Leseprobe (PDF) - Allitera Verlag
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Schriftenreihe des Zentralinstituts für Regionenforschung<br />
der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg<br />
Neue Folge · Band 5
Thomas Fischer / Daniel Gossel (Hg.)<br />
Migration in internationaler<br />
Perspektive
Weitere Informationen über den <strong>Verlag</strong> und sein Programm unter:<br />
www.allitera.de<br />
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten<br />
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />
Juni 2009<br />
<strong>Allitera</strong> <strong>Verlag</strong><br />
Ein <strong>Verlag</strong> der Buch&media GmbH, München<br />
© 2009 Buch&media GmbH, München<br />
und Zentralinstitut für Regionenforschung<br />
der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg<br />
Umschlaggestaltung: Kay Fretwurst, Freienbrink<br />
Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt<br />
Printed in Germany · isbn 978-3-86906-041-5
Inhalt<br />
I. Einleitung<br />
Thomas Fischer und Daniel Gossel<br />
Migration in internationaler Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
II. Prozesse und Phänomene<br />
Marita Krauss<br />
Migrationen – Akteure, Strukturen, Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />
Walther L. Bernecker<br />
Die transatlantische Massenmigration von Europa nach Lateinamerika:<br />
Phasen und Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36<br />
Heike Bungert<br />
Europäische Migration nach Nordamerika im 19 . Jahrhundert . . . . . . . . . 61<br />
Günther Ammon<br />
Einwanderungsland Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99<br />
III. Kontrolle und Steuerung<br />
Rüdiger Zoller<br />
Förderung, Quoten, Assimilierung: Zur Einwanderungspolitik Brasiliens<br />
im 19 . und 20 . Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121<br />
Kathrin Munzert<br />
Migration und Integration in Großbritannien – Entwicklungen, Konzepte<br />
und Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
Axel Kreienbrink<br />
Migration über Jahrhunderte – Auswanderung und Einwanderung in<br />
Spanien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171<br />
Petra Bendel<br />
Migrationspolitik der Europäischen Union: Aufbruch oder Blockade? . . 190<br />
IV. Integration und Identität<br />
Matthias S. Fifka<br />
Von der »Yellow Peril« zur »Model Minority« –<br />
Asiatische Einwanderer in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223<br />
Thomas Fischer<br />
Die Einwanderung in Argentinien: Wirtschaftliche und soziale Integration<br />
von Italienern und Spaniern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252<br />
Sina Flessel<br />
Die Nikkei in Brasilien – Identität im Wandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274<br />
Anna Holtmannspötter<br />
Die polnische Diaspora im 21 . Jahrhundert am Beispiel Spaniens und<br />
Großbritanniens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302<br />
V. Wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte<br />
Daniel Gossel<br />
Vom Brain Drain zur Brain Circulation? Großbritannien im internationalen<br />
Wettbewerb um hoch qualifizierte Arbeitskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331<br />
Hans Dietrich von Loeffelholz<br />
Arbeitsmarktbeteiligung von Einwanderern im internationalen<br />
Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352<br />
Stefanie Wahl<br />
Wird Deutschland wieder ein Auswanderungsland? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370<br />
Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385
I. Einleitung
Thomas Fischer/Daniel Gossel<br />
Migration in internationaler Perspektive<br />
Vor dem Hintergrund der Europäischen Osterweiterung, der Abschottung<br />
der Europäischen Union gegen Drittstaaten, wachsender Ausländerangst<br />
und Schwierigkeiten bei der Integration von Einwanderern und<br />
ihrer Kinder intensivierte sich in den letzten Jahren auch in Deutschland<br />
die Debatte über internationale Migration. Neuere Studien zeigen, dass<br />
grenzüberschreitende Migration zwar nicht mehr als Sonderfall, wohl<br />
aber weiterhin als Problem betrachtet wird. Der vorliegende Sammelband<br />
gliedert sich in diesen Diskussionszusammenhang ein. Im Unterschied zur<br />
Mehrzahl der deutschsprachigen Publikationen der letzten Jahre steht jedoch<br />
nicht die Situation in Deutschland im Vordergrund. Vielmehr präsentieren<br />
die hier versammelten Fachleute sowohl Überblicke als auch spezielle<br />
Aspekte der Migrationsproblematik in ausgewählten Ländern und Regionen.<br />
Zu den geographischen Schwerpunkten gehört dabei der Atlantische<br />
Raum. Die Komplexität der Materie erfordert einen interdisziplinären Zugang;<br />
daher ist naheliegend und selbsterklärend, dass sich unter den Autorinnen<br />
und Autoren Historiker, Politik- und Sozialwissenschaftler sowie<br />
Ökonomen befinden. Die nachfolgenden Beiträge haben wir in vier übergeordneten<br />
Kategorien zusammengefasst: I. Prozesse und Phänomene; II.<br />
Kontrolle und Steuerung; III. Integration und Identität; IV. Wirtschaftliche<br />
und gesellschaftliche Aspekte.<br />
I. Prozesse und Phänomene<br />
Die erste Gruppe von Aufsätzen beschäftigt sich mit übergreifenden Migrationsprozessen<br />
und -phänomenen. Marita Krauss hebt hervor, dass<br />
Migration keinesfalls als eine vornehmlich moderne Entwicklung dargestellt<br />
werden kann, sondern es sich vielmehr um ein jahrhundertealtes<br />
Phänomen handelt. Am Beispiel Bayerns, das sowohl durch mehrere Wellen<br />
der Zuwanderung als auch der Auswanderung geprägt wurde, bietet<br />
Krauss einen Überblick über »wichtige Migrationsschübe seit der Frühen<br />
9
Einleitung<br />
Neuzeit«, die die bayerischen Kommunen in struktureller und kultureller<br />
Hinsicht vielfach veränderten. Unter Bezug auf laufende Fachdiskussionen<br />
und bekannte Forschungsdefizite betont sie die Notwendigkeit,<br />
Perspektiven von Transnationalität und Hybridität stärker in den Blick<br />
zu nehmen. Sie plädiert für einen interdisziplinären Forschungsansatz,<br />
der Migration einerseits als einen sehr »individuellen Vorgang« begreift,<br />
aber andererseits auch als zentrale Dimension der europäischen Struktur-<br />
und Kulturgeschichte analysiert.<br />
Fokussiert Krauss Migrationsphänomene aus der Sicht lokaler Gesellschaften<br />
in Bayern, so gibt Walther L. Bernecker einen Überblick über<br />
Migrationsprozesse und -phänomene im atlantischen Raum seit der Kolonialzeit,<br />
wobei die Phasen der Massenmigrationsströme von Europa nach<br />
Lateinamerika im Vordergrund stehen. Unter Verweis auf neuere Forschungen<br />
diskutiert er den push/pull-, den »historisch-strukturellen« und<br />
den »Transnationalismus-Ansatz«. Bernecker betont, dass die spanische<br />
Einwanderung während der Kolonialzeit die Regionen Lateinamerikas unterschiedlich<br />
prägte, so dass die indigene Bevölkerung lediglich in einigen<br />
Ländern wie Peru, Bolivien und Guatemala weiterhin einen bedeutenden<br />
Anteil ausmacht. In den meisten Ländern jedoch wurde »die europäische<br />
Einwanderungsgesellschaft […] der eingeborenen Bevölkerung gewissermaßen<br />
›übergestülpt‹« oder sie »ersetzte diese gar«. Im 19. Jahrhundert<br />
erhielt die Einwanderung in Lateinamerika eine besondere Qualität; die<br />
unabhängigen Nationalstaaten bemühten sich um europäische Fachkräfte<br />
und Bauern, um ihre Länder wirtschaftlich zu entwickeln. Die in den<br />
1850er Jahren einsetzende und bis in die 1930er Jahre anhaltende Massenimmigration<br />
führte insbesondere in Argentinien zu einem umfassenden<br />
Wandel. Aus sprachlichen und kulturellen Gründen erfolgte die Assimilation<br />
von Spaniern, Portugiesen und Italienern leichter als die anderer Einwanderergruppen.<br />
In seinem Ausblick zeigt Bernecker, dass heutzutage vor<br />
allem die Binnenwanderung in Lateinamerika sowie die Auswanderung<br />
nach Mexiko im Vordergrund stehen.<br />
Die mit Abstand wichtigste Zielregion für die Massenwanderungen des<br />
19. Jahrhunderts war zweifellos Nordamerika. Heike Bungerts Beitrag<br />
bietet einen differenzierten Überblick über die wichtigsten Immigrantengruppen<br />
und beschreibt die Motive für deren Migration. Sie erläutert die<br />
beruflichen und regionalen Präferenzen der Einwanderungsgruppen ebenso<br />
wie die Faktoren für die Entstehung beziehungsweise Weiterentwicklung<br />
spezifischer Gruppenidentitäten. Darüber hinaus skizziert die Autorin die<br />
politischen Reaktionen in der Aufnahmegesellschaft auf die Migranten-<br />
10
Thomas Fischer und Daniel Gossel: Migration in internationaler Perspektive<br />
gruppen und die kulturellen Interaktionen zwischen den verschiedenen<br />
Ethnien. Im Vergleich zur Einwanderung in Lateinamerika fällt auf, dass<br />
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich mehr Auswanderer aus<br />
Nordwesteuropa in die USA auswanderten. Da die strukturellen Ursachen<br />
für die Auswanderung teilweise ähnlich gelagert waren wie im lateinamerikanischen<br />
Fall, war die Entscheidung für Nord- respektive Lateinamerika<br />
nicht zuletzt in den sich verändernden ökonomischen, einwanderungspolitischen<br />
sowie kulturellen Faktoren in den Ländern Amerikas zu suchen.<br />
Ein wichtiger zusätzlicher Aspekt, auf den Bungert explizit hinweist, waren<br />
Kettenmigrationen, die zur Entstehung gruppenspezifischer Migrationspfade<br />
beitrugen.<br />
Im Unterschied zu den meisten anderen europäischen Nationen haben<br />
sich Franzosen an den großen Auswanderungsbewegungen des 19.<br />
Jahrhunderts kaum beteiligt. Eher im Gegenteil: Das einzige europäische<br />
Land, das schon seit dem 18. Jahrhundert als Einwanderungsland<br />
bezeichnet werden kann, ist Frankreich. Günther Ammon zeigt verschiedene<br />
Phasen der Einwanderung auf. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
war die Einwanderung in Frankreich vor allem eine »immigration<br />
de qualité«. Danach setzte eine Massenimmigration von Bauern, Arbeitern<br />
und Handwerkern ein, weil das natürliche Bevölkerungswachstum<br />
stagnierte und Frankreich, aufgrund der bürgerlichen Revolutionen, in<br />
den Nachbarländern ein positives Image besaß. In der Zeit nach dem<br />
Ersten Weltkrieg wurde bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise eine<br />
aktive Einwanderungspolitik betrieben, wobei vor allem Italiener und<br />
Polen erwünscht waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg konstatierte man<br />
in Frankreich eine ähnliche Situation wie nach dem Ersten, so dass erneut<br />
die Einwanderung gefördert wurde. Die Schwierigkeit, Zuwanderungsbewegungen<br />
gestalten zu können, verdeutlicht Ammon am Beispiel<br />
algerischer Arbeitskräfte, die eigentlich nicht zu den präferierten<br />
Immigrantengruppen gehörten, aber sich dennoch »unter den Augen der<br />
staatlichen Aufsicht« bis zu den 1970er Jahren zur größten Einwanderungsgruppe<br />
entwickelten. In den Jahren nach der Wirtschaftskrise 1973<br />
standen erneut Maßnahmen zur Eindämmung der illegalen Immigration<br />
im Vordergrund; andererseits verfolgte man eine Politik der Integration<br />
durch Einbürgerung. Frankreich, so Ammon, hat eine große Erfahrung<br />
im Umgang mit Immigranten, was auch nach außen gerne gezeigt wird.<br />
Allerdings trübten die Unruhen in den Pariser Vorstädten im Herbst<br />
2005 diese positive Selbstwahrnehmung erheblich.<br />
11
Einleitung<br />
II. Kontrolle und Steuerung<br />
Ammon wie auch Bungert verweisen darauf, dass Einwanderungsländer<br />
im 20. Jahrhundert angesichts der mit der Masseneinwanderung verbundenen<br />
Herausforderungen, insbesondere der Notwendigkeit, den Arbeitsmarkt<br />
mit den »richtigen« Menschen zu bedienen und die soziokulturelle<br />
Integration der Einwanderer zu fördern, in zunehmendem Maße zu interventionistischen<br />
Politiken übergingen. Im Vordergrund stand dabei, den<br />
Prozess der Eingliederung durch Maßnahmen hinsichtlich der Anzahl und<br />
der Qualität der Einwanderer zu steuern und den Integrationsprozess zu<br />
überwachen. Reiches Anschauungsmaterial bietet hierzu auch Brasilien,<br />
das von Rüdiger Zoller untersucht wird. Der Autor beschäftigt sich in<br />
seinem Beitrag »Förderung, Quoten, Assimilierung: Zur Einwanderungspolitik<br />
Brasiliens im 19. und 20. Jahrhundert« mit den wechselnden Zielen<br />
der brasilianischen Eliten, der Einzelstaaten und vor allem der Zentralregierung<br />
in der Migrationsfrage. Deren stets unverblümt interessengeleitete<br />
Migrationspolitik mündete in der Vargas-Ära und vor allem während des<br />
Zweiten Weltkrieges in einen massiven Druck – Verbot muttersprachlicher<br />
Schulen und Medien – auf die weiterhin in einem eigenen Sprach- und<br />
Kulturkontext lebenden Einwanderergruppen, besonders die aus Deutschland<br />
und Japan. Diese Pressionen führten Zoller zufolge jedoch letztlich zu<br />
erhöhter sozialer Kohäsion dieser Gruppen; Ethnizität wurde so nicht nur<br />
zur Verteidigungs-, sondern zur Aufstiegsstrategie. Wie schon Emilio Willems<br />
konstatierte, schufen gerade diese Einwanderungsgruppen letztlich<br />
die soziale Mittelschicht im Süden Brasiliens.<br />
Mochte in einzelnen traditionellen Einwanderungsgesellschaften, wie<br />
z. B. in Brasilien, der Druck zur möglichst völligen Assimilation zu bestimmten<br />
Zeiten besonders stark gewesen sein, so konnten solche Konzepte<br />
in vielen Ländern im demokratischen Nachkriegseuropa keine politischen<br />
Mehrheiten finden. Wie Kathrin Munzert in ihrem Beitrag zeigt, war<br />
Großbritannien historisch eher durch Auswanderung geprägt und verstand<br />
sich nicht als eine typische Einwanderungsgesellschaft. Arbeitskräftemangel<br />
und moralischer Pragmatismus sorgten im ersten Nachkriegsjahrzehnt<br />
dafür, dass bestimmten Gruppen aus Osteuropa (Angehörige der<br />
polnischen Exilarmee, Displaced Persons u. a.) unbefristete Aufenthaltsbewilligungen<br />
erteilt wurden und aus dem Commonwealth Gastarbeiter<br />
rekrutiert werden konnten. Aufgrund der stetig steigenden Zuwanderung<br />
aus Indien, Pakistan und der Karibik wurden jedoch 1962 erste Einwanderungsbeschränkungen<br />
erlassen. Wie die Autorin beschreibt, ist die britische<br />
12
Thomas Fischer und Daniel Gossel: Migration in internationaler Perspektive<br />
Immigrationspolitik seitdem tendenziell immer restriktiver geworden. Erst<br />
während der Regierung von Tony Blair wurde eine stärker an den Bedürfnissen<br />
der Wirtschaft orientierte Flexibilisierung des Systems eingeführt.<br />
Das Thema »Integration« blieb lange Zeit vernachlässigt beziehungsweise<br />
konzentrierte sich lediglich auf die Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung.<br />
Nach Munzert entwickelte sich Großbritannien »gewollt oder<br />
ungewollt allmählich zu einer multikulturellen Gesellschaft«. Angesichts<br />
der Probleme und Spannungen im Verhältnis zu einigen muslimischen<br />
Minderheiten wird deutlich, dass eine moderne Migrationsgesetzgebung<br />
auch durch eine auf Inklusion, Partizipation und gegenseitigen Respekt angelegte<br />
Integrationspolitik unterstützt und ergänzt werden muss.<br />
Auch Axel Kreienbrink richtet den Blick in seinem Beitrag auf Westeuropa.<br />
Kreienbrink zeigt, wie im Laufe des 20. Jahrhunderts ein Emigrations-<br />
zu einem Immigrationsland mit rasant wachsender Zuwanderung wurde.<br />
Wanderten noch bis in die 1950er Jahre massenhaft Spanier – vorwiegend<br />
aus Galicien, Asturien und dem Baskenland – nach Süd- und Nordamerika<br />
aus, so veränderte sich zunächst die Zielrichtung im Rahmen der Anwerbungsabkommen<br />
nach Westeuropa. Ab den 1990er Jahren wurde Spanien<br />
schließlich selbst zu einem Einwanderungsland, in das vor allem Menschen<br />
aus dem Maghreb sowie aus Ecuador, Kolumbien und aus osteuropäischen<br />
Ländern strömten. Die Migrationspolitik reagierte auf die sich wandelnden<br />
Verhältnisse: Nachdem 1985 das erste spanische Ausländergesetz geschaffen<br />
worden war, setzte in den 1990er Jahren, darauf aufbauend, »eine Phase der<br />
Differenzierung, der Spezialisierung und der Konsolidierung der Ausländerpolitik«<br />
ein. Zunehmend wurde dabei auch der Migrant als Arbeitskraft und<br />
gesellschaftliche Bereicherung in den Blick genommen. Der Sicherheitsdiskurs<br />
wurde aber weiterhin aufrechterhalten, wobei vor allem die Beseitigung<br />
der illegalen Einreise und des illegalen Aufenthaltes im Land im Vordergrund<br />
stand. Kreienbrink lässt Skepsis anklingen, ob die spanische Gesellschaft<br />
und die politischen Entscheidungsträger die anstehenden Probleme<br />
alle lösen können.<br />
War in früheren Jahrzehnten die Kontrolle und Steuerung von Zuwanderung<br />
eine Kernaufgabe staatlicher Zentralgewalten, so stellt sich in Europa<br />
zunehmend die Frage, in welchem Rahmen und mit welchen Perspektiven<br />
die Europäische Union zur Entwicklung einer Gemeinschaftspolitik beitragen<br />
kann. In ihrem Beitrag untersucht Petra Bendel die Rolle der EU als<br />
Akteur einer europäischen Migrationspolitik. Beschränkte sich die gesetzgeberische<br />
Tätigkeit von Kommission und Rat zunächst darauf, die Migrationsbewegungen<br />
zu begrenzen und zu kontrollieren sowie ein gemeinsames<br />
13
Einleitung<br />
Asylsystem zu schaffen, so richtet sich das Augenmerk insbesondere der<br />
Kommission nun auf die Errichtung eines Gesamtrahmens »zur Regulierung<br />
des Politikfeldes Migration«. Neben markanten Fortschritten auf dem komplizierten<br />
Weg zu einer europäischen Migrations- und Integrationspolitik,<br />
registriert Bendel aber auch Stagnation und Probleme, die darin begründet<br />
liegen, dass »dem politischen System der Europäischen Union Blockademöglichkeiten<br />
eigen sind, die von den Akteuren der Mitgliedstaaten genutzt werden,<br />
um nationale Kompetenzen im Politikfeld zu erhalten und eine weitere<br />
Kompetenzübertragung auf supranationale Organe zu verzögern«.<br />
III. Integration und Identität<br />
Im dritten Teil werden Inklusions- (und Exklusions-)Formen sowie Prozesse<br />
der Identitätskonstruktion von Einwanderergruppen untersucht. Matthias<br />
S. Fifka konzentriert sich auf die asiatische Einwanderung in die USA. Der<br />
Schwerpunkt liegt auf den sechs größten Immigrantengruppen: Chinesen,<br />
Japaner, Inder, Philippiner, Koreaner und Vietnamesen. Fifka setzt sich mit<br />
der These auseinander, inwiefern die in der Öffentlichkeit zunehmend als<br />
»model minorities« wahrgenommenen Asiaten tatsächlich als beispielhaft<br />
für eine gelungene Integration angesehen werden können. Nach einem historischen<br />
Überblick der eher durch Diskriminierungen geprägten Einwanderungsgeschichte<br />
analysiert Fifka den Integrationsgrad der einzelnen Gruppen.<br />
Wie der Autor feststellt, konnten die meisten asiatischen Gruppen in<br />
sozio-ökonomischen Feldern (Ausbildungsergebnisse, Einkommen) beachtliche<br />
Fortschritte erzielen, allerdings bleiben sie, was politische Partizipation<br />
anbetrifft, bisher noch deutlich zurückhaltender als andere Minderheiten.<br />
Inwieweit gerade diese Mischung aus ökonomischer Aktivität und politischer<br />
Passivität dazu beiträgt, dass Asiaten – im Kontrast zu den zahlreicheren Hispanics<br />
– in höherem Maße als integrationsfähig gelten, muss offen bleiben.<br />
Auch warnt Fifka davor, Asiaten undifferenziert als »vorbildliche Minderheiten«<br />
zu perzipieren, denn einzelne Minderheitengruppen tun sich bisher<br />
schwer, die Bildungs- und Berufserfolge z. B. der meisten Japaner oder Inder<br />
in den USA nachzuahmen, und so leben beispielsweise viele Kambodschaner<br />
oder Hmong noch immer unterhalb der Armutsgrenze.<br />
Vergleicht man Fifkas Befund mit der asiatischen Einwanderung in Brasilien,<br />
so ergeben sich überraschende Parallelen. Sina Flessel zeigt anhand<br />
der Nikkei, der japanischstämmigen Bevölkerung in Brasilien, dass<br />
die ursprünglich zumeist als Kontraktarbeiter für die aufstrebende bra-<br />
14
Thomas Fischer und Daniel Gossel: Migration in internationaler Perspektive<br />
silianische Landwirtschaft Eingewanderten einen erstaunlichen Aufstieg<br />
erlebten, indem sie sich zum großen Teil selbständig machten oder in die<br />
Städte abwanderten und dort den sozialen Aufstieg über die Bildung erlangten.<br />
In einer ersten Phase konstruierten die Eingewanderten eine »klar<br />
konturierte japanische Identität«. Diese wurde mit zunehmender Dauer ostentativ<br />
zur Schau gestellt. Wirtschaftlich ganz Erfolgreiche integrierten<br />
sich häufig in die brasilianische Gesellschaft. Dadurch entstand eine Spaltung<br />
der japanischen Gemeinschaft. Diese verstärkte sich laut Flessel noch<br />
während und nach dem Zweiten Weltkrieg, als das übersteigerte japanische<br />
Bewusstsein in die Defensive geriet.<br />
Auch Thomas Fischer wählt in seinem Beitrag die Analyseebene der<br />
Einwanderergruppen. In seinem Überblick über die italienischen und die<br />
spanischen Immigranten in Argentinien von ca. 1850 bis ca. 1930 konzentriert<br />
er sich auf die wirtschaftliche und soziale Integration. Fischer<br />
hebt hervor, dass die beiden von ihm untersuchten Einwanderungsgruppen<br />
auf dem Arbeitsmarkt, gemessen an der Situation in den Auswanderungsländern,<br />
relativ erfolgreich waren. Allerdings stellt er Unterschiede<br />
hinsichtlich der Sektoren und Branchen fest, indem etwa Italiener in der<br />
Landwirtschaft präsenter als Spanier waren, während Einwanderer von<br />
der Iberischen Halbinsel im Dienstleistungsbereich außerordentlich gut<br />
vertreten waren. Sodann weist er darauf hin, dass es auch innerhalb der<br />
nationalen Gruppen große Unterschiede gab. So betätigten sich beispielsweise<br />
Basken verhältnismäßig häufig in der Viehwirtschaft. Die regionale<br />
Verbundenheit der Einwanderer spiegelte sich auch im Vereinswesen und<br />
in der Wahl der Heiratspartner. Insgesamt zeigten die Einwanderer zumindest<br />
in der ersten Generation ein stark endogames Heiratsverhalten.<br />
Eine nochmals andere nationale Gruppe fokussiert Anna Holtmannspötter<br />
in ihrem Aufsatz über die polnische Diaspora in Spanien und<br />
Großbritannien im 21. Jahrhundert. Diese rasch wachsende Diaspora ist<br />
laut Holtmannspötter einerseits auf den Zusammenbruch des Sozialismus<br />
und der darauffolgenden Transition in Osteuropa und andererseits auf die<br />
Öffnung dieser osteuropäischen Gesellschaften und deren Teilhabe am europäischen<br />
Integrationsprozess zurückzuführen. Holtmannspötter stellt<br />
vor allem eine Emigration jüngerer Menschen von 18 bis 35 Jahren fest.<br />
In ihren vergleichenden Betrachtungen führt die Autorin aus, dass Großbritannien<br />
für polnische Arbeitssuchende interessanter als Spanien ist. Sie<br />
führt dies unter anderem auf die lange Tradition polnischer Migranten in<br />
England sowie auf eine gut ausgebaute, auf die Polen ausgerichtete Infrastruktur<br />
zurück.<br />
15
Einleitung<br />
IV.Wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte<br />
Im vierten Teil wird auf ausgewählte wirtschaftliche und gesellschaftliche<br />
Aspekte moderner Migrationsentwicklungen eingegangen. Daniel<br />
Gossel beschäftigt sich in seinem Beitrag mit der Diskussion über die<br />
seit den 1950er Jahren wachsende internationale Mobilität von Hochqualifizierten,<br />
also von Absolventen tertiärer (universitärer bzw. zumindest<br />
akademischer) Ausbildungsprogramme. Aufgrund vielfältiger Verflechtungen<br />
mit den USA, Kanada und Australien gehörten britische Fachleute<br />
zu den ersten, die sich in größeren Zahlen von der Attraktivität der anglophonen<br />
Gesellschaften der »Neuen Welt« angezogen fühlten. Am Beispiel<br />
Großbritanniens rekonstruiert Gossel den Wandel der Debatten über die<br />
Brain Drain-Problematik. In diachroner Perspektive wird das Zusammenwirken<br />
verschiedener und variabler Einflussfaktoren deutlich: strukturelle<br />
Rahmenbedingungen, internationaler Wettbewerb, Öffentlichkeitsarbeit<br />
ständischer Interessenorganisationen, Versuche (partei)politischer Instrumentalisierung<br />
und nicht zuletzt Konjunkturen massenmedialer Berichterstattung.<br />
Spielten sich die frühen Auseinandersetzungen über die Abwanderung<br />
von Experten vor allem vor dem Hintergrund dramatisierender<br />
Niedergangsthesen ab, so hat sich inzwischen die Debatte sichtlich entspannt.<br />
Aus britischer Perspektive wird das Phänomen mittlerweile nicht<br />
mehr vorrangig als Bedrohung wahrgenommen; vielmehr sehen sich die<br />
britischen Organisationen als erfolgreiche Akteure in einem immer stärker<br />
globalisierenden Arbeitsmarkt für internationale Fach- und Führungskräfte.<br />
Um Arbeitsmarktfragen – allerdings anderer Art – geht es auch in dem<br />
Beitrag von Hans Dietrich von Loeffelholz. Er untersucht die Arbeitsmarktbeteiligung<br />
von Einwanderern im internationalen Vergleich und hier<br />
insbesondere die Frage nach der Zugänglichkeit von Arbeitsmärkten. Im<br />
Mittelpunkt steht die theoretische und empirische Auseinandersetzung<br />
mit der These, dass kontinentaleuropäische Wirtschaftssysteme, wie z. B.<br />
das Deutschlands oder Frankreichs, den Zugang zu den formalen Arbeitsmärkte<br />
für Immigranten wesentlich restriktiver handhaben, aber dafür<br />
großzügiger seien, wenn es um den Bezug von Sozialleistungen ginge; im<br />
Kontrast hierzu seien die Arbeitsmärkte der angloamerikanischen Systeme,<br />
insbesondere der der USA, wesentlich weniger abgeschottet und reguliert.<br />
Von Loeffelholz kommt zu dem Schluss, dass es für diese These von der<br />
Offenheit bzw. Geschlossenheit der jeweiligen Arbeitsmärkte keine substantielle<br />
Evidenz gibt. Mit Ausnahme illegaler und informeller Arbeits-<br />
16