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Fall 04_finalNetz - unirep - Humboldt-Universität zu Berlin

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<strong>Universität</strong>s-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Berlin</strong><br />

<strong>Fall</strong> 4: Flatrate-Party<br />

Gastwirt G betreibt ein Lokal in <strong>Berlin</strong>-Friedrichshain, in dem wöchentlich jeden Freitag und Samstag<br />

sog. „flatrate-Partys“ stattfinden, bei denen nach Entrichtung eines Pauschalpreises uneingeschränkt<br />

Alkohol ausgeschenkt wird. Die Partys werden insbesondere von Jugendlichen frequentiert. Die Polizei<br />

musste bereits wiederholt Jugendliche Gäste nach exzessivem Alkoholgenuss auflesen und mit Alkoholvergiftungen<br />

in Krankenhäuser verbringen. Zuletzt war ein 16-jähriger Schüler infolge des Konsums von<br />

52 Gläsern Tequila mit einem Blutalkoholgehalt von 4,8 Promille in der Gaststätte bewusstlos <strong>zu</strong>sammengebrochen<br />

und nach wochenlangem Koma verstorben.<br />

Nachdem das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg G wiederholt erfolglos aufgefordert hatte, auf die<br />

Einhaltung des Jugendschutzes in seiner Gaststätte <strong>zu</strong> achten, verbietet es dem G die Durchführung<br />

weiterer Veranstaltungen, bei denen alkoholische oder alkoholhaltige Getränke ohne Mengenbegren<strong>zu</strong>ng<br />

<strong>zu</strong> einem einmal entrichteten Preis ausgeschenkt werden. In der Begründung heißt es, ein Einschreiten<br />

sei notwendig, „da von den „flatrate-Partys“ regelmäßig die Gefahr des Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz<br />

und große Gefahren für die Gesundheit der Konsumenten ausgehen und somit die öffentliche<br />

Sicherheit gefährdet ist (§ 17 Abs. 1 ASOG).“<br />

G sieht seine Haupteinnahmequelle und damit seine wirtschaftliche Existenz gefährdet. Er werde durch<br />

das Gaststättenrecht in besonderer Weise vor solch willkürlichen hoheitlichen Eingriffen geschützt.<br />

Immerhin habe er eine Gaststättenerlaubnis. Außerdem könne er doch nichts dafür, wenn die Jugendlichen<br />

von heute nicht mit Alkohol umgehen könnten. Das Problem sei <strong>zu</strong>dem nicht gelöst, wenn seine<br />

„Flatrate-Partys“ verboten würden. Es gäbe noch genügend andere entsprechende Veranstaltungsangebote<br />

und Möglichkeiten für Jugendliche, an Alkohol <strong>zu</strong> kommen. Dass es dort noch nicht <strong>zu</strong> ähnlichen<br />

Vorkommnissen gekommen sei, sei reiner Zufall. G hat dabei insbesondere einen direkten Konkurrenten<br />

im Bezirk Pankow-Prenzlauer Berg im Blick.<br />

Nach erfolglosem Widerspruch legt G form- und fristgerecht Klage ein. Hat diese Aussicht auf Erfolg?<br />

Aus<strong>zu</strong>g aus dem Jugendschutzgesetz:<br />

§ 1 Begriffsbestimmungen<br />

(1) Im Sinne dieses Gesetzes<br />

1. sind Kinder Personen, die noch nicht 14 Jahre alt sind,<br />

2. sind Jugendliche Personen, die 14, aber noch nicht 18 Jahre alt sind,<br />

3.´ist personensorgeberechtigte Person, wem allein oder gemeinsam mit einer anderen Person nach den Vorschriften<br />

des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Personensorge <strong>zu</strong>steht,<br />

4.ist erziehungsbeauftragte Person, jede Person über 18 Jahren, soweit sie auf Dauer oder zeitweise aufgrund einer<br />

Vereinbarung mit der personensorgeberechtigten Person Erziehungsaufgaben wahrnimmt oder soweit sie ein Kind<br />

oder eine jugendliche Person im Rahmen der Ausbildung oder der Jugendhilfe betreut.<br />

[…]<br />

§ 4 Gaststätten<br />

(1) Der Aufenthalt in Gaststätten darf Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren nur gestattet werden, wenn eine<br />

personensorgeberechtigte oder erziehungsbeauftragte Person sie begleitet oder wenn sie in der Zeit zwischen 5 Uhr<br />

und 23 Uhr eine Mahlzeit oder ein Getränk einnehmen. Jugendlichen ab 16 Jahren darf der Aufenthalt in Gaststätten<br />

ohne Begleitung einer personensorgeberechtigten oder erziehungsbeauftragten Person in der Zeit von 24 Uhr und 5<br />

Uhr morgens nicht gestattet werden.<br />

[…]<br />

§ 9 Alkoholische Getränke<br />

(1) In Gaststätten, Verkaufsstellen oder sonst in der Öffentlichkeit dürfen<br />

1. Branntwein, branntweinhaltige Getränke oder Lebensmittel, die Branntwein in nicht nur geringfügiger Menge<br />

enthalten, an Kinder und Jugendliche,<br />

2. andere alkoholische Getränke an Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren<br />

weder abgegeben noch darf ihnen der Verzehr gestattet werden.<br />

<strong>Universität</strong>s-Repetitorium der HUB / Öffentliches Recht / WS 2009/2010<br />

Polizei- und Ordnungsrecht / Prof. Dr. Alexander Blankenagel<br />

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<strong>Universität</strong>s-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Universität</strong> <strong>zu</strong> <strong>Berlin</strong><br />

Lösungsskizze <strong>Fall</strong> 4<br />

Obersatz: Die Klage des G hätte Aussicht auf Erfolg, wenn sie <strong>zu</strong>lässig und begründet wäre.<br />

A. Zulässigkeit<br />

I. Verwaltungsrechtesweg § 40 Abs. 1 VwGO<br />

Der Verwaltungsrechtsweg ist gem. § 40 Abs. 1 VwGO eröffnet, wenn es sich um eine öffentlichrechtliche<br />

Streitigkeit handelt. Hier verbietet das Bezirksamt G hoheitlich die Durchführung bestimmter<br />

Veranstaltungen. Streitentscheidend sind Normen des öffentlichen Ordnungsrechts heran<strong>zu</strong>ziehen. Somit<br />

handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit. Diese ist nicht verfassungsrechtlicher Art.<br />

Sonder<strong>zu</strong>weisungen sind nicht ersichtlich.<br />

II. Beteiligten- und Prozessfähigkeit<br />

G ist als natürliche Person und das Land <strong>Berlin</strong> als juristische Person gem. § 61 Nr. l VwGO beteiligtenfähig.<br />

Prozessfähigkeit ergibt sich aus § 62 I Nr. l VwGO für A als geschäftsfähige nat. Person und<br />

gem. § 62 Abs. 3 VwGO für das Land <strong>Berlin</strong> als Vereinigung bei ordnungsgemäßer Vertretung.<br />

III. Statthafte Klageart<br />

Als statthafte Klageart kommt eine Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO in Betracht. Dafür müsste<br />

sich G gegen einen Verwaltungsakt wenden. Die Verbotsverfügung ist eine hoheitliche Maßnahme<br />

einer Behörde <strong>zu</strong>r Regelung des Einzelfalls mit Auswirkung und ist mithin einen Verwaltungsakt gem.<br />

§ 35 VwVfG.<br />

IV. Klagebefugnis § 42 Abs. 2 VwGO<br />

Als Adressat der belastenden Verfügung besteht die Möglichkeit, dass G <strong>zu</strong>mindest in seinem Rechten<br />

aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt ist. Er ist somit klagebefugt gem. § 42 Abs. 2 VwGO (Adressatentheorie).<br />

V. Vorverfahren<br />

Ein Vorverfahren gem. §§ 68 ff. VwGO hat statt gefunden.<br />

VI. Form und Frist<br />

Die Klage ist laut Sachverhalt fristgerecht, also innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids<br />

erhoben worden (§ 74 Abs. 1 VwGO). Die Klage ist formgerecht gem. §§ 81, 82<br />

VwGO erhoben worden.<br />

VII. Richtiger Klagegegner<br />

Richtiger Klagegegner ist gem. § 78 Abs. 1 VwGO das Land <strong>Berlin</strong> als Rechtsträger.<br />

VIII. Ergebnis<br />

Die Anfechtungsklage des G wäre <strong>zu</strong>lässig.<br />

B. Begründetheit<br />

Die Klage wäre begründet, wenn der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig und der G dadurch in<br />

seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).<br />

I. Ermächtigungsgrundlage<br />

Als Ermächtigungsgrundlage kommt die im Bescheid genannte ordnungsrechtliche Generalklausel in<br />

§ 17 Abs. 1 ASOG in Betracht. Die Generalklausel ist aber nur taugliche Rechtsgrundlage, soweit nicht<br />

Spezialermächtigungen der Polizei- und Ordnungsgesetze die Befugnisse der Polizei- und Ordnungsbehörden<br />

besonders regeln. Spezialermächtigungen haben im Verhältnis <strong>zu</strong>r Generalklausel eine Sperrwirkung,<br />

die Generalklausel hat im Verhältnis <strong>zu</strong> den Spezialermächtigungen eine Auffangwirkung. Die<br />

Spezialermächtigungen der allgemeinen Polizei- und Ordnungsgesetze wiederum stehen hinter noch<br />

spezielleren Regelungen in besonderen Ordnungsgesetzen <strong>zu</strong>rück. Entsprechend dem Grundsatz, dass<br />

das allgemeine Gesetz dem besonderen weicht, verdrängen die besonderen Ordnungsgesetze das ASOG<br />

(§ 17 Abs. 2 ASOG). (Merksatz: Besondere Ordnungsrecht vor Spezialbefugnissen vor Generalklausel).<br />

Hier wird dem G als Gastwirt mit Gaststättenerlaubnis eine Auflage gemacht, wie er seine Gaststätte <strong>zu</strong><br />

betreiben, bzw. nicht <strong>zu</strong> betreiben hat, um dem Jugend- und Gesundheitsschutz gerecht <strong>zu</strong> werden. Das<br />

Jugendschutzgesetz enthält zwar Ge- und Verbote, aber keine Befugnisnorm für ordnungs-<br />

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rechtliche Maßnahmen. Die Gefahren, die vom Betrieb einer Gaststätte ausgehen, sind im Gaststättengesetz<br />

besonders und, soweit es um die konkrete Befugnis geht, abschließend geregelt. (Bezüglich anderer<br />

Befugnisse wird man, da es sich beim GaststG um spezielles Ordnungsrecht ohne besondere grundrechtliche<br />

Schutzfunktion handelt, eine Rückgriffsmöglichkeit annehmen können.) Obwohl der Bund mittlerweile<br />

keine Kompetenz mehr im Bereich des Gaststättenrechts hat, gilt das aufgrund von Art. 74<br />

Abs. 1 Nr. 11 GG a. F. erlassene Gaststättengesetz des Bundes gem. Art. 125a Abs. 1 S. 1 GG fort,<br />

solange es nicht durch Landesrecht ersetzt wurden. § 5 Abs. 1 GaststättenG ermöglicht es den Gewerbetreibenden<br />

mit Gaststättenerlaubnis Auflagen <strong>zu</strong>m Schutze der Gäste vor Gefahren für Leben und Gesundheit<br />

<strong>zu</strong> erteilen. Soweit das GaststättenG einschlägig ist, ist ein Rückgriff auf die Generalklausel des<br />

allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts ausgeschlossen. Entgegen der Begründung des Bezirksamtes<br />

ist die richtige Rechtsgrundlage für die Verbotsverfügung also § 5 Abs. 1 GaststättenG. Leistet der<br />

Gastwirt dem Alkoholmissbrauch Vorschub oder gewährleistet er nicht die Einhaltung des Jugendschutzes,<br />

so erfüllt er außerdem den Versagungsgrund des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG, was an sich gem. § 15<br />

Abs. 2 GastG zwingend <strong>zu</strong>m Widerruf der Erlaubnis führt. Dies ist jedoch unabhängig davon, dass jedenfalls<br />

auch oder <strong>zu</strong>nächst eine Auflage nach § 5 Abs. 1 GastG erteilt werden kann (u.U. kann sogar<br />

wegen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit <strong>zu</strong>nächst die Erteilung einer Auflage geboten sein).<br />

II. Formelle Rechtmäßigkeit<br />

Zuständig ist gem. §§ 4 Abs. 2 AZG, 2 Abs. 4 ASOG und Nr. 21 Abs. 2e ZustKatOrd das Bezirksamt<br />

als Ordnungsbehörden. Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung des Verfahrens bestehen nicht.<br />

Insbesondere stand die Behörde offenbar im fortgesetzten Kontakt <strong>zu</strong> G indem sie ihn wiederholt aufforderte,<br />

die Einhaltung des Jugendschutzes sicher <strong>zu</strong> stellen. Es ist davon aus<strong>zu</strong>gehen, dass er im Rahmen<br />

der Kommunikation auf die Möglichkeit des Verbots hingewiesen und mithin gem. § 28 Abs. 1<br />

VwVfG angehört wurde. Anderenfalls wäre die Anhörung im durch das Widerspruchsverfahren gem.<br />

§ 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG nachgeholt worden (h. M.). Die Verfügung wurde gem. § 39 Abs. 1 VwVfG<br />

begründet. Danach sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mit<strong>zu</strong>teilen, die die<br />

Behörde <strong>zu</strong> ihrer Entscheidung bewogen haben. Dies ist hier geschehen. Zur Erfüllung dieser Formvorschrift<br />

ist es unschädlich, dass die Begründung inhaltlich falsch ist, wie hier die fehlerhafte Angabe der<br />

Rechtsgrundlage.<br />

III. Materielle Rechtmäßigkeit<br />

1. G betreibt eine Gaststätte, für deren Betrieb er einer Erlaubnis nach § 2 GastG bedarf. (Gegenüber<br />

Gastwirten, die keiner Erlaubnis bedürfe, können gem. Abs. 2 Anordnungen erlassen werden.)<br />

2. Schutzgut<br />

Aufgrund von § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG können Auflagen <strong>zu</strong>m Schutz von Leben und Gesundheit der<br />

Gäste erteilt werden. Übermäßiger Alkoholkonsum ist gesundheitsschädlich. Alkohol ist ein Genussmittel,<br />

das, wenn in größeren Mengen genossen, gesundheitsschädlich ist oder sogar <strong>zu</strong>m Tod führen kann.<br />

Das zeigen die im Sachverhalt beschriebenen Vorkommnisse eindrücklich.<br />

3. Gefahr<br />

Außerdem müsste eine Gefahr vorliegen, also ein Zustand, der nach allgemeiner Lebenserfahrung mit<br />

hinreichender Wahrscheinlichkeit den Eintritt eines Schadens für das Schutzgut befürchten lässt. Wird<br />

in der konkreten Gaststätte von G bei dem dort üblichen jugendlichen Publikum weiterhin Alkohol<br />

mengenmäßig unbegrenzt (solange der große Vorrat reicht) über Stunden hinweg an Personen ausgeschenkt,<br />

die dafür nur einen vergleichsweise geringen Pauschalbetrag zahlen müssen, dann ist es hinreichend<br />

wahrscheinlich, dass bei ungehindertem Fortgang dieser Veranstaltung Personen Alkohol in gesundheitsschädlicher<br />

Menge trinken. (G könnte sich folglich auch nicht damit exkulpieren, dass er seine<br />

Mitarbeiter regelmäßig anweise, keinen Alkohol mehr an Jugendliche und übermäßig alkoholisierte<br />

Personen aus<strong>zu</strong>schenken). Eine (konkrete) Gefahr ist damit gegeben.<br />

4. Pflichtigkeit<br />

Auflagen können Gastwirten mit Gaststättenerlaubnis erteil werden; nach § 5 GaststG ist die Auflage an<br />

den Gewerbetreibenden <strong>zu</strong> richten. Die Norm regelt kein irgendwie geartetes Erfordernis der Verursachung<br />

der in § 5 geregelten Gefahren; eine Frage nach einer polizeirechtlichen Verursachung erübrigt<br />

sich damit.<br />

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5. Ermessen und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />

Der Erlass einer Auflage nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 GastG steht (anders als der Ent<strong>zu</strong>g der Gaststättenerlaubnis<br />

nach § 15 GastG) im Ermessen der Behörde. Das Gericht hat nach § 114 VwGO die Ausübung<br />

im Zweck der Ermächtigung und Grenzen des Ermessens nach § 40 VwVfG <strong>zu</strong> überprüfen. Zweifel an<br />

der Ausübung des Ermessens bestehen <strong>zu</strong>nächst deshalb, weil die Behörde sich offenbar von einer anderen<br />

Ermächtigungsgrundlage ausgegangen ist.<br />

a) Ein Ermessensausfall könnte vorliegen, wenn die vermeintliche Rechtsgrundlage zwingende Maßnahmen<br />

vorsah, die tatsächlich einschlägige jedoch eine Ermessensausübung fordert. Hier eröffnen aber<br />

sowohl § 17 Abs. 1 ASOG als auch § 5 Abs. 1 GastG ein Ermessen, das auch von der Behörde ausgeübt<br />

wurde. Ein Ermessensausfall liegt somit nicht vor.<br />

b) Es kann aber an der Ausübung entsprechend dem Zweck der Ermächtigung gezweifelt werden,<br />

wenn die Behörde Erwägungen im Hinblick auf eine vermeintliche Ermächtigungsgrundlage angestellt<br />

hat, die nicht dem Zweck der tatsächlich einschlägigen Ermächtigungsgrundlage entsprechen. Die Erwägungen<br />

wären im Rahmen der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage sachfremd. Dies ist aber nicht<br />

der <strong>Fall</strong>, wenn sich die Zwecke der vermeintlichen und der tatsächlichen Ermächtigungsgrundlage decken.<br />

Entscheidend ist, dass die tatsächlich angestellten Erwägungen der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage<br />

entsprechen. Hier dient sowohl die tatsächlich einschlägige Ermächtigungsgrundlage in § 5<br />

Abs. 1 GastG als auch die vermeintliche Rechtsgrundlage in § 17 Abs. 1 ASOG der Gefahrenabwehr.<br />

Insbesondere dient auch die Generalklausel dem Schutz von Gefahren für Leben und Gesundheit, auf die<br />

es vorliegend ankommt. Auch soweit sich die Verbotsverfügung auf die Einhaltung des Jugendschutzes<br />

stützt, geht es bei den Verboten, Alkohol an Jugendliche aus<strong>zu</strong>schenken, letztlich um den Gesundheitsschutz.<br />

Außerdem ist auch der Jugendschutz selbst ein Schutzgut, das auch in § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG<br />

legitimer Zweck ordnungsbehördlicher Maßnahmen ist. Folglich ist der Irrtum über die einschlägige<br />

Ermächtigungsgrundlage unschädlich.<br />

c) Ermessensgrenzen sind insbesondere durch die Grundrechte und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit<br />

gesetzt. In Grundrechte darf nicht unverhältnismäßig eingegriffen werden. G ist in seiner<br />

Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG beeinträchtigt. Bei der angegriffenen Verfügung handelt es sich um<br />

eine Berufsausübungsregel (nach der sog. „3-Stufen-Theorie“ des BVerfG). Diese sind <strong>zu</strong>lässig, wenn<br />

vernünftige Gründe des Allgemeinwohls sie rechtfertigen. Der Gesundheitsschutz, insbesondere von<br />

Jugendlichen, kann einen solchen Grund abgeben.<br />

Die Auflage ist eine geeignete Maßnahme, um eine von den Veranstaltungen des Klägers ausgehende<br />

Gesundheitsgefahr ab<strong>zu</strong>wehren. Der Einwand des Klägers, die Maßnahme werde den Alkoholkonsum<br />

(an sich) nicht mindern, verkennt, dass es darum nicht geht. Das Gaststättengesetz ist nicht die Rechtsgrundlage,<br />

um grundsätzlich den Alkoholkonsum <strong>zu</strong> senken. Es ist auf das Gaststättengewerbe beschränkt.<br />

Die Auflage richtet sich gegen eine vom Betrieb des Klägers ausgehende Gefahr. In diesem<br />

Bereich wird die Auflage Wirksamkeit erzielen, weil es Veranstaltungen der hier streitigen Art (bei<br />

Erfüllung der Auflage) nicht mehr geben wird. Keinen Zweifeln unterliegt, dass der Alkoholkonsum<br />

preisabhängig ist. Wäre es anders, bedürfte der Kläger nicht der hier streitigen Angebote; sie würde die<br />

gleiche Alkoholmenge dann bei ihrer auf Gewinnerzielung gerichteten Gewerbetätigkeit <strong>zu</strong> einem höheren<br />

Preis abgeben.<br />

Die Auflage ist erforderlich, weil ein milderes, gleichermaßen wirksames Mittel, die hier in Rede stehende<br />

Gefahr beim Betrieb des Klägers ab<strong>zu</strong>wehren, nicht gegeben ist, <strong>zu</strong>mal da der Kläger die erbetene<br />

freiwillige Mitwirkung an der Gefahrenabwehr verweigert.<br />

Die Auflage müsste auch angemessen sein. Obgleich Alkohol gesundheitsgefährdend sein kann, ist das<br />

Gaststättengewerbe auch insoweit <strong>zu</strong>lässig, als es sich mit Gewinnerzielungsabsicht auf den Ausschank<br />

von Alkohol richtet. Dem steht im konkreten <strong>Fall</strong> aber der Gesundheitsschutz, verschärft durch den<br />

Jugendschutz, als vernünftiger Grund des Allgemeinwohls entgegen. Das scheitert hier nicht daran, dass<br />

die Geschützten sich aus freiem Willen <strong>zu</strong> den Veranstaltungen des Klägers begeben. Die besondere<br />

Form des Alkoholausschanks im Rahmen von „flatrate Partys“ weist Besonderheiten auf, die das Vorgehen<br />

rechtfertigen. Jede Pauschalpreisabrede nimmt demjenigen, der den Preis gezahlt hat, die Frage ab,<br />

ob er eine in Betracht kommende Leistung noch bezahlen kann. Diese Frage wirkt konsumdämpfend,<br />

ihre problemlose Bejahung konsumfördernd. Marktteilnehmer achten üblicherweise darauf, dass für ihre<br />

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Leistung eine möglichst hohe Gegenleistung erhalten. Wer seine Leistung bereits erbracht hat, aber über<br />

die Gegenleistung weitgehend frei verfügen kann, wird eher <strong>zu</strong>sehen, dass er seine Vorstellungen von<br />

einem günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis erreicht. Im <strong>Fall</strong>e des hier verbotenen Pauschalpreises für<br />

Alkohol steigt dessen Verbrauch. Bei vielen Menschen wird die Konsumentscheidung nicht nur vom<br />

Preis-Leistungs-Verhältnis bestimmt werden, sondern etwa auch davon, ob man das Getränk noch<br />

braucht. Dies scheint bei den Kunden des G aber nicht immer der <strong>Fall</strong> <strong>zu</strong> sein. Vielmehr wird eine Atmosphäre<br />

geschaffen, in der der Wankelmütige seine Alkoholverträglichkeit falsch bestimmt und sich<br />

mit dem freien Konsum übernimmt. Letztlich wird gerade mit dem Angebot, sich dem übermäßigen<br />

Alkoholgenuss hingeben <strong>zu</strong> können, das Geschäft gemacht. In Anbetracht dessen ist die von der Auflage<br />

betroffene Rechtsposition des Klägers geringer als das mit ihr geschützte Interesse der Allgemeinheit.<br />

Die Auflage ist also auch im engeren Sinn verhältnismäßig (Begründung <strong>zu</strong>m Teil wörtlich oder paraphrasiert<br />

aus VG <strong>Berlin</strong>, Beschluss vom 16.11.2007 – VG 4 A 364.07).<br />

d) Außerdem müsste der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG beachtet worden sein.<br />

G wendet ein, es gäbe noch andere vergleichbare Angebote, die den Alkoholkonsum beförderten, gegen<br />

die nicht vorgegangen werden. Der Sachverhalt enthält wenig Information darüber, um was für vergleichbare<br />

Veranstaltungen es sich handelt. Jedenfalls ist es bei diesen Veranstaltungen offenbar noch<br />

nicht <strong>zu</strong> solchen Exzessen gekommen wie bei G. Ein sachlicher Grund der Differenzierung könnte darin<br />

liegen, dass in den anderen Gaststätten das Publikum anders <strong>zu</strong>sammengesetzt ist, das sich weniger von<br />

der freien Abgabe von Alkohol <strong>zu</strong> exzessivem Konsum hinreisen lässt. Auch können die Mitarbeiter<br />

anderen Orts konsequenter angehalten sein, darauf <strong>zu</strong> achten, dass an die Kunden nicht übermäßig Alkohol<br />

ausgeschenkt wird. Insofern wäre bei diesen Veranstaltungen eine konkrete Gefahr durch den<br />

unbeschränkten Alkoholausschank nicht gegeben.<br />

Soweit G auf den Konkurrenten im Nachbarbezirk verweist ist <strong>zu</strong> beachten, dass der Gleichheitsanspruch<br />

nur gegenüber dem nach der Kompetenzverteilung konkret <strong>zu</strong>ständigen Träger öffentlicher Gewalt<br />

besteht Zwar wirtschaftet auch der Konkurrent des Klägers im Gebiet des Landes <strong>Berlin</strong>, das hier<br />

Klagegegner ist. Doch geschieht das in einem anderen Bezirk. Die Bezirke sind Selbstverwaltungseinheiten<br />

<strong>Berlin</strong>s ohne Rechtspersönlichkeit (§ 2 Abs. 1 BezVG). Indes sind die Einwirkungsmöglichkeiten<br />

der Hauptverwaltung (= der Senat von <strong>Berlin</strong>, § 2 Abs. 1 AZG) beschränkt. Die Ordnungsaufgaben nach<br />

dem Gaststättengesetz außerhalb einer Sperrzeitregelung und der Gewerbeüberwachung gehören <strong>zu</strong> den<br />

von den Bezirksverwaltungen wahr<strong>zu</strong>nehmenden Aufgaben (§§ 4 Abs. 2 AZG, 2 Abs. 4 ASOG, Nr. 21<br />

Abs. 2e ZustKatOrd). Die beschränkte Einwirkungsmöglichkeit der Hauptverwaltung beschränkt den<br />

Gleichbehandlungsanspruch gegenüber dem Land <strong>Berlin</strong> in Angelegenheiten, die von den Bezirken <strong>zu</strong><br />

erledigen sind. Nur soweit die Einwirkungsmöglichkeit reicht, reicht auch der Anspruch. Ein Verstoß<br />

gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt also nicht vor.<br />

Denkbar wären, wie in der Besprechung herausgearbeitet, noch zwei weitere Lösungen. Zum einen<br />

könnte man im Hinblick darauf, daß es in anderen Gaststätten trotz flatrate nicht <strong>zu</strong> ähnlichen Vorkommnissen<br />

gekommen ist, annehmen, daß ein sachlicher Differenzierungsgrund vorliegt. Zum anderen<br />

könnte man in einer etwas ungewöhnlichen Variante mit dem Grundsatz „keine Gleichheit im Unrecht“<br />

arbeiten. „Keine Gleichheit im Unrecht“ würde bedeuten, daß aus der Tatsache, daß die Ordnungsbehörde<br />

rechtswidrig nicht gegen andere Gastwirte, die flatrate-Abende anbieten, nicht einschreitet, G<br />

nicht ableiten kann, daß gegen ihn auch nicht eingeschritten werden darf. Dies setzt allerdings voraus,<br />

daß man annimmt, daß beim Nicht-Einschreiten gegen flatrate-Parties im Vergleichsfall eine Ermessensreduzierung<br />

auf Null bezüglich der Notwendigkeit des Einschreitens vorliegt (weil sonst das Nicht-<br />

Einschreiten in anderen Fällen rechtmäßig ist).<br />

Ergebnis: Die Verbotsverfügung ist formell und materiell rechtmäßig und verletzt G daher nicht in<br />

seinen Rechten.<br />

Gesamtergebnis: Die Klage des G ist <strong>zu</strong>lässig aber unbegründet und hat daher keine Aussicht auf Erfolg.<br />

Rechtsprechung:<br />

Der <strong>Fall</strong> ist der Entscheidung VG <strong>Berlin</strong>, Beschluss vom 16.11.2007 – VG 4 A 364.07 nachgebildet. Die Lösung ist<br />

<strong>zu</strong>m Teil wörtlich an die Ausführungen des Gerichts angelehnt.<br />

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