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Ansprache von Oberbürgermeister Stefan Wolf im Rahmen ... - Weimar

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<strong>Ansprache</strong> <strong>von</strong> <strong>Oberbürgermeister</strong> <strong>Stefan</strong> <strong>Wolf</strong> <strong>im</strong> <strong>Rahmen</strong> der Erinnerungsveranstaltung zum „70.<br />

Jahrestag der Errichtung des Konzentrationslagers Buchenwald“ am 15. Juli 2007, um 11.00 Uhr <strong>im</strong><br />

Kinosaal der Gedenkstätte Buchenwald<br />

Sperrfrist bis Sonntag, 15.7., 11.00 Uhr<br />

Es gilt das gesprochene Wort<br />

Sehr verehrter Bertrand Herz (Präsident IKBD)<br />

Romani Rose (Vorsitzender des Zentralrates Deutscher<br />

Sinti und Roma)<br />

Stephan Kramer (Generalsekretär des Zentralrates der<br />

Juden in Deutschland)<br />

Ottomar Rothmann (Deutscher politischer Häftling <strong>im</strong><br />

KZ Buchenwald <strong>von</strong> 1943 – 1945)<br />

Minister Prof. Jens Goebel<br />

Professor Volkhard Knigge<br />

Meine sehr verehrten Damen und Herren,<br />

„Wir werden nie über die Verbrechen der Nationalsozialisten schweigen.“<br />

Mit diesem Versprechen setzt die Erklärung der Stadt We<strong>im</strong>ar vom 14.<br />

Juli 2007 ein - jene Erklärung mit dem Titel „Erinnerung leben und<br />

Verantwortung übernehmen“, die wir gestern in einer gemeinsamen<br />

Veranstaltung mit dem „Internationalen Komitee Buchenwald-Dora und<br />

Kommandos“ <strong>im</strong> Rathaus der Stadt We<strong>im</strong>ar abgeben durften.


Ich sage bewusst „abgeben durften“, meine Damen und Herren. Denn<br />

We<strong>im</strong>ar hat mit dieser Erklärung ein Vermächtnis übertragen<br />

bekommen: Ein Erbe, das unserer Stadt die Erinnerung an das Leid der<br />

250.000 Häftlinge <strong>im</strong> Konzentrationslager Buchenwald aufträgt und uns<br />

zu einer großen Verantwortung gegenüber der Zukunft verpflichtet.<br />

Trotz der Schwere der Aufgabe aber erfüllt uns dieses Erbe der<br />

Buchenwald-Überlebenden mit großem Dank: Mit Dank für das<br />

Vertrauen, das Sie, die ehemaligen Häftlinge, uns entgegen bringen.<br />

Wir, die Stadt We<strong>im</strong>ar, werden uns dieser Verantwortung stellen, meine<br />

Damen und Herren. Wir werden uns an unserer gemeinsamen Erklärung<br />

„Erinnerung leben und Verantwortung übernehmen“ in Zukunft messen<br />

lassen.<br />

Was aber, so könnte man fragen, was macht diese Aufgabe eigentlich so<br />

gewaltig? Was sollte daran so schwierig sein, den Nazis – jung oder alt -<br />

und allen Verächtern <strong>von</strong> Demokratie und Menschenwürde entschlossen<br />

entgegen zu treten? Liegt diese Aufgabe nicht spätestens seit 1945 in<br />

der historischen Verantwortung dieser Stadt? Gehört sie nicht sogar zu<br />

den wesentlichen Antworten auf die Ambivalenz unserer Klassikerstadt:<br />

Jene Ambivalenz, die We<strong>im</strong>ar spätestens seit Mitte der 20er Jahre<br />

zwischen Hybris und Kleingeist, zwischen den Ansprüchen der Stadt als<br />

eine Geburtsstätte des Humanismus und als Kultstätte einer<br />

vermeintlichen „deutschen Wiedergeburt“ schwanken ließ?<br />

Mit unserer Erklärung vom gestrigen Tag verpflichten wir uns gerade<br />

nicht zu einem neuen Kult dieses viel-zitierten „Symbolortes“ We<strong>im</strong>ar:<br />

Wir verpflichten uns ganz <strong>im</strong> Gegenteil zu einer Alltags-Aufgabe.


Genauso, wie es die Kinder und Jugendlichen dieser Stadt vor drei<br />

Tagen taten, als sie uns ihre Version der „We<strong>im</strong>arer Vereinbarung“<br />

präsentierten – die jugendliche Version jener Selbstverpflichtung vom<br />

vergangenen Jahr, in der es heißt:<br />

„Gegenseitige Achtung ist wichtig für ein friedliches Miteinander. Ich<br />

möchte ohne Vorurteile mit Menschen Freundschaft schließen, die<br />

anders sind als ich.“<br />

So leicht und überzeugt aber, wie einem diese Worte über die Lippen<br />

kommen, so schwer tun wir uns damit oft <strong>im</strong> Alltag. Denn: Sind wir<br />

wirklich <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> richtigen Moment bereit, Zivilcourage zu zeigen und<br />

einzuschreiten, wenn auf der Straße Menschen mit anderer Hautfarbe<br />

angepöbelt, gestoßen, verfolgt werden? Und: Beweisen wir auch als<br />

Ordnungs-Institution dieser Stadt <strong>im</strong>mer genug (notfalls auch repressive)<br />

Phantasie, wenn Neonazis die We<strong>im</strong>arer Öffentlichkeit mit ihren<br />

Aufmärschen und so genannten „Informationsständen“ zu verseuchen<br />

versuchen?<br />

An diesen Fragen werden wir uns mit unserer Erklärung künftig ganz<br />

nüchtern messen lassen müssen, meine Damen und Herren. Mit einer<br />

Kreativität, die am besten schon vorab den jeweiligen Auftritt der NPD<br />

und ihrer Parteigänger verhindert … und mit einer offenherzigen<br />

Fantasie auf den Straßen, die dem braunen Spuk das Herumgeistern<br />

gründlich verleidet. Wenn aber, meine Damen und Herren, nach den<br />

nächsten Wahlen <strong>im</strong> Jahr 2009 die Neonazis doch mit <strong>im</strong> We<strong>im</strong>arer<br />

Stadtrat sitzen sollten, … dann waren wir nicht couragiert genug, dann<br />

waren wir nicht kreativ genug und dann waren wir nicht ausdauernd<br />

genug, um dies zu verhindern. Auch daran also werden wir uns messen<br />

lassen müssen.


Eine Alltagsaufgabe also, meine Damen und Herren.<br />

Und doch ist das Vermächtnis vom gestrigen 14. Juli 2007 - „Erinnerung<br />

leben und Verantwortung übernehmen“ – einzigartig und gerade nicht<br />

mit dieser Aufgabe in anderen Kommunen in Deutschland vergleichbar.<br />

Denn dieses Vermächtnis ist sehr viel mehr als eine reine<br />

Handlungsanweisung an uns. Es bezeichnet zugleich ein <strong>im</strong><br />

existenziellen Sinne unübertragbares und persönliches Erbe. Geht es<br />

doch um unsere We<strong>im</strong>arer Verantwortung Ihnen gegenüber: Ihnen, die<br />

Sie aus Belgien, Frankreich, Russland, Israel, Norwegen, Kroatien,<br />

Estland, Polen, Belarus,Rumänien, Kanada, Ungarn, Deutschland,<br />

Ukraine zu uns gekommen sind, um uns, der Stadt We<strong>im</strong>ar, am<br />

gestrigen Tage Ihr Vermächtnis zu übertragen. Und um die<br />

Verantwortung gegenüber all jenen <strong>von</strong> Ihnen, die am heutigen Tage<br />

nicht hier sein können: Es geht um unsere We<strong>im</strong>arer Verantwortung für<br />

Ihr Leben und Ihre Erinnerung, für Ihre Trauer und Ihre offene Frage an<br />

die Zukunft:<br />

„Wer spricht und kämpft für uns, wenn wir nicht mehr sind?“.<br />

Und wir, die Stadt We<strong>im</strong>ar, haben Ihnen allen – jedem Einzelnen <strong>von</strong><br />

Ihnen – darauf am gestrigen Tage geantwortet: Die Stadt We<strong>im</strong>ar<br />

verpflichtet sich, Ihr Vermächtnis zu pflegen, zu verteidigen und weiter zu<br />

tragen. Diese Verantwortung für Ihr Erbe umfasst den täglichen<br />

Widerstand gegen Ausländerfeindlichkeit und gegen die Verbreitung der<br />

Nazi-Ideologie. Und diese Verantwortung umfasst die lebendige<br />

Erinnerung an Ihr Leid, an Ihren Widerstand und an Ihr Engagement bis<br />

zum heutigen Tag. Die Erinnerung eines jeden Buchenwald-Häftlings<br />

wird uns <strong>im</strong> strengen Wortsinne „heilig“ bleiben: Als eine einzigartige<br />

Erinnerung, in deren Verantwortung wir leben. Ohne diese Erinnerung


und ohne diese Verantwortung sind wir auch als Gemeinwesen nicht<br />

überlebensfähig. Vielen Dank.

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