Architektur als Haus der Theologie
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<strong>Architektur</strong> <strong>als</strong> <strong>Haus</strong> <strong>der</strong> <strong>Theologie</strong><br />
(Dr. Erika Grünewald)<br />
Kirchenräume ziehen uns optisch innen wie außen an, ohne dass wir über <strong>der</strong>en<br />
Zusammensetzung reflektieren. Dass ein Ort „heilig“ o<strong>der</strong> „überwältigend“ o<strong>der</strong> vielleicht gar<br />
„fürchterlich“ erscheint, liegt an <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Materie und am Ort ihrer Anbringung. Im<br />
Innenraum erkennen wir die Zahl „zwölf“ <strong>als</strong> den Aposteln zugehörig, bei „drei“ springen wir<br />
schnell zum Wort „Trinität“ (Dreifaltigkeit). Seltener nehmen wir uns die Zeit zu erkennen,<br />
dass nicht allein die Zahl, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Ort ihrer Anbringung eine theologische Aussage<br />
enthalten kann. So, z.B., dass drei Säulchen eine Altarnische stützen und somit<br />
versinnbildlichen, dass sich hier <strong>der</strong> Ort <strong>der</strong> fortwährenden Präsenz Christi befindet, <strong>der</strong> Ort<br />
<strong>der</strong> Gemeinschaft in Christus.<br />
Drei Stützen links <strong>der</strong> Altarnische, Passionskirche, Berlin<br />
Ebenso birgt die Anbringung einer Zwerggalerie um weite Teile des Obergeschosses eine<br />
theologische Aussage. Die kleinen gedrehten Säulchen, eine augenscheinliche Spielerei, sind<br />
in Wahrheit ein Hinweis auf das Tempel Salomons. Das Motiv taucht wie<strong>der</strong>holt über die<br />
Jahrhun<strong>der</strong>te auf, zunächst in Buchminiaturen des Mittelalters. Beliebt war die Darstellung<br />
eines durch gedrehte Säulen geson<strong>der</strong>ten Raumes wo ein Evangelist das Wort des Herrn<br />
aufschreibt.<br />
Beson<strong>der</strong>s nachhaltig hat sie <strong>der</strong> Bildhauer und Architekt Gian Lorenzo Bernini im<br />
Petersdom inkorporiert. Unterhalb <strong>der</strong> Kuppel entstand 1624 bis 1633 über dem überlieferten<br />
Petrusgrab <strong>der</strong> Papstaltar unter einem bronzenen Baldachin. Vier gewundene Säulen mit<br />
korinthischen Kapitellen stützen den Baldachin. Zwischen ihnen reihen sich kleine bezottelte<br />
Wimpel mit Attributen des damaligen Papstes.<br />
Dieses Werk des römischen Hochbarocks bescherte Generationen von Kirchen mit<br />
Nachahmungen, beson<strong>der</strong>s in ländlichen Gegenden. Das römische Original wurde in Bronze
gegossen, aber es wurde gern kostengünstiger in Stuck hergestellt. Konnte sich eine arme<br />
Gemeinde diese aufwändige Arbeit nicht leisten, so wurden die schräg verlaufenden Formen<br />
zumindest farblich aufgemalt, mal mit künstlerischem Geschick, mal eher stümperhaft. Doch<br />
in evangelischen Kirchen zur Zeit <strong>der</strong> Konfessionalisierung vernachlässigte die räumliche<br />
Ausrichtung zunehmend den Altar und nahm die Kanzel in den Focus. Doch die Wimpel mit<br />
den Zotteln ließen sie nicht zurück. Diese verließen ihren Ort über dem Papstaltar und<br />
wan<strong>der</strong>ten ebenfalls zu den Kanzeln des 17. und 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts, jetzt freilich ohne<br />
päpstliche Insignia.<br />
Detail über den Emporen, Passionskirche, Berlin<br />
Die Passionskirche in <strong>der</strong> Tempelhofer Vorstadt (Kreuzberg) wurde 1905–1908 <strong>als</strong> dritte<br />
Kirche <strong>der</strong> Heilig-Kreuz-Gemeinde nach Plänen des Baurates Theodor Astfalck errichtet. Die<br />
monumentale wilhelminische Kirche wurde im neuromanischen Stil aus Backstein im<br />
Klosterformat gebaut. Ob die angedeutete Zwerggalerie, die über den Köpfen <strong>der</strong> vier<br />
Evangelisten in <strong>der</strong> Passionskirche verläuft, sich bewusst auf das Tempel Salomos bezieht<br />
o<strong>der</strong> ob gedrehte Säulen einfach „zum Vokabular“ des Historismus gehörten, lässt sich heute<br />
nicht mehr mit Sicherheit feststellen.