Leseprobe (PDF) - Allitera Verlag
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Bucher<br />
..<br />
machen<br />
Menschen<br />
Mit einem Vorwort von<br />
Ilija Trojanow
InhALT<br />
Vorwort von Ilija Trojanow · Die unerträgliche Schwere des Buches 6<br />
MAchen 10<br />
Ewald Arenz · Hundstage 12<br />
Dr. Thomas Kraft · Von der Idee bis zum fertigen Buch 14<br />
Britta Egetemeier · Lektorendasein 20<br />
Patrick Tümmers · Quantensprünge des Wissens<br />
Interview mit Dr. Eberhard Wolf · Das Cover – Straßenschild<br />
26<br />
der Buchhandlung 32<br />
Interview mit Paul Pustet · Die Druckerei, Geburtsstätte des Buches 40<br />
Dr. Wolfram Göbel · Gehört dem digitalen Publizieren die Zukunft?<br />
Karin Terstappen · Vom Gautschen und Bücherheilen:<br />
48<br />
das Buchbinderhandwerk 56<br />
VerBreITen 68<br />
Thomas Zirnbauer · Beziehungsarbeit für Bücher 70<br />
Dr. Johannes Frimmel · Auf der Buchmesse 78<br />
Dr. Roswitha Buddeus-Budde · Jugendliteraturkritik im Feuilleton 84<br />
Daniela Börger · Heute hier, morgen dort 90<br />
Theresa Lang · Herr Böttger und das Einsternbuch 96<br />
Michael Lemling · »Was bei Lehmkuhl auf dem Flügel liegt …« 104<br />
Julia Meck · Buchhandlung Hugendubel 112<br />
Interview mit Lisa Marie Neubeck und Ursula Thym ·<br />
Eine Bücherei ist eine Bücherei ist eine Bücherei 118<br />
Dr. Sven Kuttner · Von unikal bis unzüchtig 126<br />
Interview mit Ina Fuchshuber · neobooks – die neuen Bücher 134<br />
erLesen 138<br />
Vicky Marie Eichhorn · Die Bibel 140<br />
Daniela Kuhn · Lesen macht Spaß! 150<br />
Christina Knödler · Endlich erwachsen 160<br />
Dr. Tobias Heyl · Das Medium fürs Grundsätzliche 166<br />
Dr. Antonie Magen · Making of Eichendorff 172<br />
Julia Meck · Barrierefreies Lesen? 180<br />
Dr. Michael Roesler-Graichen · Enriched E-Books<br />
Interview mit Karla Paul und Marcel Koch · LovelyBooks –<br />
188<br />
die Verbindung von Social Media und Büchern 196<br />
Felix Scheuerecker · BookCrossing.com oder der Optimismus 208<br />
Jochen Malmsheimer · Bücherhaltung 216<br />
Die Autoren 226<br />
Register 234<br />
Danksagung 238<br />
Bildnachweis 240<br />
Impressum 240
Die unerträgliche schwere<br />
des Buches<br />
Man kann auch an Büchern schwer zu tragen haben. Ähnlich wie bei<br />
den Menschen kann das einzelne Buch zauberhaft sein, oft unterhaltsam,<br />
manchmal wertvoll, immer wieder eine Verführung. Doch als<br />
uniformierte Kohorte kann einem das Buch schwer zusetzen und seine<br />
Reize allzu schnell verlieren. Davon kann ich ein Lied singen, auch<br />
wenn es ob der vielen darin enthaltenen verstöhnten Töne ein wenig<br />
schief klingen dürfte.<br />
Die erste Lieferung erfolgte am frühen Morgen. Als blutjunger<br />
Verleger (24 Jahre alt, keine Berufserfahrung und kein Geld, abgesehen<br />
von 5.000 D-Mark, die ich mir zusammengeliehen hatte, sowie<br />
einem Überziehungskredit bei einer namhaften Bank, genehmigt von<br />
einem Herrn mit dem Namen Marx) wusste ich nicht, was eine Auflage<br />
von zweitausend Exemplaren in realiter bedeutet, ebenso wenig<br />
war mir bewusst, dass die Anlieferung immer zum frühestmöglichen<br />
Termin erfolgt – wenn also »zwischen 7 und 12« angegeben ist, genau<br />
um 7 Uhr in der Früh. Eine Auslieferung hatten wir noch nicht (auch<br />
keine Vertreter, auch keinen Steuerberater, erst recht keinen Anlageberater),<br />
die Bücher würden, so hatte ich es mir ausgemalt, im Innenhof<br />
unseres bescheidenen <strong>Verlag</strong>srefugiums in München-Schwabing<br />
abgeladen werden, bevor wir sie irgendwo im Gang unseres Büros<br />
aufstapeln würden.<br />
Doch zweitausend Bücher wiegen so schwer wie ein Auto, wie ein<br />
Nashorn, wie fünf Barriquefässer, wie ein Fluch oder eine peinliche<br />
7
Erinnerung. Auf einer Europalette und mit Kunststoff über zogen,<br />
wirken sie überschaubar und gar nicht so einschüchternd. Doch<br />
kaum hatten wir – noch schlaftrunken und dem historischen Moment<br />
nicht gewachsen – die Folie aufgeschlitzt und abgerissen, kaum<br />
hatten wir jeder zehn Exemplare hineingetragen und hinter der Tür<br />
abgelegt, wurde uns die belastende Seite unseres Wagemuts offenbar.<br />
Der Morgen zog sich in die Länge, der Stapel wurde nur unmerklich<br />
kleiner, der Gang verengte sich merklich. Die Freude, die ich bei<br />
dem ersten durchgeblätterten und zärtlich in den Händen gehaltenen<br />
Exemplar noch empfunden hatte, verging, bis ich die Entscheidung,<br />
derartige Mengen eines einzigen Buches in Druck gegeben zu haben,<br />
zutiefst bedauerte. Meine Bibliothek umfasste ja auch Hunderte von<br />
Büchern, aber es waren tausend unterschiedliche Titel. Die uniform<br />
weißen Umschläge begannen mich zu irritieren. Erst im Verlaufe des<br />
Nachmittags hatten wir das Umlagern abgeschlossen und den Innenhof<br />
freigeräumt, immer wieder unterbrochen von Telefonanrufen<br />
und den neugierigen Fragen der Nachbarn auf ihrem Weg zur Arbeit<br />
oder zum Einkaufen. Nach getaner Arbeit setzten wir uns auf die<br />
zwei Stühle hinter unseren zwei Resopaltischen, die wir dem Sperrmüll<br />
entrissen hatten, schlürften von unserem Nescafé und warteten<br />
darauf, dass die ersten Bestellungen eintrudelten.<br />
Stattdessen klopfte drei Monate später ein hagerer Mann an unsere<br />
Tür und forderte Einlass, ein weißes Buch schwenkend wie ein<br />
Parteibuch. Es handelte sich um ein Exemplar des allerersten Titels<br />
unseres <strong>Verlag</strong>s, den wir bekanntlich in einer optimistischen Auf age<br />
von zweitausend Exemplaren hatten drucken lassen, die seitdem unseren<br />
Gang beengte. Fast täglich stieß ich mich an den Kanten dieser<br />
aufdringlich in unseren Alltag hineinragenden Bücher. Manchmal<br />
legten wir einen Regenschirm (trocken) oder einen Hut auf dem<br />
obersten der eingeschweißten Bücher ab, manchmal vergaßen wir<br />
dort eine leere Kaffeetasse, die erst wiederentdeckt wurde, wenn per<br />
Post (ja, so schneckig waren die Zeiten) einer jener auf dünnem Papier<br />
gedruckten Bestellzettel hereinfatterte (es wurde immer nur ein<br />
8<br />
Exemplar bestellt). Der Mann war erzürnt, das merkte man sofort, er<br />
schlug das Buch auf und bohrte seinen Finger in dessen Eingeweide<br />
hinein, auf jede wunde Stelle – er hatte jeden Übersetzungsfehler, jeden<br />
Grammatikfehler, jeden Schreibfehler und jeden Satzfehler mit<br />
einem dicken Filzstift angestrichen, und er ließ sich nicht davon abhalten,<br />
uns einen jeden dieser Fehler unter die Augen zu halten, unter<br />
die Nase zu reiben. Kaum war er fertig mit seiner als Tirade getarnten<br />
Qualitätskontrolle, lehnten wir uns erschöpft zurück. Ich stellte<br />
mir vor, dass all diese Fehler nicht nur in einem Buch auftauchten,<br />
sondern in allen noch verbliebenen 1.789 Exemplaren, vor meinem<br />
inneren Auge addierten sich die Fehler, akkumulierten sich zu einem<br />
monströsen Fehlerkapital, und mir war in meinem Unglück nur danach,<br />
die restlichen Exemplare als Altpapier zu entsorgen, zumal wir<br />
in der Zwischenzeit herausgefunden hatten, dass die Druckerei (Kösel<br />
in Kempten) so schlechte Arbeit geleistet hatte, dass viele der Exemplare<br />
nicht verkauft werden konnten. Ich vermute, simple Feigheit hielt<br />
mich von diesem Befreiungsschlag ab.<br />
Einige Wochen später erschien in der Süddeutschen Zeitung eine<br />
sehr wohlwollende Rezension, und wir mussten die Bücher alle wieder<br />
zur Post bringen, nicht nur einzeln, sondern jetzt sogar als Partien.<br />
Auf die erste Rezension folgten weitere, die Bestellungen wurden<br />
häufiger und großzügiger, mir blieb nichts anderes übrig, als mich<br />
eines Frühlingstages hinzusetzen und alles über Buchauslieferungen<br />
zu lesen, was ich finden konnte. Wir waren zwar Verleger, aber wir<br />
mussten die Bücher loswerden. Denn dem wahren Gewicht der Bücher<br />
täglich ausgesetzt zu sein, war offensichtlich nichts für mein zartes<br />
Gemüt und meine untrainierten Schultern.<br />
Ilija Trojanow<br />
9
MAchen<br />
Text, Papier, umschlag – Bücher sind scheinbar simple<br />
Gegenstände. Aber wissen sie eigentlich, was alles<br />
passieren muss, bevor ein fertiges Buch den Weg in Ihr<br />
regal findet? es beginnt meist an einem Ort, der nur<br />
einer Person zugänglich ist: im Kopf des Autors. er<br />
arbeitet die Idee aus und trägt sie nach außen – und<br />
muss sich oft damit abfinden, dass der Lektor sie<br />
kritisch hinterfragt, zerpflückt, neu aufbaut. und selbst<br />
wenn dieser irgendwann das fertige Manuskript in den<br />
händen hält, ist die Arbeit noch lange nicht getan.<br />
Ob Korrektur, Typographie oder covergestaltung:<br />
es gilt, dem Buch ein Gesicht zu geben, denn auch der<br />
schönste Inhalt will angemessen verpackt sein. später<br />
erhält das Buch in der Druckerei in Form von losen<br />
Blättern erstmals seine physische Gestalt, bevor die<br />
einzelteile in der Buch binderei schließlich zu einem<br />
großen Ganzen zusammengefügt werden. erst hier<br />
wird die Idee von einem Buch tatsächlich zum Buch.<br />
Der Weg ist lang, und nur, wenn alle Beteiligten ein<br />
gemeinsames Ziel vor Augen haben, steht an seinem<br />
ende ein Buch, das repräsentiert, was der Autor zum<br />
Ausdruck bringen wollte.<br />
10 Machen 11
hundstage<br />
Der Verleger stützte elegant das Kinn in die Hände. Das sah gut aus<br />
bei ihm, und das wusste er auch. Er musterte mich nachdenklich.<br />
Ich stand vor seinem Schreibtisch und versuchte mich zu setzen, was<br />
nicht gut aussah, weil der <strong>Verlag</strong>sdalmatiner eins meiner Beine umklammert<br />
hielt. Seine Zunge hing heraus, und er schien sich sehr über<br />
mein Bein zu freuen. Einen Augenblick lang fragte ich mich, ob das<br />
vielleicht Verhandlungspsychologie war. Man kennt diese Bücher zur<br />
Firmenberatung. Aber andererseits konnte ich mir Sätze wie »Bringen<br />
Sie den Verhandlungspartner in eine emotional unterlegene Situa tion.<br />
Verwenden Sie dazu einen freudig erregten Dalmatiner …« in einer<br />
Kinsey-Broschüre nur schwer vorstellen. Schließlich saß ich doch.<br />
Der Verleger sah mich schweigend, aber freundlich an. Ich schwieg<br />
auch, weil ich nicht genau wusste, worum es bei unserem Gespräch<br />
heute ging. »Es gibt ein Problem«, sagte der Verleger schließlich in<br />
sanftem Ton. »Ich weiß«, sagte ich erleichtert, aber dann merkte ich,<br />
dass er gar nicht den mittlerweile sehr fröhlichen und etwas kurzatmig<br />
hechelnden Hund meinte, sondern mich. Ich versuchte, dem<br />
Hund mein Bein zu entziehen, aber das hatte ein ganz und gar unfröhliches<br />
und plötzliches Knurren zur Folge, woraufhin ich beschloss,<br />
die Besitzansprüche an meinem Bein vorübergehend aufzugeben.<br />
»Hat es wieder Leserbriefe gegeben?«, fragte ich vorsichtig, »von den<br />
Zeugen Jehovas? Wegen der Liebesszene in der Sakristei? Also, ich<br />
kann das in der nächsten Aufage umschreiben, das Thema ist ja viel-<br />
leicht auch ein bisschen abgebraucht, da können wir …« Mein Bein<br />
stieß jetzt rhythmisch gegen den Schreibtisch des Verlegers, aber es<br />
war ja im Augenblick gar nicht mein Bein, also ging mich das auch<br />
nichts an. »Keine Leserbriefe«, sagte der Verleger und streichelte geistesabwesend<br />
seinen Hund, »aber die nächste Aufage ist tatsächlich<br />
das Problem.« – »Wieso?«, fragte ich plötzlich alarmiert, »was ist<br />
mit der nächsten Aufage?« – »Es gibt keine«, sagte der Verleger und<br />
schlug höfich die Augen nieder.<br />
Ein paar Augenblicke lang klirrten nur gleichmäßig die Gläser auf<br />
dem Schreibtisch und bewegten sich Stück für Stück auf den Rand<br />
zu. Ich beugte mich wütend vor: »Das Buch«, sagte ich zwischen den<br />
Zähnen, »hat ausgezeichnete Kritiken bekommen. Es ist mein bestes<br />
bisher. Es ist wirklich gut.« – »Ja«, gab der Verleger zu, »es ist sogar<br />
sehr gut. Aber«, sagte er nach einer kurzen Pause sehr sanft, »es verkauft<br />
sich nicht!« Der Hund schnappte ekstatisch nach Luft, erzitterte<br />
und fiel dann um. Das Klirren der Gläser hörte auf. Mein Bein gehörte<br />
wieder mir. »Und was«, fragte ich nach einer ganzen Weile verstimmt,<br />
»soll ich jetzt tun?« – »Es gibt für alles eine Lösung«, sagte der Verleger<br />
vergnügt, »die Welt will wahre Geschichten, also geben wir ihr welche.«<br />
– »Wahr?«, fragte ich völlig entgeistert, »wahr? Ich bin Schriftsteller.<br />
Wahr kann ich gar nicht!« – »Wahr!«, sagte der Verleger, »ungeschönt.<br />
Direkt aus dem Leben!« – »Wahr? Mit Sex, wie er wirklich<br />
ist? Mit Leuten, wie sie wirklich sind?« – »Wahr!«, nickte der Verleger<br />
zufrieden und streichelte seinen Hund, »und dann reden wir auch<br />
noch mal über die zweite Aufage, ja?« Ich stand seufzend auf. »Sklaventreiber«,<br />
murmelte ich, aber dann fiel mein Blick noch einmal auf<br />
den Hund. Ich hätte schwören können, dass er lächelte, und plötzlich<br />
wusste ich, wie die erste Geschichte des neuen Buches aus sehen musste.<br />
Sie würde dem Verleger nicht gefallen, dachte ich auf der Treppe<br />
nach unten, aber dann grinste ich und zuckte die Schultern. Dieses<br />
Buch war ja schließlich nicht meine Idee gewesen, und vielleicht würden<br />
die Tantiemen diesmal sogar für einen neuen Anzug reichen.<br />
Ewald Arenz<br />
12 Machen Hundstage 13
Von der Idee bis zum<br />
fertigen Buch<br />
»Wie kamen Sie zu dieser Idee?« Die wohl meistgestellte Frage in Bezug<br />
auf die Entstehung eines Buches. Ob Autor oder Lektor – nicht immer ist<br />
ein Geistesblitz oder der Kuss einer Muse für die Schöpfung eines Werkes<br />
entscheidend. Wie man aus einem Eimer voll Ideen richtig schöpft, verrät<br />
Thomas Kraft, Programmleiter beim <strong>Verlag</strong> LangenMüller und Autor,<br />
der unter anderem auch Musikanthologien wie Beat Stories, Rock Stories<br />
und zuletzt Punk Stories heraus gegeben hat.<br />
herr Kraft, wie entwickeln sie als Autor eine Idee für ein<br />
Buchprojekt?<br />
Das ist in der Regel ganz persönlichen Interessen geschuldet. Ich würde<br />
nie etwas nur im Hinblick auf irgendeine marktstrategische Lücke oder<br />
Erwartungshaltung machen, die mir der Markt offeriert. Wenn ich persönlich<br />
keine Affinität zu einem Thema habe, dann fällt mir auch nichts<br />
ein, und ich kann auch keine Leute dafür begeistern. In der Regel, wie<br />
bei den Beat Stories zum Beispiel, handelt es sich bei meinen Projekten<br />
um Low-Budget-Projekte, für die es kein Geld gibt. Es wird allerdings<br />
versucht, die Autoren bei möglichst vielen Veranstaltungen unterzubringen,<br />
für die sie als Ausgleich Honorare erhalten. Bei solchen<br />
Projekten muss man natürlich für die Idee brennen, sonst kann man<br />
niemanden überzeugen. Meine Interessensgebiete sind weitgestreut.<br />
Wie stehen sie zur Musik? hebt sich dieses Thema bei Ihnen<br />
gegenüber anderen Interessen ab?<br />
Auch wenn ich leider im klassischen Sinne unmusikalisch bin, ist<br />
Musik immer ein großer Teil meines Lebens gewesen. Ich bin mit<br />
dem American Forces Network (AFN), dem Rundfunksender der<br />
amerikanischen Streitkräfte in Europa, aufgewachsen und habe in<br />
der Schule aufgelegt, wenn Partys stattfanden. So hat mich die Musik<br />
immer begleitet. Ich wurde Fan von Bands, ging auf Konzerte, und<br />
daraus entwickelte sich der Wunsch, mein Faible für Musik mit einer<br />
anderen Leidenschaft zusammenzubringen, nämlich der für Literatur.<br />
Ich kam dann auf die Idee für die Beat Stories, ein Buchprojekt,<br />
das zum Erfolg wurde und mit dem wir auf viele Veranstaltungen<br />
eingeladen worden sind.<br />
Wo akquirieren sie für derartige Projekte die Autoren?<br />
Das ist eine Mischung aus Freunden, Bekannten und Menschen, mit<br />
denen man bereits berufich zu tun hatte. Aber auch Leute, deren Arbeit<br />
man kennt und für die man sich interessiert. Ich würde nicht<br />
wahllos Gott und die Welt anschreiben, sondern gehe gezielt auf<br />
mögliche Autoren zu.<br />
Wie haben sie Ihre Projekte realisiert, als sie noch nicht in der<br />
<strong>Verlag</strong>sbranche tätig waren? War es für sie schwierig, einen <strong>Verlag</strong> für<br />
Ihre Projekte zu finden?<br />
Mein erstes eigenes Buchprojekt war eine Hommage an den Schriftsteller<br />
Edgar Hilsenrath. Ich bin damals zum Piper <strong>Verlag</strong> marschiert,<br />
ohne jemanden dort zu kennen, weil das der <strong>Verlag</strong> des Autors war.<br />
Dort habe ich erklärt, wer ich bin, dass ich Edgar Hilsenrath sehr<br />
schätze und es schade finde, dass dieser eher unbekannt ist. In Hinblick<br />
auf den bevorstehenden 70. Geburtstag des Autors fragte ich,<br />
ob man dazu nicht eine Anthologie mit Texten von Literaturwissenschaftlern<br />
und Autoren zusammenstellen könne, die Herrn Hilsenrath<br />
ebenso schätzen wie ich. Der <strong>Verlag</strong> hat eingewilligt, und ich<br />
14 Machen Von der Idee bis zum fertigen Buch 15
habe daraufhin ein Konzept erstellt, mögliche Autoren recherchiert<br />
und letztendlich das Buch veröffentlicht. Daraus haben sich dann<br />
wieder andere ähnliche Projekte entwickelt. So habe ich in diesem<br />
Bereich Fuß fassen können. Sie müssen nicht unbedingt wissen, wie<br />
ein Buch funktioniert, aber Sie müssen Enthusiasmus für eine Sache<br />
mitbringen und Ahnung von der Materie haben.<br />
Wie handhaben sie bei Ihrer täglichen Arbeit im <strong>Verlag</strong> unverlangt<br />
eingesandte Manuskripte?<br />
Die Programmleiter treffen eine wöchentliche Vorauswahl, dann unterziehen<br />
wir die Texte einer eingehenden Prüfung. Ich schaue mir<br />
dann das Anschreiben an, lese in den Text rein, versuche zu erfassen,<br />
worum es geht. Vor drei Wochen gefiel mir ein Manuskript so gut,<br />
dass ich den ganzen Nachmittag darin gelesen habe. Am Abend rief<br />
ich den Autor an und sagte ihm, dass ich das Buch machen will. Das<br />
kommt vor, auch wenn klassischerweise 98 Prozent der unverlangt<br />
eingesandten Manuskripte durchfallen. Aber es wird immer mal wieder<br />
eins herausgefischt.<br />
Auch von völlig unbekannten Autoren?<br />
Völlig unbekannt. Der Autor des Manuskripts war ein Drehbuch autor,<br />
hatte zuvor noch nie ein Buch gemacht. Er kann natürlich schreiben.<br />
Er wusste auch, wohin es zielen sollte und dass es uns interessieren<br />
könnte, da er ein Buch bei uns gesehen hatte, das eine ähnliche Thematik<br />
behandelt.<br />
Welche Möglichkeiten hat denn ein Autor, sein Buch selbst zu<br />
vermarkten?<br />
Selbst wenn man wie ich Kontakte hat, heißt das noch gar nichts. Es<br />
gibt immer weniger Redakteure und immer weniger Literaturseiten.<br />
Die Zeitungen werden zugeschüttet mit <strong>Verlag</strong>svorschauen, Rezensionsangeboten<br />
und Veranstaltungshinweisen. Für bestimmte Bücher<br />
sind die Medien ganz entscheidend, für andere braucht man den<br />
Buchhandel, weil sie nicht feuilletontauglich sind. Es gibt Bücher, die<br />
von Buchhändlern gehyped oder ignoriert werden, da nützt Ihnen<br />
eine aufwendige Medienkampagne gar nichts. Aber gerade für etwas<br />
anspruchsvollere Literatur geht der Weg natürlich über das Feuilleton.<br />
Es gibt aber auch immer wieder Fälle, in welchen Titel phänomenale<br />
Presse hatten, sich aber trotzdem nicht verkauft haben. Heutzutage<br />
probieren Autoren, die keinen <strong>Verlag</strong> finden, eine andere Option<br />
und übernehmen den Vertrieb und das Marketing selbst. Sie haben<br />
oft auch nicht den Anspruch, eine riesige Aufage zu verkaufen, da im<br />
Eigenverlag die Einnahmen durch den Buchverkauf nach Abzug der<br />
Druckkosten sowieso bei ihnen bleiben. Man druckt dann über Books<br />
on Demand oder ein ähnliches Unternehmen, vertreibt seine Bücher<br />
über die eigene Homepage, geht selbst in die Buchhandlungen.<br />
Wie stehen sie als Autor selbst zum Lektorat? Was halten sie vom<br />
eingriff in Ihre Texte?<br />
Das Lektorat ist der Partner, darauf freue ich mich, und ich erwarte<br />
richtige Kritik, damit das Buch am Ende besser wird. In der Regel<br />
beschäftigt man sich als Autor mit einem Text sehr intensiv und mit<br />
16 Machen Von der Idee bis zum fertigen Buch 17
sehr viel Herzblut. Man entwickelt dadurch einen Tunnelblick und<br />
sieht die eigenen Fehler nicht mehr.<br />
Würden sie es als Vorteil sehen, dass sie selbst die Aufgabe des<br />
Lektors kennen und wissen, wie es ist, einen Text zu lektorieren?<br />
Ich sehe das eher andersherum. Weil ich in gewisser Weise die Autorenseite<br />
kenne, kann ich mich als Lektor sehr gut in Autoren hineinversetzen.<br />
Nur die Hälfte ist Textarbeit, vor allem aber kommt es<br />
darauf an, auf den Menschen einzugehen. Man muss versuchen, seine<br />
Kritik sehr sachlich und am Text begründet zu formulieren, und zwar<br />
in einer Dosis, die der jeweilige Autor gut verträgt. Das ist etwas, das<br />
man lernen muss, das viel Empathie erfordert.<br />
Gibt es ein Geheimnis, wie man die Kunst des schreibens erlernen<br />
kann? Was halten sie von Kursen wie Kreatives Schreiben oder<br />
Manuskriptum?<br />
Es gibt genug Autoren, die aus diesen Seminaren herausgekommen<br />
sind und erst dadurch zu guten Autoren geworden sind. Ich denke,<br />
dass diese Kurse ein gutes Forum sind, um das Handwerk des Schreibens<br />
zu erlernen. Es gibt allerdings auch den Vorwurf, dass dabei am<br />
Ende eine gestanzte Literatur herauskommt. Ich habe vor Kurzem<br />
selbst ein Manuskript von einer Autorin aus so einer Schmiede abgelehnt.<br />
Sie konnte durchaus schreiben, aber mir fehlte in gewisser<br />
Weise der Autorenmehrwert – diese persönliche Note, die den Text<br />
zu etwas Besonderem macht.<br />
Fehlte hierbei die tolle Idee?<br />
Nein, die Idee war gut. Es gibt viele tolle Ideen, aber es kommt auf<br />
die Umsetzung an. Mit einem tollen Stoff kann man zunächst sicher<br />
überzeugen, aber wenn er nicht gut umgesetzt ist, bringt es einen<br />
nicht weiter. Das A und O ist, wie gut jemand mit Sprache umgehen<br />
kann.<br />
Was kann ein Autor machen, um ein Manuskript aufzuwerten, damit es<br />
bei einem <strong>Verlag</strong> besser wahrgenommen wird?<br />
Es gibt kein Patentrezept, da jeder Lektor auf etwas anderes reagiert.<br />
Allerdings muss man sich darüber im Klaren sein, dass die Stapel von<br />
Manuskripteinsendungen meistens recht hoch sind. Es ergibt also<br />
Sinn, nicht den gesamten Text zu schicken, sondern eine <strong>Leseprobe</strong><br />
von 20 bis 30 Seiten. Außerdem ist es immer schön, wenn ein Anschreiben<br />
beiliegt, damit man den Autor kennenlernen kann. Manche<br />
Lektoren freuen sich auch über ein Foto, damit man sich ein Bild von<br />
der anderen Person machen kann. Für spätere Marketing- und Pressearbeit<br />
kann dies auch sehr wichtig sein. Es sollte eine schöne Bewerbungsmappe<br />
sein: ordentlich, modern, optisch ansprechend. Vor allem<br />
aber sollte sie kompakt Informationen liefern, und die <strong>Leseprobe</strong><br />
sollte gut ausgewählt sein.<br />
18 Machen Von der Idee bis zum fertigen Buch 19
Lektorendasein<br />
Himmel und Hölle eines Berufs, der nicht einer ist, sondern viele<br />
Der Lektor, denkt man gemeinhin, hat seine Lieblingsbeschäftigung<br />
zum Beruf gemacht. Er liest den ganzen Tag. Und wird dafür sogar<br />
noch bezahlt. Das ist fantastisch. Und weil so viel Liebe im Spiel ist,<br />
gibt’s auch so wenig Geld.<br />
Deshalb hat der Lektor viele Nebenbeschäftigungen …<br />
Der Wahrsager<br />
»Wie viel werden die Rechte kosten?«<br />
»Wird das Buch ein Erfolg werden?«<br />
»Wie hoch ist die Planzahl?«<br />
»Wie viele Exemplare sollen wir nachdrucken?«<br />
Der spieler<br />
Fünf Seiten Exposé, 17 Angebote in der ersten Runde der Auktion.<br />
»Ihr bestes Angebot auf der Basis von 150.000 Euro, bitte!«<br />
Der gute Kaufmann<br />
»Wie viel werden die Rechte kosten?«<br />
»Wird das Buch ein Erfolg werden?«<br />
»Wie hoch ist die Planzahl?«<br />
»Wie viele Exemplare sollen wir nachdrucken?«<br />
Der Jurist<br />
Der Lektor versichert und steht dafür ein, dass das Werk des Autors<br />
und die von ihm beschafften Materialien keine Rechte Dritter verletzen,<br />
insbesondere keine Persönlichkeitsrechte. Der Lektor steht dafür<br />
ein, dass das Werk des Autors, insbesondere hinsichtlich tatsächlicher<br />
Behauptungen, sorgfältig recherchiert ist und dass Beweise für rechtsbeeinträchtigende<br />
Behauptungen lückenlos vorliegen.<br />
Bei erkennbar abgebildeten Personen ist deren Einverständnis<br />
mit der Veröffentlichung nachzuweisen. Erkennbarkeit liegt, auch<br />
bei romanhaften Erzählungen, schon dann vor, wenn die nähere persönliche<br />
Umgebung einer im Werk vorkommenden lebenden oder<br />
verstorbenen Person aufgrund individualisierender Merkmale wie<br />
Schilderungen von Einzelheiten des Lebenslaufs, Angaben der Berufstätigkeit,<br />
des Wohnorts, des Namens oder Teilen davon sowie<br />
sonstiger Umstände Rückschlüsse auf deren Identität zulässt.<br />
Der gute Psychologe<br />
Oder sieben Sätze, die einen Lektor nicht sprachlos machen sollten:<br />
»Ich erwarte den Nobelpreis.«<br />
»Ich schreibe, um geliebt zu werden.«<br />
»Der <strong>Verlag</strong> braucht nur einen Autor: mich!«<br />
»Ich werde nie wieder eine Silbe schreiben.«<br />
»Verhindern Sie diese Kritik.«<br />
»Soll ich meine Frau verlassen?«<br />
»Warum haben wir nur 120.000 Bücher verkauft?«<br />
Der Produktmanager<br />
Hier kommt der Markt ins Spiel, und damit wird es ernst. Was wäre<br />
die glänzende Literaturbranche ohne ökonomische Rationalitäten?<br />
Der Lektor wird heute Produktentwickler oder Produktmanager<br />
genannt – wie in der Industrie. Gut, so macht man sich zumindest<br />
nichts vor. Ohne vorangehende Kalkulation kann man kein Projekt<br />
mehr vorschlagen. Es reicht nicht, dass ein Buch gut oder sehr gut<br />
20 Machen Lektorendasein 21
geschrieben ist – im Gegenteil, das ist das Mindeste. Was ist die Geschichte<br />
hinter dem Buch? Was könnte die Presse interessieren? Das<br />
sind die Fragen, um die es geht. Als Everest-Bezwinger muss man<br />
heutzutage schon blind, depressiv oder einbeinig sein, um über seine<br />
Erlebnisse schreiben zu dürfen. Manchmal allerdings lässt sich mit<br />
Verweis aufs Programmprofil oder mithilfe des Zauberworts »Mischkalkulation«<br />
auch ein »marktfernes« Buch realisieren – das dann<br />
unter bestimmten Bedingungen der sogenannte Überraschungsbestseller<br />
werden kann.<br />
Ist man sich mit dem Autor oder, viel öfter noch, mit dessen<br />
Agenten über den Vertrag einig, folgt die Produktentwicklung. Der<br />
sozial kompetente, gut vernetzte Produktmanager entwickelt zusammen<br />
mit Verleger, Herstellung, Vertrieb, Marketing, Werbung, Presse<br />
(und dem Autor) Titelformulierung, Umschlagkonzept, Vorschau-<br />
und Klappentext; er erwägt mit ihnen Format, Umfang, Abbildungen,<br />
Ladenpreis, Warengruppe, Erscheinungszeitpunkt, Marketing,<br />
Pressestrategie … Sonst noch etwas? Ach ja, richtig, es gibt auch einen<br />
Inhalt! Das Buch muss schließlich gelesen werden! Ein erfolgreicher<br />
Produktmanager bewegt möglichst viele dazu, aus einer Masse<br />
an Neuerscheinungen genau diese eine lesen zu wollen – zuerst im<br />
eigenen <strong>Verlag</strong>, und dann in der Welt da draußen. Gut ist Produktentwicklung<br />
dann, wenn sie Lust aufs Lesen macht. Das ist ihre Aufgabe.<br />
Für jedes einzelne Buch stets aufs Neue.<br />
Der Werbetexter<br />
Ein brillantes oder brisantes Buch. Ein Buch, das einem den Atem<br />
nimmt oder die Augen öffnet. Ein solches Buch hat es in der deutschen<br />
Literatur schon lange nicht mehr oder überhaupt noch nie<br />
gegeben. Ein großer Roman oder ein kleines Juwel. Überfällig oder<br />
vollkommen überraschend. Preisgekrönt oder ohne jeden Zweifel<br />
preiswürdig. Lehrreich, lustvoll oder doch lieber lebensklug? Wie es<br />
Euch gefällt. Wichtigstes Werkzeug beim Verfassen der Werbetexte:<br />
das Synonymwörterbuch.<br />
Der gute Freund<br />
»Wir sind der solidarischste Leser, den der Autor hat«, sagt der Verleger.<br />
Und, hat er nicht recht? Wir haben vor, das Werk des Autors<br />
zu veröffentlichen, sein Ansehen (und das des <strong>Verlag</strong>s) zu mehren.<br />
Das steht außer Frage und lässt uns meist kritischer und solidarischer<br />
sein als Mann oder Frau, bester Freund, Sohn oder Vater des Autors.<br />
Und doch ist’s für den guten Freund die schwerste Aufgabe zu sagen,<br />
wenn etwas nicht gut ist oder noch nicht gut genug.<br />
»Ich will Dir sagen: Ich hatte angefangen, den Roman zu lesen,<br />
und gesehen, dass er mir nicht gefiel. […] Wer hat Dir beigebracht,<br />
solches Zeug zu schreiben? Wo ist die schöne, trockene und saubere<br />
Sprache Deiner Erzählungen hin? Was liest Du?«, schrieb Italo Calvino1<br />
an einen Autor.<br />
Der Kameltreiber<br />
»Lieber Herr B., die 320 Seiten, die Sie bereits abgegeben haben, sind<br />
eine Offenbarung; wir haben Ihnen sehr zu danken. Ich weiß, wie viel<br />
Ihnen daran liegt, noch das große Kapitel zu Ihrem Hauptforschungsgebiet<br />
zu schreiben. Aber Sie wissen auch, dass uns keine Zeit mehr<br />
bleibt, wenn Ihre Autobiographie zu Ihrem 80. Geburtstag erscheinen<br />
soll. Bitte bedenken Sie noch einmal unseren Vorschlag, das Manuskript,<br />
so wie es jetzt ist, zu veröffentlichen. Das wäre aus unserer<br />
Sicht kein Kompromiss. All Ihre anderen Bücher widmen sich Ihrer<br />
wissenschaftlichen Theorie, in Ihrer Autobiographie bildet sie außerdem<br />
schon jetzt einen gewichtigen Schwerpunkt in der Einführung<br />
ebenso wie im Schlusskapitel …«<br />
Herr B. lehnte ab. Der 80. Geburtstag kam, in den überregionalen<br />
Zeitungen erschienen große Würdigungen; was nicht erschien, war<br />
die Autobiographie. Im 81. Jahr stirbt Herr B. Ein Jahr später wird<br />
seine Autobiographie veröffentlicht, ohne dass er seit jenem Brief<br />
1 Noch größere Strenge ist in seinen Briefen nachzulesen: Italo Calvino: Ich bedaure, daß<br />
wir uns nicht kennen: Briefe 1941-1985. Herausgegeben von Franziska Meier. München<br />
2007.<br />
22 Machen Lektorendasein 23
noch eine Seite ergänzt hätte. So sei es. Oder umgekehrt: »Hier ist<br />
das Manuskript. In sechs Wochen ist der einzig mögliche Termin für<br />
die große Pressekonferenz. Das schaffen wir doch, oder?« So sei es.<br />
Hersteller, Setzer, Korrektoren, Drucker, Auslieferer – ein paar Nachtschichten,<br />
bitte!<br />
Der reisebegleiter<br />
»Vergessen Sie nicht, einen Mantel mitzunehmen, gegen Ende der<br />
Woche soll es kalt werden in Berlin.« – »Ja, wir haben den Check-in<br />
für Sie erledigt.« – »Wie bitte, Sie haben die Bordkarte verloren auf<br />
dem Weg zum Gate? Ja, ich bin schon am Flughafen in Wien, um Sie<br />
abzuholen. Zwei Maschinen später? Gut, ich warte. Die ersten beiden<br />
Interviews sagen wir ab.« – »Tatsächlich, Sie sind zum ersten Mal in<br />
Deutschland?«<br />
Es hätte für diese Gelegenheit wahrlich andere Städte gegeben<br />
als, sagen wir, Mainz, aber es musste sein, wegen des Fernsehens.<br />
Ohne Fernsehen geht ja nichts mehr in der Welt der Literatur. Also<br />
wird Ortskenntnis verlangt, ein bisschen Stadtgeschichte, auch<br />
wenn der Lektor selbst noch nie zuvor in Mainz gewesen ist. Wo ist<br />
ein gutes, ein typisches Restaurant? »Mayence, c’est ça en français,<br />
n’est-ce pas?« – Wahrscheinlich, ja. Doch, der Rhein war die Grenze<br />
zwischen der amerikanischen und der französischen Besatzungszone.<br />
»Wo ist Ihr Koffer?« – »Ist mit dem Zimmer alles in Ordnung?«<br />
Die Pressechefin und die Lektorin stehen an der Rezeption; wer<br />
nicht zur verabredeten Zeit erscheint, ist der Autor. Die Pressechefin<br />
ruft ihn auf seinem Mobiltelefon an: »Monsieur, wo bleiben Sie bloß?<br />
Wir müssen dringend los zur Lesung!«<br />
Der Autor: »Ich habe mich im Hotel verlaufen, und jetzt ist offenbar<br />
eine Feuertür hinter mir zugefallen. Ich bin hier eingeschlossen.«<br />
Die Pressechefin: »Ich fasse es nicht!«<br />
Herr Karl von der Rezeption: »Gnädige Frau, wir haben 27 Brandschutztüren<br />
im ganzen Haus.«<br />
Der Weltreisende<br />
Der Literaturlektor und die Sachbuchlektorin sitzen nebeneinander<br />
im Flugzeug und lesen Manuskripte und Exposés. Der Literaturlektor<br />
sagt, mehr zu sich selbst als zu seiner Begleiterin: »Hättest du’s geglaubt,<br />
wenn man dir im Studium gesagt hätte, du würdest eines Tages<br />
nach New York fiegen können und eine Woche nur über Bücher<br />
reden?« – Ein Traumberuf.<br />
Der entdecker<br />
Mit jedem Deckblatt eines Manuskripts, das wir umschlagen, betreten<br />
wir unbekanntes Land. Manchmal, gar nicht selten, ist tatsächlich noch<br />
niemand vor uns dort gewesen. Mit jeder neuen ersten Seite – dieses<br />
Gefühl kennt jeder Leser, wenn er ein Buch aufschlägt, nicht wahr? –<br />
sind alle Hoffnungen, alle großen Erwartungen wieder da. So als wäre<br />
man noch nie enttäuscht worden. Und es kann und wird ja immer<br />
wieder passieren, dass uns ein Schriftsteller kraft seiner Sprache, Bilder,<br />
Imaginationen die Seele, die Existenz und die Welt der Menschen<br />
ausleuchtet, uns fesselt und anregt und weiterbringt. Wenn es sich<br />
dann einstellt – und manchmal ist es nicht nur ein Gefühl, das dann<br />
in einem aufsteigt, sondern beinahe Gewissheit (die es eigentlich nicht<br />
geben kann) –, dass man etwas Einmaliges in Händen hält oder etwas,<br />
was sicher und vielen gefallen kann, oder etwas, was man als wichtiges<br />
Buch bezeichnen würde, dann ist das jener Urknall, jener Gänsehautmoment,<br />
um den es dem Entdecker geht. Er ist allerdings sehr selten.<br />
Wenn man tatsächlich jedes Mal auf das Momentum warten würde,<br />
könnte man womöglich nur alle drei Jahre ein Programm mit einem<br />
einzigen Buch machen. Vielleicht sollte man das auch.<br />
Der Lektor<br />
Hat seine Lieblingsbeschäftigung zum Beruf gemacht. Er hat den vielseitigsten<br />
und schönsten Beruf der Welt. Ewiger Dank den Autoren<br />
und ihren Büchern!<br />
Britta Egetemeier<br />
24 Machen Lektorendasein 25
Quantensprünge des Wissens<br />
Von den Phöniziern bis zum Internet und was das mit<br />
Typographie zu tun hat<br />
Mehr als Gold<br />
hat das Blei die Welt verändert.<br />
Und mehr als das Blei in der Flinte<br />
das Blei im Setzkasten.<br />
Georg C. Lichtenberg<br />
Kaum eine zweite Erfindung hat die Entwicklung der Menschheit so<br />
stark vorangetrieben wie die Erfindung der Schrift. Durch die Schrift<br />
erst wurde es möglich, Ideen und Wissen über Generationen hinweg<br />
zu bewahren.<br />
Als Erfinder der Schrift gelten die Phönizier, das umtriebige semitische<br />
Handelsvolk an der Levanteküste (die Region des heutigen<br />
Syrien, Libanon, Israel, Jordanien und Palästina), dessen Name sich<br />
von der Herstellung purpurroter (altgriechisch: phoinix) Stoffe ableitet.<br />
Schon im 2. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung entstand<br />
im Wirtschaftsimperium der handelseifrigen Levantekaufeute das<br />
Bedürfnis nach einem einheitlichen Schriftverkehr über die eigenen<br />
Landesgrenzen hinaus – der erste Quantensprung in der Geschichte<br />
des Wissens.<br />
Das phonetische Alphabet der Phönizier mit seinen 22 Schriftzeichen<br />
basierte erstmals auf dem Prinzip der Zerlegung von Sprache in<br />
Lautwerte und nicht in Bildstenogramme, wie zuvor beispielsweise<br />
bei den Ägyptern, deren interpretierte Bildschrift genau das bedeutete,<br />
was sie darstellte. Um 900 vor unserer Zeitrechnung übernahmen<br />
die Griechen die Lautschrift der Phönizier und entwickelten daraus<br />
entsprechende Großbuchstaben. Die Römer wiederum übernahmen<br />
das griechische Alphabet circa 800 Jahre später und entwickelten die<br />
Versalschrift, die noch heute Grundlage unserer Großbuchstaben ist.<br />
Dank der Schrift war es nun möglich, Wissen festzuhalten. Wissen<br />
und Bildung zu erwerben war jedoch weiterhin nur einer kleinen<br />
Elite vorbehalten. Die ersten Schriftrollen und Bücher, die von Hand<br />
in dunklen Schreibstuben mittelalterlicher Klöster geschrieben wurden,<br />
waren für das gemeine Volk nicht erschwinglich. Erst die Erfindung<br />
des Buchdrucks mittels der Verwendung beweglicher Lettern<br />
im 15. Jahrhundert durch Johannes Gensfeisch, genannt Gutenberg,<br />
revolutionierte die Herstellung von Büchern und somit die Vervielfältigung<br />
von Wissen. Von nun an war es jedem zugänglich, erschwinglich<br />
und nicht mehr nur dem privilegierten Teil der Bevölkerung vorbehalten<br />
– der zweite Quantensprung in der Geschichte des Wissens.<br />
26 Machen Quantensprünge des Wissens 27
Die Buchtypographie<br />
Abgesehen von den neuen Herausforderungen, die mit der Erfindung<br />
des Internets einhergingen (wohl der dritte Quantensprung in der<br />
Wissensentwicklung der Menschheitsgeschichte: Wissen ist nun auch<br />
noch global, für jedermann und zu jeder Zeit zugänglich), haben sich<br />
die Anforderungen an die Lesetypographie im Laufe der Jahrhunderte<br />
nicht sehr geändert. Es haben sich jedoch diverse Gesetzmäßigkeiten<br />
herausgebildet, und es wurden viele Grundregeln formuliert, die<br />
man der Lesefreundlichkeit zuliebe unbedingt beachten sollte. Viele<br />
Regelbrüche verstoßen nämlich nicht nur »gegen die guten Sitten der<br />
Ästhetik« (Hans Peter Willberg, Typograph und Buchmacher). Ein<br />
schlecht gesetztes Buch beeinträchtigt auch die Lesbarkeit und kann<br />
mitunter ausschlaggebend für Erfolg oder Misserfolg sein.<br />
Die fachliche Kenntnis typographischer Regeln wurde in einer<br />
langen Generationenkette weitergegeben. Heute kann jeder an seinem<br />
Rechner – Bürokraft oder Autor – seine Bücher selbst setzen.<br />
Somit wurde diese »Kenntniskette« unterbrochen. Anhand anschaulicher,<br />
mitunter unterhaltsamer Beispiele lassen sich gewisse Missstände<br />
und Unregelmäßigkeiten in der Lese- beziehungsweise Buchtypographie<br />
gut erkennen:<br />
Das viel besprochene »Hurenkind« (die letzte Zeile eines Absatzes,<br />
die alleine am Beginn einer neuen Spalte oder neuen Seite steht<br />
und uns völlig unerwartet und abrupt aus unserem Lesefuss reißt)<br />
beleidigt nicht nur das Auge des Bibliophilen, es beeinträchtigt auch<br />
massiv den Lesefuss: Der Leser gerät ins Stolpern, vergleichbar mit<br />
der frustrierenden Erfahrung einer fehlenden letzten Stufe im Treppenhaus,<br />
wenn das Licht ausgegangen ist.<br />
Wenn wir schon dabei sind, seien an dieser Stelle auch kurz das<br />
Pendant zum Hurenkind, der »Schusterjunge«, und seine Auswirkung<br />
erklärt. Als Schusterjungen bezeichnen wir die erste Zeile eines Absatzes,<br />
wenn sie am Ende einer Spalte oder fertig umbrochenen Seite steht:<br />
Wie das Hurenkind reißt auch der Schusterjunge ein sehr un-<br />
schönes Loch in unsere Seite.<br />
Aber im Vergleich zum abrupten Ende des Textes beim Hurenkind<br />
zwingt uns der Schusterjunge regelrecht zum Weiterlesen, denn<br />
kaum jemandem wird es gelingen, das Buch jetzt zuzuschlagen, nachdem<br />
er die erste Zeile des neuen Absatzes bereits gelesen hat – das ist,<br />
als dürfe man an der Schokolade nur riechen, sie aber nicht kosten.<br />
Die schrift macht den Ton<br />
Sehr illustrativ ist die Beeinfussung der Tonalität oder die Unterstreichung<br />
einer Aussage durch den Einsatz gewisser typographischer<br />
Instrumente, wie beispielsweise die Wahl der richtigen Schrifttype.<br />
Wanderers Nachtlied – Ein Gleiches<br />
von Goethe, gesetzt in der gotischen<br />
Wittenberg, einer sogenannten gebrochenen<br />
Schrift, erhält plötzlich einen<br />
unverhofft unromantischen Beiklang:<br />
Über allen Gipfeln<br />
Ist Ruh,<br />
In allen Wipfeln<br />
Spürest du<br />
Kaum einen Hauch;<br />
Die Vögelein schweigen im Walde.<br />
Warte nur, balde<br />
Ruhest du auch.<br />
Es ist bestimmt nicht überraschend,<br />
aber dennoch sehr anschaulich zu<br />
sehen, dass dasselbe Gedicht, gesetzt<br />
in einer klassizistischen Didot, ganz<br />
anders klingt:<br />
Über allen Gipfeln<br />
Ist Ruh,<br />
In allen Wipfeln<br />
Spürest du<br />
Kaum einen Hauch;<br />
Die Vögelein schweigen im Walde.<br />
Warte nur, balde<br />
Ruhest du auch.<br />
Die Typographie beschränkt sich allerdings nicht auf die Auswahl<br />
einer Schrifttype. Auch Format, Satzspiegel, Zeilenabstand und verwendete<br />
Materialien sind elementare Bestandteile ordentlicher Buchtypographie.<br />
28 Machen Quantensprünge des Wissens 29
Eine klassizistische Didot zum Beispiel, so elegant sie auch wirken<br />
mag, ist auf hochweißem Papier nur unter Aufsicht eines Augenheilkundlers<br />
zu empfehlen (die Haarstriche [die haarfeinen Striche]<br />
drohen durch überstrahlendes hochweißes Papier zu zerbrechen), der<br />
hohe Fett-Fein-Kontrast erzeugt Augenfimmern und erschwert somit<br />
das Lesen. Verstärkt wird diese Leseunfreundlichkeit durch die Wahl<br />
eines zu kleinen Schriftgrads.<br />
Die sinnlichkeit des Buches versus Punkt und Pixel<br />
Durch die digitale Revolution und die Etablierung neuer Medien (E-<br />
Reader, Smartphones) wird die Bedeutung und die Zukunft des Buches<br />
in seiner herkömmlichen Form immer wieder infrage gestellt.<br />
Dem zum Trotz ist aber verbreitet zu lesen, dass der Nachwuchs sich<br />
auf das gedruckte Wort zurückbesinnt.<br />
Es ist schließlich einzigartig – das haptische und olfaktorische<br />
Erlebnis beim Aufschlagen eines neuen Buches, beim Streichen über<br />
Einbandmaterial und den Prägedruck sowie der Geruch beim Umblättern<br />
bedruckter Buchseiten. Ein herkömmliches Buch umwirbt<br />
uns mit seinem Einband, dem Vorsatzpapier, der Titelei bis hin zum<br />
Anhang und der letzten Seite. Es schmeichelt uns mit seinem zarten<br />
Lesebändchen. Ich kann mir nicht vorstellen, abends im Bett vor dem<br />
Einschlafen in meinem iPad zu schmökern.<br />
Den neuen Herausforderungen an die Schrift wie an den Typographen<br />
durch die digitalen Medien sollten wir uns allerdings nicht<br />
verweigern. Die Schrift hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer<br />
den neuen Gegebenheiten angepasst: Präzisere Drucktechniken ermöglichten<br />
beispielsweise erst die klassizistischen Schriftformen<br />
(wie die schon mehrfach erwähnte und gezeigte Didot). Durch die<br />
digitale Darstellung am Monitor im Electronic Publishing, sei es im<br />
Internet, auf dem E-Book oder auf dem Tablet-PC, ergeben sich völlig<br />
neue Anforderungen an Schrift und Typographie: Eine klassizistische<br />
Schrift mit ihrem ausgeprägten Fett-Fein-Charakter verliert durch<br />
die Pixeldarstellung auf dem Bildschirm zum Beispiel ihre Bedeutung<br />
als Gebrauchsschrift und ihre Eleganz. Gleichwohl wir an der elektronischen<br />
Darstellung von Typographie schon seit Jahren arbeiten,<br />
befindet sich dieser Bereich noch immer in den Kinderschuhen. Die<br />
Erfahrungen der kommenden Jahre werden uns zeigen, welchen Stellenwert<br />
in der digitalen Lesetypographie der noch umstrittene Gebrauch<br />
von Serifenschriften einnehmen wird.<br />
Jahrhundertelang galten die Antiquaschriften wie Garamond<br />
(erster Schnitt um 1530) als Messlatte optimaler Lesefreundlichkeit.<br />
Doch bereits in den 1990er-Jahren stellten sich durch das Auf ommen<br />
der ersten Monitorschriften neue, mediumspezifische Anforderungen.<br />
Speziell für die exakte Darstellung kleinster Schriftgrößen am<br />
Monitor wurden (meist serifenlose) Schriften entwickelt, die vor allem<br />
im Webdesign Anwendung finden.<br />
Typographische Zurückhaltung<br />
Bei aller Begeisterung für schöne Formen und aller Liebe zum typographischen<br />
Experiment dürfen wir jedoch nicht vergessen, dass die<br />
Typographie und speziell die Buchtypographie (nur) Dienstleisterin<br />
der Inhalte bleibt und unweigerlich ihrer Aufgabe verpfichtet ist.<br />
Alles, was vom Inhalt ablenken könnte, sei es, weil die Bogenanstriche<br />
der gewählten Schrifttype besonders schön oder die sich überlappenden<br />
Unter- und Oberlängen zwischen den Zeilen besonders schick<br />
sind, ist schlechte Typographie. Schöne Typographie der Schönheit<br />
wegen wäre wie Kunst der Kunst wegen, Kunst zum Selbstzweck. Solche<br />
Experimentaltypographie findet auch ihre Berechtigung und erfreut<br />
unser aller Auge, dient jedoch nur selten der Lesbarkeit.<br />
Patrick Tümmers<br />
30 Machen Quantensprünge des Wissens 31