Ausgewählte Artikel - Arcor.de
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Nr. 6 – Juni 2011<br />
Wir waren und sind Nachbarn<br />
Ein offener Brief<br />
Liebe Iglauer Nachbarinnen und Nachbarn,<br />
über Jahrhun<strong>de</strong>rte haben wir und unsere Vorfahren Tür an Tür, Haus an Haus gewohnt<br />
– und trotz<strong>de</strong>m fragen sich heute viele, ob wir uns als Nachbarn anre<strong>de</strong>n wollen, ob<br />
wir uns als Nachbarn verstehen. Wir meinen ganz entschie<strong>de</strong>n: Ja!<br />
Und diese neue Nachbarschaft könnte mehr sein, als die vergangene, <strong>de</strong>nn sie wäre<br />
eine, die wir bewusst miteinan<strong>de</strong>r eingehen, im Wissen darüber, was zerstört wur<strong>de</strong>,<br />
als wir keine Nachbarschaft pflegten, als wir uns gegeneinan<strong>de</strong>r wen<strong>de</strong>ten o<strong>de</strong>r aufeinan<strong>de</strong>r<br />
hetzen ließen, aber auch in <strong>de</strong>r Erinnerung, wie Iglau und das Igelland blühten,<br />
solange wir uns in <strong>de</strong>r Liebe und Verantwortung zu unserer gemeinsamen Heimat<br />
einig waren. Glück und Leid, Aufbau und Zerstörung – sie sind unsere gemeinsamen<br />
Geschichte, vor <strong>de</strong>ren Herausfor<strong>de</strong>rungen wir alle nicht immer bestan<strong>de</strong>n haben.<br />
Ein Teil dieser Geschichte erfüllt uns als <strong>de</strong>utsche Iglauer mit beson<strong>de</strong>rer Scham<br />
und tiefer Trauer: Einzelne wenige haben mitgewirkt, fast alle aber haben zur Seite<br />
geschaut und nichts unternommen, als unsere jüdischen Mitbürger Opfer eines im<br />
<strong>de</strong>utschen Namen begangenen unvorstellbaren Verbrechens wur<strong>de</strong>n. Dieses Versagen<br />
wer<strong>de</strong>n und dürfen wir <strong>de</strong>utsche Iglauer nicht vergessen.<br />
Gemeinsam dürfen wir aber auch die Zeiten nicht vergessen, als mit wechseln<strong>de</strong>n<br />
Vorzeichen Tschechen und Deutsche mit Gut und Böse gleichgesetzt wur<strong>de</strong>n, als wir<br />
aus nationalistischer Verblendung heraus uns nicht nur gegenseitig Leid zufügten,<br />
son<strong>de</strong>rn dabei auch fast unsere gemeinsame Heimat zerstört hätten. Iglau und das<br />
Igelland zeigen uns aber heute, wie viel Kraft in <strong>de</strong>n Wurzeln schlummerte. Mit <strong>de</strong>r<br />
Rückkehr <strong>de</strong>r Freiheit nach Iglau begann auch das Wie<strong>de</strong>rerblühen.<br />
Wir sehen mit Freu<strong>de</strong>, wie die Stadt und das Umland, an <strong>de</strong>nen unser Herz immer noch<br />
hängt, sich mit Stolz <strong>de</strong>r Traditionen besinnt und mit Optimismus in die Zukunft geht.<br />
Dazu auch unseren Beitrag zu leisten, uns aktiv mit allem einzubringen was uns möglich<br />
ist, um Ihre und unsere Vaterstadt, um das ganze Igelland in seiner Schönheit, mit<br />
seiner eigenen Geschichte und seiner regionalen Beson<strong>de</strong>rheit auf <strong>de</strong>m Weg in eine<br />
gute Zukunft zu begleiten, ist uns ein aufrichtiges Anliegen.<br />
Der Fa<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r uns einst miteinan<strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>n hat – er wur<strong>de</strong> zerrissen. Aber er ist<br />
nicht verloren gegangen!. Er wartet darauf, wie<strong>de</strong>r geknüpft zu wer<strong>de</strong>n. Nehmen wir<br />
ihn auf und reichen uns die Hand,<br />
als Tschechen und als Deutsche,<br />
vor allem aber als Iglauer.<br />
Auf gute Nachbarschaft!<br />
Gemeinschaft Iglauer Sprachinsel e.V.<br />
Sepp Gleixner Erwin Pezina<br />
Bun<strong>de</strong>svorsitzen<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sgeschäftsführer<br />
(aus Deutsch-Gießhübel) (aus Iglau)<br />
3
4 Nr. 6 – Juni 2011<br />
Der Iglauer Berghäuerzug<br />
Wenn so viele von uns dieses Jahr, z.T. nach langer<br />
Zeit, wie<strong>de</strong>r die Berghäuer in Iglau marschieren sehen,<br />
so sei daran erinnert, dass wir dieses Ereignis vor allem<br />
<strong>de</strong>m Grün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Berghäuerzuges Johannes Haupt und<br />
später Schulrat Ignatz Göth zu verdanken haben. 1799,<br />
als die Stadt Iglau, begrün<strong>de</strong>t auf die Gründungssage<br />
um <strong>de</strong>n Töpfer von Altenberg, irrtümlich ihr 1000-jähriges<br />
Stadtjubiläum feierte, zog <strong>de</strong>r Berghäuerzug am<br />
Johannistag durch die Stadt. Allerdings sah man damals<br />
in <strong>de</strong>m von <strong>de</strong>n Prämonstratensern in feierlichem<br />
Pontifikalornat angeführten Zug sehr viele Fantasie-<br />
Uniformen (Gewän<strong>de</strong>r). Johannes Haupt machte sich<br />
daran, aus eigenen Mitteln einen Berghäuerzug zusammenzustellen,<br />
bei <strong>de</strong>m die Berghäuer historisch belegte<br />
Gewän<strong>de</strong>r anhatten, wie sie hauptsächlich im 16. Jahrhun<strong>de</strong>rt<br />
getragen wur<strong>de</strong>n. Am 24. Juni 1890 rückte zum<br />
ersten Mal ein Zug mit 44 korrekt geklei<strong>de</strong>ten Berghäuern<br />
aus. Im Lauf <strong>de</strong>r Jahre wuchs <strong>de</strong>r Zug dann auf 169<br />
Berghäuer. Im Zug wer<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>ne Wür<strong>de</strong>nträger<br />
(Bergrichter, Geschworene, Ratsherren, Patrizier) und<br />
Arbeiter (Schichtmeister, Hütemänner, Grubenwächter,<br />
Bergknappen, Wünschelrutengänger, Schiener u. a.)<br />
dargestellt. Die Bubenhütemänner heißen auch „Zwerglein“,<br />
weil sie die kleinsten im Zug sind. Eröffnet, d.<br />
h. angeführt wird <strong>de</strong>r Zug vom Bergmeister, begleitet<br />
von <strong>de</strong>n Bannerträgern. Der Bergmeister war <strong>de</strong>r oberste<br />
Beamte und Leiter <strong>de</strong>s königlichen Bergwerks. Er<br />
trägt einen grünen Kittel, eine rote, spanische Hose mit<br />
violetter Unterlage, erbsengrüne, lange Strümpfe, spanische<br />
Schuhe, Bergle<strong>de</strong>r mit Schwert, Samtbarett mit<br />
weißer und roter Straußenfe<strong>de</strong>r und hält, als Zeichen<br />
<strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong>, einen Streithammer in <strong>de</strong>r Hand.<br />
Lange rückte <strong>de</strong>r Berghäuerzug von <strong>de</strong>r Knabenbürgerschule<br />
aus und zog zum Johanneshügel. Heute<br />
kommen die Berghäuer aus <strong>de</strong>n „Katakomben“ am<br />
Hauptplatz (Foto). Das Johanneshügel-Kirchlein, <strong>de</strong>r<br />
Sage nach im Jahr 799 erbaut, war je<strong>de</strong>nfalls bis zur<br />
Vertreibung, immer Ziel <strong>de</strong>s Berghäuerzuges. In <strong>de</strong>r<br />
kommunistischen Zeit und auch jetzt, zog bzw. zieht<br />
<strong>de</strong>r Zug auch oft nur durch die Stadt. Der Weg zu Fuß,<br />
entlang <strong>de</strong>r Umgehungsstraße ist einfach zu lang. Im<br />
Kirchlein erinnert vieles an <strong>de</strong>n Namenspatron, Johannes<br />
<strong>de</strong>r Täufer. Der schlafen<strong>de</strong> Berghäuer allerdings ist<br />
inzwischen „verschwun<strong>de</strong>n“. Im Inneren <strong>de</strong>r Kirche<br />
wur<strong>de</strong> außer<strong>de</strong>m 1928 eine Ge<strong>de</strong>nktafel angebracht,<br />
die an Johannes Haupt erinnert. Er starb am 17. August<br />
1928. Da aber sorgte längst <strong>de</strong>r im November<br />
1919 gegrün<strong>de</strong>te „Verein zur Erhaltung <strong>de</strong>s geschichtlichen<br />
Berghäuerzuges“ mit Ignatz Göth für Ausstattung<br />
und Organisation <strong>de</strong>s Zuges. Nachfolger ist <strong>de</strong>r<br />
heutige „Berghäuerverein“ unter <strong>de</strong>r Leitung von Milan<br />
Kolař. Das Grab von Johannes Haupt befin<strong>de</strong>t sich<br />
im Eingangsbereich <strong>de</strong>s Iglauer Zentralfriedhofs, gut<br />
zu erkennen am Berghäuer auf <strong>de</strong>m Grab. Die Gemeinschaft<br />
Iglauer Sprachinsel lässt dort je<strong>de</strong>s Mal zu <strong>de</strong>n<br />
Ge<strong>de</strong>nktagen ein Blumengebin<strong>de</strong> ablegen.<br />
Am 9. Mai 1945 (an<strong>de</strong>re sprechen vom 10. Mai) hat<br />
Ignatz Göth zuerst seine Kin<strong>de</strong>r und seine Frau und<br />
dann sich selbst erschossen. Er wollte seiner Familie<br />
und sich selbst wohl Gefängnis, Verhöre, Lager, Folter<br />
und die leidvolle Vertreibung ersparen. Die Vermutung<br />
hegte er nicht ganz zu Unrecht. Ignatz Göth war wegen<br />
seiner vehementen Verteidigung <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Rechte<br />
bzw. wie ihm vorgeworfen wur<strong>de</strong>, wegen seiner „allzu<br />
<strong>de</strong>utschfreundlichen Gesinnung schon 1925 ins Visier<br />
<strong>de</strong>r tschechischen Behör<strong>de</strong>n geraten. Er wur<strong>de</strong> verhaftet<br />
und musste im September 1925 sogar für einen Monat<br />
ins Gefängnis. Darüber und über noch an<strong>de</strong>re Schikanen<br />
wie z. B. die Versetzung nach Znaim hatte er sich<br />
dann nach <strong>de</strong>m Einmarsch bei <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Behör<strong>de</strong>n<br />
beschwert. Er erhielt später (1940) vom Gericht eine<br />
Entschädigung zugesprochen. Erst 1938 konnte Ignatz<br />
Göth offiziell nach Iglau zurückkehren. Göth war kein<br />
Mitglied <strong>de</strong>r NSDAP, übernahm aber ab 1943 die Leitung<br />
<strong>de</strong>r Presseabteilung <strong>de</strong>r Partei. Vermutlich wegen<br />
dieser „Verbindung“ zu <strong>de</strong>n Nationalsozialisten und<br />
<strong>de</strong>r von ihm in seiner Eigenschaft als Bezirksschulrat<br />
an die Lehrer weitergegeben Verfügungen zur „Germanisierung“<br />
<strong>de</strong>r tschechischen Schüler, hatte er Angst als<br />
„Nazi“ eingestuft und von <strong>de</strong>n sogenannten „Revolutionsgar<strong>de</strong>n“<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Russen eingesperrt und verurteilt<br />
zu wer<strong>de</strong>n. (Quelle:<br />
„Iglauer Heimatbuch“, „Iglau u. Hakenkreuz“)JG<br />
Juni im Igelland<br />
Der Jahreszyklus im Igelland verzeichnet für <strong>de</strong>n Monat<br />
Juni keine Beson<strong>de</strong>rheiten. Die in <strong>de</strong>n Dörfern aufgestellten<br />
Maibäume waren pünktlich zu Beginn <strong>de</strong>s<br />
Monats Juni, bzw. spätestens am 31. Mai wie<strong>de</strong>r gefällt.<br />
Das Fällen war, ähnlich wie das Schmücken und<br />
Aufstellen, immer mit einem größeren „Hallo“ verbun<strong>de</strong>n.<br />
Meist gab es ein Maibaumfest, wie es z. B. heute<br />
noch von <strong>de</strong>r Nachbarschaft München gepflegt wird.
Nr. 6 – Juni 2011<br />
Nach einem Stegreifspiel, folgte <strong>de</strong>r Tanz <strong>de</strong>r „Pullapalla“<br />
( in München: Buller-Baller), <strong>de</strong>r Auftritt <strong>de</strong>r „arbeitsscheuen“<br />
Holzknechte und <strong>de</strong>s „Jägers“, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />
Baum letztendlich fällte. In <strong>de</strong>r Regel schloss das Fest<br />
mit <strong>de</strong>r Versteigerung <strong>de</strong>s Baumes und <strong>de</strong>m anschließen<strong>de</strong>n<br />
Beisammensein im Dorfgasthaus, mit Musik<br />
und manchmal auch mit Tanz. Zu Pfingsten gab es in<br />
<strong>de</strong>r Sprachinsel kein beson<strong>de</strong>res Brauchtum. Erst Fronleichnam<br />
war wie<strong>de</strong>r ein „Höhepunkt“.<br />
In <strong>de</strong>r Stadt (Foto: Altar am Hauptplatz, lei<strong>de</strong>r ohne<br />
Datumsangabe) und in <strong>de</strong>n meisten Dörfern bzw. <strong>de</strong>n<br />
Kirchsprengeln wur<strong>de</strong>n Fronleichnamsprozessionen<br />
abgehalten. Die Altäre waren reich geschmückt mit<br />
Blüten und Birkenzweigen. Nach En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Prozession,<br />
z.T. auch schon kaum dass <strong>de</strong>r Pfarrer <strong>de</strong>n Altar<br />
verlassen hatte, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Altar jedoch regelrecht „geplün<strong>de</strong>rt“.<br />
Die „Sto<strong>de</strong>rer“ steckten die so erworbenen,<br />
geweihten Birkenzweige hinters Kreuz im Herrgottswinkel<br />
o<strong>de</strong>r hinter das Schutzengel-Bild im Schlafzimmer.<br />
Die Bauern taten das Gleiche in ihren Stuben.<br />
Hier wie dort sollten die geweihten Zweige Segen bringen<br />
für das Haus und die Bewohner und vor Unglükken,<br />
Gewittern und vor allem vor „Uhameln“ schützen.<br />
Letzteres war wichtig, <strong>de</strong>nn in Weißenstein, genauer<br />
gesagt am Weißensteiner Bach, da wo sich das Tal lieblich<br />
weitet, wei<strong>de</strong>te einmal ein Bauer seine Ochsen. Die<br />
Luft war lind und <strong>de</strong>r Abend schön, so blieb er länger<br />
draußen, bis in die Nacht hinein. Als er gera<strong>de</strong> das Vieh<br />
heimtreiben wollte, hörte er plötzlich aus <strong>de</strong>r Ferne<br />
eine vielstimmiges Singen und Beten. Er blieb stehen.<br />
Es kam näher und näher und siehe da, eine Prozession<br />
wallte vorbei. Neugierig fragte er: „Wohin geht ihr mit<br />
<strong>de</strong>r Prozession?“ Da verschwand aber die Erscheinung.<br />
Ein heftiger Wind sprang auf und ein furchtbarer Donnerschlag<br />
durchdröhnte das Tal.<br />
Und im Juni gab es auch im Igelland Erdbeeren. Die<br />
Stadtbevölkerung besorgte sich diese auf <strong>de</strong>m Markt<br />
o<strong>de</strong>r fuhr aufs Land, um sie direkt beim Bauern zu holen.<br />
Weshalb die Erdbeeren aber <strong>de</strong>n Hunger nicht stillen,<br />
hat seine Begründung in folgen<strong>de</strong>r Geschichte: Die<br />
heilige Maria ging eines Tages mit <strong>de</strong>m Jesuskindlein in<br />
<strong>de</strong>n Wald. Das Jesuskindlein bekam Hunger. Da trafen<br />
sie einen Knaben, <strong>de</strong>r hatte schöne Erdbeeren in einem<br />
Körbchen. Die heilige Mutter sagte zu ihm: „Gib meinem<br />
Kindlein ein paar Beeren:“ Aber <strong>de</strong>r Knabe gab<br />
nichts her. Deshalb stillen die Erdbeeren seither keinen<br />
Hunger mehr. (Anmerkung <strong>de</strong>r Redaktion: Vielleicht<br />
hätte Maria einfach noch ein „bitte“ einfügen sollen).<br />
Schutz vor Augenlei<strong>de</strong>n bil<strong>de</strong>n die „Marientränen“, die<br />
neben vielen an<strong>de</strong>ren Kräutern, wie z.B. Kamille, im<br />
Juni auf <strong>de</strong>n Wiesen zu fin<strong>de</strong>n sind. Am besten wirken<br />
sie, wenn man sie an Fronleichnam pflückt. Denn<br />
am Fronleichnamstag zieht die heilige Maria mit <strong>de</strong>n<br />
Seelen aller verstorbenen Kin<strong>de</strong>r über die Sonnenhänge.<br />
Ihre Füße schreiten weich über die gelben Blüten,<br />
darum nennen die Leute <strong>de</strong>n Hornklee auch „Marienpantoffel“.<br />
Die Kin<strong>de</strong>rchen pflücken die saftigen Erdbeeren,<br />
die die Frühlingssonne rot und reif geküsst<br />
hat. Sie (die Seelen <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r) sind lustig und selig.<br />
Doch sind auch traurige darunter, die stehen abseits<br />
und dürfen keine Beeren pflücken. Ihre Mütter hatten<br />
einst die süßen Erdbeeren selber verzehrt. Wenn aber<br />
eine Mutter die ersten Beeren <strong>de</strong>s Frühlings pflückt und<br />
selbst isst, statt sie <strong>de</strong>m Kind zu reichen, so darf dieses,<br />
wenn es erst vor einem Jahr gestorben ist, nach keiner<br />
Erdbeere langen. Darum halten sich diese Kindlein in<br />
<strong>de</strong>r großen Schar <strong>de</strong>r Gefolgschaft Mariens abseits. An<br />
einem schönen Fronleichnamstag schritt Maria (wie<strong>de</strong>r<br />
einmal) über einen strahlen<strong>de</strong>n Hang. Die Beeren<br />
leuchteten lockend aus <strong>de</strong>m Grün <strong>de</strong>s Grases. Und die<br />
Kin<strong>de</strong>rchen sprangen glückselig nach ihnen. Da ergriff<br />
die an<strong>de</strong>ren solches Sehnen nach <strong>de</strong>n verbotenen<br />
Früchten, dass sie bitterlich weinten. So bitterlich, dass<br />
Maria mitweinen musste. Die Tränen fielen auf die<br />
Blüten. Seither sind die gelben Dol<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Hornklees<br />
rot überlaufen und die Leute nennen die Blüte daher<br />
„Marienträne“ und streichen mit ihr zu Fronleichnam<br />
über die Augen. Das bewahrt vor Augenübeln. (Quelle:<br />
„Iglauer Heimatbuch“, „Aus <strong>de</strong>m Schatzberg“) JG<br />
Erinnerungen<br />
Als Jihlava noch Iglau war<br />
3. Fortsetzung<br />
Es war eine furchtbare, durch und durch böse Zeit, die<br />
Zeit <strong>de</strong>s „1000-jährigen Reiches“. Verbrechen reihte<br />
sich an Verbrechen. Vom „Führer“ angeordnet, von<br />
fanatischen, machtbesessenen Vasallen wie Göring,<br />
Himmler, Frank, Heydrich, Dr. Mengele u. a. umgesetzt.<br />
Von Goebbels schöngere<strong>de</strong>t, propagandistisch<br />
„aufbereitet“, wur<strong>de</strong>n insbeson<strong>de</strong>re Ju<strong>de</strong>n, „Unbequeme“,<br />
Homosexuelle und Behin<strong>de</strong>rte („unwertes Leben“),<br />
aber auch alle, die nicht unbedingt <strong>de</strong>n Vorgaben<br />
<strong>de</strong>r „arischen Rasse“ entsprachen, gna<strong>de</strong>nlos verfolgt,<br />
eingesperrt, gefoltert, für medizinische „Experimente“<br />
missbraucht, verschleppt, ausgeraubt, qualvoll ermor<strong>de</strong>t.<br />
Anfangs erfolgten die „Abholungen“ noch öffentlich<br />
und recht brutal, später ging man etwas subtiler<br />
damit um und sprach offiziell nur noch von „Umsiedlung“<br />
o<strong>de</strong>r „Verhaftung“ für angebliche Vergehen. Die<br />
Nationalsozialisten hatten aus <strong>de</strong>m anfänglichen „Murren“<br />
<strong>de</strong>r Bevölkerung gelernt und mit <strong>de</strong>n weniger<br />
spektakulären „Abholungen“ erreicht, dass Nachbarn<br />
eher wegschauten. Die Hetze und Propaganda gegen<br />
die Ju<strong>de</strong>n und die eingangs erwähnten Gruppen taten<br />
natürlich ihr „Übriges“. Wie man weiß, waren auch<br />
in Iglau und <strong>de</strong>n Dörfern <strong>de</strong>r Sprachinsel plötzlich<br />
die jüdischen Nachbarn „weggezogen“. Es dürfte so<br />
manchem bekannt gewesen sein, welches Schicksal<br />
5
6 Nr. 6 – Juni 2011<br />
die „Weggezogenen“ erwartete, <strong>de</strong>nn schließlich gab<br />
es „Mein Kampf“ zur Hochzeit geschenkt. Auch wer<br />
<strong>de</strong>s „Führers“ Pamphlet nur oberflächlich durchblätterte,<br />
bevor es gut sichtbar – man wusste ja nie wer zu<br />
Besuch kam – im Bücherregal verstaubte, konnte zumin<strong>de</strong>st<br />
eine Ahnung von <strong>de</strong>m bekommen, was Hitler<br />
vorhatte.<br />
Auf vier Organisationen konnte sich das Naziregime<br />
für sein verbrecherisches, menschenverachten<strong>de</strong>s Tun<br />
verlassen: Schutzstaffel (Abkürzung „SS“), Geheime<br />
Staatspolizei (GestaPo), Schutzpolizei (SchuPo) und<br />
die Wehrmacht. Während jedoch SS und GestaPo von<br />
<strong>de</strong>n Nürnberger Prozessen (zu Recht) als „Verbrecherische<br />
Organisation“ eingestuft wur<strong>de</strong>, blieben Wehrmacht<br />
und SchuPo diese Zuordnung erspart, da sich<br />
nicht alle Soldaten und Schutzpolizisten als „willige<br />
Helfer“ betätigten. Aber es war schon erstaunlich, wie<br />
z.B. aus einfachen Verkehrspolizisten (zu <strong>de</strong>n hoheitlichen<br />
Aufgaben <strong>de</strong>r SchuPo gehörte auch die Regelung<br />
<strong>de</strong>s Verkehrs), plötzlich Massenmör<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n.<br />
Im Wesentlichen „wüteten“ SS und GestaPo und die<br />
„Helfer“ aus Polizei und Wehrmacht im Reich selbst<br />
und ganz beson<strong>de</strong>rs massiv in <strong>de</strong>n „Ostlän<strong>de</strong>rn“. Letztere<br />
sollten bekanntlich auf Hitlers Befehl entvölkert<br />
und germanisiert wer<strong>de</strong>n. Für diese „Aufgabe“ wur<strong>de</strong>n<br />
verstärkt Polizisten und Soldaten herangezogen, da SS<br />
und GestaPo dafür zu wenig Personal hatten. Vor allem<br />
die GestaPo war zumin<strong>de</strong>st lange Zeit keine so große<br />
und personalstarke Organisation, wie vermutet und von<br />
<strong>de</strong>r NS-Propaganda geschickt verbreitet wur<strong>de</strong>. Doch<br />
durch das Heranziehen von Spitzeln (Denunzianten),<br />
oft dazu erpresst, gelang es <strong>de</strong>r GestaPo „allgegenwärtig“<br />
zu sein. Dieser Eindruck war absolut gewollt,<br />
<strong>de</strong>nn dadurch wur<strong>de</strong> je<strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstand zum Risiko für<br />
Leib und Leben, bzw. <strong>de</strong>r „normale“ Bürger überlegte<br />
es sich genau, sich politisch o<strong>de</strong>r gesellschaftskritisch<br />
zu äußern o<strong>de</strong>r gar zu betätigen. Und auch die bewusst<br />
pressewirksamen Prozesse gegen beson<strong>de</strong>rs mutige<br />
Wi<strong>de</strong>rständler – im Nazijargon „Vaterlandsverräter“ –<br />
wie z.B. die Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r „Weißen Rose“ (Geschwister<br />
Scholl), trugen selbstverständlich dazu bei, ein Klima<br />
<strong>de</strong>r Angst und <strong>de</strong>s „Duckmäusertums“ zu schaffen.<br />
Es darf wohl zu Recht angenommen wer<strong>de</strong>n, dass die<br />
Mischung aus Angst und geschickter Propaganda ganz<br />
erheblich dazu beitrugen, dass fast das gesamte <strong>de</strong>utsche<br />
Volk Hitler und seinem Machtapparat zujubelte.<br />
Beeindruckend waren natürlich auch die Massenaufmärsche<br />
und die Fackelzüge, die Berichte über <strong>de</strong>n<br />
aufblühen<strong>de</strong>n Wohlstand und die Zuwachsraten in <strong>de</strong>r<br />
Industrie (vor allem <strong>de</strong>r Rüstungsindustrie) in <strong>de</strong>n Wochenschauen,<br />
sowie Kino-Filme, die eine „heile Welt“<br />
vorgaukelten. Auch die damaligen Stars wie Lale An<strong>de</strong>rsen,<br />
Hans Albers o<strong>de</strong>r Zarah Lean<strong>de</strong>r, die die Soldaten<br />
an <strong>de</strong>r Front (in Wirklichkeit weit dahinter) besuchten,<br />
gaukelten eine schöne Welt, einen „sauberen“<br />
Krieg mit glücklichen Soldaten vor und wiegten das<br />
Volk in einer trügerischen Sicherheit. Dadurch bemerkte<br />
das Volk <strong>de</strong>n Betrug an ihm viel zu spät, glaubte viel<br />
zu lange <strong>de</strong>r Mär vom „Endsieg“.<br />
Die GestaPo, die direkt Hermann Göring unterstand<br />
und von Heinrich Himmler befehligt wur<strong>de</strong>, entwickelte<br />
sich ab 1934 zu einer größeren Organisation. Grund<br />
war, dass die Kriminalpolizei mit <strong>de</strong>r GestaPo vereint<br />
wur<strong>de</strong> und nun neben Repressalien gegen „die politischen<br />
Gegner <strong>de</strong>s Nationalsozialismus“, also wie<strong>de</strong>rum<br />
gegen die Eingangs erwähnten Gruppen und gegen<br />
„Asoziale und Arbeitsscheue“ sowie z. B. gegen die<br />
„Zeugen Jehovas“, auch die Überwachung von Kriegsgefangenen<br />
und Zwangsarbeitern übernahm. Die Verhöre<br />
<strong>de</strong>r GestaPo waren gefürchtet und die GestaPo<br />
nutzte ihre Machtstellung auch immer wie<strong>de</strong>r zur Ermordung<br />
„politischer Gegner“. Die Iglauer Dienststelle<br />
<strong>de</strong>r GestaPo war in <strong>de</strong>r Tiefengasse. Später nutzten<br />
die sogenannten „Revolutionsgar<strong>de</strong>n“ <strong>de</strong>r Tschechen<br />
dieses Domizil für ihre berüchtigten, grausamen Verhöre.<br />
Mit <strong>de</strong>n Aufgaben wuchs <strong>de</strong>r Personalbedarf und<br />
so waren am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „Dritten Reiches“ nicht weniger<br />
als 31.000 Deutsche Mitarbeiter <strong>de</strong>r GestaPo, 4000<br />
davon im Ausland, d. h. in <strong>de</strong>n besetzten Län<strong>de</strong>rn, um<br />
dort Wi<strong>de</strong>rstandsgruppen zu eliminieren. Während die<br />
SA (Sturmabteilung), 1923 zum persönlichen Schutz<br />
Adolf Hitlers gegrün<strong>de</strong>t, an Be<strong>de</strong>utung verlor, stieg<br />
die Macht <strong>de</strong>r SS unaufhörlich. Anfangs unterstand die<br />
am 4. April 1925 gegrün<strong>de</strong>te SS sogar noch <strong>de</strong>r SA.<br />
Sie war lediglich als Saalschutz für die Veranstaltungen<br />
<strong>de</strong>r NSDAP vorgesehen und bestand auf <strong>de</strong>r Führungsebene<br />
nur aus maximal 12 Personen in <strong>de</strong>n Gauen.<br />
In Berlin war die SS doppelt so stark besetzt. Der<br />
Name „Schutzstaffel“ wur<strong>de</strong> vom damaligen (1925)<br />
SA-Führer Göring vorgeschlagen, bzw. eingeführt. Der<br />
erste „Reichsführer SS“, Joseph Berchtold, trat 1927<br />
zurück, u. a. wegen <strong>de</strong>s „geringen Handlungsspielraumes“,<br />
<strong>de</strong>n ihm die SA ließ. Nachfolger wur<strong>de</strong> Erhard<br />
Hei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n damals 27-jährigen Heinrich Himmler,<br />
seinerzeit Mitglied <strong>de</strong>r „Römischen Reichsflagge“, zu<br />
seinem Stellvertreter machte. Hei<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> am 5. Januar<br />
1929 von Hitler entlassen. Hei<strong>de</strong>n hatte sich seine<br />
SS-Uniformhosen von einem befreun<strong>de</strong>ten jüdischen<br />
Schnei<strong>de</strong>r anfertigen lassen. Im April 1933 wur<strong>de</strong> Joseph<br />
Hei<strong>de</strong>n auf Befehl Himmlers in München ermor<strong>de</strong>t.<br />
Zunächst zum Verdruss <strong>de</strong>r Wehrmacht, mischte die<br />
SS dann auch bei Kriegshandlungen mit. Am 12. März<br />
1938 marschierte die „SS-Verfügungstruppe“ zusammen<br />
mit <strong>de</strong>r Wehrmacht in Österreich ein und grün<strong>de</strong>te<br />
in Wien ein bewaffnetes SS-Regiment, die „SS-Standarte“.<br />
Die „SS-Verfügungstruppe“ zog im Okotber<br />
1938 auch mit in’s Su<strong>de</strong>tenland ein und war dabei,<br />
als im März 1939 die Resttschechei besetzt und das<br />
Protektorat gegrün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>. Nach und nach wur<strong>de</strong>n<br />
die „Leibstandarte“, die „Verfügungstruppe“ und die<br />
„Totenkopfverbän<strong>de</strong>“ zur „Waffen-SS“ verschmolzen.<br />
SS-Angehörige, militärisch und i<strong>de</strong>ologisch geschult<br />
an <strong>de</strong>n „SS-Junkerschulen“, wur<strong>de</strong>n sowohl an <strong>de</strong>r<br />
Front, im „Sicherheitsdienst“, als auch in <strong>de</strong>n Konzentrationslagern<br />
eingesetzt. Der erste Kampfeinsatz <strong>de</strong>r<br />
SS erfolgte beim Polenfeldzug. Die kämpfen<strong>de</strong>n SS-<br />
Teile unterstan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Kommando <strong>de</strong>r Wehrmacht.<br />
Bald machte die Wehrmacht keinen Unterscheid mehr<br />
zwischen ihren Soldaten und <strong>de</strong>n ihr unterstellten SS-<br />
Einheiten. So konnte es sein, dass junge Männer, die<br />
eingezogen wur<strong>de</strong>n, sich plötzlich bei einer SS-Einheit<br />
wie<strong>de</strong>rfan<strong>de</strong>n, weil dort gera<strong>de</strong> Soldaten gebraucht<br />
wur<strong>de</strong>n. Aber man konnte sich auch speziell bei <strong>de</strong>r einen<br />
o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren „Truppe“ mel<strong>de</strong>n.
Nr. 6 – Juni 2011<br />
Der nicht militärische Tel <strong>de</strong>r SS wur<strong>de</strong> hauptsächlich<br />
zu „Säuberungsaktionen“ im „Reich“ herangezogen.<br />
Aber diese „SS-Schergen“ rückten auch sofort nach<br />
Eroberung von Städten und Dörfern im Osten dorthin<br />
nach, um auch dort die „Richtlinien <strong>de</strong>r Rasseni<strong>de</strong>ologie“<br />
umzusetzen. Im Klartext hieß das, Ju<strong>de</strong>n und<br />
nicht <strong>de</strong>n „Arischen Rassegesetzen“ entsprechen<strong>de</strong><br />
Personen zu ermor<strong>de</strong>n, bzw. in Konzentrationslager zu<br />
überführen, um sie dort umbringen zu lassen. Wegen<br />
„Personalmangels“ wur<strong>de</strong>n zu diesen Aktionen, wie<br />
bereits erwähnt, auch verstärkt Wehrmachtssoldaten<br />
und Polizeibataillone eingesetzt. Ganz gezielt in Polen<br />
und Russland wur<strong>de</strong>n dabei, gemäß Hitlers Befehl, unbarmherzig<br />
Männer, Frauen, Kin<strong>de</strong>r zusammengetrieben<br />
in <strong>de</strong>n Städten, mehr noch in <strong>de</strong>n Dörfern zusammengetrieben<br />
und erschossen. Häuser und Stallungen<br />
wur<strong>de</strong>n angezün<strong>de</strong>t, Tiere starben qualvoll. Zahlreiche<br />
Massengräber, Kreuze und Ge<strong>de</strong>nkstätten sind hetue<br />
stumme Zeugen dieses abscheulichen Tuns, befohlen<br />
vom machtgierigen, größenwahnsinnigen „Führer“ und<br />
seinen tausendfach nur allzu willigen Helfern, gedul<strong>de</strong>t<br />
von <strong>de</strong>njenigen, die wegschauten. Trotz<strong>de</strong>m: Eine absolut<br />
kollektive (gemeinsame) Schuld <strong>de</strong>r Deutschen<br />
gibt es nicht, aber eine politische und gesellschaftliche<br />
Verantwortung schon. Aus dieser Verantwortung darf<br />
sich Deutschland auch nicht stehlen. Genauso wenig<br />
wie sich Russland, Polen o<strong>de</strong>r Tschechien nicht <strong>de</strong>r<br />
Verantwortung entziehen kann, für das, was dann „im<br />
Namen <strong>de</strong>r Vergeltung“ geschehen ist. Im Gegenteil:<br />
Die Verantwortung muss gegenwärtig bleiben, sie<br />
muss – und ist es auch weitestgehend – Grundlage <strong>de</strong>r<br />
Versöhnung sein. Ohne die Verantwortung <strong>de</strong>s Staates<br />
für das Tun <strong>de</strong>s ihm anvertrauten Volkes kann die Erinnerung<br />
nicht wachgehalten wer<strong>de</strong>n. Und die Erinnerung<br />
ist das Fundament <strong>de</strong>r Versöhnung und Verständigung.<br />
Der Staat jedoch sind wir alle, sind alle Russen,<br />
alle Tschechen. Und weil das so ist, obliegt auch allen<br />
die Verantwortung dafür zu sorgen, dass sich <strong>de</strong>rartige<br />
Gräuel, <strong>de</strong>rartiges Leid und <strong>de</strong>rartige Verbrechen gegen<br />
die Menschlichkeit, wie sie ganz massiv während<br />
und nach <strong>de</strong>m 2. Weltkrieg, aber auch in „<strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>r<br />
Unterdrückung“ davor, allgegenwärtig waren, nie mehr<br />
wie<strong>de</strong>rholen dürfen.<br />
Selbstverständlich wur<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Wochenschauen, im<br />
Radio und in <strong>de</strong>n Re<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>n Aufmärschen, in extra<br />
dafür produzierten Filmen, nicht die hässliche Seite<br />
<strong>de</strong>s Krieges gezeigt. Zu schneidiger Musik wur<strong>de</strong>n<br />
ebenso „schneidige“, gut aussehen<strong>de</strong> Soldaten und<br />
Offiziere gezeigt, <strong>de</strong>ren „hel<strong>de</strong>nhafter To<strong>de</strong>smut“ die<br />
<strong>de</strong>utschen Armeen von Sieg zu Sieg eilen ließen, begleitet<br />
von jubeln<strong>de</strong>n Massen. Tatsächlich gab es diese<br />
„Massen“, hauptsächlich in <strong>de</strong>n Gebieten, in <strong>de</strong>nen<br />
<strong>de</strong>utsche Min<strong>de</strong>rheiten lebten, wie z. B. an <strong>de</strong>r Wolga.<br />
Die dort leben<strong>de</strong>n Deutschen wur<strong>de</strong>n im Übrigen umgesie<strong>de</strong>lt,<br />
z. T. in die frei gewor<strong>de</strong>nen Gebiete in Polen.<br />
Als die Umsiedler von dort vor <strong>de</strong>n Soldaten <strong>de</strong>r Roten<br />
Armee flohen, meinte Göring, <strong>de</strong>r das zufällig sah, sie<br />
hätten „wohl ein bisschen Dankbarkeit zeigen können<br />
für das Gute, das man ihnen angetan hat und gegen die<br />
Bolschewiken kämpfen, anstatt feige davonzurennen“.<br />
Auch z. B. in Ostpreußen und in Österreich säumten<br />
Tausen<strong>de</strong> die Straßen beim Einmarsch <strong>de</strong>r Deutschen.<br />
In Ostpreußen wur<strong>de</strong>n sie als „Befreier“ und in Österreich<br />
für <strong>de</strong>n Anschluss ans „Groß<strong>de</strong>utsche Reich“ gefeiert.<br />
Auch im Su<strong>de</strong>tenland und in <strong>de</strong>n Sprachinseln<br />
<strong>de</strong>r Tschechei wur<strong>de</strong>n das Heer und die Führungsriege<br />
<strong>de</strong>r NSDAP und <strong>de</strong>r SS begeistert als die „Befreier“<br />
empfangen. Hier wur<strong>de</strong> gejubelt, weil von <strong>de</strong>n Nationalsozialisten<br />
versprochen wur<strong>de</strong>, sie wie<strong>de</strong>r „heim ins<br />
Reich“ zu holen.<br />
Berghäuer sind aufgezogen, vor <strong>de</strong>m Rathaus in Iglau,<br />
in Erwartung <strong>de</strong>s „Führers“<br />
Dazu kam, dass man in <strong>de</strong>n Sprachinseln wenig bis<br />
gar nichts von <strong>de</strong>n Verbrechen <strong>de</strong>r Nazis mitbekommen<br />
hatte, dass man dann danach auch im Prinzip vom<br />
Krieg weitestgehend verschont blieb. Das belegen<br />
auch die im Grenzboten schon öfter veröffentlichten<br />
„Jugen<strong>de</strong>rinnerungen“. Man muss dabei allerdings<br />
auch berücksichtigen, dass die „Jugen<strong>de</strong>rinnerungen“<br />
von Landsleuten geschrieben sind, die damals wirklich<br />
noch Kin<strong>de</strong>r, o<strong>de</strong>r allenfalls Jugendliche waren.<br />
Ein Personenkreis, <strong>de</strong>r sowieso eine an<strong>de</strong>re Sicht auf<br />
die Dinge hatte, vieles „spielerisch“ kompensierte. Bei<br />
<strong>de</strong>n damals Erwachsenen und ganz beson<strong>de</strong>rs bei <strong>de</strong>njenigen,<br />
die bereits <strong>de</strong>n 1. Weltkrieg erlebten, wird sich<br />
schon Sorge breit gemacht haben. Nicht zuletzt wur<strong>de</strong>n<br />
ja auch in <strong>de</strong>r Sprachinsel „wehrfähige“ Männer eingezogen,<br />
wur<strong>de</strong> für die Soldaten Kleidung gesammelt,<br />
mussten Fahrrä<strong>de</strong>r und „Kriegsopfer“ abgegeben bzw.<br />
geleistet, mussten Gefallene beklagt wer<strong>de</strong>n. Trotz<strong>de</strong>m:<br />
Sprachinselfeste wur<strong>de</strong>n gefeiert, Hochzeiten<br />
und an<strong>de</strong>re Familienfeste abgehalten, Kirchweih und<br />
Erntedank, kurzum: Das Leben, <strong>de</strong>r Jahreszyklus war.<br />
Mit wenigen „Abstrichen“ so gut wie unverän<strong>de</strong>rt.<br />
Während das Su<strong>de</strong>tenland gleich <strong>de</strong>m „Reich“ angeglie<strong>de</strong>rt<br />
wur<strong>de</strong>, stellte man die Sprachinsel rund um<br />
Hatscho! (Vermutlich in Bergersdorf, zur Begrüßung<br />
von Oberst Berger)<br />
7
8 Nr. 6 – Juni 2011<br />
Iglau, bzw. ganz Böhmen und Mähren unter Schutz<br />
(Protektion). Da für das Protektorat (vorerst) keine beson<strong>de</strong>ren<br />
Verfügungen getroffen waren, konnten auch<br />
die „Iglauer“ weitestgehend unbehelligt vom Kriegsgeschehen<br />
ihrem gewohnten Leben nachgehen. Behör<strong>de</strong>n<br />
und Schulen wur<strong>de</strong>n nach und nach wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsch<br />
o<strong>de</strong>r zumin<strong>de</strong>st auch mit <strong>de</strong>utschen Leitern, Beamten<br />
und Mitarbeitern besetzt.<br />
Die ab Gründung <strong>de</strong>r Tschechoslowakei begonnene<br />
und bis zur „Befreiung“ im Oktober 1938 bzw. <strong>de</strong>m<br />
Einmarsch in die sogenannte Rest-Tschechei am 15.<br />
März 1939 immer schikanöser wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Unterdrükkung<br />
<strong>de</strong>r Deutschen, die in <strong>de</strong>r Sprachinsel die Mehrheit<br />
stellten, hatte plötzlich wie<strong>de</strong>r ein En<strong>de</strong>. So mancher<br />
Sprachinsler „frohlockte“ ob dieser Wen<strong>de</strong> ganz<br />
schön provokant. Und das z. T. an <strong>de</strong>n Tag gelegte<br />
„wir- sind-wie<strong>de</strong>r-wer-Gehabe“, trug auch <strong>de</strong>n Bewohnern<br />
<strong>de</strong>r Sprachinsel <strong>de</strong>n zweifelhaften, aber weitestgehend<br />
unangebrachten Titel „Herrenmenschen“ ein.<br />
Wie z. B. auch in <strong>de</strong>n Kindheitserinnerungen von Ernst<br />
Plass zu lesen war, gab es nämlich trotz<strong>de</strong>m im Protektorat<br />
noch das gutnachbarschaftliche Zusammenleben<br />
mit <strong>de</strong>r tschechischen Bevölkerung, die es ja immer<br />
schon gab, auch in <strong>de</strong>n Zeiten <strong>de</strong>r Unterdrückung vor<br />
1938 bzw. 1939.<br />
Der <strong>de</strong>utsche Einmarsch in Iglau, begleitet von heftigem<br />
Schneetreiben, wie <strong>de</strong>r damalige St. Georgs-Pfadfin<strong>de</strong>r<br />
Willy Piller aus Iglau sich erinnert, war zeitgleich<br />
mit <strong>de</strong>m Einmarsch in an<strong>de</strong>ren Städten <strong>de</strong>r Tschechei.<br />
Sechs Monate später begann <strong>de</strong>r 2. Weltkrieg. Und<br />
auch daran erinnert sich Willy Piller: „Vor allem junge<br />
Männer ohne berufliche Ausbildung mel<strong>de</strong>ten sich<br />
freiwillig zum Kriegsdienst.“ Er selbst wur<strong>de</strong> 1940<br />
(nicht freiwillig) eingezogen, da stand er gera<strong>de</strong> einmal<br />
am Anfang <strong>de</strong>r achten Klasse am Iglauer Gymnasium.<br />
1945 wur<strong>de</strong>n sogar noch Jüngere eingezogen. Sie wur<strong>de</strong>n<br />
im Schnellverfahren notdürftig am Gewehr, <strong>de</strong>r<br />
Panzerfaust o<strong>de</strong>r Flak ausgebil<strong>de</strong>t, um für <strong>de</strong>n bis zuletzt<br />
propagierten „Endsieg“ zu kämpfen. Aber selbst<br />
<strong>de</strong>r Einsatz von Kin<strong>de</strong>rn wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Nazi-Propaganda<br />
benutzt, um <strong>de</strong>m Volk, das aber vielfach schon<br />
vom Gegenteil wusste, vom „siegreichen Kampf, Seit<br />
an Seit mit unseren tapferen Soldaten“ zu berichten.<br />
März 1945: Goebbels begrüßt „medienwirksam“ <strong>de</strong>n<br />
16-jährigen Schlesier Wilhelm Hübner.<br />
Der „Mährische Grenzbote“, wie viele an<strong>de</strong>re Zeitungen<br />
auch, widmete einen Großteil seiner Berichterstattung<br />
<strong>de</strong>n Re<strong>de</strong>n Adolf Hitlers, Himmlers, Goebbels<br />
und natürlich <strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Sprachinsel stammen<strong>de</strong>n<br />
„Nazigrößen“. Auch <strong>de</strong>r Grenzbote unterlag <strong>de</strong>r Pressezensur<br />
und war verpflichtet im Sinne <strong>de</strong>s Diktators<br />
und seiner Helfer zu berichten. Er betitelte sich damals<br />
sogar als „Mitteilungsblatt <strong>de</strong>r Kreisleitung Iglau <strong>de</strong>r<br />
NSDAP, <strong>de</strong>r Bezirksbehör<strong>de</strong> Iglau und <strong>de</strong>s Bürgermeisteramtes<br />
<strong>de</strong>r Stadt Iglau“. Am 2. Mai 1945 veröffentlichte<br />
<strong>de</strong>r Grenzbote auf <strong>de</strong>r Titelseite eine To<strong>de</strong>sanzeige<br />
mit <strong>de</strong>r Mitteilung „Der Führer im Kampf gefallen.<br />
Unser Führer Adolf Hitler ist heute Nachmittag in seinem<br />
Befehlsstand in <strong>de</strong>r Reichskanzlei, bis zum letzen<br />
Atemzuge gegen <strong>de</strong>n Bolschewismus kämpfend, für<br />
Deutschland gefallen.“ Für drei Tage wehten in Iglau<br />
die Fahnen auf Halbmast, für <strong>de</strong>n „gefallenen“ Führer.<br />
Keine Frage, auch <strong>de</strong>r Grenzbote war damals wie<br />
eben die meisten Zeitungen <strong>de</strong>m System angepasst und<br />
instrumentalisiert, die Ziele und vor allem – wie die<br />
Mär vom „bis zum letzten Atemzug kämpfen<strong>de</strong>n Führer“<br />
– die Lügen <strong>de</strong>r NSDAP o<strong>de</strong>r z.B. die amtlichen<br />
Mitteilungen <strong>de</strong>r Behör<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Wehrmacht zu<br />
verbreiten. Trotz<strong>de</strong>m: Der Grenzbote berichtete auch<br />
über Regionales, über das Geschehen in <strong>de</strong>r Sprachinsel.<br />
Den Grenzboten also auf ein reines „Nazi- o<strong>de</strong>r<br />
Kampfblatt“ zu reduzieren, wäre zu kurzsichtig. Nach<br />
<strong>de</strong>m 2. Mai 1945 gab es im Übrigen nochmals heftige<br />
Kämpfe im Raum Brünn. Der Krieg kam also doch<br />
noch fast bis Iglau. In Wahrheit war <strong>de</strong>r Krieg mit<br />
<strong>de</strong>m Zusammenbruch <strong>de</strong>s Russlandfeldzuges und vor<br />
allem mit <strong>de</strong>r Nie<strong>de</strong>rlage bei Stalingrad, Anfang <strong>de</strong>s<br />
Jahres 1943 schon verloren. Am 29. Januar 1943 mel<strong>de</strong>ten<br />
die Russen 16.800 Gefangene. Als die <strong>de</strong>utsche<br />
Kampfkraft am 2. Februar endgültig zusammenbrach,<br />
gerieten weitere 91.000 <strong>de</strong>utsche Soldaten in russische<br />
Gefangenschaft. 220.000 Soldaten hatten in Stalingrad<br />
gekämpft, d. h. rund 70.200 sind gefallen, erfroren,<br />
durch Krankheiten o<strong>de</strong>r Selbstmord umgekommen. Allein<br />
diese Zahlen lassen heute noch erschauern.<br />
Aber die Deutschen jubelten<br />
„unserem hel<strong>de</strong>nhaften Führer<br />
Adolf Hitler“ (Plakattitel)<br />
trotz<strong>de</strong>m noch zu, kamen in<br />
Massen zu <strong>de</strong>n Kundgebungen<br />
und lauschten „verzückt“<br />
je<strong>de</strong>m seiner (verlogenen)<br />
Worte. Und die Propaganda<br />
machte aus <strong>de</strong>m hun<strong>de</strong>rttausendfachen<br />
Tod ein „unsterbliches<br />
Vorbild <strong>de</strong>utschen<br />
Kämpfertums“. (Foto) Mehr<br />
als zynisch, be<strong>de</strong>nkt man wieviel<br />
Trauer und Leid <strong>de</strong>r hun<strong>de</strong>rttausendfache Tod in<br />
die Familien brachte. Das ist es, was die heutige Jugend<br />
nicht versteht: Wie konnte man einem Mann zujubeln<br />
<strong>de</strong>r millionenfachen Mord befahl, <strong>de</strong>r Millionen Deutsche<br />
in einem sinnlosen Krieg sterben ließ. Aber nicht<br />
nur die Zivilbevölkerung gehorchte bedingungslos,<br />
ja fast könnte man sagen willenlos <strong>de</strong>m Führer. Auch<br />
die oberste Heeres- bzw. Wehrmachtsleitung führte je<strong>de</strong>n<br />
noch so sinnlosen Befehl „gehorsahmst“ aus. So
Nr. 6 – Juni 2011<br />
hatten die Generäle, obwohl sie z. B. Hitlers Strategie<br />
für <strong>de</strong>n Russlandfeldzug von Anfang an als falsch und<br />
zum Scheitern verurteilt erkannten, Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong><br />
Soldaten in <strong>de</strong>n sicheren Tod geschickt. Und es war –<br />
nicht nur in Russland – ein äußerst barbarischer und<br />
grausamer Krieg. Nach Polen wütete die Deutsche<br />
Wehrmacht, unterstützt von SS, SchuPo und GestaPo<br />
in Russland. Das was die Soldaten tun mussten und<br />
erlebten, was sie mit-und durchmachen mussten, war<br />
<strong>de</strong>rart abscheulich, dass bis heute nur knapp 20 Prozent<br />
überhaupt darüber re<strong>de</strong>n können. Und selbst von diesen<br />
Wenigen wur<strong>de</strong> nur das Harmlosere erzählt. Angestachelt<br />
durch die allgegenwärtige NS-Propaganda, die<br />
die Russen in Re<strong>de</strong>n, in Filmen und auf Plakaten als im<br />
wahrsten Sinne blutrünstige, hinterlistige, mordgierige<br />
Monster darstellte, wur<strong>de</strong> beinah je<strong>de</strong>r noch so harmlose<br />
russische Zivilist als „Partisan“ eingestuft und einfach<br />
erschossen. Die jungen, oft unzureichend ausgebil<strong>de</strong>ten<br />
und kriegsunerfahrenen Wehrmachtssoldaten<br />
sahen überall Heckenschützen und schossen sofort auf<br />
alles was sich bewegte, oft auch auf eigene Kamera<strong>de</strong>n,<br />
die zuvor schon im Dorf angekommen waren. Sobald<br />
russische Soldaten schossen, wur<strong>de</strong> sofort als „Vergeltung“<br />
das ganze Dorf <strong>de</strong>m Erdbo<strong>de</strong>n gleichgemacht.<br />
Aber auch die russischen Soldaten verübten bei ihrem<br />
„Siegeszug“, bei <strong>de</strong>r Rückeroberung grausamste und<br />
brutalste Kriegsverbrechen. Sogar Flüchtlingskolonnen<br />
wur<strong>de</strong>n mit Panzern beschossen, von russischen<br />
Tieffliegern angegriffen. Durch die Sprachinsel ziehen<strong>de</strong><br />
Flüchtlinge aus <strong>de</strong>m Osten und zurückkehren<strong>de</strong><br />
<strong>de</strong>utsche Soldaten berichteten von <strong>de</strong>r unbarmherzigen<br />
Rache, <strong>de</strong>n Vergewaltigungen, Plün<strong>de</strong>rungen und<br />
Mor<strong>de</strong>n und warnten auch in <strong>de</strong>r Sprachinsel vor <strong>de</strong>r<br />
Roten Armee. Denn auch in Russland hetzte die Propaganda<br />
die Soldaten auf. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Schriftsteller<br />
Ilja Ehrenberg, <strong>de</strong>r in seiner Jugend in Paris Gedichte<br />
auf die Jungfrau Maria verfasst hatte, gebär<strong>de</strong>te sich<br />
wie ein Hassprediger. Er bezeichnete Deutschland als<br />
„Land <strong>de</strong>r Mör<strong>de</strong>r“ und mit <strong>de</strong>n Deutschen „sei ein für<br />
alle Mal abzurechnen.“ Seine Hass-Tira<strong>de</strong>n veröffentlichte<br />
er hauptsächlich in <strong>de</strong>r Armee-Zeitung „Roter<br />
Stern“. In <strong>de</strong>r Zeitschrift schrieb er über die <strong>de</strong>utschen<br />
Frauen: „Wir verachten sie, weil sie die Mütter, Frauen<br />
und Schwestern von Mör<strong>de</strong>rn sind.“ Überhaupt wären<br />
die Deutschen, so Ehrenberg, „Menschenfresser“, die<br />
keine „Gutscheine auf Menschlichkeit“ zu erwarten<br />
hätten. Obwohl Ehrenberg für diese Hass-Ausbrüche<br />
von seinem großen Idol Josef Stalin öffentlich in <strong>de</strong>r<br />
„Prawda“ gerügt wur<strong>de</strong>, wur<strong>de</strong> immer wie<strong>de</strong>r vermutet,<br />
aber nie belegt, dass Ehrenbergs Beiträge in <strong>de</strong>r<br />
Armee-Zeitung wohl von vielen russischen Soldaten<br />
als „Freibrief“ dafür verstan<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>utsche<br />
Frauen und Mädchen zu vergewaltigen, zu mor<strong>de</strong>n<br />
und zu brandschatzen. Selbstverständlich ließen die<br />
Russen auch die aufgestaute Wut über die hohen Verluste,<br />
die ihre Armeen erlitten hatten (sie zählten allein<br />
in Ostpreußen 458314 Tote) in wüsten Massakern an<br />
<strong>de</strong>n Deutschen aus, die sie noch in <strong>de</strong>n zurückeroberten<br />
Gebieten vorfan<strong>de</strong>n. Die meisten Rotarmisten waren<br />
zu<strong>de</strong>m Männer aus armen Bauernfamilien, <strong>de</strong>ren<br />
Leben von Hunger, Terror und Zwangskollektivierung<br />
(zwangsweise Zusammenfassung in Kolchosen) ge-<br />
prägt wur<strong>de</strong>. Da sie außer<strong>de</strong>m nie im Ausland waren,<br />
nie etwas über die Kultur und das Leben in an<strong>de</strong>ren<br />
Län<strong>de</strong>rn gesehen o<strong>de</strong>r nur erfahren hatten, erlebten sie<br />
in <strong>de</strong>n <strong>de</strong>utschen Städten und Dörfern so etwas wie einen<br />
„Kulturschock“. Staunend stan<strong>de</strong>n die russischen<br />
Soldaten vor Teppichen, Daunenbetten, Kühlschränken<br />
und großen Radioapparaten. Dieser „Luxus“, von <strong>de</strong>m<br />
viele glaubten, die Deutschen hätten diese Dinge auf<br />
ihren „Beutezügen“ geraubt, stachelte <strong>de</strong>n Hass zusätzlich<br />
an. Zuhause herrschte <strong>de</strong>r Hunger, hierzulan<strong>de</strong><br />
waren die Kühlräume, gemessen an <strong>de</strong>n russischen<br />
Vorstellungen, voll mit Wurst und Fleisch. (In <strong>de</strong>n zerbombten<br />
Städten im „Reich“ sah das natürlich an<strong>de</strong>rs<br />
aus). Die Plün<strong>de</strong>rungen die folgten waren zu<strong>de</strong>m von<br />
<strong>de</strong>r russischen Militärführung gebilligt. Je<strong>de</strong>r Soldat<br />
durfte mit <strong>de</strong>m Einverständnis <strong>de</strong>s Führers seiner Einheit<br />
ein Paket nach Hause schicken. Soldaten Pakete<br />
bis zu 5 Kg, Offiziere bis 10 Kg, Generäle bis 15 Kg.<br />
Aber auch Pakete mit „Übergewicht“ wur<strong>de</strong>n anstandslos<br />
in die russische Heimat beför<strong>de</strong>rt. Das Wüten <strong>de</strong>r<br />
Russen mit Vergewaltigungen, Plün<strong>de</strong>rungen, Mor<strong>de</strong>n,<br />
war natürlich Wasser auf die Mühlen <strong>de</strong>r NS-Propaganda.<br />
In seiner Re<strong>de</strong> vom 28. Februar 1945, in <strong>de</strong>r Joseph<br />
Goebbels, wi<strong>de</strong>r besseres Wissen von einer neuen<br />
„Verteidigungslinie im Osten“ sprach und davon, dass<br />
„wir uns die Gebiete, die wir verloren haben zurückholen<br />
wer<strong>de</strong>n“, sagte Goebbels auch: „Je<strong>de</strong>r Deutsche<br />
weiß, dass die Schreckensberichte aus <strong>de</strong>m Osten, die<br />
vielfach zu scheußlich sind, dass die Fe<strong>de</strong>r sich sträubt<br />
sie wie<strong>de</strong>rzugeben, keine Fantasieprodukte <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen<br />
Kriegsagitation, son<strong>de</strong>rn die schaurige Wahrheit<br />
darstellen, die das Blut in <strong>de</strong>n A<strong>de</strong>rn gefrieren lässt.“<br />
Das war ausnahmsweise mal nicht gelogen. Aber <strong>de</strong>r<br />
Satz diente eigentlich <strong>de</strong>m Zweck, die Angst vor <strong>de</strong>n<br />
Russen zu schüren um so „die letzten Reserven“ von<br />
Armee und „Volkssturm“ zu mobilisieren. Aber die<br />
Armee war längst „aufgerieben“ und konnte <strong>de</strong>n an<br />
allen Fronten auf sie einstürmen<strong>de</strong>n Kriegsgegnern<br />
kaum noch etwas entgegensetzen. Auch das Aufgebot<br />
<strong>de</strong>s „Volkssturmes“, die mit Kin<strong>de</strong>rn besetzten Flakgeschütze,<br />
die weiträumig um Iglau und die in <strong>de</strong>r Stadt<br />
selbst, z. B. beim „Deutschen Haus“, errichteten Panzersperren,<br />
konnten <strong>de</strong>n Vormarsch <strong>de</strong>r Russen nicht<br />
aufhalten, auch nicht die Sprengung <strong>de</strong>r Brücke über<br />
die Igel im Helenental, in <strong>de</strong>r Nacht vom 10. auf <strong>de</strong>n<br />
11. April 1945. Und dann kamen sie, die Russen – auch<br />
in die Sprachinsel. Auch nach Iglau. Am 7. Mai 1945<br />
durchbrachen Einheiten <strong>de</strong>r Roten Armee die (letzten)<br />
<strong>de</strong>utschen Verteidigungslinien. An diesem Tag en<strong>de</strong>te<br />
auch offiziell die Zeit <strong>de</strong>s Protektorates.<br />
Am frühen Morgen <strong>de</strong>s 9. Mai 1945 fuhren erste russische<br />
Panzer, durch die Znaimer Gasse kommend, auf<br />
9
10 Nr. 6 – Juni 2011<br />
<strong>de</strong>n (unteren) Hauptplatz in Iglau ein (Foto). Seltsamerweise<br />
waren nur wenige Iglauer zuvor in die Amerikanische<br />
Zone geflohen. Trotz <strong>de</strong>r Auffor<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r<br />
Wehrmacht, die Sprachinsel vor <strong>de</strong>m russischen Einmarsch<br />
zu verlassen und <strong>de</strong>m Grauen vor <strong>de</strong>n russischen<br />
Soldaten, blieben allein 12.000 Deutsche in <strong>de</strong>r<br />
Stadt. Die meisten „Sprachinsler“ wollten einfach nicht<br />
glauben, dass es „so schlimm wird.“ Man hatte doch<br />
zwar „weggeschaut“, aber sich nie, bis auf ganz wenige<br />
Ausnahmen, aktiv an „solchen Dingen“ <strong>de</strong>r SS<br />
o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer Gruppen beteiligt. Man hatte doch, bis<br />
ebenfalls auf wenige Ausnahmen, immer noch ein gutes<br />
Verhältnis zu <strong>de</strong>n tschechischen Nachbarn, ja war<br />
sogar vielfach verwandtschaftlich verbun<strong>de</strong>n. In Iglau<br />
fan<strong>de</strong>n zu<strong>de</strong>m seit Anfang Mai Verhandlungen mit <strong>de</strong>r<br />
tschechischen Seite statt. Man hoffte auch <strong>de</strong>shalb auf<br />
ein Bleiberecht. Aber die übergeordnete Politik unter<br />
<strong>de</strong>r (Exil-) Regierung Beneš hatte längst an<strong>de</strong>rs entschie<strong>de</strong>n.<br />
Wie es dann weiterging, dass das „Grauen“<br />
Gestalt annahm, welches Leid zunächst von <strong>de</strong>n Russen<br />
und dann mehr und mehr von <strong>de</strong>n Tschechen bzw.<br />
<strong>de</strong>n „Revolutionsgar<strong>de</strong>n“ und <strong>de</strong>n „Hasserfüllten“, die<br />
gerne Rache übten, über die Bewohner <strong>de</strong>r Sprachinsel<br />
kam, weiß je<strong>de</strong>r selbst. Es kann auch nachgelesen<br />
wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r (immer noch beim Grenzboten-Verlag<br />
erhältlichen) Dokumentation „Wir gingen durch die<br />
Hölle“, in fast allen vom Verlag herausgebrachten<br />
Publikationen und im neu erschienenen Buch „Iglau<br />
unterm Hakenkreuz“, ebenfalls zu beziehen beim<br />
Grenzboten. (Siehe letzte Seite) Zeugen dieser unmenschlichen<br />
Zeit, dieser unmenschlichen Handlungen<br />
von Teilen <strong>de</strong>r Russen und Tschechen sind nicht nur die<br />
vielen Vertriebenen, son<strong>de</strong>rn auch unsere Ge<strong>de</strong>nkstätten<br />
in Waldkirchen und Fratres, die Massengräber in<br />
Ranzern, Iglau, Stannern etc. und ganz aktuell in <strong>de</strong>r<br />
„Budinka“ bei Dobrenz. Die Ge<strong>de</strong>nktage vom 22.-24.<br />
Juni d. J. bringen uns die schmerzliche Erinnerung an<br />
die Zeit, als Iglau wie<strong>de</strong>r Jihlava wur<strong>de</strong> zurück.<br />
Wir wollen die heutige Fortsetzung zu <strong>de</strong>n „Erinnerungen“<br />
mit einer erstaunlichen Aussage Stalins (ebenfalls<br />
als Antwort auf die Hass-Schriften Ehrenbergs) schließen<br />
und uns in <strong>de</strong>r nächsten Fortsetzung noch <strong>de</strong>r Frage<br />
widmen, warum die Vertreibung bis heute nicht als<br />
„Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ anerkannt ist.<br />
„Es ist lächerlich, die Hitler-Clique mit <strong>de</strong>m <strong>de</strong>utschen<br />
Volk gleichzusetzen. Die Erfahrung <strong>de</strong>r Geschichte<br />
zeigt, dass die „Hitler“ kommen und gehen, aber das<br />
<strong>de</strong>utsche Volk, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utsche Staat bleibt.“ Ob Stalin<br />
wusste, dass er damit die Re<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r „Kollektivschuld“<br />
bereits ad absurdum führte, bevor sie überhaupt<br />
aufkam? – Bleiben Sie uns treu! JG<br />
(Text-Quellen: Wikipedia, „Der Spiegel“-Geschichte<br />
Nr. 1/2011, „Der 2. Weltkrieg“, Berteslmann-Verlag,<br />
„Iglau unterm Hakenkreuz“, Grenzboten-Archiv. Fotos:<br />
„Der 2. Weltkrieg, „Iglau unterm Hakenkreuz“,<br />
Grenzboten-Archiv)