auf die Bühne gebracht wird und in einer<br />

Taschenbuchausgabe im Rowohlt-Verlag erscheint, löst es wegen der Kirchenkritik, aber<br />

auch der bisher als „unmöglich“ angesehenen Thematisierung und Darstellung von Auschwitz<br />

auf der Bühne heftige Proteste aus. Gleichzeitig erhält es aber auch sehr viel Beifall und<br />

Zuspruch und führt weltweit zu einer Diskussion über die Rolle der katholischen Kirche<br />

während des Zweiten Weltkrieges und ihre Haltung zum nationalsozialistischen Regime.<br />

Das Stück wird vielfach übersetzt und trotz anhaltender und vielfach heftiger Proteste auf<br />

zahlreichen Bühnen im In- und Ausland gespielt. Trotz der großen Resonanz, die das Stück<br />

seit der Uraufführung weltweit im Publikum findet, kommt es erst 2002 zu einer Verfilmung.


Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

Die Handlung von Der <strong>Stellvertreter</strong><br />

in der Inszenierung am <strong>Volkstheater</strong><br />

Ein Student schreibt eine Seminararbeit zu Hochhuths Drama und recherchiert in der<br />

Bibliothek zur Zeitgeschichte der Schauspiel-Handlung. Ein Freund, den er in der Bibliothek<br />

trifft, glaubt nicht so recht daran, dass ein Protest des Papstes die Zahl der im Holocaust<br />

ermordeten Juden hätte verringern können. Der Freund beginnt, selbst zu recherchieren, und<br />

je tiefer er in die Geschehnisse und Fakten der Geschichte von Kurt Gerstein und Riccardo<br />

Fontana eintaucht, desto bewusster werden ihm die moralische Verantwortung und die feigen<br />

Versäumnisse des Vatikans, desto größer werden aber auch seine Zweifel an der Existenz und<br />

Macht des christlichen Gottes.<br />

Die Geschichte, in die er sich vertieft, ist folgende: Kurt Gerstein, ein ehemaliger KZ-<br />

Häftling, der nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager in die SS eingetreten ist,<br />

erscheint in der päpstlichen Nuntiatur in Berlin, um einen Protest des Papstes gegen die<br />

Deportation der Juden zu erwirken. Als Ingenieur und Chemiker hat er den Befehl erhalten,<br />

die Technik in den Gaskammern von Auschwitz zu optimieren und die Effektivität der<br />

Gasmischungen vor Ort zu analysieren. Die bürokratische Organisation der Judenvernichtung,<br />

die unmenschliche und zynische Behandlung der ins Konzentrationslager verschleppten Juden<br />

und die Rohheit der KZ-Aufseher und -Verwalter entsetzen ihn zutiefst. Als Christ sieht er<br />

sich in der Verantwortung, Stellung zu beziehen und dagegen vorzugehen. Doch der Nuntius<br />

lehnt mit Verweis auf seine Nicht-Zuständigkeit ab, ihm zu helfen.<br />

Gehör findet Gerstein jedoch bei dem jungen Jesuitenpater Riccardo Fontana, der ebenfalls<br />

entsetzt über die massenhafte Ermordung der europäischen Juden ist. Fontana begibt sich in<br />

den Vatikan und versucht den Papst, das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche und den<br />

<strong>Stellvertreter</strong> Gottes auf Erden, von der massenhaften Vernichtung von Juden in<br />

Konzentrationslagern in Kenntnis zu setzen und ihn davon zu überzeugen, öffentlich scharfe<br />

Kritik am Regime der Nationalsozialisten zu üben und so die endgültige Ausrottung der Juden<br />

zu verhindern.


Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

Im Gespräch mit dem Papst und anderen kirchlichen Würdenträgern muss Fontana jedoch<br />

voller Entsetzen und Abscheu erkennen, dass fast keiner der Kirchenmänner sein Anliegen<br />

unterstützen will und der Vatikan keinen Gedanken an Intervention und öffentlichen Protest<br />

verschwendet. Der Papst zieht es vielmehr vor zu schweigen, weil er einerseits davon ausgeht,<br />

dass jedes öffentliche Wort von ihm die Lage nur verschlimmern und am Schicksal der Juden<br />

nichts ändern würde, und andererseits Hitler als den einzigen ansieht, der Europa vor dem<br />

gefürchteten Bolschewismus und Kommunismus bewahren könnte.<br />

Als sich schließlich auch die Juden Roms sammeln müssen, um nach Ausschwitz deportiert<br />

zu werden, sieht Fontana nur noch eine Möglichkeit, den Holocaust anzuprangern,<br />

stellvertretend zu sühnen und so den christlichen Humanitätsgedanken zu leben: Er malt sich<br />

den Judenstern auf und lässt sich mit den römischen Juden nach Auschwitz deportieren. In<br />

Auschwitz zwingt ihn der „Doktor“, ein hochintelligenter und zynischer Vertreter des<br />

absoluten Bösen, im Krematorium zu arbeiten, um ihn so von seiner „Humanitätsduselei“ zu<br />

befreien.<br />

Gerstein, der von Fontanas Deportation erfahren hat, versucht, den Jesuitenpater aus dem KZ<br />

zu befreien. Sein Plan schlägt jedoch fehl, er wird in Auschwitz verhaftet und abgeführt,<br />

Fontana wird erschossen. Die Vernichtungsmaschine des NS-Regimes ist nicht gestoppt und<br />

läuft unaufhaltsam weiter.


Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

zu den historischen Figuren<br />

Papst Pius XII., *1876 in Rom, 1958 in Rom<br />

1899 Priesterweihe<br />

1917-1919 bayerische Nuntiatur in München, 1920 - 1929 Nuntiatur für das Deutsche Reich<br />

1929 Ernennung zum Kardinal<br />

1924-1933 Abschluss der Konkordate mit Bayern, Preußen, Baden und Österreich<br />

1933 Aushandlung des Reichskonkordats mit Deutschland, das der katholischen Kirche in<br />

Deutschland materielle und institutionelle Sicherheit verspricht, gleichzeitig ihren<br />

Verzicht auf politische Einflussnahme bedeutet<br />

1937 Mitverfasser der Enzyklika „Mit brennender Sorge“, in der Papst Pius XI. das<br />

nationalsozialistische Regime und dessen Kirchen- und Rassenpolitik verurteilt<br />

1939 Wahl zum Papst<br />

Kurt Gerstein, *1905 in Münster, 1945 in Paris<br />

Diplom-Ingenieur (Bergbau), Mitglied der NSDAP, der SA und der SS, Angehöriger der<br />

Bekennenden Kirche; gilt manchen als echter Widerstandskämpfer, anderen als typischer<br />

Mitläufer, der sich nach dem Krieg als heimlicher Widerstandskämpfer darzustellen versucht<br />

1936 u. 1938 wegen unerlaubter Werbung für die Bekennende Kirche jeweils für einige<br />

Wochen in Schutzhaft, Ausschluss aus der Partei, Entlassung aus dem Staatsdienst<br />

1941 Eintritt in die Waffen-SS, zuletzt im Rang eines SS-Obersturmführers<br />

1942 als Hygienefachmann Augenzeuge der massenweisen Ermordung von KZ-Häftlingen<br />

in den Vernichtungslagern Belzec und Treblinka, erhält den Auftrag, die Tötungs-<br />

verfahren zu „verbessern“; Versuch, das Ausland über seine Beobachtungen zu<br />

informieren<br />

1945 Internierung in französischer Kriegsgefangenschaft; Niederschrift des sog. „Gerstein-<br />

Berichts“, in dem er seine Beobachtungen der Tötungsverfahren in Belzec schildert;<br />

Anklage vor einem Gericht in Paris<br />

Am 25.7.1945 wird er erhängt in seiner Zelle im Pariser Militärgefängnis aufgefunden, es<br />

bleibt ungeklärt, ob er Suizid begangen hat oder von Mitgefangenen ermordet worden ist.<br />

Adolf Eichmann,*1906 in Solingen, 1962 in Ramla (Israel)<br />

seit 1932 Mitglied der österreichischen NSDAP und der SS, zuletzt im Rang eines<br />

Obersturmbannführers<br />

Seit 1939 ist er Leiter des für die Organisation der Vertreibung und Deportation der Juden<br />

zuständigen Referats des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) und damit mitverantwortlich<br />

für die Deportation und Ermordung von Millionen Menschen im besetzten Europa. 1942 ist er<br />

Protokollant der Wannsee-Konferenz, auf der die „Endlösung der Judenfrage“ geplant und<br />

koordiniert wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg gerät er zunächst Kriegsgefangenschaft, dann<br />

gelingt ihm die Flucht und er setzt sich schließlich nach Südamerika ab.<br />

Im Mai 1960 wird er von israelischen Agenten in Argentinien entführt und nach Israel<br />

gebracht, wo ihm der Prozess gemacht wird. Er wird zum Tode verurteilt und hingerichtet.


Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

Die Inszenierung am <strong>Volkstheater</strong> ...<br />

... konzentriert sich auf die innere Entwicklung des jungen Jesuitenpaters Riccardo<br />

Fontana.<br />

Das Publikum begegnet zunächst einem sehr heutigen Studenten, der die Empörung seines<br />

Kommilitonen nicht nachempfinden kann, weil er sich mit dem Holocaust bisher noch nicht<br />

intensiv beschäftigt hat. Er beginnt in historischen Quellen zu lesen und erlebt und erleidet<br />

dabei alle Stationen der Leidensgeschichte Riccardo Fontanas. Dieser ist ein temperament-<br />

voller Katholik, der an die Humanität der Kirche ebenso glaubt wie an seine eigene<br />

Überzeugungskraft. Er zögert nicht, auf Gersteins Bericht hin sofort nach Rom zu reisen,<br />

überzeugt davon, den Papst zum Handeln bewegen zu können. In Rom setzt er sich gegen<br />

bedenkentragende Mitbrüder durch und dringt gegen einigen Widerstand bis zum Papst vor.<br />

Doch als dieser sich nicht gewillt zeigt, gegen den Holocaust offen Stellung zu beziehen,<br />

wächst in Fontana die Einsicht, dass er nicht andere zum Handeln auffordern kann, sondern<br />

selbst handeln muss. Auf das moralische Versagen des Papstes antwortet er mit eigenem<br />

Handeln und setzt im wahrsten Sinne des Wortes selbst ein Zeichen. Er lässt sich mit den<br />

römischen Juden nach Auschwitz deportieren und setzt sich stellvertretend für seine Kirche,<br />

und seinen Papst dem sadistischen und zynischen Doktor im KZ aus. Er leidet Todesangst,<br />

erträgt das selbstgewählte Schicksal aber bis zum Tod, ohne den Glauben an die dem<br />

Menschen durchaus mögliche Humanität und die Erlösung durch Gott aufzugeben. Dieses<br />

märtyrerhafte Bekenntnis zu seinem christlichen Glauben fordert höchsten Respekt, sein<br />

gewaltsamer Tod aber, der die Vernichtungsmaschinerie nicht aufhält, lässt an Gott zweifeln.<br />

... hält sich an die Figurenvorgaben des Autors und interpretiert sie doch neu.<br />

Am Ende des Figurenverzeichnisses findet sich dieser Hinweis des Autors: „Die zu Gruppen<br />

von zwei, drei oder auch vier Personen zusammengefaßten Figuren sollten jeweils vom<br />

gleichen Schauspieler verkörpert werden – gemäß der Erfahrung, daß es im Zeitalter der<br />

allgemeinen Wehrpflicht nicht unbedingt Verdienst oder Schuld oder auch nur eine Frage des<br />

Charakters ist, ob einer in dieser oder jener Uniform steckt und ob er auf Seiten der Henker<br />

oder der Opfer steht.“ * Diese Anweisung greift die Inszenierung auf, indem einige<br />

Schauspieler sowohl Kirchen- als auch SS-Männer spielen und mehrmals von der einen Rolle<br />

in die andere wechseln. Anders als von Hochhuth vorgeschlagen, werden jedoch die Figur des<br />

* Hochhuth, Rolf (1963): Der <strong>Stellvertreter</strong>. Ein christliches Trauerspiel, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 13-<br />

14.


Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

Papstes und die des Doktors von demselben Schauspieler verkörpert, was den beiden Figuren<br />

eigenen Zynismus und ihre Ähnlichkeit in Egoismus und Selbstbezogenheit deutlich spüren<br />

lässt.<br />

... interpretiert die Dramenhandlung durch zusätzliche Texte.<br />

Als Fontana den Vatikan verlässt und sich deportieren lässt, rezitiert er mit Paul Celans<br />

Todesfuge (1948) ein Gedicht, das die Unfassbarkeit und monströse Ungeheuerlichkeit der<br />

gezielten Vernichtung und Ermordung von Millionen Juden in den Konzentrationslagern des<br />

nationalsozialistischen Regimes in eine verschlüsselte Metaphern- und Chiffrensprache<br />

übersetzt. Celans Gedicht verleiht dem eigentlich Unsagbaren Ausdruck und entreißt das<br />

Leiden von Millionen dem Vergessen – und in der Rezitation des Gedichtes spiegelt Fontana<br />

sein eigenes Handeln.<br />

Nach dem Tod Fontanas hören die Studenten die Kantate Komm, Jesu, komm von Johann<br />

Sebastian Bach an (BWV 229), drehen die Musik jedoch abrupt ab. Sie können den von Paul<br />

Thymich verfassten Kantatentext (1679), der vom Vertrauen auf Gott spricht und von der<br />

Gewissheit, im Tod durch Jesus von den Mühen und Qualen des Lebens erlöst zu werden,<br />

nicht bis zum Ende anhören – angesichts der unfassbaren Gewalt, die das<br />

nationalsozialistische Regime ausgeübt, und der Untätigkeit, mit der der Vatikan darauf<br />

reagiert hat, können sie ein solches Gottvertrauen und eine solch positive Gottesvorstellung<br />

nicht mehr unhinterfragt lassen.<br />

... schafft einen geschlossenen Bühnenraum, der Gegenwart und Vergangenheit ebenso<br />

verbindet wie die Orte (vermeintlicher) christlicher Humanität und sadistischer<br />

Menschenvernichtung.<br />

Das Bühnenbild erinnert an den Lesesaal einer modernen Bibliothek, in dem funktionale<br />

Tische und Stühle hinter- und nebeneinander aufgereiht sind, die zu konzentriertem Arbeiten<br />

und intensivem Studium auffordern. In einigen Szenen wird der zunächst undurchsichtige<br />

weiße Gaze-Vorhang, der vorderen und hinteren Bühnenraum teilt, durchleuchtet bzw.<br />

geöffnet und der Blick fällt auf weitere Reihen neutraler Bibliothekstische und -stühle. Alle<br />

Szenen spielen in diesem auf den ersten Blick sehr nüchternen Bühnenbild – sowohl die Pater<br />

im Vatikan als auch die SS-Männer planen hier ihr weiteres Vorgehen und weisen damit<br />

erschreckende Ähnlichkeiten auf.


Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

Vorschläge für die Auseinandersetzung mit<br />

der Inszenierung und der Aufführung<br />

Auseinandersetzung mit dem Schauspiel von Rolf Hochhuth<br />

- Auseinandersetzung mit der Handlung und den Figuren<br />

Rezeption und Interpretation ausgewählter Szenen (z.B. I, 3: Fontana und Gerstein<br />

beratschlagen, wie gegen die Gräueltaten des Nazi-Regimes protestiert werden soll; IV, 1:<br />

Fontana trifft auf Papst Pius XII., V,3: Fontanas Tod im Konzentrationslager)<br />

Charakterisierung der Figuren und kritische Auseinandersetzung mit ihren Motiven und<br />

Verhaltensweisen, mit ihren vorgetragenen und ihren versteckten Beweggründen für ihr<br />

Handeln und Nicht-Handeln und mit ihrer emotionalen Verfasstheit<br />

Recherche zu den im Drama auftretenden historischen Figuren und zum geschichtlichen<br />

Hintergrund der Handlung<br />

Rezeption von literaturwissenschaftlichen Interpretationen des Dramas und Vergleich mit<br />

der eigenen Interpretation<br />

- Auseinandersetzung mit den Neben- und Zusatztexten des Dramas<br />

Austausch von Erwartungen, die der Untertitel „Ein christliches Trauerspiel“ an Inhalt,<br />

Figurenzeichnung und Aufbau des Dramas hervorruft<br />

Rezeption der Zitate, die einigen der Akte und Szenen vorangestellt sind, und Austausch<br />

der von diesen ausgelösten Assoziationen und Erwartungen an Handlung und Figuren<br />

Vergleich der Ursprungsversion von Akt V und der nachträglich entstandenen Variante<br />

von Akt V<br />

- Auseinandersetzung mit der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte des Dramas<br />

Rezeption der Informationen zum Schauspiel und zum Autor<br />

Recherche zum „Skandal“ um das Stück, z.B. in literatur- und theatergeschichtlichen<br />

Überblicksdarstellungen<br />

Diskussion der These, Auschwitz sei literarisch und theatralisch nicht darstellbar<br />

Auseinandersetzung mit der Inszenierung am <strong>Volkstheater</strong><br />

- Auseinandersetzung mit dem Plakat zur Inszenierung<br />

Austausch von Assoziationen, die das Bild der aus dem Sand ragenden und betenden<br />

Hände hervorrufen<br />

Formulierung von Erwartungen an Handlung und Figurenzeichnung in der Inszenierung


Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

- Rezeption der Informationen zur Inszenierung und zu den historischen Figuren<br />

Formulierung von Erwartungen an Handlung und Figurenzeichnung in der Inszenierung<br />

Formulieren von Erwartungen an die Gestaltung von Bühnenraum und Lichttechnik<br />

- Auseinandersetzung mit Thematik und Dramaturgie der Inszenierung<br />

Diskussion theatraler Möglichkeiten für die Gestaltung von Ähnlichkeiten in Motiven und<br />

Verhaltensweisen der katholischen Priester und der SS-Männer<br />

Vergleich der Auswirkungen, die unterschiedliche thematische Schwerpunktsetzungen (z.B.<br />

auf das moralische Versagen des Papstes, auf die innere Entwicklung Fontanas) auf die<br />

Strichfassung und die Figurenzeichnung in einer Inszenierung haben<br />

Austausch über (literarische) Texte, die zusätzlich in die Inszenierung aufgenommen<br />

werden könnten, um das Geschehen und die Handlungsmotive der Figuren zu illustrieren<br />

oder zu kontrastieren<br />

Auseinandersetzung mit der besuchten Aufführung<br />

- Beschreibung der erlebten Aufführung<br />

Austausch von Erinnerungen (z.B. an Details des Bühnenraums, der Kostüme und der<br />

Requisiten; an die unterschiedlichen Stimmungen, die durch Licht und Musik zu Beginn und<br />

am Ende der Aufführung erzeugt wurden; an die eigenen Reaktionen und die der anderen<br />

Zuschauerinnen und Zuschauer)<br />

Austausch von Erinnerungen an Orts- und Figurenwechsel und deren Wirkung auf das<br />

Publikum<br />

- Auseinandersetzung mit einzelnen Elementen der Aufführung<br />

Austausch von Assoziationen und Emotionen, die die Gestaltung und Nutzung des<br />

Bühnenraums hervorgerufen hat<br />

Charakterisierung der durch die unterschiedliche Spiel- und Sprechweise einzelner<br />

Figuren (z.B. der des apostolischen Nuntius, der Gersteins und der des Doktors) beim<br />

Publikum hervorgerufenen Wirkung<br />

Rezeption und eigenes Verfassen von Theaterkritiken


zum Bühnenraum<br />

Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

Fragen an die Inszenierung / die Aufführung<br />

- Welchen Eindruck erweckt der Bühnenraum vor Beginn der Handlung?<br />

- Irritiert der Bühnenraum das Publikum? Wodurch irritiert er?<br />

- Wodurch und wie entstehen im Bühnenraum unterschiedliche Räume und Zeiten?<br />

- Welche inneren und äußeren Grenzen setzt der Bühnenraum? Was und wen grenzt er<br />

ab?<br />

- Welche auffälligen Veränderungen erfährt der Bühnenraum im Verlauf der Auf-<br />

zur Musik<br />

führung? Durch wen bzw. wodurch erfährt er eine Veränderung?<br />

- In welchen Szenen ist Musik zu hören?<br />

- Welche Art von Musik ist zu hören? Woher stammt sie jeweils?<br />

- Welche Wirkung hat die Musik auf das Verhalten und die Emotionen der Figuren?<br />

- Welche Wirkung hat sie auf die Wahrnehmung und die Reaktion des Publikums?<br />

- Illustriert die Musik das Geschehen und die Figuren oder kommentiert sie sie?<br />

zur Lichtgestaltung<br />

- Auf welche Weisen erweitert und begrenzt das Licht den Bühnenraum?<br />

- Wie beeinflusst das Licht das Geschehen und die Wahrnehmung des Publikums in<br />

unterschiedlichen Szenen?<br />

- Welche unterschiedlichen Orte und Zeiten erzeugt die Lichtgestaltung, welche<br />

Assoziationen ruft sie in verschiedenen Szenen hervor?<br />

- Kontrastiert oder untermalt das Licht das Geschehen und die Entwicklung der<br />

Figuren?


zu den Figuren<br />

Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

- Zu wem sprechen die Figuren – zu sich selbst, zueinander oder zum Publikum? In<br />

welchen Szenen sind auffällige Änderungen bemerkbar?<br />

- Wann erregen einzelne Figuren eher Mitleid, wann wirken sie eher abschreckend und<br />

entsetzlich? Wodurch rufen sie diese Wirkung hervor?<br />

- In welchen Momenten und Szenen wirken einzelne Figuren trotz klischeehaften<br />

Verhaltens realistisch, in welchen wirken sie trotz ihres Realismus wie eine<br />

überzeichnete Karikatur?<br />

- Dominiert eher der Doktor oder dominiert eher Fontana die Szenen, in denen sie<br />

aufeinandertreffen? Wie und wodurch drückt sich die Dominanz jeweils aus?<br />

- Welche Assoziationen rufen Gestik, Mimik und Körperhaltung des Doktors, Gersteins<br />

und Fontanas jeweils hervor? Woran bzw. an wen erinnern sie?<br />

- Welche äußeren Handlungen Fontanas richten sich explizit an andere Figuren, welche<br />

sind eher Ausdruck innerer Emotionen?<br />

- Wie bezieht Fontana das Publikum ein? Wie reagiert das Publikum darauf?


Rolf Hochhuth: Der <strong>Stellvertreter</strong> – Materialien zur Inszenierung<br />

Literaturhinweise und Internetlinks<br />

Textausgaben<br />

Hochhuth, Rolf (1963): Der <strong>Stellvertreter</strong>. Ein christliches Trauerspiel, Reinbek bei<br />

Hamburg: Rowohlt<br />

Hochhuth, Rolf (1991): Alle Dramen, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt (2 Bände)<br />

Weiterführende Literatur<br />

Hochhuth, Rolf (2001): Die Geburt der Tragödie aus dem Krieg. Frankfurter<br />

Poetikvorlesungen, Frankfurt a.M.: Suhrkamp (edition suhrkamp 2105)<br />

Sammlung von Vorlesungen aus dem Sommersemester 1996, in denen Hochhuth die<br />

„Frankfurter Stiftungsgastdozentur für Poetik“ an der Goethe-Universität in Frankfurt am<br />

Main bekleidete und sich dem Thema „Politik in der Literatur“ widmete.<br />

Puknus Heinz u. Norbert Göttler (2011): Rolf Hochhuth. Störer im Schweigen. Der<br />

Provokateur und seine Aktionsliteratur, München: Herbert Utz<br />

Auseinandersetzung mit Leben und Werk des Autors<br />

Nagelschmidt, Ilse, Sven Neufert u. Gert Ueding (Hg.) (2010): Rolf Hochhuth: Theater<br />

als politische Anstalt. Tagungsband mit einer Personalbibliographie, Weimar: Dr. A. J.<br />

Denkena Verlag<br />

Sammlung der Beiträge einer wissenschaftlichen Tagung zu Person und Werk Hochhuths<br />

im September 2008 in Weimar, bietet eine Zeittafel zum Autor und eine ausführliche<br />

Bibliographie zur aktuellen Hochhuth-Forschung<br />

Internet<br />

http://www.rolf-hochhuth.de/<br />

offizielle Homepage von Rolf Hochhuth<br />

http://www.hdg.de/lemo/html/biografien/HochhuthRolf/index.html<br />

Biographie Rolf Hochhuths und Hintergrundinformationen zu seinen Theaterstücken im<br />

„lebendigen virtuellen Museum Online“ der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik<br />

Deutschland<br />

http://www.muenchner-volkstheater.de/?we_objectID=130<br />

biographische Hinweise zum Regisseur Christian Stückl auf der Seite des <strong>Münchner</strong><br />

<strong>Volkstheater</strong>s<br />

http://www.youtube.com/watch?v=XBdL8tJO6D4&list=UUQO0TvrwoPCXizPPKGKT<br />

WNQ&index=1&feature=plcp<br />

Trailer zur Inszenierung auf dem Youtube-Kanal des <strong>Münchner</strong> <strong>Volkstheater</strong>s

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