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I. Tatbestand - unirep - Humboldt-Universität zu Berlin

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<strong>Universität</strong>s-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Berlin</strong><br />

BGH, Urteil vom 21. August 2002, BGH NStZ 2003, 35 – <strong>Berlin</strong>fahrt<br />

Sachverhalt: Anton ist pleite und möchte von Frankfurt nach <strong>Berlin</strong><br />

fahren. Er besteigt ein Taxi und lässt sich <strong>zu</strong>erst an einen bestimmten<br />

Ort in der Nähe fahren. Als der Taxifahrer Theo anhält und – bei laufendem<br />

Motor – abkassieren will, richtet Anton eine geladene und<br />

schussbereite Schreckschusspistole auf Theos Halsbereich und fordert<br />

diesen auf, Innenlicht sowie Sprechfunk aus<strong>zu</strong>schalten und ihn nach<br />

<strong>Berlin</strong> <strong>zu</strong> fahren. Theo, der die Schreckschusspistole für eine scharfe<br />

Waffe hält, nimmt die Drohung ernst und fährt auf die Autobahn in<br />

Richtung <strong>Berlin</strong>. Unter dem Einfluss der fortdauernden Bedrohung<br />

kauft Theo für Anton in der Nähe von Kassel für ca. 10 € etwas <strong>zu</strong><br />

essen, lässt ihn mit seinem Handy ein Telefongespräch führen und<br />

händigt ihm an einer weiteren Raststätte 10 € in bar und die Autoschlüssel<br />

aus, weil Anton nochmals etwas <strong>zu</strong> essen kaufen möchte.<br />

Während Anton einkauft, wartet Theo im Taxi. Dabei entdeckt er,<br />

dass Anton die Schreckschusspistole unter dem Beifahrersitz versteckt<br />

hat und nimmt diese an sich. Als Anton dies bei seiner Rückkehr bemerkt,<br />

wirft er die Autoschlüssel ins Taxi und flieht. Wie hat Anton<br />

sich strafbar gemacht?<br />

Thema: § 316a StGB; Ausnut<strong>zu</strong>ng der besonderen Verhältnisse des<br />

Straßenverkehrs<br />

Anmerkungen: Beckemper, JA 2003, 541<br />

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Lösungsübersicht:<br />

A. Strafbarkeit wegen eines Betrugs, § 263 I StGB (+)<br />

- Durch Erlangung der Taxifahrt<br />

B. Strafbarkeit wegen einer räuberischen Erpressung, §§ 253 I,<br />

255 StGB<br />

I. <strong>Tatbestand</strong><br />

1. Objektiver <strong>Tatbestand</strong><br />

a) Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel (+)<br />

b) Nötigungserfolg<br />

– Problem: Taxifahrt und Wegnahme der Sachen als Nötigungserfolg?<br />

– BGH: Ja, denn Erpressung ist Grundtatbestand<br />

– Lit.: Nur bezüglich Autofahrt, bezüglich Übergabe der<br />

Sachen keine freiwillige Vermögensverfügung und daher<br />

Raub<br />

c) Kausal<strong>zu</strong>sammenhang zwischen Nötigungshandlung und<br />

Nötigungserfolg (+)<br />

d) Vermögensnachteil (+)<br />

2. Subjektiver <strong>Tatbestand</strong> (+)<br />

a) Vorsatz bzgl. der objektiven <strong>Tatbestand</strong>smerkmale (+)<br />

b) Bereicherungsabsicht (+)<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+)<br />

C. Strafbarkeit wegen einer schweren räuberischen Erpressung,<br />

§§ 253, 255, 250 I Nr. 1a, II Nr. 1 StGB (+)<br />

– Die geladene und schussbereite Schreckschusspistole erfüllt die<br />

Qualifikationen des § 250 I Nr. 1a, II Nr. 1 StGB<br />

D. Strafbarkeit wegen eines erpresserischen Menschenraubs,<br />

§ 239a I StGB<br />

I. <strong>Tatbestand</strong><br />

1. Objektiver <strong>Tatbestand</strong><br />

a) Tatobjekt: ein anderer Mensch (+)<br />

b) Tathandlung: Entführen oder Sich-Bemächtigen<br />

- Sich-Bemächtigen: Durch Vorhalten der Schreck-<br />

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schusspistole wurde stabile Zwangslage (Fahrt nach<br />

<strong>Berlin</strong>) geschaffen (+)<br />

bb) Ausnutzen der Bemächtigungslage: Duldung der<br />

Wegnahme der Sachen (nach h.L. strittig <strong>zu</strong>mindest<br />

bzgl. der Wegnahme der Sachen, da hier Raub und<br />

nicht räuberische Erpressung vorlag). Bzgl. der Sachen<br />

lag hier § 239a I Alt. 3 StGB vor, da die Wegnahme<br />

der Sachen bei Fahrtantritt noch nicht beabsichtigt<br />

war. Daher muss auch jedenfalls versuchter<br />

Raub als objektives <strong>Tatbestand</strong>smerkmal vorliegen<br />

(+)<br />

2. Subjektiver <strong>Tatbestand</strong><br />

a) Vorsatz bzgl. der objektiven <strong>Tatbestand</strong>smerkmale (+)<br />

b) Erpressungsabsicht (bzgl. Taxifahrt)<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+)<br />

E. Strafbarkeit wegen eines räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer,<br />

§ 316a I StGB<br />

I. <strong>Tatbestand</strong><br />

1. Objektiver <strong>Tatbestand</strong><br />

a) Verüben eines Angriffs auf Leib, Leben oder<br />

Entschlussfreiheit des Kfz-Führers oder Mitfahrers (+)<br />

b) Ausnut<strong>zu</strong>ng der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs<br />

(hier: str.)<br />

2. Subjektiver <strong>Tatbestand</strong> (+)<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld (+)<br />

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Lösungsvorschlag:<br />

A. Strafbarkeit Antons wegen eines Betrugs, § 263 I StGB<br />

Indem Anton Theos Taxi bestieg und sich <strong>zu</strong> einem bestimmten Ort<br />

fahren ließ, könnte er sich wegen eines Betrugs gemäß § 263 I StGB<br />

strafbar gemacht haben.<br />

In objektiver Hinsicht hat Anton, der bereits <strong>zu</strong> Fahrtbeginn zahlungsunfähig<br />

war, bei Theo die Fehlvorstellung hervorgerufen, dass er die<br />

Taxifahrt auch bezahlen wolle und werde, so dass er diesen über Tatsachen,<br />

nämlich seine Zahlungswilligkeit und -fähigkeit täuschte. Dies<br />

führte <strong>zu</strong> einem entsprechenden Irrtum Theos. Durch diesen Irrtum<br />

veranlasst, nahm Theo die Taxifahrt und damit eine Vermögensverfügung,<br />

die regelmäßig in jedem Tun, Dulden oder Unterlassen, welches<br />

sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt, bestehen kann, vor.<br />

Infolge der Nichtzahlung seitens des Anton führte die Taxifahrt auch<br />

<strong>zu</strong> einem Vermögensschaden für Theo.<br />

Anton handelte in subjektiver Hinsicht wissentlich und willentlich in<br />

Be<strong>zu</strong>g auf alle Merkmale des objektiven <strong>Tatbestand</strong>es, also mit dem<br />

erforderlichen Vorsatz. Zudem wollte er sich auch gezielt einen<br />

rechtswidrigen und stoffgleichen Vermögensvorteil verschaffen (Fahrt<br />

mit dem Taxi, die ansonsten nur gegen Entgelt <strong>zu</strong> haben ist) und handelte<br />

daher auch mit der erforderlichen Bereicherungsabsicht.<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

Gründe, die Antons Verhalten rechtfertigen oder entschuldigen könnten,<br />

sind nicht ersichtlich.<br />

III. Ergebnis<br />

Anton hat sich durch die erschlichene Taxifahrt wegen eines Betrugs<br />

gemäß § 263 I StGB strafbar gemacht.<br />

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B. Strafbarkeit Antons wegen einer räuberischen Erpressung, §§<br />

253 I, 255 StGB<br />

Durch die nachfolgende Fahrt in Richtung <strong>Berlin</strong> kommt auch eine<br />

Strafbarkeit Antons wegen einer räuberischen Erpressung gemäß §§<br />

253 I, 255 StGB in Betracht.<br />

I. <strong>Tatbestand</strong><br />

1. Objektiver <strong>Tatbestand</strong><br />

a) Einsatz qualifizierter Nötigungsmittel<br />

Indem Anton den geladenen Schreckschussrevolver auf Theos Halsbereich<br />

richtete, hat er Theo für den Fall des Widerstands erhebliche Gesundheitsverlet<strong>zu</strong>ngen<br />

in Aussicht gestellt, ihm also mit gegenwärtiger<br />

Gefahr für Leib und Leben gedroht.<br />

Möglicherweise könnte das Vorhalten der Schreckschusspistole außerdem<br />

Gewalt in Form der vis compulsiva darstellen. Weitgehend<br />

Einigkeit besteht darüber, dass auf Seiten des Täters keine besondere<br />

Kraftanstrengung <strong>zu</strong>r Bejahung der Gewalt erforderlich ist, vielmehr<br />

insoweit auch eine minimale Kraftentfaltung – sofern eine solche<br />

nicht gänzlich für entbehrlich gehalten wird, weil es lediglich auf die<br />

Wirkung beim Opfer ankommen soll – ausreicht. Streitig ist aber, ob<br />

auch auf Opferseite ein nur psychisches Wirken des vom Täter eingesetzten<br />

Zwangs genügt oder ob es sich um einen körperlich wirkenden<br />

Zwang handeln muss. Eine psychische Zwangswirkung ging von dem<br />

von Anton eingesetzten Zwang in jedem Falle aus. Im Interesse der<br />

Rechtsklarheit und -sicherheit ist jedoch auch eine irgendwie geartete<br />

physische Zwangswirkung <strong>zu</strong> fordern, die sich dem Sachverhalt vorliegend<br />

nicht entnehmen lässt, so dass nur die Alternative der Drohung<br />

erfüllt ist.<br />

b) Nötigungserfolg<br />

Durch die Drohung müsste Anton den Theo <strong>zu</strong> einer Handlung, Dul-<br />

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dung oder Unterlassung gezwungen haben. Hier lagen mehrere<br />

Tathandlungen und Nötigungserfolge vor: Anton erzwang <strong>zu</strong>nächst<br />

die Fahrt mit dem Taxi in Richtung <strong>Berlin</strong>, ließ sich dann von Theo<br />

etwas <strong>zu</strong> essen kaufen, das Handy <strong>zu</strong>m Telefonieren geben und später<br />

noch 10 € in bar und die Fahrzeugschlüssel aushändigen.<br />

Ob der <strong>Tatbestand</strong> <strong>zu</strong>r Abgren<strong>zu</strong>ng gegenüber dem Raub gemäß § 249<br />

StGB ein ungeschriebenes <strong>Tatbestand</strong>smerkmal in Form einer freiwilligen<br />

Vermögensverfügung voraussetzt, ist umstritten. Während dies<br />

von der Theorie der tatbestandlichen Exklusivität gefordert wird, weil<br />

sie in § 253 StGB ein Selbstschädigungsdelikt und in § 249 StGB ein<br />

Fremdschädigungsdelikt sieht, mit der Konsequenz, dass sich Raub<br />

und räuberische Erpressung gegenseitig ausschließen, grenzt die Gegenansicht<br />

(vertreten auch von der Rechtsprechung), die den Raub als<br />

lex specialis <strong>zu</strong> §§ 253, 255 StGB ansieht, beide Tatbestände nach<br />

dem äußeren Erscheinungsbild ab: Ein Raub liege demnach vor, wenn<br />

der Täter sich die Sache nimmt, während eine räuberische Erpressung<br />

an<strong>zu</strong>nehmen sei, wenn das Opfer dem Täter die Sache gibt. Nach letzterer<br />

Auffassung läge hier wegen der Weggabe der oben genannten<br />

Sachen durch Theo sowie der Vornahme der Fahrt nach <strong>Berlin</strong> eine<br />

Erpressung vor. Nach der Ansicht der überwiegenden Literatur hingegen<br />

stellt sich lediglich die Taxifahrt als mehr oder minder freiwillige<br />

Vermögensverfügung seitens des Theo dar, während bezüglich der<br />

Übergabe der Sachen diese Freiwilligkeit nicht an<strong>zu</strong>nehmen ist, weil<br />

Anton sich diese genauso gut hätte selbst nehmen können.<br />

Eine Streitentscheidung ist somit erforderlich. Für die Ansicht der<br />

Rechtsprechung spricht offensichtlich der Wortlaut des § 253 StGB,<br />

der keine Vermögensverfügung verlangt, aber ausdrücklich die Variante<br />

des „Duldens“ kennt. Dem kann man in systematischer Hinsicht<br />

entgegensetzen, dass durch die Theorie der tatbestandlichen Exklusivität<br />

eine einheitliche Struktur der Vermögensdelikte geschaffen wird,<br />

nach der Diebstahl und Raub Fremdschädigungsdelikte, Betrug und<br />

Erpressung hingegen Selbstschädigungsdelikte sind. Auch wäre es<br />

merkwürdig, dass nur bei §§ 253, 255 StGB für den Strafrahmen der<br />

lex generalis auf den der lex specialis verwiesen würde. Zudem würde<br />

durch die Ansicht der Rechtsprechung die vom Gesetzgeber vorgese-<br />

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hene Privilegierung der Gebrauchsanmaßung umgangen. Für die von<br />

der Rechtsprechung vertretene Auffassung lässt sich aber ebenfalls ein<br />

systematisches Argument vorbringen: § 253 StGB fordert eine Nötigung,<br />

die wie in § 240 StGB <strong>zu</strong> verstehen sei, so dass auch vis absoluta<br />

erfasst werden müsse. Würde man § 253 StGB indes als Selbstschädigungsdelikt<br />

verstehen und damit eine Vermögensverfügung<br />

fordern, käme bei der Anwendung von vis absoluta eine Strafbarkeit<br />

nach § 253 StGB nicht in Betracht. Hiergegen spricht neben dem Gedanken<br />

der Einheit der Rechtsordnung, dass regelmäßig ein besonders<br />

brutal vorgehender Täter privilegiert würde. Außerdem hinkt der Vergleich<br />

zwischen § 253 StGB und § 263 StGB, weil das Opfer bei einer<br />

Erpressung den Vermögensnachteil grundsätzlich nur aus einem<br />

Zwang heraus hinnehme. Da nur die Ansicht der Rechtsprechung einen<br />

lückenlosen Rechtsschutz gewährleistet und dem Wortlaut des §<br />

253 StGB besser gerecht wird, ist ihr <strong>zu</strong> folgen, so dass weiterhin eine<br />

Erpressung <strong>zu</strong> prüfen ist.<br />

c) Kausal<strong>zu</strong>sammenhang zwischen Nötigungshandlung und Nötigungserfolg<br />

Durch das Vorhalten der geladenen und schussbereiten Schreckschusspistole<br />

übte Anton eine länger andauernde Zwangseinwirkung<br />

in Form einer Bedrohung mit einer Gefahr für Leib und Leben auf<br />

Theo aus. Aufgrund dieser Zwangseinwirkung nahm Theo die Fahrt<br />

nach <strong>Berlin</strong> vor, kaufte Anton etwas <strong>zu</strong> essen, überließ ihm sein Handy<br />

und gab ihm später noch das Bargeld und die Autoschlüssel. Der<br />

erforderliche Kausal<strong>zu</strong>sammenhang zwischen der Nötigungshandlung<br />

und den hier mehreren Nötigungserfolgen liegt daher vor.<br />

d) Vermögensnachteil<br />

Durch die von Theo vorgenommen Handlungen müsste ihm ein Vermögensnachteil<br />

entstanden sein. Ein Vermögensnachteil liegt dann<br />

vor, wenn bei einem Vergleich zwischen dem Vermögensstand vor<br />

und nach der abgenötigten Handlung eine nachteilige Vermögensdifferenz<br />

eingetreten ist, ohne dass diese Einbuße durch ein Äquivalent<br />

wirtschaftlich voll ausgeglichen wird. Dies ist unzweifelhaft bei der<br />

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Taxifahrt, dem Einkaufen, dem Telefonieren mit dem Handy und der<br />

Übergabe von weiteren 10 € in bar der Fall. Zudem entstand Theo aber<br />

auch durch die Übergabe der Autoschlüssel ein Vermögensnachteil,<br />

denn der Besitz am bzw. die faktische Verfügungsgewalt über das<br />

Fahrzeug sind ebenfalls Bestandteil des Vermögens.<br />

Der objektive <strong>Tatbestand</strong> der räuberischen Erpressung gemäß §§ 253<br />

I, 255 StGB wurde somit vollständig von Anton erfüllt.<br />

2. Subjektiver <strong>Tatbestand</strong><br />

a) Vorsatz bzgl. der objektiven <strong>Tatbestand</strong>smerkmale<br />

In subjektiver Hinsicht handelte Anton vorsätzlich bezüglich der Verwirklichung<br />

des objektiven <strong>Tatbestand</strong>s.<br />

b) Bereicherungsabsicht<br />

Auch wies Anton die Absicht stoffgleicher Eigenbereicherung auf,<br />

wobei ihm bewusst war, dass diese Bereicherung rechtswidrig erfolgte.<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

Rechtfertigungsgründe für Antons Verhalten liegen nicht vor. Nach §<br />

253 II StGB muss jedoch <strong>zu</strong>sätzlich die Zweck-Mittel-Relation als<br />

verwerflich an<strong>zu</strong>sehen, d.h. die Nötigung sittlich missbilligenswert<br />

und sozial unerträglich sein. Hier ist sowohl der angestrebte Zweck –<br />

ungerechtfertigte Bereicherung durch die Fahrt in Richtung <strong>Berlin</strong> –<br />

als auch das da<strong>zu</strong> eingesetzte Mittel – Drohen mit einem geladenen<br />

und schussbereiten Schreckschussrevolver – rechtlich missbilligenswert.<br />

Im Übrigen sind auch keine weiteren entlastenden Umstände<br />

ersichtlich, so dass Antons Verhalten auch verwerflich und daher im<br />

Ergebnis rechtswidrig war.<br />

Weiterhin unterliegt auch Antons Schuld keinen Bedenken.<br />

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III. Ergebnis<br />

Anton hat sich durch die erzwungene Fahrt in Richtung <strong>Berlin</strong> wegen<br />

einer räuberischen Erpressung gemäß §§ 253 I, 255 StGB strafbar<br />

gemacht. Die ebenfalls verwirklichte Nötigung gemäß § 240 I StGB<br />

tritt dahinter <strong>zu</strong>rück.<br />

C. Strafbarkeit Antons wegen einer schweren räuberischen Erpressung,<br />

§§ 253 I, 255, 250 I Nr. 1a, II Nr. 1 StGB<br />

Wegen der in § 255 StGB angeordneten Bestrafung des Erpressers<br />

„gleich einem Räuber” sind auch die Qualifikationstatbestände des<br />

Raubes <strong>zu</strong> prüfen. In Betracht kommen vorliegend das Beisichführen<br />

gemäß § 250 I Nr. 1a StGB und das Verwenden einer Waffe oder eines<br />

anderen gefährlichen Werkzeugs gemäß § 250 II Nr. 1 StGB.<br />

Für das Merkmal des Verwendens genügt es, wenn der Gegenstand<br />

wie hier von Anton als Drohmittel eingesetzt wird. Fraglich ist aber,<br />

ob eine Schreckschusspistole eine Waffe oder eher ein anderes gefährliches<br />

Werkzeug darstellt. Unter dem Begriff der „Waffe“ in § 250 I<br />

und II StGB sind nur Waffen im technischen Sinn <strong>zu</strong> verstehen, d.h.<br />

Gegenstände, die nach der Art ihrer Anfertigung geeignet und bestimmt<br />

sind, bei üblichem Gebrauch Menschen durch mechanische<br />

oder chemische Wirkung körperlich <strong>zu</strong> verletzen. Wenn man die abstrakte<br />

Gefährlichkeit betont, kann die Einordnung von Schreckschusspistolen<br />

als Waffen deshalb abgelehnt werden, weil eine mit Schreckschussmunition<br />

geladene Pistole im Allgemeinen nur die Funktion<br />

hat, aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit einer Schusswaffe und durch Erzeugung<br />

eines Knallgeräuschs abschreckend <strong>zu</strong> wirken. Allerdings<br />

können jedenfalls dann, wenn eine Schreckschusspistole aus nächster<br />

Nähe abgefeuert wird, durch Explosionsgas und Materialpartikel erhebliche<br />

Verlet<strong>zu</strong>ngen auftreten. Insbesondere ergibt sich auch bei<br />

Schreckschusswaffen, welche direkt und aus nur geringem Abstand<br />

auf den Körper des Opfers gehalten werden, eine erhebliche Verlet<strong>zu</strong>ngsgefahr,<br />

denn <strong>zu</strong>mindest entfalten auch diese beim Abfeuern eine<br />

bedrohliche, mitunter lebensgefährliche Druckwelle. Demnach ist eine<br />

Gleichbehandlung mit den Waffen im technischen Sinn angebracht.<br />

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Für diese Einordnung spricht letztlich auch die Tatsache, dass<br />

Schreckschusspistolen nach § 1 II WaffG i.V.m. Anlage 1, Abschnitt<br />

1, Unterabschnitt 1, Punkt 2.7. nunmehr auch im Waffengesetz als<br />

Waffen behandelt werden.<br />

Da Anton auch bezüglich der Verwendung der Schreckschusspistole<br />

vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft handelte, ist er wegen einer<br />

schweren räuberischen Erpressung nach §§ 253 I, 255, 250 II Nr. 1<br />

StGB <strong>zu</strong> bestrafen, hinter der die Strafbarkeit aus dem Grundtatbestand<br />

gemäß §§ 253 I, 255 StGB sowie die ebenfalls verwirklichte<br />

Qualifikation des § 250 I Nr. 1a StGB <strong>zu</strong>rücktritt.<br />

D. Strafbarkeit Antons wegen eines erpresserischen Menschenraubs,<br />

§ 239a I StGB<br />

Auf der Fahrt in Richtung <strong>Berlin</strong> könnte sich Anton <strong>zu</strong>dem auch wegen<br />

eines erpresserischen Menschenraubs gemäß § 239a I StGB strafbar<br />

gemacht haben, indem er die Bedrohung Theos auch nach dem<br />

Eintritt des ersten Nötigungserfolgs, nämlich dem Unterlassen des<br />

Abkassierens für die Fahrt, fortdauern ließ und die dabei geschaffene<br />

Zwangslage Theos <strong>zu</strong> weiteren Erpressungshandlungen ausnutzen<br />

wollte und auch tatsächlich ausnutzte.<br />

I. <strong>Tatbestand</strong><br />

1. Objektiver <strong>Tatbestand</strong><br />

Durch das Vorhalten der Schreckschusspistole könnte sich Anton des<br />

Theo bemächtigt haben. Unter einem „Sichbemächtigen“ ist das Erlangen<br />

der physischen Herrschaft über einen anderen Menschen <strong>zu</strong><br />

verstehen. Infolge der Drohung mit einer Gefahr für Leib und Leben<br />

durch das Vorhalten der Schreckschusspistole war Theo so erheblich<br />

eingeschüchtert, dass Anton die Herrschaftsmacht über ihn erlangte.<br />

Problematisch ist die <strong>Tatbestand</strong>svariante des Sichbemächtigens jedoch<br />

regelmäßig in Zwei-Personen-Verhältnissen, wie dem hier vorliegenden.<br />

Aus der Normstruktur des § 239a I StGB als unvollkommen<br />

zweiaktigem Delikt ergibt sich, dass es die Absicht des Täters<br />

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sein muss, die durch Zwangseinwirkung geschaffene Lage <strong>zu</strong> einer<br />

Erpressung aus<strong>zu</strong>nutzen. Über den Zwang hinaus, der schon in dem<br />

Sichbemächtigen (1. Akt) liegt, muss ein weiterer Zwang, der der eigentlichen<br />

vom Täter angestrebten Erpressung (2. Akt) dienen soll,<br />

gewollt sein. Der hier von Anton <strong>zu</strong>sätzlich gewollte Zwang bestand<br />

darin, Theo <strong>zu</strong>nächst <strong>zu</strong>r Fahrt nach <strong>Berlin</strong> <strong>zu</strong> bewegen. Eine hinreichend<br />

stabile Zwangslage lag also ab dem Zeitpunkt vor, ab dem Anton<br />

die ursprüngliche Bedrohung durch das Vorhalten der Schreckschusspistole<br />

fortdauern ließ.<br />

Hinsichtlich der weiteren erpresserischen Tathandlungen – Herausverlangen<br />

der Sachen – liegt indes die 3. Variante des § 239a I StGB vor,<br />

weil die Ausnut<strong>zu</strong>ng der Zwangslage hier spontan erfolgte und jeweils<br />

nicht von Anton geplant war.<br />

2. Subjektiver <strong>Tatbestand</strong><br />

In subjektiver Hinsicht handelte Anton vorsätzlich hinsichtlich aller<br />

Merkmale des objektiven <strong>Tatbestand</strong>es und mit der besonderen Absicht,<br />

die Sorge Theos um sein Wohl <strong>zu</strong> einer Erpressung aus<strong>zu</strong>nutzen.<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

Rechtswidrigkeit und Schuld unterliegen keinen Bedenken.<br />

III. Ergebnis<br />

Mithin ist Anton auch wegen eines erpresserischen Menschenraubs<br />

gemäß § 239a I StGB <strong>zu</strong> bestrafen.<br />

E. Strafbarkeit Antons wegen eines räuberischen Angriffs auf<br />

Kraftfahrer, § 316a I StGB<br />

Durch das Bedrohen des Theo mit der Schreckschusspistole nach dem<br />

Halt in der Nähe von Frankfurt kommt <strong>zu</strong>dem eine Strafbarkeit wegen<br />

eines räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer nach § 316a I StGB in Be-<br />

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tracht.<br />

I. <strong>Tatbestand</strong><br />

Da<strong>zu</strong> müsste <strong>zu</strong>nächst der <strong>Tatbestand</strong> des § 316a I StGB erfüllt sein.<br />

1. Objektiver <strong>Tatbestand</strong><br />

a) Verüben eines Angriffs auf Leib, Leben oder Entschlussfreiheit des<br />

Kfz-Führers oder Mitfahrers<br />

Die Tat richtete sich gegen Theo, der Führer eines Kraftfahrzeugs war.<br />

In dem Vorhalten der Schreckschusspistole ist eine feindselige Handlung<br />

gegenüber Theos Entschlussfreiheit und körperliche Unversehrtheit<br />

<strong>zu</strong> sehen, mithin ein tatbestandsmäßiger Angriff.<br />

b) Ausnut<strong>zu</strong>ng der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs<br />

Anton müsste jedoch auch die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs<br />

ausgenutzt haben, d.h. er müsste sich eine Gefahrenlage <strong>zu</strong><br />

Nutze gemacht haben, die dem fließenden Straßenverkehr eigentümlich<br />

ist und gerade deshalb und nur für einen Teilnehmer am Straßenverkehr<br />

entsteht. Die Tat muss also in einer engen Beziehung <strong>zu</strong>r Benut<strong>zu</strong>ng<br />

des Fahrzeugs als Verkehrsmittel stehen. Grund für diese Beschränkung<br />

ist einerseits, dass sich der Fahrzeugführer gerade wegen<br />

des Lenkens des Fahrzeugs und der damit verbundenen körperlichen<br />

und geistigen Aktivität oft nicht effektiv gegen einen Angriff <strong>zu</strong>r<br />

Wehr setzen kann, andererseits, dass aufgrund des beengten Raums<br />

und der eingeschränkten Möglichkeit, ein sich bewegendes Fahrzeug<br />

schnell <strong>zu</strong> verlassen, das Gefährdungspotential erhöht ist. Angesichts<br />

der Tatsache, dass Theo hier angehalten hatte, könnte man bezweifeln,<br />

dass Anton die besonderen Verhältnisse des fließenden Verkehrs ausgenutzt<br />

hat. Allerdings zählt auch ein verkehrsbedingtes Anhalten eines<br />

Fahrzeugs, z.B. vor einer roten Ampel oder in einem Stau, noch <strong>zu</strong><br />

den typischen Gefahren des fließenden Verkehrs. Erst wenn das Fahrzeug<br />

endgültig abgestellt wird, endet die Teilnahme am Straßenverkehr<br />

i.S.d. § 316a I StGB. Hier hatte Theo den Motor beim Abkassie-<br />

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ren nicht abgestellt. Aus seiner Sicht handelte es sich lediglich um<br />

einen – berufsbedingten – vorübergehenden Halt. Insofern nahm er<br />

immer noch am Straßenverkehr teil, so dass Anton die besonderen<br />

Verhältnisse desselben ausnutzte.<br />

2. Subjektiver <strong>Tatbestand</strong><br />

Anton wies Vorsatz hinsichtlich sämtlicher <strong>Tatbestand</strong>smerkmale auf.<br />

Insbesondere nutzte er bewusst die besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs<br />

aus. Zudem besaß er die Absicht, <strong>zu</strong>mindest die Fahrt<br />

nach <strong>Berlin</strong> räuberisch <strong>zu</strong> erpressen. Auch der subjektive <strong>Tatbestand</strong><br />

wurde daher vollständig erfüllt.<br />

II. Rechtswidrigkeit und Schuld<br />

Anton handelte auch rechtswidrig und schuldhaft.<br />

III. Ergebnis<br />

Demnach hat sich Anton auch wegen eines räuberischen Angriffs auf<br />

Kraftfahrer gemäß § 316a I StGB strafbar gemacht.<br />

F. Gesamtergebnis<br />

Wegen des engen zeitlichen Zusammenhangs sollte hier insgesamt<br />

von einer Handlungseinheit ausgegangen werden, so dass Anton wegen<br />

folgender tateinheitlich begangener Delikte <strong>zu</strong> bestrafen ist: §§<br />

263 I; 239a I; 253 I, 255, 250 II Nr. 1; 316a I; 52 StGB.<br />

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