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06. Ladendetektiv - unirep - Humboldt-Universität zu Berlin

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<strong>Universität</strong>s-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Berlin</strong><br />

BGH, Urteil vom 10. Februar 2000, BGHSt 45, 378 – <strong>Ladendetektiv</strong><br />

Sachverhalt: Anton arbeitet als Kaufhausdetektiv. Er beobachtet Bruno<br />

und glaubt, dieser habe eine CD in seine Jackentasche gesteckt,<br />

ohne diese an der Kasse <strong>zu</strong> bezahlen. Anton spricht Bruno nach Verlassen<br />

des Kassenbereiches darauf an, woraufhin Bruno flüchtet. Nach<br />

mehreren hundert Metern holt Anton den Bruno in der Fußgängerzone<br />

ein, reißt ihn <strong>zu</strong> Boden und legt sich auf ihn. Auf seine Aufforderung,<br />

die CD heraus<strong>zu</strong>geben, reagiert Bruno nicht und wehrt sich heftig,<br />

indem er wild um sich schlägt und tritt. Anton schafft es, Bruno, der<br />

ihm an sich körperlich weit überlegen ist, in den „Schwitzkasten“ <strong>zu</strong><br />

nehmen. Er drückt ihn weiterhin <strong>zu</strong> Boden und fordert ihn auf, <strong>zu</strong>m<br />

Zeichen der Aufgabe mit der flachen Hand auf den Boden <strong>zu</strong> schlagen,<br />

was Bruno aber nicht tut. Nach drei Minuten, Bruno hatte sich<br />

inzwischen nur noch sporadisch gewehrt, lässt Anton den Bruno frei.<br />

Dieser ist inzwischen durch die Strangulierung verstorben. Die letzten<br />

vermeintlichen Abwehrhandlungen waren lediglich von Bruno nicht<br />

mehr steuerbare Erstickungskrämpfe. In seiner Jacke befand sich eine<br />

CD des Kaufhauses, die von Bruno nicht bezahlt worden war. Strafbarkeit<br />

des Anton?<br />

Thema: Festnahmerecht nach § 127 I StPO<br />

Materialien: Arbeitsblatt AT 18<br />

<strong>Universität</strong>s-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Berlin</strong> / Strafrecht / Prof. Heinrich


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Lösungsübersicht:<br />

A. Strafbarkeit Antons wegen Freiheitsberaubung gemäß § 239 I<br />

StGB (Zu-Boden-Werfen)<br />

I. Tatbestand<br />

1. Objektiver Tatbestand (+)<br />

2. Subjektiver Tatbestand (+)<br />

II. Rechtswidrigkeit<br />

1. Nothilfe gemäß § 32 StGB<br />

a) Nothilfelage: gegenwärtiger rechtswidriger<br />

Angriff fand statt: Eigentum (+)<br />

b) Nothilfehandlung (+)<br />

c) Subjektives Rechtfertigungselement: Anton<br />

hatte Verteidigungswillen (+)<br />

2. Festnahmerecht gemäß § 127 I StPO<br />

a) Festnahmelage (+)<br />

b) Festnahmegrund (+)<br />

c) Festnahmehandlung (+)<br />

d) Subjektives Rechtfertigungselement (+)<br />

3. Selbsthilferecht gemäß § 859 II BGB (+)<br />

B. Strafbarkeit Antons wegen Körperverlet<strong>zu</strong>ng gemäß § 223 I StGB<br />

(Zu-Boden-Werfen): liegt tatbestandlich vor, ist aber ebenfalls<br />

gerechtfertigt (–)<br />

C. Strafbarkeit Antons wegen gefährlicher Körperverlet<strong>zu</strong>ng gemäß<br />

§§ 223 I, 224 I Nr. 5 StGB (Würgegriff vor Bewusstlosigkeit)<br />

I. Tatbestand<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Grundtatbestand des § 223 I StGB:<br />

körperliche Misshandlung lag vor (+)<br />

b) Qualifikation des § 224 I Nr. 5 StGB: Würgegriff<br />

war lebensgefährdende Behandlung (+)<br />

2. Subjektiver Tatbestand: Vorsatz sowohl bezüglich Grundtatbestand<br />

als auch Qualifikation (+)<br />

II. Rechtswidrigkeit<br />

1. Notwehr gemäß § 32 StGB<br />

a) Notwehrlage: gegenwärtiger Angriff Brunos durch<br />

Schläge und Tritte. Diese waren auch rechtswidrig, da<br />

„Fixierung“ durch Anton ihrerseits rechtmäßig war (+)<br />

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b) Notwehrhandlung: Würgegriff Antons war geeignet,<br />

erforderlich und geboten (+)<br />

c) Subjektives Rechtfertigungselement: Anton hatte Verteidigungswillen<br />

gegen Tritte und Schläge des Bruno (+)<br />

2. Nothilfe gemäß § 32 StGB: bezüglich Eigentum des<br />

Ladeninhabers (CD) (+)<br />

3. Festnahmerecht gemäß § 127 I StPO: deckt keine lebensgefährlichen<br />

Handlungen (–)<br />

D. Strafbarkeit Antons wegen Nötigung gemäß § 240 StGB (Würgegriff<br />

vor Bewusstlosigkeit): tatbestandlich gegeben, aber ebenfalls<br />

gerechtfertigt nach § 32 StGB (–)<br />

E. Strafbarkeit Antons wegen Körperverlet<strong>zu</strong>ng mit Todesfolge<br />

gemäß §§ 223 I; 227 StGB (Würgegriff trotz Bewusstlosigkeit)<br />

I. Tatbestand<br />

1. Grundtatbestand des § 223 I StGB (+)<br />

2. Vorsatz bezüglich Grundtatbestand (+)<br />

3. Erfolgsqualifikation des § 227 StGB (+)<br />

4. Kausalität und objektive Zurechnung (+)<br />

5. Spezifischer Gefahr<strong>zu</strong>sammenhang zwischen<br />

Handlung und Todesfolge (+)<br />

6. Objektive Sorgfaltspflichtverlet<strong>zu</strong>ng und Vorhersehbarkeit<br />

der Todesfolge gemäß § 18 StGB (+)<br />

II. Rechtswidrigkeit: Fehlen einer Rechtfertigungslage, da Angriff<br />

auf Antons körperliche Unversehrtheit nicht mehr stattfand und<br />

auch Verteidigung des Eigentums des Ladeninhabers (CD) nicht<br />

mehr erforderlich war (+)<br />

III. Schuld: Anton befand sich im Erlaubnistatbestandsirrtum (–)<br />

F. Strafbarkeit Antons wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB<br />

(Würgegriff trotz Bewusstlosigkeit): Anton handelte sorgfaltspflichtwidrig;<br />

<strong>zu</strong> prüfen lediglich: extensiver (nachzeitiger) Notwehrexzess<br />

(+)<br />

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Lösungsvorschlag:<br />

[Hinweis: Entscheidend ist in diesem Fall, dass sauber zwischen den<br />

verschiedenen Tathandlungen getrennt wird. Dies gilt insbesondere im<br />

Hinblick darauf, dass sich der Sachverhalt hier – aufgrund des engen<br />

zeitlichen Zusammenhangs – als ein einheitliches Geschehen darstellt.<br />

Als Ansatzpunkte für die strafrechtliche Begutachtung ergeben sich<br />

die Handlungen des Zu-Boden-Werfens (siehe Punkte A. und B.), des<br />

Würgens bis <strong>zu</strong>m Eintritt der Bewusstlosigkeit bei Bruno (siehe Punkte<br />

C. und D.) und des weiteren Würgens nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit<br />

(siehe Punkte E. und F.)].<br />

A. Strafbarkeit Antons wegen Freiheitsberaubung gemäß § 239 I<br />

StGB<br />

Anton könnte sich wegen einer Freiheitsberaubung gemäß § 239 I<br />

StGB strafbar gemacht haben, indem er Bruno <strong>zu</strong> Fall brachte und ihn<br />

auf den Boden drückte.<br />

I. Tatbestand<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

Der objektive Tatbestand des § 239 I StGB liegt vor. Unstreitig hat<br />

Anton dem Bruno durch das Zu-Fall-Bringen und auf den Boden Drücken<br />

die Möglichkeit genommen, sich aus freien Stücken bzw. nach<br />

eigenem Willen fortbewegen <strong>zu</strong> können. Dass Anton hierdurch nur für<br />

einen sehr kurzen Zeitraum in seiner Fortbewegungsfreiheit eingeschränkt<br />

werden sollte, ist dabei unerheblich, denn nach allgemeiner<br />

Ansicht sind auch bereits äußerst kurze Zeiträume von § 239 I StGB<br />

erfasst. So soll bereits die Zeitspanne ausreichen, die im Normalfall<br />

für ein „Vater Unser“ benötigt wird.<br />

2. Subjektiver Tatbestand<br />

Anton handelte vorsätzlich.<br />

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II. Rechtswidrigkeit<br />

Fraglich ist, ob Anton hinsichtlich der Freiheitsberaubung gerechtfertigt<br />

handelte.<br />

1. Nothilfe gemäß § 32 StGB<br />

Anton könnte im Wege der Nothilfe und damit gemäß § 32 StGB gerechtfertigt<br />

gehandelt haben.<br />

a) Nothilfelage<br />

Regelmäßig erfordert die Notwehr – ebenso wie die Nothilfe – gemäß<br />

§ 32 StGB einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf ein oder<br />

mehrere Rechtsgüter.<br />

Hier fand unstreitig ein rechtswidriger Angriff auf das Eigentum des<br />

Ladeninhabers statt. Da Bruno die CD nicht bezahlt hatte, eignete er<br />

sich diese rechtswidrig i.S.v. § 242 I StGB <strong>zu</strong>. Auch war der Angriff<br />

auf das Eigentum noch gegenwärtig. Zwar befand sich Bruno bereits<br />

auf der Flucht, jedoch war es ihm noch nicht gelungen, seine Beute<br />

vollständig in Sicherheit <strong>zu</strong> bringen. Vielmehr bestanden noch Chancen,<br />

die CD von Bruno wieder <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong> erlangen. Damit dauerte der<br />

Angriff noch an.<br />

b) Nothilfehandlung<br />

Das Zu-Boden-Werfen war geeignet, die Eigentumsbeeinträchtigung<br />

<strong>zu</strong> beenden. Auch war dies das mildeste Mittel, nachdem Bruno auf<br />

das Ansprechen seitens des Anton mit Flucht reagierte. Schließlich<br />

war Antons Handlung auch geboten, denn es liegen keinerlei Anzeichen<br />

dafür vor, dass Antons Nothilferecht aus irgendeinem Grund eingeschränkt<br />

gewesen sein konnte.<br />

c) Subjektives Rechtfertigungselement<br />

Es bestehen keine Zweifel daran, dass Anton mit entsprechendem Verteidigungswillen<br />

handelte.<br />

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Der Rechtfertigungsgrund der Nothilfe ist damit gegeben. Anton handelte<br />

gerechtfertigt gemäß § 32 StGB.<br />

2. Festnahmerecht gemäß § 127 I StPO<br />

Das Zu-Boden-Werfen des Bruno erfolgte seitens des Anton nachdem<br />

Bruno die CD gestohlen hatte. In Betracht kommt mithin der Rechtfertigungsgrund<br />

des § 127 I StPO, das sog. „Jedermanns-Festnahme-<br />

Recht“.<br />

a) Festnahmelage<br />

Der Täter muss auf frischer Tat betroffen sein oder verfolgt werden.<br />

Auf frischer Tat betroffen wird, wer bei Begehung einer rechtswidrigen<br />

Tat oder unmittelbar danach am Tatort oder in dessen unmittelbarer<br />

Nähe gestellt wird. Eine Verfolgung auf frischer Tat liegt vor, wenn<br />

sich der Täter bereits vom Tatort entfernt hat und aufgrund hinreichender<br />

Tatspuren seine Verfolgung <strong>zu</strong>m Zweck der Ergreifung aufgenommen<br />

wird.<br />

Vorliegend wurde Bruno von Anton auf frischer Tat betroffen und<br />

sodann verfolgt. Dahinstehen kann daher der Streit, ob es einer tatsächlich<br />

begangen Straftat bedarf oder ob bereits ein dringender Tatverdacht<br />

für eine Festnahme nach § 127 I StPO ausreicht. Vorliegend<br />

hat Bruno den Diebstahl der CD tatsächlich begangen, so dass alle<br />

Ansichten hier <strong>zu</strong> demselben Ergebnis führen.<br />

b) Festnahmegrund<br />

Weiterhin erfordert § 127 I StPO, dass der Täter der Flucht verdächtig<br />

ist und seine Identität nicht anders als durch die Festnahme festgestellt<br />

werden kann.<br />

Beides war hier unproblematisch der Fall. Der den Beteiligten unbekannte<br />

Bruno hatte den Supermarkt verlassen und war gerade dabei,<br />

vom Tatort <strong>zu</strong> flüchten. Daher durfte Anton den Bruno festhalten und in<br />

seiner Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigen.<br />

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c) Festnahmehandlung<br />

Liegen Festnahmelage und -grund vor, darf der Betreffende festgenommen<br />

werden. Damit die Festnahmehandlung rechtmäßig ist, muss<br />

sie jedoch bestimmte Vorausset<strong>zu</strong>ngen erfüllen. Insbesondere sind nur<br />

solche Beeinträchtigungen erlaubt, welche im Zuge der Festnahme<br />

unbedingt notwendig sind.<br />

§ 127 StPO rechtfertigt i.d.R. nur Beeinträchtigungen der körperlichen<br />

Bewegungsfreiheit sowie geringfügige Körperverlet<strong>zu</strong>ngen, wie z.B.<br />

festes Zupacken.<br />

Das Zu-Boden-Bringen Brunos war hier, obwohl für ihn mit einer<br />

leichten körperlichen Misshandlung verbunden, vom Festnahmerecht<br />

noch gedeckt.<br />

d) Subjektives Rechtfertigungselement<br />

Wie bereits festgestellt, handelte Anton mit dem entsprechenden Willen,<br />

das Eigentum des Ladeninhabers <strong>zu</strong> verteidigen.<br />

Somit ist Anton auch nach § 127 I StPO gerechtfertigt.<br />

3. Selbsthilferecht gemäß § 859 II BGB<br />

§ 859 II BGB gibt dem Besitzer einer Sache das Recht, sich gegen<br />

einen durch verbotene Eigenmacht herbeigeführten Besitzverlust <strong>zu</strong><br />

wehren. Wie bei der Nothilfe nach § 32 StGB ist es <strong>zu</strong>lässig, nach §<br />

859 II BGB einem Dritten Hilfe <strong>zu</strong> leisten, wenn dessen Besitz beeinträchtigt<br />

wird. Um eine solche Hilfeleistung handelte es sich auch im<br />

vorliegenden Fall, da Anton handelte, um dem Ladeninhaber sowohl<br />

das Eigentum, als auch den Besitz an der CD <strong>zu</strong> erhalten. Mithin war<br />

Anton auch nach § 859 II BGB gerechtfertigt.<br />

4. Zwischenergebnis<br />

Es liegen die Rechtfertigungsgründe der Nothilfe gemäß § 32 StGB,<br />

des Festnahmerechts gemäß § 127 I StPO und der der zivilrechtlichen<br />

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Besitzkehr gemäß § 859 II BGB vor, so dass die Rechtswidrigkeit entfällt.<br />

III. Ergebnis<br />

Mangels Rechtswidrigkeit hat sich Anton nicht wegen einer Freiheitsberaubung<br />

gemäß § 239 I StGB strafbar gemacht.<br />

B. Strafbarkeit Antons wegen Körperverlet<strong>zu</strong>ng gemäß § 223 I<br />

StGB<br />

Durch das Zu-Boden-Bringen hat Anton den Bruno einer leichten körperlichen<br />

Misshandlung unterzogen, so dass der Tatbestand des § 223<br />

I StGB objektiv und subjektiv erfüllt wurde. Jedoch war Antons Handeln<br />

diesbezüglich gemäß § 32 StGB, § 127 I StPO und § 859 II BGB<br />

gerechtfertigt. Im Ergebnis hat sich Anton durch das Zu-Boden-<br />

Bringen Brunos auch keiner Körperverlet<strong>zu</strong>ng gemäß § 223 I StGB<br />

strafbar gemacht.<br />

C. Strafbarkeit Antons wegen gefährlicher Körperverlet<strong>zu</strong>ng gemäß<br />

§§ 223 I, 224 I Nr. 5 StGB<br />

Anton könnte sich wegen einer gefährlichen Körperverlet<strong>zu</strong>ng gemäß<br />

§§ 223 I, 224 I Nr. 5 StGB strafbar gemacht haben, indem er den<br />

Würgegriff an Bruno anlegte.<br />

I. Tatbestand<br />

1. Objektiver Tatbestand<br />

a) Grundtatbestand des § 223 I StGB<br />

Unstreitig stellte das Würgen des Bruno eine körperliche Misshandlung<br />

i.S.v. § 223 I StGB dar.<br />

b) Qualifikation des § 224 I Nr. 5 StGB<br />

Weiterhin liegt die Qualifikation des § 224 I Nr. 5 StGB vor. Der<br />

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Würgegriff war kausal für den späteren Tod Brunos. Somit gefährdete<br />

Anton dessen Leben konkret.<br />

2. Subjektiver Tatbestand<br />

Anton handelte vorsätzlich sowohl hinsichtlich des Grundtatbestandes<br />

des § 223 I StGB als auch hinsichtlich der Qualifikation des § 224 I<br />

Nr. 5 StGB.<br />

II. Rechtswidrigkeit<br />

Fraglich ist aber, ob Anton auch hinsichtlich des Anlegens des Würgegriffes<br />

bei Bruno gerechtfertigt handelte.<br />

1. Notwehr gemäß § 32 StGB<br />

In Betracht kommt <strong>zu</strong>nächst eine Rechtfertigung durch Notwehr gemäß<br />

§ 32 StGB.<br />

a) Notwehrlage<br />

Ein gegenwärtiger Angriff Brunos lag in Form der Schläge und Tritte<br />

gegen Anton vor. Die Schläge und Tritte Brunos waren auch rechtswidrig,<br />

denn diesbezüglich kann <strong>zu</strong> Brunos Gunsten keine <strong>zu</strong>lässige<br />

Notwehrhandlung angenommen werden. Die vorherige „Fixierung“<br />

durch Anton war ihrerseits bereits gemäß § 32 StGB, § 127 I StPO<br />

und § 859 II BGB gerechtfertigt, was <strong>zu</strong>r Konsequenz haben musste,<br />

dass Bruno hierdurch nicht rechtswidrig angegriffen wurde. Insoweit<br />

konnte er sich nicht seinerseits auf Notwehr berufen, die Schläge und<br />

Tritte waren also rechtswidrig. Insgesamt lag damit ein gegenwärtiger<br />

rechtswidriger Angriff seitens des Bruno vor, so dass eine Notwehrlage<br />

fest<strong>zu</strong>stellen ist.<br />

b) Notwehrhandlung<br />

Der an Bruno ausgeübte Würgegriff war geeignet, den von ihm geleisteten<br />

Widerstand (Schläge und Tritte) <strong>zu</strong> beendigen. Der Würgegriff<br />

war <strong>zu</strong>dem erforderlich. Da Bruno gewaltbereit und stärker war, war<br />

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ein anderes, gleich effektives Mittel <strong>zu</strong>r Beendigung der Schläge und<br />

Tritte nicht ersichtlich. Schließlich war der Würgegriff auch geboten.<br />

Da Anton keinerlei Tötungsvorsatz hatte und lediglich Brunos körperliche<br />

Integrität beeinträchtigen wollte, ist unter dem Gesichtspunkt der<br />

Gebotenheit vorliegend nicht darauf ein<strong>zu</strong>gehen, ob eine absichtliche<br />

(!!!) Tötung <strong>zu</strong>m Schutz von Sachwerten vom Notwehrrecht gedeckt<br />

sein kann.<br />

Des Weiteren kam es auch nicht <strong>zu</strong> einer Einschränkung von Antons<br />

Notwehrrecht aufgrund der Schranken des § 127 StPO.<br />

[An dieser Stelle wird erneut deutlich, wie wichtig es im vorliegenden<br />

Fall ist, die einzelnen Handlungen Antons sauber auseinander <strong>zu</strong> halten.<br />

Der beschränkte Anwendungsbereich des § 127 StPO (nur Rechtfertigung<br />

von Freiheitsentziehungen und leichten Körperverlet<strong>zu</strong>ngen)<br />

überlagert hier nicht das schärfere Notwehrrecht. Das vorangehende<br />

Zu-Fall-Bringen Brunos war durch § 127 I StPO gerechtfertigt. Mit<br />

dem Würgegriff war aber eine neue Handlung Antons gegeben, welche<br />

nicht mehr der Festnahme Brunos, sondern der eigenen Verteidigung<br />

diente. Es wäre nun aber eine un<strong>zu</strong>lässige Beschränkung, die<br />

Grenzen des § 127 StPO auch auf die der Festnahme folgende Notwehr<br />

aus<strong>zu</strong>weiten].<br />

c) Subjektives Rechtfertigungselement<br />

Anton handelte in der Absicht, sich gegen Brunos Schläge und Tritte<br />

<strong>zu</strong> verteidigen. Er handelte damit in Notwehr gemäß § 32 StGB.<br />

2. Nothilfe gemäß § 32 StGB<br />

Hinsichtlich des Eigentums des Ladeninhabers an der CD ist <strong>zu</strong>dem<br />

wiederum eine Rechtfertigung im Wege der Nothilfe gemäß § 32<br />

StGB <strong>zu</strong> denken. Denn die CD befand sich immer noch in Brunos Jackentasche.<br />

Er beeinträchtigte somit immer noch das Eigentum des<br />

Ladeninhabers.<br />

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3. Festnahmerecht gemäß § 127 I StPO<br />

Eine Rechtfertigung im Hinblick auf das Würgen des Bruno gemäß<br />

§ 127 I StPO kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Wie bereits dargelegt<br />

wurde, umfasst die Rechtfertigung nach § 127 I StPO nur solche<br />

Handlungen, welche <strong>zu</strong>m Zweck der Festnahme und der Feststellung<br />

der Identität erforderlich sind. Regelmäßig kommen daher nur<br />

Beeinträchtigungen der körperlichen Bewegungsfreiheit sowie geringfügige<br />

Körperverlet<strong>zu</strong>ngen in Betracht.<br />

Mithin scheidet § 127 I StPO für eine Rechtfertigung Antons aus, da<br />

das Würgen des Bruno eine körperliche Misshandlung darstellt, welche<br />

weit über der Zulässigkeitsgrenze des § 127 I StPO lag.<br />

4. Zwischenergebnis<br />

Anton legte bei Bruno den Würgegriff an, um sich gegen dessen<br />

Schläge und Tritte <strong>zu</strong> verteidigen. Er handelte damit in Notwehr und<br />

war gemäß § 32 StGB gerechtfertigt.<br />

III. Ergebnis<br />

Mangels Rechtswidrigkeit scheidet eine Strafbarkeit Antons wegen<br />

einer gefährlichen Körperverlet<strong>zu</strong>ng gemäß §§ 223 I, 224 I Nr. 5<br />

StGB aus.<br />

D. Strafbarkeit Antons wegen Nötigung gemäß § 240 StGB<br />

Durch den Würgegriff hat Anton tatbestandlich eine Nötigung gemäß<br />

§ 240 I StGB verwirklicht. Das Nötigungsmittel der Gewalt, nämlich<br />

jeder physisch wirkende Zwang, welcher ausgeübt wird, um geleisteten<br />

oder erwarteten Widerstand <strong>zu</strong> überwinden, lag hier unstreitig in<br />

Form des Würgegriffs vor. Hierdurch erreichte Anton auch sein Nötigungsziel,<br />

nämlich das Aufgeben der Schläge und Tritte von Bruno <strong>zu</strong><br />

erzwingen. Hierbei handelte Anton auch vorsätzlich. Jedoch scheitert<br />

seine Strafbarkeit nach § 240 StGB ebenfalls an dem den Würgegriff<br />

rechtfertigenden Notwehrrecht.<br />

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E. Strafbarkeit des Anton wegen Körperverlet<strong>zu</strong>ng mit Todesfolge<br />

gemäß §§ 223 I, 227 StGB<br />

Anton könnte sich durch das weitere Würgen nach dem Eintritt der<br />

Bewusstlosigkeit bei Bruno wegen einer Körperverlet<strong>zu</strong>ng mit Todesfolge<br />

gemäß §§ 223 I, 227 StGB strafbar gemacht haben.<br />

I. Tatbestand<br />

1. Grundtatbestand des § 223 I StGB<br />

Nachdem bereits das anfängliche Würgen des Bruno eine körperliche<br />

Misshandlung darstellte (siehe oben), ist selbiges auch unzweifelhaft<br />

für das weitere Würgen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit fest<strong>zu</strong>stellen.<br />

Der objektive Tatbestand des § 223 I StGB wurde damit in Form<br />

der körperlichen Misshandlung erfüllt.<br />

2. Vorsatz bezüglich des Grundtatbestands<br />

Anton handelte mit Willen und Bewusstsein hinsichtlich des gesamten<br />

Würgevorgangs, denn er würgte Bruno auch dann noch, als dieser sich<br />

nicht mehr mit Schlägen und Tritten wehrte. Dass Anton davon ausging,<br />

Bruno sei bei Bewusstsein und könne das Würgen durch Abgabe<br />

eines entsprechenden Handzeichens selbst beenden, lässt seinen Vorsatz<br />

bezüglich der Würgehandlung nicht entfallen.<br />

3. Erfolgsqualifikation des § 227 StGB<br />

Vorliegend kam Bruno <strong>zu</strong> Tode, nachdem Anton ihn entsprechend<br />

lange würgte, so dass die besonders schwere Folge des § 227 StGB<br />

fest<strong>zu</strong>stellen ist.<br />

4. Kausalität und objektive Zurechnung<br />

Auch die Feststellung der Kausalität des Würgens für Brunos Tod bereitet<br />

keine Probleme. Durch das Weiterwürgen des Bruno nach Verlust<br />

des Bewusstseins hat Anton ein rechtlich <strong>zu</strong> missbilligendes Risiko<br />

für Leib und Leben Brunos geschaffen. Die rechtliche Missbilli-<br />

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gung ergibt sich daraus, dass das Würgen <strong>zu</strong> diesem Zeitpunkt nicht<br />

mehr erforderlich war, da Schläge und Tritte seitens des Bruno nicht<br />

mehr stattfanden. Das Risiko realisierte sich auch im tatsächlichen<br />

Erfolg, nämlich Brunos Tod. Mithin ist Anton die Verwirklichung von<br />

§§ 223 I, 227 StGB objektiv <strong>zu</strong><strong>zu</strong>rechnen.<br />

5. Spezifischer Gefahr<strong>zu</strong>sammenhang zwischen Handlung und Todesfolge<br />

Der spezifische Gefahr<strong>zu</strong>sammenhang liegt vor, wenn sich im tödlichen<br />

Erfolg gerade das spezifische Risiko verwirklicht, welches der<br />

Ausgangshandlung innewohnt. Der erforderliche spezifische Gefahr<strong>zu</strong>sammenhang<br />

zwischen der Körperverlet<strong>zu</strong>ngshandlung und dem<br />

Todeserfolg lag hier vor. Die durch das Würgen herbeigeführte körperliche<br />

Misshandlung barg in sich die Gefahr eines Erstickungstodes<br />

des Bruno, welche sich tatsächlich realisiert hat.<br />

6. Objektive Sorgfaltspflichtverlet<strong>zu</strong>ng und Vorhersehbarkeit der Todesfolge<br />

gemäß § 18 StGB<br />

Das Würgen des Bruno erfüllt die Vorausset<strong>zu</strong>ngen einer vorsätzlichen<br />

Körperverlet<strong>zu</strong>ng. Als solche ist sie nach § 223 I StGB strafbar.<br />

Die Verwirklichung einer mit Strafe bedrohten Handlung stellt per se<br />

eine objektive Sorgfaltspflichtverlet<strong>zu</strong>ng dar, da strafbares Handeln<br />

grundsätzlich <strong>zu</strong> unterlassen ist.<br />

Während sich die objektive Sorgfaltspflichtverlet<strong>zu</strong>ng auf die Handlung<br />

beziehen muss, ist die objektive Vorhersehbarkeit auf die Erfolgsqualifikation,<br />

hier die Todesfolge gemäß § 227 StGB, gerichtet.<br />

Der Tod als Folge des gezielten Strangulierens ist unstreitig objektiv<br />

vorhersehbar. Weiterhin bestehen auch keine Zweifel daran, dass der<br />

Todeserfolg aufgrund des (Pflichtwidrigkeits-)Zusammenhangs eintreten<br />

kann. Anton hat die Gefahr hier – <strong>zu</strong>mindest auch abstrakt – erkannt,<br />

also Brunos Tod für theoretisch möglich gehalten. Dies wird<br />

daran deutlich, dass er, in der Voraussicht es nicht bis <strong>zu</strong>m Äußersten<br />

für Bruno kommen <strong>zu</strong> lassen, diesen da<strong>zu</strong> aufforderte, dem Würgevorgang<br />

durch Abgabe eines Handzeichens selbst ein Ende <strong>zu</strong> setzen.<br />

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II. Rechtswidrigkeit<br />

Anton handelte auch rechtswidrig, weil ein Angriff auf seine körperliche<br />

Unversehrtheit <strong>zu</strong> diesem Zeitpunkt nicht mehr stattfand und das<br />

Würgen auch die Verteidigung des Eigentums des Ladeninhabers<br />

(CD) nicht mehr erforderlich war. Von § 127 I StPO wäre das Würgen<br />

ohnehin nicht erfasst gewesen (vgl. da<strong>zu</strong> bereits oben).<br />

III. Schuld<br />

1. Erlaubnistatbestandsirrtum<br />

Anton könnte sich jedoch in einem Erlaubnistatbestandsirrtum befunden<br />

haben, als er Bruno auch nach dessen Verlust des Bewusstseins<br />

weiter würgte.<br />

Ein Erlaubnistatbestandsirrtum ist gegeben, wenn der Täter irrig vom<br />

Bestehen tatsächlicher Umstände ausgeht, welche bei ihrem Vorliegen<br />

<strong>zu</strong> einer Rechtfertigung geführt hätten.<br />

Anton befand sich in einem Erlaubnistatbestandsirrtum, denn er bemerkte<br />

nicht, dass Bruno irgendwann während des Würgens das Bewusstsein<br />

verlor. Vielmehr hielt er Brunos Erstickungskrämpfe für<br />

weitere Abwehrhandlungen. Damit glaubte er, sich durch das Würgen<br />

nach wie vor im Wege der Notwehr gemäß § 32 StGB verteidigen <strong>zu</strong><br />

dürfen. Mithin sah er sich irrtümlich in einer Notwehrlage.<br />

Die rechtliche Behandlung des Erlaubnistatbestandsirrtums ist umstritten.<br />

Die strenge Schuldtheorie behandelt den Erlaubnistatbestandirrtum<br />

wie einen Verbotsirrtum und wendet daher § 17 StGB analog an. Dies<br />

hat <strong>zu</strong>r Folge, dass es auf die Vermeidbarkeit des Irrtums ankommt, da<br />

gemäß § 17 StGB nur ein unvermeidbarer Irrtum <strong>zu</strong>m Wegfall der<br />

Schuld führen kann. Unvermeidbar ist ein Verbotsirrtum nur dann,<br />

wenn er auch bei hinlänglicher Sorgfalt nicht hätte verhindert werden<br />

können. Im vorliegenden Fall wäre der Irrtum über die Notwehrlage<br />

wohl vermeidbar gewesen, denn Anton hätte sich genauer vergewis-<br />

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sern können (und müssen), in welchem Zustand sich Bruno – insbesondere<br />

infolge des Würgens – befand. Damit würde seine Schuld hier<br />

nicht entfallen. Diese Ansicht ist jedoch deswegen ab<strong>zu</strong>lehnen, da sie<br />

denjenigen, der sich in einem tatsächlichen Irrtum befindet, gleich behandelt<br />

wie denjenigen, der einem Rechtsirrtum unterliegt. Da derjenige,<br />

der „lediglich“ eine tatsächliche Sachlage nicht erkennt aber regelmäßig<br />

„an sich rechtstreu“ ist, ist eine solche Gleichbehandlung<br />

nicht angemessen.<br />

Die rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie wendet<br />

auf den Erlaubnistatbestandsirrtum § 16 StGB analog an und lässt die<br />

Vorsatzschuld entfallen. Hiernach würde die Schuld Antons entfallen.<br />

Gemäß § 16 I 2 StGB käme jedoch eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger<br />

Tötung gemäß § 222 StGB in Betracht.<br />

Die vorsatzausschließende eingeschränkte Schuldtheorie lässt in direkter<br />

Anwendung von § 16 StGB den Tatbestandsvorsatz entfallen,<br />

wenn ein Erlaubnistatbestandsirrtum vorliegt. Hiernach würde bereits<br />

Antons Vorsatz auf Tatbestandsebene entfallen. Gemäß § 16 I 2 StGB<br />

käme jedoch eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222<br />

StGB in Betracht.<br />

2. Zwischenergebnis<br />

Nach den herrschenden eingeschränkten Schuldtheorien (b und c) entfällt<br />

die Vorsatzschuld bzw. der Tatbestandsvorsatz, so dass eine<br />

Strafbarkeit Antons ausscheidet.<br />

IV. Ergebnis<br />

Zwar handelte Anton hinsichtlich des Würgens des Bruno tatbestandsmäßig<br />

und rechtswidrig. Auch handelte er fahrlässig<br />

hinsichtlich der Todesfolge. Eine Strafbarkeit wegen<br />

Körperverlet<strong>zu</strong>ng mit Todesfolge gemäß §§ 223 I, 227 StGB scheidet<br />

jedoch aus, weil Anton sich in einem Erlaubnistatbestandirrtum<br />

befand, nachdem Bruno das Bewusstsein verloren hatte.<br />

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F. Strafbarkeit Antons wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222<br />

StGB<br />

Aufgrund des Erlaubnistatbestandsirrtums ist § 16 StGB direkt (vorsatzausschließende<br />

eingeschränkte Schuldtheorie) bzw. analog<br />

(rechtsfolgenverweisende eingeschränkte Schuldtheorie) hinsichtlich<br />

der Strafbarkeit nach §§ 223 I, 227 StGB an<strong>zu</strong>wenden. Gemäß § 16 I<br />

2 StGB bleibt eine entsprechende Fahrlässigkeitsstrafbarkeit jedoch<br />

von dem Erlaubnistatbestandsirrtum unberührt. Damit ist <strong>zu</strong> prüfen, ob<br />

Anton sich wegen einer fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB strafbar<br />

gemacht haben kann.<br />

Wie bereits festgestellt, handelte Anton sorgfaltspflichtwidrig, denn<br />

eine tatbestandsmäßige Körperverlet<strong>zu</strong>ng stellt per se eine objektive<br />

Sorgfaltspflichtverlet<strong>zu</strong>ng dar (vgl. oben). Auch ist bei einem Strangulieren<br />

der Tod des Opfers als mögliche Folge vorhersehbar.<br />

Anton handelte <strong>zu</strong>dem auch schuldhaft. Eine subjektive Sorgfaltspflichtverlet<strong>zu</strong>ng<br />

lag vor, da hier nichts dafür spricht, dass Anton den<br />

Bruno nach dem Eintritt der Bewusstlosigkeit weiterhin würgen durfte.<br />

Zudem handelte Anton auch voll verantwortlich bzw. verständig,<br />

so dass er Brunos möglichen Tod auch vorhersehen konnte.<br />

Möglicherweise befand sich Anton aber in einem entschuldigenden<br />

Notwehrexzess nach § 33 StGB.<br />

Regelmäßig deckt § 33 StGB einen sog. intensiven Notwehrexzess,<br />

d.h. eine Situation in der der Täter das Maß der erforderlichen Verteidigung<br />

bei bestehender Notwehrlage überschreitet. Vorliegend bestand<br />

jedoch nach Eintritt der Bewusstlosigkeit bei Bruno gerade keine<br />

Notwehrlage mehr für Anton (vgl. oben), so dass ein intensiver<br />

Notwehrexzess ausscheidet.<br />

Daneben gibt es auch den sog. extensiven Notwehrexzess, d.h. eine<br />

Situation, in der der Täter vermeintlich in Notwehr handelt, es in<br />

Wahrheit aber an einer Notwehrlage fehlt. Ob diese Konstellation<br />

ebenfalls von § 33 StGB erfasst wird, ist umstritten. Herrschend ist<br />

hier die restriktive Theorie, welche nur den intensiven Notwehrexzess<br />

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als von § 33 StGB erfasst ansieht. Demgegenüber wendet die extensive<br />

Theorie § 33 StGB auch auf den Fall des extensiven Notwehrexzesses<br />

an. Schließlich unterscheidet eine dritte Ansicht (differenzierende<br />

Theorie), danach, ob die extensive Notwehrüberschreitung vor<br />

oder nach dem tatsächlichen Vorliegen einer Notwehrlage erfolgt und<br />

erstreckt § 33 StGB dabei auf die Fälle des nachzeitigen extensiven<br />

Notwehrexzesses.<br />

In einem solchen nachzeitigen Notwehrexzess befand sich vorliegend<br />

auch Anton, als er Bruno noch würgte, obwohl dieser bereits bewusstlos<br />

und eine Notwehrlage somit nicht mehr gegeben war. Folglich wäre<br />

der Theorienstreit hier <strong>zu</strong> entscheiden. Dies kann jedoch unterbleiben,<br />

da § 33 StGB hier in jedem Fall, d.h. nach sämtlichen Ansichten<br />

daran scheitert, dass es dem Anton an einem sog. asthenischen Affekt<br />

fehlte. Regelmäßig kommt eine Entschuldigung nach § 33 StGB überhaupt<br />

nur dann in Betracht, wenn der Täter die Grenzen der Notwehr<br />

aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet. Vorliegend verkannte<br />

Anton das (weitere) Vorliegen einer Notwehrlage aber nur<br />

deshalb, weil er nichts von Brunos Bewusstlosigkeit bemerkte und<br />

dessen Erstickungskrämpfe als weitere Abwehrhandlungen fehldeutete.<br />

Hingegen setzte Anton das Würgen weder aus Verwirrung, Furcht<br />

oder Schrecken fort.<br />

Da es an der grundlegenden Vorausset<strong>zu</strong>ng des asthenischen Affektes<br />

auf Seiten Antons fehlte, scheidet auch eine Entschuldigung nach § 33<br />

StGB aus. Anton hat sich im Ergebnis durch das Würgen des Bruno<br />

bis hin <strong>zu</strong>m Erstickungstod wegen einer fahrlässigen Tötung gemäß §<br />

222 StGB strafbar gemacht.<br />

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