ÖDÖN VON HORVATH - THOMAS SESSLER - Verlag
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KASIMIR UND KAROLINE<br />
Musikalisches Volksstück in drei Akten (1932)<br />
Bühnenmusik von Hans Gal<br />
Arrangements und Musikmaterial von Mathias Spohr<br />
6 D, 11 H, SIM.DEK UA Schauspielhaus Leipzig, 18.11.1932<br />
”Gott, was sind das für Zeiten! Die Welt ist voller Unruhe, alles drunter und drüber, und noch weiß man<br />
nichts Gewisses! Man müßte ein Nestroy sein, um all das definieren zu können, was einem undefiniert im<br />
Wege steht!” Ödön von Horváth<br />
Ob es ein Trauerspiel werden wird oder ein Lustspiel - ich weiß es noch nicht. Ich hab einen<br />
guten Einfall, eine alltägliche Liebesgeschichte. Aber ich seh noch keinen richtigen Schluß.<br />
Soll die Frau sich vergiften oder nicht? Und was mach ich mit dem Mann? Vielleicht wärs<br />
doch besser, wenn sie am Leben bliebe, obwohl ich ein Realist bin. - Ich weiß es noch nicht.<br />
Auf dem Münchner Oktoberfest, das mit Achterbahn und Abnormitäten, mit Zeppelin und Liliputanern<br />
stets aufdringlich, wenn auch melancholisch vorhanden ist, geht die Beziehung zwischen dem<br />
arbeitslosen Kasimir und Karoline, der Kasimir nicht glauben kann, daß sie ihn trotzdem liebt, endgültig<br />
entzwei.<br />
”Sie hat kein schlechtes Herz”, schrieb Alfred Polgar über Karoline, ”man kann sie vielmehr einen guten<br />
Kerl nennen: nur fehlen ihr die sittlichen Grundsätze. Eine negative Eigenschaft, die sie mit sämtlichen<br />
Versuchspersonen des Horváthschen Laboratoriums teilt.” Trauer über verlorene Liebe und Lachen über<br />
die hanebüchenen Klischees, in denen sich diese Trauer ausdrückt, fallen zusammen. Karolines Tragik ist<br />
es, echte Gefühle durch falsche Worte auszudrücken, und wenn sie sich mit Phrasen rechtfertigt, so<br />
drücken diese Phrasen doch auch ihren speziellen Fall genau aus: ”Ich habe es mir halt eingebildet, daß<br />
ich mir einen rosigeren Blick in die Zukunft erringen könnte - und einige Momente habe ich mit allerhand<br />
Gedanken gespielt. Aber ich müßt so tief unter mich hinunter, damit ich höher hinauf kann.”<br />
Auch in diesem Stück entsteht aus der Satire Poesie auf pseudopoetischen Kitsch, Traurigkeit und<br />
Melancholie vermischt mit Zauber und leiser Verzückung aus den abnormen Menschen: Da ist das<br />
Gorillamädchen Juanita, der böse Liliputaner, das kurzsichtige, bebrillte Mädchen, das während der<br />
Hippodrom-Szene auf einem ausgemergelten Pferd an der Rampe vorbereitet. Der Dichter wählt bewußt<br />
den bunt wirbelnden Schauplatz des Münchner Oktoberfestes für sein Stück, repräsentativ als<br />
Sammelplatz für Krankheitssymptome einer Gesellschaftskrise.<br />
GLAUBE LIEBE HOFFNUNG<br />
Ein kleiner Totentanz in fünf Bildern (1932)<br />
Ödön von Horváth und Lukas Kristl<br />
5 D, 13 H, 5 DEK UA Theater für 49 am Schottenring, Wien, 13.11.1936<br />
Elisabeth, die in der Anatomie ihren Körper verkaufen will, weil sie 150 Mark für einen<br />
Wandergewerbeschein braucht, werden von einem mitleidigen Präparator, der sie darüber aufklärt, daß<br />
die Anatomie keine Körper lebender Menschen bezahlt, die 150 Mark geliehen. Derselbe Präparator<br />
bringt sie ins Gefängnis, als er erfährt, daß sie geschwindelt hat: sie braucht die 150 Mark dringend, um<br />
die Geldstrafe zu bezahlen, die sie dafür erhalten hat, daß sie ohne Wandergewerbeschein ertappt<br />
worden ist. Auch mit dem Wandergewerbeschein, den ihr eine Firma vorgestreckt hat, ist sie eine<br />
erfolglose Vertreterin. Als ein Polizist, der sie heiraten will und ihr als seiner Braut wöchentlich zwanzig Mark<br />
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