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(421-492) (1,4 MB) - Anwaltsblatt

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450<br />

l<br />

Das notwendige Salz des Rechtsstaats sind Selbstzweifel<br />

und kritische Unzufriedenheit. Für dieses Salz muß die Anwaltschaft<br />

sorgen. Strafverteidiger sind dazu besser in der<br />

Lage, wenn wir nicht nur als Vertragspartner unserer Mandanten<br />

reden und schreiben, sondern als Sachverwalter<br />

eines anvertrauten Menschenrechts, das stärker ist als Einzelne.<br />

Wirksam bewältigt werden kann diese Aufgabe auf<br />

lange Sicht nicht allein in Zwiegesprächen mit Richtern<br />

oder Staatsanwälten, sondern nur im Dialog mit der Öffentlichkeit.<br />

Der öffentliche Strafprozeß aber, er wird von den<br />

zu verteidigenden Bürgern als Pranger empfunden. Daraus<br />

folgt die letzte hier zu stellende Frage.<br />

III. Öffentlichkeit – Forum statt Pranger<br />

Es ist kein Wunder, daß sich die Deutschen immer mehr<br />

in der Sicherheit wiegen, das Strafrecht gehe – trotz seiner<br />

ständigen Ausdehnung – nur die anderen an. Die Staatsanwaltschaft<br />

stellt heute 27 Prozent der Ermittlungsverfahren<br />

wegen Geringfügigkeit oder mangels schwerer Schuld,<br />

dann gegen Auflagen, ein 42 . Erhebt sie Klage, was in<br />

28 Prozent der Fälle geschieht, handelt es sich bei 16 Prozent<br />

um Anträge auf Strafbefehl und bei 12 Prozent um<br />

Anklagen. Nur gut ein Fünftel der verfolgbaren Verfahren<br />

geht daher überhaupt noch an die Gerichte mit dem Ziel öffentlicher<br />

Verhandlung, und auch dort wiederum finden sogenannte<br />

Opportunitätseinstellungen statt 43 . Wer mit einer<br />

Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr auf Bewährung einverstanden<br />

ist, hat seit 1993 die Option geheimer Erledigung<br />

durch Strafbefehl 44 . Übrigens bleiben 79 Prozent der Freiheitsstrafen<br />

innerhalb dieser Grenze 45 .<br />

Die Konsequenz liegt auf der Hand. Sie ist, als das<br />

Strafbefehlsverfahren entsprechend umgestaltet wurde, von<br />

Kollegen mit einem bemerkenswerten Satz beschrieben<br />

worden: Die Bürger (wer immer das sein mag) verabschieden<br />

sich aus dem öffentlichen Strafprozeß. Man nehme die<br />

Beispiele des Vorstandsvorsitzenden eines Konzerns, dem<br />

Untreue angelastet wird, oder des hohen Managers, der Betriebsspionage<br />

verantworten soll, und die vielen Fälle von<br />

mutmaßlichen größeren Steuerhinterziehungen – die Öffentlichkeit<br />

horcht bei den Zwangsmaßnahmen zu Beginn<br />

der Ermittlungen auf und wird geraume Zeit später durch<br />

kurze Pressenotiz über aktenmässige Erledigungen ohne<br />

Freispruchscharakter unterrichtet. Der Streit über Beweise,<br />

über das Recht und über die Abwägung der Konsequenzen,<br />

all das entzieht sich den Blicken. Der sichtbare Strafprozeß,<br />

die Hauptverhandlung, bleibt in erster Linie der Gewaltkriminalität<br />

vorbehalten, der schwereren Drogenkriminalität,<br />

der umfangreichen Eigentumskriminalität.<br />

Diese Entwicklung hat gravierende Folgen. Die Öffentlichkeit<br />

gewöhnt sich an den schläfrig machenden Irrtum,<br />

Strafprozesse und Strafrecht seien nur für gefährliche Kriminelle<br />

da. Sie verliert den Instinkt dafür, daß es sich um eine<br />

Grenzsituation der Freiheit handelt, in die jeder geraten kann<br />

und in der jeder auf rechtsförmlichen Schutz angewiesen ist.<br />

Wir tragen dazu bei, weil wir alle Kraft darauf konzentrieren,<br />

unsere Mandanten vor dem Pranger des öffentlichen<br />

Strafprozesses zu bewahren, und weil wir den Bankrott des<br />

wuchernden Strafrechts auf dem Wege der geräuschlosen Erledigung<br />

verhindern. Es ist paradox – je erfolgreicher wir<br />

dabei sind, desto größer werden die Illusionen der Bürger.<br />

Diese Illusionen gehen zu unseren Lasten.<br />

Die Mandanten wollen, das ist ein berechtigtes Interesse,<br />

aus der Öffentlichkeit herausverteidigt werden. Und wir, die<br />

älteren Kollegen, überlassen es gern den Jüngeren, in foren-<br />

AnwBl 8 + 9/99<br />

Anwaltstag 1999 – Plenarveranstaltung<br />

sischer Öffentlichkeit aufzutreten. Hat der Rückzug auch mit<br />

der Folgelast einer tückischen Neuregelung zu tun, des<br />

§ 261 StGB, der Wahlverteidigung bei Verdacht schwerer<br />

Kriminalität unmöglich macht, weil einschlägige Honorare<br />

leichtfertige Geldwäsche sein können 46 ? Wahrscheinlich verstärken<br />

viele Gründe die besondere Anziehungskraft jener<br />

Mandate, bei denen es Öffentlichkeit schlechthin nicht mehr<br />

gibt und deren verborgene Erledigung der Triumph<br />

diplomatischen Verteidigungskönnens ist.<br />

Klagen darüber, daß uns die öffentliche Meinung abhanden<br />

kommt, dürfen wir nur an eine Adresse richten, an uns<br />

selbst. Wir müssen unsere Ziele, unsere Mittel und unseren<br />

Standort in der Gesellschaft wieder neu bedenken. Es wird<br />

nicht reichen, daß wir uns zu vertraglichen Risk-Managern<br />

entwickeln, die im Stillen tätig sind. Ob Öffentlichkeit<br />

Pranger ist oder Forum, das liegt auch in unserer Hand.<br />

Wenn es den Strafverteidigern nicht gelingt, Verbindung<br />

mit der Öffentlichkeit zu halten, und diese Aufgabe wird<br />

immer schwerer, dann geben wir die ungeschriebenen<br />

Grundlagen auf, von denen unser Beruf abhängt und die bekanntlich<br />

kein Gesetzgeber garantieren kann. In diesem<br />

Sinne muß Strafverteidigung – zum Wohle der Bürger, die<br />

unsere künftigen Mandanten sind – über den Einzelfall hinaus<br />

auch forensisch argumentierende Rechtspolitik sein.<br />

42 §§ 153, 153 a StPO; dazu: Justiz im Spiegel der Rechtspflegestatistik, Wiesbaden<br />

1998, S. 14 f.<br />

43 Rechtspflegestatistik aaO Fn. 42 S. 15.<br />

44 § 407 Abs. 2 StPO.<br />

45 Rechtspflegestatistik aaO Fn. 42 S. 20. Der Prozentsatz bezieht sich auf die<br />

Höhe der Freiheitsstrafe und nicht auch auf die Aussetzung zur Bewährung.<br />

46 Körner/Dach, Geldwäsche, München 1994, zur Annahme bemakelten Geldes<br />

durch Rechtsanwälte S. 25 f.<br />

Bürger-Mitwirkungsrecht<br />

in der Beratung von<br />

Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälten, insbesondere<br />

im Umweltbereich<br />

Rechtsanwältin Renate Künast, Berlin<br />

Den Anwälten in den USA geht es gut – sehr gut! Der<br />

Blick in die USA zeigt es ganz deutlich: dort hat der Beruf<br />

des Anwalts Zukunft!<br />

Ein ganz neues Tätigkeitsfeld für Rechtsanwälte hat sich<br />

entwickelt. Von der „Herrschaft des Rechts“ zur „Herrschaft<br />

der Rechtsanwälte“. Der 42. Präsident der Vereinigten<br />

Staaten und seine Frau haben offene Anwaltsrechnungen,<br />

die zusammen auf 10 Millionen Dollar geschätzt<br />

werden 1 . Sie alle kennen die sich endlos wiederholenden<br />

Berichte über Bill Clinton und Monika Lewinsky.<br />

1 Frankfurter Rundschau, 13. Februar 1999, Nr. 37.

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