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Zeitschrift des Fanclub Galopp - Fanclub-galopp.org

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Nummer 80/2000 P.b.b. Erscheinungsort Wien Verlagspostamt 1030 Wien Zul. Nr. 117791W81U<br />

aloppExpress<br />

<strong>Zeitschrift</strong> <strong>des</strong> <strong>Fanclub</strong> <strong>Galopp</strong><br />

● Der Präsident berichtet ● Stefan Bigus zu Gast beim <strong>Fanclub</strong> <strong>Galopp</strong><br />

● Schlag nach bei Turfkönig ● Abschiede ● Andreas Wöhler – deutscher Spitzentrainer mit gewissem Österreichbezug<br />

● Fest der Pferde Nr. 15 ● Die schreckliche Seereise der trächtigen Stute Lady Angela


GALOPPEXPRESS 80/2000<br />

2<br />

Der Präsident berichtet<br />

Bei der Championatsfeier für das Jahr 1999, die der<br />

AROC am 23. November gemeinsam für <strong>Galopp</strong>- und<br />

Trabersportaktive im Altlengbacher Hotel Steinberger<br />

abhielt, gab es für mich als jahrzehntelangen Kämpfer<br />

für die Interessen beider Lager zwei als nahezu „historisch“<br />

zu bezeichnende Ereignisse. Zunächst den endgültigen<br />

Schulterschluss zwischen den beiden Wiener<br />

Sportvereinen, die durch ihre Präsidenten würdig vertreten<br />

waren. Frank Stronach, Boss der Freudenau, und Dr.<br />

Josef Kirchberger, Chef <strong>des</strong> Wiener Trabrennvereines,<br />

zeigten einander ihr Wohlwollen. Die Meinung Dr.<br />

Kirchbergers, jede Initiative, also auch Stronachs<br />

Ebreichsdorfer Pferdeparkprojekt, sei für den Pfer<strong>des</strong>port<br />

befruchtend, lässt für die Zukunft und das gleichzeitige<br />

Bestehen der Ebreichsdorfer sowie der Wiener Bahnen<br />

das Allerbeste hoffen. Zum zweiten dürfen wir die Traber-Zeitung<br />

vom 3. Dezember 2000 zitieren, in der Josef<br />

„Bubi“ Jäger die Worte Frank Stronachs wiedergibt. „Wir<br />

bauen bereits Straßen und arbeiten an der Infrastruktur.<br />

Es wird ein Sport- und Unterhaltungszentrum mit Anreizen<br />

für viele Menschen. <strong>Galopp</strong>- und Trabrennen wird<br />

es ab 2002 geben!“ Dass Radio Niederösterreich Ende<br />

November wieder über Querschüsse von Gegnern <strong>des</strong><br />

Stronach-Projektes berichtete, sei nicht verschwiegen...<br />

Wegen einer von mir zur selben Zeit in der Gesellschaft<br />

für Musiktheater für den Verein der Salzburger in<br />

Wien moderierten Veranstaltung musste ich mich bedauerlicherweise<br />

für das Fest <strong>des</strong> AROC entschuldigen.<br />

Doch alle von Trabersportklub-Präsident Roland Brunner<br />

und unserem Ehrenmitglied Schulrat Helmut Sikora angeführten<br />

„Augenzeugen“ waren voll <strong>des</strong> Lobes über die<br />

Organisation durch AROC-Vizepräsident Herbert Ripel,<br />

<strong>des</strong>sen voller Einsatz für den Pfer<strong>des</strong>port einschließlich<br />

die Spanische Reitschule mit einer durch den ersten<br />

Central European Breeder’s Cup gekrönten erfolgreichen<br />

sportlichen Saison 2000 belohnt wurde.<br />

Nicht entschuldigen musste ich mich beim Begräbnis<br />

unseres verstorbenen Ehrenmitglie<strong>des</strong>, <strong>des</strong> legendären<br />

<strong>Galopp</strong>er- und Trabertrainers Alois Leidenfrost, der<br />

am 14. Oktober nach langem Leiden im 74. Lebensjahr<br />

von dieser Welt abberufen worden war. Im Gegenteil: Ich<br />

war dazu ausersehen, in der Aussegnungshalle am Zentralfriedhof<br />

für die Pferdsportvereinigungen einen Nachruf<br />

zu halten, dem ich, wie ich hoffe, mittels dem traurigen<br />

Anlass entsprechender persönlicher Worte halbwegs gerecht<br />

wurde, hatte ich doch zu Leidenfrost 44 Jahre das<br />

allerbeste Verhältnis. Wir, die Mitglieder <strong>des</strong> FANCLUBS<br />

GALOPP, werden Alois Leidenfrost, der den von ihm stets<br />

angestrebten Konnex zwischen <strong>Galopp</strong>- und Trabrennsport<br />

gerade noch miterleben durfte, nie vergessen.<br />

Nach dem Abend mit dem „eisernen Rennstallbesitzer“<br />

Ing. Othmar Kolar, der genau so interessant und<br />

extravagant verlief, wie man dies erwartet hatte, und nach<br />

der bei dieser Gelegenheit v<strong>org</strong>enommenen Ehrung von<br />

Jockey-Club-Sekretärin Karin Schweigert für ihre Verdienste<br />

um den <strong>Galopp</strong>sport geht unser letzter Clubabend<br />

dieses Jahres als „Doppelveranstaltung“ in Szene. Wir<br />

treffen einander am Mittwoch, dem 20. Dezember, um<br />

18.30 Uhr zur Hauptversammlung, die möglichst nahtlos<br />

in unsere traditionelle Weihnachtsfeier übergehen soll.<br />

Für diese sind, so höre ich, auch Überraschungen künstlerischer<br />

Natur geplant.<br />

Jenen Damen und Herren, die an diesem Abend verhindert<br />

sein sollten, darf ich schon heute ein frohes Weihnachtsfest<br />

sowie ein gesun<strong>des</strong>, glückliches, privat, geschäftlich<br />

und im Pfer<strong>des</strong>port erfolgreiches Jahr 2001 wünschen.<br />

Herzlichst Ihr Ingo Rickl, Präsident<br />

Stefan Bigus zu Gast beim<br />

<strong>Fanclub</strong> <strong>Galopp</strong><br />

Stefan Bigus war Ehrengast einer Veranstaltung <strong>des</strong><br />

<strong>Fanclub</strong> <strong>Galopp</strong> im September <strong>des</strong> heurigen Jahres, das<br />

Interview mit dem Meistertrainer führte Clubchef Ingo Rickl.<br />

Stefan Bigus wurde am 1. Dezember 1947 im polnischen<br />

Kartuzy in der Nähe von Danzig (also jener Stadt,<br />

die durch ihren berühmten „Sohn“ Lech Walesa weltbekannt<br />

wurde) geboren. Seine Eltern betrieben ein<br />

Segeltuchgeschäft, in dem der Sohn schon zeitig mithalf,<br />

hatten also mit Rennpferden rein gar nichts zu tun.<br />

Nur wenige Kilometer entfernt wohnte jedoch die Großmutter<br />

auf dem Land, wo Stefan den ersten Kontakt mit<br />

Bauernpferden herstellte - vom Rennsport wusste er<br />

damals allerdings noch überhaupt nichts.<br />

Nach der Pflichschule absolvierte Bigus die HTL für<br />

Schiffsbau und Seefahrt in Gdyna. Auf dem Schulweg in<br />

die Hafenstadt kam er jeden Tag mit der Eisenbahn an<br />

der Rennbahn im noblen Ostseebad Zopot vorbei - und<br />

der Anblick <strong>des</strong> m<strong>org</strong>endlichen Trainings faszinierte ihn<br />

sofort. Eines Tages schwänzte er den Unterricht, um sich<br />

das Geschehen dort näher anzusehen, zwei Wochen<br />

später verließ er die Schule und wurde Jockeylehrling.<br />

Ein halbes Jahr genoss er auf der Sommermeetingsbahn<br />

eine extrem harte Ausbildung (vor allem auf Hindernis-


pferden) und wechselte dann nach Warschau in die dreijährige<br />

Jockeyschule, die eine grundlegende Allgemeinbildung<br />

vermittelte und auch Studien im Tierspital voraussetzte.<br />

In Warschau rückten je<strong>des</strong> Jahr an die 50<br />

Lehrlinge ein, die nach kommunistischer Manier einem<br />

Trainer zugeteilt wurden. Der staatliche Rennbetrieb veranstaltete<br />

drei Renntage pro Woche, 1000 Pferde waren<br />

nach Planung <strong>des</strong> Direktoriums von den staatlichen Gestüten<br />

auf die Trainer aufgeteilt.<br />

Der für Zucht und Ordnung s<strong>org</strong>ende Karol<br />

Chomiscz erkannte schon früh das große Talent seines<br />

Lehrlings und förderte ihn dementsprechend. Doch<br />

schon damals machte sich bei Stefan bereits das große<br />

Problem so vieler seiner Berufskollegen bemerkbar: der<br />

Kampf mit dem Gewicht. Innerhalb eines Jahres kletterten<br />

die Ziffern der Waage von 42 auf 60 Kilo! Der Weg in<br />

den Hindernissport war also v<strong>org</strong>egeben, Bigus gewann<br />

auch gleich sein erstes Rennen über die „Besen“, in den<br />

nächsten zehn Jahren folgten weitere zahlreiche Treffer<br />

sowohl in Hürden- als auch in Steeplechase-Bewerben.<br />

1974 hielt sich Bigus ersmals in Wien auf, er verbrachte<br />

seinen Urlaub bei Dr. Alexander Falewicz in der<br />

Freudenau. Dieser unvergessliche Meistertrainer überredete<br />

seinen Landsmann zu einer dauerhaften Übersiedlung<br />

nach Österreich. Nach langwierigen, durch das<br />

politische System ausgelösten Visaschwierigkeiten erhielt<br />

Stefan schließlich doch die ersehnte Ausreisegenehmigung,<br />

kurz vorher heiratete er noch in Polen.<br />

In der Freudenau fand der Neojockey im damals stark<br />

vertretenen Hindernissport ein reichliches Betätigungsfeld,<br />

ritt aber auch hohe Gewichte in Flachrennen. Nach 57<br />

Erfolgen - bis auf acht alle in Hindernisrennen - führten<br />

dann weitere Gewichtsprobleme zum Karrierewechsel: Als<br />

Futtermeister bei Dr. Alexander Falewicz legte Stefan bald<br />

auch die Trainerprüfung ab und machte sich schließlich<br />

auf Drängen <strong>des</strong> aus Jugoslawien stammenden Besitzers<br />

Miodrag Mladenovic (Stall High Hills Farm) selbständig.<br />

Eine goldrichtige Entscheidung: Gleich in der ersten vollen<br />

Saison kamen mit Fatalist (Sieger im „Esterhazy“) und<br />

Domingo (Sieger im „Preleuthner“, „Kottulinsky“ und<br />

„Henckel“) die zwei Freudenauer Spitzenzweijährigen <strong>des</strong><br />

Jahres 1985 aus dem neuen Trainingsquartier.<br />

Dreijährig entwickelte sich Fatalist noch weiter: Beide<br />

Trial-Stakes und der Austria-Preis gingen auf sein<br />

Konto, Domingo punktete im Inländerpendant. Barkas<br />

holte sich das „Doppelpack-Saint Leger“ und Donegal<br />

und Pascha (ein Jahr später Derbyzweiter) beherrschten<br />

den Zweijährigenjahrgang. Weitere Spitzenpferde<br />

waren in den 80iger Jahren noch (ohne Anspruch auf<br />

Vollständigkeit) die Ausnahmestuten Good Bye Fancy,<br />

Love Lady und Meadow’s Pride, sowie North Hill, Zorba,<br />

Nobelstern, der international sehr erfolgreiche Dongo<br />

(platziert in Gruppe-Rennen in Italien) und dann natürlich<br />

Derbysieger Dzulio, der zweijährig im Jahre 1989<br />

erstmals Seide trug. Der Pole ist bis heute der letzte österreichische<br />

Sieger im Blauen Band, das er vor nun genau<br />

zehn Jahren mit Heinz Peter Ludewig überlegen vor dem<br />

aus England anreisenden My Admiral gewann.<br />

In den 90igern holten die meist polnisch gezogenen<br />

Manitou, Girl, Remonta, Jurydyka, Don Kot, Nessie,<br />

Aprizzo oder Russo Siegeslorbeer in das Erfolgsquartier.<br />

Überdurchschnittlich gute Stallinsassen aus heimischer<br />

Zucht waren Darling Hill, Pacothesoul, Diamond Star,<br />

Morning Dance, Meadow’s Lass und Nobelino. Die erfolgreichsten<br />

Vertreter der letzten Jahre sind der <strong>Galopp</strong>er<br />

<strong>des</strong> Jahres Mob, die Meile-Siegerin Drwina und natürlich<br />

der nicht immer vom Glück begünstigte Vinos.<br />

In seiner erfolgreichen Trainerkarriere erlangte Bigus<br />

bisher sechs Mal den begehrten Championatstitel, sieben<br />

Mal belegte er, meistens hinter seinen „ewigen Rivalen“<br />

Emmerich Schweigert den Ehrenplatz. Von finanzieller<br />

Seite brachte das Jahr 1998 die Krönung: Bei 51<br />

(!) Erfolgen <strong>galopp</strong>ierten seine Schützlinge die stolze Gewinnsumme<br />

von 2.638.000 S für ihre Besitzer ein, die<br />

Gesamtgewinnsumme aller von ihm betreuten Vollblüter<br />

beläuft sich auf mehr als 25 Millionen!<br />

Im Herbst standen rund 20 Rennpferde in seinen<br />

Stallungen, um die sich fünf Betreuer kümmern. Es ist<br />

kein Geheimnis, dass Stefan als fleißigster Trainer der<br />

Freudenau gilt. Der worcaholic kommt jeden Tag kurz<br />

nach fünf Uhr Früh von seiner Wohnung im 6. Bezirk in<br />

den Stall, reitet in der Arbeit, überwacht die Fütterung.<br />

Am Nachmittag drehen seine Schützlinge gewöhnlich ihre<br />

Runden in der Führmaschine, auch am Abend füttert der<br />

Trainer wieder höchstpersönlich. Diese intensive Beschäftigung<br />

mit seinen Pferden hält er für sehr wichtig, nur so<br />

kann er auf die einzelnen Charaktere genau eingehen.<br />

Der „Pferdeflüsterer der Freudenau“ ist überzeugt, dass<br />

gute Pferde immer überdurchschnittlich intelligent sind.<br />

Generell vertritt er die Ansicht, dass jungen <strong>Galopp</strong>ern<br />

heute viel zu wenig Zeit zur Entwicklung gegeben wird.<br />

Der Besitzer zahlt und wünscht in wenigen Monaten ein<br />

startfähiges Pferd zu sehen.<br />

Urlaub ist daher für Bigus ein absolutes Fremdwort,<br />

kein Wunder, dass ihm immer wieder arge Gesundheitsprobleme<br />

zu schaffen machen, Spitalsaufenthalte waren<br />

3<br />

GALOPPEXPRESS 80/2000


GALOPPEXPRESS 80/2000<br />

die Folge. Auf Grund seines hohen Blutdrucks verbot ihm<br />

der Arzt auch das eigenhändige Beschlagen der Pferde.<br />

Trotz der 14-Stunden-Tage bleibt unter dem Strich<br />

finanziell kaum genug über, um über die Runden zu kommen.<br />

So denkt Stefan wieder einmal über eine berufliche<br />

Übersiedlung in einen anderen Pfer<strong>des</strong>portzweig nach,<br />

nicht zuletzt um seinen angegriffene Gesundheit zu schonen.<br />

Aber auch um seine finanzielle Situation im Vergleich<br />

zum Arbeitsaufwand wieder ins rechte Lot zu rücken.<br />

Der <strong>Fanclub</strong> <strong>Galopp</strong> hofft natürlich, dass es sich der<br />

sympathische Pole doch noch anders überlegt, er würde<br />

in der Freudenau durch seinen Abgang eine kaum zu<br />

schließende Lücke hinterlassen! (-skr-)<br />

4<br />

Schlag nach bei Turfkönig<br />

Was ist Turfkönig? Nach der Eigendefinition ein seit<br />

Sommer 1998 bestehen<strong>des</strong> privates Informationsangebot<br />

zum Thema <strong>Galopp</strong>rennen (vor allem in Deutschland), das<br />

sich von einer privaten Homepage zu einem monatlich erscheinenden<br />

unabhängigen online-Magazin (Internet<br />

Adresse: www.turfkoenig.de) entwickelt hat. Trotz <strong>des</strong> beachtlichen<br />

Umfangs <strong>des</strong> Magazins von monatlich etwa 110<br />

Seiten ist Turfkönig nach wie vor gratis; der verantwortliche<br />

Redakteur verdient nichts daran (außer den Prämien<br />

bei online-Buchbestellungen für die beworbenen Bücher<br />

zum Thema Pfer<strong>des</strong>port). Turfkönig ist aber keine Datenbank<br />

oder Presseagentur, wie der verantwortliche Redakteur<br />

betont.<br />

Das Kernstück von Turfkönig sind Hintergrundberichte<br />

zu verschiedenen Themen der deutschen und internationalen<br />

<strong>Galopp</strong>sportszene (z.B. eine genaue Vorstellung<br />

aller Teilnehmer am Deutschen Derby bzw. nach<br />

dem Derby eine Analyse hinsichtlich je<strong>des</strong> einzelnen<br />

Pfer<strong>des</strong>), Meldungen und Übersichten über Jockeys,<br />

Trainer und Gestüte. So gibt es z.B. eine Liste (fast) aller<br />

Jockeys in Deutschland mit Angabe <strong>des</strong> Trainers, bei<br />

dem sie gerade unter Vertrag sind; ein Interview mit Andreas<br />

Helfenbein; eine Jockey-Geburtstagstabelle und<br />

eine Umrechnungstabelle von englischen auf kontinentaleuropäische<br />

Gewichte sowie eine Weltrangliste <strong>des</strong><br />

<strong>Galopp</strong>rennsportes, in der alle Pferde verzeichnet sind,<br />

die zumin<strong>des</strong>t GAG 95 erhalten haben und natürlich den<br />

deutschen Generalgewichtsausgleich und vieles mehr.<br />

Daneben wird bildlichen Darstellungen breiter Raum<br />

geboten: es gibt einen virtuellen Renntag in Longchamp,<br />

Bilder von einer Jährlingsauktion, e-mail-Postkarten zum<br />

verschicken, aber auch für die Kids zahlreiche Pferde-<br />

Motive zum Herunterladen und sogar Vorlagen für die<br />

derzeit hochaktuellen Fensterbilder - natürlich mit Rennpferde-Motiven.<br />

Die graphisch schön gestalteten Seiten<br />

sind leider nicht auf jedem PC ausdruckbar.<br />

Turfkönig veranstaltete - neben der offiziellen Wahl<br />

zum <strong>Galopp</strong>er <strong>des</strong> Jahrhunderts <strong>des</strong> Deutschen Direktoriums<br />

für Vollblutzucht - eine eigene online-Wahl <strong>des</strong><br />

<strong>Galopp</strong>ers <strong>des</strong> Jahrhunderts, bei der Acatenango gewann.<br />

Neulich wurde ein Ideenwettbewerb zur Benennung<br />

eines Vollblutfohlens mit Anfangsbuchstaben I durchgeführt.<br />

Monatlich finden sich rund 1000 Beiträge im Turf-Forum,<br />

dem Chat-Room oder der Tratsch-Ecke <strong>des</strong> Turf-Königs,<br />

wo in letzter Zeit vor allem zum Thema Drogenkonsum<br />

von Rennreitern und dem Karriereende deutscher<br />

Spitzenjockeys (im Zusammenhang mit der Diskussion über<br />

die Anhebung der Rittgewichte) zahlreiche kontroversielle<br />

Beiträge von Lesern eingegangen sind. Wie vom Schreiber<br />

dieser Zeilen ausprobiert, werden Fragen, die einfach in den<br />

virtuellen Raum gestellt werden, von den kompetenten Lesern<br />

kurzfristig (manchmal innerhalb von Minuten) beantwortet.<br />

Beim Mitmachen kann man sich einen Decknamen<br />

aussuchen, wobei das Raten, welcher Trainer oder Jockey<br />

hinter welchem Pseudonym steht, zu einem beliebten Spiel<br />

geworden ist. Leider lassen manche Beiträge - trotz eines<br />

Appells <strong>des</strong> verantwortlichen Redakteurs zur Höflichkeit -<br />

eine solche vermissen und es werden Jockeys, Trainer, aber<br />

auch Mitdiskutanten und der verantwortliche Redakteur<br />

ziemlich heruntergemacht. Was Turfkönig nicht anbietet, sind<br />

aktuelle Rennergebnisse oder Wettvoraussagen (das wird<br />

den Tages- und Sportzeitungen überlassen).<br />

Wer ist Turfkönig? Wenn man sich aufgrund <strong>des</strong> männlichen<br />

Namens und <strong>des</strong> reichen Wissens einen Herrn im<br />

gesetzten Alter oder ein Redaktionsteam sich vorstellt, ist<br />

man weit gefehlt: Turfkönig i s t Maike Hanneck, nennt<br />

sich selbst auch „the virtual gaucho“, Jahrgang 1970,<br />

Hausfrau und Mutter eines siebenjährigen Sohnes. Sie<br />

wuchs in Köln und Island (wo es nur <strong>Galopp</strong>rennen auf<br />

Island-Pferden gibt) auf. Schon mit 12 Jahren hat sie (gemeinsam<br />

mit 2 Freundinnen) ihre erste Rennsportzeitung<br />

herausgebracht und war von 1996 bis 1998 Volontärin bei<br />

der Sportwelt. Die Beziehung zu Island zeigt sich auf der<br />

Homepage eigentlich nur darin, dass man dort - zugegebenermaßen<br />

unpassend - auch das Lieblingsrezept der<br />

Redakteurin, eine isländische Mehlspeise, findet.<br />

Bei der Einrichtung ihrer Homepage wünschte sich


Maike aus dem Rennsport drei Dinge: das Bankkonto<br />

von Lester Piggott, die Zuversicht von Walter Swinburn<br />

und die Beine von B<strong>org</strong>ia (nur nicht so behaart). Mittlerweile<br />

hat sie allerdings feststellen müssen, dass alle drei<br />

Dinge ziemlich angeknackst sind...<br />

Wenn man sich vergegenwärtigt, dass Maike Hanneck<br />

das Projekt Turfkönig allein als Hobby und ohne Gewinnabsicht<br />

betreibt, kann man auch verstehen, dass nicht<br />

immer alles topaktuell ist (so wird Erwin Dubravka in der<br />

Liste der Stalljockeys noch bei Werner Glanz in München<br />

angeführt). Wenn auch Turfkönig ziemlich „deutschlandorientiert“<br />

ist, so kann man dort auch als österreichischer<br />

<strong>Galopp</strong>sportfan so viel interessantes finden, dass das<br />

Surfen bei Turfkönig fast zu einer „Sucht“ wird. (-kuz-)<br />

Abschiede<br />

Etwas überraschend kam er schon, der Rücktritt von<br />

Terence Hellier, dem Stalljockey am berühmten Asterblüte-Stall<br />

von Peter Schiergen in Köln. Der 34jährige<br />

Stilist hatte ja seit langer Zeit Gewichtsprobleme, jetzt<br />

zog er die Konsequenzen und hängte seine Reitstiefel<br />

an den berühmten Nagel. Hellier trat ja die Nachfolge<br />

von Andreas Suborics am Schiergen-Stall an, die ganz<br />

großen Knüller waren ihm aber nicht so recht gelungen,<br />

sieht man einmal vom Sieg mit Tiger Hill in Iffezheim im<br />

vergangenen Herbst ab. Und unvergessen ist auch das<br />

Jahr 1991, als eigentlich jedermann mit einem Hellier-<br />

Sieg im deutschen Derby rechnete, doch der zweite Platz<br />

mit Lomitas (nach seiner „Behandlung“ bei Monty Roberts<br />

sprang er zwar gut ab, musste sich aber dennoch<br />

Temporal beugen) war dann doch eine Enttäuschung,<br />

die damals schon Rücktrittsgedanken hochkommen ließen.<br />

Aber eine Annonce in der Sport-Welt mit dem Titel<br />

„Terry mach weiter“ rüttelte ihn auf und so feierte er mit<br />

glänzenden Ritten wieder schöne Erfolge. Jener mit<br />

Martessa in Longchamp war für ihn der wichtigste. Aber<br />

auch Krankenhausaufenthalte prägten Terences Laufbahn,<br />

nicht weniger als sechsmal musste er wegen einer<br />

Gehirnhautentzündung ins Spital.<br />

Hellier kam in Köln zur Welt, dann wechselte er nach<br />

London zu den Eltern seines Vaters Bruce, der ursprünglich<br />

Jockey, später Trainer war. In England absolvierte er<br />

seine Schulausbildung um schließlich 35 kg leicht bei<br />

Heinz Jentzsch in die Lehre zu gehen. Den ersten offiziellen<br />

Ritt absolvierte er für seinen Vater. Dann wechselte<br />

er noch einmal nach England, wo er auch sechs Rennen<br />

gewann, während er in Deutschland das Lehrlings-<br />

championat gegen Peter Schiergen und Ralf Malinowski<br />

erobert hatte. Dann wieder retour nach good old<br />

Germany, zu Josef Kappel, dann zu seinem Vater Bruce,<br />

weiter zu Uwe Stoltefuß und Andreas Wöhler. Es folgten<br />

Engagements bei Andreas Löwe und Ralf Suerland, bei<br />

Bruno Schütz und Hans Albert Blume. Bei allen Veränderungen,<br />

Hellier war immer wieder gefragt, denn er ritt<br />

mit feiner Klinge und taktisch ausgezeichnet. Von den<br />

Pferden her verbinden ihn natürlich schöne Erinnerungen<br />

mit der erwähnten Martessa, mit Tiger Hill, Ungaro,<br />

La Blue und Auenadler. In 14 Ländern hat er Derbys<br />

geritten, zwei davon gewonnen, und zwar in Dänemark<br />

mit Tao und in Österreich mit Bündheimer.<br />

Und ein weiterer Reiter mit starkem Österreichbezug<br />

hat seinen Rücktritt bekanntgegeben. Nämlich Piotr<br />

Piatkowski, der definitiv Anfang Dezember beim Münchner<br />

Trainer Wolfgang Figge seine Arbeit beendete und<br />

in seine Heimat Polen zurückkehrte. Seinen Abschiedsrenntag<br />

in Riem versüßte er sich mit einem Siegesritt.<br />

Und Süßes kann er jetzt wieder ohne schlechten Gewissen<br />

essen, denn der Grund für seinen Rücktritt waren<br />

die immer drastischer werdenden Gewichtsprobleme. 57<br />

kg gingen nur noch mit Gewaltkuren. Piatkowski gewann<br />

heuer nochmals rund 50 Rennen und feierte im Vorjahr<br />

auf Win for Us seinen einzigen klassischen Sieg in<br />

Deutschland, nämlich beim St. Leger in Dortmund.<br />

Ein weiterer Österreicher wird im nächsten Jahr in<br />

Deutschlands Jockeystuben fehlen, nämlich Alexander Brockhausen.<br />

Der gebürtige Österreicher, der früher bei Dr. Alexander<br />

Falewicz auch in der Freudenau im Sattel zu sehen war,<br />

musste nach einer schweren Verletzung die Karriere beenden<br />

und kehrte in seine Heimatstadt Wien zurück. (-copy-)<br />

Andreas Wöhler – deutscher Spitzentrainer<br />

mit gewissem Österreichbezug<br />

Andreas Wöhler, der Sohn <strong>des</strong> erfolgreichen <strong>Galopp</strong>ertrainers<br />

Adolf Wöhler, machte zunächst das Abitur und<br />

anschließend eine Ausbildung zum Industriekaufmann,<br />

wobei er nebenbei bald als Amateurreiter in Erscheinung<br />

trat, der vor allem über Hürden und Hindernisse erfolgreich<br />

war. 1983 wurde er trotz Sturzes mit anschließender<br />

Knieoperation mit 36 Siegen deutscher Amateurchampion,<br />

zwei Jahre später avancierte er zum Assistenten<br />

seines Vaters, der 1985 eine schwere Herzerkrankung<br />

erlitt. Durch <strong>des</strong>sen plötzlichen Tod im Jahr 1986 übernahm<br />

er - zunächst gemeinsam mit seiner Mutter Doris -<br />

schon in sehr jungen Jahren den renommierten Stall. Es<br />

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GALOPPEXPRESS 80/2000<br />

fällt wieder einmal auf, dass häufig erfolgreiche Hindernisreiter<br />

später erfolgreiche Trainer von Flachrennpferden<br />

werden (z.B. auch Andre Fabre oder auch Stefan Bigus).<br />

1991 brachte ihm mit Tao den ersten Gruppe-Sieg,<br />

dem im Laufe der Saison drei von Lomitas folgen sollten.<br />

Beim Kölner Mehl-Mülhens-Rennen war der Niniski-Sohn<br />

allerdings nicht unter Starters Order zu bringen. Die anschließende<br />

(erfolgreiche) Spezialbehandlung durch<br />

Monty Roberts machte diesen in ganz Deutschland bekannt<br />

und populär, aber auch Wöhler ist durch seine Erwähnung<br />

in Monty Roberts Erinnerungen in Amerika kein<br />

Unbekannter mehr. Dieses V<strong>org</strong>ehen zeigt auch, dass<br />

Wöhler bereit ist, neue ungewöhnliche Wege zu gehen<br />

und die eingefahrenen Gleise <strong>des</strong> <strong>Galopp</strong>ertrainings zu<br />

verlassen. Mit der Stute Martessa (immer geritten von<br />

Terry Hellier) gewann er in diesem Jahr nicht nur den<br />

Preis der Diana und den Deutschen Stutenpreis, sondern<br />

sogar den Prix de l’Opera in Longchamp.<br />

Bereits ein Jahr später gelang ihm mit Pik König,<br />

geritten von Billy Newnes, der erste deutsche Derbysieg.<br />

1994 konnte er mit Pferden von Abdullah al Maktoum<br />

insgesamt fünf Gruppe Rennen gewinnen. Viele Besitzer<br />

Wöhlers halten dem in Bremen etablierten Stall seit<br />

Jahren und Jahrzehnten die Treue, wie z.B. das Gestüt<br />

Fährhof der Familie Jacobs, die schon bei seinem Vater<br />

Adolf ein erfolgreicher Besitzer war. Das Betätigungsfeld<br />

der Wöhler-<strong>Galopp</strong>er wurde allerdings in den letzten<br />

Jahren zunehmend auf Italien ausgedehnt.<br />

1997/1998 war ein gewisser Erwin Dubravka zweiter<br />

Stalljockey bei Andreas Wöhler, erster Mann war Andreas<br />

Boschert. 1999 wirbelte der Derbysieg von Belenus<br />

mit Kevin Darley und der prominenten Besitzerrunde einigen<br />

Staub auf, insbesondere die überschwengliche<br />

Siegesfreude <strong>des</strong> Turfsyndikats-Organisators Manfred<br />

Hofer („Naked Clown wins German Derby“).<br />

In diesem Jahr ist ein anderer Österreicher bei<br />

Wöhler, allerdings als erster Stalljockey, tätig: Andreas<br />

Suborics, der von Peter Schiergen zu Wöhler wechselte<br />

und dort einige Zeit verletzt war (ebenso wie Silke Günther).<br />

Dann ging es allerdings wieder rasch mit Siegen<br />

auf Gruppe-Ebene aufwärts, wie z.B. mit dem von Sunderland<br />

im Großen Preis von Berlin am 22. Juli, mit Power<br />

Flame im Großen Kölner Sommerpreis eine Woche später<br />

oder mit Sword Local im Fürstenberg-Rennen in Baden-Baden<br />

am 27. August. Nur im Derby gab es keinen<br />

Erfolg zu verzeichnen, denn da waren Pferde aus dem<br />

Stall von Andreas Schütz auf den Rängen eins bis drei.<br />

6<br />

Zweiter Jockey ist der gebürtige Panamese Eduardo<br />

Pedroza, der 1999 durch seinen Ritt auf Recadero, beim<br />

dem er die verlorene Peitsche durch die Reitbrille ersetzte,<br />

schlagartig bekannt wurde. Pedroza sagen Fachleute<br />

ein besonders gutes Gefühl für schwierige Pferde nach.<br />

Wöhler ist ein Familienmensch und der gesamte Stall<br />

ein Familienunternehmen: Wie schon früher Adolf Wöhler<br />

mit seiner Frau Doris, managen nun Andreas mit seiner<br />

Frau Susanne, unterstützt von seinem Bruder Sascha,<br />

der als EDV-Experte nicht nur die Buchhaltung macht,<br />

sondern auch seinen Bruder am Wochenende bei Starts<br />

auf mehreren Rennbahnen vertritt, den Rennbetrieb. Die<br />

meisten Mitarbeiter halten dem Stall schon seit vielen<br />

Jahren die Treue, wie etwa der Franzose Jean-Marie<br />

Provost, der schon für Vater Adolf tätig war. Vielleicht<br />

bleibt auch Andreas Suborics im Bremer Stall, <strong>des</strong>sen<br />

Übersiedlung ins Ruhrgebiet in letzter Zeit im Gespräch<br />

war, länger als in früheren Engagements (-kuz-)<br />

Fest der Pferde Nr. 15<br />

Bereits Nr. 15 war die Ausgabe <strong>des</strong> heurigen Festes<br />

der Pferde in der Wiener Stadthalle. Und ein wenig spürte<br />

man von der Routine, die sich breitgemacht hatte.<br />

Wenngleich gerade die sportliche Besetzung dieses 15-<br />

Millionen-Schilling Turnieres hochkarätig war wie selten<br />

zuvor (Olympiasieger Dubbeldam an erster Stelle zu<br />

nennen), so war das Feuer der ersten improvisierten Feste<br />

etwas erloschen. Und am besten merkte man es am<br />

Showprogramm. Hier musste man wirklich den Zeiten<br />

nachtrauern, als Milos Welde poesievolle Reiterbilder in<br />

die nüchterne Halle am Vogelweidplatz zauberte. Offiziell<br />

entschuldigte man das Fehlen von Glanzpunkten mit<br />

den Spätfolgen <strong>des</strong> EU-Österreichboykotts – doch so<br />

ganz nahm man dies Peter Nidetzky diesmal nicht ab.<br />

Nur Rasanz und Tempo standen im Mittelpunkt, ein Trend<br />

der Zeit? Egal, sind wir froh, dass es trotzdem dieses<br />

tolle Team rund um den Neo-ORF-Pensionär Nidetzky<br />

gibt, wo würden sich sonst die Freunde <strong>des</strong> Pfer<strong>des</strong>ports<br />

anfang November treffen, wenn nicht in der Stadthalle!<br />

Apropos Termin: Im nächsten Jahr wird das Turnier eine<br />

Woche nach hinten verschoben und findet am zweiten<br />

Novemberwochenende statt, also hingehen und anschauen<br />

und hoffen, dass die Show wieder dort zurückkehrt<br />

wo sie einmal war. PS: Die Hoffnung, dass der Rennsport<br />

(also Traber und <strong>Galopp</strong>er ) wieder in der Stadthalle<br />

vertreten sind, habe ich ja schon fast aufgegeben.<br />

(copy)


Die schreckliche Seereise der<br />

trächtigen Stute Lady Angela<br />

Zu den Weihnachtsfeiertagen und zum Jahreswechsel<br />

wollen wir ihnen diesmal eine Geschichte präsentieren,<br />

die ein wenig von der Liebe wiederspiegeln soll, die<br />

Menschen dem Lebewesen Pferd entgegenbringen. Sie<br />

entstammt dem Buch „Nijinsky“ von Rolf Palme:<br />

Harry Greene, Anfang sechzig, aber stark wie vierzig,<br />

lebt mit Pferden, seit er vierzehn ist. Er hätte leicht<br />

studieren können, denn er war ein aufgeweckter Bursche.<br />

Aber da hätte er in einem Zimmer sitzen müssen, ganz<br />

still auf einem Fleck, stundenlang, mit anderen Stubenhockern.<br />

Da waren ihm Tiere lieber und das Leben an der<br />

frischen Luft, in Sonne und Wind. Der kleine Harry liebte<br />

alles, was vier Beine hatte oder fliegen konnte. Am meisten<br />

aber Pferde. So wurde er Gehilfe bei einem Tierarzt<br />

in Toronto. Da musste er zwar m<strong>org</strong>ens um halb sechs<br />

schon aus den Federn, aber dafür durfte er dann auch<br />

den ganzen Tag mit Pferden zusammen sein. Schon in<br />

den zwanziger Jahren kannte Harry Greene das Gelände<br />

der heutigen Windfields-Farm vor den Toren von Toronto<br />

wie seine Hosentasche. Damals hieß es noch nicht<br />

Windfields-Farm, damals war es noch die Farm von Sam<br />

McLaughlin, einem Mordskerl und einem Sonderling, der<br />

übrigens, kurz nachdem unser junger Hengst zur Welt<br />

gekommen war, seinen hundertsten Geburtstag feierte.<br />

Dieser Sam McLaughlin, Sohn eines Kutschenmachers,<br />

baute das erste Auto Kanadas, eben den<br />

„McLaughlin“, das Modell F, das im kanadischen Norden<br />

so legendär wurde wie Henry Fords „Modell T“ im<br />

Süden, in den Vereinigten Staaten. Und so wie Henry<br />

Ford sein „Modell T“ mit dem Slogan anpries: „In jeder<br />

Farbe vorrätig, sofern Sie sich für Schwarz entscheiden“,<br />

verkündete McLaughlin, sein „Modell F“ wäre „in jedem<br />

Material zu haben, sofern es Holz sein darf“. Harry<br />

Greene, der kleine Tierarzthelfer, hat die Holzkutschen<br />

mit dem General-Motors-Motor noch auf den Landstraßen<br />

von Kanada ihre Auspuffahnen ziehen sehen, als er<br />

schon McLaughlins Pferde vers<strong>org</strong>te.<br />

Später kaufte ein Mister Darlington das Weidegelände,<br />

und bei dem wurde Harry der oberste Stallchef.<br />

Und als Darlington das Land an den jetzigen Besitzer<br />

verkaufte, an den Großindustriellen E. P. Taylor, blieb<br />

Harry weiter dort - und ob er nun McLaughlins,<br />

Darlingtons oder Taylors Pferde aufzieht, für Harry waren<br />

und sind es immer „meine Babys“.<br />

Und darin kam jener Junitag 1953, es muss so um<br />

Harrys sechsundvierzigsten Geburtstag herum gewesen<br />

sein, da legte ein Schiff im Hafen von Montreal an. Damals<br />

reisten Pferde noch in Schiffen über den Atlantik,<br />

im Laderaum, nicht wie heute, im Flugzeug, in düsengetriebenen<br />

Cargo-Clippern mit Spezialausstattung. Und<br />

Harry riskierte seine Knochen, damit Nijinskys Großmutter,<br />

eine hinreißend schöne Pferdedame namens Lady<br />

Angela, mit heiler Haut von Bord kam. Und wenn Harry<br />

damals nicht so entschlossen zugepackt hätte, dann -<br />

ja, dann wäre ein großes Stück stolzer Familiengeschichte<br />

in den Annalen der größten Rennpferde der Welt ungeschrieben<br />

geblieben, nichts als leere, weiße Blätter...<br />

Rund elftausend Pfund hatte E. P. Taylor, der Herr von<br />

Windfields-Farm, auf der Pferdeauktion von Newmarket<br />

in England für Lady Angela bezahlt, das war damals schon<br />

ein stolzer Preis für eine lorbeerbekränzte Rennstute, aber<br />

immerhin war sie die Tochter <strong>des</strong> grandiosen Derby-Siegers<br />

von 1933, <strong>des</strong> Wunderhengstes Hyperion. Und nun<br />

war sie auch noch schwanger - und der Kindsvater war<br />

kein geringerer als der große Nearco aus Italien, der nie<br />

ein Duell verloren und nur Eroberer gezeugt hatte, ein<br />

Cesare B<strong>org</strong>ia der Rennbahnen, und zu seinen Siegen<br />

zählt das italienische Derby und Frankreichs härteste Prüfung,<br />

der „Prix de l’Arc de Triomphe“. So gesehen war die<br />

Verschiffung von Lady Angela kaum ein geringeres Unternehmen<br />

als etwa der Transport eines Gemäl<strong>des</strong> aus<br />

dem Pariser Louvre ins Königliche Museum von Toronto.<br />

Und da stand Lady Angela, dieses herrliche Kunstwerk<br />

aus über zwanzig Generationen ebenso mühe- wie liebevoller<br />

englischer Pferdezüchterarbeit, nun hilflos zitternd<br />

in ihrem Verschlag auf dem Frachtdampfer „Portsmouth“,<br />

der eben im Hafen von Montreal festgemacht hatte. Als<br />

Harry Greene am Kai aus seinem Pferdetransportwagen<br />

ausstieg, rief ihm der Obermaat entgegen: „Wir kriegen<br />

den Gaul nicht aus seiner Box! Sie müssen schon aufs<br />

Schiff kommen und ihn selber rausholen!“<br />

Mit schlimmen Vorahnungen im Herzen lief Harry über<br />

die Gangway. Tränen stiegen ihm in die Augen, als er vor<br />

den Verschlag trat, in dem die Stute auf der ganzen Reise<br />

eingesperrt gewesen war. Lady Angela war in schlimmer<br />

Verfassung. Die lange Seereise war ihr nicht bekommen.<br />

Für die Matrosen war Lady Angela nur irgendein Pferd<br />

gewesen, das zufrieden sein musste, wenn ihm jeden<br />

M<strong>org</strong>en ein Haufen Hafer hingeworfen wurde. Der Verschlag<br />

war seit Tagen nicht gesäubert worden. Angelas<br />

Fell war glanzlos und verfilzt. Traurig ließ sie den Kopf<br />

hängen. Harry versuchte seine Ruhe zu bewahren. „Allein<br />

ist das schwer“, sagte er. „Kann ich drei Mann haben,<br />

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die mir helfen?“ Der Obermaat winkte ab. „Wir können da<br />

keine Verantwortung übernehmen. Wenn was passiert,<br />

heißt es nachher, die Leute vom Schiff sind schuld.“<br />

Harry sah den Obermaat lange an, sagte aber nichts.<br />

Es hätte wohl auch wenig Sinn gehabt. Von Matrosen<br />

wollte Lady Angela nichts mehr wissen. Solange Matrosen<br />

in der Nähe standen, war Lady Angela nicht zu bewegen,<br />

auch nur einen Schritt aus dem Verschlag heraus<br />

zu machen. Was musste das Tier auf dem Schiff<br />

durchgemacht haben!<br />

Als Harry Greene neben Lady Angela trat, hob sie<br />

den Kopf und sah ihn hoffnungsvoll aus großen braunen<br />

Augen an. Ihre Nüstern bebten leise - sie roch den Duft<br />

von sauberen Ställen, der in seinen Kleidern hing, Sie<br />

schmiegte sich an seine Hand, die genau wusste, wie<br />

man ein Pferd streicheln muss, damit es Vertrauen gewinnt.<br />

Behutsam versuchte Harry, die Stute aus dem<br />

Verschlag, der ihr zum Gefängnis geworden war, herauszuführen.<br />

Aber offenbar hatte Lady Angela keinen<br />

sicheren Griff mehr mit ihren Hufen, Sie war wohl während<br />

der ganzen Reise nicht bewegt worden, und auf<br />

dem leicht gewölbten Stalldeck fand sie auch keinen Halt.<br />

Schlitternd und schwankend und stolpernd tastete sie<br />

sich Schritt für Schritt über den glatten Boden. Harry stützte<br />

sie mit aller Kraft. Es durfte einfach nichts passieren.<br />

Es ging nicht nur um Lady Angela, es ging auch um das<br />

ungeborene Pferdchen in ihrem Leib.<br />

Der schwierigste Teil <strong>des</strong> Ausladens kam jedoch erst<br />

noch. Denn nun musste Lady Angela einen neuen Verschlag<br />

betreten, der dann mit einem Kran an Land gehievt<br />

werden sollte. Vor dem Verladeverschlag bockte<br />

die Stute. Nie wieder wollte sie solch einen Käfig betreten.<br />

Nicht einmal von Harry wollte sie sich in das Geviert<br />

führen lassen. Und was, wenn sie beim Hieven durchdrehte<br />

und wild um sich schlug und sich dabei verletzte?<br />

Es gab nur eine Möglichkeit. „Kann ich da mitfahren?“<br />

fragte Harry den Obermaat, der sich einige Schritte<br />

entfernt hielt, um Lady Angela nicht zu irritieren. Der<br />

Obermaat zuckte die Achseln. „Weiß ich nicht“, sagte er.<br />

„Das hat noch nie einer probiert.“<br />

„Ich meine“, sagte Harry und versuchte mühsam seine<br />

Fassung zu bewahren, „hat jemand was dagegen,<br />

wenn ich mitfahre’?“ Der Obermaat wandte sich ab. „Das<br />

können Sie halten, wie Sie wollen. Wenn da was passiert -<br />

Impressum: Herausgeber und Medieninhaber (Verleger): FANCLUB GALOPP; Baumgasse 41/14/10a, 1030 Wien.<br />

Die <strong>Zeitschrift</strong> erscheint vierteljährlich. Grundlegende Richtung: Informationsschrift <strong>des</strong> FANCLUBS GALOPP, Werbung für den <strong>Galopp</strong>rennsport, Nachwuchsförderung und Förderung pfer<strong>des</strong>portlicher<br />

Belange. Offenlegung gemäß § 25 Mediengesetz: FANCLUB GALOPP, Adresse w.o. Vorstand: Ingo Rickl, Helmut Sikora, Gabriele Elias, Mag.Dr. Othmar Kolar, Mag. Ernst Kopica, Mag.<br />

Susanne Kopica-Rickl, Dr. Clemens Kuzminski, Michael Rosenfeld.<br />

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das Schiff übernimmt keine Verantwortung.“ Harry streichelte<br />

der Stute beruhigend über die Nüstern und ging<br />

darin in den Verschlag voraus und stellte sich an der Innenwand<br />

auf. Lady Angela sah ihn verwundert an, dann folgte<br />

sie ihm auf unsicheren Hufen nach. Der Verschlag wurde<br />

geschlossen, Kommandorufe ertönten, und wenige<br />

Augenblicke später schwebte die Riesenkiste mit Harry,<br />

Lady Angela und dem Ungeborenen über dem Hafen von<br />

Montreal. Harry hielt den zitternden Kopf der Stute mit<br />

beiden Händen, streichelte den Hals, der vom Angstschweiß<br />

feucht war und sprach beruhigend auf Angela<br />

ein. „Es wird ja alles gut, Lady Angela, alles wird gut. Du<br />

kommst in einen schönen Stall, da wirst du neue Freundinnen<br />

kennen lernen, und schönes sauberes Stroh ist da<br />

und satte grüne Wiesen, und da kannst du laufen, endlich<br />

wieder laufen. laufen, laufen, laufen, und wir laufen zusammen,<br />

und ich bringe dich jeden M<strong>org</strong>en auf die Koppel,<br />

jeden M<strong>org</strong>en ...“ sagte er, als die Kiste, vom Kran<br />

geschwenkt, im großen Bogen über dem Schiff und dem<br />

Kai dahinschwebte.<br />

Lady Angela flatterte an allen Gliedern, aber sie<br />

schnupperte auch hoffnungsvoll an Harrys Jacke, in<br />

Harrys Haaren, sie schnupperte den Geruch von Pferden<br />

und Stroh und Stall, ein Vorschuss auf das Paradies,<br />

das sie nun erwartete. Mit weichen Knien staksten<br />

die Stute und dann auch Harry aus der Kiste über den<br />

Kai in den Transporter hinein, wo Lady Angela sich gleich<br />

in das frische Stroh legte ...<br />

Harry Greene hat seitdem nie wieder einen Fuß auf<br />

die Planken eines Schiffes gesetzt. „Ich habe Nijinsky<br />

immer wie ein Stück von mir angesehen“, sagt Harry<br />

Greene heute. „Denn wenn ich es damals nicht geschafft<br />

hätte, Lady Angela mit heilen Knochen an Land zu bringen,<br />

mit dem Ungeborenen in ihrem Bauch, aus dem<br />

dann der erfolgreiche Nearctic wurde, dann hätte es auch<br />

nie einen Northern Dancer gegeben, auch nicht <strong>des</strong>sen<br />

Sohn, den großen Nijinsky.“

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