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Strukturen soziokulturellen Wissens im Deutsch-Koreanischen ...

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232 독일문학 제86집<br />

eindeutig definierten Begriff. Grundsätzlich können zwei verschiedene<br />

Themenbest<strong>im</strong>mungen unterschieden werden. Ein Thema kann einerseits als<br />

kohärenzstiftende Struktureigenschaft aus Texten und Diskursen abgeleitet werden. Es<br />

kann mit Fragen wie “Worüber habt ihr gesprochen?” oder “Wovon handelt dieser<br />

Text?” erfragt werden (vgl. Hoffmann 1997). Auf der anderen Seite kann man sich ein<br />

Thema als einen textunabhängigen Gegenstands- oder Sachbereich bzw. als<br />

lexikalischen oder sachlich-enzyklopädischen <strong>Wissens</strong>bestand vorstellen, dessen<br />

inhaltliche Bestandteile ihren Stellenwert und ihre Bedeutung aus einer quasi durch die<br />

Ordnung der Dinge gegebenen Teil-Ganzes-Beziehung zu einem übergeordneten Begriff<br />

beziehen. In diesem Fall spricht man auch vom “Schema” als einer grundlegenden<br />

Organisationsstruktur des <strong>Wissens</strong> (vgl. Wolff 1997). Bis heute kaum untersucht ist die<br />

Rolle unterschiedlich verfasster thematischer <strong>Wissens</strong>strukturen in L1 und L2 be<strong>im</strong><br />

Fremdsprachenerwerb.<br />

In den meisten Lehrwerken des <strong>Deutsch</strong>en als Fremdsprache gibt es mindestens ein<br />

Kapitel, in dem das Thema “Wohnen” behandelt wird. Üblicherweise werden einander<br />

verschiedene Wohnformen gegenübergestellt. Bildliche Darstellungen von<br />

unterschiedlichen Wohnformen (Einrichtung, Haustyp, Lage) interagieren mit kurzen<br />

Texten, in denen typische oder besondere Eigenschaften dieser Wohnformen behandelt<br />

werden. Typisch deutsche Wohnformen sind die Altbauwohnung, das Reihenhaus, das<br />

Ein-Familienhaus und das Hochhaus. Der binnenkontrastive Vergleich der<br />

verschiedenen Wohntypen ist nicht zuletzt deshalb so beliebt in Lehrwerken, weil an ihm<br />

spezifische Lebensstile und Geschmackssysteme aufgezeigt werden können, welche<br />

grundlegende gesellschaftliche Unterschiede zum Ausdruck bringen. Einige Beispiele<br />

mögen dies illustrieren:<br />

Beispiel 1: Rolf, 32 wohnt in einer Altbauwohnung in der Stadt: Die Welt, in der ich lebe,<br />

ist meinen Eltern fremd. In der Werbeagentur verwalte ich ein Millionenbudget, es ist für<br />

mich ganz normal, zum Essen mal eben ins Restaurant zu gehen, und wenn ich beruflich<br />

unterwegs bin, wohne ich in teuren Hotels. Genau diese Großzügigkeit brauche ich auch<br />

privat: große, schöne Räume mit Platz und viel Licht. (...) Meine Eltern leben ganz anders.


238 독일문학 제86집<br />

Binnenstruktur des Begriffs 'bequem'<br />

Referenz Angaben der Lerner<br />

Meistens benutzt man das Wort 편리하다 wenn sein Haus nahe bei dem<br />

Zentrum des Stadt oder der Schule ist.<br />

Das Wort "Bequem" über das Wohnen in Korea bezieht sich auf die Lage<br />

Lage<br />

von einer Wohnung oder einem Haus. Zum Beispiel wie nahe liegt das Haus<br />

an einem Marktplatz, einer Station, oder einer Schule usw.<br />

Meine Wohnung ist eine Kultureinrichtung nahe. Z. B. Kultureinrichtung:<br />

Park, Spielpark, Theater, usw.<br />

Busverbindung ist gut. Mann kann 편리하다 sprechen, wenn ein Supermarkt<br />

Verkehr<br />

nahe zu ihnen Wohnung legt und es leicht ist, ihren Auto zu parken. die<br />

Bedingungen des Verkehrs ist handlich.<br />

nicht viel Sorge für das Haus 경비 ((Wächter, M.W.)) Wenn ich in Apt<br />

Dienst-<br />

wohne, ist das sehr bequem für mich 관리 ((Instandhaltung)) Man <strong>im</strong><br />

leistungen<br />

Apartment braucht nicht selbst die Wohnung zu kümmern.<br />

soziale<br />

eigenes Privatleben(keine Störung von anderen Leuten) Der Nachbar stören<br />

Beziehungen sich nicht mich.<br />

Komfort Heizanlage, A. P. T. vereinet sich Toilete und Küche.<br />

Paraphrasierungen 편리하다 bedeutet alles ganz einfach, ist (...) die Zeit verkürzen<br />

Der Ausdruck "bequem" erweist sich als eine Art von Allroundkonzept oder<br />

"Passepartout", das die Bedeutungen verschiedener deutscher Ausdrücke wie<br />

"praktisch", "komfortabel", "bequem", "einfach" umfasst und sich auf alles Mögliche<br />

anwenden lässt, was die Wohnqualität steigert und <strong>im</strong> <strong>Deutsch</strong>en mit jeweils einem<br />

eigenen Lexem verbalisiert werden müsste. Würde man aufgrund der Lerneräußerungen<br />

die fünf Wohnarten auf einer Skala nach dem jeweiligen Grad des Vorhandenseins bzw.<br />

der Abwesenheit dieser Eigenschaft anordnen, wären APT und Villa durch einen relativ<br />

hohen Grad an "Bequemlichkeit" gekennzeichnet, das Einzelhaus würde eine mittlere<br />

Position einnehmen, während das Reihenhaus und das traditionelle Haus ziemlich dicht<br />

am Gegenpol des "Unbequemen" angesiedelt wären. Positiv korreliert mit diesem<br />

Kriterium ist der Preis. Je bequemer eine Wohnform ist, desto teurer wird sie.


240 독일문학 제86집<br />

APT<br />

negativ<br />

keine Privatsphäre<br />

wenig Natur,<br />

kein Garten, Störung<br />

durch Nachbarn<br />

Kriterium des Privaten<br />

positiv<br />

Privatsphäre<br />

빌라(Villa) . schöner Garten<br />

연립주택<br />

(“Reihenhaus”)<br />

단독주택<br />

(“Einzelhaus”)<br />

고가<br />

(“altes Haus”)<br />

nicht privat, Störung des<br />

Individium Leben<br />

negativ<br />

Kriterium der emotionalen Einstellung<br />

sehr privat, schöner Garten,<br />

Pflanzen, Tiere, keine<br />

Störung durch Nachbarn<br />

positiv<br />

APT<br />

einsam, entfernt von<br />

Nachbarn, es sieht<br />

schrecklich aus<br />

symbolisiert Wohlstand,<br />

Modernität<br />

빌라(Villa) einsam schön<br />

연립주택<br />

(“Reihenhaus”)<br />

단독주택<br />

(“Einzelhaus”)<br />

고가<br />

(“altes Haus”)<br />

schmutzig<br />

schmutzig menschlich<br />

enge/gute Beziehung mit<br />

Nachbarn<br />

schmutzig sehr schön, romantisch


242 독일문학 제86집<br />

Gesprächsverlauf und dessen Kohärenz belegen. Der folgende Diskursausschnitt ist Teil<br />

einer Prüfung für das Zertifikat <strong>Deutsch</strong>. Anwesend sind zwei deutsche Prüfer, von<br />

denen aber nur einer am Diskurs beteiligt ist, und eine koreanische Prüfungskandidatin.<br />

Es handelt sich um den zweiten Teil der mündlichen Prüfung, in der ein Erfahrungs,<br />

Informations und Meinungsaustausch zu einem Alltagsthema, hier das Thema<br />

"Wohnen", stattfinden soll. Der Prüfer und die Kandidatin haben jeweils ein Schaubild<br />

mit einem kurzen Begleittext erhalten, das als Gesprächsanlass dienen soll. Die<br />

Kandidatin hat ihre Statistik bereits kommentiert. Der Diskursausschnitt beginnt, als der<br />

Prüfer der Kandidatin seine Statistik vorstellt.<br />

Prüfer: Ja, also, ich hab/ ja, ich hab da auch ein Blatt, das ist allerdings nicht dasselbe,<br />

was Sie haben.<br />

Kandidatin: Ja.<br />

Prüfer: Und das is, wie die <strong>Deutsch</strong>en wohnen.<br />

Kandidatin: Mhm.<br />

Prüfer: Und wenn ich dies Blatt richtig versteh, dann seh ich daraus, dass von/ nur 36<br />

Prozent aller <strong>Deutsch</strong>en ein Ein oder Zweifamilienhaus haben.<br />

Kandidatin: Mhm.<br />

Prüfer: Also weniger als 50 Prozent. Es gibt Länder in Europa, da haben mehr als 50<br />

Prozent ein eigenes Haus. In Skandinavien, in Irland. In <strong>Deutsch</strong>land nur 36 Prozent. Und<br />

die andern, die wohnen in Mehrfamilienhäusern<br />

Kandidatin: Mhm<br />

Prüfer: oder Reihenhäusern.<br />

Kandidatin: Mhm, Reihenhäusern, ja, ja.<br />

Prüfer: In Hochhäusern wohnen allerdings nur ein Prozent.<br />

Kandidatin: Mhm<br />

Der Prüfer erläutert seine Statistik. Besonders erwähnenswert erscheint ihm die<br />

Tatsache, dass <strong>im</strong> Vergleich zu anderen europäischen Ländern verhältnismäßig wenig<br />

Leute in <strong>Deutsch</strong>land ein Ein oder Zweifamilienhaus haben. Die Kandidatin zeigt durch<br />

regelmäßige Höreraktivitäten an, dass sie dem Gehörten folgen kann und keine<br />

Verstehensprobleme hat.


244 독일문학 제86집<br />

Kandidatin: Jaja.<br />

Prüfer: Ja, Makler?<br />

Kandidatin: Ja, Makler?<br />

Prüfer: Ja.<br />

Kandidatin: Aha, ach so. Makler bauen Haus für Leute, nicht für Leute, sondern für/<br />

Prüfer: ((sehr erstaunt)) Nicht für Leute?<br />

Kandidatin: Jaja, das heißt, ehm ((lacht)) ganz kompliziert ((lacht)).<br />

Prüfer: Versuchen Sie trotzdem mal, dies ganz Komplizierte kurz und einfach zu sagen.<br />

Ich verstehs nämlich nicht. Ich denke, Häuser werden für Leute gebaut.<br />

Die Kandidatin versucht zunächst, den durch das Missverständnis ausgelösten<br />

Widerspruch, dass nicht sie selbst das Haus baut, sondern dass daran verschiedene<br />

Berufsgruppen beteiligt sind, aufzulösen. Sie wirkt zunehmend verunsichert (das Lachen<br />

ist Ausdruck ihrer Verlegenheit) und verheddert sich in inkohärente Aussagen. Der<br />

Versuch des Prüfers, aus einzelnen Satzfetzen ein kohärentes Bild herzustellen, schlägt<br />

fehl.<br />

Kandidatin: Hm. Ehm es gibt viele alte Häuser.<br />

Prüfer: Ja.<br />

Kandidatin: Ja, ehm, neue Häuser anders, aber ehm alte Häuser normalerweise ein<br />

bisschen schmutzig, nicht ehm stark?<br />

Prüfer: Die Häuser gehen schnell kaputt?<br />

Kandidatin: Jaja.<br />

Prüfer: Ein Wind kommt, puuuh, ((macht mit der Hand eine Bewegung, als ob etwas<br />

umfällt)) das Haus, ja?<br />

Kandidatin: Ja, be<strong>im</strong>/ ehm wenn regnet/ wenn es regnet/<br />

Prüfer: Ja<br />

Kandidatin: Ja, Dach? Decke?<br />

Prüfer: Ja<br />

Kandidatin: Ehm gießen/ Wasser gießen/<br />

Prüfer: Aha<br />

Kandidatin: Regen/<br />

Prüfer: Der Regen bleibt nicht draußen, mhm.


246 독일문학 제86집<br />

trotzdem. Ihr letzter Beitrag stellt mit "deshalb" formal einen kausalen Bezug zur<br />

Aussage "Große Firmen bauen Apartments" her, inhaltlich ergibt "Apartment ist<br />

bequem" aber nur einen Sinn, wenn man es als eine ergänzende Erläuterung zur <strong>im</strong><br />

gesamten Diskursabschnitt verhandelten Aussage "Einzelhaus ist nicht bequem"<br />

betrachtet.<br />

Oberflächlich gesehen entsteht durch den Rezeptionsfehler von "selbst" ein<br />

Missverständnis, das trotz unübersehbarer Inkohärenzen <strong>im</strong> Gesprächsablauf bis zum<br />

Ende des Diskursabschnitts nicht geklärt wird. Es wäre aber falsch, die Inkohärenz des<br />

untersuchten Diskursabschnitts allein auf das Missverständnis zurückzuführen. Die<br />

eigentliche Ursache für das "Aneinander-vorbei-Reden" liegt nämlich in dem Erstaunen<br />

des Prüfers über die Aussage "Einzelhaus ist nicht bequem". Offenbar widerspricht es<br />

seiner persönlichen Erfahrung (bzw. seinem Schemawissen) und seiner Erwartung an die<br />

Antwort, dass das Wohnen in einem Einzelhaus als nicht bequem qualifiziert werden<br />

könnte, während diese Aussage aus koreanischer Sicht bzw. nach koreanischem<br />

Schemawissen dafür steht der Ausdruck "normalerweise" so selbstverständlich ist, dass<br />

ein Erstaunen darüber wohl von kaum einem Koreaner als Möglichkeit in Betracht<br />

gezogen würde. Die Kandidatin sucht also nach Elementen, die nach ihrer Meinung ein<br />

Erstaunen rechtfertigen können. Schließlich bezieht sie das Erstaunen des Prüfers darauf,<br />

dass ein "selbst" gebautes Haus nicht bequem sein sollte, aus ihrer Sicht vielleicht ein<br />

etwas merkwürdiger, aber <strong>im</strong>merhin noch einigermaßen plausibler Grund sich zu<br />

wundern. Im Grunde genommen ist der Diskurs an dieser Stelle bereits so "entgleist",<br />

dass er nur dank der außergewöhnlichen Kooperationsbereitschaft der<br />

Diskursteilnehmer, die in diesem Fall auf den besonderen Typus des Prüfungsdiskurses<br />

zurückzuführen ist, noch zu einem von beiden Seiten akzeptierten Ende führt.<br />

An der diskursiven Inkohärenz sind mehrere linguistische Faktoren beteiligt. Mittels<br />

kontrastiver Analyse lässt sich beispielsweise nachweisen, dass der von der Kandidatin<br />

verwendete Ausdruck "Apartment" ein "falscher Freund" ist und am ehesten dem<br />

deutschen ’Hochhaus entspricht. Außerdem sind <strong>im</strong> <strong>Deutsch</strong>en und <strong>im</strong> <strong>Koreanischen</strong> die<br />

beiden Wortfelder zum Bereich der Wohntypen verschieden aufgebaut. Eine<br />

Wortfeldanalyse würde in etwa ergeben, dass das deutsche Wortfeld zum Archilexem


248 독일문학 제86집<br />

Cornelsen.<br />

Kaplan, R. B. (1966), Cultural thought patterns in intercultural education. Language<br />

Learning 16, 1-20.<br />

Hoffmann, Ludger (1997), Zur Grammatik von Text und Diskurs, in: Gisela Zifonun u. a.<br />

Grammatik der deutschen Sprache, Berlin, New York: de Gruyter, 98-594.<br />

Kasper, G. & BlumKulka, S. (Hrsg.) (1993), Interlanguage pragmatics, New York: Oxford<br />

University Press.<br />

Moment mal! (1996), Lehrwerk für <strong>Deutsch</strong> als Fremdsprache, München: Langenscheidt.<br />

Neuner, Gerhard (1986), Fremdsprachlicher Text und universelle Lebenserfahrungen<br />

Aspekte einer themenorientierten fremdsprachlichen Textdidaktik, in: ders.<br />

(Hrsg.), Kulturkontraste <strong>im</strong> DaFUnterricht, München: iudicium, S. 11-32.<br />

Tangram 2 (2000), Kursbuch <strong>Deutsch</strong> als Fremdsprache, Ismaning: Max Hueber.<br />

Wolff, Dieter (1997), Angewandte Psycholinguistik und zweitsprachliches Verstehen, in:<br />

Lothar Bredella (Hrsg.) Verstehen und Verständigen durch Sprachenlernen?<br />

Dokumentation des 15. Kongresses für Fremdsprachendidaktik, veranstaltet von<br />

der <strong>Deutsch</strong>en Gesellschaft für Fremdsprachenforschung, Gießen, 4.6. 10. 1993,<br />

Bochum: Brockmeyer, S. 67-86.<br />

Wollert, Mattheus (2002), Gleiche Wörter andere Welten. Interkulturelle<br />

Vermittlungsprobleme <strong>im</strong> Grundwortschatzbereich. Empirisch basierte<br />

Untersuchungen zum Unterricht <strong>Deutsch</strong> als Fremdsprache an Universitäten in<br />

Südkorea, München: iudicium.<br />

요약<br />

마태우스 볼러르트 (연세대)<br />

본 논문은 한국에서 외국어로서의 독일어(DaF)를 강의할 때 독일과 한국 사<br />

이의 상이한 사회문화적 지식체계 때문에 나타나는 전달문제를 다루고 있다. 우<br />

선 독일어 텍스트에서 주거(Wohnen)라는 테마가 관찰된다. 다른 경우와 마찬가<br />

지로 다양한 주거형태가 각각 제시되고 비교된다. 텍스트에서 이것을 다룰 때

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