LAWINEN - Alpin.de
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EXTRA Lawinen: Risikomanagement<br />
DAS BERGMAGAZIN<br />
<strong>LAWINEN</strong><br />
SICHER auf Tour:<br />
Risikomanagement<br />
Rettungsmanagement<br />
Sicherheitsausrüstung<br />
1/08<br />
EXTRA<br />
EXTRA<br />
1
SEITEN<br />
4 Sicher auf Tour<br />
Muster-Skitour zum Traumkogel<br />
7 Interpretation Lawinenlagebericht<br />
Alles eine Frage <strong>de</strong>r Auslegung<br />
8 Risikomanagement<br />
Drei Kärtchen gegen <strong>de</strong>n weißen Tod<br />
14 Rettungsmanagement<br />
Ortung – Rettung – Bergung<br />
18 ABS-Rucksack<br />
Ein Ballon, <strong>de</strong>r retten kann<br />
20 Sicherheitsausrüstung<br />
Das Beste ist gera<strong>de</strong> gut genug<br />
23 LVS-Geräte im Test<br />
Ein Leistungs-Update<br />
Die ALPIN-Spezialisten in<br />
Sachen Risikomanagement:<br />
Paul Mair (rechts), Walter<br />
Zörer (unten) und Walter<br />
Würtl von mc2alpin.<br />
IMPRESSUM<br />
SERVICEBEILAGE ZU ALPIN 1/2008<br />
Olympia-Verlag GmbH, Badstraße 4 – 6,<br />
90402 Nürnberg, Tel. 0911 2160<br />
Anzeigen: Werner A. Wie<strong>de</strong>mann (verantwortlich)<br />
Redaktion: Planegger Str. 15, 82131 Gauting,<br />
Tel. 089 8931600, info@alpin.<strong>de</strong><br />
Chefredaktion: Dr. Bene Benedikt (verantwortlich)<br />
Redaktion: Robert Demmel<br />
Texte: mc2alpin (Paul Mair, Walter Würtl, Walter<br />
Zörer), Clemens Kratzer, Olaf Perwitzschky<br />
Titelfoto: Marc Gallup<br />
Fotos und Skizzen: mc2alpin, Peter Mathis,<br />
Birgit Gel<strong>de</strong>r, Archiv Aschauer, Bergwerk<br />
Grafik: Ulrike Lang, Satu Steiner<br />
Druck: Oberndorfer Druckerei, 5110 Oberndorf,<br />
Österreich<br />
KEINE FRAGE <strong>de</strong>r Ehre<br />
I<br />
ALPIN EXTRA Lawinen Inhalt<br />
ch kann mich noch gut an die Bergführerausbildung<br />
vor Jahren erinnern. Der ABS-Rucksack war heiß umstritten.<br />
„Unseriös“, sagten die einen, „unter <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong> eines Bergführers“<br />
an<strong>de</strong>re. Die Einstellung zum ABS hat sich geän<strong>de</strong>rt, auch<br />
(o<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong>?) unter <strong>de</strong>n Bergführern. Denn heute wissen wir, dass<br />
wir nicht viel wissen. Über <strong>de</strong>n Schnee und die Lawinen. Risikomanagement<br />
ist das Zauberwort.<br />
Deshalb freuen wir uns ganz beson<strong>de</strong>rs, dass wir die Experten von<br />
mc2alpin – Verein für Erlebnis und Sicherheit – aus Innsbruck als<br />
fe<strong>de</strong>rführen<strong>de</strong> Autoren für dieses EXTRA gewinnen konnten. Paul<br />
Mair, Walter Würtl und Walter Zörer geben Ihnen als Bergführer<br />
und <strong>Alpin</strong>wissenschaftler das wirksamste Instrumentarium an die<br />
Hand, um mit <strong>de</strong>m Gefahrenpotenzial Lawine verantwortlich<br />
umgehen zu können.<br />
Das Sicherste ist es freilich immer, keine Lawine auszulösen und<br />
unter kein Schneebrett zu kommen. Deshalb ist die oberste Priorität<br />
die Vermeidung von Lawinen. Ohne wenn und aber! Um dieses<br />
Ziel zu erreichen, möchten wir Ihnen mit diesem EXTRA viel geballtes<br />
Knowhow an die Hand geben.<br />
Und wenn trotz<strong>de</strong>m mal was schiefgeht? Einmal verschüttet, ist<br />
je<strong>de</strong>r zu 100 Prozent auf Hilfe von außen angewiesen. Und Hand<br />
aufs Herz: Sind Sie sicher, dass all Ihre Skitouren-Freun<strong>de</strong> wirklich<br />
fit bei <strong>de</strong>r Ortung und Bergung von Verschütteten sind?<br />
Ich habe lieber ein System dabei, das mir zumin<strong>de</strong>st die Möglichkeit<br />
gibt, dass ich erst gar nicht verschüttet wer<strong>de</strong>. Die Statistik<br />
<strong>de</strong>s Eidgenössischen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung<br />
(SLF) in Davos spricht eine <strong>de</strong>utliche Sprache: Zwischen 1991<br />
und 2007 wur<strong>de</strong>n 168 mit ABS ausgerüstete Skifahrer erfasst,<br />
davon sind acht Personen tot, 160 Personen haben überlebt. Eine<br />
Lawine kann <strong>de</strong>r ABS natürlich nicht verhin<strong>de</strong>rn. Aber er kann<br />
verhin<strong>de</strong>rn, dass ich unter <strong>de</strong>n Schneemassen auf Nimmerwie<strong>de</strong>rsehen<br />
verschwin<strong>de</strong>. Und das ist mir <strong>de</strong>n Preis eines ABS-Rucksacks<br />
wert.<br />
In <strong>de</strong>r Hoffnung auf einen schneereichen und unfallfreien Winter,<br />
Ihr<br />
Olaf Perwitzschky<br />
1/08<br />
EXTRA<br />
3
1<br />
ALPIN EXTRA Lawinen Sicher auf Tour<br />
muster-skitour<br />
zum traumkogel<br />
Das Gelingen einer sicheren und erlebnisreichen Skitour ist mit einer soli<strong>de</strong>n<br />
Vorbereitung zu Hause und ein paar wenigen, aber entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Standards<br />
im Gelän<strong>de</strong> verbun<strong>de</strong>n, die bei konsequenter Einhaltung schnell zur einfachen<br />
Routine wer<strong>de</strong>n. Es kann losgehen!<br />
Eine gemeinsame,<br />
kritische Vorausplanung<br />
daheim ist <strong>de</strong>r erste Schritt<br />
zu einer gelungenen Skitour.<br />
4 EXTRA 1/08<br />
SENDEN UND EMPFANGEN<br />
LVS-GERÄTE-CHECK<br />
Alle TeilnehmerInnen schalten das LVS-Gerät „Aus“.<br />
Der „Kontrolleur“ schaltet sein LVS-Gerät auf<br />
„Sen<strong>de</strong>n“. Einzeln schalten nacheinan<strong>de</strong>r alle ihr<br />
LVS-Gerät auf „Empfang“ und checken, ob es funktioniert<br />
und stellen es dann wie<strong>de</strong>r auf „Sen<strong>de</strong>n“.<br />
Anschließend wird das LVS-Gerät am Körper versorgt.<br />
Nach<strong>de</strong>m die LVS-Geräte <strong>de</strong>r TeilnehmerInnen auf<br />
„Empfang“ geprüft wur<strong>de</strong>n, geht <strong>de</strong>r „Kontrolleur“<br />
ein Stück (20 Meter) voraus, schaltet sein LVS-Gerät<br />
auf „Empfang“ und lässt die Gruppe im Abstand<br />
von 10 Metern vorübergehen (Kontrolle, ob die<br />
Geräte <strong>de</strong>r Gruppe sen<strong>de</strong>n). Danach stellt auch <strong>de</strong>r<br />
Kontrolleur sein Gerät auf „Sen<strong>de</strong>n“ und verstaut es<br />
am Körper. Der LVS-Check ist am Beginn je<strong>de</strong>r Tour<br />
durchzuführen!<br />
ie Planung zuhause ist <strong>de</strong>r erste Baustein<br />
D für ein gutes und risikooptimiertes Gelingen<br />
einer Skitour. So beginnen wir unsere<br />
„Mustertour“ auch daheim am Schreibtisch, unterstützt durch Führerliteratur,<br />
Lawinenlagebericht und topografische Karte. Diesen<br />
Unterlagen können Route, Gehzeiten, Schneeverhältnisse, Steilheit<br />
und Exposition <strong>de</strong>r Route entnommen wer<strong>de</strong>n, dies sind wichtige<br />
Informationen für <strong>de</strong>n Tourentag im Gelän<strong>de</strong>.<br />
Mit diesem Basiswissen starten wir am Parkplatz, im Rucksack<br />
(i<strong>de</strong>alerweise ABS-Rucksack) befin<strong>de</strong>n sich Lawinenschaufel,<br />
Son<strong>de</strong> und am besten auch Biwaksack und Erste-Hilfe-Set. Das<br />
Lawinen-Verschütteten-Suchgerät (LVS) wird direkt am Körper<br />
getragen. Man zieht es am bequemsten gleich zuhause im Warmen<br />
an und schaltet es auch gleich ein, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Batterieverbrauch ist so<br />
gering, dass eine Stun<strong>de</strong> mehr o<strong>de</strong>r weniger keine Rolle spielt. Der<br />
anfänglichen Hektik und <strong>de</strong>m Losrennen noch bevor <strong>de</strong>r Fahrer<br />
seine Skitourenschuhe anziehen kann, haben wir ganz abgeschworen.<br />
Ganz locker machen sich alle unserer Gruppe fertig und <strong>de</strong>r<br />
Erste steht schon am Einstieg zur Spur, um hier <strong>de</strong>n LVS-Check zu<br />
übernehmen. Siehe Info-Kasten 1
Nach<strong>de</strong>m alle Teilnehmer <strong>de</strong>n LVS-Check absolviert haben,<br />
geht es los. Schritt für Schritt folgen wir unserer geplanten Route<br />
und vergleichen ständig die Realität im Gelän<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n Daten aus<br />
unserer Planung vom Vortag. Wie so oft im Leben stimmt die Praxis<br />
nicht immer mit <strong>de</strong>r Theorie überein. So kann es schon vorkommen,<br />
dass manche Details auf <strong>de</strong>r Karte nicht o<strong>de</strong>r falsch eingezeichnet<br />
sind, Gelän<strong>de</strong>gegebenheiten haben sich verän<strong>de</strong>rt o<strong>de</strong>r die Schneemengen<br />
und die Schneeverhältnisse <strong>de</strong>cken sich nicht mit <strong>de</strong>m<br />
Lagebericht. Aber dazu haben wir ja unsere angeborenen Sinne und<br />
wir können die Umgebung wahrnehmen und bewerten. Aus <strong>de</strong>m<br />
Abgleich mit <strong>de</strong>n Informationen aus <strong>de</strong>r Planung revidieren wir so<br />
unser Bild kontinuierlich und passen unser Verhalten an.<br />
Je<strong>de</strong> Spur kann neu o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs angelegt wer<strong>de</strong>n, auch umdrehen<br />
muss ein reifer Bergsteiger können. Sobald die Hänge steiler<br />
wer<strong>de</strong>n – und 30 Grad sind schon steil – halten wir Entlastungsabstän<strong>de</strong><br />
ein. Nicht nur um tatsächlich die Schnee<strong>de</strong>cke zu entlasten,<br />
son<strong>de</strong>rn auch um das Verschüttungsrisiko zu minimieren. Im Fall<br />
eines Lawinenabgangs sind die Rettungschancen viel höher, wenn<br />
KEINESFALLS IM GÄNSEMARSCH<br />
ENTLASTUNGSABSTÄNDE AUFSTIEG<br />
Im Aufstieg sollten ab 30 Grad Steilheit<br />
Entlastungsabstän<strong>de</strong> von 10 Meter<br />
eingehalten wer<strong>de</strong>n. Der primäre Sinn von<br />
Entlastungsabstän<strong>de</strong>n: Die Zusatzbelastung<br />
auf die Schnee<strong>de</strong>cke wird reduziert<br />
und damit die Auslösewahrscheinlichkeit<br />
verringert. Weiterer Nutzen: Im Falle einer<br />
Schneebrettauslösung ist das Scha<strong>de</strong>nsausmaß<br />
geringer, da unter Umstän<strong>de</strong>n weniger<br />
Personen erfasst wer<strong>de</strong>n. Nicht zuletzt<br />
bieten Entlastungsabstän<strong>de</strong> einen höheren<br />
Komfort, da bei <strong>de</strong>n Spitzkehren zügig<br />
weitergegangen wer<strong>de</strong>n kann und nicht<br />
immer wie<strong>de</strong>r angehalten wer<strong>de</strong>n muss.<br />
Grün<strong>de</strong>, auf die Entlastungsabstän<strong>de</strong> zu<br />
verzichten, können sein: (1) dichter Wald,<br />
(2) <strong>de</strong>r Hang ist stark verspurt (Piste),<br />
(3) ein tragfähiger Schmelzharsch<strong>de</strong>ckel,<br />
(4) eine günstige Gelän<strong>de</strong>form (Grat).<br />
Bei <strong>de</strong>r Abfahrt Raum und Zeit genießen<br />
– und <strong>de</strong>swegen einzeln abfahren.<br />
nicht alle gemeinsam erfasst wer<strong>de</strong>n. Dazu ist es wichtig, dass sich<br />
nicht immer alle Personen in Gefahrenzonen befin<strong>de</strong>n. Der Begriff<br />
„Risikomanagement“ passt hier gut dazu: Wir können das Risiko<br />
nicht ausschalten o<strong>de</strong>r hun<strong>de</strong>rtprozentig kontrollieren, aber wir<br />
können es „managen“.<br />
Siehe Info-Kasten 2<br />
So legen wir unsere Spur auch bewusst entlang <strong>de</strong>r günstigeren<br />
Hangpartien und nicht in die finstersten Gräben, und obwohl wir<br />
<strong>de</strong>n Hang als „sicher“ einstufen, begehen wir ihn einzeln o<strong>de</strong>r<br />
mit großen Abstän<strong>de</strong>n. Manche genießen diese Stellen, um ein<br />
bisschen für sich zu sein. Zum Plau<strong>de</strong>rn ist sowieso nicht immer<br />
genug Luft da.<br />
Am Gipfel angelangt, ist Zeit zum Lockern und Regenerieren,<br />
hier öffnet sich <strong>de</strong>r Geist und die Glückshormone wer<strong>de</strong>n reichlich<br />
ausgeschüttet. Wenn dann bei <strong>de</strong>n ersten Schwüngen auch noch<br />
<strong>de</strong>r Pulverschnee staubt, ist die Ekstase nicht mehr fern.<br />
Geben wir <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> auf die Abfahrt also etwas Raum – und mit<br />
1/08<br />
2<br />
EXTRA<br />
5
3<br />
ALPIN EXTRA Lawinen Sicher auf Tour<br />
einfachen und effektiven Standards sollte sich diese auch mit einem<br />
geringen Risiko absolvieren lassen. Lassen wir uns also Zeit –<br />
warum die meisten Hänge nicht einzeln fahren? Es ist doch eine gute<br />
Möglichkeit von einem sicheren Standpunkt aus die an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r<br />
Gruppe bei <strong>de</strong>r Abfahrt zu beobachten und dabei vielleicht sogar zu<br />
lernen o<strong>de</strong>r zu lachen, wenn mal einer grazil <strong>de</strong>n Schnee küsst. Außer<strong>de</strong>m<br />
hat bei <strong>de</strong>r Einzelabfahrt je<strong>de</strong>r genug Platz, um sich in seinem<br />
Schwungrhythmus zu entfalten. Die Sammelpunkte liegen also an<br />
strategisch günstigen Stellen und sind vor Lawinen gut geschützt.<br />
6 EXTRA 1/08<br />
EINZELN FAHREN<br />
ENTLASTUNGSABSTÄNDE ABFAHRT<br />
Bei <strong>de</strong>r Abfahrt wer<strong>de</strong>n standardmäßig 30<br />
Meter Abstand eingehalten – d.h. ein gleichzeitiges<br />
Einfahren in Steilhänge ist „tabu“!<br />
Die primäre Absicht: Die Zusatzbelastung<br />
und damit die Auslösewahrscheinlichkeit<br />
für Schneebrettlawinen soll verringert<br />
wer<strong>de</strong>n. Weiterer Nutzen: Bei einem Lawinenunfall<br />
ist das Scha<strong>de</strong>nsausmaß geringer. Bei<br />
<strong>de</strong>r Abfahrt selbst genießt man einen höheren<br />
Komfort, da man ungestört seine Schwünge<br />
ziehen kann. Durch diese Maßnahme sinkt<br />
auch das Verletzungsrisiko, da Kollisionsunfälle<br />
ausgeschlossen sind. Diese Abstän<strong>de</strong><br />
sollen auch durchgehalten wer<strong>de</strong>n! D.h. es<br />
müssen gegebenenfalls größere Abstän<strong>de</strong><br />
gewählt wer<strong>de</strong>n, wenn jemand schneller Ski<br />
fährt.<br />
Siehe Info-Kasten 3<br />
Am Gipfel angelangt, ist Zeit zum Regenieren:<br />
Hier öffnen sich <strong>de</strong>r Geist und die Aussicht.<br />
Somit stehen wir bald wie<strong>de</strong>r beim Parkplatz und können uns<br />
am Erlebten freuen – schön war’s!<br />
Mit einigen wenigen Standards können wir ein großes Plus<br />
an Sicherheit gewinnen, und das wollen wir auch schon diesen<br />
Winter tun.
alles eine frage<br />
<strong>de</strong>r auslegung<br />
Der Lawinenlagebericht gibt die<br />
entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Vorinformationen<br />
über die Gefahrenlage im Gelän<strong>de</strong>.<br />
Aber – wie so oft im Leben<br />
– kommt es auf die richtige Interpretation<br />
<strong>de</strong>s Bulletins an.<br />
D<br />
er Lawinenlagebericht ist für alle Wintersportler<br />
die erste Adresse, wenn es um Informationen<br />
zur Schnee- und Lawinensituation<br />
geht. Weiters ist <strong>de</strong>r Lagebericht ein wesentlicher Bestandteil <strong>de</strong>r<br />
„Neuen Lawinenkun<strong>de</strong>“ und darf in seiner Be<strong>de</strong>utung für <strong>de</strong>n Wintersportler<br />
nicht unterschätzt wer<strong>de</strong>n. Im Alpenraum fin<strong>de</strong>t sich das<br />
weltweit dichteste Netz an meteorologischen Stationen, die wichtige<br />
Hinweise für die europäischen Lawinenwarndienste liefern. Aus<br />
diesen Datenquellen und aus <strong>de</strong>n Infos von Beobachtern und natürlich<br />
aus eigenen Erhebungen wird von <strong>de</strong>n Lawinenwarndiensten<br />
mitunter täglich ein Lagebericht zur Lawinensituation erstellt.<br />
DER LAGEBERICHT TEILT VERSCHIEDENE INFORMATIONEN<br />
mit. Zum ersten erhält man die aktuelle Gefahrenstufe. Dabei<br />
han<strong>de</strong>lt es sich um einen Wert auf einer fünfteiligen Skala, <strong>de</strong>r<br />
in ganz Europa nach einheitlichen Kriterien erstellt wird. Der<br />
Gefahrengrad wird also mittels einer Zahl beschrieben. Dieser Zahl<br />
ist beson<strong>de</strong>re Beachtung zu schenken – wer von seinem Benotungssystem<br />
aus <strong>de</strong>r Schule mit einer „Drei“ ganz zufrie<strong>de</strong>n war, muss bei<br />
dieser Gefahrenstufe um<strong>de</strong>nken und beson<strong>de</strong>rs vorsichtig sein. Bei<br />
Gefahrenstufe 3 ist gutes lawinenkundliches Wissen Voraussetzung,<br />
um sich im winterlichen Gebirge mit einem optimierten Risiko<br />
bewegen zu können. Weiters wer<strong>de</strong>n wichtige Informationen zu<br />
Gefahrenstellen und Gefahrenquellen abgegeben. Gefahrenstellen<br />
sind dabei beson<strong>de</strong>rs häufig eingewehte Rinnen und Mul<strong>de</strong>n in<br />
verschie<strong>de</strong>nen Höhenlagen o<strong>de</strong>r im kammnahen Steilgelän<strong>de</strong>. Zu<br />
<strong>de</strong>n Gefahrenquellen zählen beson<strong>de</strong>rs oft Win<strong>de</strong>influss und <strong>de</strong>r<br />
Einfluss <strong>de</strong>r Temperatur beziehungsweise <strong>de</strong>r Strahlung auf die<br />
Schnee<strong>de</strong>cke. Der Lagebericht gibt also explizit darüber Auskunft,<br />
welche Höhenlagen, Expositionen und Gelän<strong>de</strong>formen aktuell<br />
ungünstig und nur mit hohem Risiko zu befahren sind.<br />
Der Lagebericht wird immer für große Regionen erstellt. Eine<br />
Beurteilung eines Einzelhangs ist daher nicht möglich. Um eine<br />
Fehlinterpretation zu verhin<strong>de</strong>rn, ist eine intensive Auseinan<strong>de</strong>rsetzung<br />
mit <strong>de</strong>n kommunizierten Inhalten für alle Wintersportler im<br />
Touren- und Variantenbereich dringend anzuraten.<br />
Der Wind ist <strong>de</strong>r<br />
Baumeister <strong>de</strong>r<br />
Lawinen. Darum ist es<br />
absolut sinnvoll, <strong>de</strong>n<br />
Lawinenlagebericht<br />
auch in <strong>de</strong>n Tagen<br />
vor einer geplanten<br />
Tour einzuholen und<br />
die Entwicklung zu<br />
beobachten.<br />
1/08<br />
EXTRA<br />
7
ALPIN EXTRA Lawinen Risikomanagement<br />
drei kärtchen<br />
gegen <strong>de</strong>n weißen Tod<br />
Strategie ist mehr als Wissenschaft,<br />
sie ist die Übertragung<br />
<strong>de</strong>s Wissens auf das praktische<br />
Leben … entsprechend <strong>de</strong>n stets<br />
sich än<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Verhältnissen, ist<br />
sie die Kunst <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns unter<br />
<strong>de</strong>m Druck <strong>de</strong>r schwierigsten Bedingungen.“<br />
General von Moltke<br />
8 EXTRA 1/08<br />
Der strategische Umgang mit Risiko im Wintersport ist für ein sicheres<br />
Unterwegssein in <strong>de</strong>r Natur die halbe Miete. Mehrere Experten haben<br />
unterschiedliche Entscheidungs- und Handlungsstrategien entwickelt –<br />
in je<strong>de</strong>m Fall erst einprägen, dann aufbrechen!<br />
or über 10 Jahren stellte Werner Munter<br />
V seine Reduktionsmetho<strong>de</strong> einer breiten<br />
Öffentlichkeit vor und leitete damit einen<br />
Paradigmenwechsel in <strong>de</strong>r Lawinenkun<strong>de</strong> ein. Viel hat sich seither getan<br />
– mehrere alternative Entscheidungsstrategien haben sich entwickelt<br />
und sind in die Lehrpläne <strong>de</strong>r alpinen Ausbildungen eingeflossen.<br />
Betrachtet man die Entwicklung <strong>de</strong>r Lawinenunfälle am Beispiel<br />
Österreichs in <strong>de</strong>n letzten 20 Jahren, so wird <strong>de</strong>utlich, dass die<br />
Anzahl <strong>de</strong>r Lawinenunfälle von Jahr zu Jahr äußerst unterschiedlich<br />
ist und die Einführung <strong>de</strong>r „Neuen Lawinenkun<strong>de</strong>“ nicht zu einem<br />
signifikanten Rückgang <strong>de</strong>r Unfälle geführt hat. Vor<strong>de</strong>rgründig<br />
könnte man <strong>de</strong>shalb behaupten, dass die neu entwickelten Strategien<br />
das Risiko einer Lawinenverschüttung nicht senken konnten.<br />
Schneebretter dieser Größenordnung sind eher selten. Mit einem <strong>de</strong>fensiven Risikomanagement<br />
lassen sich aber auch solche Horrorszenarien vermei<strong>de</strong>n.
ANZAHL DER <strong>LAWINEN</strong>TOTEN IN ÖSTERREICH<br />
in <strong>de</strong>n letzten 20 Jahren<br />
In Relation zur starken Zunahme <strong>de</strong>r Wintersportler abseits gesicherter Pisten in <strong>de</strong>n<br />
letzten Jahren sterben vergleichsweise weniger Menschen in Lawinen.<br />
Bei genauer Betrachtung wird jedoch schnell klar, dass eine Beurteilung<br />
<strong>de</strong>r Wirksamkeit <strong>de</strong>r Strategien wesentlich komplexer ist.<br />
Zum einen ist es trotz intensiver Bemühungen <strong>de</strong>r großen alpinen<br />
Vereine (DAV, OeAV, SAC) noch nicht gelungen, die strategischen<br />
Metho<strong>de</strong>n zur Beurteilung <strong>de</strong>r Lawinengefahr als Standard für<br />
alle Wintersportler zu etablieren, so dass sich zu viele nach wie<br />
vor rein auf ihr Wissen und ihre Intuition verlassen – die sich im<br />
Nachhinein oft als falsch herausstellen. Die genaue Analyse von<br />
Lawinenunfällen über mehrere Jahre hinweg zeigt, dass die Anzahl<br />
<strong>de</strong>r Lawinenopfer immer noch in erster Linie von <strong>de</strong>n Verhältnissen<br />
und weniger vom Verhalten bestimmt wer<strong>de</strong>n. Das be<strong>de</strong>utet<br />
vereinfacht, dass sich die Wintersportler immer gleich verhalten<br />
und bei günstigen Bedingungen eben weniger Opfer zu beklagen<br />
sind als bei ungünstigen Verhältnissen. Zum an<strong>de</strong>ren ist die Zahl<br />
jener, die sich abseits <strong>de</strong>r gesicherten Pisten und Wege aufhalten,<br />
in <strong>de</strong>n letzten Jahren um ein Vielfaches angestiegen, ohne dass die<br />
Unfallzahlen im gleichen Verhältnis gestiegen wären. Dies be<strong>de</strong>utet<br />
erfreulicherweise, dass das individuelle Risiko für einen Wintersportler<br />
in einer Lawine zu sterben insgesamt gesunken ist und es<br />
sehr wohl so etwas wie einen positiven Trend gibt.<br />
Die Entwicklung, dass vergleichsweise weniger Menschen in<br />
Lawinen sterben, ist auf verschie<strong>de</strong>ne Aspekte wie verbesserte Lawinenwarnung,<br />
bessere Notfallausrüstung, höheren Verbreitungsgrad<br />
<strong>de</strong>r Notfallausrüstung, effizientere Bergrettung und natürlich<br />
auch auf die Einführung <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Strategien zur Beurteilung<br />
<strong>de</strong>r Lawinengefahr zurückzuführen. Was <strong>de</strong>r exakte Beitrag je<strong>de</strong>r<br />
einzelnen Maßnahme ist, kann jedoch nicht beurteilt wer<strong>de</strong>n.<br />
PROBLEMSTELLUNG KOMPLEXITÄT<br />
Die lawinenbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Faktoren können in ihrer Komplexität vom<br />
Menschen nicht erfasst wer<strong>de</strong>n, da wir keinen ausgeprägten „Lawinensinn“<br />
besitzen. Wir sind lei<strong>de</strong>r nicht imstan<strong>de</strong>, die drei „lawinenrelevanten“<br />
Bereiche Schnee<strong>de</strong>cke (Strahlung, Wind, Temperatur,<br />
Nie<strong>de</strong>rschlagsmenge, Nie<strong>de</strong>rschlagsintensität, etc.), Gelän<strong>de</strong><br />
(Hangneigung, Exposition, Hanggröße, Hangform, Untergrund,<br />
etc.) und <strong>de</strong>n Faktor Mensch (Gruppengröße, Spurwahl, Verhalten,<br />
Risikobereitschaft, etc.) vollständig zu erfassen und richtig mitein-<br />
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ALPIN EXTRA Lawinen Risikomanagement<br />
an<strong>de</strong>r zu verknüpfen. Da uns eine Vielzahl an relevanten Informationen<br />
fehlt, können wir einen Hang auch nicht zuverlässig beurteilen.<br />
Wichtig ist festzuhalten, dass nicht nur Anfänger Schwierigkeiten<br />
mit <strong>de</strong>r Einschätzung <strong>de</strong>r lawinenbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Faktoren haben, son<strong>de</strong>rn<br />
sich auch sehr gut ausgebil<strong>de</strong>te Tourengeher schwer tun mit <strong>de</strong>r<br />
Lawinengefahr. Nicht zuletzt wird dies im Umstand wi<strong>de</strong>rgespiegelt,<br />
dass selbst Profis wie Bergführer und Skilehrer immer wie<strong>de</strong>r an<br />
schweren Lawinenunfällen beteiligt sind.<br />
RISIKOMANAGEMENT ALS AUSWEG<br />
Strategisches Entschei<strong>de</strong>n und Han<strong>de</strong>ln (Risikomanagement) bietet<br />
eine Möglichkeit mit dieser Komplexität umzugehen. Risikomana-<br />
gement macht das komplexe Beziehungsgefüge Schnee<strong>de</strong>cke –<br />
Gelän<strong>de</strong> – Mensch „handhabbar“. Es bringt sozusagen Ordnung in<br />
das Chaos und bietet die Chance, trotz <strong>de</strong>r komplexen Ausgangssituation<br />
das Risiko einer Lawinenauslösung <strong>de</strong>utlich zu verringern<br />
– sofern man bereit ist, Grenzen („Limits“) zu akzeptieren und<br />
damit ein gewisses Maß an Verzicht zu üben. Diese Bereitschaft<br />
zum Verzicht ist die vielleicht wichtigste Tugend im Umgang mit<br />
<strong>de</strong>r Lawinengefahr, wobei gesamt gesehen auf sehr wenig verzichtet<br />
wer<strong>de</strong>n muss, um das Risiko markant zu senken.<br />
Ziel aller Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r „Neuen Lawinenkun<strong>de</strong>“ ist es, mit<br />
möglichst wenig Verzicht ein Maximum an Risikoreduktion zu<br />
erzielen. Diese sollen <strong>de</strong>shalb einerseits möglichst großzügig<br />
sein, um akzeptiert zu wer<strong>de</strong>n, an<strong>de</strong>rerseits aber so „sicher“, dass<br />
die meisten Lawinenunfälle verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n können. Wichtig<br />
beim Risikomanagement ist, dass es hun<strong>de</strong>rtprozentige Sicherheit<br />
nicht geben kann. Sehr wohl lässt sich das Risiko jedoch auf einen<br />
gesellschaftlich akzeptierten Wert reduzieren, <strong>de</strong>r auch in an<strong>de</strong>ren<br />
Lebensbereichen (z.B. öffentlicher Verkehr) eingegangen wird.<br />
Da es im Gelän<strong>de</strong> immer nur JA/NEIN-Entscheidungen (gehen/<br />
fahren o<strong>de</strong>r umkehren) gibt, sind einfache Denk- und Handlungs-<br />
10 EXTRA 1/08<br />
STOP OR GO – GEFÄHRLICH FÜR MICH?<br />
Entscheidungsstrategie in zwei Schritten<br />
muster wie die strategischen Instrumente <strong>de</strong>r Lawinenkun<strong>de</strong> in<br />
komplexen Situationen sehr erfolgreich. Munter kommt zum Schluss:<br />
„Wer regelbasiert entschei<strong>de</strong>t, schlägt auf Dauer je<strong>de</strong>n Experten,<br />
<strong>de</strong>r wissensbasiert entschei<strong>de</strong>t!“ Die Unfallanalyse scheint ihm<br />
dabei Recht zu geben. In<strong>de</strong>m man in Größenordnungen und Bandbreiten<br />
<strong>de</strong>nkt (z.B. in Hangneigungsklassen), Wahrscheinlichkeiten<br />
berücksichtigt (z.B. Unfallhäufigkeit in steilen Hängen), auf beson<strong>de</strong>rs<br />
unfallträchtige Muster achtet (z.B. Unfälle in Nordhängen)<br />
und das Verhalten mittels Standardmaßnahmen beeinflusst, kann<br />
<strong>de</strong>r Anwen<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r komplexen Ausgangssituation umgehen.<br />
STRATEGIEN<br />
Zentraler Baustein <strong>de</strong>r gängigen Strategien ist <strong>de</strong>r Verzicht auf<br />
Immer auf <strong>de</strong>r Hut:<br />
Unterwegs im Gelän<strong>de</strong><br />
müssen die Verhältnisse<br />
beständig beobachtet und<br />
das aktuelle Lawinen-<br />
bulletin gegebenenfalls<br />
relativiert wer<strong>de</strong>n.
„steile Hänge“ in Abhängigkeit von <strong>de</strong>r Gefahrenstufe <strong>de</strong>s Lawinenlageberichts.<br />
In <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Einsteiger am leichtesten umzusetzen<strong>de</strong>n<br />
Metho<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r „Elementaren Reduktionsmetho<strong>de</strong>“, wird<br />
dieser Zusammenhang am schnellsten <strong>de</strong>utlich.<br />
BEI DER ELEMENTAREN REDUKTIONSMETHODE muss <strong>de</strong>r<br />
Anwen<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Lawinenlagebericht kennen und die Hangneigung in<br />
Größenordnungen schätzen können (<strong>de</strong>r Hang ist zwischen 35 und<br />
40 Grad steil und nicht <strong>de</strong>r Hang hat genau 38 Grad). Das richtige<br />
Einschätzen <strong>de</strong>r Hangneigung ist mit etwas Übung nicht son<strong>de</strong>rlich<br />
schwierig, muss jedoch sorgfältig erlernt wer<strong>de</strong>n. Die Gefahrenstufe<br />
bezieht sich jeweils auf die im Lagebericht genannten Bereiche.<br />
Herrscht Lawinengefahrenstufe 3 (erheblich), dann bleibt man in<br />
Aufstieg und Abfahrt in Gelän<strong>de</strong>bereichen unter 35 Grad, wobei<br />
<strong>de</strong>r gesamte Hang als Einzugsgebiet zu berücksichtigen ist.<br />
STOP OR GO wur<strong>de</strong> von Michael Larcher im OeAV entwickelt und<br />
ist ein umfassen<strong>de</strong>s (didaktisches) Konzept, welches die auf Skitour<br />
o<strong>de</strong>r Variantenabfahrt notwendigen Entscheidungsprozesse strukturiert.<br />
Alle wichtigen, das Risiko min<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Handlungsanweisungen<br />
sind explizit angeführt – dadurch sind sie einfacher umzusetzen und<br />
risikobewusstes Verhalten erfährt damit eine höhere Akzeptanz.<br />
Als übergeordnetes Handlungsschema dienen die Standardmaßnahmen,<br />
die in einer Art Checkliste die Bereiche Planung und Gelän<strong>de</strong><br />
umfassen. Diese besitzen insofern einen hohen Stellenwert,<br />
als sie sicherstellen, dass wichtige Punkte bei je<strong>de</strong>r Tour/Variante<br />
berücksichtigt wer<strong>de</strong>n. In die Standardmaßnahmen eingebettet ist<br />
die Stop or Go-Entscheidungsstrategie, die aus zwei Teilen (Check<br />
1 und Check 2) besteht. Check 1 entspricht dabei <strong>de</strong>r „Elementaren<br />
Reduktionsmetho<strong>de</strong>“. Im Check 2 sollte <strong>de</strong>r Anwen<strong>de</strong>r die Gefahrenzeichen<br />
Neuschnee, frischer Triebschnee, frische Lawinen,<br />
Setzungsgeräusche und Rissbildung, starke Durchfeuchtung wahrnehmen<br />
und beurteilen. Sind keine Gefahrenzeichen festzustellen,<br />
so kann weitergegangen wer<strong>de</strong>n, treten Gefahrenzeichen auf und<br />
wer<strong>de</strong>n diese als „Gefährlich für mich“ bewertet, so muss man <strong>de</strong>r<br />
Gefahrenstelle ausweichen o<strong>de</strong>r überhaupt abbrechen. Durch die<br />
Einbeziehung <strong>de</strong>r Gefahrenzeichen wer<strong>de</strong>n Elemente <strong>de</strong>r klassischen<br />
Beurteilung mit einer Entscheidungsstrategie kombiniert.<br />
Für das gesamte Konzept gilt, dass Zumutbarkeit und Praxisrelevanz<br />
aller Maßnahmen an oberster Stelle stehen.<br />
DIE SNOWCARD wur<strong>de</strong> von Martin Engler und Jan Mersch im<br />
DAV entwickelt und basiert ebenfalls auf <strong>de</strong>r „Elementaren Reduktionsmetho<strong>de</strong>“.<br />
Ausgangspunkt ist wie<strong>de</strong>r die Lawinengefahrenstufe,<br />
die in Beziehung zur Hangneigung gebracht wird. Dies geschieht bei<br />
<strong>de</strong>r SnowCard auf sehr raffinierte Art und Weise, da mittels einer<br />
farbigen „Prismen-Karte“ durch Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Betrachtungswinkels<br />
zwei unterschiedliche Grafiken (günstige und ungünstige Exposition)<br />
sichtbar wer<strong>de</strong>n und so auch eine differenzierte Einschätzung <strong>de</strong>s<br />
Risikos in unterschiedlichen Expositionen möglich ist. Liegt man bei<br />
<strong>de</strong>r Verbindung von Hangneigung und Gefahrenstufe im „grünen<br />
Bereich“, ist das Risiko gering, im „gelben Bereich“ ist Vorsicht<br />
geboten und im „roten Bereich“ besteht hohes Risiko. Im „gelben<br />
Bereich“ sind Entlastungsabstän<strong>de</strong> von min<strong>de</strong>stens 10 Metern einzuhalten<br />
und die Gruppengröße ist zu beschränken. Bei flächig vielbefahrenen<br />
Hängen, kann man vier bis fünf Grad von <strong>de</strong>r Hangneigung<br />
abziehen, da solche Hänge sicherer sind. Der sicherheitsbewusste<br />
Tourengeher verzichtet bereits im orangen Übergangsbereich von<br />
gelb zu rot auf eine Befahrung. Sehr praktisch an <strong>de</strong>r SnowCard sind<br />
die integrierten Neigungsmesser, mit <strong>de</strong>nen man sowohl auf <strong>de</strong>r Kar-
ALPIN EXTRA Lawinen Risikomanagement<br />
te als auch im Gelän<strong>de</strong> die richtige Hangneigung bestimmen kann.<br />
EINEN BIERDECKEL entwickelte Werner Munter, aufbauend auf<br />
<strong>de</strong>n Überlegungen zu <strong>de</strong>n unterschiedlichen Reduktionsmetho<strong>de</strong>n<br />
(elementare RM, professionelle RM, gol<strong>de</strong>ne Regel). Er leitet <strong>de</strong>n<br />
Namen davon ab, dass Risikobeurteilung so einfach sein muss,<br />
dass sie auf einem Bier<strong>de</strong>ckel Platz hat. Munter ist es gelungen,<br />
die Grundlagen <strong>de</strong>r professionellen Reduktionsmetho<strong>de</strong> soweit zu<br />
vereinfachen, dass kein Rechnen mehr notwendig ist und <strong>de</strong>nnoch<br />
alle relevanten Reduktionsfaktoren berücksichtigt sind. Beson<strong>de</strong>rs<br />
beeindruckend am Bier<strong>de</strong>ckel ist die konsequente Einhaltung <strong>de</strong>r<br />
Regeln, die für die professionelle Reduktionsmetho<strong>de</strong> gelten, so<br />
dass <strong>de</strong>m Einsteiger und <strong>de</strong>m Experten ein Instrument zur Verfügung<br />
steht, das größtmöglichen Spielraum bei <strong>de</strong>r Beurteilung lässt.<br />
Grundlegend an dieser Metho<strong>de</strong> ist, dass man bei Gefahrenstufe 3<br />
drei Bonussterne, bei Gefahrenstufe 2 zwei Bonussterne und bei<br />
Gefahrenstufe 1 einen Bonusstern haben muss, um einen Hang<br />
(mit akzeptablem Restrisiko) befahren zu können. Bei Stufe 3 ist<br />
ein „erstklassiger Reduktionsfaktor“ (aus Punkt 1 o<strong>de</strong>r 2) nötig. Bei<br />
Gefahrenstufe 4 bleibt man unter 30 Grad Hangneigung. Zusätzlich<br />
ist im „Bier<strong>de</strong>-<br />
12 EXTRA 1/08<br />
BIERDECKEL<br />
Munters genialer Bier<strong>de</strong>ckel-Ansatz: mit<br />
Bonussternchen auf <strong>de</strong>r sicheren Seite.<br />
ckel“ berücksichtigt,<br />
dass bei starker<br />
Durchfeuchtung <strong>de</strong>r<br />
Schnee<strong>de</strong>cke nicht<br />
alle Bonussterne<br />
verwen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n<br />
dürfen. Beispielsweise<br />
kann man bei<br />
Gefahrenstufe 3<br />
(erheblich) und trockenenVerhältnissen<br />
einen Südhang<br />
(1. Stern) mit 35 bis<br />
39 Grad (2. Stern)<br />
und Abstän<strong>de</strong>n<br />
von min<strong>de</strong>stens<br />
10 Meter (3. Stern) befahren.<br />
SNOWCARD<br />
mit <strong>de</strong>r Prismenkarte sicher auf Tour<br />
RISIKOMANAGEMENT – STRATEGIEN MIT ERFOLG<br />
Durch die Anwendung von Strategien kann das Risiko einer Lawinenauslösung<br />
nachweislich <strong>de</strong>utlich verringert wer<strong>de</strong>n. Je nach<br />
Strategie müssen dazu aber Grenzen („Limits“) akzeptiert wer<strong>de</strong>n,<br />
was stets die Bereitschaft zum Verzicht (auf extrem steile Hänge)<br />
voraussetzt. Die Grenzen <strong>de</strong>r unterschiedlichen Metho<strong>de</strong>n sind<br />
verschie<strong>de</strong>n. Das geringste Risiko gehen Anwen<strong>de</strong>r bei Stop or Go<br />
o<strong>de</strong>r SnowCard ein, da die elementare Reduktionsmetho<strong>de</strong> nochmals<br />
mittels Check 2 (klassische Beurteilung <strong>de</strong>r Gefahrenzeichen)<br />
bzw. einer Verschärfung in ungünstige Expositionen (rote Seite)<br />
kombiniert wird. Der Bier<strong>de</strong>ckel bietet <strong>de</strong>n größten Spielraum und<br />
Lawinenabgang bei stark durchnässter Schnee<strong>de</strong>cke – auf <strong>de</strong>m Bier<strong>de</strong>ckel<br />
dürfen bei Feuchtschnee nicht alle Bonussterne verwertet wer<strong>de</strong>n.
DIE GEFAHREN-AMPEL<br />
für günstige und ungünstige Expositionen<br />
p p<br />
Ein 33 Grad steiler Hang günstiger, sprich Süd-Exposition, liegt bei Gefahrenstufe 2 im grünen<br />
Bereich. Auf <strong>de</strong>r Nordseite liegt er allerdings schon voll im gelben Bereich.<br />
ist als wirklich sehr praktikable Weiterentwicklung <strong>de</strong>r professionellen<br />
Reduktionsmetho<strong>de</strong> v.a. für jene zu sehen, die schon etwas<br />
Erfahrung in <strong>de</strong>r Einschätzung von Lawinengefahr haben.<br />
Für alle Metho<strong>de</strong>n innerhalb <strong>de</strong>s Risikomanagements gilt, dass<br />
<strong>de</strong>r Lawinenlagebericht die Grundinformation für die Beurteilung<br />
darstellt. Einsteiger sollten dabei die ausgegebene Gefahrenstufe<br />
akzeptieren. Experten können und müssen eine Verifizierung <strong>de</strong>s<br />
Lageberichts vornehmen. Hierin liegt auch die größte Herausfor<strong>de</strong>rung<br />
für Profis mit <strong>de</strong>r Möglichkeit, das höhere Wissen effektiv<br />
einzusetzen.<br />
Bei allen Entscheidungsstrategien sind natürlich die Standardmaßnahmen<br />
auf Variante und Tour einzuhalten, wie sie vergleichsweise<br />
bei Stop or Go auf einer Seite angeführt sind. Dazu gehört<br />
beispielsweise eine umfassen<strong>de</strong> Planung vor <strong>de</strong>r Tour ebenso wie<br />
<strong>de</strong>r LVS-Check beim Losgehen o<strong>de</strong>r die Berücksichtigung <strong>de</strong>s<br />
Faktors Mensch und Gruppe.<br />
Die auf <strong>de</strong>n ersten Blick recht simpel erscheinen<strong>de</strong>n Strategien<br />
und Kärtchen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die einzelnen<br />
Inhalte mitunter sehr anspruchsvoll sind und die Umsetzung<br />
je<strong>de</strong>r Metho<strong>de</strong> erlernt und immer wie<strong>de</strong>r geübt wer<strong>de</strong>n muss. Nur<br />
durch eine intensive Auseinan<strong>de</strong>rsetzung in Praxis und Theorie<br />
können die Strategien auch tatsächlich das Risiko einer Lawinenverschüttung<br />
senken.<br />
Strategien bieten vor allem Einsteigern die Möglichkeit, Entscheidungs-<br />
und Handlungskonzepte umzusetzen, die einfach und<br />
trotz<strong>de</strong>m zutreffend sind. Doch auch <strong>de</strong>n Experten können sie<br />
helfen, die eigene Einschätzung und Vorgehensweise zu hinter-<br />
fragen. Welche Strategie man verwen<strong>de</strong>t, sei je<strong>de</strong>m selbst überlassen,<br />
keinesfalls dürfen sie jedoch unreflektiert o<strong>de</strong>r entgegen<br />
bessere Einsicht angewen<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. Somit sind sie auch nur für<br />
Anwen<strong>de</strong>r geeignet, die Interesse und Spaß an <strong>de</strong>ren Umsetzung<br />
haben, <strong>de</strong>nn wenn man versucht, diese falsch anzuwen<strong>de</strong>n, gelingt<br />
dies auch (jedoch nur zum eigenen Nachteil). Eine fundierte Ausbildung<br />
bei Bergsteigerschulen o<strong>de</strong>r alpinen Vereinen kann helfen,<br />
dies zu vermei<strong>de</strong>n.<br />
In <strong>de</strong>n vergangenen zehn Jahren haben sich die Strategien weiterentwickelt<br />
und sich als in <strong>de</strong>r Praxis bewährte und fachlich fundierte<br />
Instrumente zur Vermeidung von Lawinenunfällen bestätigt.<br />
Sie senken damit nicht nur das Risiko, son<strong>de</strong>rn steigern gleichzeitig<br />
auch <strong>de</strong>n Genuss auf Touren und Varianten.<br />
Tecbla<strong>de</strong><br />
<br />
Stubai Tecbla<strong>de</strong>
14<br />
ALPIN EXTRA Lawinen Rettungsmanagement<br />
ortung bergung<br />
rettung<br />
EXTRA 1/08<br />
Ist <strong>de</strong>r worst case eines Lawinenabgangs mit Verschüttung<br />
einmal eingetreten, muss alles ganz schnell gehen.<br />
Dann hängt für das Leben <strong>de</strong>r Verschütteten nahezu alles<br />
von einem konsequenten und bestens koordinierten<br />
Ablauf <strong>de</strong>r Suche und Bergung durch die Kamera<strong>de</strong>n ab.<br />
er erste Schnee ist in <strong>de</strong>n<br />
D Bergen bereits gefallen,<br />
die Gespräche am<br />
Wirtshaustisch „wo’s <strong>de</strong>nn schon geht“ häufen<br />
sich und die üblichen Lawinenpräventionsvorträge<br />
diverser Fachkundiger wer<strong>de</strong>n<br />
publik gemacht und eifrig besucht – und das<br />
ist gut so. Im langjährigen Durchschnitt<br />
sterben etwa 100 Menschen pro Jahr im<br />
Alpenraum an <strong>de</strong>r Folge von Lawinenabgängen.<br />
Etwa 90 Personen kommen dabei<br />
durch Schneebrettlawinen ums Leben, die<br />
durch sie selbst o<strong>de</strong>r durch ihre Gruppe<br />
ausgelöst wor<strong>de</strong>n sind. Analysen <strong>de</strong>s Unfallgeschehens<br />
zeigen ähnliche und sich wie<strong>de</strong>rholen<strong>de</strong><br />
Unfallmuster, die sich kausal mit<br />
<strong>de</strong>r Auslösung von Lawinen in Verbindung<br />
bringen lassen. In <strong>de</strong>n meisten Fällen heißt<br />
dies, dass das Verhalten <strong>de</strong>r Wintersportler<br />
im Gelän<strong>de</strong> nicht <strong>de</strong>r aktuellen Schnee- und<br />
Lawinensituation angepasst ist.<br />
Überlebenswahrscheinlichkeit [%]<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
ÜBERLEBENSWAHRSCHEINLICHKEIT<br />
Auf die ersten 15 Minuten kommt es an!<br />
92%<br />
50%<br />
30%<br />
15 30 60 90 120 150<br />
Kommt es zu einer Lawinenauslösung<br />
und in <strong>de</strong>r Folge vielfach auch zur Verschüttung,<br />
ist die Rettung durch unbeteiligte<br />
Kamera<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Gruppe in <strong>de</strong>n<br />
häufigsten Fällen die einzige Chance, um<br />
das Überleben eines Opfers zu bewerkstelligen.<br />
Die ersten Minuten <strong>de</strong>r Verschüttung<br />
entschei<strong>de</strong>n für das Opfer oft alles.<br />
Statistische Auswertungen (s. Grafik unten)<br />
zeigen, dass gut 90 Prozent <strong>de</strong>r Verschütteten,<br />
die bei Stillstand <strong>de</strong>r Lawinen noch<br />
am Leben sind, überleben, sofern sie in <strong>de</strong>n<br />
ersten 15 Minuten ausgegraben wer<strong>de</strong>n<br />
können, beziehungsweise man ihnen das<br />
Atmen ermöglicht. Dauert die Bergung<br />
länger, sinken die Überlebenschancen<br />
drastisch. Nach einer halben Stun<strong>de</strong> können<br />
nur mehr rund 30 Prozent <strong>de</strong>r Opfer lebend<br />
geborgen wer<strong>de</strong>n. Daraus folgt, dass eine<br />
schnelle Kamera<strong>de</strong>nrettung die Überlebenschance<br />
eines Lawinenverschütteten<br />
Während <strong>de</strong>r ersten 15 Minuten hat ein unverletzter Verschütteter eine Überlebenswahrscheinlichkeit<br />
von über 90 %. Danach sinkt sie ohne Atemhöhle rapi<strong>de</strong> ab.<br />
[min]<br />
Verletzungen<br />
Ersticken<br />
ohne Atemhöhle<br />
Brugger<br />
Ersticken Hermann<br />
mit Atemhöhle<br />
5% Quelle:<br />
Unterkühlung
steigert. Lei<strong>de</strong>r zeigt die Praxis, dass es bei<br />
min<strong>de</strong>stens zwei von zehn tödlichen Lawinenunfällen<br />
zu groben Fehlern bei <strong>de</strong>r<br />
Kamera<strong>de</strong>nrettung kommt. Dabei sind vor<br />
allem unstrukturiertes und zeitrauben<strong>de</strong>s<br />
Vorgehen bei <strong>de</strong>r Verschüttetensuche,<br />
Fehlbedienung <strong>de</strong>r LVS-Geräte sowie<br />
unvollständige o<strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong> Notfallausrüstung<br />
als Problemthemen zu nennen.<br />
Voraussetzungen für eine erfolgreiche<br />
Kamera<strong>de</strong>nrettung sind eine vollständige<br />
und funktionstüchtige Notfallausrüstung<br />
(LVS-Gerät, Schaufel, Son<strong>de</strong>, Handy)<br />
sowie die perfekte Beherrschung <strong>de</strong>s Lawinen-Verschütteten-Suchgeräts<br />
und <strong>de</strong>r<br />
dazu erfor<strong>de</strong>rlichen Suchstrategie. Wer<br />
die Suche immer wie<strong>de</strong>r trainiert, hat gute<br />
Chancen im Ernstfall die Ortung schnell<br />
und kompetent durchzuführen.<br />
Wer im winterlichen Gebirge unterwegs<br />
ist, sollte es sich zum obersten Ziel<br />
machen, eine Lawinenauslösung und eine<br />
Lawinenverschüttung zu verhin<strong>de</strong>rn. Lässt<br />
sich dies <strong>de</strong>nnoch nicht vermei<strong>de</strong>n, so<br />
gilt es bis zum Stillstand <strong>de</strong>r Lawine alles<br />
Er<strong>de</strong>nkliche zu unternehmen, um an <strong>de</strong>r<br />
Schneeoberfläche zu bleiben. Schussflucht<br />
und/o<strong>de</strong>r Festhalten an Bäumen kann<br />
dabei <strong>de</strong>r erste Gedanke sein. Da alles, was<br />
an <strong>de</strong>n Füßen getragen und in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n<br />
gehalten wird, im Schnee wie ein Anker<br />
wirkt, sollte man versuchen, sich davon<br />
zu befreien. Bei <strong>de</strong>r Verwendung von<br />
technischen Schutzmaßnahmen (Airbag,<br />
Snow-pulse, Lawinenball) ist spätestens<br />
jetzt die Auslösung durchzuführen o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>r Ava-Lung-Schnorchel in <strong>de</strong>n Mund zu<br />
nehmen. Kurz vor Stillstand <strong>de</strong>r Schneemassen<br />
muss man versuchen, sich eine<br />
Atemhöhle zu verschaffen, in<strong>de</strong>m man<br />
die Arme vor das Gesicht zieht, möglichst<br />
eine Kauerstellung einnimmt und probiert<br />
Mund und Nase vor einer Verlegung<br />
durch Schnee zu schützen. Ein einmaliger<br />
Versuch zur Selbstrettung kann – mit aller<br />
Kraft durchgeführt – angestrebt wer<strong>de</strong>n.<br />
Ist dieser nicht erfolgreich, gilt es Ruhe zu<br />
bewahren und an Rettung zu glauben.<br />
Für die unbeteiligten Kamera<strong>de</strong>n ist<br />
es hilfreich und für <strong>de</strong>n Verschütteten<br />
von großem Nutzen, wenn anhand eines<br />
Leitkonzepts die Ortungs-, Bergungs- und<br />
Rettungsmaßnahmen durchführt wer<strong>de</strong>n.<br />
Im Lawinenunfallmanagement hat sich in<br />
<strong>de</strong>n letzten Jahren folgen<strong>de</strong> Struktur als<br />
handhabbar und nützlich erwiesen.<br />
ERFASSUNGS- UND<br />
VERSCHWINDEPUNKT<br />
WAHRNEHMEN<br />
Um in späterer Folge eine Optimierung<br />
<strong>de</strong>s Suchbereichs durchführen zu können,<br />
ist es von hoher Be<strong>de</strong>utung, <strong>de</strong>n Lawinenabgang<br />
zu beobachten und sich <strong>de</strong>n Erfassungspunkt<br />
sowie <strong>de</strong>n Verschwin<strong>de</strong>punkt<br />
eines o<strong>de</strong>r mehrerer Opfer zu merken<br />
und gegebenenfalls durch Markierungen<br />
festzuhalten. Nach Stillstand <strong>de</strong>r Schneemassen<br />
wird die Anzahl <strong>de</strong>r Verschütteten<br />
festgestellt.<br />
NOTRUF ABSETZEN<br />
Der Kamera<strong>de</strong>nrettung kommt zwar bei<br />
<strong>de</strong>r Ortung und Bergung <strong>de</strong>r Unfallopfer<br />
entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Be<strong>de</strong>utung zu, <strong>de</strong>nnoch ist<br />
es von größter Wichtigkeit, dass schnell<br />
professionelle Hilfe am Unfallort verfügbar<br />
ist. Such- und Schaufelmannschaften,<br />
Der primäre<br />
Suchbereich<br />
erschließt<br />
sich aus <strong>de</strong>r<br />
Beobachtung<br />
von Erfassungs-<br />
und Verschwin<strong>de</strong>punkt.
ALPIN EXTRA Lawinen Rettungsmanagement<br />
Lawinenhund und ganz beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r<br />
Notarzt zählen zu <strong>de</strong>n wichtigsten Größen<br />
bei <strong>de</strong>r professionellen Lawinenrettung.<br />
Sofern dies ohne größeren Zeitverlust<br />
(direkt vom Lawinenkegel) möglich ist,<br />
empfiehlt es sich in Europa <strong>de</strong>n Euro-<br />
Notruf 112 zu wählen. Dieser Service ist<br />
kostenlos und funktioniert sobald eine<br />
Netzverfügbarkeit durch irgen<strong>de</strong>inen Mobilfunkanbieter<br />
gegeben ist. Der Wintersportler<br />
ist gut beraten, wenn er eventuell<br />
vorhan<strong>de</strong>ne, regionale Notrufnummern<br />
speichert. In Österreich kann zum Beispiel<br />
mit <strong>de</strong>r Nummer 140 ein direkter Kontakt<br />
zu <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>sleitstellen aufgenommen<br />
wer<strong>de</strong>n. Dadurch können wertvolle Minuten<br />
gespart und wichtige Informationen<br />
unmittelbar an die organisierten Rettungskräfte<br />
durchgegeben wer<strong>de</strong>n.<br />
SUCHBEREICHE FESTLEGEN<br />
Anhand <strong>de</strong>s Erfassungs- und Verschwin<strong>de</strong>punkts<br />
lässt sich <strong>de</strong>r primäre Suchbereich<br />
annähernd festlegen, in <strong>de</strong>m die Suche<br />
begonnen wird. Dabei wird anhand <strong>de</strong>r<br />
Fließrichtung <strong>de</strong>r Lawine und <strong>de</strong>r vorherrschen<strong>de</strong>n<br />
Gelän<strong>de</strong>form eine mögliche Lage<br />
<strong>de</strong>r Verschütteten eingegrenzt. Der Suchprozess<br />
insgesamt wird in drei Phasen eingeteilt.<br />
Diese beginnen mit <strong>de</strong>r Grobsuche.<br />
Dabei wird <strong>de</strong>r Lawinenkegel oberflächlich<br />
angeschaut und mittels LVS-Gerät nach<br />
<strong>de</strong>m ersten Signal gesucht. Hat man einen<br />
Erstempfang, befin<strong>de</strong>t man sich bereits in<br />
<strong>de</strong>r Phase <strong>de</strong>r Feinsuche. Der Abschluss<br />
<strong>de</strong>r Suche erfolgt durch die Punktortung.<br />
OBERFLÄCHENSUCHE<br />
GROBSUCHE<br />
Bei <strong>de</strong>r Oberflächensuche beginnen alle<br />
möglichen Kräfte damit, <strong>de</strong>n Lawinenkegel<br />
nach an <strong>de</strong>r Oberfläche sichtbaren<br />
Gegenstän<strong>de</strong>n wie herausragen<strong>de</strong>n Gliedmaßen,<br />
Ausrüstungsgegenstän<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />
sogar technischen Hilfsmitteln wie Airbag<br />
o<strong>de</strong>r Lawinenball abzusuchen. Aber nicht<br />
nur <strong>de</strong>n optischen Anzeichen wird dabei<br />
Augenmerk geschenkt, auch auf akustische<br />
Zeichen sollte man achten. Ganzverschüttete<br />
Personen wird man kaum hören,<br />
<strong>de</strong>nnoch gibt es immer wie<strong>de</strong>r Fälle, bei<br />
<strong>de</strong>nen sich teilverschüttete Opfer mittels<br />
akustischer Hilfezeichen schnell bemerkbar<br />
machen konnten und dann auch rasch<br />
gefun<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n konnten. Während <strong>de</strong>r<br />
gesamten Suche ist eines zu beachten – das<br />
Rufen eines Verschütteten wird an <strong>de</strong>r<br />
Schneeoberfläche nicht o<strong>de</strong>r kaum gehört,<br />
die Gespräche <strong>de</strong>r Retter am Lawinenkegel<br />
dringen aber relativ leicht und weit in <strong>de</strong>n<br />
16 EXTRA 1/08<br />
GROBSUCHE<br />
20 - 50 m<br />
20 - 50 m<br />
Mit geeigneten Suchstreifenbreiten auf <strong>de</strong>r Suche nach <strong>de</strong>m Erstempfang.<br />
FEINSUCHE ANALOG<br />
Dem lautesten Signal folgend auf <strong>de</strong>n Feldlinien zum Verschütteten.<br />
FEINSUCHE DIGITAL<br />
Eine ungefähre Entfernungsanzeige und Pfeile führen zum Verschütteten.<br />
PUNKTORTUNG<br />
Mittels Einkreuzen und sorgfältigem Sondieren wird die Suche abgeschlossen.<br />
1.2 <br />
2.3<br />
<br />
1.8<br />
3.4<br />
<br />
3.1 <br />
<br />
0.6<br />
6.2 6.2<br />
<br />
1.3<br />
20 m 20 m<br />
12 12<br />
20 m
Schnee ein. Positive und Mut machen<strong>de</strong><br />
Gespräche über <strong>de</strong>n Fortschritt <strong>de</strong>r Rettung<br />
motivieren also nicht nur die Retter,<br />
son<strong>de</strong>rn können auch einem Verschütteten<br />
helfen.<br />
SUCHE NACH ERSTEMPFANG<br />
MIT LVS-GERÄT – GROBSUCHE<br />
Je nach<strong>de</strong>m wo man sich nach <strong>de</strong>m Abgang<br />
einer Lawine als Retter befin<strong>de</strong>t und<br />
abhängig von <strong>de</strong>r verfügbaren Anzahl an<br />
Rettungskräften entschei<strong>de</strong>t es sich, wie die<br />
Suche nach <strong>de</strong>m Erstempfang letztendlich<br />
zu gestalten ist.<br />
Die Suchstreifen wer<strong>de</strong>n entwe<strong>de</strong>r von<br />
oben in Fließrichtung <strong>de</strong>r Lawine o<strong>de</strong>r von<br />
unten gegen die Fließrichtung kommend<br />
angelegt. Ist man alleine, so empfiehlt es<br />
sich <strong>de</strong>n Lawinenkegel im Zickzack abzulaufen.<br />
Die jeweiligen Umkehrpunkte an<br />
<strong>de</strong>n Lawinenrän<strong>de</strong>rn dürfen nicht weiter<br />
als 40 Meter voneinan<strong>de</strong>r entfernt sein,<br />
damit sichergestellt ist, dass eine ausreichen<strong>de</strong><br />
Ab<strong>de</strong>ckung mit <strong>de</strong>m Empfänger<br />
stattfin<strong>de</strong>n kann. Stehen mehrere Retter<br />
zur Verfügung, wird in 40 Meter breiten<br />
Streifen über <strong>de</strong>n Lawinenkegel gegangen,<br />
<strong>de</strong>r Abstand zu <strong>de</strong>n Lawinenrän<strong>de</strong>rn<br />
beträgt in bei<strong>de</strong>n Fällen jeweils 20 Meter.<br />
LVS-GERÄTSUCHE – FEINSUCHE<br />
Die Phase <strong>de</strong>r Feinsuche beginnt mit <strong>de</strong>m<br />
Erstempfang eines Signals. Ab diesem<br />
Zeitpunkt nähert man sich, unabhängig<br />
welchen Gerätetyp man verwen<strong>de</strong>t, am<br />
besten mittels <strong>de</strong>m Feldlinienverfahren auf<br />
einer gekrümmten Linie (Feldlinie) <strong>de</strong>m<br />
Sen<strong>de</strong>r an. Ein Unterschied besteht in <strong>de</strong>r<br />
Durchführung <strong>de</strong>s Suchprozesses aufgrund<br />
<strong>de</strong>r unterschiedlichen technischen Bauweisen<br />
<strong>de</strong>r LVS-Geräte.<br />
Verwen<strong>de</strong>t man ein analoges LVS-Gerät,<br />
folgt man stets <strong>de</strong>m lautesten Ton,<br />
welchen man durch schwenken <strong>de</strong>s Geräts<br />
vor seinem Körper herausfiltern muss. Ein<br />
Signal kann bei paralleler Antennenlage<br />
am stärksten empfangen wer<strong>de</strong>n, durch das<br />
aktive Schwenken <strong>de</strong>s Geräts kann man<br />
dies bewerkstelligen.<br />
Bei einem digitalen Gerät übernehmen<br />
diese aktive Handlung ein Microprozessor<br />
und zwei o<strong>de</strong>r drei Antennen im Gerät.<br />
Diese technische Lösung erlaubt einen<br />
schnellen Suchprozess bei <strong>de</strong>r Feinsuche,<br />
man verfolgt nur die angezeigten Pfeile<br />
und die ungefähre Entfernungsanzeige<br />
am Display und wird zum Verschütteten<br />
geführt. Dieser Umstand erleichtert die<br />
Suche <strong>de</strong>utlich, weshalb digitale Geräte zu<br />
bevorzugen sind.<br />
EINKREUZEN UND SONDIEREN<br />
PUNKTORTUNG<br />
Das Einkreuzen mit <strong>de</strong>n LVS-Geräten leitet<br />
die letzte Phase <strong>de</strong>r Verschüttetensuche<br />
ein. Dabei wird das Gerät knapp über <strong>de</strong>m<br />
Schnee zum lautesten Signal geführt. Das<br />
LVS sollte dabei nicht gedreht, son<strong>de</strong>rn<br />
immer in gleicher Position gehalten<br />
wer<strong>de</strong>n. Aus <strong>de</strong>r Fortbewegungsrichtung<br />
kommend achtet man auf <strong>de</strong>n höchsten<br />
angezeigten Wert am Display o<strong>de</strong>r hört<br />
auf <strong>de</strong>n lautesten Ton. Im Anschluss<br />
erfolgt eine Bewegung im rechten Winkel<br />
zur Fortbewegungsrichtung, man beachtet<br />
wie<strong>de</strong>rum die visuellen und akustischen<br />
Signale. Durch dieses Einkreuzen erhält<br />
man ein Viereck, in <strong>de</strong>m mit <strong>de</strong>m Sondieren<br />
begonnen wird. Das Sondieren ist ein<br />
wesentlicher Faktor in <strong>de</strong>r Punktortung, da<br />
dadurch auf zentimetergenaues Einkreuzen<br />
verzichtet wer<strong>de</strong>n kann und man eine genaue<br />
Information über die Lage und Tiefe<br />
<strong>de</strong>s Verschütteten erhält. Das Sondieren<br />
erfolgt vom Mittelpunkt <strong>de</strong>s eingekreuzten<br />
Vierecks ausgehend in einer größer wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />
spiralförmigen Linie nach außen<br />
hin. Die Abstän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Einstichpunkte<br />
liegen in etwa bei 25 Zentimeter. Nach<br />
erfolgtem Fund wird die Son<strong>de</strong> steckengelassen,<br />
sie dient als Orientierungshilfe<br />
beim Ausgraben.<br />
AUSSCHAUFELN<br />
Das Ausschaufeln ist jene Phase <strong>de</strong>r<br />
Rettung, die am meisten Zeit in Anspruch<br />
nimmt. Aus diesem Grun<strong>de</strong> sollte man<br />
dabei wohl überlegt ans Werk gehen.<br />
Die Son<strong>de</strong> dient uns als Anhaltpunkt und<br />
man beginnt ungefähr im Abstand <strong>de</strong>r<br />
Verschüttungstiefe hangabwärts unterhalb<br />
<strong>de</strong>r Son<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Ausschaufeln. Ziel<br />
ist es zuerst <strong>de</strong>n Kopf freizulegen, damit<br />
eine Sauerstoffversorgung <strong>de</strong>s Gehirns<br />
ehestmöglich gewährleistet wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Nähert man sich <strong>de</strong>m Kopf, achtet man auf<br />
eine eventuell vorhan<strong>de</strong>ne Atemhöhle.<br />
Diese Information ist für <strong>de</strong>n Notarzt und<br />
die weitere Behandlung dringend notwendig.<br />
BERGEN UND ERSTE HILFE<br />
Bei <strong>de</strong>r Bergung ist mit einem Opfer sehr<br />
behutsam umzugehen. Dabei sind die<br />
obersten Ziele, die Sauerstoffversorgung<br />
<strong>de</strong>s Gehirns zu erhalten und <strong>de</strong>n Körper<br />
vor weiterer Unterkühlung zu schützen.<br />
Ein Wintersportler sollte also nicht<br />
nur körperlich und sein Lawinenwissen<br />
betreffend fit sein, son<strong>de</strong>rn vor allem die<br />
gängigen Erste-Hilfe-Maßnahmen in Verbindung<br />
mit Lawinenunfällen beherrschen.
ALPIN EXTRA Lawinen ABS-Rucksack<br />
er Taferlnock mit 2375 Metern Höhe ist ein<br />
D Lieblingsberg <strong>de</strong>s 41-jährigen Bergsteigers<br />
aus <strong>de</strong>m Salzburger Land. Und Skibergsteigen<br />
ist eine seiner Lieblingsbeschäftigungen. Im Februar<br />
2007 wäre ihm eine Skitour beinahe zum Verhängnis gewor<strong>de</strong>n.<br />
Mit zwei Bergkamera<strong>de</strong>n ging es los. „Der Aufstieg war<br />
ziemlich unspektakulär. Es lag wenig Schnee. Beim Aufstieg<br />
über die Nordseite sind wir über Schotterkegel gegangen. Am<br />
Gipfel war alles abgeweht.“<br />
Wilfried P. trägt seit Jahren bei allen Skitouren einen ABS-Rucksack.<br />
Das heißt, in seinem Rucksack fin<strong>de</strong>n sich nicht nur Schaufel,<br />
Son<strong>de</strong> und Pieps neben <strong>de</strong>r Wegzehrung und <strong>de</strong>r sonstigen<br />
Ausrüstung. Auch zwei Patronen sind darin integriert, die beim<br />
Ziehen einer Auslösevorrichtung zwei reißfeste Rettungsballons in<br />
Sekun<strong>de</strong>nschnelle mit Pressluft füllen.<br />
Das System ABS ist klar und einfach und im Grun<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Natur<br />
Blick vom Spirtzinger zum Taferlnock:<br />
Schwarz = Aufstieg, grün = Abfahrt,<br />
rot = worst case – Lawinenabgang!<br />
18 EXTRA 1/08<br />
Ein Ballon,<br />
<strong>de</strong>r retten kann<br />
Etwa 160 Fälle sind dokumentiert, in <strong>de</strong>nen<br />
<strong>de</strong>r Lawinenairbag (ABS) zum Überleben in<br />
<strong>de</strong>n Schneemassen beigetragen hat. Einer<br />
davon war Wilfried P.<br />
abgeschaut: Je<strong>de</strong> Lawine besteht aus Schneekristallen. Geraten<br />
diese wie bei einer Fließlawine in Bewegung, dann beginnt ein<br />
Entmischungsprozess. Bei <strong>de</strong>m unterkriechen die kleineren Schneekristalle<br />
die größeren und drücken diese somit nach oben. So lange<br />
die Lawine also läuft, in Bewegung ist, wie<strong>de</strong>rholt sich dies immer<br />
wie<strong>de</strong>r. Dann wer<strong>de</strong>n die Schneemassen langsamer, die Lawine<br />
kommt zum Stillstand. Sie baut die Auftriebskraft ab und kommt<br />
schließlich zum Erliegen. Es ist also die Lawine selbst, die einen<br />
Skifahrer, <strong>de</strong>r in sie geraten ist, immer wie<strong>de</strong>r nach oben drückt.<br />
Aber – durch sein höheres Volumengewicht kann sich ein Mensch<br />
nicht an <strong>de</strong>r Oberfläche halten, er sinkt immer wie<strong>de</strong>r ein und wird<br />
so von <strong>de</strong>r Fließlawine schlussendlich verschüttet.<br />
STATISTIKEN SPRECHEN EINE HARTE SPRACHE: Die größten<br />
Überlebenschancen hat ein Skifahrer in <strong>de</strong>n ersten 15 Minuten <strong>de</strong>r<br />
Verschüttung! Nach 15 Minuten sinken die Chancen rapi<strong>de</strong>. Was<br />
Zum Stillstand <strong>de</strong>r Lawine hin oben bleiben –<br />
<strong>de</strong>r ausgelöste ABS-Rucksack macht’s möglich.
e<strong>de</strong>utet, dass Kamera<strong>de</strong>nrettung in aller Regel nur in <strong>de</strong>n ersten<br />
15 Minuten noch lebensrettend sein kann – wer länger im Schnee<br />
verschüttet bleibt, muss einen beson<strong>de</strong>ren Schutzengel dabei haben.<br />
Die bei<strong>de</strong>n Flügel <strong>de</strong>s Schutzengels, <strong>de</strong>n Wilfried P. dabei hatte,<br />
hatten eine orange Farbe. Die Dreiergruppe fuhr nach <strong>de</strong>m Gipfelgang<br />
in eine steile Rinne ein. Die bei<strong>de</strong>n Kamera<strong>de</strong>n zuerst, dann<br />
Wilfried P. Er kam nur einige Schwünge weit. „Ich dachte plötzlich,<br />
was ist <strong>de</strong>nn jetzt los? Es gab keinen Laut, nur hatte ich ein komisches<br />
Gleichgewichtsgefühl. Als ich dann auf <strong>de</strong>n Grat rechts von<br />
mir schaute, da sah es so aus, als ob die Bäume nach oben wegfliegen<br />
wür<strong>de</strong>n. Da wur<strong>de</strong> mir bewusst: Ich bin inmitten einer Lawine!“<br />
Sobald – so steht es in <strong>de</strong>r Gebrauchsanweisung – eine Lawinensituation<br />
erkannt wird, muss man kompromisslos <strong>de</strong>n ABS-Lawinenairbag<br />
auslösen. Man kann <strong>de</strong>n Auslöser mehrfach bedienen, besser<br />
einmal zu viel als zu wenig. Man zieht dabei ruckartig am Auslösegriff,<br />
während man versucht, aus <strong>de</strong>r Lawine zu fliehen. Die bei<strong>de</strong>n<br />
Airbags blasen sich in Sekun<strong>de</strong>nschnelle auf, egal ob man noch fährt<br />
o<strong>de</strong>r bereits gestürzt ist, ob man auf <strong>de</strong>m Rucksack liegt o<strong>de</strong>r bereits<br />
von <strong>de</strong>n fließen<strong>de</strong>n Schneemassen erfasst ist. Die aufgeblasenen Airbags<br />
sind kein Hin<strong>de</strong>rnis, wenn man sich eventuell noch mit eigener<br />
Kraft zu einem Flucht- o<strong>de</strong>r Ausweichmanöver in <strong>de</strong>r Lage sieht.<br />
ETWA 500 HÖHENMETER wur<strong>de</strong> Wilfried P. von <strong>de</strong>n Schneemassen<br />
mitgerissen. „Mir kam es vor, als wäre eine Ewigkeit vergangen,<br />
bis ich die Situation realisierte. Ich zog fest an <strong>de</strong>r Auslösevorrichtung.<br />
Dann bin ich an <strong>de</strong>r Oberfläche die Rinne hinunter mitgeschwommen.“<br />
Er konnte sich dabei seiner Ski entledigen. „Ein<br />
Baum stand plötzlich im Weg, ich bin mit Schwimmbewegungen<br />
knapp daran vorbeigekommen.“ Er hatte die Anleitung richtig<br />
studiert. Dort heißt es: „Wenn Sie ausgelöst haben, konzentrieren<br />
Sie sich ausschließlich auf Ihre Sturzbahn. Durch die seitliche Anbringung<br />
<strong>de</strong>r Airbags können Sie ungehin<strong>de</strong>rt Ihre Arme einsetzen.<br />
Kämpfen Sie mit Schwimmbewegungen, drücken Sie Hin<strong>de</strong>rnisse<br />
Zwischen 400 und 500 Höhenmeter hat die Lawine am Taferlnock<br />
Wilfried P. mitgerissen – ohne dramatische Folgen.<br />
weg, versuchen Sie sich zu stabilisieren und Ihren Kopf zu schützen.“<br />
Die Form <strong>de</strong>r Airbags bietet einen zusätzlichen Schutz für <strong>de</strong>n<br />
Kopf. Durch ein Drehen <strong>de</strong>r Ski sollte man versuchen, die Bindung<br />
zu lösen. Die Ski wirken sonst wie ein Anker o<strong>de</strong>r könnten sich in<br />
Fels o<strong>de</strong>r starkem Geäst verhed<strong>de</strong>rn und Verletzungen verursachen.<br />
Deshalb am besten bei Skitouren auf Stockschlaufen und Fangriemen<br />
zu verzichten.<br />
ALS DIE LAWINE ZUM STEHEN KAM, hielt Wilfried P.<br />
sofort Ausschau nach seinen Kamera<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>m Mobiltelefon<br />
wählte er <strong>de</strong>n Bergnotruf an – doch schnell war <strong>de</strong>r Akku leer.<br />
Wilfried P. holte das LVS-Gerät hervor, konnte aber kein Signal<br />
orten. Da sah er seine bei<strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong> neben <strong>de</strong>m Lawinenfeld.<br />
Sie waren zwar etwa 100 Meter von <strong>de</strong>r Lawine mitgerissen<br />
wor<strong>de</strong>n, hatten sich aber aus <strong>de</strong>r Rinne herausarbeiten können.<br />
Seit 1985 ist <strong>de</strong>r ABS-Lawinenairbag auf <strong>de</strong>m Markt. Nach<br />
anfänglicher Skepsis und heißen Debatten, in <strong>de</strong>nen es auch um<br />
die Kosten und das Mehrgewicht<br />
ging, versachlichte sich die<br />
Diskussion in Fachkreisen.<br />
Nicht nur, weil Versuche mit<br />
Dummys o<strong>de</strong>r auch dokumentierte<br />
Rettungserlebnisse bekannt wur<strong>de</strong>n.<br />
Die Sicherheitsbeauftragten<br />
<strong>de</strong>r Bergrettung, <strong>de</strong>r<br />
Alpenvereine und viele Bergschulen<br />
sehen mittlerweile<br />
in <strong>de</strong>m Airbag-System die<br />
einzige Hilfe, die ein<br />
Verschütten in <strong>de</strong>r Fließlawine<br />
erhin<strong>de</strong>rn kann Wilfried P.<br />
je<strong>de</strong>nfalls wird wie<strong>de</strong>r auf Skitour gehen.<br />
„Aber nie ohne <strong>de</strong>n ABS!“<br />
Aufatmen: Wilfried P. und einer seiner<br />
Begleiter auf <strong>de</strong>m Lawinenkegel.<br />
1/08<br />
EXTRA<br />
19
20<br />
ALPIN EXTRA Lawinen Sicherheitsausrüstung<br />
die letzte<br />
Von oben: LVS – Lawinen-Verschütteten-Suchgerät, Lawinenson<strong>de</strong>,<br />
Lawinenschaufel (Metall), Handy (Satellitentelefon).<br />
EXTRA 1/08<br />
Bei <strong>de</strong>r Notfall- und Sicherheitsausrüstung<br />
ist das Beste gera<strong>de</strong> gut genug. Wir sagen<br />
Ihnen, was Sie brauchen<br />
on einer Lawine erfasst zu wer<strong>de</strong>n, be<strong>de</strong>utet<br />
V Lebensgefahr. Oberstes Ziel einer je<strong>de</strong>n<br />
Ausbildung muss es <strong>de</strong>shalb sein, eine<br />
Lawinenverschüttung zu verhin<strong>de</strong>rn. Verwen<strong>de</strong>t man auf Tour<br />
eine <strong>de</strong>r aktuellen Strategien und befolgt diese auch – d. h. ist<br />
auch bereit, einmal auf einen vermeintlichen „Traumhang“<br />
zu verzichten – so ist die Wahrscheinlichkeit verschüttet zu<br />
wer<strong>de</strong>n sehr gering. Ist ein Tourengeher, aus welchen Grün<strong>de</strong>n<br />
auch immer, von einer Lawine mitgerissen und verschüttet wor<strong>de</strong>n,<br />
so tickt die Uhr und er o<strong>de</strong>r sie muss sich auf seine Kamera<strong>de</strong>n<br />
verlassen. Sie sind seine letzte Chance und können ihn nur dann vor<br />
<strong>de</strong>m Erstickungstod retten, wenn alle mit <strong>de</strong>r notwendigen Notfallausrüstung<br />
nicht nur ausgestattet, son<strong>de</strong>rn auch in <strong>de</strong>r Anwendung<br />
trainiert sind. Im Ernstfall, unter massiver Stresseinwirkung wird<br />
nur das gelingen, was regelmäßig geübt wur<strong>de</strong>: Das beginnt beim<br />
Umschalten <strong>de</strong>s Lawinenverschüttetensuchgeräts auf „Empfangen“,<br />
geht über das systematische Sondieren bis hin zum effektiven Ausschaufeln.<br />
Die mo<strong>de</strong>rnste und teuerste Ausrüstung ist wertlos, wenn<br />
sie nicht bedient wer<strong>de</strong>n kann.<br />
Unser Appell: Nehmen Sie sich die Zeit gemeinsam mit Ihren<br />
Tourenpartnern zu Beginn <strong>de</strong>r Saison – und i<strong>de</strong>alerweise auch<br />
einmal zwischendurch –, um das Verhalten nach einem Lawinenabgang<br />
unter möglichst realistischen Umstän<strong>de</strong>n zu trainieren. Spielen<br />
Sie gemeinsam Unfallszenarien durch und stellen Sie sich auch<br />
alleine immer wie<strong>de</strong>r gedanklich vor, was Sie tun müssen, wenn Sie<br />
mit einem Lawinenunfall konfrontiert wer<strong>de</strong>n. Ihre Tourenpartner<br />
und Sie selbst wer<strong>de</strong>n im Ernstfall dankbar sein, wenn die notwendigen<br />
Maßnahmen systematisch und automatisiert ablaufen.<br />
<strong>LAWINEN</strong>-VERSCHÜTTETEN-SUCHGERÄT<br />
Das „Pieps“ o<strong>de</strong>r korrekt LVS, gehört zusammen mit Son<strong>de</strong> und<br />
Schaufel zur Standardausrüstung für je<strong>de</strong>n Tourengeher. Alle<br />
erhältlichen Geräte entsprechen <strong>de</strong>r Norm und sind untereinan<strong>de</strong>r<br />
kompatibel, d. h. egal welches Gerät Sie besitzen, Sie wer<strong>de</strong>n von<br />
je<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren empfangen. In <strong>de</strong>n letzten Jahren hat es einige technische<br />
Weiterentwicklungen gegeben, welche die Suche erheblich<br />
erleichtert haben. Parallel dazu haben sich die verschie<strong>de</strong>nen Geräte<br />
aber auch sehr spezialisiert, d. h. nahezu je<strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rne Gerät<br />
muss unterschiedlich bedient wer<strong>de</strong>n, das beginnt beim Ein- bzw.<br />
Umschalten und en<strong>de</strong>t bei <strong>de</strong>r Art und Weise, wie gesucht wird<br />
(Stichwort Suchstreifenbreite o<strong>de</strong>r Mehrfachverschüttung). Auf<br />
je<strong>de</strong>n Fall muss die Gebrauchsanweisung sorgfältig studiert wer<strong>de</strong>n,<br />
und im Zweifelsfall lohnt es sich allemal sich von einem Bergführer<br />
ausführlich schulen zu lassen.<br />
Stand <strong>de</strong>r Technik sind digitale Geräte mit drei Antennen (z. B.<br />
Pieps DSP, Mammut Pulse), die sich hervorragend bewährt haben.<br />
Aber auch die digitalen Zwei-Antennen-Geräte (z. B. Tracker,
chance<br />
Mammut Barryvox, Arva, Ortovox m2) sind empfehlenswert.<br />
Prinzipiell empfiehlt es sich, die Geräte im mitgelieferten<br />
Tragesystem über <strong>de</strong>r ersten Bekleidungsschicht direkt am<br />
Körper zu tragen. Das teuerste LVS nützt allerdings nichts,<br />
wenn es vor <strong>de</strong>r Tour nicht eingeschaltet wird. Ein LVS-<br />
Check, bei <strong>de</strong>m kontrolliert wird, ob das Gerät eines je<strong>de</strong>n<br />
Gruppenmitglieds einwandfrei funktioniert und auf „Sen<strong>de</strong>n“<br />
gestellt ist, ist daher eine Standardmaßnahme zu Beginn <strong>de</strong>r<br />
Skitour. Ein Update <strong>de</strong>s letzten LVS-Geräte-Tests aus<br />
ALPIN Heft 12/2006 fin<strong>de</strong>n Sie auf Seite 23 dieses Extras.<br />
<strong>LAWINEN</strong>SONDE<br />
Mit <strong>de</strong>m LVS wird so lange gesucht, bis man die Verschüttungsstelle<br />
auf etwa einen Quadratmeter eingrenzen kann.<br />
Nun wird wertvolle Zeit gespart, wenn dieses Ergebnis mit <strong>de</strong>r<br />
Son<strong>de</strong> überprüft wird, d. h. man durchsticht die Schneeoberfläche,<br />
bis man auf <strong>de</strong>n verschütteten Körper stößt. Gleichzeitig<br />
weiß man nun auch, wie tief die Person verschüttet ist,<br />
und kann entsprechend großflächig beginnen zu schaufeln.<br />
Wichtig ist es dabei, die Son<strong>de</strong> als Orientierungshilfe stecken<br />
zu lassen. In <strong>de</strong>r äußerst belasten<strong>de</strong>n Situation nach einem<br />
Lawinenabgang ist die Son<strong>de</strong> nicht hoch genug einzuschätzen,<br />
bestätigt sie doch, dass ein Verschütteter geortet wur<strong>de</strong>, und<br />
dass von nun an alle Kraftreserven ins Ausschaufeln gesteckt<br />
wer<strong>de</strong>n können. Wir empfehlen nur Son<strong>de</strong>n von min<strong>de</strong>stens<br />
240 cm Länge zu verwen<strong>de</strong>n, die über ein einfaches, aber effektives<br />
Schnellspannsystem verfügen. Zusammenschraubbare<br />
Skistöcke sind – da zu kurz – kein adäquater Son<strong>de</strong>nersatz.<br />
<strong>LAWINEN</strong>SCHAUFEL<br />
Ohne eine Schaufel besteht kaum eine Chance einen Verschütteten<br />
vor Eintreten <strong>de</strong>s Erstickungsto<strong>de</strong>s zu befreien. Die Praxis hat<br />
gezeigt, dass das Ausgraben weit mehr Zeit in Anspruch nimmt<br />
als die Lokalisierung <strong>de</strong>s Verschütteten. Die beste Schaufel ist<br />
also gera<strong>de</strong> gut genug, und stabile Mo<strong>de</strong>lle mit einem Schaufelblatt<br />
aus Metall sind absolut zu bevorzugen. Ein paar Gramm<br />
mehr dürfen kein Kriterium sein. Auch richtiges Ausschaufeln<br />
muss geübt wer<strong>de</strong>n, damit nicht eine eventuell vorhan<strong>de</strong>ne Atemhöhle<br />
zerstört wird. Dass das Ausschaufeln eines Erwachsenen<br />
auch aus „nur“ einem Meter Tiefe eine unglaublich anstrengen<strong>de</strong><br />
Arbeit ist, weiß je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r es einmal ausprobiert hat …<br />
ERSTE-HILFE-PAKET, BIWAKSACK, HANDY<br />
Neben LVS, Schaufel und Son<strong>de</strong> als Standardausrüstung für<br />
je<strong>de</strong>n muss eine <strong>de</strong>r Gruppengröße angepasste Anzahl an Erste-Hilfe-Paketen<br />
und Biwaksäcken mit dabei sein. In Kombination<br />
mit einer Rettungs<strong>de</strong>cke und Bekleidungsstücken liefert<br />
<strong>de</strong>r Biwaksack einen guten Kälte- und Nässeschutz, so dass die<br />
Zeit bis zum Eintreffen <strong>de</strong>r Rettungskräfte einigermaßen gut<br />
überstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n kann. Aber auch für eine Vielzahl an<strong>de</strong>rer<br />
Notfälle auf Skitour sind diese bei<strong>de</strong>n Ausrüstungsgegenstän<strong>de</strong><br />
unverzichtbar. Auch eine entsprechen<strong>de</strong> Anzahl an Mobiltelefonen<br />
gehört bei je<strong>de</strong>r Tour mit, um im Ernstfall sofort<br />
professionelle Hilfe anzufor<strong>de</strong>rn zu können.
Von oben:<br />
ABS-Rucksack<br />
(Avalanche<br />
Airbag System),<br />
Avalung, Skihelm,<br />
Lawinenball.<br />
ALPIN EXTRA Lawinen Sicherheitsausrüstung<br />
22 EXTRA 1/08<br />
ABS – <strong>LAWINEN</strong>-AIRBAG-SYSTEM<br />
Der ABS-Rucksack ist <strong>de</strong>r erste von drei Ausrüstungsgegenstän<strong>de</strong>n,<br />
welche zusätzlich zu LVS, Schaufel und Son<strong>de</strong> mitgenommen<br />
wer<strong>de</strong>n können, ja sollen. Diese drei stellen zwar keine Standardausrüstung<br />
dar, sind aber alle sehr empfehlenswert.<br />
Mit Abstand am effektivsten, um Ihre Überlebenschancen im<br />
Falle eines Lawinenabgangs zu erhöhen, ist die Verwendung <strong>de</strong>s<br />
ABS-Systems. Es besteht aus einem Rucksack mit zwei integrierten<br />
Ballons, die nach <strong>de</strong>m aktiven Ziehen eines Handgriffs aufgeblasen<br />
wer<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>n Träger bei einem Lawinenabgang an <strong>de</strong>r Oberfläche<br />
halten sollen. Das System hat sich in <strong>de</strong>r Praxis sehr gut bewährt<br />
und kann als einziges eine Verschüttung verhin<strong>de</strong>rn bzw. die<br />
Verschüttungstiefe so gering halten, dass Suchen (die Ballons sind<br />
an <strong>de</strong>r Oberfläche sichtbar) und Ausgraben kaum mehr notwendig<br />
sind. Uneingeschränkt empfehlenswert.<br />
AVALUNG<br />
Auch die Avalung ist in einem Rucksack integriert (es gibt sie aber<br />
auch ohne) und ermöglicht es, über ein Mundstück trotz Verschüttung,<br />
d. h. in <strong>de</strong>r Lawine, weiterzuatmen. Voraussetzung ist, dass<br />
man das Mundstück in <strong>de</strong>n Mund bekommt und dort behalten kann<br />
und dass man in <strong>de</strong>r Lawine genügend Platz hat, um <strong>de</strong>n Brustkorb<br />
zum Atmen bewegen zu können. Die auch im Lawinenschnee<br />
vorhan<strong>de</strong>ne Luft wird dann durch ein Filtersystem eingeatmet, das<br />
ausgeatmete CO 2 wird über das Rückenteil abgeführt. Die Avalung<br />
nimmt die Verschüttung in Kauf und reduziert in keiner Weise die<br />
Verschüttungstiefe, sie kann aber auf geniale Weise die Überlebenszeit<br />
in <strong>de</strong>r Lawine von ca. 15 Minuten auf bis zu 60 Minuten<br />
verlängern. Das heißt, Ihre Kamera<strong>de</strong>n haben mehr Zeit zum<br />
Ausgraben und ihre Überlebenschancen steigen. Die Avalung hat in<br />
<strong>de</strong>r Praxis bereits bei mehreren Unfällen funktioniert.<br />
SKIHELM<br />
Beim Variantenfahren und Freeri<strong>de</strong>n trägt schon fast je<strong>de</strong>r einen,<br />
und auch beim Tourengehen stellen immer mehr Leute fest, dass<br />
es kein Fehler ist seinen Kopf zu schützen. Die steigen<strong>de</strong> Zahl an<br />
Schä<strong>de</strong>l-Hirn-Verletzungen gibt ihnen Recht.<br />
<strong>LAWINEN</strong>BALL<br />
Der Lawinenball ist mit einer Schnur mit <strong>de</strong>m Körper <strong>de</strong>s Tourengehers<br />
verbun<strong>de</strong>n und wird in einer Tasche verstaut, die an je<strong>de</strong>m<br />
Rucksack befestigt wer<strong>de</strong>n kann. Im Falle einer Verschüttung wird<br />
eine Reißleine gezogen, <strong>de</strong>r Ball springt aus <strong>de</strong>r Tasche und wird<br />
durch eine Fe<strong>de</strong>r aufgefaltet. Während <strong>de</strong>s Lawinenabgangs bleibt<br />
<strong>de</strong>r Ball an <strong>de</strong>r Oberfläche und nach <strong>de</strong>m Stillstand folgt man <strong>de</strong>r<br />
Schnur, bis man direkt oberhalb <strong>de</strong>s Verschütteten steht. Nun kann<br />
mit <strong>de</strong>m Schaufeln begonnen wer<strong>de</strong>n. Das heißt <strong>de</strong>r Lawinenball<br />
verkürzt die LVS-Suche, versucht aber nicht die Verschüttungstiefe<br />
zu reduzieren und ermöglicht auch kein längeres Überleben im Schnee.<br />
RECCO<br />
Hierbei han<strong>de</strong>lt es sich um Reflektoren, welche in <strong>de</strong>r Kleidung<br />
eingenäht o<strong>de</strong>r auf Helm und Skischuhe aufgeklebt sind. Mittels<br />
speziellen Suchgeräten kann <strong>de</strong>r Verschüttete geortet wer<strong>de</strong>n. Das<br />
Recco-System kommt im pistennahen Bereich zum Einsatz, es<br />
Bedarf aber immer eines groß angelegten Sucheinsatzes.<br />
LITERATURTIPP<br />
Österreichisches Kuratorium für <strong>Alpin</strong>e Sicherheit: Lawinenfibel,<br />
2007, www.alpinesicherheit.at
LVS im Vergleich<br />
Arva<br />
Mo<strong>de</strong>ll A.D.vanced<br />
Gewicht 257 g<br />
Anzahl Antennen 2<br />
Vertrieb: E<strong>de</strong>lrid 07562 9810<br />
Preis 329 Euro<br />
Das A.D.vanced hat einen Scan-<br />
Modus, <strong>de</strong>r die Entfernungsbereiche<br />
in neun Ringe abscannt. In <strong>de</strong>r Praxis<br />
hat sich dieser Modus als wenig vorteilhaft<br />
erwiesen, <strong>de</strong>nn die Ringe<br />
müssen handisch weitergeschaltet<br />
wer<strong>de</strong>n. Als gut erwiesen sich die<br />
recht einfache Bedienung, die Punktortung<br />
und auch das Tragesystem.<br />
bca<br />
einfaches Handling<br />
gutes Tragesystem<br />
gute Punktortung<br />
Scan-Modus mit neun Ringen wenig<br />
praxisgerech t<br />
robust<br />
einfachster An- und Ausschalter<br />
schnell springen<strong>de</strong> Anzeige<br />
Pieps<br />
Mo<strong>de</strong>ll DSP<br />
Gewicht 204 g<br />
Anzahl Antennen 3<br />
Vertrieb: Pieps 0043 3462 26800<br />
Preis 349 Euro<br />
Im Vergleich zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Geräten<br />
hat das DSP die beste Reichweite,<br />
sehr gut ist auch die Punktortung.<br />
Einfachverschüttungen sind schnell<br />
und zuverlässig aufzulösen. Kritisch<br />
ist die Funktion <strong>de</strong>s Markierens und<br />
Ausblen<strong>de</strong>ns von bereits gefun<strong>de</strong>nen<br />
Geräten. Das klappt nur beim ersten<br />
Gerät gut, dann wird es schwierig.<br />
sehr gute Reichweite<br />
guter Scan-Modus<br />
Mo<strong>de</strong>ll Tracker<br />
Gewicht 251 g<br />
Anzahl Antennen 2<br />
Vertrieb: Krimmer 08250 548<br />
Preis 329 Euro<br />
Der Tracker ist seit 1999 fast unverän<strong>de</strong>rt. Und das merkt<br />
man <strong>de</strong>m Gerät an. Die Punktortung bei <strong>de</strong>r Einfachverschüttung<br />
ist gut, allerdings verwirrt Neulinge die Entfernungsangabe<br />
(etwa doppelt so groß wie die tatsächliche Entfernung).<br />
Bei direkter Sonneneinstrahlung ist das Display schwer abzulesen.<br />
Gut sind das neue Tragesystem und die robuste Machart.<br />
Aussetzen von Ton, Distanz und Richtung für<br />
wenig Geübte verwirrend<br />
Anzeige Anzahl <strong>de</strong>r Verschütteten<br />
Markierfunktion funktioniert nur<br />
beim ersten Verschütteten<br />
Eine Auswahl <strong>de</strong>r besten und gängigsten<br />
Geräte plus ein topaktuelles Gerät<br />
für Freeri<strong>de</strong>r bietet unser LVS-Update.<br />
Mammut<br />
Mo<strong>de</strong>ll Barryvox Pulse<br />
Gewicht 218 g<br />
Anzahl Antennen 3<br />
Vertrieb: Mammut 08331 83920<br />
Preis 349 Euro<br />
Der Pulse ist relativ neu auf <strong>de</strong>m<br />
Markt und wartet mit einer ganzen<br />
Reihe von neuen Features auf. Auffällig<br />
ist, dass das Gerät mit <strong>de</strong>m<br />
Suchen<strong>de</strong>n kommuniziert („Gerät<br />
bitte waagerecht halten“). Pluspunkte<br />
gab es für die Markierung von gefun<strong>de</strong>nen<br />
Verschütteten und die akustische<br />
Unterstützung <strong>de</strong>r Punktortung.<br />
genaue Punktortung<br />
gut bei Mehrfachverschüttungen<br />
Anzeige <strong>de</strong>r Anzahl <strong>de</strong>r Verschütteten<br />
schlechter An- und Ausschalter<br />
NAGELNEU AUF DEM MARKT<br />
Mo<strong>de</strong>ll Pieps Freeri<strong>de</strong><br />
Gewicht 110 g<br />
Anzahl Antennen 1<br />
Vertrieb: Pieps 0043 3462 26800<br />
Preis 140 Euro<br />
„Abseits <strong>de</strong>r gesicherten Pisten – Niemals<br />
ohne Pieps!“ Mit diesem Slogan bewirbt die<br />
österreichische Firma ihr nagelneues digitales<br />
LVS-Gerät, das explizit für <strong>de</strong>n Freeri<strong>de</strong>-Bereich<br />
konzipiert wur<strong>de</strong> und für<br />
Skifahrer abseits <strong>de</strong>r Piste ein super<br />
Gerät für einen super Preis ist. Doch<br />
es sei gewarnt: Das Pieps Freeri<strong>de</strong><br />
in <strong>de</strong>r Größe eines Handys ersetzt<br />
kein vollwertiges LVS-Gerät und<br />
ist mit <strong>de</strong>r Ein-Antennentechnik<br />
nicht <strong>de</strong>n hohen Ansprüchen<br />
<strong>de</strong>r Lawinensuche auf Skitour<br />
gewachsen – auch wenn <strong>de</strong>r<br />
Preis noch so verlockend ist!<br />
1/08<br />
EXTRA<br />
23