(421-492) (1,4 MB) - Anwaltsblatt
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habe ich gebaut. Du hast doch gar keine Baugenehmigung<br />
eingereicht. Wozu denn, er steht doch auch schon. Na reiche<br />
mal eine nach. Nicht nötig, ich brauche keine Baumaterial<br />
mehr.“ Der hat nie eine nachgereicht. Also der Bürgermeister<br />
ist hier plötzlich auch wiederum abhängig. Sie<br />
dürfen sich das nicht wie so eine Oben-Unten-Gesellschaft<br />
vorstellen. Der ist nun abhängig von dem Tischler und der<br />
hat also genau gemerkt, daß er sich leisten kann, ohne Baugenehmigung<br />
zu bauen. Es ist ja auch nie etwas passiert.<br />
Die Balkone stehen heute noch. So kompliziert ist es in einer<br />
Diktatur und unter den Bedingungen einer Mangelgesellschaft.<br />
Hilfst Du mir, helfe ich Dir. In gewisser Weise<br />
war ja das Geld tatsächlich abgeschafft, nämlich es nützte<br />
ihnen kein Geld, wenn sie einen Trabant haben wollten,<br />
sondern einen Bezugschein brauchten sie. Anmeldung, die<br />
jünger ist als zehn Jahre, die vor zehn Jahren dran ist. Ein<br />
Wochenendgrundstück zu bekommen, auch da nützte Geld<br />
wenig, da brauchte man Beziehungen, pfiffig mußte man<br />
sein und irgendeine Ecke entdecken, wo vielleicht eine<br />
LPG mit ihren Maschinen nicht hin kommt, die dann bereit<br />
sind das abzugeben.<br />
Die Verhältnisse in der DDR hatten so gesehen feudale<br />
Züge, denn das Eingabenwesen ist natürlich ein Gnadenrecht.<br />
Die vergoldeten Erinnerungen sind auch von der Art,<br />
daß sie sagen, zu Zeiten der DDR, da kriegten wir Freifahrzeiten<br />
zum FDGB-Ferienheim. Der Staat hat sich auch immer<br />
so präsentiert. Ich beschenke Euch, wir beschenken<br />
Euch. Die kleine Frage, woher der Staat eigentlich seine<br />
Geschenke nimmt, die stellen bis heute viele nicht. Das<br />
war natürlich nur ein anderes Umverteilerverfahren und<br />
nicht etwa wie bei einem König, bei dem es vielleicht auch<br />
Umverteilungsverfahren sind, der aus seiner Schatzkasse<br />
was rausholt. Auch die Betriebe und LPG’s waren im Grunde<br />
so ähnlich wie Feudalhilfe organisiert. Der Chef kümmert<br />
sich um seine Leute und die bauen dann an der Ostsee<br />
ein Ferienheim nur für die Betriebsangehörigen, die sich<br />
dadurch viel besser gestellt sehen als die anderen, die bloß<br />
eins im Harz haben. Das Baumaterial wird aus dem Plan irgendwie<br />
abgezweigt, das sind also die speziellen Künste,<br />
über die man da verfügen muß. Das andere wurde irgendwie<br />
organisiert. Die SED hatte sich viele Wohltaten für die<br />
Bevölkerung ausgedacht, mehr übrigens, als sie finanzieren<br />
konnte, wie das berühmte Gutachten vom 31. Oktober 1989<br />
von Schürer auch ausgesprochen hat. Wir haben die sozialpolitischen<br />
Maßnahmen, so heißt es da – das ist für Egon<br />
Krenz gemacht das Gutachten – wir haben die sozialpolitischen<br />
Maßnahmen nicht vollständig aus eigenen Mitteln finanzieren<br />
können, denn das wird oft vergessen auch wenn<br />
man Unrechtsstaat sagt, Diktatoren wollen natürlich gar<br />
nicht gehaßt werden. Sie wollen geliebt werden. Geliebt<br />
werden von der Masse des Volkes. Wenn das Kind aber<br />
aufsässig wird, dann wird Papa Staat böse. Solange das<br />
aber nicht so sehr viele sind, kann sich eine Diktatur unter<br />
Umständen einer weitgehenden Zustimmung erfreuen.<br />
Es war tatsächlich für viele DDR-Bürger alles gar nicht<br />
so schlimm, aber es war schlimm, daß das eben nur<br />
Glückssache war. Gnade und nicht Recht, Geschenke für<br />
Wohlverhalten und nicht durchsetzbare Ansprüche. Es ist<br />
schon richtig, im Rechtsstaat ist es komplizierter zu seinem<br />
Recht zu kommen, als auf diesem feudalen Eingabenwege.<br />
Man muß Fristen und Verfahrensschritte berücksichtigen,<br />
sonst kann ein noch so berechtigter Anspruch verloren sein<br />
und es kann etwas, das in der Tat dem gesunden Menschenverstand<br />
als ungerecht erscheint, wegen solcher Verfahrensfehler<br />
dann trotzdem Gültigkeit erlangen.<br />
AnwBl 8 + 9/99<br />
Anwaltstag 1999 – Festvortrag<br />
Einer unserer östlichen Bischöfe hat gesagt, wir hatten<br />
gedacht Freiheit verbindet und entlastet. Wir erfahren aber<br />
nun, sie vereinzelt und fördert Konflikte, sie ist erbarmungswidrig,<br />
das Leben wird komplizierter. In der Tat ist<br />
das Leben unter einer Diktatur mit beschränkten Handlungsmöglichkeiten<br />
deshalb auch ein Leben mit beschränkten<br />
Konfliktmöglichkeiten, wenn man dem Hauptkonflikt<br />
mit der Diktatur aus dem Weg geht. Das meiste hat der<br />
Staat geordnet zum Wohl der Bürger, wie er es versteht.<br />
Das Zivilgesetzbuch der DDR hat vielen imponiert durch<br />
seine Schlichtheit und Kürze. Es ist einfacher und kürzer<br />
als das BGB. Aufs ganze gesehen muß man sagen, es war<br />
so schlicht und einfach, weil es so wenig im Rechtsweg<br />
praktiziert wurde. Solche Teile des Rechtswesens, die viel<br />
Arbeit hatten, nämlich die dauernden Prozesse der VEB-<br />
Betriebe untereinander, wer an der Nichtplanerfüllung<br />
schuld sei, haben dazu geführt, daß diese Teile des Rechts<br />
sich dann auch aufgebläht haben. Entsprechend kompliziert<br />
war das entsprechende Vertragsrecht. Es ist richtig, unter<br />
den Bedingungen der Freiheit wird vieles konfliktreicher<br />
und komplizierter, man kann allerdings auch sagen, daß Leben<br />
eines Kindes ist einfacher als das Leben eines Erwachsenen<br />
oder das Leben eines Knechtes ist einfacher als das<br />
Leben eines freien und mündigen Menschen. Ein wohlmeinender<br />
westdeutscher Unternehmer hat einem östlichen<br />
Kollegen folgenden zweifelhaften Rat gegeben. Also bei<br />
öffentlichen Aufträgen, da muß Du genau abrechnen. Den<br />
Rechnungshof, den kannst Du nicht so schnell hinters Licht<br />
führen. Bei Privaten kannst Du schon mal eher zulangen.<br />
Das wird verstanden, jenseits von Moral und Unmoral, als<br />
geradezu eine Umkehrung der Prioritäten zu DDR-Zeiten.<br />
Den Staat betrügen, das ist sozusagen bloß Mundraub, der<br />
ist ja selber dran schuld, daß es keinen Wasserhahn zu kaufen<br />
gibt und Honecker hat auch gesagt, wir sollen noch<br />
mehr aus unseren Betrieben rausholen. Aber ich werde<br />
doch meinen Nachbarn nicht übers Ohr hauen, den brauche<br />
ich doch wohl möglichst noch einmal. Er kriegt von mir<br />
den Betonmischer und ich kriege von ihm mal das<br />
Schweißgerät. Diese Solidarität der Nachbarschaftshilfe,<br />
aus der Not geboren. Not macht erfinderisch und gemeinsame<br />
Not motiviert auch zur Nothilfe. Aus diesen Erfahrungen<br />
heraus, die freilich, das muß man immer dazu sagen,<br />
aus der Mangelsituation geboren waren, erscheint die kühle<br />
Sachlichkeit, das Geschäftsmäßige vieler Westdeutscher<br />
den Ostdeutschen als herzlos und kalt. Auch dies ist wieder<br />
ein Punkt wo, wie ich finde, allzu schnell Ostdeutsche sich<br />
eine moralische Überlegenheit zuschreiben. Ein Richter der<br />
in Ost und West Erfahrungen sammeln konnte, hat mir gesagt,<br />
die streitenden Parteien seien im Osten häufiger zu einem<br />
Vergleich bereit als im Westen. Sie legen auch seltener<br />
Rechtsmittel ein gegen ein Urteil. Anderseits erschienen<br />
sehr viel häufiger geladene Zeugen nicht. Sind sie noch<br />
nicht richtig trainiert? Vielleicht auch dies, aber andererseits<br />
es ist gut, wenn die Rechtswege offen stehen, aber<br />
nicht gut, wenn sie jeder in jedem Falle ausschöpft. Der<br />
Rechtsweg sollte nicht der erste, sondern der letzte Weg zur<br />
Konfliktregelung sein. Gerechtigkeit , wenn wir darunter<br />
eine Bürgertugend verstehen, und das sollten wir übrigens<br />
zuerst so sehen: Gerechtigkeit als Bürgertugend setzt voraus,<br />
daß die Bürger in den meisten Fällen in der Tat in der<br />
Lage sind, ihre Konflikte ohne Einschaltung eines Gerichtes<br />
zu regeln. Ich habe mit Interesse die Zahlen gehört, die<br />
zu diesem Problem vorhin genannt worden sind und vielleicht<br />
muß ich da diese Seite sogar ein bißchen reduzieren.