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Zukunft und Zusammenhalt – Für ein soziales Sachsen

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<strong>Zukunft</strong> <strong>und</strong> <strong>Zusammenhalt</strong> <strong>–</strong><br />

<strong>Für</strong> <strong>ein</strong> <strong>soziales</strong> <strong>Sachsen</strong><br />

Wohlfahrtsbericht 2010 der<br />

Spitzenverbände der Freien<br />

Wohlfahrtspflege in <strong>Sachsen</strong>


<strong>Zukunft</strong> <strong>und</strong> <strong>Zusammenhalt</strong> <strong>–</strong> <strong>Für</strong> <strong>ein</strong> <strong>soziales</strong> <strong>Sachsen</strong><br />

Wohlfahrtsbericht 2010 der Freien Wohlfahrtspflege in <strong>Sachsen</strong><br />

Herausgeber: Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege<br />

Vorsitzende: Beate Hennig (V.i.S.d.P.)<br />

Redaktion: Yannis Brauweiler, Ulrich Karg, Hans-Jürgen Meurer, Ines Vogel,<br />

Sigrid Winkler-Schwarz, Antonie Muschalek, Thomas Neumann, Andreas<br />

Schuppert,<br />

Fotos: DCV/KNA, Harald Opitz, Caritas-Archiv, Wohlfahrtsverbände<br />

Druck: Lißner-Druck, Dresden


Inhalt<br />

Vorwort 5<br />

Soziale Das<strong>ein</strong>svorsorge als staatliche Aufgabe 6<br />

<strong>Zukunft</strong>spolitik: Kinder <strong>und</strong> Jugendliche stärken 7<br />

<strong>Sachsen</strong> <strong>–</strong> das am schnellsten alternde B<strong>und</strong>esland 10<br />

Menschen mit Behinderung <strong>–</strong> Alle müssen können dürfen 12<br />

Gr<strong>und</strong>recht „Dach über den Kopf“ <strong>–</strong> Menschen in Wohnungsnot 15<br />

Leere Taschen <strong>–</strong> Menschen in Überschuldungssituatonen 16<br />

Fern der Heimat <strong>–</strong> Asylbewerber <strong>und</strong> Menschen mit Duldungsstatus 18<br />

Handeln für den Menschen <strong>–</strong><br />

Die Bedeutung der Freien Wohlfahrtspflege in <strong>Sachsen</strong> 19<br />

Praxisbeispiele<br />

Arbeiterwohlfahrt<br />

Hilfe, wenn Ausweglosigkeit <strong>und</strong> Angst erdrückt<br />

AWO-Schuldnerberatung Hoyerswerda lässt Menschen wieder wachsen 21<br />

Wozu eigentlich Spitzenverbände?<br />

AWO-Initiative „Ich lebe ges<strong>und</strong>“ sorgt für die Umsetzung sächsischer<br />

Ges<strong>und</strong>heitsziele 22<br />

Caritas<br />

Teilhabe ermöglichen <strong>–</strong> Der Caritasladen in Leipzig<br />

hilft Menschen in Not 24<br />

„Treffen kann es jeden“ <strong>–</strong> 25 Jahre Caritas-Suchtberatung in Dresden 25<br />

Deutsches Rotes Kreuz (DRK)<br />

Vorurteile abbauen <strong>–</strong> Die Migrationserstberatung des<br />

Deutschen Roten Kreuzes 27<br />

Diakonisches Werk<br />

Alle machen mit <strong>–</strong> Spielplatztreff der Diakonie in Dresden 29<br />

Betroffene erfahren Zuspruch <strong>und</strong> Mitgefühl <strong>–</strong><br />

Die Diakoniewohnunglosenhilfe der Stadt Zwickau 30<br />

PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband<br />

Leben in der Gesellschaft sichern <strong>–</strong><br />

Kontakt- <strong>und</strong> Beratungsstellen für Menschen mit<br />

(chronisch) psychischer Erkrankung 31<br />

Leben im Alter <strong>–</strong> Das Pflegeheim der vierten Generation 33<br />

Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland<br />

Der Hilfebedarf steigt <strong>–</strong><br />

Unterstützung für die jüdischen Gem<strong>ein</strong>den in <strong>Sachsen</strong> 34<br />

3


Vorwort<br />

Zu k<strong>ein</strong>er Zeit war das Spannungsfeld<br />

zwischen den Anforderungen an die soziale<br />

Das<strong>ein</strong>svorsorge <strong>und</strong> schwindenden<br />

Finanzmitteln so groß wie heute. Im Europäischen<br />

Jahr gegen Armut <strong>und</strong> Ausgrenzung<br />

ersch<strong>ein</strong>t dies besonders bitter, da<br />

aktuelle Zahlen zur Armutsgefährdung<br />

in <strong>Sachsen</strong> die erforderliche Handlungsnotwendigkeit<br />

unterstreichen. Der dritte<br />

Wohlfahrtsbericht der Liga der Freien<br />

Wohlfahrtspflege möchte auf konkret<br />

bestehende Engpässe <strong>und</strong> Problemlagen<br />

hinweisen, aber auch Handlungsoptionen<br />

aufzeigen.<br />

Die <strong>ein</strong>schneidenden Veränderungen in<br />

der sächsischen Finanzpolitik, mit ihrer<br />

ausschließlichen Fokussierung auf die<br />

finanzielle Entlastung zukünftiger Generationen,<br />

verkennt die bestehenden Erfordernisse<br />

sozialen Handelns. Wird damit<br />

der Rückzug des Freistaates aus s<strong>ein</strong>er<br />

Verantwortung für die soziale Das<strong>ein</strong>svorsorge<br />

<strong>ein</strong>geleitet? Ist die Chance auf <strong>ein</strong>e<br />

gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe<br />

aller Menschen so noch gegeben?<br />

Die <strong>Zukunft</strong>splanung unserer Gesellschaft<br />

ist auf <strong>ein</strong> ganzheitliches F<strong>und</strong>ament zu<br />

Wer ist die Liga?<br />

stellen, bei<br />

dem sowohl<br />

ökonomische<br />

als auch soziale<br />

Aspekte<br />

gleichermaßen<br />

Berücksichtigung<br />

finden<br />

müssen.<br />

Andernfalls<br />

werden sich<br />

die kurzfristigen<br />

finanziellen Entlastungen in langfristige<br />

soziale Belastungen für alle Generationen<br />

wandeln.<br />

Die Liga der Freien Wohlfahrtspflege<br />

ist bereit, sich aktiv am Dialog um die<br />

ganzheitliche Gestaltung der <strong>Zukunft</strong><br />

<strong>Sachsen</strong>s zu beteiligen. Der vorliegende<br />

Wohlfahrtsbericht lädt <strong>ein</strong>, über verschiedene<br />

Aspekte dieser gesellschaftlichen<br />

Herausforderungen ins Gespräch zu<br />

kommen. Wir freuen uns auf Ihre Rückmeldungen.<br />

Beate Hennig<br />

Liga-Vorsitzende<br />

Die „Liga“ ist der Zusammenschluss der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege<br />

im Freistaat <strong>Sachsen</strong>, die durch unterschiedliche weltanschauliche <strong>und</strong> religiöse<br />

Motive oder Zielvorstellungen geprägt sind. Aufgabe der Spitzenverbände der Freien<br />

Wohlfahrtspflege ist es, in verschiedenen gesellschaftlichen <strong>und</strong> politischen Bereichen<br />

die Interessen der Schwachen <strong>und</strong> Benachteiligten in Anwaltsfunktion zu vertreten <strong>und</strong><br />

wahrzunehmen. Zur Liga in <strong>Sachsen</strong> gehören die Arbeitwohlfahrt, die Caritas, das<br />

Deutsche Rote Kreuz, das Diakonische Werk, der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband<br />

<strong>und</strong> die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.<br />

5


Die Situation in <strong>Sachsen</strong>/Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe<br />

Soziale Das<strong>ein</strong>svorsorge als staatliche Aufgabe<br />

Die B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland ist <strong>ein</strong> demokratischer <strong>und</strong> sozialer Rechtsstaat. Das<br />

in Artikel 20 des Gr<strong>und</strong>gesetzes geregelte Sozialstaatsprinzip ist unmittelbar geltendes<br />

Recht, bedarf aber der Konkretisierung. Es lässt dabei <strong>ein</strong>en hohen politischen Gestaltungsspielraum<br />

zu <strong>–</strong> was dazu führte, dass der Sozialstaat bedingt durch die wirtschaftliche<br />

<strong>und</strong> politische Entwicklung vor allem in den vergangenen 20 Jahren zunehmend<br />

vom Prinzip der Ökonomisierung geprägt wurde. Im Zuge des Paradigmenwechsels von<br />

nachsorgenden zum aktivierenden Sozialstaat entstanden Lücken im sozialen System, die<br />

für <strong>ein</strong>ige Menschen existenzbedrohende Situationen herbeiführten.<br />

Die Wohlfahrtsverbände wirken als selbstständige Akteure an der Gestaltung des Sozialstaates<br />

mit. Als Teil des sozialstaatlichen Systems nehmen sie im Auftrag des Staates die<br />

vielfältigen sozialen Aufgaben wahr, erbringen Leistungen <strong>und</strong> lösen Rechtsansprüche <strong>ein</strong>.<br />

Ohne die Wohlfahrtsverbände als Anbieter professioneller Leistungen, Anwälte der Hilfsbedürftigen<br />

<strong>und</strong> benachteiligten Menschen, als Frühwarnsystem <strong>und</strong> Innovationsmotor<br />

der sozialen Arbeit ist <strong>ein</strong> Sozialstaat moderner Prägung nicht denkbar. Die Bewältigung<br />

gesellschaftlicher Herausforderungen <strong>–</strong> von der Verfestigung <strong>und</strong> Vererbung von Armut bis<br />

zur erschwerten Erreichbarkeit <strong>ein</strong>zelner Bevölkerungsgruppen <strong>–</strong> setzt starke Wohlfahrtsverbände<br />

<strong>und</strong> <strong>ein</strong>e aufmerksame Politik voraus.<br />

Umso erstaunlicher ist es, dass die aktuelle gesellschafts- <strong>und</strong> sozialpolitische Debatte,<br />

sowohl auf B<strong>und</strong>es- als auch auf Landesebene, ausschließlich unter pseudo-ökonomischen<br />

Aspekten geführt wird. Angesichts dieser Diskussion geraten Rolle <strong>und</strong> Funktion<br />

des Sozialstaates <strong>und</strong> die Rolle der Wohlfahrtsverbände in <strong>ein</strong> eigenartiges Licht: Beide<br />

werden nur noch als Kostenfaktor gesehen.<br />

Dies ist vor dem Hintergr<strong>und</strong> rückläufiger Steuer<strong>ein</strong>nahmen sowie schwieriger wirtschaftlicher<br />

Rahmenbedingungen <strong>und</strong> dem Ziel <strong>ein</strong>es ausgeglichenen Haushaltes vielleicht nahe<br />

liegend, aber k<strong>ein</strong>eswegs zwingend oder vorausschauend. Denn soziale Arbeit ist präventive<br />

Arbeit. Auch <strong>und</strong> gerade in ökonomischer Sicht. Die Folgekosten der jetzigen Kürzungen<br />

werden um <strong>ein</strong> Vielfaches höher liegen als die geplanten Einsparungen. Gerade<br />

Bereiche wie die Jugend- <strong>und</strong> die Suchtkrankenhilfe sind auf lange Sicht ausgerichtet <strong>und</strong><br />

bedürfen zur Umsetzung ihrer Konzepte auskömmlicher, verlässlicher Finanzierung. Das<br />

an dieser Stelle kurzfristig <strong>ein</strong>gesparte Geld mag auf den ersten Blick die Verlagerung von<br />

Schulden in die nächste Generationen verhindern. Doch akut bestehende Bedarfe lassen<br />

sich nicht gleichermaßen st<strong>und</strong>en. Eine vernünftige Haushaltsplanung spart intelligent,<br />

berücksichtigt die langfristigen Auswirkungen von Einsparungen <strong>und</strong> wird der staatlichen<br />

Verpflichtung zur sozialen Das<strong>ein</strong>svorsorge gerecht.<br />

6


Der Zusammenarbeit von Freistaat <strong>und</strong> Kommunen kommt bei der sozialen Das<strong>ein</strong>svorsorge<br />

<strong>ein</strong>e besondere Rolle zu. Eine Mischfinanzierung ermöglicht, dass die soziale<br />

Infrastruktur vor Ort bedarfsgerecht entwickelt werden kann. Die Mittelkürzung auf Landesebene<br />

stellt Gem<strong>ein</strong>den, Städte <strong>und</strong> Landkreise vor <strong>ein</strong>e unlösbare Aufgabe. Insbesondere<br />

wenn sie im laufenden Haushalt <strong>und</strong> zudem rückwirkend erfolgt. Eine Kompensation<br />

der Ausfälle ist nahezu unmöglich, da die kommunale Finanzsituation bereits jetzt<br />

angespannt ist. So entsteht <strong>ein</strong> Verschiebebahnhof auf Kosten von Familien, Kindern <strong>und</strong><br />

sozial Schwachen.<br />

Verfestigen sich die in der 5. Legislatur begonnen Tendenzen der Sozialpolitik, ist mit <strong>ein</strong>em<br />

Rückgang an sozialen Angeboten <strong>und</strong> dem Verlust von Arbeitsplätzen zu rechnen. Besonders<br />

im ländlichen Raum wird es zu nachhaltig negativen Auswirkungen in der Versorgung<br />

mit sozialen Diensten kommen. Die Lebensqualität wird damit weiter <strong>ein</strong>geschränkt <strong>und</strong><br />

die Attraktivität dieser Lebensräume gesenkt. Hinzu kommen die Herausforderungen des<br />

demographischen Wandels, denen dann nicht mehr Rechnung getragen werden kann.<br />

Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in <strong>Sachsen</strong> wird zum leeren Versprechen.<br />

Gerade weil Solidarpaktmittel auslaufen, EU-Fördermittel schwinden <strong>und</strong> Steuer<strong>ein</strong>nahmen<br />

sinken, muss der Freistaat in <strong>ein</strong>e krisensichere soziale Infrastruktur investieren.<br />

Die Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege fordert daher, im folgenden<br />

Doppelhaushalt des Freistaates <strong>Sachsen</strong> in den Bereichen Bildung <strong>und</strong> Soziales mindestens<br />

die Mittel <strong>ein</strong>zustellen, wie sie im Haushaltsansatz 2009/2010 vorgesehen waren.<br />

Jede weitere Reduzierung schränkt die Handlungsfähigkeit aller Akteure unzulässig <strong>ein</strong>.<br />

Damit entzieht sich der Freistaat <strong>Sachsen</strong> s<strong>ein</strong>er Pflicht, jedem Bürger <strong>ein</strong>e menschenwürdige<br />

Existenz zu ermöglichen.<br />

<strong>Zukunft</strong>spolitik: Familien, Kinder <strong>und</strong> Jugendliche stärken<br />

Die Förderung von Heranwachsenden ist für die <strong>Zukunft</strong>ssicherung <strong>ein</strong>es Landes essentiell.<br />

Diesem Ziel sind sowohl Familie <strong>und</strong> Schule als auch die Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe<br />

verpflichtet.<br />

Steigende Armutsrisiken <strong>und</strong> die demografische Entwicklung stellen jedoch gerade für Familien<br />

<strong>ein</strong>e zunehmende Belastung dar. Deshalb sind sie mitunter nicht in der Lage, ihren<br />

Teil der Förderung im erforderlichen <strong>und</strong> erwartbaren Maß beizutragen. Gleichzeitig sind<br />

die Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen <strong>ein</strong>er stetig steigenden Anforderung an Normverhalten <strong>und</strong><br />

Leistungsfähigkeit ausgesetzt. Dieser hohe Anspruch führt vermehrt zur Erfahrung von<br />

Misserfolgen, die mit zunehmenden Versagensängsten <strong>ein</strong>hergehen können.<br />

7


8<br />

Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe<br />

Gerade aus diesem Gr<strong>und</strong> ist der Zusammenhang von sozialer Herkunft <strong>und</strong> Bildungschancen<br />

in zukünftigen Generationen zu durchbrechen. Hierfür ist <strong>ein</strong> durchgängiger individueller<br />

Bildungs- <strong>und</strong> Erziehungsansatz notwendig. Dieser befähigt Heranwachsende,<br />

<strong>ein</strong>en qualifizierten Schulabschluss zu erreichen, <strong>ein</strong>e Ausbildung zu absolvieren <strong>und</strong> damit<br />

im Erwerbsleben Fuß zu fassen. Die Chancen von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen, die mit<br />

sozialen Benachteiligungen <strong>und</strong> individuellen Be<strong>ein</strong>trächtigungen leben müssen, können<br />

auf diesem Weg nachhaltig verbessert werden.<br />

Die Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe unterstützt diesen Ansatz unter anderem durch:<br />

Kindertages<strong>ein</strong>richtungen <strong>–</strong> Studien haben gezeigt, dass der frühzeitige Besuch von<br />

Kindertages<strong>ein</strong>richtungen die Aussicht auf <strong>ein</strong>en höheren Bildungsabschluss verbessert.<br />

Die derzeitige Praxis in <strong>Sachsen</strong>, den Kita-Besuch von Kindern insbesondere arbeitsloser<br />

Eltern durch Ausschlusskriterien zu beschränken, ist daher als kontraproduktiv zu bewerten.<br />

Kinder- <strong>und</strong> Jugendarbeit <strong>–</strong> Sie schafft Freiräume für emotionale, soziale <strong>und</strong> sinnhafte<br />

Erfahrungen <strong>und</strong> Erfolgserlebnisse. Sie kann soziale Unterstützung organisieren, Perspektiven<br />

aufzeigen <strong>und</strong> Widerstandsfähigkeit fördern.<br />

Schulsozialarbeit <strong>–</strong> Sie stärkt <strong>und</strong> begleitet junge Menschen am Bildungs- <strong>und</strong> Lebensort


Schule. Sie trägt zum Bildungserfolg sowie zu gelingenden Übergängen in Ausbildung<br />

<strong>und</strong> Beruf bei.<br />

Familienbildung <strong>und</strong> Erziehungsberatung <strong>–</strong> Dank <strong>ein</strong>es niedrigschwelligen Zugangs<br />

eröffnet sie für Betroffene <strong>und</strong> Familien die Chance, ihre eigenen Stärken <strong>und</strong> Potentiale<br />

zu erkennen <strong>und</strong> zu nutzen. Seit <strong>ein</strong>igen Jahren zieht sich der Freistaat aus s<strong>ein</strong>er aktiven<br />

Steuerungsverantwortung für die Weiterentwicklung <strong>und</strong> für den gleichmäßigen Ausbau<br />

der Kinder- <strong>und</strong> Jugendhilfe in <strong>Sachsen</strong> schrittweise zurück.<br />

Im Zuge der letzten Verwaltungs- <strong>und</strong> Strukturreform wurde das Landesjugendamt in<br />

das Sächsische Staatsministerium für Soziales <strong>und</strong> Verbraucherschutz <strong>ein</strong>gegliedert. Der<br />

Kommunale Sozialverband <strong>Sachsen</strong> wurde Bewilligungsbehörde für die Jugendhilfeförderung<br />

des Landes. Damit entstanden neue bürokratische Hürden. Durch die für das<br />

Jahr 2010 um 30 Prozent reduzierte Jugendhilfeförderung schwächt der Freistaat nun<br />

das Netzwerk nachhaltiger Jugendarbeit entscheidend. Dies steht im gravierenden Widerspruch<br />

zu s<strong>ein</strong>er Verpflichtung gegenüber künftigen Generationen.<br />

Deshalb fordert die Liga<br />

Die Sicherstellung der individuellen Bildung, Erziehung <strong>und</strong> Betreuung aller Kinder in<br />

Kindertages<strong>ein</strong>richtungen durch <strong>ein</strong>en ausreichenden Personalschlüssel.<br />

Schulsozialarbeit für alle bestehenden Mittel- <strong>und</strong> Förderschulen sowie <strong>ein</strong>e flächendeckende<br />

Infrastruktur an professioneller Jugendarbeit, insbesondere im ländlichen Raum.<br />

Förderung von Beratungsstellen für Kinder, Jugendliche <strong>und</strong> ihre Eltern nach fachlich<br />

anerkannten Vorsorgungsschlüsseln sowie auskömmliche Familienbildung.<br />

Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der finanziellen Situation im Freistaat wird empfohlen, die Finanzierung<br />

sozialer Infrastruktur für Kinder, Jugendliche <strong>und</strong> Familien zu sichern, anstatt<br />

Maßnahmen individueller Förderung, zum Beispiel Landeserziehungsgeld, zu verfolgen.<br />

Zahlen <strong>und</strong> Fakten<br />

29,3 Prozent der sächsischen Familien mit minderjährigen Kindern sind auf Gr<strong>und</strong>sicherungsleistungen<br />

angewiesen (B<strong>und</strong>esdurchschnitt 14,3 Prozent).<br />

Bei All<strong>ein</strong>erziehenden mit minderjährigen Kindern sind es 52,9 Prozent.<br />

Knapp <strong>ein</strong> Drittel der unter 15-jährigen im Freistaat lebt von Sozialgeld nach SGB II.<br />

9


Altenhilfe<br />

<strong>Sachsen</strong> <strong>–</strong> das am schnellsten alternde B<strong>und</strong>esland<br />

Der demographische Wandel wird in allen gesellschaftlichen Bereichen zu gr<strong>und</strong>legenden<br />

Veränderungen führen. Besonders sichtbar werden die Auswirkungen im Bereich der Pflege<br />

<strong>und</strong> Altenhilfe. <strong>Sachsen</strong> steht in der demographischen Entwicklung b<strong>und</strong>esweit an der<br />

Spitze <strong>und</strong> damit vor großen Herausforderungen.<br />

In der eigenen Häuslichkeit <strong>und</strong> Lebenswelt älter zu werden, ist der Wunsch vieler Menschen.<br />

Unter Berücksichtigung dieses Aspekts wurde in den vergangenen Jahren unter<br />

großer Anstrengung <strong>ein</strong>e funktionierende Infrastruktur aufgebaut. Sich verändernde familiäre<br />

Strukturen schränken die zukünftige Leistungsfähigkeit der Pflege <strong>und</strong> Betreuung<br />

durch Angehörige jedoch <strong>ein</strong>. Der Ausbau stationärer Pflegeplätze stellt dabei jedoch k<strong>ein</strong>e<br />

Alternative dar.<br />

Ergänzend zu den Betreuungs- <strong>und</strong> Pflegeleistungen sind auch die Gesichtspunkte des<br />

Soziallebens zu berücksichtigen. Begegnungsstätten <strong>und</strong> gem<strong>ein</strong>schaftliche Aktivitäten<br />

leisten <strong>ein</strong>en wichtigen Beitrag zur Lebensqualität im Alter. Das Engagement von Freiwilligen<br />

<strong>und</strong> Ehrenamtlichen spielt hierbei ebenfalls <strong>ein</strong>e nicht zu unterschätzende Rolle.<br />

Aus der Alterung der Gesellschaft ergeben sich nicht nur steigende Pflege- <strong>und</strong> Betreuungsbedarfe<br />

sowie die Notwendigkeit adäquater Begegnungszentren, sondern auch <strong>ein</strong><br />

steigender finanzieller Mehrbedarf. Die Sozialleistungsträger sehen sich mit <strong>ein</strong>er angespannten<br />

Haushaltssituation konfrontiert, <strong>und</strong> die anstehenden Ausgaben erfordern <strong>ein</strong>e<br />

Priorisierung.<br />

Ein möglichst langes Wohnen in der eigenen Wohnung ist dabei besonders zu fördern.<br />

Die Etablierung <strong>ein</strong>es aufsuchenden Dienstes, der in Anbindung an bestehende Strukturen<br />

wie Begegnungsstätten, Sozialstationen <strong>und</strong> ambulante Dienste agiert, wird zukünftig<br />

notwendig s<strong>ein</strong>. Ziel solcher Angebote ist es, Unterstützungs- <strong>und</strong> Hilfsleistungen für den<br />

Alltag zu schaffen, um die teilweise abnehmende Verfügbarkeit von familiärer Hilfe auszugleichen.<br />

Neben dem Erhalt <strong>und</strong> der Stärkung existierender professioneller Angebote<br />

10<br />

Zahlen <strong>und</strong> Fakten<br />

2020 ist bereits <strong>ein</strong> Drittel aller <strong>Sachsen</strong> über 60 Jahre <strong>–</strong> Tendenz steigend.<br />

70 Prozent aller Pflegeleistungen werden im häuslichen Bereich erbracht.<br />

127 000 Personen erhielten 2007 auf Gr<strong>und</strong> kognitiv <strong>ein</strong>geschränkter Alltagskompetenz<br />

Pflegeleistungen nach SGB XI <strong>–</strong> Tendenz steigend.


müssen Ehrenamtliche hinzugewonnen, begleitet <strong>und</strong> qualifiziert werden. Nachbarschaftshilfe<br />

<strong>und</strong> Freiwilligenengagement erhalten also <strong>ein</strong>en zunehmend wichtigen Stellenwert als<br />

notwendige Ergänzung zu hauptberuflichen Leistungen. Der Einsatz von Ehrenamtlichen<br />

kann jedoch k<strong>ein</strong> Ersatz für professionell ausgebildete Fachkräfte s<strong>ein</strong>. Zusätzlich bedarf<br />

es der Entwicklung von Wohnkonzepten wie beispielsweise dem Mehrgenerationenwohnen,<br />

aber auch der Anpassung von Wohnraum an altersgerechte Erfordernisse. Dazu<br />

gehört ebenso <strong>ein</strong> gut erreichbarer Ort für Begegnungs- <strong>und</strong> Gem<strong>ein</strong>schaftsaktivitäten,<br />

der <strong>ein</strong> Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe <strong>und</strong> Kommunikation ermöglicht.<br />

Nicht nur die praktische Umsetzung von Pflege muss sich an den Erfordernissen orientieren.<br />

Dies gilt auch für die Neudefinition des Begriffs der Pflegebedürftigkeit. Dieser ist vorrangig<br />

auf die Betreuung in der vertrauten Lebenswelt auszurichten. Nicht zu vergessen ist<br />

die soziale Absicherung von pflegenden Angehörigen. Analog zu den Unterstützungsleistungen<br />

in der Kinderbetreuung muss auch für pflegende Angehörige <strong>ein</strong>e entsprechende<br />

Hilfe erfolgen. Insbesondere dann, wenn die berufliche Tätigkeit ausgesetzt <strong>und</strong> somit auf<br />

<strong>ein</strong> geregeltes Einkommen verzichtet wird, muss <strong>ein</strong>e finanzielle Absicherung greifen. Die<br />

soziale Das<strong>ein</strong>svorsorge ist so zu gestalten, dass Altersarmut für pflegende Angehörige<br />

<strong>und</strong> pflegebedürftige Menschen gleichermaßen ausgeschlossen wird.<br />

Deshalb fordert die Liga<br />

altersgerechte (barrierefreie) Wohnangebote zu schaffen, die durch <strong>ein</strong>e altersgerechte<br />

Anpassung des Wohnumfeldes ergänzt werden. Bereits heute bestehen Fördermöglichkeiten,<br />

die <strong>ein</strong>e solche Anpassung ermöglichen <strong>und</strong> durch Wohnungsunternehmen <strong>und</strong><br />

-eigentümer stärker genutzt werden sollten. Die öffentliche Hand muss solchen Möglichkeiten<br />

die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen.<br />

den Erhalt <strong>und</strong> die Weiterentwicklung ambulanter, niedrigschwelliger <strong>und</strong> offener Angebote<br />

zur Sicherung der Versorgung <strong>und</strong> Teilhabe älterer <strong>und</strong> pflegebedürftiger Menschen,<br />

vorrangig in ihrer eigenen Häuslichkeit. Hierfür ist <strong>ein</strong>e regelmäßige Abstimmung aller im<br />

Hilfenetz tätigen Versorgungsakteure <strong>und</strong> beteiligten Partner zum weiteren Handlungsbedarf<br />

erforderlich. Dies muss auf Gr<strong>und</strong>lage <strong>ein</strong>es Abgleichs zwischen dem erreichtem<br />

Stand <strong>und</strong> der auf die künftige Entwicklung ausgerichteten integrierten Sozialplanung der<br />

Kommune erfolgen.<br />

die vorhandenen Ressourcen zu stärken. Dies gilt sowohl für die älteren pflegebedürftigen<br />

Menschen selbst <strong>und</strong> ihre pflegenden Angehörigen als auch für die professionellen<br />

Versorgungsakteure, sowie für die beteiligten Ehrenamtlichen. Dies kann insbesondere<br />

durch zielgruppenspezifische Unterstützungsangebote erfolgen wie beispielsweise Motivation,<br />

Ges<strong>und</strong>heitsförderung <strong>und</strong> weitergehende Qualifizierungen.<br />

11


Menschen mit Behinderungen<br />

Menschen mit Behinderungen <strong>–</strong> Alle müssen können dürfen<br />

In <strong>Sachsen</strong> leben mehr als 300 000 Menschen mit <strong>ein</strong>er Behinderung <strong>–</strong> Tendenz steigend.<br />

Gerade für Menschen mit Behinderung, für chronisch <strong>und</strong> psychisch Kranke ist <strong>ein</strong> stabiles<br />

<strong>soziales</strong> Netz besonders wichtig. Sie alle bedürfen <strong>ein</strong>er individuellen, auf die Art <strong>und</strong><br />

den Grad ihrer Behinderung passgenau zugeschnittenen Unterstützung. Die in <strong>Sachsen</strong><br />

vorhandenen Unterstützungssysteme gewährleisten dies aber jedoch nur teilweise <strong>–</strong> vor<br />

allem in den strukturschwachen Regionen fehlen niedrigschwellige Angebote. Zudem sind<br />

Menschen mit Behinderung samt ihren Angehörigen häufig <strong>ein</strong>em gesteigerten Armutsrisiko<br />

ausgesetzt.<br />

Das beginnt schon bei den Mehrkosten für Heil- <strong>und</strong> Hilfsmittel, die chronisch Kranke <strong>und</strong><br />

Menschen mit Behinderung aufbringen müssen. Veränderungen im Ges<strong>und</strong>heitssystem<br />

haben in den vergangen Jahren dazu geführt, dass der Selbstkostenanteil für Medikamente<br />

sowie Hilfs- <strong>und</strong> Heilmittel immer weiter gestiegen ist. Hinzu kommt, dass Menschen<br />

mit Behinderung oder chronischer Erkrankung häufiger von Arbeitslosigkeit oder<br />

Erwerbsunfähigkeit betroffen <strong>und</strong> demnach verstärkt auf die staatliche Gr<strong>und</strong>sicherung<br />

angewiesen sind.<br />

12


Aber auch die Wechselwirkung zwischen armutsbedingten Lebenslagen, Arbeitslosigkeit<br />

oder der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes <strong>und</strong> seelischer Erkrankung ist empirisch<br />

nachgewiesen. Neben Scham, Rückzug, Einsamkeit <strong>und</strong> Identitätsverlust haben die<br />

Betroffenen häufig mit fehlendem Verständnis gegenüber ihrer psychischen Erkrankung zu<br />

kämpfen. „Soziale Behinderung“ geht oft mit Isolation <strong>und</strong> Stigmatisierung <strong>ein</strong>her.<br />

Werden Menschen psychisch krank, ist <strong>ein</strong> Großteil von ihnen dennoch in der Lage, weiter<br />

zu arbeiten, allerdings „entschleunigt“ <strong>und</strong>/oder in Teilzeit. Doch dann fehlt es häufig<br />

an Bereitschaft seitens des Arbeitgebers oder an <strong>ein</strong>er flexibel gestalteten Teilzeitstelle.<br />

Auch <strong>ein</strong> denkbarer dauerhafter Ausgleich von Minderleistungen wäre <strong>ein</strong> gangbarer <strong>und</strong><br />

für die Kostenträger in jedem Fall kostengünstigerer Weg. Denn der Erhalt der Teilhabe<br />

am Arbeitsleben ist für die Betroffenen von allergrößter Wichtigkeit. Ist diese Chance der<br />

frühzeitigen Intervention verpasst, droht nach wiederkehrenden Erkrankungsphasen mit<br />

Arbeitsunfähigkeit oft die Arbeitslosigkeit. Der Teufelskreis von Armut <strong>und</strong> immer schwereren<br />

Krankheitsverläufen beginnt <strong>und</strong> endet nicht selten mit der Erwerbsunfähigkeit.<br />

Menschen mit <strong>ein</strong>em ehemals guten beruflichen Status geraten nun aufgr<strong>und</strong> der prekären<br />

Finanzsituation <strong>und</strong> der psychischen Blockaden ins Abseits <strong>und</strong> bedürfen plötzlich der<br />

Beratung <strong>und</strong> Unterstützung: Das beginnt bei ganz elementaren Problemen wie dem Finden<br />

<strong>ein</strong>er geeigneten Wohnung, weil das alte Zuhause nicht länger zu finanzieren ist. Auch<br />

Behördentermine wahrzunehmen <strong>und</strong> <strong>ein</strong>zuhalten, ist häufig nur noch mit Unterstützung<br />

möglich. Nicht selten verschärfen behördlicherseits verhängte Sanktionen die finanzielle<br />

Situation zusätzlich. Die daraus resultierende Hoffnungs- <strong>und</strong> Perspektivlosigkeit wandelt<br />

sich für die Betroffenen zu <strong>ein</strong>er Dauerbelastung, die die Erkrankung weiter verschärft <strong>–</strong><br />

schlimmstenfalls bis hin zur stationären Aufnahme.<br />

Aber nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch ihr Umfeld werden in Mitleidenschaft<br />

gezogen. So besteht für Familien, die <strong>ein</strong>en Angehörigen krankheitsbedingt betreuen oder<br />

pflegen müssen, ebenfalls <strong>ein</strong> erhöhtes Armutsrisiko. Nicht zu unterschätzen ist zudem<br />

die psychische Gefährdung von Familienmitgliedern im krankmachenden Milieu. Insbesondere<br />

Kinder leiden unter der Situation <strong>und</strong> sind häufig aufgr<strong>und</strong> der Isolation <strong>und</strong> der<br />

sie überfordernden Situation selbst gefährdet, wenn nicht frühzeitig interveniert wird. So<br />

bedürfen sie <strong>und</strong> die Angehörigen <strong>ein</strong>es unterstützenden Impulses wie <strong>ein</strong>er qualifizierten<br />

Beratung oder <strong>ein</strong>er Selbsthilfegruppe.<br />

Neben klinischer oder ambulanter fachärztlicher Hilfe sind es daher vor allem psychosoziale<br />

komplementäre Leistungen, die verlässlich niedrigschwellig als Brückennetzwerke auf<br />

Augenhöhe für die betroffenen psychisch oder suchtkranken Menschen <strong>und</strong> ihre Angehörigen<br />

entscheidend für die weitere Lebensqualität sind. <strong>Für</strong> chronisch psychisch Kranke<br />

<strong>und</strong> suchtkranke Menschen ist die Kontinuität <strong>und</strong> Verlässlichkeit von Kontakt- <strong>und</strong> Bera-<br />

13


Menschen mit Behinderungen/Wohnungslose<br />

tungspersonen komplementärer Netzwerke entscheidend. Bei häufigem Personalwechsel<br />

<strong>und</strong> daraus folgenden Beziehungsabbrüchen wird erfolgreiche Hilfe drastisch erschwert.<br />

Deshalb fordert die Liga<br />

Die in <strong>Sachsen</strong> in den vergangenen Jahren entwickelten Hilfesysteme <strong>und</strong> Beratungsangebote<br />

müssen von Freistaat <strong>und</strong> Kommunen weiterhin vorgehalten <strong>und</strong> finanziert werden.<br />

Dies hilft nicht nur den Menschen, sondern führt langfristig zu <strong>ein</strong>er Gesamtkostenreduzierung.<br />

Damit Familien möglichst lange in der Lage sind, sich um ihre Angehörigen zu kümmern,<br />

sind familienstützende Angebote unerlässlich. Dazu gehört auch, die Kurzzeitbetreuung<br />

als gesetzlich definierte Eingliederungsleistung anzuerkennen.<br />

Projekte, welche die Eigenständigkeit von Menschen mit Behinderung nachhaltig fördern,<br />

wie beispielsweise die Umsetzung des Persönlichen Budgets, müssen konsequent<br />

fortgeführt werden. Nur so ist selbstbestimmte Teilhabe am sozialen Leben im Sinne der<br />

UN-Konvention für die Rechte der Menschen mit Behinderung möglich. Allgem<strong>ein</strong>verbindliche<br />

Standards zur Verbesserung von Integration <strong>und</strong> Inklusion müssen gesetzlich fixiert<br />

s<strong>ein</strong> <strong>und</strong> in allen Lebensbereichen Anwendung finden.<br />

Letztlich müssen alle am Prozess Beteiligten, angefangen von Betroffenen <strong>und</strong> Angehörigen<br />

über Leistungsträger <strong>und</strong> -erbringer bis hin zu Politik <strong>und</strong> Verwaltung an <strong>ein</strong>em<br />

Strang ziehen, wenn Inklusion gelingen soll. Ziel ist <strong>ein</strong>e umfassende Sozialplanung, bei<br />

der <strong>ein</strong>er kostenträgerübergreifenden Zusammenarbeit sowie <strong>ein</strong>er sinnvollen Verteilung<br />

der Zuständigkeiten die entscheidende Rolle zukommt.<br />

14<br />

Zahlen <strong>und</strong> Fakten<br />

Von den all<strong>ein</strong> lebenden Menschen mit Behinderung im Alter von 25 bis 45 Jahren:<br />

hat <strong>ein</strong> Drittel weniger als 700 Euro im Monat zur Verfügung.<br />

können lediglich 52 Prozent ihren Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit bestreiten<br />

<strong>–</strong> oft im Niedriglohnbereich.<br />

Haushalte mit Elternteilen mit Behinderungen verfügen im Schnitt über weniger als<br />

halb soviel Geld wie der durchschnittliche Haushalt mit Kindern in Deutschland.<br />

In <strong>Sachsen</strong> leben über 300 000 Menschen mit Behinderung.


Gr<strong>und</strong>recht „Dach über dem Kopf“ <strong>–</strong> Menschen in Wohnungsnot<br />

Wohnungslose <strong>und</strong> von Wohnungslosigkeit Bedrohte sind die am meisten benachteiligten<br />

Menschen unserer Gesellschaft. Ihre Situation ist als prekäre Lebenslage beziehungsweise<br />

als Lebenslage in extremer Armut zu verstehen. Die Notlage umfasst das Zusammenwirken<br />

von Ausgrenzung, Krankheit, sozialer Isolation, fehlender materieller Existenzgr<strong>und</strong>lage,<br />

fehlender oder nicht ausreichender Wohnung, fehlender Zugang zu Arbeit <strong>und</strong><br />

Ausbildung sowie mangelnden familiären Strukturen. Beim Bezug <strong>ein</strong>er Unterkunft wird<br />

beispielsweise <strong>ein</strong>e verauslagte Mietkaution mit der Regelleistung verrechnet, obwohl dies<br />

<strong>ein</strong> Verstoß gegen geltendes Recht ist. Die Bearbeitung der Kostenübernahme für Unterkunft<br />

<strong>und</strong> Betrieb muss daher im vorgeschriebenen zeitlichen Rahmen erfolgen <strong>und</strong> die<br />

tatsächlichen Kosten abdecken. Andernfalls besteht abermals die Gefahr der Wohnungslosigkeit<br />

<strong>und</strong> der Kreislauf beginnt erneut.<br />

Um diese besonderen sozialen Schwierigkeiten zu überwinden, gibt es die Einrichtungen<br />

<strong>und</strong> Dienste der Wohnungslosenhilfe. Sie arbeiten auf Gr<strong>und</strong>lage des § 67ff des SGB XII.<br />

Der Rahmenvertrag des Freistaates <strong>Sachsen</strong> sieht drei Leistungstypen vor: Beratungsstellen<br />

für wohnungslose <strong>und</strong> von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen, tagesstrukturierende<br />

Angebote für bestimmte Personengruppen <strong>und</strong> ambulant betreutes Wohnen zur<br />

Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten. Hinzu kommen die polizeirechtliche<br />

Unterbringung (Obdachlosenheime, Notunterkünfte) sowie die Versorgung mit Essen <strong>und</strong><br />

Bekleidung. Diese Maßnahmen dienen der Gefahrenabwehr <strong>und</strong> der niedrigschwelligen<br />

15


Wohnungslose/Menschen in Überschuldungssituationen<br />

Versorgung, welche sich ergänzend zur professionellen Wohnungslosenhilfe an Menschen<br />

in Wohnungsnot richten. Die skizzierte umfassende Notlage begründet <strong>ein</strong>en gesetzlichen<br />

Anspruch auf Hilfe zu deren Überwindung. Diese Pflichtleistung ist von den zuständigen<br />

örtlichen Sozialhilfeträgern im Rahmen der sozialen Das<strong>ein</strong>svorsorge <strong>–</strong> über Versorgung<br />

<strong>und</strong> Unterbringung hinaus <strong>–</strong> als Bedarf anzuerkennen <strong>und</strong> umzusetzen. Einrichtungen <strong>und</strong><br />

Dienste der Wohnungslosenhilfe sind dort flächendeckend vorzuhalten, wo Menschen<br />

diese persönliche Hilfe benötigen.<br />

Deshalb fordert die Liga<br />

K<strong>ein</strong>e Verzögerung der Hilfegewährung aufgr<strong>und</strong> von Zuständigkeitsunklarheiten zwischen<br />

Jugendamt <strong>und</strong> Sozialamt bei 18 bis 21-jährigen jungen Erwachsenen.<br />

Die 2006 <strong>ein</strong>gestellte Sozialberichterstattung für Wohnungslose wieder aufzunehmen.<br />

Nur so ist es möglich, Hilfsangebote gezielt <strong>ein</strong>zusetzen <strong>und</strong> die Erfolgschancen zu erhö-<br />

Leere Taschen - Menschen in Überschuldungsituationen<br />

Überschuldung ist <strong>ein</strong>e strukturell gewichtige Problematik, da sie weitreichende finanzielle<br />

<strong>und</strong> soziale Folgen für die betroffenen Menschen, ihre Familien <strong>und</strong> die Gesellschaft im<br />

Ganzen mit sich bringt. Wenn beispielsweise der laufende Lebensunterhalt nicht mehr<br />

gesichert ist, kann dies leicht weitere Schulden nach sich ziehen, zum Beispiel durch<br />

Miet- <strong>und</strong> Energiekosten. Auch ist der Zugang zu medizinischer Versorgung auf Gr<strong>und</strong><br />

von Praxisgebühr <strong>und</strong> eventuellen Zuzahlungen nicht mehr möglich.<br />

Hinzu kommen Auswirkungen im sozialen Umfeld. Den Kindern bleiben kostenpflichtige<br />

Bildungsangebote verwehrt. Die Teilnahme der betroffenen Familien <strong>und</strong> Einzelpersonen<br />

an gesellschaftlichen Aktivitäten nimmt ab. Der mögliche Verlust des Kontos verwehrt die<br />

Teilhabe am Zahlungsverkehr, die Pfändung von Lohn <strong>und</strong> Gehalt kann bis zur Kündigung<br />

führen. Überschuldung ist somit auch <strong>ein</strong> Vermittlungshemmnis bei der Arbeitsuche.<br />

Vom Verlust des Selbstwertgefühls bis hin zu psychosomatische Erkrankungen sind Fol-<br />

16<br />

Zahlen <strong>und</strong> Fakten<br />

2006 lebten in <strong>Sachsen</strong> nach offiziellen Angaben 1182 wohnungslose Menschen.<br />

2008 wurden all<strong>ein</strong> in den Anlaufstellen von AWO, Caritas, Diakonie <strong>und</strong> DRK über<br />

3155 Menschen beraten <strong>und</strong> begleitet.


geersch<strong>ein</strong>ungen k<strong>ein</strong>e Seltenheit. Private Überschuldung hat darüber hinaus auch gesamtgesellschaftliche<br />

Effekte. Überschuldete Menschen nehmen nur <strong>ein</strong>geschränkt am<br />

Wirtschaftsleben teil <strong>und</strong> können sich lediglich punktuell ins Gem<strong>ein</strong>wesen <strong>ein</strong>bringen. So<br />

entstehen aus dem oben beschriebenen Gründen Mehrkosten für die Ges<strong>und</strong>heitswirtschaft<br />

sowie generelle Zusatzanforderungen an die sozialen Sicherungssysteme. Es ist<br />

demnach auch <strong>ein</strong>e volkswirtschaftlichen Belastung zu erkennen.<br />

Deshalb fordert die Liga<br />

Überschuldung muss als <strong>ein</strong> gesellschaftliches Problem wahrgenommen werden, welches<br />

sozioökonomische Ursachen hat. Um die Situation sachgerecht abbilden zu können<br />

<strong>und</strong> die Hilfeangebote der Schuldnerberatung bedarfsgerecht auszugestalten, ist <strong>ein</strong>e<br />

f<strong>und</strong>ierte Datenerhebung mittels Statistik (Sozialreport) erforderlich. Die erhobenen Daten<br />

sind regelmäßig durch den Freistaat öffentlich zu machen.<br />

Menschen in Überschuldungssituationen benötigen Zugang zu kostenfreier professioneller<br />

Schuldnerberatung mit psychosozialer Stabilisierung unter Einbeziehung ihres<br />

Lebensumfeldes. Dies umfasst bei Bedarf auch die Beratung zum Insolvenzverfahren <strong>und</strong><br />

die Hilfe bei außergerichtlichen Einigungsverfahren.<br />

Der „Schuldenprävention“ muss deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden,<br />

unter anderem durch den Aufbau <strong>und</strong> die Etablierung von flächendeckenden regelfinanzierten<br />

Angeboten zur finanziellen Bildung, durch die Schaffung <strong>ein</strong>er zentralen Präventionsfachstelle<br />

zur Unterstützung <strong>und</strong> die Vernetzung der regionalen Angebote <strong>und</strong> nicht<br />

zuletzt durch die Aufnahme der finanziellen Bildung als Unterrichtsfach in den Lehrplan.<br />

Als Maßnahmen des Verbraucherschutzes sollte jedem <strong>ein</strong> gesetzlich verbrieftes Recht<br />

auf <strong>ein</strong> Girokonto gewährt werden <strong>und</strong> <strong>ein</strong>e verantwortungsbewusste Kreditvergabe erfolgen.<br />

Zahlen <strong>und</strong> Fakten<br />

9 Prozent aller sächsischen Haushalte sind überschuldet.<br />

2007 waren etwa 380 000 Menschen in <strong>Sachsen</strong> von Überschuldung betroffen.<br />

Nur 15 Prozent der Betroffenen können aktuell in der Schuldnerberatung betreut<br />

werden.<br />

17


Asylbewerber/Die Freie Wohlfahrtspflege in <strong>Sachsen</strong><br />

Fern der Heimat <strong>–</strong> Asylbewerber <strong>und</strong> Menschen<br />

mit Duldungsstatus<br />

Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) schließt Asylsuchende, Menschen in<br />

„(Ketten-)Duldung“ sowie Personen mit Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen<br />

vom Bezug der allgem<strong>ein</strong> gewährten sozialen Mindestleistung aus.<br />

Die nach dem AsylbLG gewährten Leistungen liegen aktuell r<strong>und</strong> <strong>ein</strong> Drittel unter dem<br />

Leistungsniveau des Arbeitslosengelds II. Seit der Einführung des AsylbLG im Jahr 1993<br />

sind die noch in D-Mark benannten Sätze nicht erhöht worden. <strong>Für</strong> Nahrung, Kleidung,<br />

Unterkunft, Heizung <strong>und</strong> Hygiene gewährt das AsylbLG <strong>ein</strong>em Erwachsenen seit 17 Jahren<br />

unverändert Sachleistungen im Wert von monatlich 360 D-Mark (= 184,07 Euro) -<br />

mancherorts werden die Leistungen auch direkt ausgezahlt. Hinzu kommt <strong>ein</strong> Barbetrag<br />

in Höhe von monatlich 80 D-Mark (= 40,90 Euro) für persönliche Bedarfe wie Fahrkarten,<br />

Telefonate, Anwaltskosten <strong>und</strong> dergleichen. Die seit 1993 erfolgte Preissteigerung von<br />

zirka 22 Prozent ist dabei ebenfalls nie berücksichtigt worden.<br />

<strong>Für</strong> die medizinische Versorgung kommt der Staat nur auf, soweit <strong>ein</strong> Amtsarzt <strong>ein</strong>e akute<br />

Erkrankung oder Schmerzzustände attestiert. Notwendige Operationen oder medikamentöse<br />

Behandlungen zur Linderung chronischer Leiden werden nicht übernommen. Es ist<br />

daher augensch<strong>ein</strong>lich, dass der Leistungsumfang nach dem AsylbLG unzureichend ist,<br />

um <strong>ein</strong>e menschenwürdige physische <strong>und</strong> soziokulturelle Existenz zu sichern.<br />

18


In s<strong>ein</strong>em Urteil vom 9. Februar 2010 hat das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht dem Gesetzgeber<br />

aufgegeben, bis Ende 2010 das Existenzminimum für Empfänger von Arbeitslosengeld<br />

II neu zu definieren.<br />

Deshalb fordert die Liga<br />

Es ist geboten, das in der derzeitigen Form diskriminierende AsylbLG abzuschaffen<br />

<strong>und</strong> die Betroffenen auf die gleiche Stufe mit Empfängern von ALG II zu stellen. Seitens<br />

des Freistaates ist beim B<strong>und</strong> auf diese Änderung hinzuwirken.<br />

Zwischenzeitlich ist der Freistaat aufgefordert, in s<strong>ein</strong>em Zuständigkeitsbereich <strong>ein</strong>e<br />

weitestgehende Öffnung der bisherigen Regelung zu veranlassen, wie sie in Teilen vom<br />

Sächsischen Ausländerbeauftragten <strong>und</strong> dem Sächsischen Staatsminister des Innern<br />

Zahlen <strong>und</strong> Fakten<br />

5,3 Prozent der aufgenommenen Asylbewerber kommen nach <strong>Sachsen</strong>.<br />

2008 waren es 1302 Personen.<br />

Darüber hinaus lebten zu jener Zeit 3163 geduldete Personen im Freistaat.<br />

Handeln für die Menschen <strong>–</strong><br />

Die Bedeutung der Freien Wohlfahrtspflege in <strong>Sachsen</strong><br />

Die Freie Wohlfahrtspflege ist <strong>ein</strong> f<strong>und</strong>amental bedeutender Akteur im Sinne des Sozialstaatsgedankens<br />

der B<strong>und</strong>esrepublik. Das Gr<strong>und</strong>gesetz selbst räumt durch das Subsidiaritätsprinzip<br />

der Freien Wohlfahrtspflege <strong>ein</strong>en Vorrang vor der Aufgabenerfüllung durch<br />

den Staat <strong>ein</strong>. So leisten die Wohlfahrtsverbände durch ihre Konzepte, Einrichtungen <strong>und</strong><br />

Dienste <strong>ein</strong>en entscheidenden Beitrag zur Sozialstaatlichkeit des Gem<strong>ein</strong>wesens.<br />

Zentrale Aufgabe der Wohlfahrtsverbände ist es, Menschen in schwierigen Lebensumständen<br />

zu unterstützen <strong>und</strong> ihnen aktiv bei der Verbesserung ihrer Lage beizustehen. Um<br />

diesem Anspruch gerecht zu werden, gibt es verschiedene Einrichtungen <strong>und</strong> Dienstleistungen,<br />

die in den unterschiedlichsten Bereichen sozialer Arbeit wirksam sind. Ihr Handeln<br />

orientiert sich dabei stets an den jeweiligen Bedarfen, Bedürfnissen <strong>und</strong> Problemen der<br />

Betroffenen. Die hohe Fachlichkeit <strong>und</strong> die oft langjährige Erfahrung der Mitarbeiterinnen<br />

<strong>und</strong> Mitarbeiter ermöglichen es, den Menschen auf Ihrem Weg zurück in die Gesellschaft<br />

gezielt <strong>und</strong> effektiv zu helfen. Dabei werden die hauptamtlich Tätigen auch von ehrenamt-<br />

19


Die Freie Wohlfahrtspflege in <strong>Sachsen</strong>/Praxisbeispiel AWO<br />

lich engagierten Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürgern unterstützt. Nicht zuletzt darin liegt <strong>ein</strong>e weitere<br />

entscheidende Stärke der Wohlfahrtsarbeit: Menschen zur Hilfe zu befähigen <strong>und</strong> vielfältige<br />

Möglichkeiten zivilgesellschaftlichen Engagements anzubieten.<br />

Von ausschlaggebender Bedeutung ist zudem die hochgradige fachinhaltliche Kompetenz<br />

der Wohlfahrtsverbände. Die Verbindung von Praxis <strong>und</strong> theoretischem Wissen gestattet<br />

es ihnen, sich entwickelnde Problemlagen frühzeitig zu erkennen, f<strong>und</strong>ierte Lösungsansätze<br />

zu erarbeiten <strong>und</strong> entsprechend passgenaue Angebote zu entwickeln.<br />

Die auf diese Weise gewonnen Kenntnisse sind nicht nur für die erfolgreiche praktische<br />

Arbeit von großem Wert, sondern auch für die politischen Entscheidungsträger aller Instanzen.<br />

Die Wohlfahrtsverbände sind daher <strong>ein</strong> unersetzlicher Impulsgeber für <strong>ein</strong>e praxisorientierte<br />

Sozialpolitik. In ihrer Beratungsfunktion bündeln sie Kommunikationsprozesse<br />

zwischen Einrichtungen sozialer Arbeit <strong>und</strong> Verantwortungsträgern aus Politik <strong>und</strong> Verwaltung.<br />

Sie bilden Brücken, öffnen Diskussionsräume <strong>und</strong> erzeugen wechselseitiges Verständnis.<br />

Ohne die Wohlfahrtsverbände ist die gezielte Gestaltung sozialpolitischer Prozesse<br />

nicht realisierbar <strong>und</strong> der effiziente Einsatz von Ressourcen nahezu unmöglich.<br />

Deshalb fordert die Liga<br />

die bestehenden Strukturen der Wohlfahrtspflege <strong>und</strong> der sozialen Arbeit zu stärken,<br />

anstatt zusätzliche Programme ohne die Beteiligung der betroffenen Akteure aufzulegen.<br />

die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege im Rahmen <strong>ein</strong>er verlässlichen Zusammenarbeit<br />

frühzeitig <strong>und</strong> kontinuierlich in die Planung <strong>und</strong> Fortentwicklung der Wohlfahrtspflege<br />

in <strong>Sachsen</strong> <strong>ein</strong>zubinden.<br />

das Ehrenamt zu stärken, auch durch den Erhalt der dafür notwendigen hauptamtlichen<br />

Stellen.<br />

20<br />

Zahlen <strong>und</strong> Fakten<br />

<strong>Sachsen</strong>weit arbeiten über 85 000 Menschen in der Freien Wohlfahrtspflege.<br />

25 000 weitere Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger engagierten sich ehrenamtlich.<br />

Seit 2002 warben die Wohlfahrtsverbände all<strong>ein</strong> aus Soziallotterien wie Aktion<br />

Mensch, Glücksspirale, Fernsehlotterie über 95 Millionen Euro zusätzliche Mittel für<br />

die Freie Wohlfahrtspflege <strong>ein</strong>.


Die Post von Monaten ungeöffnet: Ein Bild der Angst, Realitätsflucht <strong>und</strong> gefühlten Ausweglosigkeit.<br />

Schuldnerberater bringen wieder Struktur in die persönlichen Finanzen.<br />

Hilfe, wenn Ausweglosigkeit <strong>und</strong> Angst erdrückt<br />

AWO Schuldnerberatung Hoyerswerda lässt Menschen<br />

wieder wachsen<br />

„Warum ist am Ende des Geldes immer noch soviel Monat übrig?“, heißt es auf <strong>ein</strong>em<br />

hellblauen Merkblatt der AWO Schuldnerberatung Hoyerswerda. Im Innenteil dann ganz<br />

sachlich: Haushaltsplan, Schuldenregulierung, Verhandlungen, Insolvenz <strong>–</strong> kostenlos, vertraulich.<br />

Schuldnerberater Enrico Kirschner: „Eine Überschuldung stellt <strong>ein</strong>e außerordentliche Belastung<br />

für die ganze Familie dar. Sie wirkt sich nicht nur materiell aus, sondern führt<br />

zu großen psychischen Belastungen, die weitere Probleme nach sich ziehen.“ Wie zum<br />

Beweis steht in der Beratungsstelle <strong>ein</strong>e große Kiste auf dem Boden: randvoll mit den ungeöffneten<br />

Briefen <strong>ein</strong>es Betroffenen. Ihr Anblick spricht Bände von Angst, Realitätsflucht,<br />

gefühlter Ausweglosigkeit in der sich Menschen befinden, deren Einkünfte ihre Ausgaben<br />

dauerhaft nicht decken können. Ohne Hilfe geraten sie tiefer in den Schuldenstrudel.<br />

Wie es der Handzettel deutlich macht, bringt Berater Kirschner Struktur in die verfahrene<br />

Situation der Schuldner, schafft Transparenz, verhandelt mit Gläubigern <strong>und</strong> arbeitet gem<strong>ein</strong>sam<br />

mit den Betroffenen an <strong>ein</strong>em individuellen Konzept. „Das ist das Spannende<br />

an m<strong>ein</strong>er Arbeit“, so Kirschner. Und was ist das Schönste? „Die Menschen wachsen.<br />

Einmal stand <strong>ein</strong>e Frau nach den sechs erfolgreich absolvierten Jahren Privatinsolvenz mit<br />

<strong>ein</strong>er Keksdose <strong>und</strong> Kaffee vor der Tür <strong>und</strong> ich dachte: ‚Holla, sie ist aber gewachsen.’<br />

21


Praxisbeispiele AWO/Caritas<br />

Die Klientin ging sonst immer ganz gebückt. Ich hielt das für <strong>ein</strong>en Wirbelsäulenschaden.<br />

Im Gespräch sagt sie den Satz „Es hat mich erdrückt, aber jetzt ist mir wie <strong>ein</strong>e Last von<br />

der Schulter gefallen. Da weiß man, warum man arbeitet.“<br />

Die pauschale Schuldzuweisung: „Die können nicht mit Geld umgehen“ ist falsch. Viele<br />

Menschen geraten durch Krankheit, Scheidung, Arbeitsplatzverlust oder Erbschaften<br />

in finanzielle Schieflage. Individuelle Faktoren sind selten ausschlaggebend. Weniger als<br />

zehn Prozent der betroffenen Menschen sind wegen <strong>ein</strong>er Suchtproblematik überschuldet.<br />

Prekäre Beschäftigung zu Armutslöhnen ist dazu <strong>ein</strong> fast systematischer Hintergr<strong>und</strong><br />

für <strong>ein</strong> Leben in dem es „hinten <strong>und</strong> vorn“ nicht reicht. Die abschmelzende Mittelschicht<br />

sei auch nicht ungefährdet: „Kaum jemand in <strong>Sachsen</strong> kann für harte Zeiten sparen“, so<br />

der Schuldnerberater.<br />

Neun Prozent aller Menschen in <strong>Sachsen</strong> sind überschuldet. Nur 15 Prozent dieser<br />

380 000 Betroffenen können hierzulande in Schuldnerberatungsstellen der Wohlfahrtsverbände<br />

<strong>und</strong> Kommunen beraten werden. Manche geraten stattdessen an windige Finanzberater<br />

oder Banken <strong>und</strong> verschlimmern ihre Lage drastisch.<br />

Wozu eigentlich Spitzenverbände?<br />

AWO Initiative „Ich lebe ges<strong>und</strong>“ sorgt für die Umsetzung<br />

sächsischer Ges<strong>und</strong>heitsziele<br />

Im Mai 2006 beschloss das sächsische Sozialministerium Ges<strong>und</strong>heitsziele für den Freistaat.<br />

Eines davon nennt sich „Ges<strong>und</strong> aufwachsen“. Ein Ziel setzen <strong>und</strong> es erreichen sind<br />

bekanntlich zwei verschiedene Dinge. Wie wird politischer Wille zu konkretem Handeln?<br />

In Sachen „Ges<strong>und</strong> aufwachsen“ machte sich die AWO als erster Wohlfahrtsverband auf<br />

den Weg: <strong>Für</strong> die 200 sächsischen Kindertages<strong>ein</strong>richtungen unter dem roten AWO Herzen<br />

hat das „Team Familie“ des AWO Landesverbandes die Ges<strong>und</strong>heitsinitiative „ICH<br />

LEBE GESUND“ erstellt. Das Ziel: <strong>ein</strong> Baukasten zur Ges<strong>und</strong>heitsarbeit für die Kitas vor<br />

Ort.<br />

Das plüschige AWO Ges<strong>und</strong>heitsmaskottchen „AWOlino“ gehört zum Repertoire des landesweiten<br />

Vorgehens, genauso wie Malwettbewerbe <strong>und</strong> der Baust<strong>ein</strong> „TigerKids“ - <strong>ein</strong><br />

Präventionsprojekt in Zusammenarbeit mit der AOK. Neben pädagogischen Handlungsleitfäden<br />

gibt es dazu seit 2008 in den AWO Einrichtungen <strong>ein</strong>en eigens entwickelten<br />

Ges<strong>und</strong>heitspass für jedes Kind in Krippe, Kindergarten <strong>und</strong> Hort.<br />

22


Die Menschen hinter dem „Spitzenverband“: Das Team Familie der Arbeiterwohlfahrt präsentiert gem<strong>ein</strong>sam<br />

mit der AWO Landesvorsitzenden Margit Weihnert (Dritte von links) <strong>ein</strong> Gewinnerbild des diesjährigen<br />

AWOlino-Malwettbewerbs.<br />

So können frühzeitig <strong>–</strong> gem<strong>ein</strong>sam mit Eltern <strong>und</strong> Erziehern - die Weichen für <strong>ein</strong> ges<strong>und</strong>es<br />

Aufwachsen gestellt werden. <strong>Für</strong> viele Kinder kann das Einüben <strong>ein</strong>er ges<strong>und</strong>en Lebensweise<br />

<strong>und</strong> <strong>–</strong>kompetenz den schmerzlichen Kreislauf „Armut macht krank <strong>und</strong> Krankheit<br />

macht arm“ durchbrechen helfen. Das hatte die AWO Landeskonferenz im Sinn, als sie<br />

den Arbeitsschwerpunkt „Kinder- <strong>und</strong> Familienarmut“ beschloss <strong>und</strong> für die Spitzenverbandsarbeit<br />

in den Focus nahm.<br />

Verbandsvorsitzende Margit Weihnert: „Die Kindertagesstätte ist <strong>ein</strong> wichtiger Ort der Ges<strong>und</strong>heitsbildung.<br />

Bei <strong>ein</strong>em Betreuungsgrad von 95 Prozent ist der Zugang zu fast allen<br />

Kindern gegeben. Den häufigsten Ges<strong>und</strong>heits- <strong>und</strong> Entwicklungsstörungen sächsischer<br />

Kinder wie Sprachauffälligkeiten, Herabsetzung der Sehschärfe, Störungen der Grob- <strong>und</strong><br />

F<strong>ein</strong>motorik sowie emotional-psychosozialen Verhaltensauffälligkeiten kann hier am effektivsten<br />

vorgebeugt werden.“<br />

Inzwischen wird an der Bereitstellung der AWO Ges<strong>und</strong>heitspässe für alle sächsischen<br />

Kitas gearbeitet <strong>und</strong> <strong>ein</strong>e eigene Studie zur Erzieherinnenges<strong>und</strong>heit ausgewertet. Kultus-<br />

<strong>und</strong> Sozialministerium greifen bewusst auf die Statistiken der Befragungen <strong>und</strong> Sachstandserhebungen<br />

der AWO zurück. Stellvertretend für alle Bereiche des Sozialen zeigt<br />

sich hier: Wohlfahrtsverbände sind Innovationsmotoren <strong>und</strong> Realitätstester für Politik.<br />

23


Praxisbeispiele Caritas<br />

Im Caritasladen gibt es vieles, was sonst unerschwinglich wäre.<br />

Teilhabe ermöglichen<br />

Der Caritasladen in Leipzig hilft Menschen in Not<br />

Strampler, Jacken, Mäntel, sogar Hochzeitskleider gibt es. Im Caritasladen in Leipzig finden<br />

bedürftige Menschen vieles, was ihnen sonst unerschwinglich wäre. Der r<strong>und</strong> 300<br />

Quadratmeter große Laden befindet sich im Leipziger Stadtteil Grünau. Sozialer Brennpunkt.<br />

Hier leben viele Menschen, die arbeitslos sind <strong>und</strong> Hartz IV-Leistungen empfangen.<br />

„Die Armut nimmt zu“, sagt Geschäftsführer Tobias Strieder. Fast jeder fünfte Haushalt<br />

in <strong>Sachsen</strong> sei von Einkommensarmut betroffen, all<strong>ein</strong> in Leipzig 78 000 Menschen. Vor<br />

allem für sie ist das Angebot im neuen Caritasladen in der Alten Salzstraße. Damit sie <strong>ein</strong><br />

Leben in Würde führen können. Es gehe darum, Menschen, die am Rande der Gesellschaft<br />

stehen, zu achten.<br />

Mit der Neueröffnung wurden die beiden bisherigen Standorte des Leipziger Caritasladens<br />

in der Merseburger Straße <strong>und</strong> im Familienzentrum Grünau unter <strong>ein</strong>em Dach zusammengeführt.<br />

Das Angebot hat sich zu <strong>ein</strong>er festen Anlaufstelle für Menschen in Not etabliert. Im<br />

neuen Caritasladen erhalten die Bedürftigen nicht nur materielle Unterstützung, sondern<br />

bekommen auch Informationen über weitere Hilfs- <strong>und</strong> Beratungsangebote. Die Waren<br />

erhalten die Inhaber des „Leipzig-Passes“ oder bedürftige Rentner gegen <strong>ein</strong>e Spende.<br />

Neu hinzugekommen ist <strong>ein</strong>e Möbelausgabe sowie der Wohnungssuchdienst.<br />

24


Froh über die Einrichtung ist auch Christian Walther, Abteilungsleiter im Leipziger Sozialamt.<br />

Der Caritas sei es immer wieder gelungen, den bedürftigen Menschen Hilfsangebote<br />

zu machen <strong>und</strong> ihneb über die größten Notzeiten hinwegzuhelfen. Dabei handele es sich<br />

jedoch nicht um Almosen, sondern um wirksame Hilfe, die „als Übergang“ gedacht sei<br />

bis sich die Lage der Betroffenen verbessert habe. Mit solchen Einrichtungen dürfe die<br />

Armut in der Gesellschaft nicht verfestigt werden. Dennoch seien sie für viele Menschen<br />

überlebensnotwendig.<br />

Bettina Schmidt (Name geändert) will den Besuch im Leipziger Caritasladen eigentlich<br />

verhindern. „Ich bin all<strong>ein</strong> erziehend mit zwei kl<strong>ein</strong>en Kindern <strong>und</strong> versuche, soweit wie<br />

möglich selber klar zu kommen“, erklärt sie. Beim Kauf von Kindersachen stößt sie aber<br />

immer wieder an ihre Grenzen. „Gerade Kindersachen sind wahnsinnig teuer geworden,<br />

dafür reicht m<strong>ein</strong> Halbtagsjob nicht aus.“ Im Caritasladen bekommt sie Sachen für die<br />

Kinder, die „sogar Neuwert haben.“ Darüber ist die junge Mutter sehr froh, auch wenn sie<br />

sich <strong>ein</strong>e andere Situation wünscht.<br />

„Treffen kann es jeden“<br />

25 Jahre Caritas-Suchtberatung in Dresden<br />

Berthold Student verstand die Welt nicht mehr. Erst hat er in der Tasche s<strong>ein</strong>er Frau kl<strong>ein</strong>e<br />

Fläschen gef<strong>und</strong>en <strong>–</strong> neckische Geburtstagsgeschenke für Fre<strong>und</strong>innen, dachte er. Dann<br />

veränderte sie sich, war tagsüber plötzlich betrunken, bekam ihr Leben nicht mehr in den<br />

Griff. „Vorübergehend“, beruhigte sich Berthold Student. Es folgten p<strong>ein</strong>liche Auftritte bei<br />

Partys mit Fre<strong>und</strong>en oder Familienfeiern. Die Mutigsten haben ihn angesprochen: „Kann es<br />

s<strong>ein</strong>, dass d<strong>ein</strong>e Frau <strong>ein</strong> Alkoholproblem hat?“ Heute, so sagt er, sei s<strong>ein</strong>e Frau trocken.<br />

Aber die Krankheit sei nicht heilbar <strong>und</strong> Rückschläge könne es immer wieder geben. Berthold<br />

Student hat aber neuen Mut gefasst: Entzug, Paartherapie, Selbsthilfe. Die Eheleute<br />

haben das ganze Programm gefahren, um ihre Probleme in den Griff zu bekommen.<br />

<strong>Für</strong> Menschen wie Berthold Student gibt es Einrichtungen wie die Caritas-Suchtberatungsstelle<br />

in Dresden, die 2010 ihr 25-jähriges Jubiläum feierte. Neben Beratung, Diagnostik<br />

<strong>und</strong> Informationen zu Ursachen <strong>und</strong> Behandlungsmöglichkeiten von Suchterkrankungen,<br />

insbesondere bei Alkoholproblemen, bietet die Beratungsstelle weitere Angebote<br />

der Hilfe, zum Beispiel bei nicht stoffgeb<strong>und</strong>enen Süchten, wie dem Glücksspiel. Darüber<br />

hinaus gehören tagesstrukturierende Angebote, wie Freizeitgruppen, die von Betroffenen<br />

<strong>und</strong> ihren Angehörigen besucht werden, zum Angebot. Finanziert wird die Beratungsstelle<br />

über kommunale Mittel, aus Geldern der Eingliederungshilfe <strong>und</strong> aus Landesmitteln.<br />

„Durch die Sparvorhaben der Landesregierung droht hier <strong>ein</strong>e erhebliche Kürzung trotz<br />

steigenden Bedarfs“, sagt der Leiter der Beratungsstelle, Peter Müller-Merkel, <strong>und</strong> warnt<br />

25


Praxisbeispiele Caritas/Deutsches Rotes Kreuz<br />

davor, Gelder in der Suchthilfe zu streichen. „Wer hier den Rotstift ansetzt, handelt verantwortungslos.<br />

Die Folgekosten werden enorm s<strong>ein</strong>.“<br />

Seit 1968 ist Alkoholismus von der Weltges<strong>und</strong>heitsorganisation (WHO) als Krankheit anerkannt.<br />

Aber noch immer sei sie gesellschaftlich geächtet, so Peter Müller-Merkel. Die<br />

Erkrankung ziehe sich jedoch durch alle Teile <strong>und</strong> Schichten der Bevölkerung <strong>–</strong> Tendenz<br />

steigend. Müller-Merkel: „Treffen kann es jeden.“<br />

Die Sächsische Landesstelle gegen Suchtgefahren (SLS) hat ausgerechnet, dass r<strong>und</strong><br />

3000 Betroffene in den nächsten zwei Jahren nicht mehr behandelt werden können, sollte<br />

die sächsische Landesregierung ihre Kürzungspläne wahr machen. „Dies wird verheerende<br />

Auswirkungen haben“, sagt Müller-<br />

Merkel. „Es ist nicht nur Spielsüchtige oder<br />

Alkoholiker, die Hilfe brauchen, sondern<br />

auch die Familien. Die Kinder haben am<br />

meisten zu leiden.“ Von den Problemen <strong>ein</strong>es<br />

Alkoholikers seien im Schnitt zwei bis<br />

drei Menschen mitbetroffen. All<strong>ein</strong>erziehende<br />

Partner mit Kindern, die es nicht mehr<br />

ausgehalten haben, geraten in die Armutsfalle.<br />

<strong>Für</strong> Unterhaltsleistungen zum Beispiel<br />

müsse dann der Steuerzahler aufkommen,<br />

weil der Suchtkranke oft nicht mehr in der<br />

Lage sei, dieses Geld aufzubringen. „Nur<br />

<strong>ein</strong> Beispiel für die enormen Folgekosten,<br />

die auf uns zukommen, wenn der Suchtkranke<br />

nicht mehr die Hilfe bekommt, die<br />

er braucht.“ Hier sei das Engagement aller<br />

Akteure in der Suchthilfe gefragt. Die Kürzungen<br />

im Haushalt seien eifach zu kurz<br />

gegriffen.<br />

Berthold Student kann heute offen über die Suchterkrankung<br />

s<strong>ein</strong>er Frau sprechen.<br />

Berthold Student hat mit s<strong>ein</strong>er Frau den<br />

Sprung geschafft. „Aber auch nur deshalb,<br />

weil wir viel Hilfe hatten, von Fre<strong>und</strong>en, von Sozialarbeitern, Ärzten <strong>und</strong> Menschen, die es<br />

gut mit uns gem<strong>ein</strong>t haben“, sagt er. Wenn <strong>Sachsen</strong> mit s<strong>ein</strong>en Kürzungen im sozialen<br />

Bereich so weitermacht, hätten viele Menschen diese Chancen nicht mehr, befürchtet<br />

Müller-Merkel.<br />

26


Das DRK hilft den Migrantinnen <strong>und</strong> Migranten, sich im deutschen Behördenwald zurechtzufinden.<br />

Hilfe bei der Eingliederung<br />

Die Migrationserstberatung des Deutschen Roten Kreuzes<br />

Gemäß s<strong>ein</strong>er Gr<strong>und</strong>sätze fördert das Deutsche Rote Kreuz <strong>ein</strong> gleichberechtigtes, friedliches<br />

<strong>und</strong> respektvolles Zusammenleben aller Menschen, unabhängig von ihrer ethnischen<br />

Herkunft, kulturellen Prägung oder weltanschaulichen Überzeugung. Die Migrationssozialarbeit<br />

im Landesverband <strong>Sachsen</strong> e.V., die Beratung, Begleitung <strong>und</strong> Betreuung der<br />

Migrantinnen <strong>und</strong> Migranten umfasst <strong>ein</strong>e breite Palette von Orientierungs- <strong>und</strong> Eingliederungshilfen<br />

(Wohn-, Arbeits- <strong>und</strong> Schulfragen <strong>und</strong> vieles mehr), Unterstützung bei sozialrechtlichen<br />

Problemen <strong>und</strong> Verfahrensfragen sowie Hilfestellung bei psychosozialen<br />

Problemen, wobei <strong>ein</strong> besonderes Augenmerk auf die Hinführung der Migrantinnen <strong>und</strong><br />

Migranten zu Eigeninitiative <strong>und</strong> Eigenverantwortung gelegt wird.<br />

Seit dem 1. Januar 2005 ist das Deutsche Rote Kreuz im Land <strong>Sachsen</strong> Träger der Migrationserstberatung<br />

(MEB) <strong>und</strong> knüpft mit diesem Programm an s<strong>ein</strong>e Erfahrungen ins-<br />

27


Praxisbeispiele DRK/Diakonie<br />

besondere in der Aussiedlerberatung, in der Projektarbeit, der Vernetzung <strong>und</strong> der interkulturellen<br />

Arbeit an.<br />

Insgesamt sind DRK-Berater in 22 Migrationsberatungsstellen (<strong>ein</strong>schließlich Zweigstellen)<br />

tätig. Dadurch wird <strong>ein</strong> hoher Beitrag zur Integration für diese Menschen geleistet. Im Mittelpunkt<br />

stehen dabei die mit dem Integrationskurs beginnende Integrationsförderung sowie<br />

die Befähigung zu selbständigem Handeln in allen Bereichen des täglichen Lebens.<br />

Der Bedarf der Zielgruppen ist gekennzeichnet durch Multi-Problem-Konstellationen. Je<br />

Beratungsfall werden durchschnittlich neun Themenbereiche relevant. Die Schwerpunkte<br />

liegen hier in den Bereichen:<br />

28<br />

soziale Sicherung<br />

Arbeit /Arbeitslosigkeit<br />

wirtschaftliche Fragen des Alltags<br />

Das Zusammenleben von Migranten <strong>und</strong> Einheimischen im Alltag, die Integration als dynamischer<br />

Prozess der wechselseitigen Annäherung von Zugewanderten <strong>und</strong> Bürgerinnen<br />

<strong>und</strong> Bürgern der Aufnahmegesellschaft verläuft nicht problemlos. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e<br />

führte das DRK in <strong>Sachsen</strong> das Projekt „Q+Plus - LebensQualität steigern“ durch. Speziell<br />

durch dieses Projekt sollte es gelingen, die aktuelle Lebenssituation von jungen Menschen<br />

in Asylbewerberheimen zunächst exemplarisch in den drei ländlichen Regionen Annaberg,<br />

Kamenz <strong>und</strong> Niesky (betreut vom DRK Kreisverband Weißwasser) zu verbessern.<br />

Der persönliche Kontakt im Patenschaftsnetzwerk ist besonders wichtig.<br />

Über den Aufbau <strong>ein</strong>es<br />

Patenschaftsnetzwerkes<br />

sowie die Etablierung<br />

verschiedener Basisangebote<br />

im Bereich Bildung<br />

<strong>und</strong> Kultur konnte<br />

es ermöglicht werden,<br />

Vorurteile abzubauen,<br />

bürgerschaftliches Engagement<br />

zu fördern <strong>und</strong><br />

die Lebenssituation der<br />

jungen Menschen in den<br />

Asylbewerberheimen zumindest<br />

im Hinblick auf<br />

zwischenmenschliche<br />

Beziehungen <strong>und</strong> soziale<br />

Kontakte zu verbessern.


Alle machen mit<br />

Spielplatztreff der Diakonie in Dresden<br />

„Hallo, ich bin Jan (Name geändert) <strong>und</strong> bin acht Jahre<br />

alt. Ich besuche sehr gern den Spielplatztreff der<br />

Diakonie. Die Mitarbeiter spielen, singen <strong>und</strong> basteln<br />

mit uns. Einmal im Monat kochen wir auch zusammen<br />

<strong>–</strong> das macht viel Spaß <strong>und</strong> alle machen mit.<br />

Wenn wir uns streiten, dann helfen uns die Sozialarbeiter.<br />

Letzte Woche wurden auf unserem Spielplatz<br />

sogar Fahrräder verteilt <strong>–</strong> die haben andere Familien<br />

für uns gespendet. Jetzt habe ich wieder <strong>ein</strong> schönes<br />

Fahrrad. Das alte war viel zu kl<strong>ein</strong> <strong>und</strong> schon<br />

lange kaputt.“<br />

Auch wenn die Mehrheit der Kinder, was Ernährung,<br />

Wohnbedingungen <strong>und</strong> Konsummöglichkeiten angeht,<br />

in unseren Wohlstandsgesellschaften im histo-<br />

rischen Vergleich unter günstigen materiellen Verhältnissen aufwächst, ist nicht von der<br />

Hand zu weisen, dass die Schere zwischen begünstigten <strong>und</strong> benachteiligten Lebenslagen<br />

immer weiter aufgeht. Wir erleben bei unserer Arbeit <strong>ein</strong>en deutlich erhöhten Bedarf<br />

an ges<strong>und</strong>er Ernährung, vor allem bei Kindern, deren Familien von Armut betroffen sind.<br />

Zudem erfahren arme Kinder nach unseren Beobachtungen mehr Einschränkungen in der<br />

Kleidung, bei Kinderspielzeug <strong>und</strong> Urlaub beziehungsweise Ferienaktivitäten sowie beim<br />

Besitz <strong>ein</strong>es Fahrrades. Vor allem dies hat <strong>ein</strong>schneidende Folgen für die Entwicklung der<br />

Kinder.<br />

Unsere Angebote wenden sich gr<strong>und</strong>sätzlich an alle Kinder <strong>und</strong> Eltern im Ortsamtsgebiet<br />

Dresden-Neustadt. Besonderes Augenmerk gilt jedoch den sozial benachteiligten Kindern<br />

<strong>und</strong> deren Eltern.<br />

Unser Ziel ist es, durch den regelmäßigen Kontakt auf Höfen <strong>und</strong> Spielplätzen die Lebensqualität<br />

von Kindern <strong>und</strong> Familien nachhaltig zu verbessern.<br />

Unsere Schwerpunkte: Aufsuchende Sozialarbeit<br />

mit verbindlichen Spielplatz-Treffpunkten<br />

mit variierenden Territorien (Streetwork)<br />

Gruppenarbeit (Elterntreff, geschlechtsspezifische Arbeit)<br />

<strong>ein</strong>zelfallorientiertes Arbeiten<br />

Arbeit im Gem<strong>ein</strong>wesen beziehungsweise Stadtteil<br />

Kooperation mit Gr<strong>und</strong>schulen<br />

Jan geht gern zum Spielplatztreff der<br />

Diakonie.<br />

29


Praxisbeispiele DRK/PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband<br />

Betroffene erfahren Zuspruch <strong>und</strong> Mitgefühl<br />

Die Diakonie-Wohnungslosenhilfe der Stadt Zwickau<br />

30<br />

Eine Bank ist k<strong>ein</strong> Zuhause. So fasst die<br />

Wohnungslosenhilfe der Stadtmission Zwickau<br />

kurz <strong>und</strong> bündig ihren sozialpädagogischen<br />

Ansatz zusammen <strong>–</strong> <strong>und</strong> leider hat<br />

die markige Aussage nichts an Aktualität<br />

verloren. Im Gegenteil: Das Arbeitsgebiet<br />

Wohnungslosenhilfe spiegelt die tiefe Spaltung<br />

unserer Gesellschaft <strong>und</strong> die Entwicklung<br />

hin zu <strong>ein</strong>er Zwei-Klassen-Gesellschaft<br />

am deutlichsten wider. So nimmt die Zahl<br />

derer, die sich mit Wohnungsproblemen an<br />

uns wenden, Jahr für Jahr zu.<br />

Wir beobachten <strong>ein</strong>e erhebliche Steigerung<br />

der Zahl der Betreuten im ambulant betreuten<br />

Wohnen, <strong>ein</strong>er vom Kommunalen Sozialverband<br />

<strong>Sachsen</strong> finanzierten Leistung.<br />

Hier brauchen wir auch in <strong>Zukunft</strong> erhöhte<br />

Platzkapazitäten. Die Klienten betreuen wir<br />

im Schnitt <strong>ein</strong> reichliches Jahr. In dieser Zeit<br />

konnten wir bei fast allen Betreuungsfällen<br />

neuen, selbst angemieteten Wohnraum<br />

ehemaliger wohnungsloser Bürger nachhaltig<br />

sichern helfen.<br />

Wir merken jedoch, dass es zunehmend<br />

Wohnungslosigikeit trifft Familien besonders hart.<br />

schwieriger wird, Wohnraum für zum Beispiel<br />

Mietschuldner in Zwickau <strong>und</strong> Umgebung<br />

zu finden. Oftmals steht <strong>ein</strong> hoher zeitlicher, organisatorischer <strong>und</strong> persönlicher<br />

Aufwand dahinter bis für die Betroffenen <strong>ein</strong> passender Wohnraum gef<strong>und</strong>en ist.<br />

Auch in der Beratungsstelle für wohnungslose Menschen bekommen wir das Problem<br />

zu spüren. Wissend um die „Wohnungsnot“ (vor allem bei kl<strong>ein</strong>eren Wohnungen), versuchen<br />

wir deshalb intensiv, den vorhandenen Wohnraum bei Ratsuchenden, denen <strong>ein</strong><br />

Verlust der Wohnung droht, zu erhalten. Darüber hinaus gilt es, Miet- <strong>und</strong> Energieschulden<br />

abzubauen oder gegebenenfalls auch Ersatz- <strong>und</strong> Übergangswohnraum zur Verfügung<br />

zu stellen. Der Treff in der Römerstraße 11 hat die Funktion, dem bisher beschriebenen


Personenkreis wenigstens für <strong>ein</strong> paar St<strong>und</strong>en <strong>ein</strong>en Schutzraum zu bieten. Betroffene<br />

erfahren hier Zuspruch <strong>und</strong> Mitgefühl <strong>–</strong> Ver<strong>ein</strong>samungstendenzen werden mit diesem<br />

Angebot vorgebeugt. Das stützt den Selbstwert <strong>und</strong> gibt dem Selbsthilfepotenzial neue<br />

Impulse. Der Treff arbeitet der gesellschaftlichen Ausgrenzung von Wohnungslosen aktiv<br />

entgegen <strong>und</strong> soll in der Gesamtheit s<strong>ein</strong>er Angebote <strong>ein</strong>e Teilnahme am Leben in der<br />

Gem<strong>ein</strong>schaft ermöglichen. Umso wichtiger ist es, diese durch die Stadt Zwickau <strong>und</strong> den<br />

Landkreis Zwickau als freiwillig <strong>ein</strong>gestufte Aufgabe nicht aufzugeben, sondern weiter in<br />

angemessener Weise zu finanzieren.<br />

<strong>Für</strong> das Jahr 2009 flossen ausschließlich Landkreismittel zur Aufrechterhaltung des Angebotes<br />

<strong>–</strong> allerdings erst nach zähem Ringen <strong>und</strong> <strong>ein</strong>em durch viel Lobbyarbeit <strong>und</strong> Gebet<br />

bewirkten Kreistagsbeschluss. <strong>Für</strong> uns war dies trotz aller Kämpfe <strong>ein</strong> Gr<strong>und</strong> zur Dankbarkeit<br />

für diese Chance zum Weitermachen. Neben den langjährig „etablierten“ Angeboten<br />

in der Wohnungslosenhilfe führten wir bis ins Jahr 2009 <strong>ein</strong> Streetwork-Projekt durch,<br />

das vier Jahre lang überwiegend durch „Aktion Mensch“ gefördert wurde. Streetwork<br />

heißt Straßenarbeit <strong>und</strong> weist damit auf den Sinn dieses Projektes hin: Die Mitarbeiter <strong>und</strong><br />

Mitarbeiterinnen sind nicht nur in unseren Räumen tätig, sondern begeben sich in das<br />

unmittelbare Lebensumfeld wohnungsloser Menschen, auf die Straßen <strong>und</strong> Plätze. Wir erreichten<br />

viele Betroffene, die bis dahin k<strong>ein</strong>erlei Hilfe in Anspruch nahmen <strong>und</strong> motivierten<br />

sie mit Erfolg, ihre Probleme schrittweise anzugehen.<br />

Da nach Ablauf der Projektlaufzeit die Anschlussfinanzierung nicht zustande kam, kann<br />

diese Hilfeform im Jahr 2010 nicht fortgeführt werden. Damit gehen die Chancen, das<br />

wohl niederschwelligste Angebot für wohnungslose Menschen aufrechtzuerhalten, gegen<br />

Null. Einziger Trost: Die gewonnenen Erfahrungen bleiben uns erhalten <strong>und</strong> fließen auch in<br />

die tägliche Beratungsarbeit <strong>ein</strong>.<br />

Leben in der Gesellschaft sichern<br />

Kontakt- <strong>und</strong> Beratungsstellen für Menschen mit<br />

(chronisch) psychischer Erkrankung<br />

Mitgliedsorganisationen des PARITÄTISCHEN <strong>Sachsen</strong> sind Träger von Kontakt- <strong>und</strong> Beratungsstellen<br />

für Menschen mit (chronisch) psychischer Erkrankung. Die Beratungs-stellen<br />

bieten <strong>ein</strong>en niedrigschwelligen Zugang zu interdisziplinären <strong>und</strong> fachübergreifenden<br />

Hilfsangeboten. Auf diesem Weg gelingt es, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft für<br />

die erkrankten Personen zu sichern bzw. wieder herzustellen. So zum Beispiel durch:<br />

Information <strong>und</strong> Beratung zu sozialrechtlichen Belangen (Vermeidung von Wohnungslosigkeit,<br />

Gr<strong>und</strong>sicherung, Entschuldung, Vermeidung von Verschuldung)<br />

31


Praxisbeispiele PARITÄTISCHER Wohlfahrtsverband<br />

Unterstützung <strong>und</strong> gegebenefalls Begleitung bei Anträgen, Ämter- <strong>und</strong><br />

Behördengängen<br />

Information <strong>und</strong> Beratung zur medizinischen <strong>und</strong> Rehabilitationsmöglichkeiten,<br />

Kontaktvermittlung<br />

Koordination <strong>und</strong> Vernetzung von Leistungen<br />

besondere Leistungen, die in <strong>ein</strong>er Krisensituation notwendig werden<br />

Hinzu kommen Angebote zur Tagesstrukturierung sowie Kontakt- <strong>und</strong> Freizeitangebote,<br />

durch die <strong>ein</strong> entscheidender Beitrag zur Vermeidung von sozialer Isolation geboten<br />

wird. Durch Hilfen zum Erhalt <strong>und</strong> Training von Fertigkeiten beispielsweise durch ergotherapeutische<br />

Angebote kann man <strong>ein</strong>er Chronifizierung der Erkrankung entgegenwirken.<br />

Die Aktivierung von Ressourcen <strong>und</strong> Selbsthilfepotentialen sowie die Förderung der Lebenskompetenz<br />

dienen als Gr<strong>und</strong>lage von Prävention. Dazu gehört auch die Unterstützung<br />

bei der <strong>Zukunft</strong>splanung. Eine wichtige Rolle übernehmen die Beratungsstellen bei<br />

der Begleitung in Übergangsphasen. Dies kann der Wechsel von der Klinik nach Hause,<br />

von der Arbeitslosigkeit in die Ausbildung oder Beschäftigung <strong>und</strong> schließlich wieder ins<br />

Berufsleben s<strong>ein</strong>.Entscheidend ist dabei auch die Einbindung von Angehörigen <strong>und</strong> des<br />

sozialen Umfeldes. Ein Mittel dazu sind beispielsweise Selbsthilfegruppen, die ebenfalls<br />

Unterstützung erhalten.<br />

Insgesamt tragen die Kontakt- <strong>und</strong> Beratungsstellen durch Ihre Angebote dazu bei,<br />

dass die Erkrankten ihre Würde behalten, sich nicht von Ihrem Lebensumfeld abschotten<br />

<strong>und</strong> das Problem<br />

(chronisch) psychische<br />

Erkrankung entstigmatisiert<br />

wird. Ganz<br />

entscheidend ist außerdem,<br />

die Vermeidung<br />

oder Verkürzung<br />

von Klinikaufenthalten<br />

sowie in stationären<br />

Wohnangeboten. Damit<br />

sorgen Sie für <strong>ein</strong>e<br />

nicht unerhebliche finanzielle<br />

Entlastung<br />

der Pflege- <strong>und</strong> Sozialkassen.<br />

Der PARITÄTISCHE untersützt psychisch kranke Menschen bei der Wieder<strong>ein</strong>gliederung<br />

in die Gesellschaft.<br />

32


Im Pflegeheim der vierten Generation leben die Bewohner in kl<strong>ein</strong>en Wohngem<strong>ein</strong>schaften.<br />

Leben im Alter<br />

Das Pflegeheim der vierten Generation<br />

Der demographische Wandel <strong>und</strong> die Berücksichtigung individueller Bedürfnisse stellen<br />

an die Betreuung <strong>und</strong> Pflege von Seniorinnen <strong>und</strong> Senioren immer wieder neue Herausforderungen.<br />

Ein Ansatz zur Lösung dieser Herausforderung ist das sogenannte „Pflegeheim<br />

der vierten Generation“. Gegenüber herkömmlichen Pflegeheimen leben die Bewohnerinnen<br />

<strong>und</strong> Bewohner in kl<strong>ein</strong>en Wohngem<strong>ein</strong>schaften zusammen, dem sogenannten<br />

Wohn-Pflege-Haushalten. Es geht dabei um das ges<strong>und</strong>e Gleichgewicht zwischen Eigenverantwortung<br />

<strong>und</strong> Betreuung. Die Betreuung erfolgt durch geschulte „Alltagsgestalter“,<br />

das heißt, die Bewohnerinnen <strong>und</strong> Bewohner werden entsprechend ihre individuellen<br />

Wünsche, Möglichkeiten <strong>und</strong> Gewohnheiten in die Aktivitäten des täglichen Lebens <strong>ein</strong>bezogen.<br />

Die pflegerische Versorgung übernimmt qualifiziertes Pflegepersonal.<br />

Ein Beispiel für dieses Modell ist das Altenpflegeheim „Sonnenhof“ der Volkssolidarität in<br />

Schildau. Von Anfang an war es Ziel der Einrichtung, dass sich die Bewohnerinnen <strong>und</strong><br />

33


Praxisbeispiele PARITÄTISCHER/Zentralwohlfahrtsstelle<br />

Bewohner im Heim zuhause fühlen. Erreicht wurde dies durch die Schaffung von Räumen,<br />

in denen man sich mit dem eigenen Ich identifizieren kann, um den eigenen Lebensbedürfnissen<br />

nachzugehen. Neben dem Aspekt der Pflege steht die Betreuung im Vordergr<strong>und</strong>,<br />

welche von der Qualität der hauswirtschaftlichen Dienstleistung be<strong>ein</strong>flusst wird. Mit der<br />

Einführung des Konzeptes der Hausgem<strong>ein</strong>schaften sind die bisherigen Organisationsstrukturen<br />

<strong>ein</strong>es Altenpflegeheims aufgelöst <strong>und</strong> zu Alltagsaktivitäten, wie beispielsweise<br />

der Zubereitung von Mahlzeiten <strong>und</strong> ähnlichem, verlagert worden.<br />

Die Umstellung auf dieses innovative Konzept der Betreuung <strong>und</strong> Pflege älterer Menschen<br />

schlug sich auch in der Personalplanung nieder, da die Schnittstelle zwischen<br />

Hauswirtschaft <strong>und</strong> Pflege <strong>ein</strong> anderes Management beziehungsweise <strong>ein</strong>en anderern<br />

Aufgabenzuschnitt als in herkömmlichen Pflegeheimen beansprucht. Somit können die<br />

Bewohnerinnen <strong>und</strong> Bewohner, unter Berücksichtigung der Biografie <strong>und</strong> der Teilnahme<br />

an hauswirtschaftlichen Aktivitäten im Wohnumfeld, das Leben im Altenpflegeheim<br />

„Sonnenhof“ genießen. Alle Entscheidungen oder auch Probleme werden im Heimbeirat<br />

besprochen, um den Wünschen <strong>und</strong> Bedürfnissen in optimaler Weise nachzukommen.<br />

Der Hilfebedarf steigt<br />

Unterstützung für die jüdischen Gem<strong>ein</strong>den in <strong>Sachsen</strong><br />

Durch die Zuwanderung jüdischer Kontingentflüchtlinge stieg die Zahl der Mitglieder der<br />

jüdischen Gem<strong>ein</strong>de Dresden von 61 (1990) auf 681 (2009) Personen. 348 von ihnen sind<br />

über 60 Jahre, altersbedingt sind viele von ihnen in schlechter ges<strong>und</strong>heitlicher Verfassung.<br />

Ein Großteil der Migranten ist zudem finanziell dauerhaft auf Gr<strong>und</strong>sicherung angewiesen.<br />

Die Stadt Dresden übernimmt jedoch nur die gesetzlichen Pflichtaufgaben, die<br />

Migrationserstberatungsstellen können aus formalrechtlichen Gründen nur die nach 2005<br />

Zugezogenen betreuen. R<strong>und</strong> 90 Prozent der zugewanderten Gem<strong>ein</strong>demitglieder kamen<br />

jedoch bereits vor 2005 im geregelten Aufnahmeverfahren nach Deutschland.<br />

Während die jungen Migranten relativ schnell über vielfältige Bildungswege Anschluss<br />

fanden <strong>und</strong> möglichen Arbeitsplätzen deutschlandweit nachzogen, blieben die Älteren<br />

weitgehend isoliert <strong>und</strong> wenig betreut zurück. Der soziale Hilfebedarf bei der Alltagsbewältigung<br />

stieg stetig.<br />

Wird diese Hilfe durch soziale Dienstleister erbracht, so eröffnen sich dabei wiederum<br />

Fragen zu kultur- <strong>und</strong> religionsspezifischen Thematiken, beispielsweise der medizinischen<br />

Versorgung oder der Bestattung. Hinzu kommen Sprachprobleme. Die Sozialabteilung<br />

der jüdischen Gem<strong>ein</strong>de hilft beratend <strong>und</strong> wird vermittelnd tätig. Die Jüdische Gem<strong>ein</strong>de<br />

34


zu Dresden hat jedoch<br />

in erster Linie Verpflichtungen<br />

als Religionsgem<strong>ein</strong>schaft<br />

zu erfüllen,<br />

bemüht sich aber traditionell<br />

im Rahmen ihrer<br />

begrenzten personellen<br />

<strong>und</strong> finanziellen Möglichkeiten<br />

auch um die<br />

sozialen Anliegen ihrer<br />

Mitglieder. Um allen Ansprüchen<br />

gerecht zu werden,<br />

hilft ihr besonders<br />

die Unterstützung durch<br />

derzeit <strong>ein</strong>en haupt- <strong>und</strong><br />

zehn ehrenamtlich engagierte<br />

Migranten. Diese<br />

Kapazitäten stehen an-<br />

Die Zentralwohlfahrtstelle berät jüdische Migranten <strong>und</strong> hilft somit bei<br />

der erfolgreichen Integration.<br />

gesichts der Vielzahl besonders schutzbedürftiger älterer Zuwanderer in k<strong>ein</strong>em Verhältnis<br />

zum Bedarf an qualifizierter sozialer Beratung <strong>und</strong> Begleitung.<br />

Zusätzlich gestaltet sich das Zusammenwachsen von alt<strong>ein</strong>gesessener Gem<strong>ein</strong>demitgliedern<br />

<strong>und</strong> Zugewanderten schwierig. Die Vorstellungen über Judentum <strong>und</strong> die Funktion<br />

<strong>und</strong> Struktur jüdischer Gem<strong>ein</strong>den, mit denen die Migranten <strong>ein</strong>reisen, entsprechen vielfach<br />

nicht der Realität in Deutschland. Enttäuschung auf beiden Seiten ist die Folge, was<br />

die Integration zusätzlich erschwert. Seit 2008 werden deshalb verschiedene Veranstaltungsformen<br />

entwickelt <strong>und</strong> auch rege genutzt. So zum Beispiel gem<strong>ein</strong>same Ausstellungen,<br />

Erzählnachmittage <strong>und</strong> die Sammlung von Lebensgeschichten für <strong>ein</strong>e Gem<strong>ein</strong>depublikation.<br />

Die Beschäftigung mit den Biographien der jeweils anderen „Mitgliedergruppe“<br />

verbessert die Kommunikation, das Verständnis <strong>und</strong> eröffnet Gem<strong>ein</strong>samkeiten.<br />

Die Arbeit der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Juden <strong>und</strong> der jüdischen Gem<strong>ein</strong>de in Dresden<br />

umfasst zur Zeit neben der Sozialberatung (Krisenintervention, Informationsaufbereitung,<br />

Hilfe bei der Beantragung <strong>und</strong> Inanspruchnahme erforderlicher Hilfen oder psychische<br />

<strong>und</strong> physische Präventionsangebote zur sozialen Stabilisierung) <strong>und</strong> den sozialen<br />

Interaktionsmöglichkeiten (Deutschkurse, Mobile Bibliothek, Gem<strong>ein</strong>de- <strong>und</strong> Seniorenabende)<br />

vor allem Netzwerkarbeit zur besseren Integration <strong>und</strong> Bündelung von Ressourcen.<br />

Gegenseitig verbesserte Aufmerksamkeit ist dabei <strong>ein</strong> Schlüssel zur Integration.<br />

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