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101 Jahre Lindner, 91 Jahre Schweizer Holzwolle

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Alles<br />

andere<br />

als<br />

auf<br />

dem<br />

Holzweg<br />

1909 | 2010<br />

<strong>101</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Lindner</strong> | <strong>91</strong> <strong>Jahre</strong> <strong>Schweizer</strong> <strong>Holzwolle</strong><br />

Geschichten zum Centenarium | <strong>Lindner</strong> Verpackungen GmbH, Wattwil


Prolog | Auf Spurensuche<br />

„Memoiren sind das Gegenteil<br />

einer Klarsichtpackung.“<br />

David Frost<br />

Besser als mit diesem Spruch von David Frost kann man es nicht auf den Punkt<br />

bringen: Als wir uns auf Spurensuche machten, erwies sich bald einmal, dass<br />

einiges in der <strong>Lindner</strong>-Geschichte im Verborgenen liegt. Nicht etwa, weil Geheim-<br />

bündlerisches oder sonstige, gewollte Verheimlichungen mit im Spiele gewesen<br />

wären. Nein, vielmehr stellte es sich heraus – wie das in den meisten <strong>Schweizer</strong><br />

Familien der Fall ist –, dass bei den <strong>Lindner</strong>s die Altvordern nie grosses Aufheben<br />

um ihre Person und ihre Leistungen gemacht haben. Das Leben war bisweilen hart,<br />

sehr hart mit ihnen umgegangen; Leben hiess somit oft – überleben. Da hielt man<br />

sich nie gross mit der eigenen Person und der eigenen Geschichte auf.<br />

Trotzdem ist es gelungen, ein Puzzle zusammenzufügen. Es fehlen zwar einige Teile,<br />

aber das tut den Leistungen, die von den vorangegangenen Generationen erbracht<br />

worden sind, keinen Abbruch. Tatsache ist: Die Firma <strong>Lindner</strong> besteht seit über einem<br />

Centennium und hat schwierige Zeiten überstanden, indem es ihr gelang, sich den<br />

Zeiten anzupassen und mit „bäumigen“ Leistungen (im wörtlichen und übertragenen<br />

Sinne) nicht nur zu überleben, sondern auch zu prosperieren. Unter „Anpassen“<br />

verstehen wir heute Diversifizieren, Erneuern, Kooperieren – Erfolgsfaktoren, die für<br />

das Unternehmen entscheidend waren und immer noch entscheidend sind.<br />

Den Familienangehörigen und allen anderen Personen, die diese Geschichte<br />

nacherzählt und miterlebt haben, sei dafür bestens gedankt: allen voran Ruth Jenni-<br />

<strong>Lindner</strong>, Verena Wildhaber-<strong>Lindner</strong> (Enkelinnen des Firmengründers) sowie Heinz<br />

Wildhaber (Ehemann von Verena). Ebenso jenen, die all die interessanten Schriften<br />

und Dokumente aus unterschiedlichsten Archiven zutage gefördert haben. Schriften,<br />

die lückenlos den Aufschwung des „bäumigen Goldes“, der <strong>Holzwolle</strong>, dokumentieren<br />

und somit die <strong>Lindner</strong>-Story auf attraktive Art und Weise ergänzen. Im Unterschied<br />

zur <strong>Lindner</strong>-Story ist die Chronik der <strong>Holzwolle</strong> chronologisch und fast lückenlos<br />

verbrieft. Marcus Plehn (Heidelberger Schriften zur Pharmazie- und Naturwissenschaftsgeschichte)<br />

sowie anderen Chronisten, die nirgends aufgeführt sind (das<br />

Internet kann sehr anonym sein), sei hierfür ebenfalls gedankt.<br />

Wattwil, Herbst 2009


Die <strong>Lindner</strong>-Story:<br />

Seit über 100 <strong>Jahre</strong>n erfolgreich<br />

oder<br />

Alles andere als auf dem Holzweg<br />

Ort der Handlung Lichtensteig und Wattwil im Toggenburg<br />

Zeitspanne Mitte des 19. Jahrhunderts bis 2009<br />

Handlungsstränge Geschichte des Unternehmens<br />

Geschichte der <strong>Holzwolle</strong><br />

Hauptpersonen Firmengründer:<br />

Karl Friedrich <strong>Lindner</strong> (I)<br />

*8. Juli 1851, †30. August 1928, ursprünglich Deutscher,<br />

Bürger der USA, eingebürgert in Oberhelfenschwil im<br />

<strong>Jahre</strong> 1890<br />

2. Generation:<br />

Friedrich Georg <strong>Lindner</strong> (II), Gründer<br />

*23. Dezember 1877, †29. Dezember 1930<br />

Marie Elisa, geb. Zulauf, Ehefrau<br />

3. Generation:<br />

Karl Friedrich <strong>Lindner</strong> (III), Betriebsnachfolger<br />

*12. September 1908, †03. März 1966<br />

Emma, geb. Waltert, Ehefrau<br />

4. Generation:<br />

Ruth Jenni-<strong>Lindner</strong>, Tochter von <strong>Lindner</strong> III und<br />

Betriebsnachfolgerin, GL Finanzen, pensioniert.<br />

Verena Wildhaber-<strong>Lindner</strong>, Tochter von <strong>Lindner</strong> III,<br />

Unterstützung GL, pensioniert.<br />

Heinz Wildhaber-<strong>Lindner</strong>, Ehemann von Verena Wildhaber,<br />

GL Technik, Eintritt 1967, pensioniert.<br />

5. Generation / nichtbiologische Nachfolge:<br />

Thomas Wildberger, ab 1996 im Betrieb, seit 2007 Inhaber<br />

und Mehrheitsaktionär.


Teil I<br />

Geschichten zur Geschichte<br />

<strong>Lindner</strong> I, II und III – die Familienangehörigen erinnern sich<br />

„Wecke ein Bedürfnis und<br />

zeige, wie es mit Deinem Produkt<br />

befriedigt werden kann.“<br />

Thomas Wildberger<br />

Die <strong>Lindner</strong>-Geschichte ist von Beginn weg die Geschichte von Machern mit dem<br />

richtigen Augenmass für den Markt. Zwar lässt sich der Zeitpunkt der eigentlichen<br />

Geschäftsgründung nicht ganz genau definieren, er dürfte jedoch ums Jahr 1909 oder<br />

noch früher liegen.<br />

Wie die Familie <strong>Lindner</strong> ins Toggenburg gekommen ist, darüber gibt es wenig<br />

Schriftliches. <strong>Lindner</strong> I kam jedenfalls aus Amerika. Ruth Jenni weiss: „Es gibt eine<br />

Taufurkunde der deutschen Kirche zu Philadelphia aus dem Jahr 1874. Der<br />

Urgrossvater hat, wie mein Vater, gern getüftelt. Er hatte ein Geschäft nach dem<br />

anderen. Hat immer etwas angefangen, und wenn die Sache lief, hat er das Interesse<br />

daran verloren. Dann ging es von Neuem – mit etwas anderem – erneut los. Für die<br />

Urgrossmutter muss das schwierig gewesen sein.“ Dennoch muss er offenbar ein<br />

regelmässiges Einkommen gehabt haben.<br />

Ruth Jenni weiter: „In Lichtensteig gab es früher zwei Hotels, die ,Krone‘ und das<br />

,Rössli‘. Ein Grossonkel hatte die ,Krone‘, mein Grossvater das ,Rössli‘. Daneben war<br />

er aber auch in anderen Bereichen geschäftlich tätig. Er hatte auch eine Camionnage,<br />

ein Transportgeschäft. 1<strong>91</strong>0 wurde der Wasserfluh-Tunnel eingeweiht. Mein Grossvater<br />

(<strong>Lindner</strong> II) hat die Arbeits-Lokomotive sechsspännig über die Wasserfluh<br />

transportiert. Das ist auf einem alten Foto zu sehen. Auch betätigte er sich als<br />

Anthrazit- und Brennholzhändler.“<br />

Kohle, Holz, <strong>Holzwolle</strong><br />

Das Transportgeschäft und der Kohlehandel waren sichere Werte. Fest steht, dass<br />

im <strong>Jahre</strong> 1<strong>91</strong>9 ein drittes Standbein hinzukam: Die Produktion von <strong>Holzwolle</strong>. Der<br />

umtriebige <strong>Lindner</strong> II produzierte anfänglich <strong>Holzwolle</strong> als Packfüllmaterial und für<br />

Meliorationen.<br />

Eigentlich war nicht ausgemacht, dass <strong>Lindner</strong> III in die Fussstapfen von <strong>Lindner</strong> II<br />

treten sollte. Ruth Jenni: „In den dreissiger <strong>Jahre</strong>n sagte mein Grossvater (<strong>Lindner</strong> II)<br />

zu meinem Vater (<strong>Lindner</strong> III): ,Komm’ nicht ins Geschäft!‘ Dies sagte er auf Grund<br />

der wirtschaftlich schwierigen dreissiger <strong>Jahre</strong>. Mein Vater hat daher Textiltechniker<br />

an der Textilfachschule in Wattwil gelernt. Anschliessend arbeitete er zunächst in der


Maschinenfabrik Rüti, dann bei Saurer. Leider erkrankte dann mein Grossvater.<br />

Er hatte einen Knaben aus dem kalten Zürichsee vor dem Ertrinken gerettet und sich<br />

dann selber eine Lungenentzündung zugezogen, da er in nassen Kleidern mit dem<br />

Fuhrwerk nach Hause gefahren war. Das war der Anfang vom Ende; er erholte sich<br />

nie richtig von dieser Erkältung. Vermutlich litt er auch an MS (Multiple Sklerose);<br />

denn er fiel ständig hin. So führte meine Grossmutter (Marie Elisa <strong>Lindner</strong>-Zulauf) von<br />

1930 bis 1940 das Geschäft weiter. Und mein Vater hielt vorerst den Maschinensaal<br />

an den Wochenenden und in seiner übrigen Freizeit in Schuss.“<br />

Zahlen auf Zeitungsrändern<br />

Ruth Jennis Vater, <strong>Lindner</strong> III, stieg schliesslich 1940 ins väterliche Geschäft ein,<br />

mit Unterstützung seiner Ehefrau Emma, die für das Kaufmännische zuständig war.<br />

Verena Wildhaber beschreibt ihn wie folgt: „Mein Vater hat immer auf alle<br />

Zeitungsränder geschrieben; hatte immer etwas im Kopf, plante, rechnete – überall<br />

Zahlen, Zahlen…Er hat immer etwas vorgehabt. Er war glücklich, wenn er etwas<br />

planen und tüfteln konnte.“<br />

Der Zweite Weltkrieg brachte auch bei <strong>Lindner</strong>s eine einschneidende Zäsur. Ruth<br />

Jenni: „Während des Zweiten Weltkriegs beschäftigte das Unternehmen einen<br />

Mitarbeiter, denn mein Vater wurde immer wieder eingezogen. Zudem war das Holz<br />

kontingentiert, die Beschaffung entsprechend schwierig, und der Staat schrieb sogar<br />

die Preise für die <strong>Holzwolle</strong> vor.“<br />

Auch die fünfziger <strong>Jahre</strong> erforderten die Mithilfe aller Familienmitglieder. Als Kind<br />

gingen die beiden Mädchen Ruth und Verena mit dem Leiterwagen zur Bahn und<br />

brachten die Kleinmengen und eiligen Sachen zum Transport per Bahn auf die<br />

Station. Der Vater, <strong>Lindner</strong> III, hatte ihnen eigens dafür dieses Leiterwägeli mit<br />

Gummi-rädchen gekauft. Ruth Jenni berichtet: „Ich entsinne mich auch an die Seile<br />

aus <strong>Holzwolle</strong>, die hergestellt worden sind. Wir schauten als Kinder gerne zu im<br />

Betrieb, und ich erinnere mich noch gut an eine Frau, die <strong>Holzwolle</strong> spann, sowie an<br />

einen Mitarbeiter, der gehobelt, und an einen anderen, der gepresst hat. Vater hat<br />

manchmal nächtelang Messer geschliffen, tagsüber Kunden besucht. Das war das<br />

Leben, die Arbeit. Nebenbei hat man nicht viel anderes gemacht.“<br />

Das Geschäft floriert – ein Umzug drängt sich auf<br />

Trotz des schwierigen wirtschaftlichen Umfelds prosperierte der Betrieb. Bald einmal<br />

wurde der erste Firmenstandort in Lichtensteig zu eng. Heinz Wildhaber: „Nebst<br />

akutem Platzmangel erwies sich auch der Lagerplatz als nicht ideal.“ Schliesslich bot<br />

sich 1956 die Möglichkeit, in Wattwil eine Sägerei mit Umschwung zu erwerben.<br />

<strong>Lindner</strong> III entschloss sich, die Firma neu mit doppelter Kapazität dort anzusiedeln.<br />

Bald wurde die Kapazität in Wattwil nochmals verdoppelt und die Sägerei stillgelegt.<br />

Qualität war immer ein zentrales Geschäftsanliegen von <strong>Lindner</strong> III. Die technische<br />

Entwicklung ermöglichte hier verschiedene Verbesserungen. Weitsichtig war auch der


ereits in den sechziger <strong>Jahre</strong>n erfolgte innerbetriebliche Einsatz von Elektrofahrzeugen<br />

zu Transportzwecken. <strong>Lindner</strong> III war sehr innovativ und verstand es, diverse<br />

technische Neuerungen geschickt in seinen Betrieb einzubauen. So wurde bereits ab<br />

1956 die <strong>Holzwolle</strong> maschinell geschüttelt. Dadurch konnten die kurzen Fasern<br />

ausgeschieden werden, das erhöhte die Qualität der <strong>Holzwolle</strong>. Anschliessend wurde<br />

die <strong>Holzwolle</strong> mit einem Zyklon entstaubt.<br />

1962 entwickelte <strong>Lindner</strong> III ein neues, bis heute einzigartig gebliebenes (und<br />

geheimgehaltenes) Messersystem. Dieses ermöglicht – auch heute noch – die<br />

Herstellung spiessenfreier <strong>Holzwolle</strong>. Ein grosser Wettbewerbsvorteil, von der<br />

Konkurrenz unerreicht! Heinz Wildhaber: „Nur so viel sei verraten: Wir sind dadurch<br />

in der Lage, <strong>Holzwolle</strong> in einer Feinheit von 0,05 mm bis hin zu einer Dicke von<br />

0,25 mm zu produzieren.“<br />

Holz wird knapp<br />

Heinz Wildhaber: „Wir haben auch Zeiten erlebt, in denen man kaum Holz hatte. Auch<br />

mussten wir das Holz selber aus dem Lastwagen holen. Das bedeutete zwei Stunden<br />

Schwerstarbeit, bis ausgeladen war.“ Aber auch der damals herrschenden Holzknappheit<br />

begegnete Linder III auf innovative Weise. Er setzte – auch das eine<br />

Exklusivität des Unternehmens – nebst Fichten- auch Föhrenholz ein. Fichtenholz<br />

war eine Zeitlang kaum mehr erhältlich, die Papierfabrikation hatte Vorrang. Not<br />

machte jedoch den Wattwiler Unternehmer erst recht erfinderisch, und so kam er auf<br />

den Gedanken, Föhrenholz zu benutzen. Ruth Jenni: „Es ging dann kontinuierlich<br />

weiter aufwärts, sodass wir bald einmal ein gutes Dutzend Mitarbeiter beschäftigen<br />

konnten. Brown Boveri, Benninger, Saurer, Bühler, Rieter, Sulzer, Doetsch Grether,<br />

Galenica – so lauteten die wohlklingenden Namen auf unserer Kundenliste. Kunden,<br />

die ihre wertvollen Güter mit <strong>Holzwolle</strong> für den Transport schützten.“ Die vielfältigen<br />

Einsatzmöglichkeiten der <strong>Holzwolle</strong> sind damit bereits in den frühen <strong>Jahre</strong>n des<br />

Unternehmens belegt.<br />

Zeitenwende im Verpackungsbereich<br />

1966 starb <strong>Lindner</strong> III. Schwiegersohn Heinz Wildhaber kam in den Betrieb. Er hatte<br />

wie <strong>Lindner</strong> III ebenfalls Textiltechniker studiert.<br />

Das Verpacken mit <strong>Holzwolle</strong> geht auf Anfang der siebziger <strong>Jahre</strong> zurück; der Bahn-<br />

und Schiffversand wurde weitgehend durch Lastwagentransporte ersetzt. Eine<br />

Zeitenwende brach an: Motoren wurden auf Paletten festgeschraubt und nicht mehr<br />

in Kisten mit <strong>Holzwolle</strong> verpackt. Und in den achtziger <strong>Jahre</strong>n wurde das Verpacken<br />

mit Polystyrol-Chips aktuell und machte dem bisherigen Packstoff <strong>Holzwolle</strong> bös<br />

Konkurrenz. Chips erlaubten im Gegensatz zur <strong>Holzwolle</strong> auch maschinelles<br />

Verpacken mit Abfüllanlagen...<br />

Was tun? „So begannen wir 1979 ebenfalls mit Kunststoff, mit der Produktion von<br />

Polystyrol-Chips als Füllmaterial“, erinnert sich Heinz Wildhaber, „nachdem wir


zunächst nur damit gehandelt hatten. Und wir haben Glück gehabt: <strong>Lindner</strong> erhielt in<br />

dieser schwierigen Zeit von Hoechst das exklusive Herstellungs- und Vertriebsrecht<br />

der Kunststoff-Chips für den <strong>Schweizer</strong> Markt. Bei der Herstellung von Chips hatten<br />

wir in der Folge immer zu wenig Kapazitäten. Wir hatten Kunden, die wir deswegen<br />

nicht bedienen konnten, obschon selbst an Samstagen die Anlage nicht stillstand.<br />

1989 nahmen wir die modernste Chips-Anlage Europas in Betrieb. Das erregte<br />

Aufsehen: Shell kam mit Kunden aus Kanada und Skandinavien vorbei, um die<br />

Anlage zu besichtigen.“<br />

Es brennt!<br />

1969 schlug ein Blitz in einen Lagerschopf ein. 200 Ster Holz verbrannten...<br />

Vorreiterrolle in Sachen Umwelt<br />

Heute wie damals wird das Granulat immer noch mit Dampf geschäumt. Die<br />

Granulate bestehen zum Teil aus Rezyklat, das Treibgas ist FCKW-frei. Im Kreislauf<br />

integriert war schon damals (und ist es noch heute) die Wärmerückgewinnung. Linder<br />

hat also schon lange vor dem derzeitigen Öko-Boom gezielt auf eine nachhaltige<br />

Nutzung von Energien und Rohstoffen gesetzt. Auch die Chips sind umweltfreundlich<br />

und werden unter anderem auch als Drainage-Material eingesetzt, ein biologisch<br />

neutrales Produkt, das beim Entsorgen eine gute Energieverwertung gewährt.<br />

Und immer wieder: neue Produktideen<br />

Für die Nutzung der <strong>Holzwolle</strong> suchten und fanden die <strong>Lindner</strong>s immer wieder neue<br />

Geschäftsfelder. Beispiele: Früher gingen die Leute in die Maschinenfabriken und<br />

fragten nach <strong>Holzwolle</strong>, die sie für den Gebrauch im Garten als sog. Erdbeerwolle<br />

zum Schutz vor Schneckenbefall einsetzten. Als die Maschinenfabriken fast keine<br />

<strong>Holzwolle</strong> mehr benutzten, begann Wildhaber Kleinballen anzubieten – die Erdbeerwolle<br />

war als eigentliches Markenprodukt geboren. Aber auch Ölwehrschläuche<br />

waren ein Thema. Alle Gemeinden des Kantons wurden damit ausgerüstet, auch im<br />

Thurgau, vor allem in den Seegemeinden. Die Ölwehrschläuche waren kostengünstig<br />

und praktisch, wiesen sie doch bessere physikalische Eigenschaften auf als die<br />

sogenannten Öl-Schürzen.<br />

Einziger <strong>Holzwolle</strong>produzent der Schweiz<br />

Die Geschichte hat es gezeigt: Immer wieder musste sich <strong>Lindner</strong> an die Gegebenheiten<br />

des Marktes anpassen und sich nach der Decke strecken. Immer aber wurde<br />

in den angestammten Bereich der <strong>Holzwolle</strong> investiert. So wurden die Maschinen<br />

zum Beispiel mit Pneumatik ausgerüstet, damit die Mitarbeiter es einfacher hatten.<br />

„Wir sind auch die einzigen gewesen, die bereits 1972 eine vollautomatische Presse<br />

anschafften“, sagt Heinz Wildhaber – nicht ohne Stolz.


Die Investitionen lohnten sich jedenfalls. Der technisch immer auf dem modernsten<br />

Stand gehaltene Maschinenpark sicherte das Überleben. <strong>Lindner</strong> ist heute der einzige<br />

<strong>Holzwolle</strong>-Produzent in der Schweiz.<br />

Schäumen und träumen<br />

Anfang der neunziger <strong>Jahre</strong> begannen sich die Marktbedingungen bei den Chips<br />

drastisch zu verändern. 19<strong>91</strong> gelangte der deutsche Umweltminister Klaus Töpfer ans<br />

Ruder; es traten zahlreiche neue Vorschriften mit hohen Folgekosten in Kraft. „Und in<br />

der Schweiz kam die Abfallgebühr pro Container“, erinnert sich Heinz Wildhaber, „das<br />

hat zu hohen Zusatzkosten geführt. Auch begann die Industrie, die Chips mehrfach<br />

zu gebrauchen, was wiederum zu einem Einbruch führte.“ Daher ergaben sich<br />

grössere Schwankungen im Absatz der Chips. „Wir waren sehr froh, dass wir auf zwei<br />

Beinen standen, <strong>Holzwolle</strong> und Kunststoffchips. Wenn die <strong>Holzwolle</strong> mal nicht lief,<br />

liefen die Chips und umgekehrt. Als drittes Bein bauten wir dann Mitte der neunziger<br />

<strong>Jahre</strong> – mit Thomas Wildberger – den Handel mit Zünd- und Packhilfsmitteln aus.“<br />

Nachfolgeregelung? Ein „Freier“ stellt sich ein...<br />

Es gab oder gibt keine „biologischen“ Nachfolger. Sorgen hat man sich deswegen<br />

keine gemacht, kaum darüber nachgedacht. Geplant sei die Übergabe an einen<br />

Aussenstehenden nicht gewesen, sagt Heinz Wildhaber. Der Zufall wollte es anders:<br />

Heinz Wildhaber lernte Thomas Wildberger bei einem Firmenbesuch kennen.<br />

Wildberger arbeitete im Papier- und Verpackungsgrosshandel. Als Marketingleiter war<br />

er auf der Suche nach neuen Lösungen. „Nach einer Betriebsbesichtigung in Wattwil<br />

– die ihn beeindruckt haben muss – rief Wildberger Wildhaber an und teilte ihm mit,<br />

er wäre interessiert, sich am Betrieb zu beteiligen und diesen später gar zu<br />

übernehmen. Er hielt quasi um die Hand an...<br />

Und so geschah es. „Fast wie im Märchen. Ein Nachfolger war gefunden. Die Chemie<br />

stimmte, wir ergänzten uns optimal. Thomas war zuständig für das Marketing, ein<br />

Defizit, das wir bis dato hatten, Ruth Jenni war zuständig für die Administration und<br />

ich für die Technik“, schildert Heinz Wildhaber die „wilde Ehe“ mit Thomas<br />

Wildberger. Nomen est omen...<br />

Die Jahrtausendwende – Relaunch der <strong>Holzwolle</strong> – neue Märkte<br />

Thomas Wildberger war von Beginn an von der Qualität der <strong>Lindner</strong>-<strong>Holzwolle</strong><br />

begeistert. „Ich habe die <strong>Holzwolle</strong>, die <strong>Lindner</strong> produziert, genau studiert und sagte<br />

mir: Die machen einen Rolls-Royce – und keiner weiss es.“ Als gewiefter Marketingmann<br />

fasste er sofort neue Märkte ins Auge. Heinz Wildhaber gab sich eher<br />

zurückhaltend. Als Thomas Wildberger ihm sagte, dass er die <strong>Holzwolle</strong> exportieren<br />

wolle, sagte er: „Das klappt nie! Die Ausländer konnten viel billiger produzieren als<br />

wir.“<br />

Das Gegenteil war der Fall. „Heute liefern wir sogar in Tiefpreisländer, weil wir<br />

Qualität produzieren. Was geholfen hat, ist auch der Ökologiegedanke und die


Nachhaltigkeit der Produkte, die überall an Bedeutung gewinnt“, sagt Thomas<br />

Wildberger. So kommt es, dass <strong>Lindner</strong>-<strong>Holzwolle</strong> heute in 17 Länder exportiert wird.<br />

Weitere Produktinnovationen aus <strong>Holzwolle</strong> – die Anzündhilfen „251°“ und<br />

„Flamtastic“ – folgten. Und laufend bosselt das Unternehme an neuen Produktideen<br />

herum und folgt damit einer alten <strong>Lindner</strong>schen Tradition: dem Tüfteln. The proof of<br />

the pudding is in the eating: Kurz vor der Marktreife steht ein funktionelles Wellness-<br />

Kissen mit <strong>Holzwolle</strong> aus speziell geschlagenem Mondphasenholz. Gleichzeitig wird<br />

an einer Spezialeinstreu für Nutztiere gearbeitet; denn <strong>Lindner</strong>-<strong>Holzwolle</strong> – nur<br />

<strong>Lindner</strong>-<strong>Holzwolle</strong> – ist staubarm, antiseptisch, hygienisch und zu hundert Prozent<br />

naturbelassen.<br />

Was drauf steht, muss drin sein<br />

„Wir haben nie auf kurzfristigen Erfolg gesetzt, sondern immer den langfristigen Erfolg<br />

im Auge behalten“, sagt Heinz Wildhaber. Das heisst im Klartext: Zentral waren und<br />

sind bei allen <strong>Lindner</strong>-Produkten – und auch bei den geplanten Innovationen – zwei<br />

Aspekte. Der Kundenwunsch und ein hoher Qualitätsanspruch. Thomas Wildberger:<br />

„Wir sind kein Warenhaus, wir führen nur Artikel, die in unsere Kompetenzfelder<br />

passen; alles andere führen wir nicht. Wir verkaufen nur Dinge, über die wir auch<br />

wirklich fundiert Bescheid wissen. Es gibt keine Firma, die alles kann.“


Teil II<br />

„Erfolgreiche Organisationen<br />

haben eins gemeinsam:<br />

Sie konzentrieren sich in erster<br />

Linie auf ihre Kunden.“<br />

Kenneth Blanchard<br />

Innovationen kommen und gehen, das Echte bleibt<br />

Der „nichtbiologische“ Nachfolger äussert sich<br />

Weshalb kommen die Kunden zu <strong>Lindner</strong>? Welches sind die Erfolgsfaktoren eines<br />

Kleinunternehmens wie <strong>Lindner</strong>? Thomas Wildberger, der „nichtbiologische“<br />

Nachfolger und heute Inhaber der <strong>Lindner</strong> GmbH, nimmt zu diesen zentralen Fragen<br />

gerne Stellung: „Unsere Kunden fragen sogar noch viel direkter, oft ganz unverblümt:<br />

,Könnt ihr denn die versprochenen Leistungen überhaupt einhalten? Seid ihr morgen<br />

noch am Markt?’ Nun, es gibt uns seit über 100 <strong>Jahre</strong>n, diese Frage lässt sich somit<br />

gut entkräften. Das ist das eine. Andererseits müssen jedoch die vier grundlegenden<br />

P des Marketing ebenfalls stimmen, müssen laufend überdacht und angepasst<br />

werden, wenn man Erfolg haben will: Price, Product, Placement, Promotion. Heute ist<br />

es entscheidend für den Einkäufer, dass seine Lieferanten verlässlich sind. Daraus<br />

ergibt sich unsere Produkt-strategie und damit verbunden die entsprechende<br />

Kommunikation. Die Fragen, die mich immer wieder umtreiben, sind: ,Wie agieren<br />

wir? Wie bringen wir alles unter einen Hut?’ Als Kleinunternehmen dürfen wir uns –<br />

bei aller Produktvielfalt – nicht verzetteln.“<br />

Thomas Wildberger war 15 <strong>Jahre</strong> im Produktmanagement eines Handelsunternehmens<br />

im Bereich Verpacken tätig, zudem in verschiedenen Kommissionen und<br />

Ausschüssen. Im Rahmen dieser Tätigkeit hat er Heinz Wildhaber kennen und<br />

schätzen gelernt. Dieser (Wildhaber) erwähnte ihm (Wildberger) gegenüber beiläufig,<br />

dass er sich gelegentlich Gedanken über eine Nachfolgeregelung mache, aber keinen<br />

internen Nachfolger habe. „Auf Grund dieser Aussage bin ich nach Wattwil gereist<br />

und habe mir den Betrieb etwas genauer angeschaut. Ich sah, dass <strong>Lindner</strong> ,Rolls-<br />

Royce‘ produziert. Nur Insider wussten dies. Diese Ausgangslage war spannend, und<br />

so bemühte ich mich darum, diesen Betrieb und damit die Nachfolge zu übernehmen.<br />

Der Rest ist Geschichte, siehe erster Teil“, erzählt Wildberger mit dem ihm eigenen<br />

Understatement.<br />

Nach seinem Eintritt im <strong>Jahre</strong> 1996 stellte er – zusammen mit Heinz Wildhaber und<br />

Ruth Jenni – den Verpackungshandel auf die Beine. „Wir wollten ein tiefes, aber nicht<br />

zu breites Sortiment mit hochwertigen Produkten. Der Kunde sollte merken – und das


ist bis heute so geblieben –, dass wir etwas von der Chose verstehen. Wir verkaufen<br />

nur Produkte, die wir als Hersteller selbst einsetzen würden.“ Gleichzeitig, im Jahr<br />

1996, lancierte <strong>Lindner</strong> das Geschäft mit den vorgereckten Folien. Diese waren<br />

damals brandneu, weltweit. „Wir konnten die Vertretung eines Produzenten<br />

übernehmen und den Markt entwickeln. Trotz aller Unkenrufe – es gab Stimmen, die<br />

uns nicht gut wollten – gelang es uns, dieses Produkt erfolgreich in den Markt zu<br />

drücken. Resultat: Es gehört heute noch zum guten Ton, dass man ,vorgereckt‘<br />

arbeitet. Wir sind die Ersten gewesen; gegen alle Widerstände haben wir im Bereich<br />

Stretchfolien reüssiert, sehr gut sogar.“<br />

Im Rahmen einer Strategieentwicklung hat Wildberger 1996 das <strong>Holzwolle</strong>-Geschäft<br />

durchleuchtet und kam zum Schluss, dass Kunststoff auf Grund des steigenden<br />

Umweltbewusstseins nicht eine Lösung für alle und alles sein würde. „So entschieden<br />

wir uns, die guten Produkte, die wir hatten, weiter zu entwickeln. Im Marketingjargon<br />

würde man wohl von einer Line extension sprechen.“<br />

Erfolgreiche Strategie<br />

Diese Strategie erwies sich als erfolgreich. Mit dem einsetzenden, steigenden<br />

Umweltbewusstein verbuchten die Produktbereiche Euterwolle, biologische Packhilfsmittel,<br />

Dekoration und Spedition laufend Zuwachsraten, zum Teil im zweistelligen<br />

Prozentbereich. „Der Export ins Ausland war dann die logische Folge der gestiegenen<br />

Nachfrage. Trotz des vergleichsweise hohen Preises überzeugte die Qualität unserer<br />

<strong>Holzwolle</strong> auch im Ausland. Wir liefern konstant hohe Qualität, der Kunde erhält<br />

absolut naturbelassene, spiessenfreie, reine <strong>Holzwolle</strong>“, begründet Wildberger den<br />

Erfolg dieses Geschäftszweigs.<br />

Im Verpackungssektor mit Kunststoffchips und Folien gelang es ebenfalls, zusätzliche<br />

Marktanteile zu gewinnen. „Wir konnten den Bereich Chips ausbauen. Heute sind wir<br />

die Nummer eins auf dem <strong>Schweizer</strong> Markt. Alle Betriebe, die nicht mehr mitmischen<br />

wollten oder konnten, wurden von uns übernommen. Genau nach dem Schema,<br />

nach dem <strong>Lindner</strong> seinerzeit die Kunden der Wettbewerber, die ihre <strong>Holzwolle</strong>n-<br />

Produktion aufgegeben hatten, übernehmen konnte.“<br />

Die Kunden wollen von <strong>Lindner</strong> durchdachte Lösungen – Kioskware gebe es zuhauf<br />

auf dem Markt, sagt Wildberger. Mittlerweile ist es den Wattwilern gelungen, ein Netz<br />

von Herstellern aufzubauen, „die verstehen, wie der <strong>Schweizer</strong> Markt tickt. Wir sind in<br />

der Lage, Spezialitäten auch in kleinsten Mengen anzubieten. Ob gross oder klein,<br />

alle Kunden werden gleich behandelt. 1996 entschieden wir uns, ohne Aussendienst<br />

auszukommen. Wir besuchen die Kunden nur auf deren Wunsch. Dieses Konzept hat<br />

sich bis heute bewährt, wir wollen keine Händeschüttler sein, wir sind Berater.“<br />

Wildberger ergänzt: „Da wir rund 1200 Tonnen im Jahr produzieren, die wir mittlerweile<br />

in 17 Länder exportieren, braucht es einerseits ein facettenreiches Marketing.


Allein im Bereich <strong>Holzwolle</strong> sind wir in mehreren Märkten zu Hause, von Agrar bis<br />

Lifestyle. Der Einsatz der <strong>Holzwolle</strong> als Anzünder führte beispielsweise dazu, dass<br />

über das BBQ, das Grillieren, ein neues Segment erobert werden konnte. Wir<br />

machen nur, was wir auch verstehen. Von Anbeginn an haben wir uns mit<br />

Spezialisten umgeben, sei es für die IT, das Verpackungs-Design oder Technik und<br />

Logistik. Viele Leute arbeiten mit uns zusammen, Tierärzte, ETH-Studenten, Öko-<br />

und Gesundheitsspezialisten, Designer, Verpackungsspezialisten etc. Den<br />

Dekorationsbereich für den Ostersektor haben wir beispielsweise an eine Behindertenwerkstatt<br />

ausgelagert. Dort arbeiten über zwölf Leute jahrein, jahraus für uns. Wir<br />

selber beschäftigen seit <strong>Jahre</strong>n ebenfalls immer um die zwölf festangestellte<br />

Mitarbeitende.“<br />

Qualität steht bei <strong>Lindner</strong> im Zentrum. Deshalb werden auch die Maschinen laufend<br />

revidiert und auf neuesten Stand gebracht. Ausgeprägtes Umweltbewusstsein ist<br />

seit jeher (siehe Teil I) ein Thema. So wurde jüngst die alte Heizung durch ein Fernwärmekonzept<br />

ersetzt, und die interne Logistik funktioniert mit elektrisch<br />

angetriebenen Kleingefährten.<br />

Wildberger abschliessend: „Keiner kann garantieren, dass wir 200 <strong>Jahre</strong> alt werden,<br />

aber wichtig ist, dass die Firma als Ganzes funktioniert. Es ist nicht meine Person, die<br />

im Vordergrund steht, es ist das ganze Team. <strong>Lindner</strong> ist solide finanziert. Diverse<br />

Produkte und Dienstleistungen sind im Entstehen. Die guten, langjährigen Kundenbeziehungen<br />

bilden vor allem auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine solide<br />

Basis für die Zukunft.“

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