Rogier van der Weyden Der Bladelin-Altar - AKD Atlas religiöser ...
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<strong>Rogier</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Weyden</strong><br />
<strong>Der</strong> <strong>Bladelin</strong>-<strong>Altar</strong><br />
o<strong>der</strong>: <strong>Der</strong> Middelburger <strong>Altar</strong>. Um 1445.<br />
Eichenholz; Mittelbild 91x89cm, Flügel je 91x40cm.<br />
<strong>Der</strong> Maler<br />
<strong>Rogier</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Weyden</strong> wurde 1400 in Tournai geboren. Seine malerische Ausbildung erhielt er dort<br />
bei Robert Campin, zu dessen Werkstatt er seit 1427 gehörte. 1432 wurde er Meister in <strong>der</strong> Lukasgilde<br />
in Tournai. Seit 1436 ist er als Stadtmaler von Brüssel bezeugt. 1450 reiste er nach Rom. Schon zu<br />
Lebzeiten wurde er wegen seiner Malkünste berühmt und war an den Höfen vornehmer Fürsten beliebt.<br />
Nach Jan <strong>van</strong> Eyck ist er <strong>der</strong> bedeutendste nie<strong>der</strong>ländische Maler <strong>der</strong> ersten Hälfe <strong>der</strong> 15.Jhs. In bis<br />
dahin unbekannter Weise zeigt <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Weyden</strong> beson<strong>der</strong>s in seinen Triptychen nicht nur das sakrale<br />
Geschehen, son<strong>der</strong>n lässt durch die Plastizität seiner Figuren und <strong>der</strong> Architektur den Betrachter selbst<br />
daran teil nehmen. Farblich gesehen bringen beson<strong>der</strong>s Rot/Blau Kontraste seine Bil<strong>der</strong> zum Leuchten.<br />
Am 18.6.1467 starb <strong>Rogier</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Weyden</strong> in Büssel. Seine ernsthafte, lebensnahe und detailtreue<br />
Kunst, seine Figurenfindungen und Kompositionsprinzipien prägten die spätere Malerei.<br />
<strong>Der</strong> <strong>Bladelin</strong>-<strong>Altar</strong><br />
gehört zu den Hauptwerken <strong>Rogier</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Weyden</strong>s und zeigt seine volle Meisterschaft. Es handelt<br />
sich um ein Triptychon, also ein dreiteiliges <strong>Altar</strong>bild. Das größere Mittelbild zeigt das Hauptgeschehen,<br />
die beiden schmaleren Seitenflügel beziehen sich inhaltlich und kompositorisch darauf.<br />
Beschreibung<br />
Die Mitteltafel zeigt im Vor<strong>der</strong>grund ein zerfallenes Gebäude aus Steinen mit romanisch anmutenden<br />
Fenstern. Unter dem Giebel kniet Maria im Mittelpunkt in einem weißen Kleid und blickt anbetend auf ihr<br />
am Boden, auf ihrem blauen Umhang liegendes Kind. Nur sie und ihr Kind sind im Triptychon mit<br />
goldenen Nimbus-Strahlen ausgezeichnet. Bildlich gesehen über, räumlich gesehen hinter dem Kind
knien drei kleine anbetende Engel, halb von einer großen Säule verdeckt, die das Gebälk abstützt. Vom<br />
Betrachter aus gesehen links neben <strong>der</strong> Säule kniet <strong>der</strong> rot gewandete Josef, <strong>der</strong> eine kleine brennende<br />
Kerze hält. Hinter den Engeln und Josef, weiter hinten im Stall stehen Ochse und Esel. Alternierend zu<br />
Josef kniet anbetend auf <strong>der</strong> rechten Bildseite ein schwarz gekleideter Mann mit Schnabelschuhen.<br />
Unten an <strong>der</strong> Bildkante befinden sich zwei Löcher im Boden, eins mit, eins ohne Gitter darüber. -<br />
Im Hintergrund breitet sich eine grüne Landschaft bei Tageslicht aus. Rechts oben im Bild blickt man<br />
auf eine Stadtarchitektur, links oben malte <strong>Rogier</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Weyden</strong> klein die Verkündigung des Engels<br />
an die Hirten auf dem Felde.<br />
Auf dem rechten <strong>Altar</strong>flügel sehen wir drei vornehm gekleidete, in einer Landschaft vor einem Berg<br />
knieende Männer, offensichtlich die Magier, später wegen ihrer drei Geschenke für die drei Heiligen<br />
Könige gehalten. Ihre Hüte haben sie abgelegt, bzw. halten sie in Händen. Sie blicken hinauf über die<br />
Bergkuppe, über <strong>der</strong> ein kleiner Knabe mit Segensgestus schwebt, umgeben von einem rötlichgoldenen<br />
Strahlenglanz. Hinter dem Berg breitet sich eine weite Landschaft aus mit einem Fluss, weiter<br />
hinten auch eine Stadt. Hinten am Flussufer sieht man Badende.<br />
Die linke <strong>Altar</strong>seite erlaubt den Blick in einen spätmittelalterlichen Raum mit einem rot behangenem Bett<br />
und mit einem hohen Fenster mit kreuzförmigen Fensterahmen (lateinische Kreuzform). Die unteren<br />
hölzernen Fensterflügel sind geöffnet, so dass man die weite Landschaft sehen kann und Maria mit<br />
ihrem Kind auf dem Schoß, die auf einem altarähnlichen Thron im Himmel schwebt, von goldenem<br />
Schein umgeben. Auf dem gefliesten Fußboden des Raumes kniet ein vornehm gekleideter Mann, <strong>der</strong><br />
gerade seine goldgeschmückte Kopfbedeckung ablegt und eine Weihrauchgefäß schwenkt. Eine junge<br />
Frau steht hinter ihm und scheint ihm die Erscheinung Marias zu erklären. Ganz rechts am Bildrand<br />
stehen, vom Maler nur angeschnitten, drei Männer, die auf den am Boden Knieenden, bzw. auf die<br />
junge Frau schauen.
Bedeutung<br />
Wie bei vielen Gemälden des Mittelalters ist auch dieses Triptychon nicht zu verstehen ohne die<br />
Zuhilfenahme von Schriften und Büchern, die damals sehr bekannt waren.<br />
Fragen an das Bild:<br />
- Warum trägt Maria hier ein weißes Gewand, nicht ein blau-rotes wie sonst meistens?<br />
- Warum hält Josef eine Kerze in <strong>der</strong> Hand?<br />
- Warum liegt das Neugeborene auf dem Fußboden und nicht wie auf an<strong>der</strong>en<br />
Weihnachtsbil<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Krippe?<br />
Die Offenbarungen <strong>der</strong> Heiligen Birgitta von Schweden (1303 – 1373), im späten Mittelalter häufig<br />
aufgeschrieben, weit verbreitet und bekannt, lesen sich wie eine Erklärung dieses Bildes: „Als ich an<br />
des Herrn Krippe zu Bethlehem war, sah ich eine Jungfrau; dieselbe war ... mit einem weißen Mantel<br />
und einem feinen Rocke bekleidet.“ Die Jungfrau hatte, so sieht es Birgitta in ihrer Vision, „überaus<br />
schöne, wie goldene Haare, die ausgebreitet über ihren Schultern herab hängen ... Bei ihr befand sich<br />
ein gar ehrbarer Greis, und beide hatten einen Ochsen und einen Esel bei sich. Als sie in die Höhle<br />
eingetreten waren, band <strong>der</strong> Greis den Ochsen und den Esel an die Krippe, ging hinaus und brachte <strong>der</strong><br />
Jungfrau eine angezündete Kerze, befestigte dieselbe an <strong>der</strong> Wand und ging wie<strong>der</strong> hinaus, um nicht<br />
persönlich bei <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>kunft dabei zu sein. .... In einem Nu hatte Maria ihren Sohn geboren, von<br />
welchem ein so großes, unaussprechliches Licht und Glanz ausgingen, dass die Sonne damit keinen<br />
Vergleich aushielt, noch weniger jene leuchtende Kerze, welche <strong>der</strong> Greis aufgesteckt hatte, weil jener<br />
göttliche Glanz den irdischen Schein <strong>der</strong> Kerze ganz vernichtet hatte. .... Ich sah sogleich das Kind<br />
nackt und ganz leuchtend am Boden liegen. Sein Fleisch war ganz rein von jeglichem Makel und<br />
Unreinheit. ... Auch Gesänge <strong>der</strong> Engel von wun<strong>der</strong>barer Lieblichkeit und Süße vernahm ich. ... Sobald<br />
die Jungfrau bemerkte, dass sie geboren hatte, beugte sie sogleich das Haupt, legte die Hände<br />
zusammen, betete mit großer Ehrbarkeit und voll Ehrfurcht den Knaben an und sprach zu diesem:<br />
„Willkommen, mein Gott, mein Herr und mein Sohn!“ .... Die Jungfrau erlitt bei <strong>der</strong> Geburt keinerlei<br />
Verän<strong>der</strong>ungen durch Verfärbung o<strong>der</strong> Schwachheit. Auch nahm an ihr die leibliche Kraft nicht ab, wie<br />
es bei an<strong>der</strong>en gebärenden Weibern zu geschehen pflegt ...“<br />
(Aus 13.Kap., 7.Buch <strong>der</strong> himmlischen Offenbarungen <strong>der</strong> Heiligen Birgitta. Hrsg. Ludwig Clarus, 3.Bd.2.Auflage, Regensburg 1888,<br />
S.269-273)<br />
- Wer ist <strong>der</strong> schwarz gekleidete Mann?<br />
- Welche Stadt ist über ihm zu sehen?
Es handelt sich um Pieter <strong>Bladelin</strong>, den Stifter des Triptychons, <strong>der</strong> es beim Maler bestellt und bezahlt<br />
hat. Seine Kleidung und die langen Schnabelschuhe zeigen seine Würde und seinen Reichtum.<br />
Überaus selbstbewusst lässt er sich hier vom Maler, sicher nach genauer Absprache mit ihm, direkt vor<br />
<strong>der</strong> Gottesmutter in gleicher Größe malen, ihr noch näher als die heiligen drei Könige hinter ihm, von ihr<br />
nicht getrennt wie auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite Josef durch die Säule!<br />
Pieter <strong>Bladelin</strong> lebte von 1410 bis 1472. Er war Steuereinnehmer in Brügge, Finanzminister Burgunds<br />
und daher sehr vermögend. Er war Schatzmeister des Ordens vom Goldenen Vlies, Ritter, Vertreter des<br />
Großkapitals und Ratgeber Philipps des Guten von Burgund. Er verwaltete die Geldmittel für den<br />
Kreuzzug gegen die Türken.1440 sollte er Karl von Orleans aus <strong>der</strong> englischen Gefangenschaft<br />
freikaufen. Durch seinen Reichtum hatte er also auch großen politischen Einfluss. Allerdings setzte er<br />
seine Gel<strong>der</strong> auch für den Bau von Deichen ein (<strong>Bladelin</strong>pol<strong>der</strong>). Und er gründete eine neue Stadt<br />
nordöstlich von Brügge: Middelburg, seine Stadt, die von 1448 bis 1464 hochgezogen wurde. Für den<br />
<strong>Altar</strong> seiner Stadtkirche bestellte er bei <strong>Rogier</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Weyden</strong> dieses Triptychon als Schmuck – und<br />
als politisches Vermächtnis. Heute befindet sich in Middelburg nur eine Kopie, das Original aber in <strong>der</strong><br />
Berliner Gemäldegalerie.<br />
<strong>Bladelin</strong> ließ aber nicht nur sich selbst vor die Krippe malen, son<strong>der</strong>n er ging noch weiter: Indem er im<br />
Hintergrund, über sich, die Stadt Middelburg und sein Schloß malen ließ, verlegte er das göttliche<br />
Geschehen in sein Land, in seine Zeit!<br />
- Wieso steht diese Säule so auffällig im Vor<strong>der</strong>grund?
In alten Bil<strong>der</strong>n haben alle Gegenstände eine Bedeutung, so auch diese Säule. Direkt neben dem<br />
Jesuskind weist sie schon auf die Passion hin: Dass <strong>der</strong> erwachsene Messias <strong>der</strong>einst im Auftrag des<br />
Pilatus gegeißelt werden wird. Diese Geißelung stellte man sich im Mittelalter an einer Geißelsäule vor,<br />
die als solche auch das Gebundensein des Gottessohnes an seine Existenz zwischen Himmel und Erde<br />
symbolisiert. Hier trägt die Säule eine ruinöse romanische Architektur: „Das Alte ist vergangen, siehe,<br />
es ist alles neu geworden!“ Ochse und Esel dienen als (lei<strong>der</strong> auch antijudaistisch verstandene)<br />
Garanten dafür, dass dies Neugeborene <strong>der</strong> Herr <strong>der</strong> Welt ist (vgl. Jes.1,3). Die Zeit des Alten Bundes,<br />
des Alten Testamentes ist nach mittelalterlich-christlichem Verständnis vorbei, die Zeit Christi und <strong>der</strong><br />
Kirche bringt Heiles, lichtvoll Neues. So wie die Zeit <strong>der</strong> Romanik vorbei und nun Gotik angesagt ist:<br />
Middelburgs gotische Kirche im Hintergrund!<br />
Rätselhaft sind die beiden Bodenlöcher am unteren Bildrand. Vielleicht sollen sie an eine Krypta, also<br />
an das Reich <strong>der</strong> Toten erinnern, das dies Kind überwinden und besiegen wird. Vielleicht bedeutet das<br />
Dunkle im Bild, also diese beiden Löcher und die höhlenartige Dunkelheit hinter Ochs und Esel im Stall<br />
die Vergangenheit, und <strong>der</strong> lichtvolle Horizont über <strong>der</strong> neu gegründeten Stadt die glorreiche Zukunft,<br />
die sich <strong>Bladelin</strong> erhofft? Das würde auch erklären, warum das Geschehen nicht wie sonst in <strong>der</strong> Nacht<br />
son<strong>der</strong>n offensichtlich am helllichten Tag abspielt...
<strong>Der</strong> rechte Bildflügel<br />
Im Neuen Testament steht nichts von <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Weisen aus dem Morgenland. Doch wegen ihrer<br />
drei königlichen Geschenke dachte man schon bald an drei Könige, denen man dann auch Namen gab:<br />
Kaspar, Melchior und Balthasar. Noch später stellte man sie in den drei Lebensabschnitten Jugend,<br />
mittleres Alter und im Alter dar. Und außerdem gab man einem von ihnen negroides Aussehen, um zu<br />
zeigen, dass die Könige dreier Kontinente dieses Kind als ihren übergeordneten König <strong>der</strong> Welt<br />
ansehen.<br />
- Wer ist das Kind im Stern über dem Berg?<br />
- Warum sieht man im Hintergrund Badende?<br />
Sicher noch bekannter als die Offenbarungen <strong>der</strong> Birgitta von Schweden war im Mittelalter die Legenda<br />
Aurea. Die „Goldenen Geschichten“ waren im Volk meist bekannter als <strong>der</strong> Text <strong>der</strong> Bibel, denn diese<br />
wurde in <strong>der</strong> Kirche nur in lateinischer Sprache vorgelesen. Im Abschnitt „Christus- und<br />
Marienlegenden, Epiphanie“ ist zu lesen, dass die Weisen für Nachkommen des Propheten Bileam<br />
gehalten wurden. Sie kamen herbei, weil ihr Vorfahre Bileam prophezeit hatte: „Aufgehen wird ein Stern<br />
aus Jakob und erheben wird sich ein Mann aus Israel“(Num.24,17) <strong>Der</strong> Kirchenvater Chrysostomos<br />
berichtet, dass drei ausgewählte Nachfolger Bileams alle Jahre Monat für Monat auf einen Berg<br />
stiegen, sich vorher rein wuschen (hier im Bild im Hintergrund in einem Fluss!), oben drei Tage im<br />
Gebet blieben in <strong>der</strong> Hoffnung, dass Gott ihnen endlich den erwarteten Stern zeigen würde. “Als sie<br />
aber einmal – und zwar am Tage <strong>der</strong> Geburt unseres Herrn - auf dem Berg weilten, erschien über ihnen<br />
ein Stern, <strong>der</strong> die Gestalt eines allerschönsten Knaben hatte. Auf seinem Haupt leuchtete ein Kreuz,<br />
das zu den Weisen mit den Worten sprach: „Geht schnell in das Land Juda, und ihr werdet dort den<br />
König finden, den ihr sucht!“ Da machten sich jene alsbald auf ...“<br />
Für <strong>Rogier</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Weyden</strong> scheint <strong>der</strong> Knabe im Stern das Christuskind selbst zu sein, denn es sieht<br />
genau so aus wie jenes in <strong>der</strong> Mitteltafel, und es zeigt den Segensgestus Christi.<br />
<strong>Der</strong> linke Bildflügel<br />
- Wer sind diese Personen?<br />
- Warum schwebt Maria mit dem Kind dort im Himmel auf einem <strong>Altar</strong>?
Hätte man keine Kenntnis <strong>der</strong> Legenda Aurea, bliebe dieses Bild ein Rätsel. Dort aber heißt es im<br />
Abschnitt „Geburt Jesu, Zeichen durch die reine Materie“: Kaiser Augustus, <strong>der</strong> zu jener Zeit über das<br />
römische Weltreich herrschte, sollte sich auf Anraten seiner Gefolgsleute als göttlich erklären lassen.<br />
„Da <strong>der</strong> Kaiser aber wusste, dass er sterblich war, wollte er in seiner Klugheit die Bezeichnung eines<br />
Unsterblichen nicht beanspruchen. Weil ihn aber jene bedrängten, rief er die Sibylle herbei – das war<br />
eine Prophetin – und wollte durch ihre Weissagung erfahren, ob einmal auf <strong>der</strong> Welt einer geboren<br />
werden sollte, <strong>der</strong> größer wäre als er selbst. Als nun Augustus – gerade am Tag <strong>der</strong> Geburt unseres<br />
Herrn – eine Beratung über die Angelegenheit angeordnet hatte und die Sibylle allein in <strong>der</strong> Kammer<br />
des Kaisers ihrer Orakelgebung oblag, erschien mitten am Tage ein goldener Kreis um die Sonne, und<br />
in <strong>der</strong> Mitte des Kreises eine allerschönste Jungfrau, die einen Knaben auf ihrem Schoß trug. Da wies<br />
die Sibylle auf die Erscheinung, und als <strong>der</strong> Kaiser darüber in großes Erstaunen geriet, hörte er eine<br />
Stimme, die zu ihm sprach: „Das ist <strong>der</strong> <strong>Altar</strong> des Himmels!“ Und die Sibylle sagte: „Dieser Knabe ist<br />
größer als du; bete ihn daher an!“ Da <strong>der</strong> Kaiser also erkannte, dass dieser Knabe größer als er selbst<br />
war, brachte er ihm Weihrauch dar und lehnte es ab, künftighin „Gott“ genannt zu werden.“<br />
Sicher nicht ohne Absicht lässt <strong>Rogier</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Weyden</strong> den Kaiser durch ein Fenster mit einem dunklen<br />
Kreuz auf die Erscheinung <strong>der</strong> Maria blicken, die im Licht dahinter schwebt: <strong>Der</strong> Weg zur Erlösung führt<br />
durch die Schwärze des Kreuzes; eine geniale Bildfindung des Malers.<br />
Die drei Männer rechts am Bildrand sind wohl des Kaisers Untergebene, die ihm den Vorschlag <strong>der</strong><br />
Gottgleichheit machen.<br />
Komposition
Die Kompositonsskizze zeigt (grüne Linien), wie <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Weyden</strong> durch die Umrisslinien <strong>der</strong> Knieenden,<br />
<strong>der</strong> Architektur und <strong>der</strong> Landschaft im Hintergrund ein großes Oval entstehen lässt, dass die beiden<br />
Seitentafeln voll ins Bildgeschehen <strong>der</strong> Mitte mit hinein nimmt. Die beiden Flügel wie<strong>der</strong>um stützen mit<br />
ihrer Lineatur die Gesamtkomposition nach außen hin alternierend ab.<br />
Die Blickrichtungen (blaue Linien)sind in den Außenbil<strong>der</strong>n nach oben gerichtet: Hier erfahren die<br />
Handlungsträger, dass Gott Mensch werden wird. Im Mittelbild sind die Blicke <strong>der</strong> Erwachsenen nach<br />
unten auf das am Boden liegende Kind gerichtet: So zeigt <strong>der</strong> Maler die stattgefundene Herabkunft<br />
Gottes in diesem Kind. Dieses wie<strong>der</strong>um schaut immer auf die, die es anbeten, und zeigt so den echten<br />
Kontakt mit den Gläubigen und die Erhörung ihrer Gebete.<br />
Die drei Engel über dem Stall hat <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Weyden</strong> im Goldenen Schnitt in die Bildbreite gesetzt; sie<br />
geben so den drei Teilen noch mehr Zusammenhalt.
Versuch einer Gesamtaussage<br />
<strong>Bladelin</strong> lässt sich von <strong>Rogier</strong> <strong>van</strong> <strong>der</strong> <strong>Weyden</strong> in diesem <strong>Altar</strong>bild mit in den Kreis <strong>der</strong> Gottesmutter<br />
und <strong>der</strong> Heiligen aufnehmen. Damit will er an die in <strong>der</strong> Kirche seiner Stadt versammelte Gemeinde<br />
folgende Botschaft ausrichten: „Es gibt nur einen König und Kaiser, den ich über mir, eurem Herzog,<br />
anerkenne: Jesus Christus, Gottes Mensch gewordener Sohn, <strong>der</strong> die Welt, auch meinen<br />
Herrschaftsbereich, hell gemacht hat. Ich bin wie die biblischen Könige hier im Bild von Gottes Gnaden<br />
in mein hohes Amt eingesetzt, also hört auf mich!“<br />
Didaktische Vorschläge<br />
Umzeichnung : Ulrike Neubauer, nach: Gemäldegalerie , 200 Meisterwerke, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, S.127.<br />
Suchen und Finden in <strong>der</strong> Gemäldegalerie<br />
Bei einem Besuch <strong>der</strong> Gemäldegalerie in <strong>der</strong> Adventszeit o<strong>der</strong> Anfang Januar gibt man den Schülern<br />
verschiedene kleine Ausschnitte dieses Bildes in die Hand mit dem Auftrag, sie sollen genau das Bild<br />
finden, zu dem dieser Ausschnitt gehört. Aus <strong>der</strong> S/W-Zeichnung könnte man das Sternenkind, Maria<br />
auf dem himmlischen Thron, Ochs und Esel neben <strong>der</strong> Säule, Josefs Hand über <strong>der</strong> Kerze, die Stadt<br />
im Hintergrund, die Hand <strong>der</strong> Sibylle auf <strong>der</strong> Schulter des Augustus nehmen. Man lässt die Schüler nur<br />
auf <strong>der</strong> Nordseite <strong>der</strong> Galerie suchen. Wenn sie den Ausschnitt gefunden haben (ca 10-15Min.), sollen<br />
sie vor dem Bild warten. Die Sch. lernen dabei aufmerksames Betrachten <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>. Schließlich landen<br />
alle Sch. vor demselben Bild. Nun werden erste Eindrücke und Vermutungen zum Bild gesammelt.<br />
(Stühle sind vorn in <strong>der</strong> Galerie abzuholen bei Raum I ). Dann werden die Texte aus <strong>der</strong> Bibel (Mt 2),<br />
den Offenbarungen <strong>der</strong> Birgitta und <strong>der</strong> Legenda Aurea an die Sch. verteilt (in Gruppen, sich<br />
gegenseitig vorlesend). Daraufhin erzählen die Sprecher <strong>der</strong> Gruppen den an<strong>der</strong>en, was sie gelesen<br />
haben; im Gespräch wird Vorgelesenes im Bild fest gemacht. Die Sch. lernen so, dass mittelalterliche<br />
Bil<strong>der</strong> sich nicht nur auf biblische, son<strong>der</strong>n auch an<strong>der</strong>e damals bekannte Texte beziehen können.<br />
Zurück in <strong>der</strong> Schule
könnten die jüngeren Sch. anstelle <strong>Bladelin</strong>s sich selbst ins Bild malen und in die Seitenflügel, was<br />
ihnen an Jesus (o<strong>der</strong> an Weihnachten) wichtig ist.<br />
Das neu gestaltete Triptychon könnte auf Pappe geklebt werden (Rand lassen!), an den Seiten<br />
zwischen den Tafeln angeknickt werden und so, mit einer Kerze davor, als Weihnachtsgeschenk<br />
dienen.<br />
Die älteren Schüler könnten zudem noch über den politischen Inhalt des Bildes diskutieren:<br />
- Wie findet ihr es, dass <strong>der</strong> Herzog das biblische Geschehen in dieser Weise auf sich bezieht?<br />
- Wie weit - o<strong>der</strong> ob überhaupt ! - dürfen Politiker Religiöses zu ihrer eigenen Machtdarstellung<br />
benutzen? (<strong>Der</strong> US-Präsident Bush hat z.B. auch von <strong>der</strong> Kanzel in einer Kirche herab Reden<br />
an sein Volk gehalten!)