17 - Lösung
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Wiss. Mit. RA Dr. Bernhard Ulrici<br />
Sachverhalte und <strong>Lösung</strong>en bauen auf den Unterlagen von Prof. Dr. Tim Drygala aus dem SS 2009 auf<br />
LEO BGB-I – Rechtsgeschäftslehre und Allgemeines Schuldrecht (Sommersemester 2011)<br />
<strong>Lösung</strong>svorschlag Fall <strong>17</strong><br />
A. P könnte gegen die Stadt Leipzig (L) einen Anspruch auf Schadensersatz<br />
(IV.) gemäß § 823 Abs. 1 BGB haben. Dazu müsste L<br />
die Gesundheit des P (I.) widerrechtlich sowie vorsätzlich oder<br />
fahrlässig (III.) verletzt haben (II.).<br />
I. P hat schwere Verletzungen an Kopf und Schultern, mithin seines<br />
Rechtsgutes Gesundheit, welches von § 823 Abs. 1 BGB geschützt<br />
wird, erlitten. Die erforderliche Rechtsgutsverletzung ist<br />
zu bejahen.<br />
II. Die Rechtsgutsverletzung müsste auf ein Tun oder Unterlassen<br />
(1.) der L zurückzuführen (2.) sein.<br />
1. L selbst kann nicht handeln (nur Menschen können handeln). L<br />
handelt durch ihre Organe. Für den zivilrechtlichen Bereich regelt<br />
dies §§ 89, 31 BGB. Vorliegend kommt in Betracht, dass ein Abteilungsleiter<br />
der L die Einrichtung des Spielplatzes zu verantworten<br />
hat. Hierfür hat L einzustehen, wenn der Abteilungsleiter<br />
Organ ist und der Bereich zivil- und nicht öffentlich-rechtlichen<br />
Handelns eröffnet ist. Organ ist nicht nur, wer satzungsmäßiges<br />
Organ ist. Organ ist vielmehr, wer eine wesensmäßige Aufgabe<br />
zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung zugewiesen erhalten<br />
hat. Der für die Spielplätze zuständige Abteilungsleiter hat einen<br />
bestimmten Aufgabenbereich der L (Jugend/Kinder) zur eigenverantwortlichen<br />
Erfüllung zugewiesen erhalten. Er ist Organ. Sein<br />
Handeln fiel in den Bereich des privatrechtlichen Handeln der<br />
Gemeinde und nicht in den Bereich öffentlich-rechtlichen Handelns.<br />
Der Betrieb eines Spielplatzes begründet nicht die typischen<br />
Gefahren hoheitlichen Handelns, welchen § 839 BGB<br />
Rechnung tragen will. Deshalb soll L nach allgemeinen zivilrechtlichen<br />
Grundsätzen haften.<br />
2. Die Rechtsgutsverletzung ist auf das Handeln des Abteilungsleiters<br />
zurückzuführen, wenn zwischen die Handlung adäquat<br />
kausale Bedingung der Verletzung ist und die Verletzung im<br />
Schutzbereich der verletzten Norm liegt.<br />
a) Die Eröffnung des Spielplatzes lässt sich nicht hinwegdenken,<br />
ohne dass der Erfolg entfiele. Natürliche Kausalität ist mithin gegeben.<br />
b) Da die Verletzung eines Kindes bei Benutzung eines Spielplatzes<br />
auch nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung liegt, ist die<br />
Rechtsgutsverletzung auch adäquate Folge des Handelns des<br />
Abteilungsleiters (normative Kausalität).<br />
c) Die Rechtsgutsverletzung darf auch nicht außerhalb des<br />
Schutzbereichs der verletzten Norm liegen. Im Ausgangspunkt<br />
1<br />
Anmerkungen<br />
Der Fall ist der Entscheidung<br />
BGHZ 103, 338 nachgebildet.<br />
Lesen Sie außerdem die Anmerkung<br />
von Schwab in JuS 1991, 18.<br />
Anspruchsgrundlage ist hier nicht<br />
§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, weil<br />
die Verkehrssicherungspflicht als<br />
Amtspflicht in Ausübung öffentlicher<br />
Gewalt zu qualifizieren sein<br />
müsste. Dies ist bei Kinderspielplätzen<br />
nicht der Fall ist, da diese<br />
nicht zu den öffentlichen Straßen,<br />
Wegen und Plätzen zählen. Vgl.<br />
BGH NJW 1977, 1965; BGH NJW<br />
1978, 1626; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht,<br />
5. Aufl., S. 32 f.<br />
Vgl. RGZ 54, 53, 55; BGHZ 9, 373,<br />
389; BGHZ 24, 124; BGHZ 86,<br />
152, 153.
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Sachverhalte und <strong>Lösung</strong>en bauen auf den Unterlagen von Prof. Dr. Tim Drygala aus dem SS 2009 auf<br />
LEO BGB-I – Rechtsgeschäftslehre und Allgemeines Schuldrecht (Sommersemester 2011)<br />
bezweckt § 823 Abs. 1 BGB den Schutz der dort genannten absoluten<br />
Rechtsgüter vor unmittelbaren, d. h. direkten Verletzungen.<br />
Vor mittelbaren Verletzungen will § 823 Abs. 1 BGB dagegen nicht<br />
generell schützen, weil die Haftung anderenfalls ausufern würde.<br />
Mittelbar, d. h. durch weitere Bedingungen (Handeln des Kindes)<br />
verursachte Rechtsgutsverletzung sind vom Schutzbereich des<br />
§ 823 Abs. 1 BGB nur erfasst, soweit sie auf einer Verkehrspflichtverletzung<br />
beruhen. Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflichten<br />
ergeben sich bei einem Spielplatz aus der<br />
Notwendigkeit, den Spielplatz möglichst gefahrlos zu gestalten<br />
und zu erhalten, wobei das Ausmaß an Sicherheit sich an dem<br />
Alter der jüngsten Kinder auszurichten hat, die für die Benutzung<br />
des Spielgeräts in Frage kommen. An die Sicherheit der Spielgeräte<br />
eines Kinderspielplatzes sind besonders strenge Anforderungen<br />
zu stellen. Grundsätzlich müssen Kinder und ihre Eltern<br />
uneingeschränkt darauf vertrauen dürfen, dass sich die Kinder<br />
gefahrlos der Spielgeräte bedienen können und insbesondere keine<br />
schweren Verletzungen erleiden. Wegen der bei Kindern immer<br />
vorhandenen Gefahr des Sturzes von Spielgeräten ist<br />
jedenfalls bei Spielgeräten mit einer Fallhöhe von 1,50m die Forderung<br />
nach einem geeigneten Bodenbelag, der Absturzunfälle<br />
weniger gefährlich macht, als elementare Sicherheitsforderung zu<br />
bezeichnen. Der Betonbelag genügte diesen Anforderungen nicht.<br />
Der Abteilungsleiter der L hat deren Verkehrssicherungspflichten<br />
nicht Genüge getan. Eine Verletzungshandlung der L liegt vor.<br />
III. Das Handeln des Abteilungsleiters war widerrechtlich. Es<br />
müsste zudem schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig sein.<br />
Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer<br />
Acht lässt, § 276 Abs. 2 BGB. Hier wäre L verpflichtet gewesen,<br />
einen geeigneten Bodenbelag zu verwenden, der Abstürze<br />
vom Rutschenpodest weniger gefährlich macht.<br />
IV. Aufgrund der Rechtsgutsverletzung muss P ein Schaden entstanden<br />
sein. Schaden ist jede Minderung an Rechten und<br />
Rechtsgütern. P hat eine Minderung seiner Gesundheit erlitten.<br />
Dieser Schaden müsste auf die Rechtsgutsverletzung zurückzuführen<br />
sein (1.). Ist dies gegeben, ist er entsprechend §§ 249 ff.<br />
BGB zu ersetzen (2.).<br />
1. Der Schaden ist auf die Rechtsgutsverletzung zurückzuführen<br />
(haftungsausfüllende Kausalität), wenn er adäquat kausal auf<br />
der Rechtsgutsverletzung beruht und vom Schutzbereich der verletzten<br />
Norm umfasst wird. Da P Ersatz unmittelbar für seine Gesundheitsverletzung,<br />
d. h. die Minderung im geschützten<br />
Rechtsgut fordert, ist der Schaden adäquat kausale Folge der<br />
Rechtsgutsverletzung und auch vom Schutzbereich der Norm umfasst.<br />
2<br />
Vgl. BGH VersR 1987, 891, 892.<br />
So BGHZ 103, 338, 340 f.<br />
Der Sorgfaltsmaßstab der „einfachen“<br />
Fahrlässigkeit wird i.R.d.<br />
§ 823 Abs. 1 BGB objektiv und<br />
abstrakt bestimmt. Die Verkehrssicherungspflichten<br />
dienen dabei zur<br />
Konkretisierung des Sorgfaltsmaßstabes.<br />
Problematisch ist die haftungsausfüllende<br />
Kausalität bei § 823 Abs. 1<br />
BGB nur im Hinblick auf Folgeschäden,<br />
z. B. infolge einer Gesundheitsverletzung<br />
entgangener<br />
Konzerfreuden oder eines Verdienstausfalls.
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2. Der Anspruch des P richtet sich inhaltlich nach §§ 249 ff. BGB.<br />
Danach kann P im Ausgangspunkt vollen Ersatz der ihm entstandenen<br />
Schäden verlangen. Dieser Anspruch könnte allerdings<br />
unter verschiedenen Gesichtspunkten zu kürzen sein.<br />
a) Der Anspruch könnte zu kürzen sein, wenn sich P ein eigenes<br />
Mitverschulden anrechen lassen müsste. Gemäß § 254 Abs. 1<br />
BGB hängt der Umfang des zu leistenden Schadensersatzes davon<br />
ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder<br />
dem anderen Teil verursacht worden ist, wenn bei seiner Entstehung<br />
ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt hat. Der 15<br />
Monate alte P war jedoch verschuldensunfähig (vgl. § 828<br />
Abs. 1 BGB). Er muss sich kein eigenes Mitverschulden anrechnen<br />
lassen.<br />
b) Der Anspruch des P könnte aber wegen eines Mitverschuldens<br />
des M zu kürzen sein. Gemäß § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB findet<br />
§ 278 BGB, der die Haftung für Erfüllungsgehilfen und gesetzliche<br />
Vertreter regelt, entsprechende Anwendung. Wenn die Vorschrift<br />
anwendbar ist, M schuldhaft gehandelt hat und Erfüllungsgehilfe<br />
ist, müsste sich P dessen Verschulden anrechnen lassen.<br />
aa) Allerdings bezieht sich die Norm nach ihrer Systematik nur auf<br />
§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB, der ein Mitverschulden nach Anspruchsentstehung<br />
regelt. Der das Mitverschulden bei Anspruchsentstehung<br />
betreffende § 254 Abs. 1 BGB wäre davon nicht<br />
erfasst. Da sich aber die in Abs. 2 geregelten Fälle von denen des<br />
Abs. 1 nicht sauber abgrenzen lassen und für eine Sonderbehandlung<br />
des Mitverschuldens nach Anspruchsentstehung keine Gründe<br />
ersichtlich sind, ist § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB auch auf § 254<br />
Abs. 1 BGB anzuwenden.<br />
bb) Der Wortlaut des § 254 Abs. 2 Satz 2 BGB („entsprechende<br />
Anwendung“) lässt sowohl eine Deutung als Rechtsgrundverweisung<br />
als auch eine Deutung als Rechtsfolgeverweisung zu. Der<br />
Geschädigte soll aber für Hilfspersonen nicht strenger haften als<br />
der Schädiger, gegen den § 278 BGB ebenfalls nur innerhalb einer<br />
Sonderverbindung anwendbar ist. Deshalb ist es überzeugend,<br />
die Vorschrift mit der herrschenden Meinung als<br />
Rechtsgrundverweisung anzusehen: der Geschädigte haftet für<br />
Gehilfen und gesetzliche Vertreter also nur, wenn schon im Zeitpunkt<br />
der schädigenden Handlung eine Sonderbeziehung zum<br />
Schädiger besteht. Im Unfallzeitpunkt müsste deshalb zwischen L<br />
und P ein Schuldverhältnis oder eine einem Schuldverhältnis<br />
ähnliche Sonderrechtsbeziehung bestanden haben. Eine solche<br />
Sonderbeziehung könnte in einem Benutzungsverhältnis bestehen,<br />
das durch die Nutzung des Spielplatzes entstand. Nach Ansicht<br />
des BGH entstehen bei der Nutzung eines Spielplatzes<br />
jedoch keine schuldrechtlichen oder schuldrechtsähnlichen Beziehungen,<br />
die über die allgemeinen Rechte und Pflichten hinausge-<br />
3<br />
§ 254 Abs. 2 Satz 2 BGB ist also<br />
als § 254 Abs. 3 BGB zu verstehen!<br />
So auch die h. M., vgl. nur<br />
RGZ 62, 107 ; Medicus, SchR BT,<br />
Rn. 679; Grüneberg in Palandt,<br />
§ 254 Rn. 48<br />
Vgl. BGHZ 24, 325; BGHZ 116, 60,<br />
74; Grüneberg in Palandt, § 254<br />
Rn. 48<br />
Vgl. BGH VersR 1975, 133, 134<br />
sowie BGH VersR 1977, 668
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hen. Denn für eine besondere Interessenlage, die Anlass zu einer<br />
derartigen gesteigerten Rechts- und Pflichtenstellung für beide<br />
Seiten hätte geben können, ist nichts ersichtlich. Die Interessen<br />
beider Seiten sind vielmehr schon durch die allgemeinen deliktischen<br />
Beziehungen hinreichend gewahrt. Zwischen L und P fehlt<br />
es an einem Schuldverhältnis oder einer vergleichbaren Sonderrechtsbeziehung.<br />
§ 278 BGB findet damit keine entsprechende<br />
Anwendung und eine Anrechnung des Mitverschuldens des M zu<br />
P findet insoweit nicht statt.<br />
c) Vorliegend könnte sich eine Anspruchskürzung schließlich daraus<br />
ergeben, dass P stürzte, nachdem M abgelenkt war. Ist neben<br />
L eigentlich auch M als Gesamtschuldner für die Verletzung verantwortlich<br />
(aa.), scheitert die Haftung des M aber daran, dass im<br />
Verhältnis von ihm zu K eine Haftungsbeschränkung besteht (bb.),<br />
könnte dies Auswirkungen auf den Anspruch des K haben (cc.) -<br />
Gestörter Innenausgleich unter Gesamtschuldnern.<br />
Exkurs zur Gesamtschuld<br />
1. Häufig bestimmt schon das Gesetz das Vorliegen einer Gesamtschuld. Wichtig<br />
sind hier vor allem die folgenden Fälle:<br />
• § 54 S. 2: mehrere Personen treten für einen nicht rechtsfähigen Verein auf<br />
• § 427: mehrere Personen verpflichten sich durch Vertrag gemeinschaftlich zu<br />
einer teilbaren Leistung<br />
• § 431: mehrere Personen schulden eine unteilbare Leistung<br />
• § 769: Mitbürgen<br />
• § 840: mehrere deliktisch Verantwortliche<br />
• § 2058: Miterben hinsichtlich der Nachlassverbindlichkeiten<br />
• §128 HGB: Gesellschafter einer oHG<br />
2. Daneben ordnet § 421 BGB an, dass eine Gesamtschuld immer dann vorliegt,<br />
wenn mehrere Personen die gesamte Leistung nach Wahl des Gläubigers schulden,<br />
der Gläubiger diese aber insgesamt nur einmal fordern kann. Die heute ganz<br />
herrschende Meinung geht davon aus, dass dies nur Mindestvoraussetzungen<br />
sind. Es muss ein weiteres Merkmal hinzukommen, das die innere Verbundenheit<br />
der Forderungen umschreibt.<br />
a) Früher wurde häufig gefordert, dass die zur Leistung verpflichteten eine rechtliche<br />
Zweckgemeinschaft bilden müssten. Die Verbindlichkeiten müssten dem<br />
selben rechtlichen Zweck (z.B. Schutz desselben Rechtsguts) dienen. Doch fehlt<br />
diesem Merkmal die Aussagekraft: denn bei der Gesamtschuld ist schon nach dem<br />
Gesetz „eine Leistung“ gefordert, es muss also Identität des Leistungsinteressen<br />
vorliegen. Die „Zweckgemeinschaft“ ist dann aber nur eine Leerformel.<br />
b) Nach h.M. müssen die Verpflichtungen gleichstufig oder gleichrangig sein.<br />
Dafür muss jeder Verpflichtete sich prinzipiell an der Tilgung der Schuld beteiligen.<br />
Keiner darf von vornherein der Alleinverpflichtete sein. Die Schuldner müssen also<br />
für dieselbe Schuld gleichrangig haften. Dies ist dann nicht der Fall, wenn ein<br />
Schuldner immer zuerst haften soll, wenn einer also „im Außenverhältnis näher<br />
daran ist, den Schaden zu tragen“.<br />
4<br />
Lesen Sie hierzu unbedingt Medicus,<br />
BR, Rn. 928 ff.
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Bedeutung erlangte dieser Streit in einer unlängst ergangenen Entscheidung des<br />
BGH zu der Frage, ob zwei Werkunternehmer, die unterschiedliche mangelhafte<br />
Leistungen erbracht haben, deren Mängel jedoch nur einheitlich beseitigt werden<br />
können, als Gesamtschuldner haften. Der BGH stellte zunächst fest, dass jeder<br />
Werkunternehmer auch dann nur die Erfüllung seiner eigenen Leistung schuldet,<br />
wenn die Leistungen aufeinander aufbauen. Für die Annahme einer Gesamtschuld<br />
fehle es an der Identität der übernommenen Pflichten. Anders sei dies jedoch, wenn<br />
beide Unternehmer wegen Mängeln gewährleistungspflichtig sind, die ihre Ursachen<br />
zumindest teilweise in beiden Leistungen haben und die wirtschaftlich sinnvoll nur<br />
auf eine einzige Weise beseitig werden können. Während hier Teile der Rechtsprechung<br />
und der Literatur ein Gesamtschuldverhältnis mit der Erwägung ablehnen, es<br />
fehle angesichts der unterschiedlichen Bauverträge an einer Zweckgemeinschaft,<br />
betont der BGH, dass die Gewährleistungsansprüche demselben Zweck dienen<br />
würden und damit gleichstufig seien. Maßgeblich sei, dass die beiden Werkunternehmer<br />
im Rahmen ihrer Gewährleistungspflicht gemeinsam und in vollem Umfang<br />
für die von ihnen mitverursachten Mängel einstehen müssen, sofern nur eine Sanierungsmöglichkeit<br />
in Betracht kommt. Vgl. BGH NJW 2003, 2980 m. Anm. Stamm,<br />
NJW 2003, 2940.<br />
aa) M müsste P eigentlich, d. h. unter Berücksichtigung des allgemeinen<br />
Haftungsmaßstabs und ohne Berücksichtigung einer<br />
besonderen Privilegierung, auch, d. h. neben L als Gesamtschuldner,<br />
als Schädiger haften. Ein Schadensersatzanspruch des<br />
P gegen M könnte sich aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben. Dies setzt<br />
voraus, dass die von P erlittene Rechtsgutsverletzung (Gesundheitsbeschädigung)<br />
zurechenbar auf eine rechtswidrige sowie vorsätzliche<br />
oder fahrlässige Verletzungshandlung des M<br />
zurückzuführen ist. M hat P auf die Rutsche gestellt und sich anschließend<br />
ablenken lassen. Ohne diese Handlung wäre P nicht<br />
gestützt und hätte sich nicht verletzt. Die Gesundheitsverletzung<br />
ist daher adäquat kausale Folge des Handelns des M. Sie liegt<br />
auch im Schutzbereich der verletzten Norm, weil M seine Verkehrspflicht<br />
als Aufsichtspflichtiger verletzt hat. Dabei handelte M<br />
rechtswidrig und fahrlässig, weil er sich nicht von Uschi ablenken<br />
lassen darf, nachdem er P auf 1,50 m Höhe befördert hatte. M<br />
haftet deshalb gegenüber P eigentlich aus § 823 Abs. 1 BGB.<br />
Seine Haftung steht neben der der L. Beide wären nach § 840<br />
BGB Gesamtschuldner.<br />
bb) Die Haftung des M müsste durch eine Privilegierung gegenüber<br />
der allgemeinen Haftung ausgeschlossen oder beschränkt<br />
sein und hierdurch die Entstehung einer Gesamtschuld mit L ausgeschlossen<br />
sein. Die Haftung des M aus § 823 Abs. 1 BGB könnte<br />
vorliegend dadurch ausgeschlossen sein, dass er nicht für<br />
Vorsatz und Fahrlässigkeit, sondern nur für die Sorgfalt in eigenen<br />
Angelegenheiten haftet und diese Sorgfalt vorliegend gewahrt hat.<br />
Eine entsprechende Haftungsbeschränkung könnte sich aus<br />
§ 1664 Abs. 1 BGB ergeben. Eltern haben danach bei Ausübung<br />
ihrer elterlichen Sorge gegenüber dem Kind nur für die Sorgfalt in<br />
eigenen Angelegenheiten einzustehen. Voraussetzung ist, dass M<br />
seine Pflicht zur elterlichen Sorge verletzt hat. Die elterliche<br />
Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personen-<br />
5<br />
Zur Beschränkung des Haftungsmaßstabes<br />
auf die eigenübliche<br />
Sorgfalt (diligentia quam in suis)<br />
vgl. auch…<br />
• § 357: Verbraucherwiderruf<br />
• § 690: unentgeltliche Verwahrung<br />
• § 708: BGB-Gesellschafter<br />
• § 1359: Ehegatten<br />
• § 2131: Vorerbe<br />
• § 4 LPartG: Lebenspartner
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sorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge), § 1626<br />
Abs. 1 Satz 2 BGB. Hier hat M seine Aufsichtspflicht gegenüber P<br />
– wenn auch nur kurzzeitig – missachtet und damit die ihm obliegende<br />
Pflicht zur Personensorge verletzt. Umstritten ist jedoch, ob<br />
§ 1664 Abs. 1 BGB auch die Verletzung der Aufsichtspflicht betrifft.<br />
Teilweise wird das verneint: die Aufsichtspflicht ist nach ihrem<br />
Sinn und Zweck eine objektive Pflicht, für die es keinen<br />
subjektiven Vergleichsmaßstab gibt. Sorgfalt in „eigenen“ Angelegenheiten<br />
der Eltern wäre hier eine Pflicht, „sich selbst“ zu beaufsichtigen.<br />
Eine solche gibt es jedoch nicht. Außerdem ist die<br />
körperliche Integrität des Kindes besonders schützenswert. Die<br />
überwiegende Gegenmeinung wendet § 1664 BGB auch bei<br />
Aufsichtspflichtverletzungen an. Dafür spricht zunächst der<br />
Wortlaut der Norm. Da die Aufsichtspflicht einen Zentralbereich<br />
der elterlichen Sorge darstellt, kann nicht angenommen werden,<br />
dass dieser ohne ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers aus<br />
dem Anwendungsbereich des eindeutig formulierten § 1664 BGB<br />
herausfallen sollte. Darüber hinaus wird diese Auffassung mit einem<br />
Vergleich zu § 832 BGB begründet. Diese Vorschrift bestimmt,<br />
dass die Eltern zu Schadensersatz verpflichtet sind, wenn<br />
ihr Kind bei Verletzung der Aufsichtspflicht einem Dritten Schaden<br />
zufügt. In § 832 BGB steht nicht, dass die Eltern gegenüber ihrem<br />
Kind verpflichtet sind, wenn sie es schädigen. Die Eltern können<br />
sich gegen die Inanspruchnahme aus § 832 BGB durch Abschluss<br />
einer Haftpflichtversicherung schützen. Bei Verletzung des eigenen<br />
Kindes könnten sie sich dagegen nicht schützen: ihm sollen<br />
sie ja gerade für die Folgen eines solchen Falls persönliche Fürsorge<br />
und Schutz gewähren. Dafür soll aber durch § 1664 BGB<br />
Ausgleich in Form des verminderten Haftungsmaßstabes gewährt<br />
werden. § 1664 BGB erstreckt sich daher herrschender Meinung<br />
zufolge auf alle Schäden, die auf der Verletzung der Elternpflichten<br />
zur rechtlichen und tatsächlichen Wahrnehmung der Kindesinteressen<br />
auf dem Gebiet der Personen- und Vermögenssorge<br />
beruhen. M hat deshalb nur für die Sorgfalt einzustehen, die er<br />
in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt, solange er<br />
nicht grob fahrlässig handelt (vgl. § 277 BGB). Die Reaktion des M<br />
legt nahe, dass er sich auch in eigenen Angelegenheiten von Uschi<br />
Üppig ablenken lassen würde. Er hat daher die Sorgfalt in<br />
eigenen Angelegenheiten gewahrt, ohne grob fahrlässig zu handeln<br />
(nur kurze Ablenkung). Seine Haftung ist daher nach §§ 1664<br />
Abs. 1, 277 BGB ausgeschlossen, weshalb er nicht neben L als<br />
Gesamtschuldner haftet.<br />
6<br />
Lesen Sie § 277 BGB genau. Er<br />
bestimmt NICHT, dass man für<br />
leichte Fahrlässigkeit nicht haftet.<br />
Vielmehr wirkt er zB. mit § 1664<br />
BGB derart zusammen, dass die<br />
Eltern in Bezug auf ihr Kind die<br />
ihnen übliche Sorglosigkeit an den<br />
Tag legen dürfen. Sind die Eltern<br />
besonders leichtfertig und handeln<br />
sie grob fahrlässig, befreit sie dies<br />
aber nicht von ihrer Haftung. Sind<br />
die Eltern in eigenen Angelegenheiten<br />
dagegen besonders penibel,<br />
gilt dies auch gegenüber ihrem<br />
Kind, soweit zumindest die allgemeine<br />
Grenze des § 276 Abs. 2<br />
BGB überschritten wird.
Wiss. Mit. RA Dr. Bernhard Ulrici<br />
Sachverhalte und <strong>Lösung</strong>en bauen auf den Unterlagen von Prof. Dr. Tim Drygala aus dem SS 2009 auf<br />
LEO BGB-I – Rechtsgeschäftslehre und Allgemeines Schuldrecht (Sommersemester 2011)<br />
Zur Erklärung der ratio legis des § 1664 BGB wird oftmals auf das Prinzip der<br />
Schicksalsgemeinschaft hingewiesen, die zwischen Eltern und Kind bestehe. Das<br />
Kind habe seine Eltern so zu nehmen, wie sie sind. Mag diese Begründung für die<br />
dem § 1664 BGB vergleichbaren Vorschriften bei Gesellschaftern (§ 708 BGB) und<br />
Eheleuten (§ 1359 BGB) noch einleuchten, so ist sie im Eltern-Kind-Verhältnis doch<br />
fraglich, weil das Kind sich seine Eltern gerade nicht aussuchen konnte. Daneben<br />
wird von der Befriedungsfunktion des § 1664 BGB gesprochen. Die Norm halte das<br />
Familieninnenverhältnis weitgehend frei von Störungen. Doch kann auch dies nicht<br />
vollkommen überzeugen, denn Störungen – hervorgerufen etwa durch die Belastungen<br />
eines Zivilprozesses – werden von § 1664 BGB nicht ausgeschlossen, weil die<br />
Vorschrift Klagen nicht von vornherein unzulässig macht, so dass die Frage, ob die<br />
eigenübliche Sorgfalt eingehalten wurde, zum Gegenstand gerichtlicher Erörterung<br />
werden kann.<br />
cc) Da im Verhältnis zwischen P und M eine Haftungsbeschränkung<br />
besteht, kann – trotz gegebener Mitverursachung des Schadens<br />
durch M – kein Schadensersatzanspruch des P gegen M<br />
entstehen, weshalb zwischen L und M keine Gesamtschuld entstehen<br />
kann (vgl. §§ 840, 421, 426 BGB). Damit führt die Haftungsbeschränkung<br />
des § 1664 BGB bei wortlautgetreuer<br />
Anwendung des Gesetzes zu einer Schlechterstellung der L, weil<br />
diese den gesamten Schaden ersetzen muss, ohne bei M Regress<br />
nehmen zu können. Fraglich ist, ob § 1664 BGB wirklich<br />
diese Konsequenz haben darf.<br />
Nach Ansicht der Rechtsprechung verbleibt es (bei gesetzlichen<br />
Haftungsbeschränkungen) bei der vom Gesetz vorgegebenen <strong>Lösung</strong>.<br />
L muss den gesamten Schaden ersetzen, ohne von M etwas<br />
erstattet zu bekommen. Zur Begründung führt der BGH nur<br />
sehr formal aus, dass im Falle einer (gesetzlichen) Haftungsbeschränkung<br />
eine Gesamtschuld erst gar nicht entstehe, weshalb<br />
kein Regress erfolgen kann.<br />
Nach anderer Ansicht muss L zwar den gesamten Schaden bei P<br />
ersetzen, jedoch wird L ein Rückgriffsanspruch gegen M zugebilligt,<br />
der dadurch erreicht wird, dass zwischen L und M eine Gesamtschuld<br />
fingiert wird. So wird erreicht, dass § 1664 BGB nicht<br />
zu Lasten der L wirkt.<br />
Nach wohl herrschender Ansicht ist dagegen so zu verfahren,<br />
dass der Anspruch des Geschädigten gegen den nicht privilegierten<br />
Schädiger analog § 254 BGB um den Anteil gekürzt wird, der<br />
auf den privilegierten Schädiger entfällt. Eine Gesamtschuld<br />
braucht dann nicht fingiert werden.<br />
Die besseren Gründe sprechen für die wohl herrschende Ansicht<br />
und eine <strong>Lösung</strong> zu Lasten des Geschädigten. Dieser <strong>Lösung</strong>sansatz<br />
entspricht Sinn und Zweck der Haftungsbeschränkungen,<br />
bietet die wertungsmäßig überzeugenderen Ergebnisse und lässt<br />
sich auch dogmatisch begründen.<br />
7<br />
BGH NJW 2004, 2892 (2893);<br />
BGHZ 103, 338 (346 f.); KG MDR<br />
2002, 35. Es fehlt danach schon an<br />
den Grundlagen für ein Gesamtschuldverhältnis,<br />
das gestört sein<br />
könnte. Ist der eine Schädiger also<br />
wegen eines gesetzlichen milderen<br />
Haftungsmaßstabes privilegiert, so<br />
hat er schon den haftungsbegründenden<br />
Tatbestand nicht erfüllt. Er<br />
ist kein Schuldner und damit auch<br />
kein Gesamtschuldner. Der nicht<br />
privilegierte Schädiger haftet deshalb<br />
allein auf die volle Summe!<br />
BGHZ 12, 213; BGHZ 35, 3<strong>17</strong>.<br />
Medicus, BR, Rdnr. 933 f. m. w.<br />
Nachw.<br />
Anmerkung: Dieser Vorgehensweise<br />
(Kürzung des Anspruchs des<br />
Geschädigten) folgt auch der BGH<br />
in Fällen einer vertraglichen Haftungsbeschränkung<br />
und in Fällen<br />
der gesetzlichen Haftungsfreistellung<br />
(§§ 104, 105 SGB VII, vgl.<br />
hierzu BGH NJW 2003, 2984<br />
(2986). Die <strong>Lösung</strong> zu Lasten des<br />
nicht privilegierten Schädigers<br />
(s. o.) vertritt der BGH dagegen für<br />
gesetzliche Haftungserleichterungen<br />
(§§ 708, 1359, 1664 BGB und<br />
§ 4 LPartG).
Wiss. Mit. RA Dr. Bernhard Ulrici<br />
Sachverhalte und <strong>Lösung</strong>en bauen auf den Unterlagen von Prof. Dr. Tim Drygala aus dem SS 2009 auf<br />
LEO BGB-I – Rechtsgeschäftslehre und Allgemeines Schuldrecht (Sommersemester 2011)<br />
Die <strong>Lösung</strong> zum Nachteil des Geschädigten entspricht zunächst<br />
Sinn und Zweck der Haftungsbeschränkungen. Dies folgt daraus,<br />
dass im Zwei-Personen-Fall eine Belastung des Geschädigten<br />
bewirkt wird und der Zwei-Personen-Fall der zur Ermittlung des<br />
Gesetzeszwecks maßgebliche Normalfall ist. Denn die Haftungsbeschränkungen<br />
regeln bereits ihrem Wortlaut nach nur das Verhältnis<br />
zwischen Geschädigtem und privilegiertem Schädiger. Hat<br />
der Gesetzgeber einer Haftungsbeschränkung aber eine den Geschädigten<br />
belastende Wirkung beigemessen, ist es nur konsequent,<br />
dass auch das Mehrpersonenverhältnis dieser Wirkung<br />
entsprechend aufgelöst wird.<br />
Auch wertungsmäßig überzeugt die <strong>Lösung</strong> zum Nachteil des Geschädigten,<br />
weil diese <strong>Lösung</strong> vermeidet, dass die (vertragliche<br />
oder gesetzliche) Haftungsbeschränkung den Schädiger benachteiligt.<br />
Vielmehr führt dieser <strong>Lösung</strong>sansatz dazu, dass der Geschädigte<br />
besser steht, als sei er nur vom privilegierten Schädiger<br />
verletzt worden. In diesem Fall würde er leer ausgehen. Schließlich<br />
stellt dieser <strong>Lösung</strong>sansatz sicher, dass die Haftungsbeschränkung<br />
nicht leer läuft. So ist gewährleistet, dass der von der<br />
Haftungsbeschränkung begünstigte Schädiger der Haftungsbeschränkung<br />
entsprechend keinerlei Ersatz leisten muss.<br />
Dogmatisch kann man die wohl herrschende Lehre damit absichern,<br />
dass sich die beschriebene Anspruchskürzung aus einer<br />
analogen Anwendung des § 254 Abs. 1 BGB ergibt. So ist anerkannt,<br />
dass auch eine schuldlose Mitverursachung des Schadens<br />
zur Anspruchskürzung nach § 254 Abs. 1 BGB führen kann. So<br />
muss sich der Geschädigte insbesondere eine Betriebsgefahr anspruchsmindernd<br />
anrechnen lassen, welche aus seinem Gefahrenbereich<br />
entstammt. Außerdem ist auf das Handeln auf eigene<br />
Gefahr zu verweisen. Greift man auf den Gedanken zurück, dass<br />
der Anspruch um die Einflüsse aus dem Gefahrenbereich des Geschädigten<br />
gekürzt wird und rechnet man die Haftungsbeschränkung<br />
entsprechend ihrer Funktion dem Gefahrenbereich des<br />
Geschädigten zu, zählt die durch die Haftungsbeschränkung bewirkte<br />
Behinderung des Regresses (Gesamtschuld entsteht nicht)<br />
zum Gefahrenbereich des Geschädigten. Sie verkürzt folglich<br />
dessen Anspruch.<br />
Ergebnis: Folgt man der Rechtsprechungsansicht, hat P gegen L<br />
einen ungekürzten Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 823<br />
Abs. 1 BGB. Folgt man dagegen der überzeugenderen h. L., ist<br />
der Anspruch des P gegen L um den Mitverursachungsbeitrag des<br />
M zu kürzen. Im Zweifel erfolgt eine hälftige Teilung.<br />
B. P könnte darüber hinaus gegen L noch einen Anspruch auf<br />
Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB<br />
i.V.m. §§ 89, 31 BGB haben. Dazu müsste ein Organ (§ 31 BGB,<br />
8<br />
Unproblematisch ist auch die<br />
Zurechnung einer Schutzgesetzverletzung<br />
(§ 823 Abs. 2) über<br />
§§ 89, 31 möglich, vgl. nur OLG<br />
Frankfurt a. M., NJW 1992, 318.
Wiss. Mit. RA Dr. Bernhard Ulrici<br />
Sachverhalte und <strong>Lösung</strong>en bauen auf den Unterlagen von Prof. Dr. Tim Drygala aus dem SS 2009 auf<br />
LEO BGB-I – Rechtsgeschäftslehre und Allgemeines Schuldrecht (Sommersemester 2011)<br />
hier der Abteilungsleiter, s. o.) der L ein Schutzgesetz verletzt haben.<br />
Hier wurde der P aufgrund unterlassenen Sicherungsmaßnahmen<br />
fahrlässig an seiner Gesundheit geschädigt (§§ 229, 13<br />
StGB) und damit ein Schutzgesetz verletzt. L ist nach §§ 89, 31<br />
für den Schaden verantwortlich, den der zuständige Abteilungsleiter<br />
durch die fahrlässig unterlassenen Sicherungsmaßnahmen<br />
dem P zugefügt hat.<br />
Ergebnis: P hat gegen L auch einen (nach Ansicht des BGH ungekürzten,<br />
nach h. L. gekürzten) Anspruch auf Schadensersatz<br />
gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB i.V.m. §§ 89, 31<br />
BGB.<br />
Exkurs: gestörte Gesamtschuld bei vertraglicher Haftungsbeschränkung<br />
Umstritten ist die <strong>Lösung</strong> derjenigen Fälle, in denen die Haftung eines Schädigers<br />
nicht - wie oben - aus gesetzlichen Gründen (z.B. §§ 1359, 1664 BGB) beschränkt<br />
ist, sondern aufgrund einer vertraglichen Abrede.<br />
1. Nach Ansicht des BGH (vgl. BGHZ 58, 216, 219 ff.) hat der Geschädigte einen<br />
ungekürzten Anspruch gegen den nicht privilegierten Schädiger. Dieser kann<br />
vom privilegierten Schädiger gemäß § 426 Abs. 1 BGB Ausgleich verlangen: im<br />
Innenverhältnis zwischen den Schädigern wird also ein fingiertes Gesamtschuldverhältnis<br />
konstruiert. Durch die mittelbare Inanspruchnahmemöglichkeit durch<br />
den nicht privilegierten Schädiger verliert der eigentlich privilegierte Schädiger<br />
seinen Vorteil. Er steht schlechter da als er stehen würde, wenn er den Schaden<br />
allein verursacht hätte. Diese Folge will der BGH (vgl. BGH NJW 1983, 624, 626)<br />
dadurch abmildern, dass der privilegierte Schädiger seinerseits Rückgriff beim<br />
Geschädigten nehmen kann (sog. Regresskreisel).<br />
2. Die überwiegende Literaturmeinung (vgl. nur Medicus, SchR BT, Rn. 807) gewährt<br />
dem Geschädigten nur einen gekürzten Anspruch gegen den nicht privilegierten<br />
Schädiger. Der Ersatzanspruch wird in Höhe des Verantwortungsanteils<br />
gekürzt, der auf den privilegierten Schädiger im Innenverhältnis der Schädiger<br />
fallen würde, wenn man das Haftungsprivileg hinwegdenkt.<br />
Aktuelle Urteile zur gestörten Gesamtschuld (lesen!)<br />
BGH NJW-RR 2007, 1027; BGH NJW 2011, 449: Gestörte Gesamtschuld verneint<br />
im Zusammenhang mit § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII (keine gemeinsame Betriebsstätte).<br />
BGH VersR 2008, 410: Gestörte Gesamtschuld bejaht bei Verkehrsunfall zwischen<br />
zwei im Einsatz befindlichen Feuerwehrangehörigen.<br />
Hinweise zur selbständigen Nachbereitung<br />
Lesen Sie zunächst den Aufsatz von Zerres, Die Gesamtschuld, Jura 2008, 726.<br />
Arbeiten Sie anschließend den Aufsatz von Wendlandt, Der Dombrandfall – Unechte<br />
Gesamtschuld, GoA und Bereicherung, Jura 2004, 325 durch, in dem der berühmte<br />
Fuldaer Dombrandfall (RGZ 82, 206) beleuchtet wird.<br />
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