Das Reichsarbeitsdienstlager - Ferndorf
Das Reichsarbeitsdienstlager - Ferndorf
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<strong>Das</strong> <strong>Reichsarbeitsdienstlager</strong><br />
1932 -1945<br />
Dr. Harald Hockamp<br />
<strong>Das</strong> <strong>Reichsarbeitsdienstlager</strong> 11
Inhaltsverzeichnis<br />
Einleitung<br />
Die Anfänge 16<br />
Die Reichsarbeitsdienst Zeit (1935-1945) 27<br />
Verwendung der RAD-Abteilung 1/209 <strong>Ferndorf</strong> im Frieden 33<br />
Verwendung der RAD-Abteilung 1/209 <strong>Ferndorf</strong> im Krieg 36<br />
Tagesablauf 40<br />
Fazit 45<br />
Danksagung und Quellenverzeichnis<br />
Titelseite und links: NS Arbeitslager „Otto van der Haegen“ in <strong>Ferndorf</strong><br />
<strong>Das</strong> <strong>Reichsarbeitsdienstlager</strong> 13
Einleitung<br />
Der Begriff „Reichsarbeitsdienst“ weckt heute unterschiedlichste Assoziationen. Viele der<br />
Menschen, die ihn erlebt haben, erinnern sich an eine Zeit, die geprägt war von Disziplin,<br />
Kameradschaft und Gemeinschaftsgefühl. Für die Deutschen, die weder die Zeit noch den<br />
Reichsarbeitsdienst miterlebt haben, ist der Begriff stark belastet durch die Gräuel, die die<br />
nationalsozialistische Herrschaft über Europa brachte.<br />
Die wirtschaftliche Entwicklung des deutschen Reichs war nach dem Ende des Ersten Weltkriegs<br />
durch die sehr harten Friedensbedingungen des Vertrags von Versailles extrem behindert.<br />
Die sich Mitte der zwanziger Jahre trotzdem einstellende zaghafte Verbesserung der<br />
wirtschaftlichen Situation wurde durch die Weltwirtschaftskrise 1929 jäh beendet. Es setzte<br />
eine wirtschaftliche Talfahrt ohnegleichen ein, Kurzarbeit, Massenentlassungen, Konkurse<br />
und Zwangsversteigerungen waren an der Tagesordnung. Die Zahl der Arbeitslosen erhöhte<br />
sich von 1,6 Millionen im Oktober 1929 über 3 Millionen im Februar 1930 und 4 Millionen<br />
im Dezember 1930 auf 6,13 Millionen im Februar 1932. Im Siegerland erreichte die Arbeitslosigkeit<br />
ihren Höhepunkt von 10,6 % im März 1932.<br />
In diesen Jahren, zwischen 1918 und 1932, beginnt die Geschichte des Arbeitsdienstes.<br />
Die Träger der Arbeitsdienstgruppen kamen aus sehr unterschiedlichen politischen und soziologischen<br />
Bereichen. Zuerst waren da die unterschiedlichen Gruppen der Jugendbewegung<br />
wie z.B. Pfadfi nder und Wandervogel. Sie erhofften sich im Lagerleben eine Befreiung von<br />
den strengen und steifen Lebensformen der postwilhelminischen Ära. Die vorwiegend von der<br />
akademischen Jugend getragene Bewegung hatte drei Ziele. Sozialpädagogisch sah man die<br />
Kombination von Spiel, Wandern und harter Arbeit als erzieherisches Werkzeug. Mit Musikerziehung,<br />
Laienspiel, Volkstumsarbeit und Erwachsenenbildung verfolgte man kulturelle Ziele.<br />
Volkspolitische Ziele hatte man in Form von Grenzlandhilfe, Siedlungshilfe, Land und Erntedienst<br />
in besonders gefährdeten Grenz und Notstandsgebieten [BENZ u.a]. Lager dieser Art<br />
wurden von den Bünden der Jugendbewegung, von konfessionellen Verbänden und den Organisationen<br />
der Arbeiterbewegung getragen. Es muss erwähnt werden, dass dort immer Heranwachsende<br />
aus unterschiedlichen sozialen Schichten gemeinsam wohnten.<br />
Es gab auch in <strong>Ferndorf</strong> eine Jugendvereinigung, die sich unter der Leitung des Rektors Flender<br />
gegen Ende des ersten Weltkriegs etablierte. Auf ihr Betreiben wurden die Jugendherberge und<br />
das Freibad gebaut. Nach dem Tod von Rektor Flender wurde sie Teil des SGV.<br />
Die zweite Gruppe der Arbeitslagerbewegung rekrutierte sich aus alten Heeresformationen wie<br />
dem Frontkämpferbund „Stahlhelm“ oder Parteien wie der NSDAP, die den Arbeitsdienst als<br />
Ersatz für den nach 1918 von den Siegermächten verbotenen allgemeinen Wehrdienst sahen.<br />
Sie nutzten die Lager zur Disziplinierung und Wehrertüchtigung der männlichen Jugend.<br />
Als letzte Gruppe sollen die, die ein wirtschaftliches Interesse verfolgten, nicht unerwähnt<br />
bleiben. Bäuerliche Genossenschaften und kommunale Körperschaften richteten Lager ein<br />
zur Ausnutzung billiger Arbeitskräfte. Besonders unter dem Fortschreiten der Arbeitslosigkeit<br />
14
wurden solche Lager immer häufi ger gebildet.<br />
Man kann sagen, dass die Massenarbeitslosigkeit<br />
die Basis einer strukturellen Veränderung der<br />
gesamten Arbeitslagerbewegung wurde.<br />
Unter dem Eindruck der durch die wirtschaftliche<br />
Destabilisierung Deutschlands immer ungeheurere<br />
Ausmaße annehmenden Arbeitslosigkeit<br />
richtete Reichskanzler Brüning 1931 per Notverordnung<br />
die staatlichen Organisation „Freiwilliger<br />
Arbeitsdienst“ (FAD) ein. Die Idee war,<br />
wenigstens einen Teil der arbeitslosen jungen<br />
Männer durch Beschäftigung mit allgemeinnützigen<br />
Arbeiten für einen eher symbolischen Lohn<br />
„von der Straße zu holen“. Man dachte an Arbeiten<br />
wie das Trockenlegen von Sumpf- und Feuchtgebieten,<br />
das Anlegen von Straßen und Wegen<br />
und die Urbarmachung von Waldgebieten.<br />
Vermutlich älteste Darstellung freiwilliger Arbeitsdienstler<br />
aus <strong>Ferndorf</strong> bei Arbeiten im Hauberg [LS]<br />
hinten links Aufseher Hermann Münker, vorne v. l.:<br />
Helmut Schumacher, Ewald Stötzel, Karl Hartmann,<br />
Arnold Stötzel, Fritz Stötzel, Helmut Schumacher, unbekannt,<br />
hinten: Ernst Becker (mit Hut), Edmund Schröder,<br />
3 x unbekannt, auf den Knien: v. li.: Hermann Schanz,<br />
Robert Becker, unbekannt<br />
Nachdem Ende Januar 1933 Adolf Hitler Reichskanzler geworden war, wurden sehr zügig<br />
alle übrigen Arbeitsdienstlager mit denen der NSDAP gleichgeschaltet und der Arbeitsdienst<br />
damit eindeutig zu einem Erziehungsinstrument der Nationalsozialistischen Weltanschauung.<br />
Am 26. Juni 1935 wurde mit der allgemeinen Wehrpfl icht auch die Reichsarbeitsdienstpfl<br />
icht gesetzlich eingeführt. Ab nun musste jeder gesunde Mann ein halbes Jahr Dienst im<br />
Reichsarbeitsdienst ableisten, bevor er Soldat wurde oder studieren konnte. In § 1 dieses<br />
Gesetzes hieß es „Der Reichsarbeitsdienst ist Ehrendienst am Deutschen Volke“ und „Der<br />
Reichsarbeitsdienst soll die deutsche Jugend im Geiste des Nationalsozialismus zur Volksgemeinschaft<br />
und zur wahren Arbeitsauffassung, vor allem zur gebührenden Achtung der<br />
Handarbeit erziehen“.<br />
Die Jugendbewegung, die die Arbeitslageridee etabliert hatte und die 1925 das erste Arbeitslager<br />
bei Hannover einrichtete, hatte ein ganz anderes, liberaleres Denkmuster als die NSDAP,<br />
die in der Mitte der kurzen Geschichte des Arbeitsdienstes ihn zu ihren Zwecken umformierte<br />
und uniformierte. Mit dem gänzlich anderen Denkmuster der Nazis war natürlich auch der<br />
Einsatzbereich des Arbeitsdienstes festgelegt, so hat der Reichsarbeitsdienst zwar auch noch<br />
Wege und Straßen gebaut, Sümpfe trockengelegt, aber auch Truppenübungsplätze, den Westwall<br />
und die Knüppeldämme für das deutsche Heer vor Petersburg und sonst wo errichtet. Ja,<br />
gegen Ende des Krieges mussten die jungen Burschen auch noch mit Flak-Geschützen und<br />
Panzerfäusten gegen den Rest der Welt kämpfen.<br />
Im Jahr 1932 begann man auch in der Verwaltung des Amtes <strong>Ferndorf</strong> konkret über ein Barakkenlager<br />
für den FAD nachzudenken. Man wollte es auf die Viehweide Irlenhecken bauen<br />
Dr. Harald Hockamp<br />
<strong>Das</strong> <strong>Reichsarbeitsdienstlager</strong> 15
Die Anfänge<br />
Die ersten Hinweise auf die Errichtung eines Arbeitsdienstlagers in <strong>Ferndorf</strong> fi nden sich im<br />
Protokollbuch des Amtes <strong>Ferndorf</strong> vom 23. November 1927. Der Amtsrat hatte sich mit den<br />
Herren des Haubergs Komplex A der Gemeinde <strong>Ferndorf</strong> unterhalten. Man wollte das Gelände<br />
der alten Kuhweide pachten, um darauf ein Arbeitslager für die „Wohlfahrtsempfänger“ zu<br />
errichten. Es muss hier erwähnt werden, dass die Wohlfahrtsempfänger (Sozialhilfeempfänger)<br />
den Etat der Gemeinden extrem belasteten.<br />
Man war im Rat aber<br />
mit dem Ergebnis dieses<br />
Gesprächs nicht zufrieden,<br />
da die Haubergsbesitzer<br />
offensichtlich wenig Neigung<br />
zeigten, dem Amt<br />
in der gewünschten Weise<br />
entgegen zu kommen. Es<br />
wurde sogar der Verdacht<br />
geäußert, der Hauberg<br />
wolle das Thema verschleppen.<br />
Irlenhecken, bevor das Lager errichtet wurde [A HV]<br />
Es existierte in diesen Jahren in <strong>Ferndorf</strong> ein Arbeitsdienstverein. <strong>Das</strong> war ein lockerer<br />
Zusammenschluss von Arbeitslosen, die freiwillig Arbeitsdienstarbeiten verrichteten. Die<br />
Männer beschäftigten sich unter anderem mit dem Bau neuer Wege. So haben sie Forstwege<br />
gebaut z.B. den von der Waldesruh zum Birkhahn. Sie leisteten dabei schwerste körperliche<br />
Arbeit mit Hacke und Schaufel; die Arbeit wurde lediglich durch eine Lorenbahn erleichtert,<br />
die man zum Abtransport des steinigen Abraums nutzte. An einer Stelle, die heute in<br />
einem hohen Fichtenbestand liegt, haben die Männer einen Rastplatz angelegt und ihn an der<br />
Bergseite mit einer Trockenmauer abgestützt. Sie nannten diesen Platz nach ihrem Anführer<br />
Wilhelm Münker „Wilhelmsruh“. Zumindest bei den Älteren im Dorf ist der Name heute<br />
noch bekannt. Auch das Freibad in der Zitzenbach wurde in dieser Zeit (1928) auf Betreiben<br />
der <strong>Ferndorf</strong>er Jugendvereinigung und ihrem Leiter, dem Rektor Flender, vom freiwilligen<br />
Arbeitsdienst angelegt.<br />
„Arbeitgeber“ dieser Arbeitsdienstvereine waren Kirchen, Gewerkschaften, Vereine und Haubergsgenossenschaften,<br />
später auch Parteien, in dem oben geschilderten Fall vielleicht die<br />
Gemeinde <strong>Ferndorf</strong>, die Waldbesitzer oder die Haubergsgenossenschaft. Man zahlte den<br />
Männern einen kleinen Betrag (an einer Stelle wird von 1,30 RM pro Tag berichtet) und lieferte<br />
pro Kopf und Tag ein warmes Essen. Um zu verdeutlichen, wie wenig das war, wird hier<br />
erwähnt, dass die Gemeinde <strong>Ferndorf</strong>, durch die Infl ation genötigt, ihrem Hirten Sinner am<br />
12. April 1923 den Monatslohn auf 250.000 RM und eine warme Mahlzeit täglich erhöhte.<br />
Wahrscheinlich war die tägliche warme Mahlzeit wertvoller als der Geldbetrag.<br />
16
Leider war in der Zeit der<br />
Weimarer Republik das<br />
Arbeitsangebot nicht sehr<br />
groß. Aus diesem Grund<br />
wurden viele der Vereine sehr<br />
schnell auch wieder aufgelöst.<br />
Aufgrund ihres weitaus<br />
besseren Organisationsgrades<br />
blieben eigentlich nur die<br />
Abteilungen bestehen, an<br />
deren Spitze ehemalige Offi -<br />
ziere standen und deren<br />
Mitglieder Frontkämpfer des<br />
Ersten Weltkrieges waren.<br />
Der Freiwillige Arbeitsdienst beim Wegebau [A HV] - oberes Foto: an der Martins-<br />
hardt - der Kindelsbergturm im Hintergrund, oben links: Aufseher Robert Stötzel,<br />
Foto unten - oben in der Mitte: Rudolf Sinner, unten v. re.: Rudolf Stähler, Wilhelm<br />
Schäfer, unbekannt, Ernst Klappert, Ewald Giesler, Arnold Geisweid, 4 x unbekannt<br />
Gegen Ende der zwanziger<br />
Jahre verstärkte sich das Elend<br />
in der Bevölkerung infolge der<br />
Weltwirtschaftskrise immer<br />
mehr. Die Zahl der Arbeitslosen<br />
erhöhte sich täglich und<br />
erreichte 1932 ihren Höhepunkt.<br />
Der Reichskanzler<br />
Brüning erließ am 5. Juni 1931<br />
eine Notverordnung über die<br />
Bildung eines „Freiwilligen<br />
Arbeitsdienstes“. Die Leitung<br />
übertrug er an die Reichsanstalt<br />
für Arbeitsvermittlung<br />
und Arbeitslosenversicherung<br />
(heute Bundesagentur für<br />
Arbeit).<br />
Während bei den Arbeitsdienstvereinen Männer allen Alters mitmachen konnten, dachte man<br />
bei der Notverordnung nur an jüngere arbeitslose Männer bis zu 25 Jahren. Die Arbeitdienstdauer<br />
der Männer war auf 20 Wochen begrenzt. Ihre Arbeit musste „zusätzlich“ und „gemeinnützig“<br />
sein, das heißt es durfte sich nicht um Arbeitsmaßnahmen handeln, die andere Bau-<br />
oder Handwerksbetriebe gegen normale Bezahlung auch hätten ausführen können. Man<br />
wollte diesen Betrieben keinen potentiellen Auftrag vorenthalten, außerdem hatte die Arbeit<br />
der Gemeinde oder dem Staat zugute zu kommen. Die Reichsanstalt musste über Zusätzlichkeit<br />
und Gemeinnützigkeit entscheiden und die Arbeitsmaßnahmen vorbereiten. <strong>Das</strong> Reich<br />
zahlte bis zu 2 RM pro Mann und Tag, alternativ wurde die Unterstützung der Arbeitsdienstwilligen<br />
weiter gezahlt.<br />
<strong>Das</strong> <strong>Reichsarbeitsdienstlager</strong> 17
In den Jahren zwischen 1925 und 1931 hatten die Gruppen der Jugendbewegung ca. 25<br />
Arbeitslager mit etwa 2.000 Lagerteilnehmern durchgeführt. Im September 1932 gab es im<br />
gesamten Reich bereits 206.655 Beschäftigte im Arbeitsdienst, im Dezember schon 241.766.<br />
Der Gemeindechronik ist zu entnehmen, dass sich am 15. April 1932 Vertreter der Gemeinde<br />
<strong>Ferndorf</strong> erneut mit den Haubergsgenossen vom Komplex A unterhalten haben. Es sollte nun<br />
realisiert werden, was solange angedacht worden war: Man wollte endlich mit der Errichtung<br />
des Arbeitslagers auf dem Weidekampen Irlenhecken beginnen.<br />
Am 25.10.1932 schrieb der Vorsitzende des „Luftfahrtvereins Kyffhäuserjugend <strong>Ferndorf</strong><br />
e.V.“ Dr. Franz Reimer an das Landesarbeitsamt in Dortmund (vgl. Die Fliegerhalle). Er bat<br />
um schnellste Genehmigung der „Maßnahme zur Erbauung eines Fliegerheims und der damit<br />
verbundenen Vaterländischen Lehr- & Erziehungsanstalt“. In diesem Brief führte er weiter<br />
aus, dass in <strong>Ferndorf</strong> zwei große Maßnahmen geplant wären, der Bau eines geschlossenen<br />
Lagers für den Freiwilligen Arbeitsdienst und der Bau des Fliegerheims. Aus verschiedenen<br />
Gründen erschiene es den „Trägern der beiden Maßnahmen“, der Gemeinde <strong>Ferndorf</strong> und<br />
dem Luftfahrverein sinnvoll, die beiden Maßnamen gemeinsam auszuführen. Die erstklassigen<br />
jungen Männer für das Arbeitsdienstlager hätte man bereits gefunden, ebenso sei die Aufsicht<br />
in der Person des im Lager Herdorf ausgebildeten Willy Siebel auch bereits gefunden.<br />
Die jungen Männer sollten übergangsweise in der Jugendherberge nächtigen und zunächst das<br />
Fliegerheim errichten und dann selbst in das Fliegerheim ziehen, bis das Arbeitsdienstlager<br />
fertiggestellt sei. Dr. Reimer betonte ausdrücklich, dass die Gemeinde <strong>Ferndorf</strong> großen Wert<br />
auf die Errichtung des Lagers lege. In diesem Brief schilderte er auch, wie die Ausbildung der<br />
Arbeitsdienstler aussehen sollte: neben dem angesetzten Arbeitsdienst sollten die Männer ausgebildet<br />
werden in Geschichte, Geographie, Staatsbürgerkunde. Auch Freiübungen, Geräteturnen<br />
und Kleinkaliberschießen waren geplant. Zu der Ausbildung hätten sich die Fachkräfte<br />
der Kreuztaler Rektoratsschule (spätere Realschule in der Roonstraße), der <strong>Ferndorf</strong>er Rektor<br />
Robert Flender sowie der Amtsgewerbelehrer Spangenberg bereit erklärt. Die praktische Ausbildung<br />
würde der Kriegerverein übernehmen.<br />
Kriegervereine gab es zu der<br />
Zeit in fast jedem Ort. Die<br />
meisten wurden in zeitlichem<br />
Zusammenhang mit den drei<br />
preußischen Kriegen von 1864<br />
(Dänemark), 1866 (Österreich)<br />
und 1870/71 (Frankreich) gegründet.<br />
18<br />
Die <strong>Ferndorf</strong>er Jugendherberge an der<br />
Viehstraße [A HV]
In <strong>Ferndorf</strong> gab es einen<br />
Kriegerverein aus dem sich<br />
später der „Kyffhäuserverein“<br />
bildete. Die Mitglieder<br />
waren Kriegsveteranen des<br />
Ersten Weltkrieges, vielleicht<br />
auch noch von 1870/<br />
1871.<br />
<strong>Ferndorf</strong>er Kriegerverein vor der<br />
Kirchenmauer - 1903 [A HV]<br />
Im Herbst 1932, so erzählte Robert Frisch aus <strong>Ferndorf</strong>, wurde ein kleiner Trupp Arbeitsdienstwilliger,<br />
zu dem er selbst auch gehörte, von Helberhausen nach <strong>Ferndorf</strong> verlegt. Die<br />
Männer wurden in der Jugendherberge untergebracht. Die stand an der Kindelsbergstraße<br />
oberhalb des letzten Hauses links (Paul Becker). Dieser Trupp hatte die Aufgabe, beim Bau<br />
des Fliegerheims zu helfen und die Fundamente für das von der Gemeinde <strong>Ferndorf</strong> geplante<br />
Arbeitsdienstlager auszuheben. Wahrscheinlich sind wohl eher die Fundamente des Fliegerheims<br />
ausgehoben worden, denn der Amtschronik ist zu entnehmen, dass der Amtsrat im<br />
Juli 1933 immer noch über ein Arbeitsdienstlager für junge Männer in Eichen und eines für<br />
junge Frauen in Langenau nachdachte. Die Pläne für das Mädchenlager zerschlugen sich aber<br />
ganz schnell. <strong>Das</strong> Amt bemühte sich um so mehr, ein Männerlager zu erhalten. Für das Lager<br />
in Eichen waren Unterkünfte vorgesehen, die noch von Familien bewohnt wurden und die<br />
man erst noch hätte umsiedeln müssen. Es fand eine Ortsbesichtigung durch Mitglieder des<br />
Arbeitsdienstbezirks Westfalen statt. Die verwarfen diese Lösung sofort. Die verbleibenden<br />
Alternativen waren die Neuerrichtung eines Stammlagers in Eichen oder in <strong>Ferndorf</strong>-Irlenhekken.<br />
Die Kommission entschied sich für <strong>Ferndorf</strong>. Am 6. November 1933 fasste der Amtrat<br />
den Beschluss, ein Darlehen in Höhe von 42.000 RM zur Errichtung des Arbeitdienstlagers<br />
aufzunehmen. Darlehen zur Errichtung von Arbeitsdienstlagern wurden „auf Grund des § 1<br />
Abs.1 Ziffer 5 des Gesetzes vom 1. Juni 1933 und des § 12 der Durchführungsbestimmungen<br />
zu diesem Gesetz vom 28. Juni 1933“ mit lediglich 3 % verzinst. Es kam noch ein Beitrag von<br />
0.25 % Verwaltungskosten hinzu.<br />
Der Darlehenverlauf sah nach drei tilgungsfreien Jahren eine 2 % ige Abtragung vor, die aus<br />
der Miete des Lagers durch die Arbeitsgauleitung in Höhe von 3.600 RM jährlich fi nanziert<br />
werden sollte.<br />
Es wurde ausdrücklich beschlossen, dass die Lieferungen für das Lager nicht nur den<br />
Geschäftsleuten der „Belegenheitsgemeinde“, sondern denen des ganzen Amtes zu gute<br />
kommen müssen.<br />
Den arbeitsdienstwilligen Techniker Judt stellt man ab dem 25.11.1933 auf dem Bauamt ein.<br />
Er sollte sich hauptsächlich um die Bearbeitung des Arbeitsdienstprojektes und um die Bearbeitung<br />
der Vergabe der Bauaufträge kümmern.<br />
<strong>Das</strong> <strong>Reichsarbeitsdienstlager</strong> 19
Zur Vergabe der ausgeschriebenen Arbeiten wurde ein Ausschuss gebildet, der aus Bürgermeister<br />
Moning, den Ortsvorstehern Klein (<strong>Ferndorf</strong>) und Hirsch (Kreuztal) sowie den Amtverordneten<br />
Gieseler (<strong>Ferndorf</strong>) und Klein (Kreuztal) bestand.<br />
Im § 11 des schon erwähnten Vertrags vom Juli 1937 wird ein Vertrag zwischen dem Arbeitsdienst<br />
der NSDAP und dem Amt <strong>Ferndorf</strong> aufgehoben. Er wurde am 1. bzw. 10 Februar 1934<br />
geschlossen. Dieser Vertrag ist leider nicht auffi ndbar, er dokumentiert aber vermutlich das<br />
Datum der Gründung des Lagers durch die Nationalsozialisten. Auf der nächsten Doppelseite<br />
ist das Lager in der „ersten Ausbaustufe“ mit Wachbaracke, drei Mannschaftsbaracken sowie<br />
Küchenbaracke und Waschbaracke zu sehen, jeweils noch in der kleinen Ausführung. Die<br />
Bildunterschrift (nicht dargestellt) datiert das Lager zweifelsfrei in den Zeitrahmen zwischen<br />
1933-35. Es gibt auch ernst zu nehmende Zeitzeugen (Fritz Hein, Albert Klappert), die die<br />
Erbauung des Lagers eher in den Zeitraum 1934-35 datieren würden. Sie meinen sich erinnern<br />
zu können, dass die Weide Irlenhecken noch 1934 für ein Turnfest genutzt worden sei. <strong>Das</strong><br />
schlösse die Existenz eines Arbeitsdienstlagers eigentlich aus. Die von Robert Frisch, der bei<br />
den Ersten war, die am Lager in <strong>Ferndorf</strong> arbeiteten und der bis 1945 im Lager gelebt hat,<br />
zuletzt als Chef der Kleiderkammer im Range eines Unterfeldmeisters, genannte Jahreszahl<br />
1932 für die Gründung des Lagers stimmt sicherlich nicht.<br />
Wahrscheinlich 1934 lieferte und errichtete<br />
die Zimmerei Kolb aus <strong>Ferndorf</strong> mit Hilfe<br />
der Arbeitsdienstler zunächst vier Mannschaftsunterkünfte<br />
und eine Küche mit Aufenthaltsraum.<br />
Anmerkung des Autors<br />
In diesem Aufsatz werden die Begriffe Viehstraße<br />
und Kindelsbergstraße gleichberechtigt<br />
nebeneinander erwähnt. Der Grund ist<br />
keineswegs eine Umbenennung des Namens<br />
während dieser Zeit. Die Straße hieß nämlich<br />
immer offi ziell Kindelsbergstraße, wurde aber<br />
von den <strong>Ferndorf</strong>ern fast ausschließlich als<br />
Viehstraße bezeichnet, weil auf ihr jeden<br />
Morgen der Hirte seinen Hudeweg mit dem<br />
Vieh der Bauern begann. So erzählt es der Ex-<br />
Aushilfshirte Fritz Hein.<br />
20<br />
Drei Baracken wurden unterhalb der Viehstraße<br />
parallel zur Straße errichtet. Die vierte<br />
Baracke baute man rechtwinklig zur dritten<br />
in Berg-Tal-Richtung (auf dem Lageplan Nr.<br />
1-4). Sie waren alle in vier gleich große<br />
Zimmer unterteilt, die mit mehrstöckigen<br />
Betten, ein paar Hockern, Spinden, Tischen<br />
und einem Ofen eingerichtet waren.<br />
Grundriss von einer<br />
Mannschaftsbaracke<br />
Typ RL IV
Aus einem in Eichen zwischenzeitlich aufgelösten FAD-Lager erhielt das Lager in <strong>Ferndorf</strong><br />
68 eiserne Bettgestelle, 35 Tische, 72 Spinde, 14 Öfen und anderes zur Ausstattung der Räume.<br />
Dafür wurden insgesamt 2.700 RM an die Eichener Hüttenwerke (Walzwerke) gezahlt, die<br />
damals Träger der Unterkunft des Eichener Lagers gewesen waren.<br />
Es schliefen 17 Mann (ein Trupp) in einem Zimmer. Auch überzählige Truppführer und Vormänner<br />
schliefen mit der Mannschaft zusammen. Die einzelnen Räume wurden, wenn es nötig<br />
war, mit den Öfen geheizt. Wegen der Feuergefahr mussten sie aber spätestens um 22 Uhr aus<br />
sein, die Stuben blieben dann bis zum Morgen unbeheizt. In knackig kalten Winternächten<br />
war es dort, gemessen an unseren heutigen zentralbeheizten Wärmevorstellungen, erbärmlich<br />
kalt, die Fensterscheiben vom Schwitzwasser mit Eisblumen zugefroren. Selbst der Gang zur<br />
Toilette, der auch für Arbeitsdienstler nachts mal notwendig war, durfte nicht bis zur nächsten<br />
Ecke abgekürzt werden. Die Nachtwache hatte Anweisung darauf zu achten, dass jeder den<br />
dann langen Weg zum Aborthäuschen ging.<br />
Die Küchenbaracke (Nr. 5 und 6)<br />
wurde wieder parallel zum Hang<br />
angeordnet, so das ein U-förmiges<br />
Lager entstand. Diese Baracke war<br />
in einen großen Speiseraum und<br />
eine Küche unterteilt.<br />
<strong>Das</strong> Kücheninventar war ziemlich<br />
üppig und umfangreich. Zu den<br />
eindruckvollsten Geräten gehörten<br />
sicherlich zwei Glycerinbadkochkessel<br />
mit 200 und 250 Litern<br />
Fassungsvermögen und ein doppelwandiger<br />
Kochkessel mit 350<br />
Litern Inhalt.<br />
Grundriss der Küchenbaracke Typ RL VII<br />
Blick in einen Mannschaftsraum [JR]<br />
<strong>Das</strong> <strong>Reichsarbeitsdienstlager</strong> 21
Blick in die Küche [JR] Freizeit im Speiseraum [JR]<br />
Zur Küche gehörte noch ein kleiner Vorratsraum, von dem aus man über eíne Treppe in den<br />
Keller gehen konnte. Dort wurden weitere Vorräte, vor allem Kartoffeln und Heizmaterial<br />
gelagert. Die Küche war über zwei Durchreichen mit dem Speiseraum verbunden. In dem<br />
Speiseraum konnten alle Lagerinsassen gleichzeitig ihr Essen einnehmen. Er diente aber auch<br />
zur Ausbildung der Arbeitsmänner oder als Gesellschaftsraum.<br />
Auch die Baracke Nr. 4 (sie war etwa dort, wo heute das Dorfgemeinschaftshaus steht) war<br />
unterkellert. Hier lagerte man Lebensmittel. In der oberen bergseitigen Hälfte befand sich die<br />
Bekleidungskammer.<br />
Die Baracken hatten identische Abmessungen, sie waren 26,65 m lang und 8,20 m breit, die<br />
Höhe betrug 2,55 m. Je nach Verwendungszweck unterschieden sie sich jedoch in ihrer Innenaufteilung.<br />
Nur die Küchenbaracke war mit 36,55 m deutlich länger. Trotzdem war sie wohl<br />
später zu klein, denn sie wurde erweitert.<br />
<strong>Das</strong> Arbeitsdienstlager des freiwilligen Arbeitsdienstes 1934 [A HV]<br />
22
Im Tagebuch des Gruppenleiters<br />
Oberstfeldmeister (OFM) Vetter<br />
fi ndet sich am 18.12.1938 die<br />
Bemerkung, dass er gemeinsam<br />
mit OFM Kruse die Lagerkantine<br />
in <strong>Ferndorf</strong> eingeweiht habe. Auf<br />
Fotos kann man erkennen, dass die<br />
Kantine später um etwa 8-9 m verlängert<br />
wurde.<br />
Der Arbeitsdienst baut seine Waschbaracke<br />
[JR]<br />
Die Dächer waren mit Dachpappe eingedeckt. Die Wandkonstruktion bestand aus ca. 1 m<br />
breiten Elementen aus parallel angeordneten Holzbrettern, die rechts und links durch Brettereinfassungen<br />
und Verschraubungen fi xiert waren. So konnte man sie leicht zu einer Baracke<br />
zusammenfügen und wieder abbauen. <strong>Das</strong> war für den Fall wichtig, dass im regionalen<br />
Umkreis die bewilligten Arbeitsmaßnamen abgearbeitet waren. <strong>Das</strong> Lager wurde dann abgebrochen<br />
und an anderer Stelle wieder aufgebaut.<br />
Die noch dringend erforderliche Waschbaracke (Nr. 7) wurde ebenfalls von der Zimmerei<br />
Kolb geliefert. Aufgebaut aber haben sie die Arbeitsdienstler selbst. Sie errichteten sie neben<br />
der Küchenbaracke. Im Gegensatz zu den ersten Baracken waren die Waschbaracke und auch<br />
alle folgenden Baracken teilweise vormontiert. Offensichtlich hatten sich einige Zimmereien<br />
im ganzen Reich auf die Produktion von vormontierten Arbeitsdienstbaracken spezialisiert.<br />
Fritz Hein berichtet, dass auch in der fernen Rhön, wo er seinen Arbeitsdienst ableistete, die<br />
Baracken von der Zimmerei Kolb geliefert worden seien. Für die verschiedenen Baracken gab<br />
es daher eine genaue Typisierung.<br />
Die Waschbaracke - unteres linkes Gebäude - steht [A HV]<br />
<strong>Das</strong> <strong>Reichsarbeitsdienstlager</strong> 23