Leseprobe (PDF) - Allitera Verlag
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Reimar Zeller<br />
Der Zauberer im Vatikan<br />
Novelle um Thomas Mann
Weitere Informationen über den <strong>Verlag</strong> und sein Programm unter:<br />
www.allitera.de<br />
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek<br />
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation<br />
in der Deutschen Nationalbibliographie;<br />
detaillierte bibliographische Daten sind im Internet<br />
über abrufbar.<br />
Dezember 2006<br />
<strong>Allitera</strong> <strong>Verlag</strong><br />
Ein <strong>Verlag</strong> der Buch&media GmbH, München<br />
© 2006 Buch&media GmbH, München<br />
Umschlaggestaltung: Kay Fretwurst, Freienbrink<br />
Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt<br />
Printed in Germany<br />
isbn-10: isbn 3-86520-239-x<br />
isbn-13: isbn 978-3-86520-239-0
»Die Kunst ist das schönste, strengste, heiterste und frömmste<br />
Symbol alles unvernünftig menschlichen Strebens nach dem Guten,<br />
nach Wahrheit und nach Vollendung.«<br />
Thomas Mann
Inhalt<br />
Documentation · 9<br />
Vorspiel in den Lüften · 11<br />
Über der Spanischen Treppe · 24<br />
Heitere Teestunde am Piazza Barberini · 41<br />
In San Pietro in Vincoli, wo Moses seinen Mund auftat · 52<br />
Der Kniefall · 64
Documentation<br />
[1953]<br />
An Frido und Toni Mann [Ansichtskarte]<br />
Rom, 30. April 1953<br />
Lieber Frido und lieber Toni,<br />
einen schönen Gruß aus Rom noch im Augenblick unserer Abreise.<br />
Diese Karte zeigt euch die Peterskirche. Gestern habe ich den Papst<br />
besucht. Seine Heiligkeit Pius XII. Er war sehr freundlich. Bald<br />
sehen wir uns wieder, liebe Buben. Darauf freut sich<br />
Euer Opapa<br />
An Ranuccio Bianchi Bandinelli<br />
Erlenbach-Zürich, 3. Mai 53<br />
Lieber Professor Bandinelli,<br />
nach Hause zurückgekehrt, möchte ich ihnen noch einmal – es<br />
drängt mich dazu – für die Liebenswürdigkeit danken, mit der Sie,<br />
unter Aufopferung Ihrer Zeit, an unserem römischen Aufenthalt<br />
teilnahmen. Es waren überschwänglich reiche, von Eindrücken<br />
überfüllte Tage, an die ich mit Ergriffenheit zurückdenke und<br />
von denen ich, ungeachtet all meiner Ermüdbarkeit, die oft gewiss<br />
leidig zu Tage trat, eine tiefe seelische Erbauung davongetragen<br />
habe. Nicht dankbar genug kann ich sein für den fast stürmisch<br />
ehren- und sympathievollen Empfang, der mir zuteil wurde, und<br />
ich wollte, Sie machten sich überall und bei jedem zum Dolmetsch<br />
dieses Gefühls. Ich muss fürchten, durch persönliche Unergiebigkeit,<br />
eine im Konventionellen stecken bleibende, nervös beklommene<br />
Höflichkeit, enttäuscht zu haben. Nur zu bewusst bin ich mir<br />
meiner gesellschaftlichen Unzulänglichkeit, die sich dank völliger<br />
Benommenheit durch die Größe der Eindrücke, die in der gewaltigen<br />
Stadt meine Empfänglichkeit bestürmten, wunderlich genug<br />
offenbart haben mag. Diese Plätze, Kirchen, Brunnen, Obelisken,<br />
Säulenordnungen, dies In- und Nebeneinander der Jahrhunderte,<br />
des Antiken und Früh- und Hochchristlichen, diese Überfülle von<br />
9
Kunstschöpfungen sinnlicher und mystischer Frömmigkeit und<br />
Genialität, – wie im Traum, einem Traum von Größe, nahm ich das<br />
alles auf, und wie ein sehr starker, ins Gemüt dringender Traum<br />
wirkt und lebt es in mir fort. Der Ungläubige und Erbe protestantischer<br />
Kultur beugte ohne die leiseste innere Hemmung das Knie<br />
vor Pius XII. und küsste den Ring des Fischers, denn es war kein<br />
Mensch und Politiker, vor dem ich kniete, sondern ein weißes Idol,<br />
das, umgeben vom gemessensten geistlich-höfischen Ceremoniell,<br />
zwei Jahrtausende abendländischer Geschichte sanft und ein wenig<br />
leidend vergegenwärtigte …«<br />
10<br />
In: S. Fischer 1965 Briefe 1948–1955 und Nachlese Seite 294/295
Vorspiel in den Lüften<br />
A n<br />
einem Nachmittag des Monats April, wir schreiben das Jahr<br />
1953, füllte sich das gläserne Foyer der Flughalle in Zürich am<br />
See mit allerlei reise- und schaulustigem Volk. Ein wenig erregt<br />
steht man in Erwartung der bevorstehenden Luftreise beisammen.<br />
Die Herren gelüstet es, am Restaurant-Kiosk sich noch durch einen<br />
kleinen Imbiss in Form hochbelegter Sandwiches, einer Tasse<br />
Tee, auch Alkoholisches wird verlangt, für eventuelle Strapazen in<br />
den Lüften zu stärken, wohlwissend, dass sogleich, fast unmittelbar<br />
nach dem Start, eine kleine Collation gereicht werden wird. In<br />
rhythmisierten Zeitabständen meldet sich durch das Hallenmikrophon<br />
eine Frauenstimme, um Abflugstermine und die Namen dringend<br />
erwarteter Fluggäste anzusagen. Die Reisenden der Kursmaschine<br />
Zürich – Nizza – Rom werden gerade zum ›Gate Number<br />
Seven‹ gebeten. Bevor wir aber die Fluggäste an Bord gehen lassen,<br />
tun wir gut daran, dieselben zu inspizieren. Da zeigen sich zwei<br />
auffällig gekleidete Herren, Repräsentanten religiöser Observanz,<br />
die sicherlich in der Ewigen Stadt dringender Verpflichtungen halber<br />
zu tun haben. Von einer Schar gestikulierender Herren umgeben<br />
steht ein Rabbiner. Das Zeichen seiner mosaischen Würde, ein<br />
kleines, aus schwarzem Tuch bestehendes Käppchen, bedeckt nur<br />
zum Teil seinen mächtigen Kahlkopf – man wäre versucht, an den<br />
glatzköpfigen Propheten Elias in den Büchern der Könige Israels zu<br />
denken. Ein gut gepflegter Patriarchenbart fällt zum blauen Tuch<br />
seines Kaftans hinab. Mit flinken Händen dreht er sich gerade eine<br />
papyrusartige Zigarette. Die zweite jener augenfälligen Persönlichkeiten<br />
ist ein Priester orthodox-morgenländischer Observanz.<br />
Er wird von einer Schar russisch aussehender Damen umstanden<br />
und bietet trotz Soutane und edelsteinbesetztem Erzpriesterkreuz<br />
den Anblick einer gewissen asiatischen Wildheit. Neben wirr herunterhängenden<br />
Haaren und einem mächtigen, nahezu das ganze<br />
Antlitz verdeckenden Vollbart, wird dieser Eindruck vor allem<br />
durch ein weißseidenes Halstuch verstärkt, das er, halb im Rundkragen<br />
steckend, über die Schulter geschlungen hat. Später, bei der<br />
11
Verabschiedung gibt es heilig-russische Küsse und Umarmungen,<br />
ja eine Dame aus dem Cércel ergreift rasch das Brustkreuz, um es<br />
demutsvoll an ihre Lippen zu führen. Die etwas abseits stehenden<br />
weltlichen Damen und Herren, in feinstes Tuch gekleidet – das<br />
italienische Leder der wohl handgefertigten Schuhe ist nicht zu<br />
übersehen –, werden als Erste zum ›Gate Number Seven‹ geleitet,<br />
Fluggäste also der Business- oder Ambassador-Class. Wir gehen<br />
nicht fehl, in ihnen Damen und Herren aus den Chefetagen<br />
Schweizer Banken zu vermuten. Wundert es jemanden, dass inmitten<br />
solcher Persönlichkeitsattraktionen und Bon Situés unser<br />
Dichter kaum auszumachen ist? Diskret und korrekt nach englischer<br />
Mode gekleidet, steht er unerkannt mit seiner Lebensgefährtin<br />
und einer Begleiterin, in der wir die Tochter vermuten dürfen,<br />
mitten unter dem wartenden Reisepublikum. Ein schwarzer Pudel<br />
mit rotem Geschirr umtänzelt die kleine Gruppe. Ab und zu beugt<br />
sich der Herr zärtlich zum Hund, spricht ein paar beruhigende,<br />
auf Wiedersehen abgestimmte Worte auf das verständige Tier hinab.<br />
Ein leichter Chesterfield-Mantel liegt ihm zusammen mit dem<br />
unentbehrlichen Reiseplaid über dem Arm. Den am Knauf versilberten<br />
Spazierstock aus exotischem Rohr dürfen wir nicht übersehen.<br />
Aber alles verschafft keinen Grund zur Annahme, darin etwa<br />
spezifische Dichterattribute zu sehen. Auch das Antlitz, beschattet<br />
von einem dunkelbebänderten Borsalino, lässt beim flüchtigen Beschauen<br />
nichts Sonderliches erkennen. Ja, wir sagen es frei heraus,<br />
man würde allenfalls einen Studienrat oder gehobenen Staatsbeamten<br />
in ihm vermuten. Beim flüchtigen Hinschauen nur, sagen<br />
wir einschränkend, denn es lassen sich einige Merkmale und Anzeichen<br />
feststellen, die nun nachgerade doch dem aufmerksamen<br />
Beobachter zu denken geben.<br />
Da ist die mit einer gewissen Andacht vollzogene Bewegung<br />
nach dem seidenbestickten Taschentuch in der Innenseite des Rockes.<br />
Das blütenweiße Tuch wird unentfaltet über die schlaffe Haut<br />
unterhalb der Augen und der hohen Stirn gestrichen, auf der die<br />
Schlagader vom Haaransatz quer über die Stirn zum Ohr hinab<br />
läuft. Diese Ader, sie deutet auf Überanstrengung, auf Heimsuchungen,<br />
auf Erkenntnis. Und da ist noch eine andere Beobachtung,<br />
die stark auf innere seelische Konflikte schließen lässt, auf<br />
Differenzierung, auf Erfahrung außerbürgerlicher Natur: Wir<br />
meinen die des Öfteren sich wiederholende Art und Weise, den<br />
Kopf seitwärts zur Schulter zu neigen und mit nachdenklichem<br />
12
Blick oder auch gedankenlos-träumerisch sich festsehenden Augen<br />
und etwas geöffnetem, andächtig-schläfrigen Munde zu lauschen.<br />
Oder ist ›Sinnen‹ hier der bessere Ausdruck für eine Disposition,<br />
anhand äußerer Eindrücke tiefer liegende Erfahrungen zu assoziieren?<br />
Ist es unbescheiden, wenn wir diese zu erraten suchen? – Da<br />
ist also die bevorstehende Erhebung in die Lüfte, dieses Emporgehobenwerden<br />
in Regionen, wo, wie er wusste, völlig ungewohnte,<br />
eigentümlich dünne und spärliche Lebensbedingungen herrschen,<br />
es fing an, ihn zu erregen, ihn mit einer gewissen Angstlichkeit zu<br />
erfüllen. – Vielleicht war es unklug und unzuträglich, dass er, geboren<br />
und gewohnt, nur ein paar Meter über dem Meeresspiegel zu<br />
atmen, sich plötzlich in diese extremen Gegenden befördern ließ.<br />
Er war ein Sohn des Meeres, zu beiden Seiten des Ozeans hatte er<br />
einst seine Wonne gehabt. Jetzt im Alter zog er die Höhenlage der<br />
Schweiz dem Flachland vor.<br />
Würde bei seiner anfälligen Gesundheit und den fortgeschrittenen<br />
Lebensjahren – er steht hoch in den Siebzigern – ihm diese<br />
Luftreise zuträglich sein? – Es ist ein flüchtiger Gedanke, der den<br />
Dichter anfällt. Seine Blicke verlieren sich durch das Glas des<br />
Foyers auf dem Flugfeld. Draußen stehen wie Riesenechsen der<br />
Neuzeit die Flugmaschinen. Sie werden von Männern im weißen<br />
Overall gewartet, bullernde Generatoren heizen die Motoren an<br />
den Tragflächen vor. Eine minutiöse Betreuung spielt sich hier vor<br />
den Augen des Reisenden ab, ihm das Gefühl der Sicherheit und<br />
sorgsamer Überwachung vermittelnd.<br />
Des Dichters Auge sieht sich einzig an der glitzernden Aluminiumhülle<br />
der motorisierten Luftungeheuer fest. Ein Lächeln<br />
huscht über seinen geöffneten Mund. – Da liegt es vor ihm, das<br />
paläozoologische Museum zu Lissabon. Aus vielen Jahren zurück<br />
steigt eine Erinnerung mythisch auf: jener Ausflug ins Erdaltertum<br />
an der Hand eines kundigen Führers. – Hatte er nicht dort<br />
im Museum vor Jahrzehnten den von künstlerischer Hand nachgebildeten<br />
Saurier der Kreidezeit in Augenschein nehmen können?<br />
– Das Gefühl der Allsympathie, das ihn damals beseelte, hier<br />
stellte es sich wieder beim Anblick der Flug-Apparate ein, und in<br />
weitläufigen Assoziationen flüsterte er ein Trostwort jenem ausgestorbenen<br />
Urvogel nach: »Lass dir‘s nicht nachgehen! Gewiss, du<br />
bist verworfen worden und kassiert wegen Maßlosigkeit, aber du<br />
siehst, wir haben dich nachgebildet und gedenken dein!«<br />
Sollte vielleicht jetzt noch einer zweifeln, dass wir es bei solch ex-<br />
13
tremen Gedanken-Verbindungen mit einem Dichter zu tun haben?<br />
Es ist gut, dass dieser Art vagabundierender Assoziationen dem<br />
normalen Beobachter hinter der auf Ordnung und Unauffälligkeit<br />
bedachten Kleidung unseres Schriftstellers verborgen bleiben.<br />
Jetzt ist es an der Zeit, die Fluggäste einsteigen zu lassen, zumal<br />
soeben die routinierte Frauenstimme aus dem Lautsprecher<br />
sich hören lässt und den Abflug der Maschine erneut vermeldet.<br />
Es gibt herzliches Händeschütteln. Unser Fluggast hat sich schnell<br />
noch einmal zum Pudel hinabgebeugt und in der Sprache von Herr<br />
und Hund beschwörende, beschwichtigende Worte gefunden. Die<br />
Begleiterin, in der wir die Tochter vermuten, nimmt Abschied,<br />
zärtlich streicht sie dem alten Herrn über die Wangen und sagt in<br />
schweizerischem Tonfall: »Behütsi, behütsi Zauberer!« Den Dichter<br />
einen ›Zauberer‹ zu nennen, finden wir eine geistvolle Anspielung.<br />
Wir teilen sie, wir heißen sie gut!<br />
Man kann das ausgedroschene und verbrauchte Wort ›keep smiling‹<br />
kaum noch gebrauchen. Jedoch ist es hier am Platze und im<br />
Vollsinn seiner gesellschaftlichen Bedeutung zu verwenden: Wir<br />
meinen das Lächeln der Höhentöchter, der Stewardessen in der<br />
fliegenden Aluminiumhalle. – Ob unser Reisevogel ruhig und gelassen<br />
durch den Äther schwimmt oder von unsichtbaren Händen<br />
geschüttelt wird, ob die Höhe sechstausend Fuß über Grund oder<br />
das Doppelte beträgt, immer liegt ein den Fluggast einlullendes,<br />
beruhigendes Lächeln auf den geschminkten Lippen der Schönen.<br />
Da ist zum Beispiel der Start, ein technischer Vorgang, dessen<br />
peinlich beängstigende Wirkung auf den Flug-Unkundigen nicht<br />
genug herausgestellt werden kann. Denken wir an das Schottern<br />
und Schütteln beim Aufheulen der viertausend pferdestarken<br />
Motoren; denken wir an die seltsame Anweisung einer Männerstimme<br />
aus krächzendem Bordlautsprecher, doch ja die ledernen<br />
Sicherheitsgürtel sich um die Hüften zu schnallen. Wir finden dieses<br />
ganze Manöver bedenklich! Und doch wird es minütlich vom<br />
Lächeln der Höhentöchter begleitet, ja geradezu kommentiert. Es<br />
werden Pfefferminzbonbons ausgeteilt. Wozu eigentlich? Um dieses<br />
Aufstiegsmanöver dem Ängstlichen zu versüßen? Gefehlt, so<br />
weit geht die Liebesdienerei nun doch nichtl Der Dichter durchschaut<br />
diese Aktion sofort, war er doch immer schon bemüht, anatomische<br />
Phänomene genau zu erforschen und mit notvoll-peinlichen<br />
Namen zu benennen. Entstehen nicht bald nach dem Aufstieg<br />
in die Lüfte merkwürdige Verhältnisse im Ohr des Reisenden? Man<br />
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glaubt, auf Minuten nichts mehr zu hören, es rauscht und knackt<br />
darin, als ob hinter der membrana tympani die Gehörknöchelchen<br />
im Labyrinthwasser umherschwämmen. Der davon Betroffene<br />
führt verzweifelt den kleinen Finger in die Ohrmuschel, um durch<br />
Schütteln das Malheur zu beseitigen. Wieder andere halten sich<br />
die Nase zu, blasen die Backen auf und rufen leise: »Kuckuck«, so<br />
als ob sie in den anatomischen Verbindungswegen von Rachen und<br />
Ohr genau Bescheid wüssten. – Kurz, es handelt sich hier um Luftausgleich<br />
von innen nach außen, und zu diesem Zweck allein verteilen<br />
die Ikarustöchter dem anatomisch Unwissenden süßsaures<br />
Zuckerwerk, denn durch das Schlotzen und Schlürfen wird eben<br />
dieser Ausgleich wie von selbst besorgt. –<br />
Die uniformierten Flugdamen lächeln bei der Ansage der Flugroute,<br />
der Flugzeit, sowie der Flughöhe, die auch nur gefühlsmäßig<br />
auszuloten der Passagier tunlichst unterlässt! Und sie lächeln bei<br />
der Vorstellung des Flugkapitäns, dessen Name der Höhenreisende<br />
mitgeteilt erhält. »Du meine Güte!« flüstern wir leise und ganz<br />
hinter der hohlen Hand, »was nützt uns der Name des Kapitäns,<br />
wenn wir aus achttausend Fuß über dem Grund just in dulci jubilo<br />
in die Tiefe segeln?« Zur gefühlsmäßigen Sicherheit, zur Einlullung,<br />
erfolgen alle Mitteilungen. Der Passagier soll sich geborgen<br />
fühlen, das ist das Ziel aller liebesdienerischen Unternehmungen.<br />
Der Zauberer hat es sich sofort nach Überwindung der<br />
Startunannehmlichkeiten bequem gemacht. Die misslichen Empfindungen<br />
wurden bald aufgewogen durch die legere Körperlage,<br />
bedingt durch die schwer zu zergliedernden und fast geheimnisvollen<br />
Eigenschaften des ›Liegestuhles‹, die der Dichter beim ersten<br />
Versuch schon mit höchstem Beifall empfand. Lag es an der Beschaffenheit<br />
der Polster, der richtigen Neigung der Rückenlehne,<br />
der passenden Höhe und Breite der Armstützen oder auch nur der<br />
zweckmäßigen Konsistenz der Nackenrolle, genug, es konnte für<br />
das Wohlsein ruhender Glieder überhaupt nicht humaner gesorgt<br />
sein als durch diese vorzügliche Sitzgelegenheit.<br />
Was denkt der Dichter, wie er hier ausgestreckt im Höhensessel<br />
liegt? Zunächst einmal gar nichts, liebe Freunde, wenn man das<br />
Hingestrecktsein bei geschlossenen Lidern, das sich Dehnen aller<br />
Körperextremitäten, den Genuss zivilisatorischen Komforts als<br />
Nichts-Denken bezeichnen kann. – Er war bis zu diesem Tage in<br />
seinem Leben viel und gerne gereist, gerne auch mit viel Komfort,<br />
vor allem, wenn es ihm bezahlt wurde. Warum soll ein Dichter<br />
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nicht wie ein Bon-situé reisen? Reist er gewissermaßen innerlich<br />
schon nicht erster Klasse mit dem Leben, warum sollte er es äußerlich<br />
nicht umso mehr tun.<br />
Er ist auf einer Kunst- und Virtuosenfahrt, wie er sie von Zeit<br />
zu Zeit nicht ungern unternimmt. Eine römische Gesellschaft für<br />
Schöne Literatur und Künste hatte ihn vor längerer Zeit schon zu<br />
Lese- und Vortragsabenden verpflichtet. Gewiss, auf dem Grund<br />
seiner Seele lagen bei der Zusage noch andere geheimnisvolle Wünsche<br />
und Erwartungen verborgen. Wir hüten uns, sie jetzt schon<br />
mitzuteilen, zumal der Dichter selbst sich scheuen würde, sie zum<br />
gegenwärtigen Zeitpunkt klar und artikuliert zu benennen.<br />
Der ›Zauberer‹, wir sagten es schon, liegt träumend im gepolsterten<br />
Komfort. Er hat ein wenig Reisefieber, wie immer bei solchen<br />
Gelegenheiten. »Nie werde ich in Verkehrsdingen die rechte<br />
Abgebrühtheit gewinnen«, flüstert er leise bei geschlossenen Lidern<br />
und seitwärts zur Schulter geneigtem Haupt in sich hinein.<br />
»Ich weiß selber gut genug, dass dieses hier kein Sonderfall ist. Das<br />
Flugzeug fliegt täglich nach Rom, ich weiß es ja, ja, ach ja! Aber<br />
wenn ich selber mitfliege und mein bedeutsames Schicksal mit<br />
dem seinen verbinde, so ist das eben eine andere Sache. Ich kann<br />
mich dann der Vorstellung nicht erwehren, als flöge es einzig und<br />
heute meinetwegen!« – Sein etwas geöffneter Mund, unter einem<br />
gepflegten, kurz geschnittenen Oberlippenbart, lächelt versonnen.<br />
Aber das Lächeln verliert sich schnell wieder. Ein eher sorgenvoller<br />
Ausdruck huscht über sein Gesicht. Die drüsenmatte Haut unter<br />
den Augen hat sich zart gespannt, was den Dichter veranlasst, das<br />
veilchenwasserbenetzte Tüchlein darüber hinzuführen. »Sind die<br />
Manuskripte wohl verwahrt und die Bücher?« flüstert er leise zur<br />
Seite hin ins Ohr seiner Gefährtin. Sie hat begütigende Antworten.<br />
Wir verstehen des Dichters Sorge um den in den Jahren zusammengetragenen,<br />
erworbenen, erhorchten, erschlichenen und erlittenen<br />
Wissensschatz. Aber es steht alles zum Besten. Die Koffer<br />
sind wohl verstaut, und das Flugzeug selbst liegt ruhig im Äther.<br />
»Warum lächeln sie immer nur?« fragt sich der Dichter, »ich habe<br />
es wohl bemerkt, die sorgsame Umständlichkeit, die liebesdienerische<br />
Betreuung. Ja, sogar beim Umschnallen der Sicherheitsgurte<br />
lächeln sie noch, wo es doch ein verdammt ernster Vorgang ist.<br />
– Und der Komfort? Er lässt mich die Gewagtheit des ganzen Unternehmens<br />
nicht vergessen. Ich bin längst den Freundlichkeiten<br />
der aviatischen Töchter auf die Schliche gekommen: Sie wollen uns<br />
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