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Biotechnologie, Biopolitik und die Frage nach dem Lebendigen

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Hans Jonas, Günther Altner <strong>und</strong> <strong>die</strong> Köperhistorikerin Barbara Duden. Wie sie möchte ich der<br />

<strong>Frage</strong> <strong>nach</strong> einer Vorstellung von Leben jenseits des physikalischen, mechanistischen<br />

Erfolgsmodells der Molekularbiologie <strong>nach</strong>gehen.<br />

Seit Descartes sind mehrere Gegenmodelle zu <strong>die</strong>ser Sichtweise von Leben entwickelt<br />

worden. Zunächst das Konzept der Teleologie, wie es Kant vertrat <strong>und</strong> dann das Modell des<br />

Vitalismus, das <strong>die</strong> alten Lebenskrafttheorien ablöste. Der Vitalismus, der schon ins 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert gehört, beharrte auf der Nichtreduzierbarkeit des <strong>Lebendigen</strong> auf <strong>die</strong> Gesetze der<br />

Mechanik. Unter den Erben der Gegenwartsdiskussion schließlich sind es Konzepte der<br />

Selbstorganisation bzw. der Autopoesis, <strong>die</strong> in neueren Entwicklungen der Biologie vor allem<br />

im Bereich der Biochemie an Bedeutung gewonnen haben.<br />

Kants Konzept der Teleologie, das <strong>die</strong> Zweckgerichtetheit oder Zweckhaftigkeit von<br />

Phänomenen des Lebens in den Blick nimmt, verweist auf eine Eigentümlichkeit von<br />

Lebewesen, <strong>die</strong> man auch als ihre „Protosubjektivität“ bezeichnen könnte. Die ersten<br />

Merkmale des <strong>Lebendigen</strong> sind seine Fähigkeit zur Selbsterhaltung (durch<br />

Nahrungsaufnahme <strong>und</strong> Stoffwechsel) <strong>und</strong> seine Fähigkeit zur Reproduktion (zur<br />

Fortpflanzung). Diese Fähigkeiten lassen sich am besten beschreiben in Begriffen der<br />

Selbstorganisation <strong>und</strong> der Zweckgerichtetheit, <strong>die</strong> auf höheren Stufen der Entwicklung des<br />

Lebens <strong>die</strong> Form von Intentionalität <strong>und</strong> schließlich von Subjekthaftigkeit annehmen.<br />

Die Klassiker der kontinentalen Biologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts haben sich<br />

wesentlich auf eine Begrifflichkeit von Intentionalität <strong>und</strong> Subjekthaftigkeit gestützt. Die<br />

Gründe dafür, dass <strong>die</strong>se Vorstellungen von Leben mit der molekularbiologischen Revolution<br />

völlig aus <strong>dem</strong> Diskurs aus der Biologie verschw<strong>und</strong>en sind, lassen sich leicht erheben. Da ist<br />

einmal auf den wissenschaftshistorischen Bruch hinzuweisen, der mit der Ära des<br />

Nationalsozialismus <strong>und</strong> mit <strong>dem</strong> zweiten Weltkrieg verb<strong>und</strong>en ist. Es waren schließlich <strong>die</strong><br />

Zielsetzungen der Kriegsindustrie, <strong>die</strong> den Anstoß gaben für <strong>die</strong> Entstehung eines neuen<br />

Paradigmas der Biologie. Ausgangspunkt waren <strong>die</strong> Entwicklungen in der<br />

Informationstheorie <strong>und</strong> der Kybernetik. Sie waren Anlass dafür, dass das mechanistische<br />

Modell des Lebens über <strong>die</strong> anderen genannten Sichtweisen, <strong>die</strong> des Vitalismus <strong>und</strong> der<br />

Teleologie den Sieg davontrugen. In der Folge ereignete sich, was <strong>die</strong><br />

Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway <strong>die</strong> „Implosion von Biologie <strong>und</strong> Informatik“<br />

nannte. Durch <strong>die</strong> Verschmelzung von Biologie <strong>und</strong> Informatik wurde <strong>die</strong> Sprache bzw. das<br />

Sprechen über Organisches in eine Sprache über Maschinen übersetzt. Die Elemente <strong>die</strong>ser<br />

Sprachen sind <strong>die</strong> biochemischen Einheiten von Leben, Moleküle.<br />

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