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Ruth Stieber<br />
Das nicht-direktive Beratungskonzept (nach Rogers)<br />
1. Entwicklungsgeschichte<br />
Der theoretische Hintergrund für die partnerzentrierte Gesprächsführung ist<br />
das nicht-direktive Beratungskonzept, das auf<br />
Carl Ransom Rogers (1902-1987) zurückgeht.<br />
Rogers hat selbst eine psychoanalytische Ausbildung durchlaufen, sich jedoch im<br />
Laufe seiner Praxis von diesem Konzept gelöst und den partnerzentrierten Ansatz<br />
ab 1942 in den USA schrittweise entwickelt.<br />
Er berichtet von einem für ihn wichtigen Schlüsselerlebnis:<br />
'Er arbeitete als Psychologe in einem Institut, das verhaltensauffällige<br />
Kinder behandelte. Er war für die begleitende Beratung der Eltern zuständig.<br />
Eines Tages hatte er ein Gespräch mit einer intelligenten Mutter<br />
eines sehr verhaltensauffälligen Kindes. Der Grund für die Schwierigkeiten<br />
des Jungen lag nach Auffassung Rogers darin, dass die Mutter<br />
ihren Sohn schon sehr früh abgelehnt hatte. In mehreren Gesprächen<br />
versuchte Rogers der Mutter dies einsichtig zu machen. Ohne Erfolg,<br />
die Gespräche blieben trotz all seiner Bemühungen an der Oberfläche.<br />
Schließlich resignierte Rogers:<br />
"Ich erklärte ihr, dass es so aussähe, als hätten wir beide alles versucht,<br />
doch letztlich ersagt, und dass wir genauso gut unsere Treffen<br />
aufgeben könnten. Sie stimmte zu und do beendeten wir das Gespräch;<br />
wir schüttelten uns die Hände und sie ging zur Sprechzimmertür. Dort<br />
drehte sie sich um und fragte: 'Nehmen Sie auch Erwachsene zur Beratung<br />
an?' Als ich zustimmte sagte sie: 'Also, ich brauche Hilfe.' Sie kehrte<br />
zu dem Stuhl zurück, den sie eben verlassen hatte und begann, eruptiv<br />
die Verzweiflung über ihre Ehe, das gestörte Verhältnis zum Ehemann,<br />
das Gefühl des Versagens und der Verwirrung mitzuteilen –<br />
alles ganz anders als die 'sterile Fallgeschichte', die sie früher vorgegracht<br />
hatte. Die wirkliche Therapie setzte in diesem Moment ein und<br />
führte schließlich zum Erfolg.'<br />
(S.Weinberger, Klientenzentrierte Gesprächsführung, S.20f).<br />
Nicht er (der Therapeut), sondern die Klientin machte deutlich, wo der Schuh drückte.<br />
So entstand nach und nach das<br />
nicht-direktive,<br />
klientenzentrierte,<br />
personzentrierte<br />
Beratungskonzept.<br />
Diese drei Bezeichnungen lassen sich drei Phasen in Rogers Arbeiten zuordnen:<br />
1. die nicht-direktive Phase,<br />
in der er sich dagegen ausspricht, der ratsuchenden Person Ratschläge,<br />
Ermahnungen, Erklärungen und Interpretationen zu geben. Rogers stellt<br />
nicht das Problem in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit, sondern die<br />
ratsuchende Person als einmaliges Individuum (ab 1942).<br />
Da das Wort 'nicht-direktiv' das Missverständnis nahe legt, dies bedeute<br />
'nicht aktiv' zu sein, nannte er seinen Ansatz 'klientenzentriert'.<br />
2. die klientenzentrierte Phase,<br />
d.h. nicht-direktiv im Sinne von auf die ratsuchende Person und ihr Potential<br />
zentriert sein (ab 1951)<br />
1
3. die personzentrierte Phase<br />
In den siebziger Jahren ging es Rogers dann mehr und mehr darum, nicht<br />
nur Klienten/Klientinnen zu unterstützen, sondern seinen Ansatz auf Menschen<br />
in den verschiedensten Lebensbereichen auszuweiten. Die Person<br />
als Mensch sollte im Mittelpunkt stehen und nicht in ihrer Funktion als<br />
Klient/Klientin.<br />
Ausgangspunkt für dieses Beratungskonzept war das humanistischidealistisches<br />
Menschenbild von Rogers.<br />
In seiner Persönlichkeitstheorie (1973) macht er deutlich:<br />
Das wesentlichste Merkmal des Menschen ist seine Selbstentfaltung. Die Würde des<br />
Menschen liegt für ihn in der Möglichkeit der Selbstbestimmung, in seinem Streben<br />
nach konstruktiver Veränderung und Selbstverwirklichung.<br />
Jeder Mensch ist nach Rogers mit einem angeborenen Wertesystem ausgestattet,<br />
d.h. das Erleben wird mit dem gesamten Organismus gespürt und bewertet<br />
( =Bewertungsprozess, ob Erfahrungen für den gesamten Organismus förderlich<br />
sind.)<br />
(Beispiel: Wenn das Baby hungrig ist, schreit es (Hungergefühl als ungute<br />
organismische Erfahrung), wenn es gefüttert wird, ist es zufrieden<br />
(Sättigung als positive organismische Erfahrung). Positive und negative<br />
Erfahrungen werden so ins Bewusstsein aufgenommen. Dies geschieht<br />
in der vorsprachlichen Zeit durch Körperempfindungen und später zusätzlich<br />
durch Sprache: "ich fühle mich gut; ich bin traurig".<br />
(vgl. S.Weinberger, a.a.O., S.24)<br />
Mit zunehmender Entwicklung des Selbst findet neben dem organismischen Bewertungsprozess<br />
auch immer eine Bewertung durch die menschlichen Beziehungen<br />
statt,<br />
d.h. das Erleben wird mit den Augen der bedeutsamsten Bezugspersonen bewertet<br />
(=Erfahrungen werden danach bewertet, ob sie für den Organismus und für<br />
das Selbstkonzept förderlich sind. Der Erhaltung des Selbstkonzepts wird oft<br />
der Vorrang eingeräumt.).<br />
(Beispiel: Ein Kind hat sich wehgetan und ist nahe daran zu weinen (organismische<br />
Bewertung). Da das Kind auch gleichzeitig spürt, dass der<br />
daneben stehende Vater dies missbilligen würde, schluckt das Kind die<br />
auftretenden Tränen herunter und macht ein fröhliches Gesicht, was<br />
ausdrücken soll: das hat mir gar nichts ausgemacht (Bewertung mit den<br />
Augen der Bezugsperson). Durch wiederholende Erfahrungen dieser<br />
Art entwickelt sich das Selbstbild heraus: mir machen Schmerzen nichts<br />
aus. So wird der Erhaltung des Selbstkonzepts (Ich bin keine Heulsuse.)<br />
Vorrang eingeräumt vor der Entfaltung des Organismus (Das hat<br />
mir wehgetan!). (vgl. S. Weinberger, a.a.O., S.25)<br />
Im Idealfall fallen beide Bewertungssysteme zusammen, d.h. der Mensch kann das,<br />
was für seinen Organismus gut ist, auch in sein Selbstkonzept integrieren. Er ist eine<br />
Person, die alle Erfahrungen – positive wie negative – vollständig wahr- und annehmen<br />
kann.<br />
Macht das Individuum Erfahrungen, die nicht mit dem Selbstbild übereinstimmen,<br />
entsteht eine Diskrepanz zwischen den Bewertungssystemen. Daraus resultieren<br />
dann Spannungen, die der Mensch löst, indem er die Erfahrungen verzerrt (verfälscht<br />
wahrnimmt), verleugnet oder als Bedrohung erlebt.<br />
2
Um Spannungen, Ängste, psychische Störungen ändern zu können, muss wieder<br />
eine Übereinstimmung zwischen den Bewertungssystemen hergestellt werden.<br />
Kennzeichnend für ein starres Selbstkonzept ist, dass eine deutliche Diskrepanz zwischen<br />
dem realen Selbstkonzept (wie eine Person sich selbst sieht) und dem idealen<br />
Selbstkonzept (wie eine Person gerne sein möchte) besteht. Bei einem flexiblen<br />
Selbstkonzept sind das reale und das ideale Selbstkonzept dagegen aneinander angenähert:<br />
Das Individuum kann sich weitgehend so akzeptieren, wie es ist.<br />
Daraus folgt:<br />
Das Ziel des nicht-direktiven Beratungskonzepts ist die bessere Anpassung<br />
des Individuums an die Erfordernisse seiner Lebenssituation.<br />
Diese Anpassung ist nicht als die einseitige Anpassung des Subjekts an die objektiven<br />
Bedingungen zu verstehen und auch nicht als einfache Übernahme von Werten<br />
der Umwelt. Anpassung im Sinne von Rogers geschieht durch die Veränderung der<br />
Struktur des Selbstkonzepts in der Auseinandersetzung von Selbstbild und Idealbild.<br />
Beispiel: 'Eine Mutter kommt mit psychosomatischen Störungen in die Beratung.<br />
Vorgeschichte: Frau X wuchs, wie sie es selbst darstellt, in einer Mittelschichtfamilie<br />
"geborgen" auf. Im Mittelpunkt stand eine warmherzige Mutter, die damit<br />
ausgefüllt war, den Haushalt und die 6 Kinder zu versorgen und sich um<br />
die Geselligkeit im Hause zu bemühen. Die Erfahrungen in der Schule, mit<br />
Freunden und später mit Kollegen orientierten sich an diesem frühen Bezugssystem.<br />
Ideen, Meinungen, Freundschaften erhielten ihre Bedeutung unter<br />
dem Gesichtspunkt, wieweit sie in das "Zuhause" passten. Sie selbst bejahte<br />
ihre Rolle als älteste Tochter und rechte Hand der Mutter und übernahm "mit<br />
Freude" einen Teil der Verpflichtungen gegenüber ihren Geschwistern. Ihre<br />
Schulleistungen waren gut, sie ging jedoch frühzeitig von der Schule ab, weil<br />
sie kein "Blaustrumpf" werden wollte. Sie erinnert sich, dass die Lehrer dies<br />
bedauerten, das hat sie jedoch nicht beeindruckt. Wenn sie von den jüngeren<br />
Geschwistern wegen ihrer Energie "Dragoner" gerufen wurde, war sie tief gekränkt,<br />
sie wollte kein "Mannweib" sein. Nach der Hauswirtschaftslehre heiratete<br />
sie den Freund eines Bruders, eines Lehrer. Sie fühlte sich zunächst<br />
glücklich und zufrieden. Sie konnte ihr kleines Reich gestalten. Der Haushalt<br />
war kleiner als der bei der Mutter, die finanziellen Mittel waren beschränkt.<br />
Frau X hatte 3 Kinder. Ihr Ehemann bemängelte im letzten Jahr ihre "Umtriebigkeit".<br />
Er verbringt mehr und mehr seine Zeit mit Fachkollegen, denen der<br />
"Aufwand", den Frau X ihren Gästen gegenüber treibt, peinlich ist. Den Gesprächen<br />
hört sie gerne zu, traut sich aber nicht, sich zu beteiligen.<br />
In den fortlaufenden Beratungen wird Frau X freier. Im Laufe der Selbstexploration<br />
äußert sie zunehmend Aggressionen gegenüber ihren Kindern, die sie<br />
selbst erschrecken, weil sie sich bisher als ideale Mutter sah. Sie erkennt,<br />
dass die Kinder anderen Selbsterfüllungswünschen im Wege stehen. Sie steht<br />
nun vor der Notwendigkeit, diese Erfahrung von sich selbst "ich will nicht nur<br />
Mutter sein" in das Bild ihres Selbst zu integrieren. Die Verwirklichung dieses<br />
neuen Bildes in Handlungsalternativen ist die Aufgabe der folgenden Beratungen."<br />
(aus dem Material von Irmtraut)<br />
Die Anpassung an die Erfordernisse der Lebenssituation ist leichter geworden, weil<br />
weniger Erfahrungen verzerrt und geleugnet werden. Nach erfolgreicher Therapie<br />
verstärkt sich das Gefühl der ratsuchenden Person, sich unter Kontrolle zu haben ,<br />
sie fühlt sich mehr imstande, mit dem Leben zurecht zu kommen. (Rogers)<br />
3
2. Leitende Prinzipien des nicht-direktiven Beratungskonzepts<br />
(formuliert in Abhebung von direktiven Beratungskonzepten und der analytischen<br />
Therapie)<br />
4<br />
a.) klientenorientiert gegen inhaltsorientiert<br />
"Das Individuum", formuliert Rogers, "steht im Mittelpunkt der Betrachtung und nicht<br />
das Problem. Das Ziel ist nicht, ein bestimmtes Problem zu lösen, sondern dem Individuum<br />
zu helfen, sich zu entwickeln, so dass es mit dem gegenwärtigen Problem<br />
und späteren Problemen auf besser integrierte Weise fertig wird."<br />
Deshalb orientiert sich das methodische Vorgehen im nicht-direktiven Beratungskonzept<br />
immer an der Frage: Wie geht die ratsuchende Person mit ihrem Problem um?<br />
Es gibt kein objektiv richtig oder falsch, denn jeder Mensch hat seine für ihn zutreffenden,<br />
subjektiven Lösungen und Bewertungen zu finden.<br />
"Die nicht-direktive Beratung legt den Nachdruck auf die Person und nicht auf das<br />
Problem."<br />
b.) nicht-direktiv gegen direktiv<br />
In der direktiven Beratung findet die beratende Person die Probleme des Klienten/<br />
der Klientin, diagnostiziert und behandelt sie. Dadurch übernimmt die beratende Person<br />
eine große Verantwortung für die Lösung des Problems ihres Klienten/ ihrer<br />
Klientin.<br />
"Die nicht-direktive Beratung basiert auf der Voraussetzung, dass die ratsuchende<br />
Person das Recht hat, ihre Lebensziele selbst zu wählen, selbst wenn diese im Gegensatz<br />
zu den Zielen stehen, die der Berater/ die Beraterin für sie ausgewählt hätte."<br />
Rogers sieht nur einen möglichen Zugang zur subjektiven Erfahrung der ratsuchenden<br />
Person: die gewährende und akzeptierende Haltung der Beraterin/ des Beraters,<br />
die die Selbsterfahrung der Klientin/ des Klienten ermöglicht.<br />
So verschiebt Rogers den Schwerpunkt seines Konzepts von den Verfahren weg hin<br />
zur grundlegenden Haltung der Therapeutin/ des Therapeuten.<br />
Rogers fand heraus, dass eine Einstellungs- und Verhaltensänderung der ratsuchenden<br />
Person dann erfolgt, wenn die beratende Person ihr eine Beziehung anbieten<br />
kann, die sie bei der Selbstverwirklichung/Selbstbestimmung unterstützt.<br />
In diesem Zusammenhang nennt Rogers<br />
drei Haltungen des Beraters/der Beraterin, die von besonderer Wirksamkeit in der<br />
beratenden Situation sind:<br />
1.) Unbedingte Wertschätzung/ die Akzeptierung des Klienten und das Gefühl<br />
emotionaler Wärme ihm gegenüber<br />
Durch diese Haltung unterstützt der Berater/ die Beraterin bei der ratsuchenden<br />
Person die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, die eine warme Atmosphäre<br />
zum Wachstum braucht. Das uneingeschränkte Akzeptieren baut das<br />
Gefühl der Bedrohung ab, die die ratsuchende Person hat.<br />
2.) Empathie/ tiefgreifendes oder einfühlendes Verstehen<br />
Diese Haltung umschreibt das Bemühen der Beraterin/ des Beraters, das innere<br />
Bezugssystem der Klientin/ des Klienten zu erlangen. Über die Einfühlung<br />
(Empathie) gelangt die beratende Person zu diesem Bezugssystem. Sie<br />
fühlt sich ein, ohne selbst das Gefühl der ratsuchenden Person nachvollziehen
5<br />
zu müssen. Es geht darum, sich einzufühlen, jedoch nicht mitzufühlen, zum<br />
'alter ego' der Klientin/ des Klienten zu werden.<br />
3.) Echtheit/ Selbstkongruenz<br />
Der Berater/ die Beraterin tritt der Klientin/ dem Klienten als Person gegenüber.<br />
Als Person, die offen ist für ihr eigenes Erleben und die sich nicht hinter<br />
einer "Rolle" versteckt.<br />
Zusammenfassung:<br />
Die akzeptierende Haltung der beratenden Person leitet die Selbstexploration der<br />
ratsuchenden Person ein. Diese beginnt, von dem zu sprechen, was sie bedrückt.<br />
Durch das Verbalisieren emotionaler Erlebnisinhalte (VEE) verwirklicht die beratende<br />
Person ihr einfühlendes Verstehen und ermutigt die ratsuchende Person zum Ausdruck<br />
von Einstellungen und Gefühlen.<br />
Diese grundlegende Haltung der beratenden Person kann durch besondere Verfahren<br />
bzw. Techniken unterstützt werden. Zwei Verfahren spielen in diesem Zusammenhang<br />
eine herausragende Rolle:<br />
Reflektieren (= Spiegeln der gefühlsmäßigen Erlebnisinhalte einer Äußerung)<br />
Paraphrasieren(=Signalisieren anteilnehmenden Zuhörens u. a. durch die<br />
Wiedergabe des Gesprächsinhalts mit eigenen Worten)<br />
Auf beides werden wir jetzt noch näher durch Hinweise und Übungen<br />
eingehen.