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Janine Benyus ist eine Naturgewalt. Seit der Publikation ihres ersten Buches über Bionik vor 15 Jahren hat<br />
sie dem Thema zur globalen Wirksamkeit verholfen. <strong>Sie</strong> hat einige der weltweit innovativsten Unternehmen,<br />
an erster Stelle <strong>Interface</strong>, dazu inspiriert, nach ‚Biologen in der Designwerkstatt‘ zu verlangen, um so alle<br />
Bereiche, von der Organisationsstruktur bis zur Produktentwicklung, neu zu entdecken. Im Mai 2012 hat<br />
Janine Benyus den ‚Design Mind Award‘ des Smithsonian Cooper-Hewitt National Design Museum in New<br />
York gewonnen.<br />
Was kann der Müll von<br />
der Nahrungskette lernen?<br />
<strong>Interface</strong> (IF): Lassen <strong>Sie</strong> uns über<br />
die Schnittstelle von Bionik und<br />
Biophilie, die in der <strong>Urban</strong> <strong>Retreat</strong>-<br />
Kollektion angesiedelt ist, sprechen.<br />
Weil die Produkte in ihrer Ästhetik<br />
überzeugen, fällt es manchen<br />
Menschen schwer zu glauben,<br />
dass sie zum Teil aus gebrauchten<br />
Fischernetzen sowie Teppichen und<br />
anderem Abfall hergestellt sind.<br />
Janine Benyus (JB) Das stimmt.<br />
IF Es gibt Leute, die Bionik als etwas<br />
sehen, was die Natur imitiert. Wie steht es<br />
da mit Abfall?<br />
JB Das Leben recycelt alles. Alles kann<br />
für eine bestimmte Spezies Nahrung sein.<br />
Aber das Leben nutzt dabei Upcycling.<br />
Denken <strong>Sie</strong> an einen Baumstamm. Die<br />
Materialien aus diesem Baumstamm<br />
werden zuerst von einem Pilz genutzt.<br />
Dann knabbert eine Maus an dem Pilz.<br />
Zuletzt schnappt sich ein Falke die Maus.<br />
Das Leben entwickelt ständig neue<br />
Produkte auf seinem Montageband.<br />
IF David Oakey sagte, das größte<br />
Thema in der heutigen Bionik wäre<br />
der Abfallkreislauf. Ich kann es nicht<br />
wortwörtlich wiedergeben, aber das<br />
Beispiel lautete in etwa so: Es ist ein<br />
Irrtum, dass man ein nachhaltiges Hotel<br />
unbedingt aus Bambus bauen muss.<br />
Wir sollten versuchen, synthetische<br />
Materialien, die bereits im Einsatz sind, zu<br />
recyceln.<br />
JB Wir sind nicht die ersten [auf<br />
diesem Planeten], die etwas bauen.<br />
Die meisten Organismen müssen mit<br />
dem zurechtkommen, was sie vorfinden.<br />
Unser Problem ist dieser unnatürliche<br />
Abfallkreislauf, den wir aufgebaut haben.<br />
Wir gewinnen Stoffe, wie etwa Öl aus<br />
der Erde, stellen etwas daraus her und<br />
werfen es dann einfach weg. Das ist kein<br />
Kreislauf.<br />
IF Nehmen – Herstellen – Wegwerfen.<br />
JB Die Bionik untersucht allgegenwärtige<br />
Muster. Immer wenn sie das bemerken,<br />
sollten <strong>Sie</strong> aufmerksam werden. Es ist<br />
eines der Prinzipien des Lebens, dieser<br />
allgemeingültigen Muster, die bei allen<br />
Lebensformen gefunden werden, die auf<br />
der Erde überleben und gedeihen, dass<br />
in der Natur alles recycelt wird. Nehmen<br />
<strong>Sie</strong> das Ökosystem eines Waldes. Die<br />
Bäume stehen dort vielleicht schon seit<br />
hunderten von Jahren. Im Wald gibt es<br />
eine unbeschränkte Menge an Energie.<br />
Es steht auch sehr viel Kohlenstoff in<br />
Form von CO 2 zur Verfügung. Auch<br />
andere Stoffe sind da. Stickstoff und<br />
Mineralien gelangen in die Erde. Aber<br />
es gibt nur eine begrenzte Menge an<br />
Stickstoff und Mineralien in der Erde.<br />
Daher müssen diese Stoffe immer<br />
wieder recycelt werden.<br />
IF Es gibt keinen Versandhandel, der sie<br />
vorbeibringt.<br />
JB Genau, die Natur hat gelernt, diese<br />
Ressourcen genau dort einzusetzen,<br />
wo sie auch zu finden sind. Das ist<br />
interessant. Auch weil wir bei dem<br />
Gedanken an Recycling dazu neigen,<br />
an Limonadeflaschen zu denken, die<br />
wieder zu Limonadeflaschen werden.<br />
Aber im Fall der Natur reden wir über<br />
etwas anderes. Die Natur betreibt<br />
Upcycling. Wenn also der Zulieferer<br />
von <strong>Interface</strong> „aus Fischernetzen neue<br />
Teppiche herstellt“, betreibt <strong>Interface</strong><br />
Upcycling und folgt damit einem der<br />
Prinzipien des Lebens.<br />
IF Erdöl, Autos, Plastik, Chemikalien,<br />
Möbel. Es ist eine Tragödie, dass es<br />
keine Verfahren für das Upcycling<br />
von Kunststoffen gibt. Dennoch hat<br />
<strong>Interface</strong> mit der Reduzierung der<br />
Abhängigkeit von Öl viel geleistet, was<br />
eine entscheidende Hilfe ist.<br />
JB Ja, das hilft. Aber wenn wir einen<br />
Augenblick zu <strong>unser</strong>em Beispiel mit<br />
dem Wald zurückkehren: Wie kommt es,<br />
dass alle diese Dinge zu 100 Prozent<br />
recyclebar sind? Alles ist essbar.<br />
Alles ist lebensfreundlich. Das Leben<br />
baut von unten auf mit einer kleinen<br />
Liste von gemeinsamen, zuverlässig<br />
verfügbaren Elementen. Die Natur<br />
nutzt diese Elemente, um etwa fünf<br />
verschiedene Polymere (etwa Chitin,<br />
Kollagen und Keratin) herauszubilden.<br />
Warum so wenige? Weil die Natur<br />
entdeckt hat, wie sie den bekannten<br />
Polymeren neue Design-Funktionalitäten<br />
hinzufügen kann. Im Gegensatz dazu gibt<br />
es heutzutage etwa 350 verschiedene<br />
synthetische Polymere auf dem Markt.<br />
Jedes Mal, wenn wir eine neue Funktion<br />
benötigen, entwickeln <strong>unser</strong>e Chemiker<br />
ein neues, nicht recycelbares Material.<br />
IF Es gibt aber noch einen anderen<br />
Aspekt beim Abfall, oder nicht? Überfluss<br />
ignorieren?<br />
JB Ja. In der menschlichen Ökonomie<br />
sind die wertvollsten Dinge SELTEN.<br />
Denken <strong>Sie</strong> an Gold oder Platin. In der<br />
Natur wird am meisten geschätzt, was im<br />
ÜBERFLUSS an EINEM ORT verfügbar<br />
ist, da so am wenigsten Energie<br />
darauf verwendet werden muss, es zu<br />
beschaffen. In dem Augenblick, in dem ein<br />
Blatt vom Baum fällt, weiß jeder Bescheid<br />
und zieht los, um es zu holen. Wenn es<br />
direkt neben mir herunterfällt, ist es der<br />
kostbarste Gegenstand des ganzen<br />
Universums. Die Natur sagt: „Eines Tages<br />
werde ich daraus den Körper einer Maus<br />
machen.“ Alles kann am Ende für eine<br />
bestimmte Spezies zu Nahrung werden.<br />
IF Während für die meisten Menschen<br />
ein Blatt etwas ist, das verbrannt,<br />
weggeblasen oder zusammengeharkt<br />
werden muss.<br />
JB Ja. Weil es ‚Abfall‘ im Überfluss gibt,<br />
hat er keinen Wert.<br />
IF Ein letzter Gedanke. Ray Anderson.<br />
JB (Pause) Ray war ein wahrer Pionier.<br />
<strong>Interface</strong> war das erste Unternehmen, mit<br />
dem wir gearbeitet haben. Heute arbeiten<br />
wir mit mehr als 200 Unternehmen. Nicht<br />
nur bei den Innovationen, sondern auch<br />
bei der ganzen Konzeption von Standards,<br />
denen wir uns verpflichtet fühlen. Als sich<br />
Ray Anderson stark machte, war er damit<br />
alleine unter den Wirtschaftslenkern.<br />
Jetzt sind wir nicht mehr allein.<br />
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Das Leben baut von unten auf mit<br />
einer kleinen Liste von gemeinsamen,<br />
zuverlässig verfügbaren Elementen.