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an Otto Paetz - Weimar

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Meine Damen und Herren,<br />

Verleihung des <strong>Weimar</strong>-Preises<br />

am 3. Oktober 2004<br />

<strong>an</strong> <strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong><br />

Laudatio<br />

von Dr. Rolf Luhn<br />

wenn Menschen komplizierte Sachverhalte erklären wollen, d<strong>an</strong>n greifen sie<br />

gemeinhin zu Bildern – sprachlichen Bildern.<br />

Das hat auch der Kasseler Kunstprofessor und documenta- Gründer Arnold Bode<br />

get<strong>an</strong>, als er mit einem g<strong>an</strong>z einfachen Bild nämlich zu erklären versucht hat, was<br />

Kunst und Leben miteinender zu tun haben. Bode hat seine Zuhörer dazu<br />

aufgefordert sich vorzustellen, dass es zwei Räume gebe, einen „praktischen Raum“,<br />

worin der Mensch leben müsse: „Da wird gebaut, da kommen Straßen, da kommt<br />

alles hinein“, erläutert er und fährt schließlich fort: „Und d<strong>an</strong>n gibt es den zweiten<br />

Raum, das ist der poetische Raum“, ohne den könne der Mensch nicht überleben.<br />

Und in ihn gehöre die bildende Kunst ebenso wie Musik, Dichtung, T<strong>an</strong>z. Und er hat<br />

es schließlich noch einmal mit g<strong>an</strong>z schlichten, gänzlich unakademischen Worten<br />

bekräftigt: Ohne diesen poetischen Raum sei das Leben traurig, l<strong>an</strong>gweilig und nicht<br />

mehr lebenswert.<br />

Meine Damen und Herren,<br />

wenn wir nun diese beiden Räume –um das Bild von Bode weiter zu nutzen- als<br />

Wohnung verstehen, d<strong>an</strong>n hat <strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong>, der heute so außerordentlich geehrt


werden soll, wohl vornehmlich im zweiten, im poetischen Raum gelebt. Nicht etwa,<br />

weil er zeitlebens weltfern gewesen wäre, nein weil Kunst, und da vor allem das<br />

Zeichnen, Radieren und Drucken dieses g<strong>an</strong>ze Leben so lückenlos ausgefüllt hat –<br />

und das bis heute.<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong>, dieser Name ist hier in <strong>Weimar</strong>, in Thüringen und weit darüber hinaus<br />

2<br />

nicht erst jetzt, sondern bereits seit Jahrzehnten so etwas wie eine Legende, ja er ist<br />

eine Institution!<br />

- Eine werthaltige Konst<strong>an</strong>te inmitten eines Umfeldes ebenso legitimer wie<br />

innovativer künstlerischer Entwicklungen.<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong>, das ist der meisterhafte Zeichner, der großartige Dokumentarist<br />

Thüringer Natur- und Kulturl<strong>an</strong>dschaften, ein Lehrer, der Spuren hinterlassen hat,<br />

und schließlich auch der schnörkellos geradlinige, warmherzige Mensch!<br />

In diesem Jahr ist er 90 geworden, der Freund der Menschen und der Bäume, der<br />

seine erregendsten Entdeckungen nicht auf den lichtschillernden Boulevards,<br />

sondern „neben der Straße“ inmitten der Wiesen und Äcker Thüringens mit ihren<br />

gewundenen Feldwegen, nahe der Dörfer bei Jena, vor knorrigen entwurzelten<br />

Bäumen und alten Kopfweiden gemacht hat.<br />

Unbeirrt von den politischen Zeitläuften hat er ein dreiviertel Jahrhundert l<strong>an</strong>g<br />

künstlerisch seine Art der Weltsicht gelebt. Herausgefordert hat ihn stets das<br />

Unspektakuläre, nie jene Themen, die en vogue waren. Da, wo Erwartungshaltungen<br />

seiner Arbeit Richtung geben wollten, hat er ihnen kaum offen widersprochen -das<br />

lag nicht in ihm-, sie gleichwohl aber auch nicht bedient.<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong> ist zeitlebens sich und seiner Kunst treu geblieben bei der Suche nach<br />

den Wundern der Schöpfung, den Momenten ungestörter Harmonie, die er immer<br />

wieder in der L<strong>an</strong>dschaft entdeckt hat.


Es gebe schließlich so viel Hässliches in der Welt, dass er es nicht auch noch<br />

zeichnen müsse, stellt er mit 90 resümierend fest!<br />

Meine Damen und Herren,<br />

sicher, in <strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong>´ Zeichenmappen finden sich nicht wenige bemerkenswerte<br />

Porträts, ein Menschenmaler ist er trotzdem nicht.<br />

3<br />

„Faszination L<strong>an</strong>dschaft“, mit diesen zwei Begriffen lassen sich Antrieb und Werk am<br />

ehesten beschreiben. Denn das Sujet L<strong>an</strong>dschaft hat ihn wie kein <strong>an</strong>deres<br />

lebensl<strong>an</strong>g suchend umgetrieben.<br />

Und sie beherrscht ihn noch immer, bis heute, jene zw<strong>an</strong>ghafte Abfolge von<br />

Entdecken, Erleben, Zeichnen. G<strong>an</strong>z egal, ob die Totale eines P<strong>an</strong>oramas oder das<br />

herausgelöste Detail -in den zeichnerischen Fokus gerückt. Jedes Blatt wird so zum<br />

Opus einer L<strong>an</strong>dschaft, bemüht, das Wunder des Irdischen sichtbar zu machen!<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong>´ Zeichnungen spiegeln stets authentisches, unmittelbares Erleben bei<br />

der Arbeit vor der Natur. Und doch verbirgt sich in jedem seiner Blätter mehr als die<br />

bloß abbildende Wiedergabe. Sie sind vielmehr Zeugnisse für die Poesie einer<br />

L<strong>an</strong>dschaft und stehen für eine Zeichentradition, die g<strong>an</strong>z bewusst auf Dürer und<br />

Rembr<strong>an</strong>dt als altmeisterliche Vorbilder zurückgreift, die aber auch <strong>an</strong> die besten<br />

Traditionen der <strong>Weimar</strong>er Malerschule <strong>an</strong>knüpft.<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong> lässt sie uns miterleben, die Stille einer Winterl<strong>an</strong>dschaft, die Mel<strong>an</strong>cholie<br />

eines Herbsttages mit windzersausten Baumreihen, den steinigen Weg mit seinen<br />

grafisch bis ins Detail ausgearbeiteten Strukturen – als Offenbarung eines<br />

Mikrokosmos! Wurzeln, Geäst, Stamm eines gebrochenen Baumes - Weltsicht<br />

berührendes Motiv voller Metaphern! L<strong>an</strong>dschaften von meditativer Kraft, die mit ihrer<br />

Tiefe und Weite, mit dem, was sie offenbaren für eines stehen: Für die unstillbare<br />

Sehnsucht eines Sehenden, der uns am Sehen teilhaben lässt! In allem meisterlich<br />

in der zeichnerischen Umsetzung.


4<br />

Mit Blättern von beeindruckender Bildästhetik und überzeugender Komposition!<br />

Bestechend das Vermögen, Nähe und Ferne, Perspektiven, Stimmungen, den<br />

Wechsel der Jahreszeiten, Hitze und Kälte über Strukturen und unendliche<br />

Graustufen zwischen Schwarz und Weiß umzusetzen!<br />

Und „hinter“ jedem Blatt <strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong>´ Lebensbotschaft.<br />

Die klingt nach: Innehalten! Besinnung!<br />

Es ist der mahnend weise Ratschlag <strong>an</strong> die Rastenden und Rastlosen, <strong>an</strong>gesichts<br />

einer rauschartig rasenden Zeit gegenzusteuern und sich der Fetische zu entledigen.<br />

Meine Damen und Herren,<br />

zu diesen Ratschlägen gehört auch der, wonach Leben Mitte verl<strong>an</strong>gt.<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong> hat in seinem Leben g<strong>an</strong>z zweifellos diese Mitte gefunden, und sie heißt<br />

seit fast 70 Jahren: <strong>Weimar</strong>.<br />

Diese Stadt ist aus seinem Leben nicht auszublenden. Hier hat er nach seiner<br />

Kriegsverwundung 1941 seine künstlerische Ausbildung erfahren, geprägt von einem<br />

so großartigen Lehrer wie Walther Klemm. <strong>Weimar</strong> ist für den im Vogtl<strong>an</strong>d<br />

Geborenen seit 1935 Wahlheimat. Und dabei hatte er eigentlich nach München oder<br />

Dresden gehen wollen. Dass es <strong>Weimar</strong> wurde, haben wir seinem Berufsschullehrer<br />

Paul Kreher zu verd<strong>an</strong>ken, der ihn mit einem Gespür für das Talent und ohne sein<br />

Wissen <strong>an</strong> der <strong>Weimar</strong>er Meisterschule <strong>an</strong>gemeldet hatte.<br />

Zwischen dem ersten heimlichen Mitzeichnen im Aktsaal der Kunsthochschule und<br />

dem Ende des Studiums 1945 lagen fast 10 Jahre.<br />

<strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong> blieb in <strong>Weimar</strong>. Hier hat er in den Nachkriegsjahren mit kleinen<br />

Radierungen von Stadtmotiven seinen Lebensunterhalt verdient und die<br />

freischaffende Arbeit begonnen. Fast ein halbes Jahrhundert l<strong>an</strong>g hat ihn sein Weg<br />

d<strong>an</strong>n von der Müntzerstraße quer durch den Friedhof zum Atelierhaus geführt. Dort<br />

hat er gezeichnet, radiert und auf den alten Pressen gedruckt.


5<br />

Mit dem Atelierhaus aber hat er auch den so lebenswichtigen Ort des Austauschs mit<br />

Künstlerkollegen gefunden, allen vor<strong>an</strong> Gottfried Schüler, aber auch Alex<strong>an</strong>der von<br />

Szpinger, Horst Jährling und Karl Holfeld. Das Atelierhaus ist ihm die eigentliche<br />

Heimat geworden, seit fast 60 Jahren. Von hier aus ist er zu Fuß, per Rad und später<br />

auch per Moped zu „seinen“ Motiven aufgebrochen. Und die waren stets gut zu<br />

erreichen, weil nahe: Die Baumriesen des Friedhofs, die Schlossbrücke über die<br />

Ilm, das Drei- Gleichen-Gebiet, die Dörfer des <strong>Weimar</strong>er L<strong>an</strong>des und der Thüringer<br />

Wald. Ja, das <strong>Weimar</strong>er Atelierhaus bildet so etwas wie den Fokus dieses<br />

Künstlerlebens. Und noch heute hat <strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong> hier seine festen Arbeitstage und ein<br />

Atelier, das für Freunde der Kunst ein Ort mit offener Tür ist.<br />

Durch eben diese offene Tür bin auch ich vor Jahren zu <strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong> gekommen.<br />

Wie ich diese erste Begegnung erlebt habe, ist im Einführungstext seines aktuellen<br />

Katalogs nachzulesen. Aber ich will es Ihnen deshalb durchaus nicht vorenthalten:<br />

Es war Winter, bitterkalt, aber das prasselnde Feuer des Kachelofens versprach bald<br />

Wärme- bald wohlgemerkt. Wir saßen eingezwängt zwischen Regalen und<br />

Arbeitstischen, neben g<strong>an</strong>zen Stapeln von Mappen vis-à-vis einer Reihe aufgestellter<br />

großformatiger H<strong>an</strong>dzeichnungen, <strong>an</strong> denen er gerade arbeitete.<br />

Nach zwei oder drei Stunden <strong>an</strong>geregten Gesprächs über Gott, die Welt und die<br />

Kunst, aber auch über ein Ausstellungsprojekt, dazu der obligate Tee und der<br />

wiederholte Griff in die Kekspackung, verabschiedeten wir uns. Wir hatten<br />

problemlos unsere Themen gefunden. Geredet hatten wir mitein<strong>an</strong>der so vertraut, als<br />

ob wir uns bereits Jahre kennen würden – und wir haben uns wieder verabredet!<br />

Selten hatte ich so etwas erlebt. Die Wärme aus diesem Gespräch nahm ich ebenso<br />

mit, wie eiskalte Füße und in der Folge eine üble Erkältung. <strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong>´ Ofen war<br />

nicht so recht in Fahrt gekommen, was ihn selbst freilich wenig störte! Diese


6<br />

persönliche Wärme aber, sie war mir immer wieder gegenwärtig, sooft wir uns in den<br />

Jahren d<strong>an</strong>ach trafen. – Zuletzt erst vor wenigen Wochen!<br />

Natürlich haben wir über den heutigen Tag geredet. Und dabei war mir gerade das<br />

Unverzichtbare in seinen Erinnerungen wichtig:<br />

Die fast dreißig Jahre Arbeit als Leiter der Sommerkurse für Kunsterzieher zwischen<br />

1962 und 1990, die Tätigkeit als Zirkelleiter in Sömmerda oder auch -nennen wir es-<br />

die „Bitterfelder L<strong>an</strong>dpartien“ u.a. nach Merxleben, die von ihm freilich wenig von<br />

jenem Heroischen hervorbrachten, was die Initiatoren erwartet hatten.<br />

Da waren schließlich die Erinnerungen <strong>an</strong> die Jahre des Studiums und <strong>an</strong> die<br />

prägenden Köpfe der <strong>Weimar</strong>er Hochschule nach dem Neubeginn 1945: <strong>Otto</strong> Herbig,<br />

Albert Schäfer-Ast, H<strong>an</strong>s Hoffm<strong>an</strong>n-Lederer und Herm<strong>an</strong>n Kirchberger .<br />

Aber ich will nicht missverst<strong>an</strong>den werden: Da war nicht nur der Blick zurück! Wie<br />

auch, bei einem Künstler, dem noch heute Zeichnen als Zust<strong>an</strong>d von Leben gilt!?<br />

Geschwärmt hat er von den gerade erst entdeckten stillen Tälern irgendwo im<br />

Thüringer Wald, in die m<strong>an</strong> nur halblegal im Jeep vordringen k<strong>an</strong>n, vom Dörfchen<br />

Denstedt hinter Tieffurt, wo er ebenso wie in <strong>Weimar</strong> selbst unbedingt noch in<br />

diesem Herbst zeichnen möchte, und er hat gelächelt, als Ernestine Dittrich vom Pl<strong>an</strong><br />

berichtete, gleich im nächsten Jahr im Haus in Zella-Mehlis eine kleine<br />

Druckwerkstatt einzurichten.<br />

Lieber <strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong>, ich gestehe meine Sprachlosigkeit für den Augenblick!<br />

Und d<strong>an</strong>n noch dieses schlichte Credo – von ihm mit auf den Weg gegeben:<br />

Wenn der Mensch nicht stimmt,<br />

k<strong>an</strong>n auch die Kunst nicht stimmen!<br />

Wie wahr!


Aber da, lieber <strong>Otto</strong> <strong>Paetz</strong>, können wir, was Sie <strong>an</strong>geht, sorglos sein!<br />

7<br />

Ich weiß, immer wenn ich bei ihnen war, bin ich einem der letzten Rom<strong>an</strong>tiker<br />

begegnet- oder sind Sie doch mehr ein Wertkonservativer in der Kunst?<br />

Beides wohl: Ein Stück lebendiges Erbe und vor allem ein großartiger Mensch, den<br />

<strong>Weimar</strong> heute ehrt!

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