Kriegsende in und um Rottweil - Vinzenz von Paul Hospital
Kriegsende in und um Rottweil - Vinzenz von Paul Hospital
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Unser Haus Mediz<strong>in</strong> <strong>und</strong> Pflege<br />
28.04.2005 ; Schwarzwälder Bote, Heimatr<strong>und</strong>schau<br />
<strong>Kriegsende</strong> <strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>um</strong> <strong>Rottweil</strong><br />
Patienten- <strong>und</strong><br />
Besucher<strong>in</strong>fos<br />
Krankenpfleger droht mit Erschießung<br />
Aus-, Fort- <strong>und</strong><br />
Weiterbildung<br />
<strong>Kriegsende</strong> <strong>in</strong> <strong>und</strong> <strong>um</strong> <strong>Rottweil</strong> / Rottenmünster atmet auf: Panzer rollen <strong>in</strong> den Klosterhof<br />
Aktuelles<br />
Gruppenbild vor dem Reservelazarett mit Pflegepersonal <strong>und</strong> Verw<strong>und</strong>eten. Foto-Archiv: Birner<br />
Seit 1980 befragt der frühere Geschäftsführer des V<strong>in</strong>zenz <strong>von</strong><br />
<strong>Paul</strong> <strong>Hospital</strong>s, Hans Josef Birner (64), Ordensschwestern,<br />
Mitarbeiter <strong>und</strong> <strong>Rottweil</strong>er Bürger über die NS-Zeit <strong>und</strong> das<br />
<strong>Kriegsende</strong> <strong>in</strong> Rottenmünster. Leidvolle Kriegsjahre mit<br />
menschenverachtenden Auswirkungen der<br />
NS-Rassengesetze, die Ermordung Geisteskranker <strong>in</strong> der<br />
Tötungsanstalt Grafeneck, die Zwangsenteignung der<br />
Untermarchtaler E<strong>in</strong>richtungen e<strong>in</strong>schließlich Rottenmünster<br />
<strong>und</strong> anhaltende materielle Not prägten den Alltag der<br />
damaligen Heil- <strong>und</strong> Pflegeanstalt Rottenmünster <strong>in</strong> heute<br />
ka<strong>um</strong> vorstellbarer Weise.<br />
Am 20. April 1945 zerstörten zwei gewaltige Detonationswellen<br />
zahlreiche Fenster der Krankenhausgebäude: Die beiden<br />
Altstädter Brücken waren gesprengt worden. Der Holzsteg<br />
über den Neckar im Bereich Rottenmünster musste bereits<br />
e<strong>in</strong>e Woche vorher aus »Heimatschutzgründen« abgebaut<br />
werden.<br />
Patienten, Pflegepersonal <strong>und</strong> sonstige Bewohner begaben<br />
sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en der zahlreichen Luftschutzkeller <strong>und</strong> erwarteten<br />
den E<strong>in</strong>marsch der Franzosen. Rottenmünster war bereits<br />
Tage vorher durch "Betriebsführer" <strong>und</strong> Chefarzt Dr. Wrede an<br />
englische Offiziere des Kriegsgefangenenlazaretts<br />
Rottenmünster übergeben worden. E<strong>in</strong>e lebensgefährliche<br />
Entscheidung <strong>von</strong> Dr. Wrede, da zu diesem Zeitpunkt<br />
deutsche Kampftruppen bis <strong>in</strong> den Ra<strong>um</strong> Schwenn<strong>in</strong>gen<br />
vorgestoßen waren.<br />
Zudem gab es auch im Rottenmünster Parteispitzel. E<strong>in</strong>er<br />
da<strong>von</strong>, e<strong>in</strong> Krankenpfleger, hatte noch kurz vor <strong>Kriegsende</strong><br />
den Ordensschwestern erklärt: »Nach dem Endsieg seid ihr<br />
die Ersten <strong>in</strong> <strong>Rottweil</strong>, die an die Wand gestellt werden!«<br />
Bis <strong>Kriegsende</strong> bestand <strong>in</strong> Rottenmünster unter Leitung <strong>von</strong><br />
Anstaltspfarrer Zimmermann, der bereits während se<strong>in</strong>er<br />
Vikarszeit <strong>in</strong> Stuttgart <strong>von</strong> der Gestapo <strong>in</strong>haftiert worden war,<br />
e<strong>in</strong>e kirchentreue, antifaschistische Widerstandsgruppe, die<br />
sich monatlich <strong>in</strong> der Pfarrerswohnung traf. Unter den<br />
Mitgliedern befand sich auch der Vater des ehemaligen<br />
<strong>Rottweil</strong>er Geme<strong>in</strong>derats Rolf Hepp.<br />
Die Übergabe an die Franzosen erfolgt durch englische<br />
Offiziere des Lazaretts<br />
Gegen 17.30 Uhr feuerten Panzer der 1. französischen Armee<br />
Warnschüsse ab <strong>und</strong> rollten vom Hofgut herunter <strong>in</strong> den<br />
Klosterhof. Soldaten besetzten die Luftschutzkeller <strong>und</strong><br />
sicherten die Hause<strong>in</strong>gänge. Die Übergabe an die Franzosen<br />
erfolgte durch englische Offiziere des<br />
Kriegsge-fangenenlazaretts Rottenmünster. Zur reibungslosen<br />
Übergabe hat sicher auch beigetragen, dass die französischen<br />
Soldaten <strong>in</strong> den anwesenden Ordensfrauen Schwestern ihres<br />
Nationalheiligen V<strong>in</strong>zenz <strong>von</strong> <strong>Paul</strong> erkannt hatten.<br />
Unmittelbar nach der Besetzung der Heilanstalt wurde die<br />
deutsche Wachmannschaft des »Kriegsgefangenenlazaretts<br />
Rottenmünster« gefangengenommen <strong>und</strong> <strong>in</strong> das<br />
Durchgangssammellager Friedrichsplatz gebracht. Noch am<br />
zurück<br />
E<strong>in</strong> Zeitzeugen<strong>in</strong>terview führte der damalige<br />
Verwaltungs-direktor Hans-Josef Birner mit Schwester Cordilia,<br />
die das <strong>Kriegsende</strong> als Ordensschwester im Rottenmünster<br />
erlebte. Foto: Birner-Archiv<br />
Aus dem »Kriegsgefangenenlazarett Rottenmünster« wurden,<br />
soweit der Ges<strong>und</strong>heitszustand dies zuließ, etwa 500 alliierte<br />
Soldaten entlassen. Russen <strong>und</strong> Polen wurden <strong>in</strong> das<br />
Durchgangslager auf der »Stettener Höhe« e<strong>in</strong>gewiesen,<br />
Franzosen, Engländer, Australier, Holländer <strong>in</strong> ihre<br />
Heimatländer abtransportiert. Vor ihrer Heimreise feierten die<br />
englischen Kriegsgefangenen unter großer Anteilnahme der<br />
Ordensschwestern e<strong>in</strong>en Dankgottesdienst <strong>in</strong> der Klosterkirche<br />
Rottenmünster.<br />
Für die zurückbleibenden Kranken der Siegermächte wurden<br />
e<strong>in</strong> Franzosen-, e<strong>in</strong> Polen- <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Russenlazarett <strong>in</strong> den<br />
Gebäuden des ehemaligen deutschen Wehrmachtslazaretts<br />
e<strong>in</strong>gerichtet. Die verw<strong>und</strong>eten deutschen Soldaten wurden <strong>in</strong><br />
die Gebäude <strong>und</strong> Holzbaracken des<br />
Kriegsgefangenenlazaretts verlegt.<br />
Nach e<strong>in</strong>er Unterredung <strong>von</strong> Pater Maurus Ladenberger vom<br />
Kloster Beuron, er war mit Rottenmünster seit Jahren eng<br />
verb<strong>und</strong>en, mit dem französischen Kommandanten, wurde<br />
Chefarzt Dr. Wrede die Gefangenschaft erspart; er konnte mit<br />
dem mediz<strong>in</strong>isch- pflegerischen Aufbau der Heilanstalt<br />
beg<strong>in</strong>nen. Als e<strong>in</strong>ziger Facharzt für Psychiatrie <strong>und</strong> Neurologie<br />
betreute er auch alliierte Lazarettpatienten.<br />
Gegen Ende des Krieges befanden sich r<strong>und</strong> 2000<br />
Menschen im Rottenmünster<br />
Unbeschreiblich beengt waren 1945 die rä<strong>um</strong>lichen<br />
Verhältnisse. Z<strong>um</strong> Zeitpunkt des <strong>Kriegsende</strong>s befanden sich<br />
etwa 2000 Menschen, dreimal soviel wie <strong>in</strong> Friedenszeiten, im<br />
Rottenmünster: Patienten, Ordensschwestern <strong>und</strong> Mitarbeiter,<br />
verw<strong>und</strong>ete Wehrmachtsangehörige, verw<strong>und</strong>ete
Abend des 20. April 1945 läutete die e<strong>in</strong>zige im Dachreiter<br />
verbliebene, aus der Frühzeit des Zisterzienser<strong>in</strong>nenklosters<br />
stammende Glocke, das Ende des »Tausendjährigen Reichs«<br />
e<strong>in</strong>. Diese alte Glocke dürfte auch im Jahr 1648 das Ende des<br />
30-jährigen Krieges e<strong>in</strong>geläutet haben. >><br />
Ordensschwestern auf Kohlenklau<br />
In den ersten Nachkriegstagen wurde viel »improvisiert«<br />
Der Mangel an Heizmaterial führte dazu, dass nur ganz<br />
wenige »Kanonenöfle« <strong>in</strong> Wärmestuben betrieben werden<br />
konnten. Dass dies möglich war, ist Ordensschwestern zu<br />
verdanken. In dieser schwierigen Zeit war improvisieren <strong>und</strong><br />
vor allem organisieren überlebenswichtig. So »befreiten« zu<br />
mitternächtlicher St<strong>und</strong>e e<strong>in</strong> »Hamstertrupp« aus<br />
Ordensschwestern <strong>und</strong> Anstaltspfarrer Zimmermann e<strong>in</strong>en<br />
am Altstädter Bahnhof abgestellten Kohlewaggon <strong>um</strong> e<strong>in</strong>en<br />
Teil se<strong>in</strong>er Ladung mit Braunkohlebriketts. Diese<br />
lebensnotwendige Fracht schleppten sie <strong>in</strong> Tragetaschen,<br />
kle<strong>in</strong>en Koffern <strong>und</strong> Rucksäcken <strong>in</strong>s Rottenmünster. Um die<br />
Lebensmittelversorgung zu verbessern, arbeiteten<br />
Ordensschwestern, Personal <strong>und</strong> Patienten <strong>von</strong> »Sonnenaufbis<br />
Sonnenuntergang « <strong>in</strong> Landwirtschaft <strong>und</strong> Gärtnerei.<br />
Lebensmittel wurden sparsamst, oft auch mehrfach genutzt:<br />
So wurde <strong>in</strong> der Krankenhausküche aus Zuckerrüben Sirup<br />
gekocht. Dann wurden die ausgelaugten Rübenschnitzel <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er gusseisernen Pfanne getrocknet, gemahlen <strong>und</strong> als<br />
Kaffee-Ersatz weiterverwandt. Ältere Ordensschwestern<br />
haben immer wieder <strong>von</strong> diesem »Rottenmünsterischen<br />
Kneipp-Kaffee« erzählt. Unmittelbar vor <strong>Kriegsende</strong><br />
beschützten ehemalige russische Insassen des<br />
»Kriegsgefangenenlazaretts Rottenmünster « das<br />
Krankenhausareal, <strong>in</strong>sbesondere den Wohnbereich der<br />
Ordensschwestern. Sie dankten damit den<br />
Ordensschwestern, dass sie <strong>in</strong> unbewachten Augenblicken<br />
oft e<strong>in</strong> Stück Brot, e<strong>in</strong>en Apfel oder e<strong>in</strong>e gekochte Kartoffel<br />
durch den Stacheldrahtzaun h<strong>in</strong>durch den kriegsgefangenen<br />
Verw<strong>und</strong>eten zugeworfen hatten.<br />
Kriegs-gefangene <strong>und</strong> Zwangsarbeiter, evakuierte K<strong>in</strong>der aus<br />
dem Ruhrgebiet, evakuierte Bewohner e<strong>in</strong>es Dresdner<br />
»Siechenheims«, Mädchen der Haushaltungsschule<br />
Untermarchtal, Patienten e<strong>in</strong>er ausgelagerten Abteilung des<br />
<strong>Rottweil</strong>er Krankenhauses <strong>und</strong> zahlreiche, <strong>von</strong> den Behörden<br />
zugewiesene Flüchtl<strong>in</strong>ge. Noch dazu kamen etwa 170<br />
<strong>Rottweil</strong>er Frauen <strong>und</strong> Mädchen, die sich vor den Übergriffen<br />
marokkanischer Soldaten schützen wollten.<br />
Ehemalige Gefangene gestalten Hochzeitsfeier<br />
<strong>in</strong> St. V<strong>in</strong>zenz<br />
Durch diesen Schutz blieb Rottenmünster <strong>in</strong> den ersten<br />
Wochen nach dem E<strong>in</strong>marsch der Franzosen <strong>von</strong><br />
her<strong>um</strong>ziehenden, teils bewaffneten <strong>und</strong> gewalttätigen Russen<br />
<strong>und</strong> Polen verschont. Dieser Dank zeigte durchaus auch<br />
anhängliche Züge: Unmittelbar nach <strong>Kriegsende</strong> kamen<br />
ehemalige russische Kriegsgefangene aus dem Lazarett<br />
Rottenmünster mit ihren Bräuten aus dem Lager »Stettener<br />
Höhe« bei Zimmern zu den Ordensschwestern, <strong>um</strong> im<br />
Rottenmünster zu heiraten <strong>und</strong> auch dort zu feiern.<br />
Ordensschwestern vom Nähzimmer mussten aus<br />
Le<strong>in</strong>tüchern Hochzeitskleider für die Russen nähen; aus<br />
Verbandmull <strong>und</strong> e<strong>in</strong>igen Textilspitzen aus der Vorkriegszeit<br />
entstanden unter den geschickten Händen der<br />
V<strong>in</strong>zent<strong>in</strong>er<strong>in</strong>nen sogar Brautschleier. Die Hochzeitsfeier fand<br />
im Beise<strong>in</strong> zahlreicher Landsleute im gerä<strong>um</strong>igen Speisesaal<br />
der Ordensschwestern im Gebäude St. V<strong>in</strong>zenz statt. Am 31.<br />
Mai feierte ganz Rottenmünster erstmals seit 1933 wieder<br />
se<strong>in</strong> Fronleichnamsfest <strong>in</strong> traditioneller Weise: Girlanden aus<br />
frischem Tannengrün überspannten den Klosterhof, Fahnen<br />
<strong>in</strong> den Kirchenfarben weiß-gelb <strong>und</strong> farbenprächtige<br />
Bl<strong>um</strong>enteppiche schmückten den Prozessionsweg. Der<br />
große Bl<strong>um</strong>enteppich vor dem Hauptaltar brachte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Schrift aus weißen Blütenköpfen die <strong>in</strong>nerste Empf<strong>in</strong>dung der<br />
Klostergeme<strong>in</strong>de z<strong>um</strong> Ausdruck: »Friede, o sei uns gegrüßt!«