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Friedlich in die Katastrophe - Projektwerkstatt

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944 Holger Strohm: <strong>Friedlich</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Katastrophe</strong><br />

ren ,,sicher" machen sollten, eigentlich kaum etwas erreicht haben. Ke<strong>in</strong> Wunder,<br />

denn nach Me<strong>in</strong>ung des Juristen Dr. Ewald Gaul geht es letztlich gar nicht um den<br />

Schutz der Bevölkerung, ,,sondern um <strong>die</strong> Verwirklichung der Interessen von<br />

Atom<strong>in</strong>dustrie und Elektrizitätswirtschaft: ,Empfehlungen für höchstzulässige<br />

Dosen müssen so festgelegt werden, daß <strong>die</strong> Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit e<strong>in</strong>er Schädigung<br />

der Bevölkerung auf e<strong>in</strong> tragbares Maß verm<strong>in</strong>dert wird'. (ICRP-Publ., Nr. 14,<br />

1969, S. 28). ,Die Kommission ist der Ansicht, daß <strong>die</strong>ser Wert (5 rem pro<br />

Generation) e<strong>in</strong>en annehmbaren Spielraum für <strong>die</strong> Atomprogramme der Zukunft<br />

schafft'. (ICR-Publ., Nr. 9, 1969, S. 15)."~~ Diese Worte machen klar, worum es<br />

vielen wissenschaftlichen Gremien geht: um Absicherung im Falle der Verletzung<br />

und Tötung von Menschen des Profites wegen! Zur Erreichung <strong>die</strong>ses Zieles<br />

schreckt man auch vor unverhüllter Zensur nicht zurück. Dr. Gaul <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em I ,<br />

weiteren Artikel: ,,Die ,Review Indiana University' er<strong>in</strong>nert im gleichen Jahr an den ~<br />

pe<strong>in</strong>lichsten Vorgang bei der Ersten Konferenz zur friedlichen Nutzung der<br />

Atomenergie, Genf, 8. bis 20. August 1955: ,In der ganzen Welt war Muller bekannt<br />

durch se<strong>in</strong>e Arbeiten über <strong>die</strong> Strahlengenetik und se<strong>in</strong>e Anstrengungen, <strong>die</strong> ~<br />

Menschheit vor Strahlenschäden zu schützen. Im Frühjahr 1955 wurde er besonders<br />

gebeten, der Ersten Internationalen Genfer Konferenz zur friedlichen Nutzung der<br />

Atomenergie e<strong>in</strong>e entsprechende Arbeit vorzulegen. Kurz vor Konferenzbeg<strong>in</strong>n<br />

unterrichtete man ihn, er dürfe se<strong>in</strong>e Arbeit nicht vorlegen. Selbst e<strong>in</strong> fünfm<strong>in</strong>ütiges<br />

Kurzreferat wurde Muller verwehrt. Ihm wurde lediglich gestattet, der Konferenz<br />

als Beobachter beizuwohnen. Nachdem aber se<strong>in</strong>e Kollegen von se<strong>in</strong>er Anwesenheit<br />

erfuhren, erhoben sie sich im Hauptauditorium von ihren Plätzen und brachten ~<br />

Prof. Muller Ovationen dar.' Der angesehene deutsche Genetiker Prof. Alfred<br />

Barthelmeß kommentierte das gegen Prof. Muller verhängte Redeverbot: ,Es stimmt<br />

schon sehr nachdenklich, dai3 Muller, obwohl Nobelpreisträger und anerkannt der<br />

,erste Mann' auf <strong>die</strong>sem Gebiet der Strahlengenetik, als prom<strong>in</strong>entester Vertreter der<br />

amerikanischen Abordnung auf dem I. Internationalen Kongreß zur friedlichen<br />

Nutzung der Atomenergie <strong>in</strong> Genf 1955 nicht sprechen durfte'. Noch im Jahr der<br />

Genfer Konferenz warnte Muller <strong>in</strong> der Fachzeitschrift ,The Bullet<strong>in</strong> of the Atomic<br />

Scientists': für e<strong>in</strong>e Gesellschaft, der <strong>die</strong> Atomenergie als Lebensgrundlage <strong>die</strong>ne, sei 1<br />

<strong>die</strong> Strahlenverseuchung e<strong>in</strong>e weit größere Bedrohung als <strong>die</strong> <strong>Katastrophe</strong> e<strong>in</strong>es ~<br />

Atomkrieges, deren schnell sichtbare Folgen zur E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Gefahr und zu ~<br />

Gegenmaßnahmen zwängen. Letztlich werde <strong>die</strong> Masse der Erbschädigung e<strong>in</strong> 1<br />

Ausmaß erreichen, das alle Mittel der Technik und Sozialhilfe dagegen machtlos ~<br />

mache."55 ~<br />

Diese Ausführung zeigt, daß es dennoch e<strong>in</strong>ige verantwortungsbewußte Wissen- 1<br />

schaftler gab und noch immer gibt. Aber <strong>die</strong> Masse der Wissenschaftler macht den<br />

Zoru des Bertolt Brecht verständlich, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em ,,Galilei" sagt, <strong>die</strong> Wissenschaftler<br />

seien ,,e<strong>in</strong> Geschlecht erf<strong>in</strong>derischer Zwerge, <strong>die</strong> für alles gemietet werden<br />

Die französische Umweltzeitschrift „La Gueule Ouverte" bezeichnete<br />

<strong>die</strong> Wissenschaftler schlichtweg „als Huren des Kapitals". Aber auch <strong>die</strong>ser<br />

vergleich h<strong>in</strong>kt, denn Huren tun für <strong>die</strong> Armen, Verzweifelten und E<strong>in</strong>samen doch<br />

m~ebli~h mehr, auch wenn sie als Berufsstand verachtet werden, als <strong>die</strong> so<br />

geachteten Wissenschaftler, <strong>die</strong> Massenverni~htun~smittel und Konsumgüter erf<strong>in</strong>den,<br />

mit denen letztendlich <strong>die</strong> Menschheit ausgerottet wird. Man sollte aber nicht<br />

„ sehr dem e<strong>in</strong>zelnen Wissenschaftler <strong>die</strong> Schuld geben. Das ganze Problem stellt<br />

,ich eher als e<strong>in</strong>e Systemfrage dar. Prof. Dr. Dr. John W. Gofman beschreibt <strong>die</strong><br />

simation im „Bullet<strong>in</strong> of Atomic Scientists" folgendermaßen: „Es besteht ke<strong>in</strong><br />

weifel, daß das System der Privilegierten <strong>die</strong> Furcht vor Arbeitslosigkeit als sehr<br />

ützliches Werkzeug - verwendete, um alle Arbeitnehmer gleichzuschalten -<br />

und<br />

gehorsam und unterwürfig zu halten. Man könnte <strong>die</strong>sen Luxus, den sich <strong>die</strong><br />

~nternehmer <strong>in</strong> der Vergangenheit selbst zusprachen, als teuflisch und unmensch-<br />

lich bezeichnen; jedoch im technischen Zeitalter, wo e<strong>in</strong> falsch geführtes Unter-<br />

nehmen e<strong>in</strong>e potentielle <strong>Katastrophe</strong> auslösen kann, reicht <strong>die</strong>s nicht; wir können<br />

uns e<strong>in</strong>en derartigen Luxus nicht mehr erlauben . . . Die Industriegiganten werden<br />

zwar auf ke<strong>in</strong>en Fall verschw<strong>in</strong>den. Es wäre jedoch vernünftig, sie dazu zu bewegen,<br />

etwas Vernünftiges im S<strong>in</strong>ne der Allgeme<strong>in</strong>heit zu tun, anstatt e<strong>in</strong> Oberleben der<br />

Menschen unmöglich zu ma~hen."~'<br />

Die Gründe für <strong>die</strong>ses Fehlverhalten drückte Leo Goldman, der Kernenergieex-<br />

perte der Vere<strong>in</strong>igten Autoarbeiter-Gewerkschaft <strong>in</strong> den USA, folgendermaßen aus:<br />

,,Sie fürchten, daß ihre wissenschaftlichen Karrieren ausgespielt s<strong>in</strong>d, wenn man<br />

h<strong>in</strong>ter <strong>die</strong> jahrelangen Lügen kommt. Dar<strong>in</strong> liegt des Pudels Kern!"58<br />

Es gilt hier festzustellen, daß <strong>die</strong> Wissenschaft pervertiert wurde. Ober <strong>die</strong><br />

Planung und den E<strong>in</strong>satz gewisser Techniken entscheidet nicht der Vorteil für <strong>die</strong><br />

Bevölkerung, sondern tra<strong>die</strong>rte Vore<strong>in</strong>genommenheit und etablierte Intere~sen.~~<br />

Man kann nicht Wissenschaftler entscheiden lassen, <strong>die</strong> am Fortgang ihrer Arbeit<br />

mit ihrer ganzen Existenz <strong>in</strong>teressiert s<strong>in</strong>d, sondern nur e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>formierte Bürger-<br />

schaft, ob sie bereit ist, alle Risiken zu tragen. Aber genau das geschieht nicht. Der<br />

Bevölkerung lügt man etwas vor und täuscht sie über <strong>die</strong> Gefahren h<strong>in</strong>weg. Dr. Jost<br />

%erbig aus München beschreibt, wie <strong>die</strong> Wissenschaftler, wenn sie <strong>in</strong> ihren<br />

Vorrechten beschnitten werden, sofort über e<strong>in</strong>e ,,Beschneidung der Freiheit der<br />

Wissenschaften" lamentieren. Herbig schreibt: ,,Die Parole von der ,Freiheit der<br />

Wissenschaften', <strong>die</strong> erhalten bleiben müsse, täuscht darüber h<strong>in</strong>weg, daß Wissen-<br />

schaftler mit zunehmender Anwendungsnähe e<strong>in</strong>es Forschungsgebiets ihre Freiheit<br />

Stückchenweise selbst über Bord werfen und sich freiwillig <strong>in</strong> <strong>die</strong> Abhängigkeiten<br />

begeben, <strong>in</strong> denen freie Wissenschaft erstickt. Die von wirtschaftlichen oder<br />

militärischen Interessen diktierte Verteilung der Mittel, <strong>die</strong> Aufblähung des<br />

Apparats und <strong>die</strong> zunehmende Konkurrenz unter den Wissenschaftlern um<br />

Forschungs- und Entwicklungsgelder schränken hier <strong>die</strong> Freiheit der Wissenschaft

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