Zwischen Trauer und Versöhnung
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Vorwort von Dr. Gunther Schmidt<br />
Seit vielen Jahren ist die Arbeit mit schwer traumatisierten Menschen einer<br />
der Schwerpunkte meiner psychotherapeutischen Tätigkeit, ambulant <strong>und</strong><br />
ebenso stationär in der SysTelios-Klinik in Siedelsbrunn.<br />
Die meisten KlientInnen selbst, aber auch viele TherapeutInnen, verstehen<br />
die bei traumatisierten Menschen sich als sehr leidvoll manifestierende<br />
Dynamik so, dass eben die erlittenen schlimmen Lebensereignisse selbst (zum<br />
Beispiel Misshandlungen, sogenannter Missbrauch, Gewalterfahrungen,<br />
Folter, Unfälle, aber auch Verluste geliebter Menschen) die „Ursachen“ des in<br />
der jeweiligen Gegenwart auftretenden Leids seien (etwa massive Flashbacks,<br />
Verzweiflung, Panikattacken etc.). Aus meiner hypnosystemischen Sicht lässt<br />
sich diese Erklärung so nicht aufrechterhalten. Denn wenn man systematisch<br />
mit den betroffenen Menschen ihre Erfahrungen seit den traumatisierenden<br />
Ereignissen durchforscht, findet man immer viele Episoden, teilweise auch<br />
länger anhaltende Zeiten, in denen es ihnen weniger schlecht, manchmal sogar<br />
relativ gut ging, bei doch gleicher, unveränderter Vergangenheit. Also<br />
kann die Vergangenheit an sich selbst nicht die „Ursache“ des heutigen Erlebens<br />
sein – dieses tritt ja immer wieder verändert auf, die sogenannte „Ursache“<br />
bleibt aber immer gleich.<br />
Mit hypnosystemischen Modellen kann man sehr differenziert mit den Betroffenen<br />
zusammen eine für sie hilfreiche systematische Rekonstruktion der<br />
Prozesse aufbauen, die mit dem jeweils heutigen leidvollen Erleben einhergehen.<br />
Dabei finden wir immer wieder, dass einerseits natürlich vielfach innere<br />
<strong>und</strong>/oder äußere Reize, die gerade in der jeweiligen Gegenwart wahrgenommen<br />
werden <strong>und</strong> die Ähnlichkeit mit Erlebnisfaktoren bei den damaligen<br />
traumatischen Ereignissen aufweisen, als Trigger (als auslösende Problem-<br />
Trance-Anker) wirken können. Nach dem Gesetz der Hebb’schen Plastizität<br />
ist dies nicht überraschend: „Zellen, die miteinander feuern, vernetzen sich;<br />
vernetzte Zellen feuern miteinander, auch wenn nur einer oder wenige Aspekte<br />
des Vernetzten gerade jetzt feuern.“<br />
Andererseits habe ich zusammen mit vielen KlientInnen aber auch häufig den<br />
Eindruck gewonnen, dass es gerade bei Verlusten wichtiger Menschen offenbar<br />
eine unbewusste Sehnsuchtsdynamik gibt, welche die Betroffenen völlig<br />
unwillkürlich quasi in ihrem Erleben immer wieder zu den schrecklichen erlittenen<br />
Ereignissen innerlich zurückzieht. Dies erweist sich aber keineswegs<br />
als etwa masochistische oder sonst irgendwie inkompetente oder sinnlose<br />
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