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(421-492) (1,4 MB) - Anwaltsblatt

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442<br />

l<br />

habe ich gebaut. Du hast doch gar keine Baugenehmigung<br />

eingereicht. Wozu denn, er steht doch auch schon. Na reiche<br />

mal eine nach. Nicht nötig, ich brauche keine Baumaterial<br />

mehr.“ Der hat nie eine nachgereicht. Also der Bürgermeister<br />

ist hier plötzlich auch wiederum abhängig. Sie<br />

dürfen sich das nicht wie so eine Oben-Unten-Gesellschaft<br />

vorstellen. Der ist nun abhängig von dem Tischler und der<br />

hat also genau gemerkt, daß er sich leisten kann, ohne Baugenehmigung<br />

zu bauen. Es ist ja auch nie etwas passiert.<br />

Die Balkone stehen heute noch. So kompliziert ist es in einer<br />

Diktatur und unter den Bedingungen einer Mangelgesellschaft.<br />

Hilfst Du mir, helfe ich Dir. In gewisser Weise<br />

war ja das Geld tatsächlich abgeschafft, nämlich es nützte<br />

ihnen kein Geld, wenn sie einen Trabant haben wollten,<br />

sondern einen Bezugschein brauchten sie. Anmeldung, die<br />

jünger ist als zehn Jahre, die vor zehn Jahren dran ist. Ein<br />

Wochenendgrundstück zu bekommen, auch da nützte Geld<br />

wenig, da brauchte man Beziehungen, pfiffig mußte man<br />

sein und irgendeine Ecke entdecken, wo vielleicht eine<br />

LPG mit ihren Maschinen nicht hin kommt, die dann bereit<br />

sind das abzugeben.<br />

Die Verhältnisse in der DDR hatten so gesehen feudale<br />

Züge, denn das Eingabenwesen ist natürlich ein Gnadenrecht.<br />

Die vergoldeten Erinnerungen sind auch von der Art,<br />

daß sie sagen, zu Zeiten der DDR, da kriegten wir Freifahrzeiten<br />

zum FDGB-Ferienheim. Der Staat hat sich auch immer<br />

so präsentiert. Ich beschenke Euch, wir beschenken<br />

Euch. Die kleine Frage, woher der Staat eigentlich seine<br />

Geschenke nimmt, die stellen bis heute viele nicht. Das<br />

war natürlich nur ein anderes Umverteilerverfahren und<br />

nicht etwa wie bei einem König, bei dem es vielleicht auch<br />

Umverteilungsverfahren sind, der aus seiner Schatzkasse<br />

was rausholt. Auch die Betriebe und LPG’s waren im Grunde<br />

so ähnlich wie Feudalhilfe organisiert. Der Chef kümmert<br />

sich um seine Leute und die bauen dann an der Ostsee<br />

ein Ferienheim nur für die Betriebsangehörigen, die sich<br />

dadurch viel besser gestellt sehen als die anderen, die bloß<br />

eins im Harz haben. Das Baumaterial wird aus dem Plan irgendwie<br />

abgezweigt, das sind also die speziellen Künste,<br />

über die man da verfügen muß. Das andere wurde irgendwie<br />

organisiert. Die SED hatte sich viele Wohltaten für die<br />

Bevölkerung ausgedacht, mehr übrigens, als sie finanzieren<br />

konnte, wie das berühmte Gutachten vom 31. Oktober 1989<br />

von Schürer auch ausgesprochen hat. Wir haben die sozialpolitischen<br />

Maßnahmen, so heißt es da – das ist für Egon<br />

Krenz gemacht das Gutachten – wir haben die sozialpolitischen<br />

Maßnahmen nicht vollständig aus eigenen Mitteln finanzieren<br />

können, denn das wird oft vergessen auch wenn<br />

man Unrechtsstaat sagt, Diktatoren wollen natürlich gar<br />

nicht gehaßt werden. Sie wollen geliebt werden. Geliebt<br />

werden von der Masse des Volkes. Wenn das Kind aber<br />

aufsässig wird, dann wird Papa Staat böse. Solange das<br />

aber nicht so sehr viele sind, kann sich eine Diktatur unter<br />

Umständen einer weitgehenden Zustimmung erfreuen.<br />

Es war tatsächlich für viele DDR-Bürger alles gar nicht<br />

so schlimm, aber es war schlimm, daß das eben nur<br />

Glückssache war. Gnade und nicht Recht, Geschenke für<br />

Wohlverhalten und nicht durchsetzbare Ansprüche. Es ist<br />

schon richtig, im Rechtsstaat ist es komplizierter zu seinem<br />

Recht zu kommen, als auf diesem feudalen Eingabenwege.<br />

Man muß Fristen und Verfahrensschritte berücksichtigen,<br />

sonst kann ein noch so berechtigter Anspruch verloren sein<br />

und es kann etwas, das in der Tat dem gesunden Menschenverstand<br />

als ungerecht erscheint, wegen solcher Verfahrensfehler<br />

dann trotzdem Gültigkeit erlangen.<br />

AnwBl 8 + 9/99<br />

Anwaltstag 1999 – Festvortrag<br />

Einer unserer östlichen Bischöfe hat gesagt, wir hatten<br />

gedacht Freiheit verbindet und entlastet. Wir erfahren aber<br />

nun, sie vereinzelt und fördert Konflikte, sie ist erbarmungswidrig,<br />

das Leben wird komplizierter. In der Tat ist<br />

das Leben unter einer Diktatur mit beschränkten Handlungsmöglichkeiten<br />

deshalb auch ein Leben mit beschränkten<br />

Konfliktmöglichkeiten, wenn man dem Hauptkonflikt<br />

mit der Diktatur aus dem Weg geht. Das meiste hat der<br />

Staat geordnet zum Wohl der Bürger, wie er es versteht.<br />

Das Zivilgesetzbuch der DDR hat vielen imponiert durch<br />

seine Schlichtheit und Kürze. Es ist einfacher und kürzer<br />

als das BGB. Aufs ganze gesehen muß man sagen, es war<br />

so schlicht und einfach, weil es so wenig im Rechtsweg<br />

praktiziert wurde. Solche Teile des Rechtswesens, die viel<br />

Arbeit hatten, nämlich die dauernden Prozesse der VEB-<br />

Betriebe untereinander, wer an der Nichtplanerfüllung<br />

schuld sei, haben dazu geführt, daß diese Teile des Rechts<br />

sich dann auch aufgebläht haben. Entsprechend kompliziert<br />

war das entsprechende Vertragsrecht. Es ist richtig, unter<br />

den Bedingungen der Freiheit wird vieles konfliktreicher<br />

und komplizierter, man kann allerdings auch sagen, daß Leben<br />

eines Kindes ist einfacher als das Leben eines Erwachsenen<br />

oder das Leben eines Knechtes ist einfacher als das<br />

Leben eines freien und mündigen Menschen. Ein wohlmeinender<br />

westdeutscher Unternehmer hat einem östlichen<br />

Kollegen folgenden zweifelhaften Rat gegeben. Also bei<br />

öffentlichen Aufträgen, da muß Du genau abrechnen. Den<br />

Rechnungshof, den kannst Du nicht so schnell hinters Licht<br />

führen. Bei Privaten kannst Du schon mal eher zulangen.<br />

Das wird verstanden, jenseits von Moral und Unmoral, als<br />

geradezu eine Umkehrung der Prioritäten zu DDR-Zeiten.<br />

Den Staat betrügen, das ist sozusagen bloß Mundraub, der<br />

ist ja selber dran schuld, daß es keinen Wasserhahn zu kaufen<br />

gibt und Honecker hat auch gesagt, wir sollen noch<br />

mehr aus unseren Betrieben rausholen. Aber ich werde<br />

doch meinen Nachbarn nicht übers Ohr hauen, den brauche<br />

ich doch wohl möglichst noch einmal. Er kriegt von mir<br />

den Betonmischer und ich kriege von ihm mal das<br />

Schweißgerät. Diese Solidarität der Nachbarschaftshilfe,<br />

aus der Not geboren. Not macht erfinderisch und gemeinsame<br />

Not motiviert auch zur Nothilfe. Aus diesen Erfahrungen<br />

heraus, die freilich, das muß man immer dazu sagen,<br />

aus der Mangelsituation geboren waren, erscheint die kühle<br />

Sachlichkeit, das Geschäftsmäßige vieler Westdeutscher<br />

den Ostdeutschen als herzlos und kalt. Auch dies ist wieder<br />

ein Punkt wo, wie ich finde, allzu schnell Ostdeutsche sich<br />

eine moralische Überlegenheit zuschreiben. Ein Richter der<br />

in Ost und West Erfahrungen sammeln konnte, hat mir gesagt,<br />

die streitenden Parteien seien im Osten häufiger zu einem<br />

Vergleich bereit als im Westen. Sie legen auch seltener<br />

Rechtsmittel ein gegen ein Urteil. Anderseits erschienen<br />

sehr viel häufiger geladene Zeugen nicht. Sind sie noch<br />

nicht richtig trainiert? Vielleicht auch dies, aber andererseits<br />

es ist gut, wenn die Rechtswege offen stehen, aber<br />

nicht gut, wenn sie jeder in jedem Falle ausschöpft. Der<br />

Rechtsweg sollte nicht der erste, sondern der letzte Weg zur<br />

Konfliktregelung sein. Gerechtigkeit , wenn wir darunter<br />

eine Bürgertugend verstehen, und das sollten wir übrigens<br />

zuerst so sehen: Gerechtigkeit als Bürgertugend setzt voraus,<br />

daß die Bürger in den meisten Fällen in der Tat in der<br />

Lage sind, ihre Konflikte ohne Einschaltung eines Gerichtes<br />

zu regeln. Ich habe mit Interesse die Zahlen gehört, die<br />

zu diesem Problem vorhin genannt worden sind und vielleicht<br />

muß ich da diese Seite sogar ein bißchen reduzieren.

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