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Gegen den Trend 2001 - Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen ...

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AEJN • <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>Evangelischen</strong> Jugend in Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

Postfach 265 • 30002 Hannover • Telefon: 05 11 / 12 41 - 572 / - 571 • Fax: 05 11 / 12 41 - 492<br />

AEJN.@t-online.de • http://www.ejh.de/aejn.htm<br />

Redaktion:<br />

Ralph-Ruprecht Bartels, Christian Ceconi-Solle, Daniela Jeksties, Gottfried Labuhn, Manfred Neubauer, Daniel Petzold<br />

Autoren:<br />

Ralph-Ruprecht Bartels, Pastor im Landesjugendpfarramt Hannover<br />

Martin Bauer, Dipl. Religionspädagoge, Kirchenkreisjugendwart Nienburg<br />

Christian Ceconi-Solle,Vikar, Ehrenamtlicher <strong>der</strong> Christlichen Pfadfin<strong>der</strong>schaft Deutschland<br />

Daniela Jeksties, Dipl. Sozialwirtin, Referentin für Mädchenarbeit, Landesjugendpfarramt Hannover<br />

Gottfried Labuhn, Dipl.Sozialarbeiter, Propsteijugenddiakon, Ev.-Luth. Landeskirche Braunschweig<br />

André Medeke, Dipl. Religionspädagoge, Regionaljugenddiakon f. d. Kirchenkreis Vechta, Ev.Luth. Kirche in Ol<strong>den</strong>burg<br />

Roger Moch, Berufsschulpastor, Rotenburg/Wümme<br />

Manfred Neubauer, Dipl.Religionspädagoge, Jugendbildungsreferent im Landesjugendpfarramt Hannover<br />

Daniel Petzold,Vikar und Mitglied <strong>der</strong> Altpapiergruppe Loccum<br />

Siegfried Rupnow, Dipl. Religionspädagoge, Landesjugendwart im Landesjugendpfarramt Hannover<br />

Eva Viedt, Diakonin, Arbeitsgebiet Mädchenarbeit, Evangelischer Stadtjugenddienst Braunschweig<br />

Dr. Klaus Zastrow, Berufsschulpastor in Bückeburg<br />

Titelseite:<br />

Kolja Schwab - s•form<br />

Satzerfassung:<br />

Doris Koch, Manfred Neubauer<br />

Layout:<br />

Kolja Schwab - s•form<br />

Druck:<br />

Buchdruckwerkstätten GmbH, Hannover<br />

Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier, Recycling<br />

Hannover, im Januar <strong>2001</strong><br />

GEGEN DEN TREND<br />

-<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG<br />

UND GEWALT …


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

5_ Vorwort <strong>der</strong> Nds. Ministerin für Frauen,<br />

Arbeit und Soziales<br />

6_ Vorwort <strong>der</strong> Redaktion<br />

Die Aktion<br />

8_ Die Aktion und ihr Thema<br />

8_ Zur Arbeit <strong>der</strong> Projektgruppe und <strong>der</strong> Zielsetzung<br />

9_ Fasten, warum?<br />

9_ Die Arbeitshilfe (Broschüre) und ihre Zielgruppen<br />

10_ Die Themen<br />

Jugendgewalt - Wie, wo, warum?<br />

- Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong><br />

neuesten soziologischen Studien<br />

12_ Einleitung<br />

12_ Gewalt in <strong>der</strong> Schule<br />

12_ Gewalt findet (meistens) draußen statt<br />

13_ Bangemachen bringt nix – die Rolle <strong>der</strong><br />

Lehrer/innen<br />

13_ Gewalt und soziales Milieu<br />

13_ Gewalterlebnisse bestimmen das Gewaltverhalten<br />

14_ Je schlechter die soziale Lage, desto häufiger<br />

Gewalt<br />

14_ Normen wer<strong>den</strong> zu Hause gemacht<br />

15_ Jugendgewalt ist ein Männlichkeitsproblem<br />

15_ Sind es also immer die Auslän<strong>der</strong>?<br />

16_ Welchen Stellenwert hat das Thema Gewalt<br />

für die Jugendlichen selbst?<br />

16_ Das Gewaltproblem realistisch einschätzen<br />

und gezielt daran arbeiten<br />

Faszinosum Gewalt<br />

20_ Das Ende <strong>der</strong> Vernunft?<br />

20_ Kein Leben ohne Beziehung<br />

21_ Wie <strong>der</strong> Mensch sich selbst gewinnt<br />

22_ 3 x 1 = 1: Der dreieinige Gott<br />

23_ Gewalt und die Suche nach Beziehung<br />

2_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

23_ Nächstenliebe – Deine Sache!?<br />

24_ Vom Frem<strong>den</strong> zum Eigenen<br />

26_ Pädagogik <strong>der</strong> Grenzen<br />

26_ Der Grund des Seins – Kick o<strong>der</strong> Exstase<br />

28_ Verstehen o<strong>der</strong> Abschrecken?<br />

28_ Nachsicht o<strong>der</strong> Verantwortung?<br />

Wie wirkt Musik?<br />

34_ Die Affekte, Begriffsbestimmungen<br />

35_ Aggression beim Menschen Aggressionstheorien<br />

37_ Praxisbaustein: Ablauf eines Schulgottesdienstes<br />

an <strong>der</strong> BBS zum Thema Gewalt/<br />

Menschlichkeit<br />

40_ Gewalt in <strong>den</strong> Medien/Musik<br />

40_ Begegnung mit einem (typischen?) Nazimusik-Konsumenten<br />

44_ Musik und ihre Funktionen<br />

Die Welt zertrümmern?!<br />

Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

48_ Vorbemerkung<br />

48_ Einleitung<br />

50_ Inhalt <strong>der</strong> Studie, Fragestellungen und<br />

Hypothesen <strong>der</strong> Studie von C. Stöver<br />

50_ Hypothesenbildung<br />

51_ Der Fragebogen<br />

53_ Fragebogen zum Zusammenhang von<br />

Persönlichkeit und Musikkonsum<br />

58_ Analyse und Untersuchungsergebnisse<br />

61_ Zusammenfassung <strong>der</strong> Untersuchungsergebnisse<br />

63_ Fazit<br />

Gewaltbereite Mädchen<br />

68_ Das Projekt „Starke Mädchen gegen Rechts“<br />

68_ Hintergrundwissen über gewaltbereite<br />

Mädchen<br />

69_ Warum sind Mädchen und Frauen in <strong>der</strong><br />

rechtsextremen Szene zu fin<strong>den</strong>?


70_ Ziel des Projektes<br />

71_ Umsetzung<br />

71_ Vorstellung vom Teilprojekt „Straßenbefragung“<br />

72_ Ergebnisse des Gesamtprojektes<br />

Sexuelle Gewalt gegen Mädchen<br />

und Frauen<br />

74_ Wege des Ausbruchs<br />

75_ Überlebensstrategien<br />

76_ Gefühl zeigen über Kreativität<br />

76_ Freies und experimentelles Malen<br />

76_ Mädchenarbeit ist Präventionsarbeit<br />

77_ Wen Do - Weg <strong>der</strong> Frauen<br />

77_ Ausgangssituation<br />

78_ Geschichte und Prinzipien<br />

78_ Das Beson<strong>der</strong>e am Wen Do<br />

79_ Wen Do als Bildungsschwerpunkt in <strong>der</strong><br />

Mädchenarbeit<br />

Gewalt und Jungen (Jungen treten -<br />

Mädchen ziehen an <strong>den</strong> Haaren)<br />

82_ Einleitung<br />

83_ Beschreibung von aktiver Gewalt bei Kin<strong>der</strong>n<br />

und Jugendlichen<br />

83_ Gewalt in <strong>der</strong> Familie<br />

83_ Jungen und Gewalt<br />

84_ Jugendgewalt<br />

84_ Gewalt als Mittel <strong>der</strong> I<strong>den</strong>titätsfindung<br />

84_ Gewalt als Erlebnis<br />

85_ Gewalt als Angstabwehr<br />

85_ Konsequenzen für die Gewaltprävention<br />

Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen<br />

Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />

88_ Von Pazifismus keine Spur<br />

88_ Ein starker Gott hilft einem schwachen<br />

Volk: Showdown am Schilfmeer<br />

89_ Eine betende Terminatorin: Judit<br />

90_ Begeisterung macht stark: Simson<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

90_ Die jugendliche Geheimwaffe: David<br />

91_ Größe und Größenwahn<br />

92_ Rohrstockpädagogik im Kleinen ...<br />

93_ ...und im Großen<br />

93_ Der an<strong>der</strong>e Gott<br />

95_ Runter mit <strong>der</strong> Hasskappe – rauf mit dem<br />

Helm des Heils!<br />

96_ Kreativität für das Evangelium des Frie<strong>den</strong>s<br />

97_ Praxisbeispiel<br />

Dekade zur Überwindung von<br />

Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - Ein Programm<br />

des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />

100_ Ein Programm zur Überwindung <strong>der</strong> Gewalt<br />

101_ Die Geschichte <strong>der</strong> ÖRK - Dekade<br />

103_ Das Programm <strong>der</strong> Dekade<br />

104_ ÖRK - Dekade und evangelische Jugendarbeit<br />

Praxisbeispiele<br />

Für die Arbeit mit Mädchen (jungen Frauen)<br />

108_ Ich brauche Platz<br />

108_ Ich breche aus<br />

109_ Rück‘ mir nicht auf die Pelle<br />

Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />

112_ Elektrischer Draht<br />

113_ Säureteich<br />

114_ Das Spinnennetz<br />

115_ Konkurrenz unter Jungen<br />

Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/<br />

Männern und Frauen<br />

118_ Lebenskurve: Erfahrungen von Gewalt<br />

119_ Grenzen wahrnehmen<br />

119_ Burgspiel<br />

120_ Burgspiel (Variante)<br />

121_ Manchmal haben Frauen …<br />

122_ Begeisterung kennt keine Grenzen<br />

123_ Gruppenarbeit zum Thema Begeisterung<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_3<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Gewaltorientierte Spiele mit <strong>der</strong><br />

Playstation - ein Selbstversuch<br />

125_ Die Idee<br />

125_ Der Versuchsaufbau<br />

125_ Durchführung<br />

127_ Unsere Erfahrungen und Tipps zur Durchführung<br />

des Versuchs in Schulklassen und<br />

Jugendgruppen<br />

127_ Kleine Quellenkunde zu geeigneten (aktuellen)<br />

Spielen<br />

128_ Und was bringt‘s?<br />

Das Bauwagenprojekt „Paule“ zur<br />

Überwindung von Gewalt<br />

129_ Entstehung des Projektes<br />

129_ Ziel: Overcome violence – die Gewalt überwin<strong>den</strong><br />

129_ Der Ausbau des Bauwagens<br />

130_ Die Arbeit mit „Paule“<br />

131_ 10 Artikel zur Gewaltvermeidung<br />

131_ Mobilität<br />

132_ Teamarbeit<br />

132_ Ausblick<br />

Gewalt in unseren Straßen<br />

133_ Erlebnisse eines 16jährigen<br />

134_ Vaterland<br />

135_ Schritte gegen Tritte<br />

138_ 10 Regeln zur Deeskalation<br />

142_ Literaturliste und Deeskalationsseminare<br />

146_ Informationen über die AEJN<br />

148_ Veröffentlichungen <strong>der</strong> AEJN zur Aktion<br />

„<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong>“<br />

4_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …


Vorwort <strong>der</strong> Nds. Ministerin für Frauen, Arbeit und Soziales<br />

Mit ihrem Motto „<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> <strong>2001</strong> - Zwischen<br />

Begeisterung und Gewalt“ ruft die <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Evangelischen</strong> Jugend zu ihrer<br />

diesjährigen Fastenaktion auf. Gewalt scheint „im<br />

<strong>Trend</strong>“ zu liegen. Medienmeldungen über Gewalt<br />

an Auslän<strong>der</strong>n und fremdländisch Aussehen<strong>den</strong>,<br />

an Behin<strong>der</strong>ten, Obdachlosen, Wehrlosen häufen<br />

sich. Gewalt, die weniger nach außen dringt,<br />

herrscht in vielen Familien. Subtile Formen <strong>der</strong><br />

Gewalt fin<strong>den</strong> sich in <strong>der</strong> Arbeitswelt. Gewalt<br />

richtet sich immer gegen Schwächere. Gewalt<br />

wi<strong>der</strong>spricht <strong>den</strong> zentralen Grundsätzen unseres<br />

Zusammenlebens, <strong>der</strong> Freiheit, <strong>der</strong> Solidarität und<br />

<strong>der</strong> gegenseitigen Achtung. Ansätze, die „gegen<br />

<strong>den</strong> <strong>Trend</strong>“ <strong>der</strong> Gewalt wirken, sind daher notwendig.<br />

Dazu gehört es, auf die unterschiedlichen<br />

Formen von Gewalt und ihre Ursachen hinzuweisen,<br />

Wege zur Prävention aufzuzeigen, Beispiele<br />

und Anregungen zu benennen, die jungen Menschen<br />

und ihren Familien, Pädagogen in <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />

und <strong>der</strong> Schule helfen und Mut machen,<br />

Gewalt vorzubeugen und abzubauen. Die diesjährige<br />

Aktion <strong>der</strong> <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>Evangelischen</strong><br />

Jugend leistet dazu einen guten Beitrag.<br />

Mit dem „Präventions- und Integrationsprogramm”,<br />

das auf einer Intensivierung <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

zwischen Jugendhilfe und Schule aufbaut, verstärkt<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen in diesem Jahr die Maßnahmen<br />

des Landes zur Gewaltbekämpfung. Aber um<br />

<strong>der</strong> Gewalt in ihren verschie<strong>den</strong>en Formen wirksam<br />

zu begegnen, bedarf es darüber hinaus <strong>der</strong><br />

gemeinsamen Verantwortung und Bereitschaft zur<br />

Zusammenarbeit vieler gesellschaftlicher Gruppen<br />

und Institutionen und auch vieler Einzelner, die<br />

beispielgebend sind. Beson<strong>der</strong>s Familien brauchen<br />

unsere Unterstützung. Wir haben gemeinsam<br />

die Aufgabe, junge Menschen mit ihren Erwartungen,<br />

Ängsten und Wünschen ernstzunehmen, sie<br />

an Entscheidungen, die ihre Angelegenheiten<br />

betreffen, zu beteiligen, ihnen lebenswerte Perspektiven<br />

zu geben und verantwortlich mit <strong>den</strong><br />

Ressourcen ihrer Zukunft umzugehen. In dieser<br />

Aufgabe liegt ein Schlüssel zur Gewaltvermeidung.<br />

Ich würde mich sehr freuen, wenn die vorliegende<br />

Arbeitshilfe für Jugendhilfe und Schule zu konstruktiven<br />

und hilfreichen Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />

mit dem Thema „Gewalt” beitragen kann.<br />

Dr. Gitta Trauernicht<br />

Nie<strong>der</strong>sächsische Ministerin<br />

für Frauen, Arbeit und Soziales<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_5<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Vorwort <strong>der</strong> Redaktion<br />

Bartels: Ja, da sind wir doch auf einen fahren<strong>den</strong><br />

Zug aufgesprungen, o<strong>der</strong>, Neubauer?<br />

Neubauer: Die Idee des Themas war schon länger<br />

vorhan<strong>den</strong>, wie du dich erinnerst. Im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Reihe „<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong>”<br />

haben wir 1993 schon einmal das<br />

Thema „Gewalt” behandelt.<br />

Bartels: ...und, hat sich seitdem etwas verän<strong>der</strong>t?<br />

Gibt es neue Erkenntnisse, die<br />

eine weitere Arbeitshilfe zu dem Themenkomplex<br />

begrün<strong>den</strong>?<br />

Neubauer: Acht Jahre sind verstrichen, die Aktualität<br />

des Themas ist ungebrochen. Hinzu<br />

kommt, dass für das Jahr <strong>2001</strong> die<br />

ÖRK 1 -Dekade zur Überwindung von<br />

Gewalt ausgerufen wurde. Das hat auf<br />

verschie<strong>den</strong>en Ebenen Bewegung<br />

gebracht. Im Bereich <strong>der</strong> evangelischen<br />

Jugendarbeit <strong>der</strong> Landeskirche Hannovers<br />

hat beispielsweise die Landesjugendkammer<br />

beschlossen, sich an<br />

<strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Dekade zu beteiligen.<br />

Bartels: Richtig, die Synode <strong>der</strong> Landeskirche<br />

hat in ihrer Novembersitzung ebenfalls<br />

einen entsprechen<strong>den</strong> Beschluss<br />

gefasst.<br />

Neubauer: Außerdem: Wir haben scheinbar friedliche<br />

Zeiten. Wie leben in einem Land, in<br />

dem es keine Bombennächte mehr<br />

6_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

gibt. Unsere Gesellschaft baut ja<br />

bekanntlich auf einem geregelten<br />

Rechtssystem auf, <strong>der</strong> Staat hat das<br />

Gewaltmonopol und körperliche Stärken<br />

sind zum Überleben nicht mehr<br />

notwendig, außer in Godzillafilmen,<br />

o<strong>der</strong> Bartels?<br />

Bartels: Ja, es findet zur Zeit <strong>der</strong> virtuelle Overkill<br />

statt, in PC´s, auf Spielkonsolen in<br />

Action-Filmen und Serien. Dort wer<strong>den</strong><br />

Fähigkeiten idealisiert, die Mann o<strong>der</strong><br />

Frau im normalen Leben eigentlich<br />

nicht mehr braucht. Wo kann man sich<br />

heute noch austesten? Da bleibt nur<br />

die Randale auf Straßen o<strong>der</strong> in Stadien,<br />

ist doch so o<strong>der</strong>, Neubauer?<br />

Neubauer: Richtig, Bartels. Deshalb haben wir ja<br />

auch lange <strong>den</strong> Spagat diskutiert:<br />

„Zwischen Begeisterung und Gewalt”.<br />

Uns war und ist klar, dass Begeisterung<br />

kreativ positiv umgesetzt wer<strong>den</strong> kann.<br />

Aber auch negativ gewendet in Gewalt<br />

umschlagen kann. O<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s ausgedrückt:<br />

Begeisterung ist eine Kraft, die<br />

unglaublich viel Kreativität freisetzen<br />

kann. An<strong>der</strong>erseits kann sie uns auch<br />

zu Dingen hinreißen, die Unheil bewirken.<br />

Bartels: Stimmt, aus Begeisterung kann auch<br />

Gewalt wer<strong>den</strong>. Aber Jugendliche teilen<br />

nicht nur Gewalt aus, son<strong>der</strong>n sie sind<br />

auch im hohen Maße Opfer von Brutalität,<br />

Erpressung und dem sogenannten<br />

„Abziehen”. Erwachsene beklagen die<br />

vermeintliche Zunahme von Gewalt,<br />

aber sehen sie auch inwieweit sie selbst<br />

dafür die Ursache sind, Neubauer?<br />

Neubauer: Ist doch klar, Bartels. Diejenigen, die<br />

selbst Gewalt erlitten haben, wer<strong>den</strong>


eher gewalttätig, das zeigen einschlägige<br />

wissenschaftliche Untersuchungen.<br />

Bartels: Das sagt auch schon das Alte Testament:<br />

„Die Sünde <strong>der</strong> Väter will ich<br />

heimzahlen bis ins dritte und vierte<br />

Glied”.<br />

Neubauer: Erwachsene leben nicht unbedingt<br />

gewaltfreies Handeln vor. Schläge sind<br />

in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>erziehung weiterhin an <strong>der</strong><br />

Tagesordnung, Gewalt zwischen Frauen<br />

und Männern wird üblich und verniedlicht.<br />

Jungen und Mädchen lernen<br />

davon.<br />

Bartels: Ach du meinst, „manchmal haben<br />

Frauen ein bisschen Haue gern”, wie es<br />

„Die Ärzte” singen. Aber das kann doch<br />

nicht ernst gemeint sein, o<strong>der</strong>, Neubauer?<br />

Neubauer: Natürlich nicht, Bartels. Da wird uns<br />

doch ein Spiegel vorgehalten, das ist<br />

doch eher eine Persiflage. Aber es<br />

zeigt, dass das Thema allgegenwärtig<br />

ist und auf Gewalt mit Gewalt reagiert<br />

wird, selbst von Frauen.<br />

Bartels: Gibt es so etwas wie ein Bedürfnis nach<br />

Gewalt? Ein letzter Kick nachdem alle<br />

an<strong>der</strong>en täglichen Höhepunkte ausgereizt<br />

sind?<br />

Neubauer: Ich glaube schon. Es gibt eine voyeuristische-<br />

und eine Opfer-Perspektive.<br />

Ganz abgesehen von <strong>der</strong> Täter-Sicht,<br />

o<strong>der</strong> Bartels?<br />

Bartels: Liebe und Gewalt rühren an die tiefsten<br />

Schichten unserer Existenz. Sie lassen<br />

sich beide nicht allein auf <strong>der</strong> Ebene<br />

des Verstandes bewältigen, son<strong>der</strong>n<br />

greifen tief in unseren Gefühlshaushalt<br />

hinein. Aber vielleicht ist es darum um<br />

so wichtiger, klare Orientierungen zu<br />

gewinnen über das, was sein soll und<br />

was nicht sein darf.<br />

Neubauer: Dann darf das ganze Thema nicht nur<br />

über die theoretische Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

angegangen wer<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n wir<br />

müssen vielleicht alte und neue Techniken<br />

anwen<strong>den</strong>, bzw. entwickeln, die<br />

zur Gewaltüberwindung führen und<br />

gewaltfreieren Umgang zwischen uns<br />

ermöglichen.<br />

Bartels: Also, ähnlich wie ich auch das Lieben<br />

lernen muss, Neubauer?<br />

Neubauer: Ja klar, Bartels, auch du.<br />

Bartels: Wir alle sind hoffentlich lernfähig,<br />

Neubauer!<br />

1 Ökumenischer Rat <strong>der</strong> Kirchen<br />

Vorwort <strong>der</strong> Redaktion<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_7<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Die Aktion<br />

Die Aktion und ihr Thema<br />

Fasten ist mehr als nur Verzichten. Mit dem Fasten<br />

steigen Menschen aus gewohnten Verhaltens- und<br />

Konsumweisen aus und es eröffnen sich ihnen<br />

neue Reflexionsmöglichkeiten. Es ist eine Zeit des<br />

Innehaltens und <strong>der</strong> Besinnung auf das eigene<br />

Verhältnis zu Gott und zur Welt. Eine heilsame<br />

Leere tut sich auf und will mit weiterführen<strong>den</strong><br />

Anregungen gefüllt wer<strong>den</strong>. In <strong>der</strong> diesjährigen<br />

Fastenzeit will die Aktion „<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong>” <strong>der</strong><br />

<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>Evangelischen</strong> Jugend in<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen (AEJN) das Thema „Zwischen<br />

Begeisterung und Gewalt” in <strong>den</strong> Mittelpunkt des<br />

Nach<strong>den</strong>kens stellen.<br />

Begeisterung - ein Hochgefühl, dass dem Geist<br />

Flügel verleiht. Es gibt ganz unterschiedliche<br />

Ursachen und ganz unterschiedliche Wirkungen<br />

von Begeisterung. Begeisterung kann Kreativität<br />

zur Überwindung von Gewalt freisetzen. Begeisterung<br />

kann aber auch Grenzen sprengen, eigenes<br />

Verhalten entgrenzen und somit in Gewalt umschlagen.<br />

„Das ist eben so bei mir, wenn ich erst<br />

mal dabei bin, kann ich nicht einfach aufhören”<br />

sagte ein 23 Jähriger vor Gericht, <strong>der</strong> einen Obdachlosen<br />

fast zu Tode geprügelt hatte. Gewalt<br />

schreckt ab und macht Angst, Gewalt wird (zu<br />

recht) moralisch verurteilt. Gewalt kann aber auch<br />

zum „Trip” wer<strong>den</strong>, zum faszinieren<strong>den</strong> Rausch, in<br />

dem alle Hemmungen verloren gehen. Begeisterung<br />

und Gewalt sind beides ambivalente Phänomene,<br />

die oftmals miteinan<strong>der</strong> in einer engen<br />

Beziehung stehen.<br />

Zur Arbeit <strong>der</strong> Projektgruppe<br />

und die Zielsetzung<br />

Insgesamt hatte die Projektgruppe die Schwierigkeit,<br />

dass <strong>der</strong> Fokus bei <strong>der</strong> Behandlung des<br />

Themas stärker auf dem Stichwort „Gewalt˝ lag.<br />

Der Bereich „Begeisterung˝ musste immer wie<strong>der</strong><br />

neu in <strong>den</strong> Blickpunkt gerückt wer<strong>den</strong>. Doch ist es<br />

8_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

in manchen Beiträgen gelungen, die jeweiligen<br />

Pole zu Wort kommen zu lassen. Bei <strong>der</strong> Behandlung<br />

eines Themenkomplexes war folgen<strong>der</strong> 3-er<br />

Schritt leitend: 1.) Beschreibung, 2.) Zuspitzung<br />

und 3.) Material zur Umsetzung, um dadurch <strong>den</strong><br />

Praxisbezug sicher zu stellen. Für die Projektgruppenmitglie<strong>der</strong><br />

galt für die Artikel folgende<br />

Glie<strong>der</strong>ung:<br />

• Einordnung des Themas: Begeisterung und<br />

Gewalt<br />

• Wie wird Begeisterung thematisiert und wie<br />

lässt sie sich dokumentieren?<br />

• Wie wird Gewalt thematisiert und wie lässt sie<br />

sich dokumentieren?<br />

• Ausblicke zum Umgang mit Begeisterung und<br />

Gewalt<br />

• Ausblicke zur Überwindung<br />

Als inhaltliche Zielsetzung für diese Arbeitshilfe<br />

wurde formuliert:<br />

• dass eine weitere Sensibilisierung für gesellschaftliche<br />

Phänomene zwischen Begeisterung<br />

und Gewalt erfolgen soll<br />

• dass dabei auch <strong>der</strong> eigene Umgang mit Gewalt<br />

in <strong>den</strong> Blick genommen wer<strong>den</strong> soll<br />

• dass Möglichkeiten erkundet wer<strong>den</strong> sollen,<br />

wie die zweifelsohne bei Jugendlichen vorhan<strong>den</strong>e<br />

Begeisterungsbereitschaft auf gute Wege<br />

geleitet wer<strong>den</strong> kann.<br />

• dass das Thema 1993 zwar schon einmal behandelt<br />

wurde, aber nach acht Jahren sich<br />

eine „Neubearbeitung” lohnt, da das Thema<br />

weiterhin virulent ist und die Dekade zur<br />

Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong> – 2010 – ein<br />

Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />

- aufgenommen und unterstützt wer<strong>den</strong><br />

soll.<br />

Über die 40 Tage <strong>der</strong> Passionszeit hinaus erhoffen<br />

wir uns gute Diskussionen in Schulklassen und<br />

Jugendgruppen, in <strong>den</strong>en Jugendliche angeregt<br />

wer<strong>den</strong>, ihre persönlichen Vorstellungen zu Gewalt<br />

und ihrer Überwindung weiterzuentwickeln.


Fasten, warum?<br />

Neben <strong>der</strong> inhaltlichen Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />

dem Thema: „<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> – Zwischen Begeisterung<br />

und Gewalt” bietet die Fastenzeit selbst<br />

Gelegenheit innezuhalten. Der Anstoß dafür liegt<br />

in <strong>der</strong> Bereitschaft, vorhan<strong>den</strong>e Verhaltensmuster<br />

und Einstellungen, gewohnte und vielleicht sogar<br />

beliebte Gewohnheiten auf ihre Bedeutung<br />

für die eigene Lebensgestaltung zu überprüfen.<br />

Und zwar durch Verzicht, freiwillig, einzeln o<strong>der</strong><br />

gemeinsam. Die im biologischen Vollzug oft genug<br />

praktizierte und <strong>der</strong> körperlichen Verfassung<br />

zu Nutze kommende Praxis des Fastens hat ihr<br />

Pendant im geistig-seelischen Bereich gefun<strong>den</strong>.<br />

Selbst religiös nicht engagierte Menschen können<br />

für sich einen Sinn darin sehen, die Orientierung<br />

nach an<strong>der</strong>en Maßstäben zu fin<strong>den</strong> als<br />

nur nach dem Schema „Nehmen ist seliger als Geben”<br />

(in Umkehr zu einer christlich verwurzelten<br />

Einstellung). Eine befriedigende Lebensgestaltung<br />

kann eben nicht durch Egoismus und Kosten-Nutzen-Denken<br />

gefun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. In <strong>der</strong><br />

(<strong>Evangelischen</strong>) Jugend liegt das Potential zur<br />

Verän<strong>der</strong>ung, zum Ausprobieren, zum Protest.<br />

Dies lässt sich auch für solch eine Fastenaktion<br />

nutzbar machen.<br />

Der biblische Anknüpfungspunkt kann z. B. mit<br />

einem Text nach dem Jesaja-Buch benannt wer<strong>den</strong>,<br />

in dem Fasten und Teilen anschaulich aufeinan<strong>der</strong><br />

bezogen wer<strong>den</strong>: „Während du fastest, singst,<br />

betest und dich ausruhst, arbeiten zur gleichen<br />

Zeit an<strong>der</strong>e für einen Hungerlohn dafür, dass es dir<br />

gut geht. Vielleicht unterdrückst du nicht selbst<br />

an<strong>der</strong>e Mitmenschen: aber du lässt zu, dass es<br />

geschieht. Du selbst achtest die Menschenrechte,<br />

aber du lässt zu, dass an<strong>der</strong>e sie missachten. Zwar<br />

bist du auch dafür, dass es <strong>den</strong> Armen in <strong>den</strong><br />

Entwicklungslän<strong>der</strong>n besser geht, aber du nimmst<br />

in Kauf, dass sie arm sind, weil du hier billige<br />

Produkte einkaufen kannst. Fasten heißt: verzichten<br />

und teilen. Du kannst nicht fasten und es<br />

Die Aktion<br />

zulassen, dass die Armen <strong>der</strong> Welt mit vielen<br />

schönen Worten abgespeist wer<strong>den</strong> und weiter<br />

hungern müssen. Wenn du fastest, dann sollst du<br />

demjenigen Obdach und Wohnung gewähren, <strong>der</strong><br />

keine Wohnung hat … Wenn du fastest, dann gib<br />

das ab, worauf du verzichtest: gib dem Hungrigen<br />

von deinem Brot, dem Nackten von deiner Kleidung,<br />

dem Obdachlosen von deiner Wohnung,<br />

dem Verfolgten Asyl. Wenn du so fastest, dann<br />

wirst du etwas von Gottes Licht <strong>der</strong> Liebe in dieser<br />

Welt zum Leuchten bringen” (weiterentwickelte<br />

Fassung <strong>der</strong> Verse 3-9 des Kapitels 58 des Propheten<br />

Jesajas). Teilen kann - ebenso wie fasten - nur<br />

gelingen, wenn <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e, <strong>der</strong> Mitmensch, die<br />

Familie, die Gesellschaft im Blick bleiben.<br />

Die Arbeitshilfe (Broschüre) und<br />

ihre Zielgruppen<br />

Die Arbeitshilfe versucht die weit gestreute Bezugsgruppe<br />

„Jugendliche” in <strong>den</strong> Blick zu nehmen,<br />

für OrientierungsstufenschülerInnen bis hin zu<br />

AbiturientInnen sollen die Unterthemen aufgenommen,<br />

aufgegriffen, weiterentwickelt und<br />

weitergegeben wer<strong>den</strong>. Die Entfaltung <strong>der</strong> Einzelthemen<br />

geschieht jedoch nicht schematisch, so<br />

dass nacheinan<strong>der</strong> alle Schul- und Altersstufen<br />

gleichmäßig angesprochen wer<strong>den</strong>. Zum Teil ist<br />

es auch von <strong>den</strong> zugänglichen Materialien abhängig,<br />

was hier dargeboten wird. Außerdem<br />

spielt eine Rolle, aus welchem Bereich <strong>der</strong> Jugendarbeit<br />

bzw. Schule <strong>der</strong>/die jeweilige Redakteur/in<br />

kommt. Das wie<strong>der</strong>um macht (hoffentlich)<br />

<strong>den</strong> Reiz dieser Arbeitshilfe aus, dass sie von<br />

verschie<strong>den</strong>en Seiten her einen Zugang anbietet,<br />

dass sie in <strong>der</strong> Auswahl des Stoffes und <strong>der</strong> Metho<strong>den</strong><br />

dementsprechend vielfältig ist. Einen<br />

Anspruch auf Vollständigkeit <strong>der</strong> Themen wie <strong>der</strong><br />

Materialien kann und will die Broschüre nicht<br />

erheben.<br />

Die Leserschaft wird auch feststellen, dass es<br />

<strong>den</strong> einzelnen Redakteuren nicht nur um eine<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_9<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Die Aktion<br />

sachgemäße Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong> Problematik und<br />

eine saubere Exegese <strong>der</strong> Texte geht, son<strong>der</strong>n<br />

auch darum, eigene Ansichten zur Diskussion zu<br />

stellen. Hier und da wird es gewiss Wi<strong>der</strong>spruch<br />

geben - dies ist bewusst einkalkuliert und kann<br />

sicher auch zu weiterführen<strong>der</strong> Bearbeitung bzw.<br />

zu Diskussionen innerhalb <strong>der</strong> jeweiligen Zielgruppe<br />

führen.<br />

Natürlich ist es die Absicht, sowohl Jugendliche in<br />

verschie<strong>den</strong>en Jugendgruppen und Verbän<strong>den</strong>, als<br />

auch Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher<br />

Schulstufen zu berücksichtigen. Allerdings konnte<br />

bei <strong>der</strong> jeweiligen Auswahl nicht nach Proportionen<br />

und Quantitäten entschie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> (also<br />

keine gleiche Menge für jede Alters- und Zielgruppe).<br />

Vielmehr wird mit dem Dargebotenen die<br />

Hoffnung verbun<strong>den</strong>, dass es einen größeren<br />

Entscheidungs- und Spielraum <strong>der</strong> Verwendbarkeit<br />

zulässt; zum Beispiel mag, was zunächst für 13 bis<br />

14-Jährige entworfen ist, hier auch für 11 bis 12-<br />

Jährige in Frage kommen usw.<br />

Diese Arbeitshilfe selbst ist vorrangig für die Hand<br />

des Gruppenleiters/<strong>der</strong> Gruppenleiterin, des<br />

Lehrers/<strong>der</strong> Lehrerin bestimmt. Natürlich wer<strong>den</strong><br />

auch interessierte Jugendliche Anregendes und<br />

Interessantes fin<strong>den</strong> - hofft die Redaktion - aber<br />

die Lektüre und Bearbeitung <strong>der</strong> jeweiligen Themen<br />

und ihrer Materialien erfor<strong>der</strong>t, bei aller<br />

Sorgfalt <strong>der</strong> Bearbeitung und <strong>der</strong> Darbietung auf<br />

Seiten <strong>der</strong> Redaktion, doch noch eine Menge an<br />

Eigenarbeit, an Reflexion und an eigener Entscheidung<br />

darüber, was mit welchem Material gemacht<br />

wird. Die Erfahrungen <strong>der</strong> Vergangenheit mit <strong>der</strong><br />

Reihe „<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong>” zeigen jedoch, dass die<br />

jeweils entwickelten Anregungen zur Behandlung<br />

von Themen z.B. für Schreibwerkstätten, (Jugend- )<br />

Gottesdiensten, Gruppenstun<strong>den</strong>, Schulprojektwochen<br />

o<strong>der</strong> inhaltlichen Ausrichtungen bei Freizeiten<br />

o<strong>der</strong> Seminaren genutzt, in <strong>der</strong> schulischen<br />

o<strong>der</strong> außerschulischen Praxis weiterentwickelt<br />

und umgesetzt wur<strong>den</strong>.<br />

10_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Die Themen<br />

Die Anzahl <strong>der</strong> Einzelthemen ist gegenüber <strong>der</strong><br />

letzten Ausgabe auf gleich hohem Niveau - das<br />

hängt mit dem weitgefächerten Feld zusammen, in<br />

dem die Themen entfaltet wer<strong>den</strong> und dem Versuch,<br />

die Spannungspole „Begeisterung” und<br />

„Gewalt” zu bearbeiten.<br />

Die Einzel- o<strong>der</strong> Unterthemen wollen jedes auf<br />

seine Weise das Hauptthema entfalten. Dabei sind<br />

sie jeweils in sich abgeschlossene Arbeiten, die<br />

<strong>den</strong> Leser/die Leserin selektiv vorgehen lassen.<br />

Wer sich beispielsweise mit dem Einzelthema „Die<br />

Welt zertrümmern?! Musikkonsum und aggressives<br />

Verhalten” befassen will, ist nicht zugleich auf<br />

die Texte von „Faszinosum Gewalt” angewiesen.<br />

Jedes Einzelthema entfaltet mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

umfangreich die Grundfragen, das Umfeld, <strong>den</strong><br />

Kontext, bevor es auf die Konkretionen zugeht.<br />

Nicht jedes Medium o<strong>der</strong> Material kann detailliert<br />

dargelegt und aufbereitet wer<strong>den</strong>. Dies kann nur<br />

exemplarisch geschehen, an<strong>der</strong>enfalls hätte die<br />

Broschüre einen zu großen Umfang bekommen.<br />

Manfred Neubauer


›› Jugendgewalt -<br />

Wie, wo, warum?


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />

Einleitung<br />

„Jochen F. aus S. hat schon lange aufgehört Konflikte<br />

mit ,Rumgequatsche‘ auszutragen. Mit<br />

14 Jahren hat er sich eine Gaspistole besorgt und<br />

<strong>den</strong> Lauf aufgebohrt. „Jetzt kann mir keiner mehr<br />

was“, sagt Jochen. Im <strong>Gegen</strong>teil, nun tanzen die<br />

Mitschüler nach seiner Pfeife. „Was soll ich da<br />

machen?“, berichtet hilflos Monika A., Grundschullehrerin,<br />

seit zwei Monaten an die Hauptschule<br />

versetzt. Wer<strong>den</strong> unsere Kin<strong>der</strong> immer<br />

gewalttätiger? Brauchen wir nicht endlich wie<strong>der</strong><br />

klare Regeln?“<br />

So ähnlich klingen viele Meldungen und Artikel,<br />

die sich populistisch mit dem Thema Jugendgewalt<br />

auseinan<strong>der</strong>setzen. Einzelschicksale wer<strong>den</strong> im<br />

Reportagestil dargestellt, um schließlich in gesellschaftliche<br />

Anfragen zu mün<strong>den</strong>, die einerseits<br />

Hilflosigkeit thematisieren und an<strong>der</strong>erseits<br />

nach schnellen und wirkungsvollen Lösungen<br />

fragen.<br />

Beides scheint mir falsch. Einzelschicksale taugen<br />

nicht zur Verallgemeinerung und sagen – außer<br />

für diesen Einzelfall – wenig über das Gewaltverhalten<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen aus 1 . Schnelle, wirkungsvolle<br />

Lösungen gibt es darüber hinaus nicht,<br />

weil Jugendgewalt viel mit Beziehungen zu tun<br />

hat. Und Beziehungen aufzubauen und zu verän<strong>der</strong>n<br />

braucht Zeit.<br />

Im Januar 1999 haben Peter Wetzels, Dirk Enzmann<br />

und Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen (KFN) die Ergebnisse<br />

<strong>der</strong> Studie „Jugendgewalt in Hannover“<br />

veröffentlicht, die sich mit <strong>den</strong> Opfererfahrungen<br />

und dem Gewalthandeln junger Menschen in<br />

<strong>der</strong> Großstadt befasst. Zum Vergleich gingen in<br />

diese Studie auch Zahlen aus Kleinstädten wie<br />

Wunstorf o<strong>der</strong> Schwäbisch Gemünd ein. Im Mittelpunkt<br />

stehen Gewaltdelikte, aber es wur<strong>den</strong><br />

auch Daten ermittelt, die Aussagen beispiels-<br />

12_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

weise über verbale Gewalt in <strong>der</strong> Schule erlauben.<br />

Im Februar und März 1998 wur<strong>den</strong> 2268 Schülerinnen<br />

und Schüler im Alter zwischen 14 und<br />

18 Jahren aus <strong>den</strong> 9. Klassen bzw. dem BVJ von<br />

55 verschie<strong>den</strong>en Schulen bzw. Schulzentren<br />

befragt. Schlaglichtartig sollen einige Ergebnisse<br />

hier vorgestellt und mit an<strong>der</strong>en Veröffentlichungen<br />

neueren Datums ins Gespräch gebracht wer<strong>den</strong>.<br />

Gewalt 2 in <strong>der</strong> Schule 3<br />

In <strong>den</strong> vergangenen Jahren war Gewalt in <strong>der</strong><br />

Schule ein großes Thema in <strong>den</strong> Medien. Schulen<br />

schienen zeitweise <strong>der</strong> Brennpunkt jugendlicher<br />

Gewalt zu sein. Stimmt das wirklich?<br />

Gewalt findet (meistens)<br />

draußen statt<br />

Ein nicht zu vernachlässigen<strong>der</strong> Teil krimineller<br />

Gewaltdelikte findet in <strong>der</strong> Schule statt. Verglichen<br />

mit an<strong>der</strong>en Tatorten ist aber festzustellen, dass<br />

<strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong> Delikte – insbeson<strong>der</strong>e Raub und<br />

Delikte mit Waffenanwendung – außerhalb <strong>der</strong><br />

Schule stattfindet. „Für die Schule typisch sind<br />

eher weniger gravierende Gewaltformen, die von<br />

verbalem Ausgrenzen und Hänseln bis zur einfachen<br />

Körperverletzung reichen.“ 4 Opfer und Täter<br />

sind dabei vor allem die Jungen. Außerdem zeigt<br />

sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen<br />

Bildungsniveau und Anzahl <strong>der</strong> Gewalttaten im<br />

Blick auf physische Gewalt. Gymnasien sind hier<br />

wesentlich weniger betroffen als beispielsweise<br />

Hauptschulen. Gewalt ist aber gleichwohl - wenn<br />

auch häufig „nur“ verbal - auch an Gymnasien<br />

präsent.<br />

Die Schule ist also offenbar weitaus sicherer, als<br />

manch reißerischer Medienbericht <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

das glauben machen wollte. Auch S. Lamnek<br />

kommt zu dem Ergebnis, dass sich in dem von ihm<br />

untersuchten Zeitraum 1994-1999 das Ausmaß <strong>der</strong>


Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />

Jugendgewalt nicht wesentlich verän<strong>der</strong>t hat<br />

(allenfalls im verbalen Bereich). 5<br />

Trotzdem muss im Blick behalten wer<strong>den</strong>, dass in<br />

etwa je<strong>der</strong> zehnte Schüler in Hannover „von massiver<br />

verbaler o<strong>der</strong> physischer Gewalt und/o<strong>der</strong><br />

Bedrohung“ 6 betroffen ist.<br />

Bangemachen bringt nix –<br />

die Rolle <strong>der</strong> LehrerInnen<br />

Sollen Lehrer und alle, die mit Jugendlichen zusammenarbeiten,<br />

bei wahrgenommener Gewalt<br />

intervenieren, o<strong>der</strong> von Zeit zu Zeit auch nach <strong>der</strong><br />

Devise verfahren „Pack schlägt sich, Pack verträgt<br />

sich“? In verschie<strong>den</strong>en Veröffentlichungen wurde<br />

die Theorie aufgestellt, dass die von Schülern<br />

wahrgenommene Reaktion <strong>der</strong> Lehrer eine wesentliche<br />

Rolle beim Thema Schulgewalt spielt.<br />

Die Studie von Wetzels u.a. zeigt hier, dass erhöhte<br />

Opfer- und Täterraten in <strong>der</strong>jenigen Gruppe von<br />

Jugendlichen festzustellen sind, die wahrnehmen,<br />

dass ihre Lehrer sich nicht aktiv mit Jugendgewalt<br />

auseinan<strong>der</strong>setzen. Be<strong>den</strong>kt man außerdem, dass<br />

im familiären Bereich die häufige Konfrontation<br />

mit Gewalt gewalttätiges Handeln Jugendlicher begünstigt,<br />

wird deutlich, dass das Lehrerverhalten<br />

ein wichtiger Faktor <strong>der</strong> Gewaltprävention ist 7 .<br />

Jugendliche nehmen sehr differenziert wahr, wie<br />

Erwachsene auf Gewalt reagieren. Umso wichtiger<br />

ist es, dass Erwachsene bewusst reagieren.<br />

Gewalt und soziales Milieu<br />

Als wesentliche Faktoren für das Gewaltverhalten<br />

wur<strong>den</strong> bei <strong>der</strong> hannoverschen Studie die soziale<br />

Lage <strong>der</strong> Familie, Gewalterleben in <strong>der</strong> Familie und<br />

auch die orientierende Rolle <strong>der</strong> Eltern ausgemacht.<br />

Gewalterlebnisse bestimmen<br />

das Gewaltverhalten<br />

Statistisch gesehen am häufigsten erleben Jugendliche<br />

Gewalt in <strong>der</strong> eigenen Familie.<br />

Die Untersuchungen ergaben, dass nur 47,3%<br />

ganz ohne elterliche Gewalt aufgewachsen sind,<br />

hingegen haben 26,4% leichte elterliche Züchtigung<br />

erlebt und 15,8% wur<strong>den</strong> sogar schwer<br />

gezüchtigt (in <strong>der</strong> Befragung die Items „Mein<br />

Vater/Mutter hat mich geprügelt, zusammengeschlagen„<br />

bzw. „...hat mich mit <strong>der</strong> Faust geschlagen<br />

o<strong>der</strong> mich getreten.“).<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_13<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />

Diese Formen von Gewalt gegenüber Jugendlichen<br />

wer<strong>den</strong> in <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion weit weniger<br />

thematisiert als Gewalt, die von Jugendlichen<br />

selbst ausgeht. Auch die Opfer re<strong>den</strong> kaum<br />

über diese Vorfälle. Der Anteil, <strong>der</strong> zur Anzeige<br />

gebracht wird, ist verschwin<strong>den</strong>d gering, noch<br />

seltener ist das Aufsuchen von Beratungsangeboten<br />

o<strong>der</strong> etwa <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>hilfe (nur fünf Prozent<br />

<strong>der</strong> Fälle gelangen allen damit beschäftigten<br />

Institutionen zur Kenntnis!). Die Bundesregierung<br />

hat zu diesem Problembereich im Dezember 2000<br />

eine Anzeigenkampagne unter dem Motto „Wer<br />

Schläge einsteckt, wird Schläge austeilen“ gestartet<br />

8 .<br />

Auffällig war außerdem, dass in einigen ethnischen<br />

Gruppen (v.a. in türkischen und südeuropäischen<br />

Familien) in beson<strong>der</strong>em Maße elterliche<br />

Gewalt ausgeübt wird.<br />

Unklar ist, inwieweit sich neben wirtschaftlichem<br />

Druck hier ein Druck durch Integrationsanfor<strong>der</strong>ungen<br />

bzw. soziale Ausgrenzung bemerkbar<br />

14_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

macht. Möglicherweise spielen aber auch „kulturspezifische<br />

Normen <strong>der</strong> verschie<strong>den</strong>en Ethnien im<br />

Blick auf Gewalt“ 9 eine wichtige Rolle. Vergleichsstudien<br />

in Großstädten wie Istanbul wer<strong>den</strong> hier<br />

Aufschluß bringen.<br />

Je schlechter die soziale Lage,<br />

desto häufiger Gewalt<br />

Sicher ist, dass in Milieus mit hoher Elterngewalt<br />

auch die Zahl <strong>der</strong> Jugendlichen, die Gewalt ausüben<br />

deutlich höher ist. „Die soziale Lage von<br />

Familien hat einen bedeutsamen Einfluss auf die<br />

Wahrscheinlichkeit des Auftretens von elterlicher<br />

Gewalt: In Fällen von Arbeitslosigkeit sowie Sozialhilfeabhängigkeit<br />

ist das Risiko innerfamiliärer<br />

Gewalt deutlich erhöht.“ 10 Dabei sind die verschie<strong>den</strong>en<br />

ethnischen Gruppen nicht in gleicher Weise<br />

betroffen. Nichtdeutsche Jugendliche sind erheblich<br />

öfter durch soziale Schwierigkeiten <strong>der</strong> Familie<br />

mitbetroffen als deutsche Jugendliche.<br />

Normen wer<strong>den</strong> zu Hause<br />

gemacht<br />

Erleben Kin<strong>der</strong> und Jugendliche in <strong>der</strong> Familie<br />

Gewalt, sei es als Opfer o<strong>der</strong> als Beobachter,<br />

beeinflusst dies natürlich ihre Wahrnehmung und<br />

Bewertung von Gewalt. Die Gruppe <strong>der</strong>er, die in<br />

Kindheit o<strong>der</strong> Jugend mit Gewalt im Elternhaus<br />

konfrontiert wurde, ist bei jugendlichen Gewalttätern<br />

beson<strong>der</strong>s stark vertreten.


Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />

In <strong>der</strong> individuellen Bewertung von Gewalt spielt<br />

außerdem das Erziehungsverhalten <strong>der</strong> Eltern eine<br />

Rolle. Inkonsistenz, d.h. nicht erwartbare Reaktionen,<br />

die keinen offensichtlichen Regeln folgen,<br />

wirkt sich dabei negativ aus. Noch mehr als <strong>den</strong><br />

Lehrern kommt also <strong>den</strong> Eltern eine wichtige<br />

orientierende Rolle zu. Wetzels u.a. kommen zu<br />

dem Ergebnis: „(1) Die Neigung zu Feindseligkeitszuschreibungen<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen steigt<br />

systematisch mit <strong>der</strong> Häufigkeit und Intensität<br />

elterlicher Gewalt in <strong>der</strong> Kindheit. (2) Je häufiger<br />

bzw. intensiver die Befragten in ihrer Kindheit <strong>der</strong><br />

Gewalt seitens ihrer Eltern ausgesetzt waren,<br />

desto positiver bewerten sie selbst die Anwendung<br />

von Gewalt. (3) Die Konfliktkompetenz ist<br />

um so niedriger, je stärker ausgeprägt elterliche<br />

Gewalterfahrungen in <strong>der</strong> Kindheit waren. ... (4) Je<br />

geringer die Konfliktkompetenz, je höher die<br />

Feindseligkeitszuschreibung und je ausgeprägter<br />

gewaltbefürwortende Einstellungen, desto häufiger<br />

kommt es auch tatsächlich zu Gewalthandlungen.“<br />

11<br />

Jugendgewalt ist ein<br />

Männlichkeitsproblem<br />

Die weit überwiegende Zahl <strong>der</strong> jugendlichen<br />

Gewalttäter sind Jungen. Aber nicht nur auf <strong>der</strong><br />

Täterseite sind Jungen stärker repräsentiert. Sie<br />

bil<strong>den</strong> auch die Mehrzahl <strong>der</strong> Opfer.<br />

Mit Ausnahme des Bereichs „sexuelle Gewalt“<br />

übersteigen die Opferraten <strong>der</strong> männlichen Ju-<br />

gendlichen die <strong>der</strong> weiblichen um das Doppelte<br />

bis Vierfache. Daraus abgeleitet stellt sich gerade<br />

für die Arbeit mit Jungen die Frage, ob in <strong>der</strong> geschlechtsspezifischen<br />

Arbeit neben <strong>der</strong> Thematisierung<br />

eigener Aggressivität und Gewalt nicht<br />

noch stärker auf Gewalterfahrung in <strong>der</strong> Opferrolle<br />

eingegangen wer<strong>den</strong> muss.<br />

Im Hinblick auf kriminelle Gewalttaten wurde<br />

außerdem ermittelt, dass eine kleine Gruppe von<br />

etwa 5% für mehr als 2/3 <strong>der</strong> Gewalttaten verantwortlich<br />

ist. Es handelt sich hier um Mehrfachtäter,<br />

die überwiegend dem männlichen Geschlecht<br />

angehören und in <strong>der</strong> die jugendlichen Nichtdeutschen<br />

überrepräsentiert sind.<br />

Sind es also immer die<br />

Auslän<strong>der</strong>?<br />

Die Antwort lautet hier nicht immer, aber sicher<br />

verhältnismäßig öfter. Nur ist das, wie sich oben<br />

bereits zeigte, weniger eine Frage <strong>der</strong> Nationalität,<br />

als vielmehr <strong>der</strong> sozioökonomischen Bedingungen<br />

<strong>der</strong> jeweiligen Familie, <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Bildungschancen und <strong>der</strong> Beziehungsangebote,<br />

die es Jugendlichen ermöglichen, ein bestimmtes<br />

Sozialverhalten zu entwickeln. Nichtdeutsche<br />

Jugendliche haben wesentlich häufiger mit sozialen<br />

Problemen zu kämpfen als deutsche Jugendliche.<br />

In absoluten Zahlen ausgedrückt, wer<strong>den</strong> die<br />

meisten Gewalttaten noch immer von deutschen<br />

Jugendlichen verübt.<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_15<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />

Welchen Stellenwert hat das<br />

Thema Gewalt für die Jugendlichen<br />

selbst? – Opferängste und<br />

tatsächliche Bedrohung<br />

Die hannoversche Studie kommt zum Ergebnis:<br />

„Die weit überwiegende Mehrheit <strong>der</strong> Hannoveraner<br />

Jugendlichen hat eher selten Angst vor Gewalt<br />

und schätzt auch das Risiko einer eigenen Viktimisierung<br />

eher gering ein.“ Tatsächlich ergab die<br />

Befragung, dass im Vergleich mit an<strong>der</strong>en Lebensrisiken<br />

und Problemen, Gewalt eine eher nachgeordnete<br />

Rolle spielt. Im Vor<strong>der</strong>grund stehen Umweltverschmutzung,<br />

Tod von Familienangehörigen<br />

o<strong>der</strong> auch die Sorge um einen Ausbildungsplatz.<br />

Die Einschätzung des Gewaltproblems durch die<br />

Jugendlichen selbst hängt darüber hinaus anscheinend<br />

stark damit zusammen, wie sehr sie mit<br />

dem jeweiligen Ort vertraut sind. Während beispielsweise<br />

Klassenraum und eigener Stadtteil<br />

(tagsüber) als relativ sicher eingestuft wer<strong>den</strong>,<br />

schnei<strong>den</strong> an<strong>der</strong>e Stadtteile o<strong>der</strong> Städte deutlich<br />

schlechter ab. Für weiter entfernte Orte wird auch<br />

die Zunahme <strong>der</strong> Kriminalität in <strong>den</strong> letzten zwei<br />

Jahren wesentlich höher eingeschätzt.<br />

Das Gewaltproblem realistisch<br />

einschätzen und gezielt daran<br />

arbeiten<br />

Gewalt gehört zum Alltag <strong>der</strong> Jugendlichen, in <strong>der</strong><br />

Schule v.a. in Form verbaler Gewalt. Nach eigenen<br />

Angaben wur<strong>den</strong> in einem Zeitraum von zwei<br />

16_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Jahren 38% <strong>der</strong> befragten Jugendlichen selbst<br />

Opfer von Gewalt, bezogen auf einen Einjahreszeitraum<br />

28%. Gewalt geht also (fast) alle an.<br />

Es wurde deutlich, dass es die sozialen Rahmenbedingungen,<br />

die Bildungschancen und das bei<br />

Erwachsenen erlebte Verhalten insbeson<strong>der</strong>e in<br />

<strong>der</strong> eigenen Familie wesentliche Faktoren sind, die<br />

das Gewaltverhalten von Jugendlichen mitbestimmen.<br />

Wetzels u.a. weisen ausdrücklich darauf hin,<br />

dass „Personen als Träger von Beziehungsangeboten“<br />

gefragt sind. Angesichts <strong>der</strong> vielfältigen<br />

Probleme auf dem Weg zum Erwachsensein sind<br />

Jugendliche auf Menschen angewiesen, die ihnen<br />

aktiv Beziehungsangebote machen und unterstützend<br />

wirken, wenn junge Menschen ihren Platz in<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft suchen. Hier steckt das kleine<br />

Körnchen Wahrheit, wenn über Einzelschicksale im<br />

Zusammenhang mit Jugendgewalt berichtet wird:<br />

An <strong>den</strong> Chancen für und dem Umgang mit dem<br />

Einzelnen entscheidet sich, ob Jugendliche lernen<br />

mit Gewalt umzugehen.<br />

Christian Ceconi-Solle<br />

1 Vgl. auch F. J. Krafeld, Immer mehr, immer jünger,<br />

immer gewalttätiger...? Überlegungen zur<br />

Diskussion über Jugendgewalt und -kriminalität,<br />

in: Landesstelle Jugendschutz Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

(Hg.), Jugendgewalt – und kein Ende?,<br />

Hannover 1999, 6-16.<br />

2 Der Gewaltbegriff <strong>der</strong> vorgestellten Studie<br />

orientiert sich an kriminellen Delikten. Sicher<br />

muss im Gespräch mit Jugendlichen die Definition<br />

dessen, was Gewalt ist, an erster Stelle<br />

stehen. An<strong>der</strong>e Artikel dieser Arbeitshilfe bieten<br />

dazu Ansatzpunkte.<br />

3 Eine grundlegende Orientierung zum Bereich<br />

Schule bietet auch: S. Lamnek, Gewalttätige<br />

Schüler 1994-1999, in: Landesstelle Jugend-


Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />

schutz Nie<strong>der</strong>sachsen (Hg.), Jugendgewalt - und<br />

kein Ende?, Hannover 1999, 17-46.<br />

4 Wetzels u.a. (1999), 197.<br />

5 Vgl. Lamnek (1999), 44f.<br />

6 Wetzels u.a. (1999), 130.<br />

7 Vgl. auch Lamnek (1999), 32ff zu Normorientierungen<br />

und Gewalt an Schulen.<br />

8 Diese Kampagne soll die BGB-Gesetzesän<strong>der</strong>ung<br />

vom 06.07.2000 bekannt machen. In<br />

§ 1631 Abs 2 BGB heißt es: „Kin<strong>der</strong> haben ein<br />

Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche<br />

Bestrafungen, seelische Verletzungen und<br />

an<strong>der</strong>e entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“<br />

Weitere Infos unter: www.mehr-respektvor-kin<strong>der</strong>n.de;<br />

eine Infobroschüre kann dort<br />

ebenfalls angefor<strong>der</strong>t wer<strong>den</strong>.<br />

9 Wetzels u.a. (1999), 170.<br />

10 Wetzels u.a. (1999), 198.<br />

11 Wetzels u.a. (1999), 187.<br />

Literatur:<br />

P. Wetzels/D. Enzmann/C. Pfeiffer:<br />

Jugendgewalt in Hannover. Eine repräsentative<br />

kriminologische Studie über Opfererfahrungen<br />

und Gewalthandeln junger Menschen in einer<br />

Großstadt, Hannover 1999. (mit Vergleichsstudien<br />

in an<strong>der</strong>en großen Städten)<br />

Landesstelle Jugendschutz Nie<strong>der</strong>sachsen (Hg.):<br />

Jugendgewalt – und kein Ende?, Hannover 1999.<br />

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend:<br />

www.mehr-respekt-vor-kin<strong>der</strong>n.de.<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_17<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />

18_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …


›› Faszinosum<br />

Gewalt


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Faszinosum Gewalt<br />

Das Ende <strong>der</strong> Vernunft?<br />

Nicht nur auf Grund <strong>der</strong> Ereignisse <strong>der</strong> ersten<br />

Hälfte des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts empfin<strong>den</strong> viele<br />

die neuaufkommen<strong>den</strong> rechtsextremistischen und<br />

auslän<strong>der</strong>feindlichen Aktionen als Skandal. Hirnloser<br />

Hass und Gewalt machen auch das alte<br />

Aufklärungsmodell fraglich, nach dem vernünftige<br />

Einsicht die Grundlage von gesellschaftlicher<br />

Entwicklung ist.<br />

Ist es <strong>den</strong>n so, dass alle Gruppierungen einer<br />

Gesellschaft „Einsicht“ haben und haben wollen?<br />

O<strong>der</strong> gibt es Gruppen, die sich aller „vernünftigen<br />

Einsicht“ versperren? Hat vielleicht die Gewalt ihre<br />

eigenen Strukturen und Einsichten, die sich <strong>der</strong><br />

Vernunft entziehen? Und, wenn dem so ist, wie<br />

können solche Strukturen entstehen und aus<br />

welchem Grunde? Dieser Beitrag behauptet, dass<br />

von <strong>der</strong> Gewalt eine Faszination ausgeht, die <strong>den</strong><br />

Menschen existentieller ergreift als die Vernunft<br />

und sich deshalb auch <strong>den</strong> Grün<strong>den</strong> <strong>der</strong> Vernunft<br />

verschließt. Eine solche gewalttätige, faszinierende<br />

Lebenshaltung entsteht, wenn die eigene<br />

Existenz nicht mehr gespürt wird und die Ausübung<br />

von Gewalt in dem Täter eine Ekstase auslöst,<br />

die ihm sagt: Du lebst. Eine solche Haltung ist<br />

aber keine „echte“ Teilhabe am Sein, son<strong>der</strong>n<br />

impliziert eine Suchtstruktur des Täters. D.h. <strong>der</strong><br />

Täter wird immer wie<strong>der</strong> Gewalt anwen<strong>den</strong>, um<br />

sich am Leben zu spüren. Die Suchtstruktur verhin<strong>der</strong>t<br />

wie<strong>der</strong>um, dass <strong>der</strong> Täter Vernunftgrün<strong>den</strong><br />

20_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

zugänglich sein kann. Präventionen gegen Gewalt<br />

können daher nicht länger auf Aufklärungsmodelle<br />

setzen, son<strong>der</strong>n müssen auf Gemeinschaft und<br />

Erleben setzen. Dabei kann das „Erleben“ nicht<br />

auf Aufklärung zielen und die Gemeinschaft nicht<br />

als eine Zusammenfassung von Randgruppierungen<br />

meinen. Gesellschaftliche <strong>Gegen</strong>entwürfe<br />

müssen lebbar sein und nicht in <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Verweigerung en<strong>den</strong>, die schnell in Gewalt<br />

umschlagen kann. Deshalb plädiert dieser Artikel<br />

für eine Gesellschaft, die aus vielen, verschie<strong>den</strong>en<br />

Gemeinschaften besteht, die alle ihr Recht<br />

zum Leben haben, weil sie sich alle um die große<br />

Gemeinschaft, die <strong>der</strong> Gesellschaft, bemühen. Und<br />

das nicht aus Vernunftgrün<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n auf Grund<br />

von Erfahrung.<br />

Kein Leben ohne Beziehung<br />

Das Schlagwort unserer Zeit ist „Subjekt“. Ein<br />

Subjekt setzt gegenüber <strong>der</strong> restlichen Welt einen<br />

eigenen Standort. Welches sind die Bedingungen<br />

für die Selbstsetzung des Subjektes? Zu keinem<br />

Zeitpunkt unseres Lebens sind wir allein. Selbst in<br />

<strong>der</strong> Psychoanalyse, die ein Subjekt im Sinne von<br />

<strong>Gegen</strong>über behauptet, integriert das Ich sich in ein<br />

Geschehen, das Ich und An<strong>der</strong>es umgreift. Durch<br />

diesen glücklichen Wi<strong>der</strong>spruch wird das Ich zu<br />

einem Teilaspekt einer Atmosphäre, die viele<br />

umgreift. Jacques Lacan behauptet, das jedes<br />

menschliche Leben bei seiner Geburt ohnmächtig<br />

und verraten ins Dasein stürzt. 1 Erst wenn es sich<br />

in einem Spiegel als Mensch begreife, setze die<br />

Erlösung ein. Wer aber ist dieser Spiegel, wenn


nicht die Mutter; wenn nicht das an<strong>der</strong>e Ich? Das<br />

eigene Ich kann ja gerade nicht zum Spiegel wer<strong>den</strong>.<br />

Der Mensch ist demnach auf die Beziehung<br />

zu an<strong>der</strong>en festgelegt. Beziehungen sind keine<br />

freie Wahl, die durch Zuneigung gewonnen wer<strong>den</strong>.<br />

Beziehungsfähigkeit wird auch nicht a posteriori<br />

erworben, son<strong>der</strong>n ist eine angeborene. Im<br />

Ich ist die Beziehungsfähigkeit das Wesentliche.<br />

Damit ist das Fremde bereits in meiner Subjektivität<br />

enthalten und ermöglicht erst das Erkennen<br />

meiner selbst. Es ist müßig zu fragen, was eher<br />

war: das An<strong>der</strong>e o<strong>der</strong> Ich. Die Gleichzeitigkeit ist<br />

grundlegend für Beziehungsfähigkeit.<br />

Wie <strong>der</strong> Mensch sich selbst<br />

gewinnt<br />

Und Gott <strong>der</strong> Herr sprach: Es ist nicht gut, dass <strong>der</strong><br />

Mensch allein sei. Ich will ihm eine Hilfe schaffen<br />

als sein <strong>Gegen</strong>über, die zu ihm passt (Gen 2,18).<br />

Martin Heidegger hat das Sein als ein<br />

Einwohnen in <strong>der</strong> Welt beschreiben. 2 Der<br />

Welt wohnt man nicht ein, wie man<br />

einem Haus einwohnt, son<strong>der</strong>n indem<br />

ich in <strong>der</strong> Welt wohne, wohnt sie in mir.<br />

Im Sein ist auch keine Eigenschaft, die<br />

man manchmal hat o<strong>der</strong> nicht, son<strong>der</strong>n<br />

ohne Sein könnte <strong>der</strong> Mensch nicht<br />

existieren. 3 Damit aber ist die Welt nicht<br />

nur Objekt für <strong>den</strong> Menschen, son<strong>der</strong>n<br />

zugleich auch Subjekt. Welt und Mensch<br />

sind ein Ganzes und neben diesen Teilen<br />

(Mensch, Welt) gibt es kein Ganzes. Es<br />

ist nicht so, dass das Subjekt je nach<br />

Laune eine Beziehung zur Welt aufnimmt<br />

o<strong>der</strong> nicht. Indem <strong>der</strong> Mensch die Welt draußen<br />

betrachtet, ist er bereits in ihr enthalten. Der Welt<br />

Äußeres ist zugleich des Menschen Inneres. 4 Dem<br />

Sein wesenhaft ist die Nähe. Entfernen bedeutet<br />

zunächst, dass eine Ferne zum Verschwin<strong>den</strong><br />

gebracht wer<strong>den</strong> soll. Die Ferne soll entfernt<br />

wer<strong>den</strong>. Solches Entfernen ist zugleich eine Näherung.<br />

Der Mensch kommt immer von einer Nähe<br />

Faszinosum Gewalt<br />

(Vergangenheit) her zu<br />

einer Ferne (<strong>Gegen</strong>wart)<br />

hin, die er zu seiner Nähe<br />

machen will. Dasein ist<br />

Annäherung, ist Nähe. 5<br />

Zur Klärung seines Weges,<br />

seiner Herkunft und seines Zieles, nistet <strong>der</strong><br />

Mensch sich in <strong>der</strong> Sprache ein. Durch sie weiß<br />

er von <strong>der</strong> vorangehen<strong>den</strong> Nähe und von <strong>der</strong> Annäherung<br />

an das Ziel. Kommunikation ist seine<br />

Daseinsweise.<br />

Intimverhältnisse, die kommunikativ (medial) sind,<br />

trennen das Subjekt nie von dem Umfeld. Sie<br />

konfrontieren nicht, sie integrieren. Das Subjekt-<br />

Objekt-Schema trennt, während die reflexive<br />

Subjektivität Trennung verhin<strong>der</strong>t. Im Subjekt-<br />

Objekt-Schema begreift sich das anschauende<br />

Subjekt außerhalb des Geschehens. Im Schema<br />

<strong>der</strong> reflexiven Subjektivität begreift sich das betrachtende<br />

Subjekt<br />

sich selbst als ein<br />

Teil des Betrachtens.<br />

Das Subjekt<br />

bildet lediglich<br />

einen Pol des Verhältnisses.<br />

Wir sind<br />

sowenig in uns<br />

selbst, wie wir im<br />

Irgendwo sind,<br />

son<strong>der</strong>n wir durchdringen<br />

alles. Fragt<br />

man nach dem Band<br />

zwischen mir und<br />

an<strong>der</strong>en, tut sich<br />

eine Verbindung auf, die tiefer reicht als alles<br />

rationales Be<strong>den</strong>ken. Das Band reicht bis vor<br />

unsere Geburt. Und so wie die Liebe nicht existiert,<br />

bevor sie sich nicht ereignet, beginnt das<br />

gemeinsame Band mit unserer fötalen Entwicklung<br />

zu existieren. Begegnen sich zwei Menschen,<br />

so geschieht es nicht aus dem eigenen Willen<br />

zweier, autonomer Persönlichkeiten heraus und<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_21<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Faszinosum Gewalt<br />

(vielleicht) durch <strong>den</strong> Zufall bestimmt, son<strong>der</strong>n<br />

unser Sein führt die Begegnung selbst herbei, um<br />

sich zu begreifen. In je<strong>der</strong> Begegnung geschieht<br />

im Grunde die Wie<strong>der</strong>holung des fötalen Erlebnisses,<br />

um <strong>den</strong> Menschen als Person zu konstituieren.<br />

Mit <strong>der</strong> leiblichen Geburt inszeniert das Sein<br />

selbst die Begegnungen, um einstige Gemeinsamkeit<br />

wie<strong>der</strong>zugewinnen. Die Lücke, die nun klafft,<br />

könnte man auch als <strong>den</strong> Weg zum Heilsein bezeichnen.<br />

Von wann an erinnert sich <strong>der</strong> Mensch? Nikolaus<br />

von Kues antwortet: Von dem Tage an, wo Gott<br />

sich mit <strong>der</strong> Seele 6 verschränkte (contractio). Die<br />

Seele wird damit zum Statthalter, zum Beamten<br />

Gottes in jedem Menschen, ohne selbst Gott zu<br />

sein. „Und was ist, Herr, mein Leben, wenn nicht<br />

jene Umarmung (amplexus), in <strong>der</strong> die süße Freude<br />

deiner Liebe mich so liebevoll umschließt? 7 “<br />

Wie kann <strong>der</strong> Mensch in dieser unio mystica, die<br />

<strong>den</strong> Grund des Lebens und seiner Person legt,<br />

unverwechselbare Person sein? Wie kann er eine<br />

gewisse Eigenmacht entfalten? Und kann <strong>der</strong><br />

Mensch durch die Selbstwerdung überhaupt die<br />

Revolte gegen Gott verhin<strong>der</strong>n? Nach Nikolaus von<br />

Kues herrscht die von Gott erschaffene Seele über<br />

<strong>den</strong> Körper wie <strong>der</strong> König über sein Reich, weil<br />

durch die Seele das Maximum (Gott) im Minimum<br />

(Mensch) ist. So gesehen ist er frei und die Begegnung<br />

mit an<strong>der</strong>en Menschen wird zu einer Begegnung<br />

von Freien. Cusanus <strong>den</strong>kt hier die Urform<br />

<strong>der</strong> Demokratie. Eigenmacht erhält <strong>der</strong> einzelne<br />

nur indem er an<strong>der</strong>en dient, bzw. <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />

dient. Ja, er muss aktiv wer<strong>den</strong>, seiner Seele<br />

wegen. Herrschen wird zu einem Synonym für<br />

Dienen 8 . Entfällt das Dienen, dann entfällt auch die<br />

Persönlichkeit des Menschen. Hier sind die Anfänge<br />

<strong>der</strong> Menschenrechte mit Hän<strong>den</strong> zu greifen.<br />

Heute wird <strong>der</strong> Bezug zu Gott als Bezug zur Natur<br />

o<strong>der</strong> zur Gesellschaft hin gewandelt. Aber die<br />

Frage, wie die Natur o<strong>der</strong> die Gesellschaft außerhalb<br />

unser selbst, zugleich in uns sein kann, wird<br />

22_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

nicht mehr wie in <strong>der</strong> Theologie gelöst, so dass<br />

aus <strong>der</strong> Verschränkung von Außen und Innen das<br />

Auseinan<strong>der</strong>treten von Subjekt und Objekt wurde.<br />

Eine Vereinzelung machte sich breit.<br />

3 x 1 = 1: Der dreieinige Gott<br />

Wie soll man die unio mystica<br />

überhaupt <strong>den</strong>ken? Im<br />

Modell <strong>der</strong> Trinität verdeutlicht<br />

sich <strong>der</strong> Sachverhalt.<br />

Das Johannes-Evangelium<br />

beginnt mit <strong>den</strong> Worten:<br />

„Im Anfang war das Wort,<br />

und das Wort war bei Gott,<br />

und Gott war das Wort.“(1,1)<br />

Dieser Vers kennzeichnet<br />

<strong>den</strong> Vater. Vom Sohn sagt<br />

das Johannes-Evangelium:<br />

„Und das Wort ward Fleisch<br />

und wohnte unter uns, und<br />

wir sahen seine Herrlichkeit,<br />

eine Herrlichkeit als<br />

des eingeborenen Sohnes<br />

vom Vater, voller Gnade und<br />

Wahrheit.“(1,14) 9 Damit<br />

wird die Frage aufgeworfen,<br />

wie mehrere Personen in<br />

eins sein können, so dass<br />

sie ungeschie<strong>den</strong>, ungewandelt,<br />

ungetrennt gedacht<br />

wer<strong>den</strong> können. Das<br />

An<strong>der</strong>ssein soll im Vereintsein<br />

gedacht wer<strong>den</strong>. Die Kirchenväter nahmen<br />

ein Ausdrucksgeschehen innerhalb <strong>der</strong> einzelnen<br />

Personen an (Perichorese/Intercessio). Damit<br />

wurde ein physischer Raum aufgegeben und eine<br />

Liebessphäre angenommen, die das Verschie<strong>den</strong>sein<br />

eint. Innerhalb dieser Verbun<strong>den</strong>heit kann<br />

es keine Zeit geben, weil sie ein Nacheinan<strong>der</strong><br />

konstituieren würde. Es ist im Grunde die gleiche<br />

Redeweise, wie sie Cusanus mit seinem „maximum<br />

in minimum est unum“ meinte. Es entsteht


ein Personenraum, <strong>der</strong> keine Lokalisierung mehr<br />

braucht. Die Beziehung selbst wird <strong>der</strong> Ort <strong>der</strong><br />

Einheit. Die Beziehungen konstituieren Gott als<br />

Vater, als Sohn und als Heiligen Geist. An<strong>der</strong>s:<br />

Subjekt und Objekt sind relational und keine Orte.<br />

Gewalt und die Suche nach<br />

Beziehung<br />

Zwischen dem theologischen Denken und <strong>den</strong><br />

heutigen Anfor<strong>der</strong>ungen, offenbart sich eine<br />

überraschende Kongruenz. Kommunikation ist die<br />

Seinsweise des Menschen. 10 Existiert <strong>der</strong> Mensch<br />

als Person nur durch <strong>den</strong> kommunikativen Ort,<br />

<strong>der</strong> kein lokaler sein kann, dann ist für die Idee<br />

des sich selbst bestimmen<strong>den</strong> Individuums kein<br />

Platz. 11 Die verschie<strong>den</strong>en Sozialformen von Völkern<br />

innerhalb einer Gesellschaft, wie es heute<br />

vielfach in <strong>den</strong> westlichen Län<strong>der</strong>n gegeben ist,<br />

durchdringen sich (Perichorese) zu einer Einheit.<br />

Das eigene Sein wird zum Mitsein mit An<strong>der</strong>em.<br />

Gelingt die Perichorese aber nicht, dann stolpern<br />

wir über Heideggers Satz: „Je<strong>der</strong> ist <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e<br />

und Keiner er selbst.“ 12 Dann verschwimmt alles:<br />

das Fremde und die eigene I<strong>den</strong>tität. Dann wird<br />

<strong>der</strong> Mensch sich selbst o<strong>der</strong> <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en zur<br />

Hölle, wie es Sartre und Beckett beschrieben. Die<br />

verabsolutierte Seinsweise, die zu keiner Durchlässigkeit<br />

(Perichorese) mehr fähig ist, führt faktisch<br />

zur Abwertung des Menschseins – führt zur<br />

Hölle. Aber selbst in <strong>der</strong> Hölle bleibt ein Rest: Die<br />

Sehnsucht, in <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Rest begreift, irgendeinmal<br />

irgendjemandem nahe zu sein. Selbst in <strong>der</strong><br />

rohesten Gemeinschaft ist die vorrationale Grundlegung<br />

für das Personensein, das Außen möge<br />

Innen sein, lebendig. Nur im dumpfen Kollektiv<br />

ahnt das eigene, dumpfe Ich sich größer, realer als<br />

es ist. Der Sog <strong>der</strong> Sehnsucht nach Verschmelzung<br />

führt zu einer allgemeinen Innenweltentleerung. 13<br />

Die Seele gibt sich ans Außen ab, an das dumpfe<br />

Kollektiv. Begegnet man aber einer einzelnen<br />

Seele, zeigt sie sich zwar verschlossen und nicht<br />

kommunikativ, jedoch auch nicht unbedingt<br />

Faszinosum Gewalt<br />

entschlossen, sich mit Gewalt des Frem<strong>den</strong> zu<br />

bemächtigen. In <strong>der</strong> Gruppe jedoch tritt die<br />

einzelne Seele durch ihre Sehnsucht nach Geistesgemeinschaft<br />

in eine ekstatische Vorläufigkeit ein<br />

und prügelt sich oft durch das Fremde, um durch<br />

die Aggressivität seine Seele in einem ekstatischen<br />

Akt eine dumpfen Gemeinschaft zu erleben,<br />

die dann zu einer verschworen (unio mystica) wird.<br />

Die Clique richtet sich im ortlosen Ungeheurem ein<br />

und ist durch rationale Argumente nicht erreichbar,<br />

weil sie dann ihre I<strong>den</strong>tität verlöre.<br />

Nächstenliebe – Deine Sache!?<br />

Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst,<br />

gebietet das Matthäus-Evangelium (Mt 22,39). Im<br />

mo<strong>der</strong>nen Irrtum des Subjekt-Objekt-Schemas<br />

wird dieser Satz oft missverstan<strong>den</strong> und umformuliert:<br />

Erst muss ich mich selbst lieben lernen,<br />

bevor ich an<strong>der</strong>e wie mich lieben kann. Der Irrtum<br />

beschreitet einen doppelten Weg. Einmal glaubt<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Mensch, sich selbst lieben lernen zu<br />

können, bevor er an<strong>der</strong>e lieben kann, was ein<br />

lebenslanger Weg ist und keine Lebensetappe.<br />

Immer wird es Momente geben, in <strong>den</strong>en man sich<br />

nicht ausstehen kann. Das ist die Form <strong>der</strong> Selbstliebe,<br />

mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> Mensch kein Ende findet: Der<br />

an<strong>der</strong>e Mensch wird zum Objekt unter an<strong>der</strong>en<br />

Objekten. Zum an<strong>der</strong>en wird eingewandt, wenn ich<br />

<strong>den</strong> an<strong>der</strong>en liebe und mich nicht, liebe ich <strong>den</strong><br />

an<strong>der</strong>en nicht. Das ist nur eine Spielart des ersten<br />

Satzes. Auch hier herrscht das Subjekt-Objekt-<br />

Schema vor. Dass Mt. 22, 39 meinen könnte, dass<br />

durch <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en ich mich selbst konstituiere,<br />

kommt nicht in <strong>den</strong> Blick. Nachzeitigkeit ist nicht<br />

gemeint, son<strong>der</strong>n Gleichzeitigkeit. Das Matthäus-<br />

Evangelium meint keinen lokalen, son<strong>der</strong>n einen<br />

mentalen Ort. Wäre ein lokaler Ort gemeint, wäre<br />

auch eine Nachzeitigkeit angesprochen. Doch das<br />

Subjekt-Objekt-Schema kann nur räumlich <strong>den</strong>ken<br />

und daher nur in <strong>der</strong> Nachzeitigkeit. Dann wird das<br />

vorangehende Lieben von sich selbst o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

immer zum Verlust des eigenen Ichs führen. Das<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_23<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Faszinosum Gewalt<br />

ekstatische Element des Ichs, das das Ich begründet,<br />

tritt in <strong>den</strong> Hintergrund und verbeißt sich in<br />

eine sprachlichen Binnenwelt, die sich keiner<br />

sprachlichen Argumentation mehr zugänglich<br />

erweist. Doch das biblische Zitat weist gerade auf<br />

die Gleichzeitigkeit hin. „Wie dich selbst“ meint<br />

die Fähigkeit zur Antwort auf eine Auffor<strong>der</strong>ung<br />

des Außen. Das Innen will ja gerade nicht antworten.<br />

Aber im Nichtantworten würde es sich<br />

selbst verfehlen. Der bipolare Aspekt des Daseins<br />

würde verfehlt, würde man einer Seite <strong>der</strong> zweiteiligen<br />

Sphäre das Übergewicht zuerkennen. Der<br />

Mensch ist kein Wesen, das sich aus sich selbst<br />

erschafft.<br />

Je<strong>der</strong> wird zu einer unverwechselbaren Persönlichkeit<br />

durch an<strong>der</strong>e. Den an<strong>der</strong>en geht es nicht<br />

an<strong>der</strong>s. Dann sind wir alle einan<strong>der</strong> Spiegel und<br />

Hilfe zur Persönlichkeitswerdung. Dies drückt Mt<br />

22,39 aus: Liebe <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en (zur gleichen Zeit)<br />

wie dich selbst. Wer liebt, nimmt an. Wer annimmt,<br />

muss Person sein. Ein verwaschenes, dumpfes Ich<br />

Gaby ist unglücklich. Gaby hat stets an sich selbst<br />

zuletzt gedacht. Nie hat sie sich in <strong>den</strong> Vor<strong>der</strong>grund<br />

gestellt, geschweige <strong>den</strong>n gedrängelt. Hieß<br />

es: wer will in diesem Theaterstück die Hauptrolle<br />

übernehmen, schlug sie an<strong>der</strong>e statt sich vor.<br />

Hieß es: Wer hilft bei diesem Projekt? O<strong>der</strong>: Wer<br />

kann jene Aufgabe übernehmen? Tat sie es. Sie<br />

wurde rot, wenn sie gelobt wurde. Und wurde sie<br />

einmal selbst vorgeschlagen, in vor<strong>der</strong>ster Reihe<br />

zu stehen, wehrte sie verlegen, ja fast ängstlich<br />

ab. Einige Jungen hänselten sie wegen ihrer Beschei<strong>den</strong>heit.<br />

Dann weinte sie schnell. Und ihre<br />

Freundin beschwerte sich dann lauthals beim<br />

Lehrer über die Jungen. Aber auch da wehrte Gaby<br />

verlegen ab. Und dann kümmerte sich plötzlich<br />

Jens um sie. Ausgerechnet Jens. Er war nicht aufdringlich.<br />

Gewiss nicht. Aber zuversichtlich. Und<br />

ihrer Freundin vertraute sie an, sie sei überglücklich,<br />

dass Jens sich um ihre Zuneigung bemühe.<br />

Doch wisse sie gar nicht, was Jens eigentlich an ihr<br />

24_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

kann nieman<strong>den</strong> annehmen. Höchstens kann es<br />

bewun<strong>der</strong>n. Wer sich nicht selbst zu würdigen<br />

weiß, wie sollte er an<strong>der</strong>e würdigen können?<br />

Hinter Bewun<strong>der</strong>ung versteckt sich die Aufgabe,<br />

sich zu gestalten und gleichzeitig Spiegel für<br />

an<strong>der</strong>e zu sein.<br />

Vom Frem<strong>den</strong> zum Eigenen<br />

„Die Seele gibt dem Druck <strong>der</strong> ersten Überzeugung<br />

um so leichter nach, je weniger sie über<br />

einen eigenen Inhalt und ein inneres Gleichgewicht<br />

verfügt.“ 14 Dieser Satz aus Montaignes Essay<br />

über die Torheit, spricht sich gegen die Suggestion<br />

aus, dass unser Geist beurteilen könne, was<br />

wahr und falsch ist. Mit diesem Glauben nähert<br />

man sich oft rechtsradikalen Jugendlichen. Man<br />

traut <strong>der</strong> Vernunft zu, sie könne irrige Vorstellungen<br />

korrigieren und dann wür<strong>den</strong> mehr und mehr<br />

die Gewaltentäußerungen schwin<strong>den</strong>. Thomas<br />

Assheuer betont in seinem Zeit-Artikel 15 , dass<br />

gewaltwillige Gedanken in Jugendlichen sehr früh<br />

finde. Er, <strong>der</strong> so geliebt würde von allen, <strong>der</strong> so im<br />

Mittelpunkt des Interesses aller stände, könne sie<br />

doch gar nicht attraktiv fin<strong>den</strong>. Sie, so sagte später<br />

ihre Freundin, sei ganz hilflos. Sie glaube, Jens<br />

wolle sich im Grunde nur über sie lustig machen.<br />

Und als Jens merkte, dass Gaby weiterhin, trotz<br />

aller seiner Bemühungen, scheu und zurückgezogen<br />

blieb, ließ er von ihr ab. Nun ist Gaby unglücklich.<br />

Und, so sagte sie zu ihrer Freundin, sie fände<br />

das gar nicht gerecht, weil sie doch an sich selbst<br />

immer zuletzt <strong>den</strong>ke.<br />

Fragen zur Geschichte:<br />

Anscheinend liebt Gaby an<strong>der</strong>e mehr als sich<br />

selbst. O<strong>der</strong> liebt sie an<strong>der</strong>e gar nicht mehr als<br />

sich? Was hin<strong>der</strong>t sie <strong>den</strong>n, sich selbst zu lieben?<br />

Mt. 22,39 meint, wenn man an<strong>der</strong>e liebt, liebt man<br />

sich auch selbst und umgekehrt. Was meint ihr?


entstehen und sich gegenüber<br />

einer argumentativen<br />

<strong>Gegen</strong>darstellung<br />

als resistent erweisen.<br />

Peter Schnei<strong>der</strong> 16 meint,<br />

die Gewalt <strong>der</strong> Rechtsradikalen<br />

sei we<strong>der</strong> ein<br />

akademisches noch ein<br />

vorübergehendes Problem.<br />

Was hilft dann,<br />

rechtsradikale Jugendliche zu verstehen? Offensichtlich<br />

nicht unsere vernünftigen Weltentwürfe.<br />

Sie scheinen diesen Jugendlichen nicht einsichtig.<br />

Und eine definitorische Einordnung dieser<br />

Jugendlichen, die auf Abwarten setzt, weil sich<br />

solche „Jugendsün<strong>den</strong>„ leicht erledigen lassen,<br />

scheitert ebenso. Der Gedanke von Wilhelm Heitmeyer<br />

aus Bielefeld, dass sich rechtsradikales<br />

Gedankengut viel früher bilde als es naive Politiker<br />

annehmen, spricht die Erziehung an. Und<br />

Peter Schnei<strong>der</strong> fragt nach dem „Wie“ <strong>der</strong> Erziehung.<br />

Offensichtlich ist das Insistieren auf Einsicht<br />

nicht ausreichend. Die Methode <strong>der</strong> offenen<br />

Diskussion scheint keinen son<strong>der</strong>lichen Einfluss<br />

auf rechtsradikale Jugendliche zu haben. Sie<br />

scheint allgemeine Werte eher ins Beliebige zu<br />

rücken als Maximen für eine ethische Lebensführung<br />

vermitteln zu können. Im Eingangs erwähnten<br />

Zitat von Montaigne meldet sich <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruch<br />

von Meinung und Wissen an, und darüber hinaus<br />

spricht Montaigne von <strong>der</strong> gefestigten Seele, die<br />

falschen Einschätzungen wi<strong>der</strong>stehen kann. Ab<br />

wann ist <strong>den</strong>n die Seele in <strong>der</strong> Lage zu wi<strong>der</strong>stehen?<br />

Und muss sie von Wissen unterstützt wer<strong>den</strong>?<br />

Joachim Camerarius ist heut genauso unbekannt<br />

wie <strong>der</strong> große Pädagoge Christofero Landino. Der<br />

pädagogische Streit <strong>der</strong> Renaissance entzündete<br />

sich am Maß <strong>der</strong> Nachahmung. Geht durch das<br />

Nacheifern von Vorbil<strong>der</strong>n das Eigene verloren?<br />

Wie weit darf die Nachahmung gehen? Wird durch<br />

Nachahmung Neues verhin<strong>der</strong>t? Diese Fragen<br />

Faszinosum Gewalt<br />

wur<strong>den</strong> von Erasmus von Rotterdam aufgeworfen.<br />

Camerarius nimmt dazu Stellung und stellt fest:<br />

zur Nachahmung gibt es keine Alternative, sie<br />

liegt in <strong>der</strong> Natur des Menschen. 17 Denn <strong>der</strong> gesellschaftliche<br />

Mensch wird gemacht, nicht als solcher<br />

geboren. Das zeigt sich beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong> Frage<br />

nach <strong>der</strong> Toleranz. Lernen, Üben und Orientierung<br />

verlangen nach Vorbil<strong>der</strong>n. Dadurch kommt man<br />

zu einer Unterscheidung. Da <strong>der</strong> Mensch von<br />

Natur aus kein Maß zum Nächsten besitzt, dem er<br />

entgegen wächst, ist Nachahmung ein unentbehrliches<br />

<strong>Gegen</strong>stück zur Beliebigkeit, die schnell<br />

als Freiheit missverstan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> kann. Nachahmung<br />

ist das Überführen von Meinen in die<br />

Praxis. Dabei kommt <strong>der</strong> Sprache eine große<br />

Bedeutung zu. Sie vermittelt erprobte Denkweisen,<br />

auf die gerade Jugendliche zurückgreifen<br />

können. Die Nachahmung prägt sich vornehmlich<br />

durch Sprachfiguren ein. Doch sind Schlagworte<br />

noch keine zusammenhängende Rede, und damit<br />

auch keine Welterklärung. Vorbil<strong>der</strong> vermitteln<br />

eine zusammenhängende Rede für eine bestimmte<br />

Weltsicht. Wie Kin<strong>der</strong> von <strong>den</strong> Eltern das Leben<br />

empfangen, erlangen Jugendliche durch Vorbil<strong>der</strong><br />

Sprachfähigkeit. Durch solches Re<strong>den</strong> erschließt<br />

sich Zukunft, die auf die Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

<strong>Gegen</strong>wart antwortet.<br />

Johannes Schwarte 18 , so berichtet die FAZ, führt<br />

die zunehmende Verrohung von Kin<strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen, wie auch die Infantilisierung <strong>der</strong><br />

Erwachsenen auf <strong>den</strong> rapi<strong>den</strong> Verlust von nacheifernswerten<br />

Vorbil<strong>der</strong>n zurück. Die Gesellschaft<br />

mit ihrer wirtschaftlichen Rücksichtslosigkeit habe<br />

erst die Autorität des Vaters und nun auch die <strong>der</strong><br />

Mutter zerrüttet. Wo aber Vorbil<strong>der</strong> fehlen, da<br />

zieht die Gewalt ein. Ähnliches stellt Susanne<br />

Gaschke 19 fest. Kin<strong>der</strong> wer<strong>den</strong> zu Erwachsenen,<br />

was ihr Konsumverhalten betrifft, während die<br />

Erwachsenen infantilisieren. An<strong>der</strong>erseits können<br />

Eltern dem Druck des Konsums nicht mehr standhalten<br />

und verlangen ihrerseits, dass die Schule<br />

das leisten soll, was sie selbst nicht mehr leisten<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_25<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Faszinosum Gewalt<br />

können o<strong>der</strong> wollen. Dieser <strong>Trend</strong> beginne bereits<br />

im Kin<strong>der</strong>garten. 20 Schon hier zeigen sich Konzentrationsschwierigkeiten<br />

und Unangepasstheit.<br />

Ulrich Greiner 21 beschreibt anhand von Analysen<br />

von Norbert Elias, Richard Sennett und Erving<br />

Goffman, wie dem heutigen Individuum die Orientierung<br />

fehlt, die frühere Generationen durch<br />

Vorbil<strong>der</strong> erhalten haben. Welche Vorbil<strong>der</strong> präsentieren<br />

Schulen, die aus Geldnot ihre Tore für<br />

die Werbung öffnen? Deutlicher kann <strong>den</strong> Schülern<br />

nicht vor Augen geführt wer<strong>den</strong>, welche Autorität<br />

heute noch zählt und wem sie nacheifern müssen,<br />

um erfolgreich zu sein.<br />

Pädagogik <strong>der</strong> Grenzen<br />

Der nach Lebenssinn Suchende ist in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong><br />

Globalisierung allein gelassen. Gemeinschaft, die<br />

durchs Leben trägt, kollidiert mit <strong>den</strong> Alltagserfahrungen.<br />

Allgemein gilt: Die Familie hält zusammen<br />

gegen äußere Einflüsse. Das Vorbild<br />

des Zusammenhalts gegenüber einer feindlichen<br />

Umwelt führt zur Cliquen-Bildung, zu mafiosen<br />

Strukturen und zur Auflösung <strong>der</strong> Demokratie.<br />

Und da die Demokratie mehr und mehr zum<br />

Sprungbrett <strong>der</strong> Selbstdarstellung wird, führt sie<br />

schließlich zur Fragmentarisierung des Ich’s. Mit<br />

an<strong>der</strong>en Worten: Die höchste Entwicklung des<br />

Subjekts ist gleichzeitig seine Auflösung und<br />

Vermassung.<br />

Verurteilung und Ausgrenzung weichen dem Problem<br />

aus. Erklärungsmuster auf dem Bo<strong>den</strong> <strong>der</strong><br />

Aufklärung verfehlen das Anliegen, die Gewalttätigen<br />

in eine zivile Gesellschaft zurückzuführen.<br />

Wer grundsätzlich eine an<strong>der</strong>e Weltsicht hat, hat<br />

auch ein an<strong>der</strong>es Vokabular. Wer ein an<strong>der</strong>es<br />

Vokabular hat, kann nicht durch Argumente überzeugt<br />

wer<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n erfährt Fundamentalismus<br />

als einzige Antwort auf eine global expandierende<br />

technische Konsumwelt. Denn die Globalisierung<br />

antwortet auf die Begier<strong>den</strong> des Menschen, nicht<br />

aber auf die Frage nach dem Warum des Lebens.<br />

26_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Der Grund des Seins –Kick o<strong>der</strong><br />

Ekstase<br />

„Glaube“, schreibt Paul Tillich „ist das Ergriffensein<br />

von dem, was uns unbedingt angeht.“ 22 Alles,<br />

was uns angeht ist demnach Glaube. Was uns<br />

angeht, sind in <strong>der</strong> Regel Dinge, die unser persönliches<br />

Leben betreffen. Wer<strong>den</strong> diese Anliegen<br />

cliquenhaft ausgeweitet, bekommt <strong>der</strong> Glaube<br />

dämonische Züge und die Verheißungen wer<strong>den</strong><br />

diffus. Helfen Verheißungen nicht weiter, sollen<br />

Drohungen die Wünsche beför<strong>der</strong>n. Glaube ist<br />

keine Erkenntnis, kein für wahr halten, son<strong>der</strong>n<br />

besitzt eine logische Evi<strong>den</strong>z. 23 Ein Willensakt, zu<br />

dem man jeman<strong>den</strong> aufruft, kann Glaube nicht<br />

sein, <strong>den</strong>n <strong>der</strong> Mensch ist nicht in <strong>der</strong> Lage, sich<br />

durch Willen, Gewissheit zu verschaffen. 24 Ebenso<br />

wenig ist <strong>der</strong> Glaube eine subjektive Gemütsbewegung,<br />

ein Gefühl. Werde ich von dem ergriffen, was<br />

mich unbedingt angeht, so ist alles von mir davon<br />

ergriffen: Gefühl, Wille und Verstand. Das aber<br />

kann nicht auf eine Ergriffenheit des Subjekts<br />

beschränkt wer<strong>den</strong>. 25 Vielmehr übersteigt Glaube<br />

das Subjekt und weist auf eine menschliche Befindlichkeit,<br />

die alle angeht.<br />

Folgt man dieser Auffassung von Glauben, so wird<br />

rasch klar, dass aufklärerische Konzepte, die sich<br />

Erfolg durch vernünftige Argumente erhoffen,<br />

existentiale Än<strong>der</strong>ungen nicht herbeiführen können.<br />

Herzinger betont, dass <strong>der</strong> Rechtsradikalismus<br />

eine <strong>Gegen</strong>welt zur demokratischen ist.<br />

Wären Rechtsradikale vernünftigen Argumenten<br />

zugänglich, stün<strong>den</strong> sie zumindest partiell auf<br />

dem gleichen Grund wie die aufgeklärten Demokraten.<br />

26 Aber sie haben sich hermetisch in ihrem<br />

ahistorischen Glauben eingeigelt.<br />

Wie soll die Gesellschaft darauf reagieren? Sie<br />

schwankt zwischen hartem Durchgreifen und<br />

Verstehen. Das Verstehen wird jedoch immer mehr<br />

erschwert, je mehr Kin<strong>der</strong> kriminell wer<strong>den</strong>. Das<br />

allgemeine Bild von <strong>der</strong> Unschuldigkeit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>


driftet. 27 Die jahrelange Auffor<strong>der</strong>ung an die nachwachsende<br />

Jugend, ihre Selbstverwirklichung<br />

selbst in die Hand zu nehmen, trägt Früchte, die<br />

die Ermunterer nicht beabsichtigten.<br />

Eine Frucht ist sicherlich die Langeweile, die<br />

allenthalben empfun<strong>den</strong> wird, weil man sich vom<br />

Quell des Seins ausgeschlossen fühlt. Sie erzeugt<br />

einen so großen Lei<strong>den</strong>sdruck, dass das Risiko<br />

bewusst gesucht wird, um sich dem Sein näher zu<br />

fühlen. Der begehrte„Kick„ geistert durch alle<br />

Schichten des Volkes und hat sich in allen Überzeugungen<br />

eingenistet. Da suchen die besser<br />

betuchten Jugendlichen <strong>den</strong> „Kick“ in <strong>den</strong> sogenannten<br />

Risiko-Sportarten 28 , da springen zwei<br />

jugendliche Mädchen in Berlin-Marzahn bewusst<br />

in <strong>den</strong> Tod, um <strong>der</strong> Langeweile zu entrinnen; Politiker<br />

bauen mitten in <strong>der</strong> Demokratie ein personales<br />

Imperium auf; Konzerne fusionieren zu<br />

gigantischen Unternehmen; Zlatko wird durch Big<br />

Brother seiner dumpfen Anonymität entrissen;<br />

Touristen fahren vermehrt in Spannungsgebiete.<br />

Von <strong>den</strong> Grenzen des Möglichen her will sich je<strong>der</strong><br />

begreifen. Der „Kick“ ist kein Phänomen, das sich<br />

nur auf Hooligans o<strong>der</strong> die rechte Gewaltszene<br />

beschränkt. Horst W. Opaschowski, <strong>der</strong> Leiter des<br />

B.A.T. (British American Tobacco) kann <strong>der</strong> Langenweile,<br />

die selbst das größte Risiko nicht scheut,<br />

sogar eine positive Seite abgewinnen, wenn er<br />

meint, dass die Langeweile und ihr Hang zur<br />

Risikobereitschaft in manchen Fällen Gewalt<br />

abbaue, 29 weil sie sich in Risikosportarten entlade.<br />

Lei<strong>der</strong> verfügen Jugendliche aus weniger bemittelten<br />

Elternhäuser nicht über die nötigen Mittel,<br />

ihre Aggressionen auf diese Weise abzubauen.<br />

Vielleicht wäre es nach Opaschowski ein probates<br />

Mittel, wenn <strong>der</strong> Staat allen Jugendlichen die<br />

nötigen Mittel bereitstellte, um so die Gewalt zu<br />

verhin<strong>der</strong>n. Lei<strong>der</strong> greifen aber auch Jugendliche<br />

aus dem „besseren Milieu“ zum Mittel Gewalt.<br />

Und Opaschowski räumt selbst ein, dass <strong>der</strong><br />

„Kick“ nur manchmal Gewalt verhin<strong>der</strong>e. Dieses<br />

„Manchmal“ ist zu vage. Vielmehr verbirgt sich<br />

Faszinosum Gewalt<br />

hinter <strong>der</strong> Langenweile eine Seinsverlorenheit, zu<br />

<strong>der</strong> die B.A.T.-Studie nicht vordringt, weil sie sich<br />

mit <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>gründigen Langenweile zufrie<strong>den</strong><br />

gibt. Die Frage, wo <strong>der</strong> Mensch gründet, lässt ihn<br />

bis an die Grenzen gehen. Sich zu spüren, ist das<br />

Ziel; nicht, sich zu zerstreuen. Nicht die Fragmentarisierung,<br />

son<strong>der</strong>n die I<strong>den</strong>tität wird angestrebt.<br />

Gefun<strong>den</strong> wird in <strong>der</strong> Zerstreuung jedoch<br />

nur das Fragmentarische. Solange wir diesen<br />

Sachverhalt nur bei <strong>den</strong> Jugendlichen suchen und<br />

Erwachsene aus dem Blick lassen, wer<strong>den</strong> wir<br />

kaum die Sehnsucht <strong>der</strong> Jugendlichen erkennen.<br />

Sie wachsen ja nicht in einem traditionsleeren<br />

Raum auf. Sie lösen sich nicht von <strong>der</strong> älteren<br />

Generation, ohne zu über<strong>den</strong>ken, wie dies geschehen<br />

kann. Es ist ein Band vorhan<strong>den</strong> zwischen <strong>den</strong><br />

Generationen. Entwurzelt aber die ältere Generation,<br />

dann entwurzelt auch die jüngere. Denn ihr<br />

Suchen nach Eigenem richtet sich vielfach nach<br />

dem Gefun<strong>den</strong>sein <strong>der</strong> Älteren. Gebär<strong>den</strong> sich<br />

aber gerade die Älteren als die Lebendigern,<br />

sprich: exzesshafteren, dann entwickelt sich ein<br />

konkurrenter Lauf und die Alten lassen die Jungen<br />

nicht jung sein, weil sie es selbst sein wollen, und<br />

die Jungen wollen die Alten im Jungsein übertreffen.<br />

Die Leugnung des Lebensalters äußert sich als<br />

Seinsverlorenheit. Der Tod stellt sich als Unfall und<br />

Selbstverschuldung dar. Wer stirbt hat entwe<strong>der</strong><br />

zu viel geraucht, zu viel gegessen o<strong>der</strong> überhaupt<br />

ungesund gelebt. Wenn biologische Grenzen<br />

geleugnet und permanent überschritte wer<strong>den</strong>,<br />

muss man sich dann nicht wun<strong>der</strong>n, wenn Jugendliche<br />

moralische Grenzen überschreiten? Setzt die<br />

Natur uns nicht Verhaltensgrenzen, aus <strong>den</strong>en<br />

moralische Regeln folgen? Die Leugnung <strong>der</strong><br />

Endlichkeit des Seins führt zur Seinsverlorenheit.<br />

Alle Möglichkeiten sollen je<strong>der</strong>zeit allen offen<br />

stehen, unabhängig vom Alter. Wir vergessen, dass<br />

<strong>der</strong> Tod, unserem Leben Sinn verleiht, weil er uns<br />

zu Entscheidungen zwingt, indem er uns begrenzt.<br />

Je mehr uns ein Jenseits entschwindet, desto<br />

weniger können wir dem Diesseits folgen. Wir<br />

verriegeln uns in einem optimalen, erträumten<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_27<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Faszinosum Gewalt<br />

Der Prediger schreibt (Prediger 3,16-22): Weiter<br />

sah ich unter <strong>der</strong> Sonne: An <strong>der</strong> Stätte des Rechts<br />

war Gottlosigkeit, und an <strong>der</strong> Stätte <strong>der</strong> Gerechtigkeit<br />

war Frevel. Da sprach ich in meinem Herzen:<br />

Gott wird richten <strong>den</strong> Gerechten und <strong>den</strong> Gottlosen;<br />

<strong>den</strong>n alles Vorhaben und alles Tun hat seine<br />

Zeit. Ich sprach in meinem Herzen: Es geschieht<br />

wegen <strong>der</strong> Menschenkin<strong>der</strong>, damit Gott sie prüfe<br />

und sie sehen, dass sie selber sind wie das Vieh.<br />

Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh: wie<br />

dies stirbt, so stirbt auch er, und sie haben alle<br />

einen Odem, und <strong>der</strong> Mensch hat nichts voraus vor<br />

dem Viel; <strong>den</strong>n alles ist eitel. Es fährt alles an<br />

einen Ort. Es ist alles aus Staub gewor<strong>den</strong> und<br />

wird wie<strong>der</strong> zu Staub. Wer weiß, ob <strong>der</strong> Odem <strong>der</strong><br />

Menschen aufwärts fahre und <strong>der</strong> Odem des Viehs<br />

hinab unter die Erde fahre. Und <strong>der</strong> Prediger fährt<br />

fort (Prediger 4,8-12): Da ist einer, <strong>der</strong> steht allein<br />

und hat we<strong>der</strong> Kind noch Bru<strong>der</strong>, doch ist seiner<br />

Zustand und meinen, darauf ein verbrieftes Recht<br />

zu haben. Doch das Jenseits wird deshalb nicht<br />

obsolet, son<strong>der</strong>n unser Feind. Wir müssen es<br />

bekämpfen, um unser vermeintlich diesseitiges<br />

Leben zu retten. Der Tod wird zur persönlichen<br />

Nie<strong>der</strong>lage. Und das hartnäckige Leugnen <strong>der</strong><br />

Transzen<strong>den</strong>z zur Hoffnungslosigkeit. Das irdische<br />

Leben ist tragisch vorgezeichnet. Ein gigantischer<br />

Kampf entwickelt sich. Der Kampf gegen das Sein.<br />

Wir wollen mehr als das Sein sein und müssen es<br />

gerade deswegen verfehlen.<br />

Verstehen o<strong>der</strong> Abschrecken?<br />

Was ist zu tun? Konzepte, die in <strong>der</strong> frühen Sozialisation<br />

(Kindheit) die Ursachen für <strong>den</strong> heutigen<br />

Zustand suchen, fin<strong>den</strong> immer weniger Berücksichtigung,<br />

weil sie keine Erklärung geben, warum<br />

auch im Jugendalter zukunftsweisende Erlebnisse<br />

eintreten. Der Schrei nach härteren Maßnahmen<br />

übersieht, dass we<strong>der</strong> die Fixierung auf die frühe<br />

Kindheit noch eine Verantwortung ohne Einübung<br />

eine Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Verhältnisse bringen. Härtere<br />

28_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Mühe kein Ende, und seine Augen können nicht<br />

genug Reichtum sehen. Für wen mühe ich mich<br />

<strong>den</strong>n und gönne mir selber nichts Gutes? Das ist<br />

auch eitel und eine böse Mühe. So ist’s ja besser<br />

zu zweien als allein; <strong>den</strong>n sie haben guten Lohn<br />

für ihre Mühe. Fällt einer, so hilft ihm sein Gefährte<br />

auf. Weh dem, <strong>der</strong> allein ist, wenn er fällt. Dann<br />

ist keiner da, <strong>der</strong> ihm aufhilft. Auch wenn zwei<br />

beieinan<strong>der</strong> liegen, wärmen sie sich; wie aber<br />

kann einem Einzelnen warm wer<strong>den</strong>? Einer mag<br />

überwältig wer<strong>den</strong>, aber zwei können wi<strong>der</strong>stehen,<br />

und eine dreifache Schnur reißt nicht leicht<br />

entzwei.<br />

Der erste Text warnt vor menschlichen Hochmut<br />

und <strong>der</strong> zweite tröstet <strong>den</strong>, <strong>der</strong> hochmütig war<br />

und weist ihm die Gemeinschaft an als Rettung<br />

aus seiner Vereinsamung, wo <strong>der</strong> Hochmut hineinführt.<br />

Maßnahmen können nicht dem Schutz <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

dienen. Sie bringen kurzfristig Lösungen,<br />

weil sie die Probleme amputieren. Verän<strong>der</strong>ungen<br />

grün<strong>den</strong> in <strong>der</strong> Übernahme von Verantwortung.<br />

Geschieht sie, ergäben sich an<strong>der</strong>e Metho<strong>den</strong>.<br />

Statt Rache und gesellschaftliche Sicherheit stünde<br />

die Einübung in einen existentiellen Habitus im<br />

Vor<strong>der</strong>grund. Kurz: statt Ausgrenzung Einglie<strong>der</strong>ung,<br />

die dann gelingt, wenn gelernt wird, Pflichten<br />

zu übernehmen.<br />

Nachsicht o<strong>der</strong> Verantwortung?<br />

Wie immer, wenn ein Thema im Vor<strong>der</strong>grund steht,<br />

scheint sich alles auf dieses Thema zu reduzieren<br />

und düstere Aussichten gewinnen die Oberhand.<br />

So geschieht es auch beim Thema Gewalt. Die<br />

Konzentrierung auf dieses Thema lässt <strong>den</strong> Blick<br />

auf an<strong>der</strong>e ruhen. Aber es gibt auch an<strong>der</strong>e Gruppen<br />

als nur solche, die Gewalt als Lebensinhalt<br />

begreifen. Die Ausdifferenzierung <strong>der</strong> Jugendgruppen<br />

könnte auch als Sehnsucht nach Geborgenheit,<br />

nach einem gemeinsamen, geschützten


Raum verstan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>, in dem eine neue Form<br />

von Solidarität und Gemeinschaft heranwächst. In<br />

<strong>den</strong> Berichterstattungen stehen viel zu oft die<br />

Gewaltgruppen im Vor<strong>der</strong>grund. An<strong>der</strong>erseits<br />

dürfen gewaltbereite Gruppen nicht verharmlost<br />

wer<strong>den</strong>. Gewalt ist niemals marginal für eine<br />

Gesellschaft. Und wer Nachsicht übt, in dem<br />

er rechtsradikale Gruppierungen als Ran<strong>der</strong>scheinungen<br />

ausgibt, <strong>den</strong>unziert die an<strong>der</strong>en<br />

Jugendgruppen. Gewalt verlangt per se eine<br />

Stellungsnahme. Nachsicht schiebt die Übernahme<br />

von Verantwortung fort. Modelle, die begreifen<br />

wollen, wie es zur Gewaltentäußerung kommt,<br />

sollen <strong>den</strong> Täter begreifen, jedoch mit <strong>der</strong> Tat<br />

keine Nachsicht üben. Daher ist es nötig auf die<br />

Tat eine Nach-Sicht zu werfen, um weiterem gewalttätigem<br />

Handeln zu wehren. Der Glaube macht<br />

<strong>den</strong> Menschen, nicht seine Taten, formulierte<br />

bereits Martin Luther. Solchen Glauben gilt es zu<br />

erkennen. Nur wenn man die Taten verurteilt, kann<br />

man <strong>den</strong> Täter retten. Je mehr Nach-Sichten wir<br />

üben, desto mehr nachwachsende Täter können<br />

wir aus dem dumpfen Dunst einer Gewaltatmosphäre,<br />

die Geborgenheit vorspiegelt retten.<br />

Früher, so führt Peter Sloterdijk 30 aus, umschloss<br />

Gott alles. Und alles war in ihm. Doch mit <strong>der</strong><br />

Dimension <strong>der</strong> Unendlichkeit, mit <strong>der</strong> Gott näher<br />

konkretisiert wer<strong>den</strong> sollte, verlor sich das Bergende.<br />

Nun waren alle Menschen irgendwo im<br />

Unendlichen verstreut. Gott wurde unanschaulich.<br />

Er mutierte zu einem „Monstrum“ für menschliche<br />

Versuche, Unendliches zu fassen. Die Postmo<strong>der</strong>ne<br />

wandte sich von <strong>der</strong> metaphysischen<br />

Kategorie des Unendlichen ab und versuchte<br />

keine Einheit <strong>der</strong> Anschauungen mehr zu entwickeln.<br />

Sie näherte sich <strong>den</strong> Sprachspielen,<br />

Handlungsmustern, und „Ereignissen“, die Sinn<br />

liefern sollten. 31 Doch warum <strong>der</strong> Mensch nicht<br />

mehr durch sein Wesen, son<strong>der</strong>n durch Ereignisse<br />

konstituiert wer<strong>den</strong> soll, wurde nicht einsichtig.<br />

Wo ist <strong>den</strong>n <strong>der</strong> Ort des Menschen, wenn er im<br />

Ungeheuerlichen wohnt und nicht mehr im Ber-<br />

Faszinosum Gewalt<br />

gen<strong>den</strong>? Sloterdijks Antwort ist: Im Egoismus. Das<br />

Drehen um das Selbst und nur für sich zu sorgen,<br />

ist die Konstante, die Individuum, Staat, Familie<br />

und Wirtschaft eint. Doch näher kommen sich die<br />

Menschen nicht. Unterschlagen wird, dass Atmosphären<br />

sind, die alle Kommunizieren<strong>den</strong><br />

einschließen und sie gegenseitig wer<strong>den</strong> lässt.<br />

Atmosphären es sind we<strong>der</strong> Worte noch Dinge.<br />

Atmosphären sind auch nie Sache eines einzelnen.<br />

32 Atmosphären bil<strong>den</strong> sich durch viele. Sie<br />

eröffnen für einan<strong>der</strong> einen Raum.<br />

Die von mehreren erzeugten Räume sind ungegenständlich<br />

und unbeherrschbar. Die Mittel, um<br />

solche Räume zu erweitern sind verschie<strong>den</strong>.<br />

Einmal kann man das Äußere ins Innere integrieren.<br />

Diesen Weg beschritt das Christentum. Das<br />

Fremde wurde als Eigenes erkannt. Die Hingabe an<br />

das größere Ganze ermöglichte die Anerkennung<br />

des Frem<strong>den</strong>. Das „Böse“ (Fremde) wird verwandelt.<br />

Der an<strong>der</strong>e Weg <strong>der</strong> Atmosphärenerweiterung<br />

benötigt einen Sün<strong>den</strong>bock. Es entsteht ein Gefälle<br />

vom Guten (Innen) zum Bösen (Außen). Der<br />

Sün<strong>den</strong>bock wird ritualisiert, um eine Gruppensphäre<br />

zu erzeugen. In dieser Opferatmosphäre<br />

bildet sich aus Erregung und Einredung das Heilige<br />

einer Gruppe. In diesem Klima wachsen Ehrfurcht,<br />

Opferbereitschaft und Schuldgefühle<br />

gegenüber <strong>der</strong> Gruppe. Es entwickelt sich ein<br />

Täterkollektiv um ein Opfer, das die Gruppe zusammenhält.<br />

Daher braucht die Gruppe, um eine<br />

homogene Einheit zu bleiben, immer wie<strong>der</strong> neue<br />

Opfer, die <strong>der</strong> Gruppe zugleich numinos, unheimlich<br />

und verachtenswert erscheinen. Gerade weil<br />

<strong>der</strong> Sün<strong>den</strong>bock zu einem unheimlichen Gegner<br />

wird, <strong>der</strong> die Gruppe bedroht wie erhält, gewinnt<br />

die Sprache <strong>der</strong> Gruppe über ihren Sün<strong>den</strong>bock<br />

zugleich abwerten<strong>den</strong> wie beschwören<strong>den</strong> Charakter.<br />

33<br />

Gewaltgruppen können Frie<strong>den</strong> immer nur als<br />

Durchsetzung <strong>der</strong> eigenen Machtvorstellungen<br />

<strong>den</strong>ken. Dagegen wollen Gruppen, die integrieren<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_29<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Faszinosum Gewalt<br />

Frie<strong>den</strong> durch Geist und Einsicht erreichen. Wo<br />

<strong>der</strong> Staat versagt und versagen muss, sollte die<br />

Kirche helfen. Individualität setzt einen überschaubaren<br />

Lebensraum voraus. Wer kann Lebensräume<br />

schaffen, wenn <strong>der</strong> Staat dem Druck <strong>der</strong><br />

Wirtschaft folgt? Der Staat kann das Miteinan<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Menschen regeln, aber nicht Sinn im Leben<br />

des Einzelnen stiften. Die Abschaffung des Religionsunterrichts<br />

und an<strong>der</strong>er geisteswissenschaftlicher<br />

Fächer in <strong>den</strong> Ausbildungsinstitutionen<br />

erklärt die Sinnfrage des Lebens zur Randfrage<br />

und macht das Leben des Einzelnen zur Bagatelle.<br />

Je mehr die Wirtschaft dem irdischen Leben<br />

Glückseligkeit verspricht und nicht einhalten<br />

kann, desto mehr wächst das Verlangen danach<br />

und die Vorstellung, ein einklagbares Recht darauf<br />

zu besitzen. Und dann wird es spannend,<br />

welche Strategien einem zur Verfügung stehen,<br />

um auch an sein (vermeintliches) Recht zu kommen.<br />

Klaus Zastrow<br />

1 Jacques Lacan: Schriften I, Frankfurt 1975, S. 63-<br />

2<br />

70.<br />

Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen 1967,<br />

S. 53-54.<br />

3 Martin Heidegger: a.a.O. S. 57.<br />

4 Martin Heidegger: a.a.O. S. 62.<br />

5 Martin Heidegger: a.a.O. S. 107.<br />

6 Nikolaus von Kues: Die philosophisch-theologischen<br />

Schriften, Lateinisch-Deutsch, Wien 1989,<br />

Bd.3, S. 97-99, („De visione Die sive de icona“<br />

von 1453).<br />

7 Nikolaus von Kues: ebenda, S. 107. Vgl. auch<br />

Röm 5,5.<br />

30_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

8 Nikolaus von Kues: a.a.O. S. 263, (Dialogus de<br />

ludo globoli, Liber primus von 1462).<br />

9 Vgl. auch Joh 14,9.11.26.<br />

10 Es sei nebenbei an das Experiment Friedrich II.<br />

von Staufen erinnert, <strong>der</strong> erfahren wollte, welche<br />

Sprache Kin<strong>der</strong> von Natur aus sprechen,<br />

wenn sie keine Sprache erlernen. Vgl. Umberto<br />

Eco: Die Suche nach <strong>der</strong> vollkommenen Sprache,<br />

Frankfurt 1994, S. 13.<br />

11 Peter Sloterdijk: a.a.O. S. 639.<br />

12 Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen 1967,<br />

S. 128.<br />

13 Peter Sloterdijk: a.a.O. S. 643.<br />

14 Michel de Montaigne: Die Essais, 1. Buch, 25.<br />

Kapitel, Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8308,<br />

Stuttgart 1969, S. 97.<br />

15 Thomas Assheuer: Rechte Gewalt und Neue<br />

Mitte, „Die Zeit“ Nr. 36 vom 31. 8. 2000.<br />

16 Peter Schnei<strong>der</strong>: Der Zerfall des Zivilen, „Die<br />

Zeit“ Nr. 32 vom 3. 8. 2000.<br />

17 Hanna-Barbara Gerl-Falkowitz: Wie wird <strong>der</strong><br />

Mensch zum Menschen? Die Wichtigkeit<br />

<strong>der</strong> Nachahmung bei Joachim Camerarius,<br />

in: Hanna-Barbara Gerl-Falkowitz: Die zweite<br />

Schöpfung <strong>der</strong> Welt, Mainz 1994, S. 164f.<br />

18 Arnulf Baring: Erziehungssabotage, von Arnulf<br />

Baring, FAZ, Nr. 136, Mittwoch 14.6.00.<br />

19 Susanne Gaschke: Ende <strong>der</strong> Kindheit. in: Die<br />

Zeit, Nr. 17, 19. April 00<br />

20 Susanne Gaschke: Prima für Kevin, in: Die Zeit<br />

Nr. 25 vom 15. Juni 2000.


21 Ulrich Greiner: Versuch über die Intimität.<br />

Von Ballermann bis zu ,,Big Brother”, vom<br />

Internet bis zur Talkshow, in: Die Zeit, Nr. 18<br />

vom 27.4.2000.<br />

22 Paul Tillich: Wesen und Wandel des Glaubens,<br />

Ullstein Buch 318, 1961, S. 9.<br />

23 Paul Tillich: a.a.O. S. 41ff.<br />

24 Paul Tillich: a.a.O. S. 49.<br />

25 Paul Tillich: a.a.O. S. 51.<br />

26 Richard Herzinger: Der Hass zum Tode. Liberale<br />

Diskursgesellschaft und rechte Gewalt, „Die<br />

Zeit“ Nr. 33 vom 10. August 2000.<br />

27 Thomas Darnstädt: Angriff auf die bösen Jungs,<br />

„Der Spiegel“ Nr. 12/ 1999.<br />

28 Vgl. „Schaumburger Nachrichten“: Risikosport<br />

gegen Öde im Alltag, vom 20. September 2000.<br />

29 „Schaumburger Nachrichten“: a.a.O.<br />

30 Peter Sloterdijk: Sphären, Bd. 2, Frankfurt 1999,<br />

S. 131ff.<br />

31 Hans Joachim Türk: Postmo<strong>der</strong>ne, Stuttgart<br />

1990, S. 64f.<br />

32 Vgl. hierzu: Gernot Böhme: Atmosphäre. Essays<br />

zur neuen Ästhetik, Frankfurt 1995.<br />

33 Peter Sloterdijk: Sphären, Bd. 2, S. 159 – 195.<br />

Faszinosum Gewalt<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_31<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Faszinosum Gewalt<br />

32_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …


›› Wie wirkt<br />

Musik?


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Wie wirkt Musik?<br />

Die Affekte,<br />

Begriffsbestimmungen<br />

1) außerwissenschaftliche<br />

Definitionen:<br />

Ärger<br />

durch Mißfallen an etwas, durch Unzufrie<strong>den</strong>heit,<br />

Enttäuschung o.ä. hervorgerufenes Gefühl des<br />

Unwillens.<br />

(Du<strong>den</strong> „Bedeutungswörterbuch”/ hrsg. u. bearb.<br />

Von Wolfgang Müller. Unter Mitarb.. d. Du<strong>den</strong>red.:<br />

Wolfgang Eckey ...-2. völlig neu bearb.. u. erw..<br />

Aufl.-Mannheim; Wien; Zürich: Bibliographisches<br />

Institut, 1985, S.69. )<br />

bewußtes, von starker Unlust u. [aggressiver]<br />

innerer Auflehnung geprägtes [erregtes] Erleben<br />

[vermeintlicher] persönlicher Beeinträchtigung,<br />

insbeson<strong>der</strong>e dadurch, daß etwas, nicht ungeschehen<br />

zu machen, zu än<strong>der</strong>n ist; Aufgebrachtsein,<br />

heftige Unzufrie<strong>den</strong>heit, [heftiger] Unmut,<br />

Unwille, heftige Verstimmung, Mißstimmung.<br />

(Du<strong>den</strong> „Deutsches Universalwörterbuch”/ hrsg.<br />

u. bearb. vom Wiss. Rat u. d. Mitarb.. d. Du<strong>den</strong>-red.<br />

unter Leitung von Günther Drosdowski. [Un-ter<br />

Mitw. von Brigitte Alsleben ...]. - Mannheim; Wien;<br />

Zürich: Bibliographisches Institut, 1983, S.99.)<br />

ärgern: „erzürnen, reizen”: Das Verb mhd. ergern,<br />

argern, ahd. argorôn, ergirôn ist von … abgeleitet<br />

und bedeutet demnach eigentlich „schlimmer,<br />

böser, schlechter machen” . Abl.: Ärger (18.Jh.).<br />

(Du<strong>den</strong> „Etymologie”: Herkunftswörterbuch <strong>der</strong><br />

deutschen Sprache. 2., völlig neu bearb.. u. erw..<br />

Aufl./ von Günther Drosdowski. Mannheim; Wien;<br />

Zürich: Du<strong>den</strong>verl., 1989, S.44.)<br />

Wut<br />

[sich in heftigen, zornigen Worten und/o<strong>der</strong> unbeherrschten<br />

Handlungen äußern<strong>der</strong>] Zustand äu-<br />

34_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

ßerster Erregung.<br />

(s.o.: Du<strong>den</strong> „Bedeutungswörterbuch”,S.765.)<br />

heftiger, unbeherrschter, durch Ärger o.ä. hervorgerufener<br />

Gefühlsausbruch, <strong>der</strong> sich in Miene,<br />

Wort und Tat zeigt.<br />

(s.o.: Du<strong>den</strong> „Deutsches Universalwörterbuch”,<br />

S.1458. )<br />

das Substantiv mhd., ahd. wuot ist eine Bildung zu<br />

dem gemeingerm. Adjektiv ahd. wuot „unsinnig”,<br />

got. Wôds „wütend, besessen”, aengl. wôd, aisl.<br />

ôdr „rasend”.<br />

Daneben steht das an<strong>der</strong>sgebildete Substantiv<br />

aengl. Wôd „Ton Stimme, Dichtung”, aisl. ôdr<br />

„Dichtung, Dichtkunst”. Damit ist wohl <strong>der</strong> Göttername<br />

ahd. Wuotan, aengl. Wô<strong>den</strong>, aisl. Odinn<br />

verwandt, <strong>der</strong> wahrscheinlich eigentlich „rasen<strong>der</strong><br />

Gott, Dämon” bedeutet. Die germ. Wörter sind<br />

wohl verwandt mit lat. vates „Wahrsager, Seher”<br />

und air. fâith „Seher, Prophet”.<br />

(s.o.: Du<strong>den</strong> „Etymologie”:Herkunftswörterbuch<br />

<strong>der</strong> deutschen Sprache,S.821.)<br />

Unmut<br />

durch das Verhalten an<strong>der</strong>er ausgelöstes starkes<br />

Gefühl <strong>der</strong> Unzufrie<strong>den</strong>heit, des Mißfallens, des<br />

Verdrusses.<br />

(s.o.: Du<strong>den</strong> „Deutsches Universalwörterbuch”,<br />

S.1330.)<br />

2) Wissenschaftliche Definition<br />

Ärger<br />

Ärger in <strong>den</strong> Emotionstheorien: Ärger entsteht<br />

infolge einer Störung, eines Hin<strong>der</strong>nisses, eines<br />

missfälligen Ereignisses; Ärger aktiviert, mit welchen<br />

Mitteln auch immer. Der Ausdruck des Ärgers<br />

mag ursprünglich an<strong>der</strong>e davor gewarnt haben,<br />

dass Wi<strong>der</strong>stand droht das kann er natürlich auch<br />

heute noch tun. Ein weiteres Element einbringt,


sind die kognitiven Theorien, die davon ausgehen,<br />

dass Ärger dann einsetzt, wenn ein an<strong>der</strong>e Mensch<br />

sich nicht an soziale Normen bzw. persönlich bedeutsame<br />

Standards hält.<br />

Begeisterung/Besessenheit<br />

Verän<strong>der</strong>ter Bewusstseinszustand, in dem sich<br />

<strong>der</strong> Erlebende von einer frem<strong>den</strong> Macht „in Besitz<br />

genommen” fühlt. B.-Zustände wer<strong>den</strong> in<br />

Trancekulten, die auf schamanische Wurzeln<br />

zurückzuführen sind, vor allem durch frenetische<br />

Bewegungen, monotone Musik, Tanz und heftiges<br />

Atmen hervorgerufen. Während <strong>der</strong> B.-Trance<br />

verliert <strong>der</strong> Erlebende sein gewöhnliches Verhältnis<br />

zu seinem psychischen Bezugsmittelpunkt,<br />

seinem Ich. Wesentliches Element <strong>der</strong> B. ist ihr<br />

religiöser Charakter (Ekstase). Insofern ist die B.<br />

die phänomenologisch folgerichtigste Form <strong>der</strong><br />

enthusiastischen Ergriffenheit. Die B. zählt zu<br />

einem in allen Teilen <strong>der</strong> Welt von alters her verbreiteten<br />

Phänomen, das als Hinweis für <strong>den</strong> dem<br />

Menschen innewohnen<strong>den</strong> Wunsch gesehen<br />

wer<strong>den</strong> kann, die transzen<strong>den</strong>te Wirklichkeit o<strong>der</strong><br />

die göttliche Sphäre zu erfahren und zu erleben<br />

(mystische Erfahrung). In <strong>der</strong> christlichen Religionsgeschichte<br />

begegnet uns das Phänomen <strong>der</strong><br />

B. als B. von Dämonen und Teufeln. Dem Rituale<br />

Romanum zufolge erkennt man Besessene nicht<br />

nur an blasphemischen, obszönen Äußerungen<br />

und Handlungen, son<strong>der</strong>n vor allem an ihren<br />

paranormalen Fähigkeiten, einschließlich des<br />

Sprechens und Verstehens frem<strong>der</strong> Sprachen.<br />

Ekstase<br />

[von griech. Ekstasis „Aus-sich-Heraustreten”]<br />

Bewusstseinszustand, in dem ein Individuum sich<br />

selbst nicht mehr allein mit seinem eigenen Körper<br />

i<strong>den</strong>tifiziert. Dieser Zustand des „Außer-Sich-<br />

Seins” (Entrückung, Verzückung) erreicht in seiner<br />

extremsten Form die mystische Vereinigung mit<br />

Gott bzw. dem höchsten Wesen (unio mystica).<br />

Wie wirkt Musik?<br />

Ekstase ist aus dem Schamanismus, aus <strong>den</strong><br />

dionysischen Kulten, sowie zahlreichen religiösen<br />

Systemen und im Bereich <strong>der</strong> christlichen Mystik<br />

seit dem älteren Prophetentum bekannt. Thomas<br />

von Aquin deutete die Ekstase als eine Wirkung<br />

<strong>der</strong> Liebe, die <strong>den</strong> Lieben<strong>den</strong> außer sich setzt, so<br />

dass er nicht mehr in sich selbst lebt, son<strong>der</strong>n in<br />

<strong>der</strong> geliebten Sache. Die Ekstase sei ihm zufolge<br />

ein Durchgangsschritt zum eigentlichen Ziel <strong>der</strong><br />

Mystik, <strong>der</strong> Vereinigung mit Gott.<br />

Aggression beim Menschen<br />

Aggressionstheorien<br />

In <strong>der</strong> Psychologie:<br />

• das Austeilen schädigen<strong>der</strong> Reize gegen Lebewesen<br />

(auch gegen die eigene Person › Auto-<br />

Aggression), Institutionen und Sachen<br />

• kann offen (körperlich, verbal) o<strong>der</strong> versteckt<br />

(phantasiert) sein<br />

• kann negativ (missbilligt) o<strong>der</strong> positiv (von <strong>der</strong><br />

Kultur gebilligt) sein<br />

• Psychoanalyse sieht als Ursache <strong>den</strong> Aggressionstrieb,<br />

<strong>der</strong> seine Quelle im Todestrieb (S.<br />

Freud) hat<br />

Verhaltensforschung:<br />

• <strong>der</strong> tatsächliche physische Akt o<strong>der</strong> eine Drohhandlung<br />

mit dem Ziel die Lebensfähigkeit<br />

eines an<strong>der</strong>en Individuums o<strong>der</strong> einer an<strong>der</strong>en<br />

Gruppe von Individuen einzuschränken<br />

• Bereitschaft, solche Handlung auszuführen,<br />

als Aggressionstrieb (Triebstauhypothese) o<strong>der</strong><br />

Aggressivität bezeichnet<br />

• Aggressivität: [lat.: „Angriffslust”], die Bereitschaft<br />

eines o<strong>der</strong> mehrerer Individuen, an<strong>der</strong>e<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_35<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Wie wirkt Musik?<br />

Organismen durch bestimmte Verhaltensweisen<br />

so einzuschränken, dass ihre Umweltbeziehungen<br />

entgegen <strong>der</strong> eigenen Motivation<br />

verän<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> ganz aufgehoben wer<strong>den</strong>;<br />

hierzu zählen verschie<strong>den</strong>e Klassen des Angriffsverhaltens<br />

(Inner- und Zwischengruppenaggressionen).<br />

• Trieb (Antrieb, Motivation): Bereitschaft, eine<br />

bestimmte Handlung (insbeson<strong>der</strong>e eine Instinkthandlung)<br />

ablaufen zu lassen; innere Erregung<br />

wird zentralnervös produziert und staut<br />

sich auf (Triebstau); bei starkem Triebstau reicht<br />

schon schwacher spezifischer Reiz (Auslöser,<br />

Schlüsselreiz) aus, <strong>der</strong> die innere Sperre über<br />

einen angeborenen Auslösemechanismus<br />

beseitigt, um Handlung ablaufen zu lassen<br />

(Triebbefriedigung); bleibt Reiz aus, wird die<br />

angestaute Erregung in einer Leerlaufhandlung<br />

aufgebraucht (Abreaktion an Ersatzobjekt)<br />

Aggressionstheorien<br />

Triebtheorie:<br />

• Aggressionsverhalten = echter Instinkt mit<br />

eigener endogener Antriebserzeugung<br />

• kann durch Lernen verän<strong>der</strong>t wer<strong>den</strong><br />

• Frustration kann zu aggressiven Handlungen führen<br />

Frustrations-Aggressionstheorie:<br />

• Frustration ist Störung einer zielgerichteten<br />

Aktivität<br />

• Aggression ist jedes Verhalten, dass auf die<br />

Verletzung eines Organismus abzielt<br />

• Aggression ist immer Folge einer Frustration,<br />

d.h. die Versagung von Bedürfnissen o<strong>der</strong> Wünschen<br />

führt zur Angriffslust<br />

36_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

• Frustration führt stets zu einer Form <strong>der</strong> Aggression<br />

• Stärke <strong>der</strong> Bereitschaft zur Aggression ist abhängig<br />

von:<br />

• <strong>der</strong> Stärke <strong>der</strong> gestörten Aktivität,<br />

• <strong>der</strong> Stärke <strong>der</strong> Störung und<br />

• <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Frustrationen<br />

Lerntheorie:<br />

• aggressives Verhalten basiert auf Lernen<br />

• aggressives Verhalten befriedigt Bedürfnisse<br />

und führt zum Erreichen von Zielen<br />

• es entwickelt sich die Erwartung, auch zukünftig<br />

durch Aggression Erfolg zu haben<br />

• Lob und Belohnung verstärken aggressives<br />

Verhalten<br />

• Aggression kann auch am Modell gelernt wer<strong>den</strong>,<br />

d.h. wenn aggressives Verhalten an<strong>der</strong>er erfolgreich<br />

ist, unbestraft bleibt, gerechtfertigt o<strong>der</strong><br />

verherrlicht wird, erhöht sich Erwartung, dass<br />

eigenes aggressives Verhalten zu Zielen verhilft<br />

Gemeinsamkeit:<br />

in 5 Bereichen gesteuert und unmittelbar beeinflusst:<br />

• im Bereich <strong>der</strong> Gene<br />

• in <strong>der</strong> Physiologie (z.B. Hormonstörungen<br />

bewirken auffällige Aggressivität o<strong>der</strong> völliges<br />

Fehlen aggressiven Verhaltens)<br />

• im Gesamtorganismus (psychische Zustände,<br />

Empfindungen, Motive, ...)


• im sozialen Verband (Aggression bei Ausbildung<br />

einer Rangordnung, weniger bei gefestigten<br />

Hierarchien)<br />

• im ökologischen Zusammenhang (Gruppendichte<br />

o<strong>der</strong> Nahrungsknappheit beeinflussen<br />

aggressives Verhalten)<br />

Strategien zur Vermeidung von Aggressionen<br />

beim Menschen<br />

• Aggression abreagieren, z.B. durch körperliche<br />

Anstrengung › Abbau von Energieüberschüssen<br />

Praxisbaustein: Ablauf eines Schulgottesdienstes an <strong>der</strong> BBS<br />

zum Thema Gewalt/Menschlichkeit<br />

„Du mußt ein Schwein sein in dieser Welt“<br />

Aktualisiert: „Es ist geil, ein Arschloch zu sein“ (Christian)<br />

Musik zur Einstimmung<br />

Beginn<br />

• Lied: Alex (Schulband, nach Tote Hosen)<br />

- Begrüßung, Einführung<br />

- (Biblische Relevanz) Exemplarische biblische<br />

Texte zum Themenkomplex »Gewaltanwendung/<br />

Frie<strong>den</strong>»: Ex 20,13: Ps 34,15; Spr 20.22; Jes 2,4b;<br />

Jes 32,17; Mt 5,9; Mt 10,.34 (Kontrast): Mt 26,52;<br />

Röm 12,17; 1 Kor 14,33; 1 Petr 3,9; SchülerInnen<br />

lesen die Texte mit Erklärungen zum Thema<br />

• Lied: „Du mußt ein Schwein sein“ (nach Prinzen)<br />

bzw. „Es ist geil, ein Arschloch zu sein“ (Christian)<br />

• Gedanken zum Liedtext (SchülerInnen)<br />

Wie wirkt Musik?<br />

• stabile Familienverhältnisse (feste Bezugsperson)<br />

Aggressionsbereitschaft wird gesenkt<br />

durch: Lächeln, Höflichkeit, Grüßen<br />

• Anerkennung, Geschenke<br />

• nicht zu Handlung verleiten lassen, die man von<br />

selbst nie tun würde<br />

• bei ungerechten For<strong>der</strong>ungen nicht nachgeben,<br />

weil sonst Lernen am Erfolg<br />

• Menschen sollten sich selbst kennenlernen, sich<br />

beobachten und Selbstbeherrschung üben<br />

• Meditative Musik (Schulband)<br />

• Sketch: „Nicht alles gefallen lassen“<br />

nach Gerhard Zwerenz (SchülerInnen)<br />

siehe Text 1<br />

• Gedanken zum Text (SchülerInnen )<br />

• Gebet, Meditative Musik (Schulband)<br />

• Video Grasshoppers (Erklärungen als Grundlage<br />

zur Erarbeitung siehe Text 2)<br />

• Gedanken zum Video (SchülerInnen)<br />

Abschlußsegen<br />

Gebet<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_37<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Wie wirkt Musik?<br />

Auf dem Weg des Frie<strong>den</strong>s<br />

Herr, unser Gott<br />

und Gott unserer Väter, möge es dein Wille sein,<br />

uns in Frie<strong>den</strong> zu leiten,<br />

unsere Schritte<br />

auf <strong>den</strong> Weg des Frie<strong>den</strong>s zu richten,<br />

und uns wohlbehalten<br />

zum Ziel unserer Reise zu führen.<br />

Behüte uns vor aller Gefahr, die uns auf dem Weg<br />

bedroht.<br />

Bewahre uns vor Unfall und vor Unglück,<br />

das über die Welt Unruhe bringt.<br />

Segne die Arbeit unserer Hände.<br />

Laß uns Gnade und Barmherzigkeit vor deinen<br />

Augen fin<strong>den</strong>;<br />

Verständnis und Freundlichkeit bei allen, die uns<br />

begegnen.<br />

Höre auf die Stimme unseres Gebetes. Gepriesen<br />

seist du, O Gott,<br />

<strong>der</strong> du unser Gebet erhörst.<br />

Amen.<br />

(Altes jüdisches Reisegebet)<br />

• Musik: Sounds of silence (Schulband)<br />

Anhang Texte 1 und 2<br />

Material z. Gottesdienst<br />

Text 1: Nicht alles gefallen lassen...<br />

(von Gerhard Zwerenz)<br />

Wir wohnten im dritten Stock mitten in <strong>der</strong> Stadt<br />

und haben uns nie etwas zuschul<strong>den</strong> kommen<br />

lassen, auch mit Doerfelts von gegenüber verband<br />

uns eine jahrelange Freundschaft, bis die Frau sich<br />

kurz vor dem Fest unsere Bratpfanne auslieh und<br />

nicht zurückbrachte.<br />

38_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Als meine Mutter dreimal vergeblich gemahnt<br />

hatte, riss ihr eines Tages die Geduld, und sie<br />

sagte auf <strong>der</strong> Treppe zu Frau Muschg, die im vierten<br />

Stock wohnt, Frau Doerfelt sei eine Schlampe.<br />

Irgendwer muss das <strong>den</strong> Doerfelts hinterbracht<br />

haben, <strong>den</strong>n am nächsten Tag überfielen Klaus<br />

und Achim unseren Jüngsten, <strong>den</strong> Hans, und<br />

prügelten ihn windelweich.<br />

Ich stand grad im Hausflur, als Hans ankam und<br />

heulte. In diesem Moment trat Frau Doerfelt drüben<br />

aus <strong>der</strong> Haustür, ich lief über die Strasse,<br />

packte ihre Einkaufstasche und stülpte sie ihr über<br />

<strong>den</strong> Kopf. Sie schrie aufgeregt um Hilfe, als sei<br />

sonst was los, dabei drückten sie nur die Glasscherben<br />

etwas auf <strong>den</strong> Kopf, weil sie ein paar<br />

Milchflaschen in <strong>der</strong> Tasche gehabt hatte.<br />

Mittagszeit, und da kam Herr Doerfelt mit dem<br />

Wagen angefahren. Ich zog mich sofort zurück,<br />

doch Elli, meine Schwester, die mittags zum Essen<br />

heimkommt, fiel Herrn Doerfelt in die Hände. Er<br />

schlug ihr ins Gesicht und zerriss dabei ihren Rock.<br />

Das Geschrei lockte unsere Mutter ans Fenster,<br />

und als sie sah, wie Herr Doerfelt mit Elli umging,<br />

warf unsere Mutter mit Blumentöpfen nach ihm.<br />

Von Stund an herrschte erbitterte Feindschaft<br />

zwischen <strong>den</strong> Familien.<br />

Weil wir nun Doerfelts nicht über <strong>den</strong> Weg trauen,<br />

installierte Herbert, mein ältester Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> bei<br />

einem Optiker in die Lehre geht, ein Scherenfernrohr<br />

am Küchenfenster. Da konnte unsere Mutter,<br />

waren wir an<strong>der</strong>en alle unterwegs, die Doerfelts<br />

beobachten. Augenscheinlich verfügte diese über<br />

ein ähnliches Instrument, <strong>den</strong>n eines Tages schossen<br />

sie von drüben mit einem Luftgewehr herüber.<br />

Ich erledigte das feindliche Fernrohr dafür mit<br />

einer Kleinkaliberbüchse, an diesem Abend ging<br />

unser Volkswagen unten im Hof in die Luft.<br />

Unser Vater, <strong>der</strong> als Oberkellner im hochrenommierten<br />

Café Imperial arbeitete, nicht schlecht


verdiente und immer für <strong>den</strong> Ausleich eintrat,<br />

meinte, wir sollten uns jetzt an die Polizei wen<strong>den</strong>.<br />

Aber unserer Mutter passte das nicht, <strong>den</strong>n Frau<br />

Doerfelt verbreitete in <strong>der</strong> ganzen Strasse, wir,<br />

das heißt, unsere gesamte Familie, seien <strong>der</strong>art<br />

schmutzig, dass wir mindestens zweimal jede<br />

Woche badeten und für das hohe Wassergeld, das<br />

die Mieter zu gleichen Teilen zahlen müssen,<br />

verantwortlich wären. Wir beschlossen also, <strong>den</strong><br />

Kampf aus eigener Kraft in aller Härte aufzunehmen,<br />

auch konnten wir nicht mehr zurück, verfolgte<br />

doch die gesamte Nachbarschaft gebannt <strong>den</strong><br />

Fortgang des Streites.<br />

Am nächsten Morgen schon wurde die Strasse<br />

durch ein mör<strong>der</strong>isches Geschrei geweckt. Wir<br />

lachten uns halbtot, Herr Doerfelt, <strong>der</strong> früh als<br />

erster das Haus verliess, war in eine tiefe Grube<br />

gefallen, die sich vor <strong>der</strong> Haustür erstreckte. Er<br />

zappelte ganz schön in dem Stacheldraht, <strong>den</strong> wir<br />

gezogen hatten, nur mit dem linken Bein zappelte<br />

er nicht, das hielt er fein still, das hatte er sich<br />

gebrochen. Bei alledem konnte <strong>der</strong> Mann noch von<br />

Glück sagen - für <strong>den</strong> Fall, dass er die Grube bemerkt<br />

und umgangen hätte, war <strong>der</strong> Zün<strong>der</strong> einer<br />

Plastikbombe mit dem Anlasser seines Wagens<br />

verbun<strong>den</strong>. Damit ging kurze Zeit später Klunker-<br />

Paul, ein Untermieter von Doerfelts, hoch, <strong>der</strong> <strong>den</strong><br />

Arzt holen wollte.<br />

Es ist bekannt, dass die Doerfelts leicht übelnehmen.<br />

So gegen zehn Uhr begannen sie unsere<br />

Hausfront mit einem Flakgeschütz zu bestreichen.<br />

Sie mussten sich erst einschiessen, und die Einschläge<br />

befan<strong>den</strong> sich nicht alle in <strong>der</strong> Nähe unserer<br />

Fenster. Das konnte uns nur recht sein, <strong>den</strong>n<br />

jetzt fühlten sich auch die an<strong>der</strong>en Hausbewohner<br />

geärgert, und Herr Lehmann, <strong>der</strong> Hausbesitzer,<br />

begann um <strong>den</strong> Putz zu fürchten. Eine Weile sah er<br />

sich die Sache noch an, als aber zwei Granaten in<br />

seiner guten Stube krepierten, wurde er nervös<br />

und gab uns <strong>den</strong> Schlüssel zum Bo<strong>den</strong>. Wir robbten<br />

sofort hinauf und rissen die Tarnung von <strong>der</strong><br />

Wie wirkt Musik?<br />

Atomkanone. Es lief alles wie am Schnürchen, wir<br />

hatten <strong>den</strong> Einsatz oft genug geübt, die wer<strong>den</strong><br />

sich jetzt ganz schön wun<strong>der</strong>n, triumphierte unsere<br />

Mutter und kniff als Richtkanonier das rechte<br />

Auge fachmännisch zusammen.<br />

Als wir das Rohr genau auf Doerfelts Küche eingestellt<br />

hatten, sah ich drüben gegenüber im<br />

Bo<strong>den</strong>fenster ein gleiches Rohr blinzeln, das<br />

hatte freilich keine Chance mehr, Elli, unsere<br />

Schwester, die <strong>den</strong> Verlust ihres Rockes nicht<br />

verschmerzen konnte, hatte zornroten Gesichts<br />

das Kommando „Feuer!“ erteilt. Mit einem unvergesslichem<br />

Fauchen verliess die Atomgranate das<br />

Rohr, zugleich fauchte es auch auf <strong>der</strong> <strong>Gegen</strong>seite.<br />

Die bei<strong>den</strong> Geschosse trafen sich genau in <strong>der</strong><br />

Strassenmitte.<br />

Natürlich sind wir nun alle tot, die Strasse ist hin,<br />

und wo unsere Stadt früher stand, breitet sich<br />

jetzt ein graubrauner Fleck aus. Aber eins<br />

muss man sagen, wir haben das Unsere getan,<br />

schließlich kann man sich nicht alles gefallen<br />

lassen. Die Nachbarn tanzen einem sonst auf <strong>der</strong><br />

Nase herum.<br />

Text 2: Erklärungen zum Film Grasshoppers<br />

Bozetto kontrastiert eine von Kriegen gezeichnete<br />

Menschheitsgeschichte mit einer friedvollen und<br />

fröhlichen Natur, die unverän<strong>der</strong>t bleibt und sich<br />

selbst immer wie<strong>der</strong> hervorbringt (vgl. die Fortpflanzung<br />

<strong>der</strong> bei<strong>den</strong> Heuschrecken im letzten<br />

Bild). Das ist ein Kunstgriff: We<strong>der</strong> ist Natur friedvoll<br />

noch bleibt sie unverän<strong>der</strong>t. Im Vergleich zur<br />

Geschichte <strong>der</strong> Menschheit vollziehen sich natürliche<br />

Än<strong>der</strong>ungen allerdings in großen Zeiträumen.<br />

Auch gibt es keine Vernichtung einzelner Gattungen<br />

untereinan<strong>der</strong>. Bozettos Kontrastierung wirft<br />

ein kritisches Licht auf die Vorstellung von <strong>der</strong><br />

Überlegenheit des Menschen über die Natur.<br />

Nimmt man das filmisch konstruierte Nebeneinan<strong>der</strong><br />

von Menschheitsgeschichte und natürlichem<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_39<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Wie wirkt Musik?<br />

Leben allerdings als Gleichsetzung - das eine ist<br />

wie das an<strong>der</strong>e - dann ergibt sich eine an<strong>der</strong>e<br />

Deutungsperspektive: Der Film wird zur Satire, die<br />

lakonisch-überzeichnet <strong>den</strong> Menschen vor Augen<br />

führt, wie lächerlich ihre erbitterten Gefechte<br />

neben dem natürlichen Fortgang des Lebens<br />

wirken. Geht man nach dem Titel des Films, Grasshoppers,<br />

dann ist klar, wer die Hauptpersonen<br />

sind: Die Heuschrecken, nicht die Menschen.<br />

Unberührt von dem Gemetzel, das um sie immer<br />

wie<strong>der</strong> ausbricht, gehen sie ihren Verrichtungen<br />

nach.<br />

Gewalt in <strong>den</strong> Medien/Musik<br />

Begegnung mit einem (typischen?)<br />

Nazimusik-Konsumenten<br />

Daniel, 29 Jahre, arbeitslos. Ich treffe ihn in Bernau,<br />

in Bran<strong>den</strong>burg. Stolz führt er uns seine<br />

Musik vor. Eines <strong>der</strong> szene-üblichen Lie<strong>der</strong> mit<br />

rassistischen und gewaltverherrlichen<strong>den</strong> Texten.<br />

Schmierstoff für Aggression und Gewalt …<br />

„Das ist mein Lieblingssong. Den habe ich von<br />

einem Kumpel gekriegt!”, sagt er und legt die<br />

Kassette in <strong>den</strong> Autorecor<strong>der</strong> ein: „Ich brauch’<br />

keinen Griechen, um gut essen zu gehen/Keinen<br />

Nigger, um ein Fußballtor zu sehen/Ich will auch<br />

kein Arbeiter bei <strong>den</strong> Türken sein/Ich will, daß wir<br />

uns vom frem<strong>den</strong> Pack befrei’n/Tritt einfach rein in<br />

das dumme Schwein...!”<br />

“Solche Lie<strong>der</strong> von Skinhead-Bands<br />

ohne Namen<br />

wer<strong>den</strong> in <strong>der</strong> Szene<br />

weitergereicht”, erzählt<br />

mir Daniel. Konzerte <strong>der</strong><br />

entsprechen<strong>den</strong> Gruppen,<br />

meist als Privatparties<br />

getarnt, fin<strong>den</strong><br />

regelmäßig statt. Vor allem in <strong>den</strong> neuen Bundeslän<strong>der</strong>n.<br />

Das Publikum aber kommt von überall<br />

her, auch aus Nordrhein-Westfalen. Die Musik<br />

40_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Insgesamt kennt <strong>der</strong> Handlungsverlauf des Films<br />

kein Ende. Die collagenhafte Aneinan<strong>der</strong>reihung<br />

<strong>der</strong> Szenen hat exemplarischen Charakter und<br />

betont das Fragmentarische <strong>der</strong> Darstellung.<br />

• Exemplarische biblische Texte zum Themenkomplex<br />

»Gewaltanwendung/Frie<strong>den</strong>»: Ex<br />

20,13: Ps 34,15; Spr 20.22; Jes 2,4b; Jes 32,17;<br />

Mt 5,9; Mt 10,.34 (Kontrast): Mt 26,52; Röm<br />

12,17; 1 Kor 14,33; 1 Petr 3<br />

Ende<br />

dient als Einstiegsdroge und schürt die Gewaltbereitschaft.<br />

Und nicht selten folgen auf Parolen<br />

auch Taten, wie Daniel bestätigt … „Wie gesagt:<br />

Tritt einfach rein in die dumme Sau, ganz einfach!”<br />

„Bist Du auch schon einmal gewalttätig gewor<strong>den</strong>?”,<br />

frage ich ihn. „Ja, mehrmals! Du bist mit <strong>der</strong><br />

Gruppe unterwegs und da langst du hin, wenn<br />

irgend so ein Idiot kommt, ob es irgend so ein<br />

dreckiger Punk ist o<strong>der</strong> eine Zecke, da wird einfach<br />

reingehämmert, mit <strong>den</strong> Springerstiefeln noch mal<br />

nachgetreten und dann ist gut!”<br />

Ortswechsel: Düsseldorf. Der Handel mit verbotener<br />

rechter Musik ist inzwischen ein einträgliches<br />

Geschäft, bedeutendste Geldquelle <strong>der</strong><br />

rechten Szenen, die deutschlandweit eng vernetzt<br />

sind. Ganz wichtig dabei: Die Rolle Nordrhein-<br />

Westfalens. Einer <strong>der</strong> Drahtzieher hier: Torsten<br />

Lemmer. Bereits 1993 gründete <strong>der</strong> Musterjunge<br />

<strong>der</strong> neuen Rechten in Düsseldorf die bei<strong>den</strong> Musikverlage<br />

„Creative Zeiten” und „Funny Sounds”,<br />

die nach eigenen Angaben etwa 40 Prozent des<br />

gesamtdeutschen Rechtsrock-Marktes halten. Alle<br />

Musikrichtungen - auch Techno o<strong>der</strong> Schlager -<br />

wer<strong>den</strong> hier mit faschistoi<strong>den</strong> Texten und Inhalten<br />

besetzt.<br />

Von Köln aus vertreibt <strong>der</strong> Musikverlag „Rock-o-<br />

Rama” seit 1997 rechtsradikale Musik und ist


mittlerweile zu Europas größtem Unternehmen<br />

dieser Art aufgestiegen. Die hier verlegte Musik ist<br />

nicht verboten o<strong>der</strong> indiziert. Gerichtsverfahren<br />

gegen <strong>den</strong> Verlag wegen Volksverhetzung waren<br />

meist erfolglos. Demonstrationen in Köln und<br />

Polizei-Razzien bei dem Hintermann Herbert<br />

Egoldt aus Brühl haben das einträgliche Geschäft<br />

bisher nicht gestört. Doch die Demonstranten<br />

bleiben dabei: “Wer Leute dazu anleitet, Asylbewerberwohnheime<br />

anzuzün<strong>den</strong>, ist und bleibt<br />

ein mieser Rassist!”, ruft einer von ihnen.<br />

Der Journalist Burkhard Schrö<strong>der</strong> untersucht seit<br />

langem die Vernetzungen innerhalb <strong>der</strong> deutschen<br />

rechtsradikalen Szene. Immer wie<strong>der</strong> weist er auf<br />

die Bedeutung <strong>der</strong> neuen Medien bei <strong>der</strong> Verbreitung<br />

rechtsextremer Musik hin. „Wenn man sich<br />

das mal anguckt auf <strong>den</strong> Internet-Portalen, die<br />

sich mit Musik beschäftigen, ist Deutschland das<br />

einzige Land, das mit Neonazis vermehrt präsent<br />

ist. In allen an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n ist das an<strong>der</strong>s.<br />

Das sagt etwas über die deutsche Kultur aus.”<br />

„Was?”, möchte ich wissen. „Dass Rassismus<br />

gesellschaftsfähig ist in Deutschland und von<br />

vielen Leuten konsumiert wird und das Gefühl<br />

vieler Leute anspricht - vor allem in <strong>den</strong> neuen<br />

Bundeslän<strong>der</strong>n. Es ist eben nicht nur ein Problem<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen. Die Jugendlichen - das weiß<br />

je<strong>der</strong> Sozialwissenschafter - sagen das, was die<br />

Erwachsenen auch <strong>den</strong>ken, nur etwas radikaler.”<br />

Bestätigt wird diese These, wenn man sich bei <strong>den</strong><br />

Skinheads, <strong>den</strong> Fans von Neonazi-Musik, umhört.<br />

Ich frage Daniel, wie seine Mutter die Nazimusik<br />

findet. Die Mutter, sie steht neben ihm auf <strong>der</strong><br />

Straße, mitten in Bernau … „Meine Mutti, die hört<br />

die Mucke auch ganz gern!”, sagt Daniel. Die<br />

“Mutti” nickt zustimmend. „Und die an<strong>der</strong>en<br />

Verwandten?“ „Die auch, die sind alle ganz easy<br />

drauf und haben auch keine Probleme damit!”<br />

Ortswechsel. Ich besuche das Landeskriminalamt<br />

von Sachsen-Anhalt in Magdeburg. Hier gibt es<br />

Wie wirkt Musik?<br />

eine spezielle “Koordinierungs- und Ermittlungsgruppe<br />

Rechts”. Immer wie<strong>der</strong> wer<strong>den</strong> hier CDs<br />

sichergestellt. Es ist nicht leicht, die Tatbestände<br />

<strong>der</strong> Volksverhetzung und Gewaltverherrlichung zu<br />

verfolgen, vor allem dann nicht, wenn die Verlage<br />

ihren Sitz im Ausland haben. Die Musik - aus dem<br />

Internet in <strong>den</strong> PC gela<strong>den</strong> - kann leicht vervielfältigt<br />

wer<strong>den</strong>. „Die CDs wer<strong>den</strong> zum Selbstbrennen<br />

immer günstiger. Mittlerweile kostet die Herstellung<br />

einer CD 1,40 Mark. Verkauft wer<strong>den</strong> sie für<br />

zwischen 15 und 40 Mark. Wir haben bei Ermittlungsverfahren<br />

festgestellt, dass <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong><br />

vertreibt, Umsätze zwischen 10.000 und 40.000<br />

Mark im Monat macht. Steuerfrei, versteht sich -<br />

<strong>den</strong>n die Vertreiber mel<strong>den</strong> natürlich kein Gewerbe<br />

an.”<br />

Fazit für mich, nach tagelanger<br />

Recherche in Bran<strong>den</strong>burg, Nordrhein-Westfalen<br />

und Sachsen-<br />

Anhalt: Rechtsextreme Bands<br />

haben ihre Proberäume verlassen.<br />

Es besteht zumindest die Gefahr, daß Nazimusik<br />

in <strong>den</strong> Jugendkultur-Mainstream eindringt.<br />

Die Drahtzieher und Profiteure sitzen auch in<br />

Nordrhein-Westfalen. Ihre Musik erreicht immer<br />

mehr Leute. Leute wie Daniel, <strong>der</strong> seine auslän<strong>der</strong>feindlichen<br />

Anschauungen in <strong>der</strong> braunen Musik<br />

wie<strong>der</strong>findet. Eigentlich sollte man ihn in die<br />

faszinierende Welt <strong>der</strong> bunten Musik entführen.<br />

“Bunt statt braun” - eigentlich müsste Daniel<br />

einleuchten, daß bunte Musik attraktiver ist als<br />

“braune”, die er - in Abwandlungen - immer wie<strong>der</strong><br />

hört. O<strong>der</strong> ist für ihn alles schon zu spät?<br />

Dieser Beitrag des WDR-Autors Antonio Cascais<br />

wurde in leicht verän<strong>der</strong>ter Fassung in <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>sendung<br />

des WDR-Fernsehens “Gewalt von<br />

rechts - Was tun?” ausgestrahlt: Antonio Cascais<br />

wurde in Portugal geboren, studierte in Dortmund<br />

Journalistik und Geschichte, und arbeitet als<br />

freier Autor für <strong>den</strong> WDR, u. a. für das ARD-Magazin<br />

Monitor.<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_41<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Wie wirkt Musik?<br />

Songbeispiele für rassistische,<br />

menschenverachtende Texte<br />

Im harten Skin-Rock'n'Roll wird <strong>der</strong> Nationalsozialismus<br />

verherrlicht und gegen Auslän<strong>der</strong> gehetzt.<br />

Zitat aus einem z.Zt. vor allem in <strong>den</strong> neuen<br />

Bundeslän<strong>der</strong>n kursieren<strong>den</strong> Song:<br />

„Ich brauch' keinen<br />

Griechen, um gut essen<br />

zu geh'n<br />

keinen Nigger, um ein<br />

Fußball-Tor zu seh'n<br />

ich will auch kein Arbeiter<br />

bei <strong>den</strong> Türken sein<br />

ich will nur, daß wir uns vom frem<strong>den</strong> Pack befrei'n<br />

Tritt einfach rein in das fiese Schwein…“<br />

Auszüge aus an<strong>der</strong>en "Lie<strong>der</strong>n" mit rechtsextremem<br />

Inhalt:<br />

(…) lasst die Messer flutschen in <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong>leib<br />

(…) schmiert die Guillotine mit dem Ju<strong>den</strong>fett (…)<br />

(Quelle: Sampler „Northeim Live“)<br />

(…) Adolf Hitler unser Führer<br />

Adolf Hitler unser Held (…)<br />

(Interpreten: „Weisser Arischer Wi<strong>der</strong>stand“)<br />

(…) alle Ju<strong>den</strong> sind mir<br />

gleich,<br />

ich mag Skinheads und SA,<br />

Türken klatschen, ist doch<br />

klar<br />

Ich mag Fußball auf dem<br />

Rasen,<br />

die SS, wenn sie gasen.<br />

All das mag ich, und ganz<br />

doll NSDAP (…)<br />

Die rechte Musikszene ist keine bloße Ran<strong>der</strong>scheinung<br />

„Es gibt circa 100 Faschobands, <strong>der</strong>en Produkte<br />

von Hand zu Hand weitergereicht wer<strong>den</strong>. Ihre<br />

42_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Musik wird vor allem über <strong>den</strong> Versandhandel an<br />

die interessierte Klientel weitergegeben…“<br />

Beschreiben Sie die Musik und ihre Inhalte:<br />

„Das ist sehr<br />

schwer, weil es alle<br />

Segmente des<br />

rechten Millieus<br />

gibt. Es gibt Skinheadmusik,<br />

die<br />

sich eher an die<br />

harten Rhythmen<br />

des Punks annähert.<br />

Die eigentlichen<br />

Wurzeln<br />

dieser Musik kommen ja ursprünglich aus <strong>den</strong><br />

Wurzeln des Ska in Jamaica, was die heutige Szene<br />

kaum noch weiß. Einfache, schnelle Rhythmen,<br />

sehr laut, ab 120 Phon aufwärts. Es gibt auch<br />

melancholische Gruftie-Musik, die mit rechten<br />

Texten arbeitet, es gibt auch rechte Techno-Musik,<br />

das wird nicht im Text klar, son<strong>der</strong>n durch das<br />

Arrangement(...). Es gibt auch die klassische<br />

Gitarrenmusik<br />

<strong>der</strong> sogenannten<br />

Bar<strong>den</strong>, das<br />

ist wahrscheinlich<br />

das größte<br />

Segment.“<br />

„Die zentralen Themen sind natürlich Rassismus -<br />

also Türken abstechen, Frauen schän<strong>den</strong>, das<br />

kann man sich gar nicht brutal genug vorstellen.<br />

Das zweite Element: antisemitische Grundstimmung:<br />

Es gibt Bands, die dezidiert dazu aufrufen,<br />

Ju<strong>den</strong> abzustechen. Es ist so, dass die Texte,<br />

wenn sie indiziert sind, von <strong>den</strong> Musikern auf <strong>der</strong><br />

Bühne gar nicht selber gesungen wer<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n<br />

- da das Publikum das vorher schon weiß - die<br />

Bands nur <strong>den</strong> Anstoß geben müssen, und das<br />

Publikum das dann im Chor singt - so daß juristisch<br />

schwer etwas zu machen ist gegen diese<br />

Bands.“


Rechtsextremistische Musik ist dann gegeben,<br />

wenn - zumindest in Teilpassagen - gegen § 86<br />

und 86 a o<strong>der</strong> §130 verstoßen wird, also wenn das<br />

Verwen<strong>den</strong> von verbotenen Kennzeichen, Gewaltverherrlichung<br />

Volksverhetzung eine Rolle spielt.<br />

Es gibt aber auch Texte, wo lediglich umschrieben<br />

Passagen dargestellt wer<strong>den</strong>, die zwar einen<br />

gewissen frem<strong>den</strong>feindlichen Eindruck hinterlassen,<br />

aber nicht strafrechtlich relevant sind. Die<br />

Abgrenzung ist sehr fließend, weil man nicht zu<br />

jedem Text sagen kann: Er ist rechtsextremistisch.<br />

Vielfach ist bloß ein frem<strong>den</strong>feindlicher Inhalt<br />

gegeben, <strong>der</strong> an sich - wie <strong>der</strong> rechtsextremistische<br />

- nicht strafbar ist. Strafbar wird es erst, wenn<br />

Gesetze verletzt wer<strong>den</strong>, wie §86, 86a, Verwendung<br />

von verbotenen Kennzeichen, o<strong>der</strong> Volksverhetzung<br />

o<strong>der</strong> Gewaltverherrlichung.“<br />

Die Strafverfolgungsbehör<strong>den</strong> müssen <strong>den</strong> Vertreibern<br />

rechtsextremer Medien nachweisen, daß<br />

sie zum Zeitpunkt des Vertriebs indizierter Musik<br />

informiert waren, dass das Verbreiten verboten<br />

wurde. Dieses ist oft so gut wie unmöglich. Überdies<br />

wird ein Großteil verbotener Skin-Musik und<br />

NS-Propagandamaterial in Skandinavien, Belgien/<br />

Holland und vor allem USA produziert. Da im<br />

Ausland aber die Herstellung und Verbeitung von<br />

Nazisymbolen erlaubt ist, sehen die Behör<strong>den</strong> in<br />

diesen Län<strong>der</strong>n keinen Anlaß, <strong>den</strong> deutschen<br />

Behör<strong>den</strong> bei Rechtshilfeersuchen zu helfen.<br />

Jörg Bunk, LKA Sachsen-Anhalt: „Die rechtsextremistische<br />

Musikszene - und hier insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Skinheadszene - war bereits 1992/93 schon<br />

einmal im Kommen gewesen und da haben wir<br />

bundesweit, in Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Informationsgruppe<br />

gegen frem<strong>den</strong>feindliche und<br />

rechtsextremistische Straftaten, 1993 Aktionen<br />

durchgeführt. Wir konnten dann die rechtsextremistische<br />

Musikszene und auch die Verlage<br />

zumindest für zwei Jahre zurückdrängen. Es hat<br />

sich dann herausgestellt, - so ab 1995/96 - daß<br />

diese rechtsextremistische Szene, vor allem die<br />

Wie wirkt Musik?<br />

strafrechtlich relevanten Texte wie<strong>der</strong> im Kommen<br />

sind, jetzt aber in einer an<strong>der</strong>en Art. Sie wer<strong>den</strong><br />

also nicht mehr in Deutschland hergestellt, son<strong>der</strong>n<br />

vielfach im Ausland, und damit wurde dann<br />

ab 1996/97 <strong>der</strong> deutsche Markt überschwemmt.”<br />

„Die Bundesprüfstelle für jugendgefähr<strong>den</strong>de<br />

Schriften ist die Instanz, die das Gütesiegel vergibt.<br />

Jede Naziband ist stolz, wenn sie dieses<br />

Gütesiegel hat, weil es <strong>den</strong> Erfolg in <strong>der</strong> rechten<br />

Szene garantiert. Die Indexliste, die ja frei erhältlich<br />

ist, ist in ihrer Wirkung ungefähr das, was die<br />

Prohibition in <strong>den</strong> USA für <strong>den</strong> Alkoholkonsum<br />

war. Das ist bei <strong>der</strong> Prohibition so gewesen und so<br />

ist es auch bei <strong>der</strong> Nazimusik. Aber wir Deutschen<br />

haben lei<strong>der</strong> die Tradition des Obrigkeitsstaates<br />

und <strong>der</strong> Erziehungsdiktatur, und deswegen tun wir<br />

alles dafür, daß es auch so bleibt.”<br />

Hilft ein Verbot? „Ich glaube, ein Verbot und <strong>der</strong><br />

Gedanke daran ist zwar typisch deutsch aber<br />

immer ein Zeichen völliger Hilfslosigkeit. Da wir in<br />

Deutschland keinen Konsens darüber haben, was<br />

eigentlich das Problem ist, auch keine Idee, wie<br />

<strong>der</strong> Rassismus in die Köpfe hineinkommt, sehe ich<br />

auch schwarz, was die Bekämpfung dieses Problems<br />

angeht.”<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_43<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Wie wirkt Musik?<br />

Musik und ihre Funktionen<br />

(nach Musikpsychologie S.77ff)<br />

Der Soziologe Max Weber unterschied in seinen<br />

Ausführungen zur Musik zwischen vier grundlegen<strong>den</strong>,<br />

als idealtypisch bezeichneten´ Funktionen:<br />

zweckrationalen Funktionen (politisch,<br />

wirtschaftlich o<strong>der</strong> erzieherisch ausgerichtet),<br />

traditionalen Funktionen (rituell, geschichtsbezogen,<br />

überliefernd), wertrationalen Funktionen<br />

(gute - schlechte, schöne - unschöne Musik) und<br />

affektbestimmten bzw. emotionalen Funktionen<br />

Resonanz, Projektion o<strong>der</strong> Abreaktion von Stimmungen<br />

und Gefühlen; (Weber, 1992). Natürlich<br />

greifen diese Funktionen ineinan<strong>der</strong> über und<br />

ergänzen sich, und zwar um so mehr, je weniger<br />

arbeitsteilig eine Gesellschaft strukturiert ist.<br />

Ein idealtypisch strukturierter Überblick aus heutiger<br />

Sicht, ohne explizite Berücksichtigung <strong>der</strong><br />

historischen Dimension und <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />

Genres abendländischer Musik (z.B. Feldmusik,<br />

44_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Volksmusik, Kunstmusik), legt die Trennung in<br />

zwei Hauptbereiche nahe: <strong>den</strong> gesellschaftlichkommunikativen<br />

und <strong>den</strong> individuell-psychischen<br />

Bereich (Rösing, 1992).<br />

Zum gesellschaftlich-kommunikativen Funktionsbereich<br />

zählen:<br />

• sakrale Funktionen: Sie haben die Musik des<br />

Abendlandes zumindest bis zum Beginn <strong>der</strong><br />

Säkularisierung entschei<strong>den</strong>d mitgeprägt;<br />

• Repräsentations- bzw. Glorifizierungsfunktionen:<br />

Musik als Statussymbol, als klingen<strong>der</strong><br />

Ausdruck von wirtschaftlicher, politischer und/<br />

o<strong>der</strong> kultureller Potenz;<br />

• Festlichkeitsfunktionen: Musik als Rahmen für<br />

das Beson<strong>der</strong>e, Außeralltägliche. Das betrifft<br />

das Leben des einzelnen (Geburt, Geburtstage,<br />

Volljährigkeit, Hochzeit usw.) ebenso wie das<br />

gemeinschaftliche Leben (Festtage, Feierstun<strong>den</strong>,<br />

Staatsakte und Funktionen <strong>der</strong> Bewegungsaktivierung<br />

und -koordination: beim<br />

Volks- und Gesellschaftstanz (auch in <strong>der</strong> Disco),<br />

bei Musik zur Gruppenarbeit, bei Marsch<br />

und Parademusik mit jeweils unterschiedlichen<br />

Intentionen;<br />

• gemeinschaftsbin<strong>den</strong>de-gruppenstabilisierende<br />

Funktionen: Musik bestimmter sozialer<br />

Schichten und Gruppen, die sich jeweils mit<br />

dem Sinn ihrer Musik i<strong>den</strong>tifizieren (in gruppenübergreifendem<br />

Sinn die Nationalhymne als<br />

musikalisches Symbol einer Nation);<br />

• erzieherische Funktionen: Musik als Mittel zur<br />

Bildung, zur «richtigen» Gesinnung, zur Etablierung<br />

von ästhetischen Normen;<br />

• geseIIschaftliche Funktionen: Musik wie Kunst<br />

überhaupt) als Ausdrucksmittel von Min<strong>der</strong>heiten,<br />

um auf Mißstände in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

hinzuweisen und um neue Utopien zu artikulieren,<br />

Musik <strong>der</strong> Sub- und <strong>Gegen</strong>kulturen;<br />

• Verständigungsfunktionen: Musik als Metasprache<br />

als symbolhaltiges Kommunikationsmedium<br />

neben <strong>der</strong> Sprache und über die<br />

Sprache hinaus;


• Kontaktfunktionen: Musik als nonverbales<br />

Medium <strong>der</strong> Kontaktaufnahme und zur Klärung<br />

zwischenmenschlicher (meist positiver) Beziehungen;<br />

• Funktionen <strong>der</strong> Selbstverwirklichung: beson<strong>der</strong>s<br />

beim eigenen Musikmachen, aber durchaus<br />

auch beim gezielten und eigenbestimmten<br />

Musikhören.<br />

Alle diese dem gesellschaftlich-kommunikativen<br />

Funktionsbereich zugeordneten, einan<strong>der</strong> durchaus<br />

ergänzen<strong>den</strong> und überlagern<strong>den</strong> Teilfunktionen<br />

sind hochgradig abhängig vom jeweiligen<br />

situativen Kontext, also von <strong>der</strong> spezifischen musikalischen<br />

Aufführungs- bzw. Darbietungssituation<br />

(Behne, 1991). Sie beruhen, wahrnehmungspsychologisch<br />

gesehen, auf Aneignungs- und Vergegenständlichungsstrategien<br />

von Musik durch<br />

Objektivierung im Sinne vorgegebener gesellschaftlicher<br />

Normen (Oerter, 1991) handlungs-<br />

Wie wirkt Musik?<br />

theoretische Fundierung, hier von Musizieren und<br />

Musikerleben).<br />

Die Teilfunktionen im individuell-psychischen<br />

Funktionsbereich dagegen sind weniger kontextabhängig<br />

und stärker personenorientiert. Die<br />

Aneignung und Vergegenständlichung erfolgt<br />

vornehmlich durch Subjektivierung, also z. B.<br />

durch Assoziationen und Imaginationen im Hinblick<br />

auf die eigene psychische Bedürfnislage. Im<br />

einzelnen lassen sich hier die folgen<strong>den</strong> Teilfunktionen<br />

benennen:<br />

• emotionale Kompensationsfunktion: die Projektion<br />

o<strong>der</strong> Abreaktion von Stimmungen, Gefühlen,<br />

Wünschen, Träumen und Vorstellungen<br />

durch Musik;<br />

• Funktion <strong>der</strong> Einsamkeitsüberbrückung: Musik<br />

suggeriert durch I<strong>den</strong>tifikationsangebote Verbindungen<br />

zum gesellschaftlichen Umfeld, die<br />

real nicht gegeben sind;<br />

• Konfliktbewältigungsfunktion: die Flucht aus<br />

<strong>den</strong> Sachzwängen des Alltags durch meist<br />

regressive Versenkung in das abstrakte und<br />

realitätsüberhöhende Medium Musik, Musik als<br />

Drogenersatz;<br />

• Entspannungsfunktion: Musik als streßregulierendes,<br />

Emotionen glättendes und Diskrepanzen<br />

innerhalb des Selbst verdrängendes<br />

Therapeutikum;<br />

• Aktivierungsfunktion: geistige und körperliche<br />

Stimulierung und Stimmungsoptimierung durch<br />

entsprechende, dem eigenen Geschmack angepaßte<br />

Musik;<br />

• Unterhaltungsfunktion: Empfin<strong>den</strong> von Spaß,<br />

Wohlgefallen und Lustgewinn durch Anpassungs-<br />

und I<strong>den</strong>tifikationsprozesse bei als<br />

schön empfun<strong>den</strong>er Musik.<br />

Die vom realen Aufführungsanlass losgelöste<br />

Musikwie<strong>der</strong>gabe über Lautsprecher hat fraglos<br />

zur Dominanz <strong>der</strong> individuell-psychischen gegenüber<br />

<strong>den</strong> gesellschaftlich-kommunikativen Funktionen<br />

in unserer Gesellschaft beigetragen (Rösing,<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_45<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Wie wirkt Musik?<br />

1992). Auf diese Weise werde – so Theodor W.<br />

Adorno unter kulturkritischem Blickwinkel - ein<br />

falsches Bewußtsein geschaffen. Musik diene<br />

heutzutage vornehmlich <strong>der</strong> unterhaltsamen<br />

Ablenkung, als Freu<strong>den</strong>bringer und schwindelhaftes<br />

Versprechen von Glück, als Ersatzbefriedigung<br />

und Selbstbestätigung («Radau als Triumph»), als<br />

Illusion von Unmittelbarkeit in einer total verwalteten<br />

Welt, als triebdynamischer Abwehrmechanismus,<br />

als Dressur des Unbewussten auf bedingte<br />

Reflexe. Eine <strong>der</strong>art funktionalisierte Musik sei<br />

rückhaltlos <strong>der</strong> herrschen<strong>den</strong> Ideologie übereignet,<br />

Abbild <strong>der</strong> gesellschaftlichen Situation, in <strong>der</strong><br />

sie produziert und rezipiert wird (Adorno, 1962,<br />

Kap. III). Entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Anteil an dieser Entwicklung<br />

haben die schriftliche Verdinglichung (Notation)<br />

von Musik und ihre Speicherung auf Tonträger<br />

gehabt.<br />

Roger Moch<br />

46_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Literatur:<br />

Böhm, Uwe; Buschmann, Gerd<br />

Popmusik – Religion –Unterricht: Modelle und<br />

Materialien zur Didaktik von Popularkultur-<br />

Münster: LIT, 2000 (Symbol – Mythos – Medien, 5)<br />

ISBN 3-8258-5179-6<br />

Bruhn, Herbert; Oerter, Rolf; Rösing, Helmut (hg.)<br />

Musikpsychologie<br />

Reinbek bei Hamburg, April 1993, 3. Auflage 1997<br />

3690-ISBN- 3 499 55526 3<br />

Schrö<strong>der</strong>, Burkhard<br />

Nazis sind Pop<br />

ESPRESSO Verlag GmbH, Berlin<br />

ISBN 3 – 88520-779-6<br />

Beten, Texte zum Mit<strong>den</strong>ken und Nachsprechen<br />

Evangelische Jugend, Landesjugendpfarramt d.<br />

Ev.-luth. Landeskirche Hannovers


›› Die Welt<br />

zertrümmern?!


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

Vorbemerkung<br />

Weite Teile dieses Artikels sind <strong>der</strong> Examensarbeit<br />

von Carsten Stöver entnommen, die an <strong>der</strong> Universität<br />

Ol<strong>den</strong>burg im Fach Musik (Fachbereich 2<br />

Kommunikation/Ästhetik) entstan<strong>den</strong> ist und<br />

einen detaillierten Einblick in die Wirkungszusammenhänge<br />

von Musik, Persönlichkeit und Gewalt<br />

bietet. Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang<br />

ganz herzlich für die Zusammenarbeit mit<br />

Herrn Stöver. 1<br />

Einleitung<br />

Die Diskussion, ob<br />

Musik in <strong>der</strong> Lage ist,<br />

menschliche Verhaltensweisen<br />

<strong>der</strong>art zu<br />

beeinflussen, dass <strong>der</strong><br />

Mensch zur Anwendung<br />

physischer Gewalt<br />

neigt, o<strong>der</strong> aber<br />

die Musik zumindest die Ausführung von Gewalttaten<br />

begünstigen kann, besteht schon lange und<br />

geht einher mit Diskussionen um die Frage, ob und<br />

inwieweit Musik konkrete Auswirkungen auf<br />

Psyche und Verhalten des Menschen haben kann.<br />

Die Diskussion um die Wirkung von Musik und <strong>der</strong><br />

Frage, ob <strong>den</strong>n Musik menschliche Gewalttaten<br />

auslösen o<strong>der</strong> aber zu Gewalttaten animieren<br />

könne, ist gegenwärtig immer noch aktuell. Vor<br />

dem Hintergrund einer steigen<strong>den</strong> Gewalt von<br />

Schülern an Schulen und eines Aufkommens<br />

neonazistischer, gewaltbereiter Jugendsubkulturen<br />

wird breit erörtert, inwieweit die von Jugendlichen<br />

konsumierte Musik im Prozess <strong>der</strong><br />

Gewaltentstehung involviert ist o<strong>der</strong> sogar Auslöser<br />

für Gewalttaten sein kann. 2<br />

In einem Brief vom 13. Februar 1997 an Senator<br />

Joseph Lieberman, Washington DC, schreiben<br />

Richard und Christine Kuntz:<br />

48_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Dear Senator Lieberman.<br />

As part our families normal daily behaviour<br />

on the morning of December<br />

12th, 1996, my wife started our son´s<br />

shower and went to wake him. But our<br />

son was not sleeping at bed, he was<br />

dead, he had killed himself. He has<br />

left us and is never coming back.<br />

Dear sir, my son was listening to<br />

Marylin Manson´s ,,Antichrist Superstar”<br />

on the stereo when he died, (...)<br />

with the rough draft of a 10th grade<br />

English class paper about this artist,<br />

that his teacher had returned to him<br />

that day for final revisions, on the<br />

stand next to his body. The lyrics<br />

(enclosed) of ,,The Reflecting God”,<br />

on that CD, read as an unequivocally<br />

direct inducement to take one’s own<br />

life. (...)<br />

We are all certainly free to make our<br />

own decisions regarding the value of<br />

content, but if you were to ask me,<br />

I´d say that the lyrics of this song,<br />

contributed directly to my son´s death.<br />

(...) Sir, this<br />

music, because it<br />

glorifies inhumane<br />

intolerance and<br />

hate, and promotes<br />

suicide, contradicts<br />

all of the<br />

community values that people of good<br />

will, regardless of faith, ideology,<br />

economic or social position, share.<br />

Simply put, this music hurts us as a<br />

people. Our children are quietly being<br />

destroyed (dying), by this man´s music,<br />

by ones and twos in scattered isolation<br />

throughout our nation today. (...)


Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

Der Selbstmord des 15jährigen Richard Kuntz, <strong>der</strong><br />

sich während des Hörens eines Titels von Marylin<br />

Manson umgebracht haben soll, löste in <strong>der</strong> USA<br />

eine Debatte über die Rolle <strong>der</strong> von Jugendlichen<br />

konsumierten Musik aus, inwieweit sie Gewalttaten<br />

begünstige o<strong>der</strong> verursache. Für die Eltern des<br />

Jugendlichen und auch für eine breite Öffentlichkeit<br />

in Amerika ergibt sich in diesem Fall<br />

ein eindeutiger Zusammenhang zwischen <strong>der</strong><br />

Selbstmordtat und <strong>der</strong> konsumierten Musik,<br />

da <strong>der</strong> nihilistische Text des gehörten Marylin-<br />

Manson-Titels <strong>den</strong> Selbstmord verherrliche und<br />

Richard Kuntz beim Hören dieses Songs Selbstmord<br />

verübte; ergo muss seine Entscheidung<br />

zum Selbstmord durch die konsumierte Musik<br />

ausgelöst wor<strong>den</strong> sein. Eine populäre Meinung<br />

scheint es demnach zu sein, dass Musik direkt das<br />

menschliche Verhalten beeinflusst und somit auch<br />

Gewalttaten verursachen kann. 3<br />

Die Annahme, dass Musikkonsum Gewalttaten<br />

auslösen kann, wird auch zugrunde gelegt, wenn<br />

die Entstehung von Gewalt und Krawallen während<br />

und nach Rockkonzerten erklärt und eine<br />

Ursache für die Genese dieser Gewalt gefun<strong>den</strong><br />

wer<strong>den</strong> soll. Deshalb hier noch ein Beispiel,<br />

welches die gängige Meinung belegt, dass Musik<br />

eine verhaltensmodulierende, zur Gewaltanwendung<br />

führende Wirkung besitzt: Im New Yorker<br />

Central Park überfielen im Jahre 1989 sechs Jugendliche<br />

eine Joggerin und vergewaltigten sie,<br />

während aus einem Ghettoblaster Rapmusik<br />

ertönte. Die sich aus diesem Vorfall entwickelnde<br />

Diskussion wurde auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Unterstellung,<br />

dass die Musik mit ihren gewaltverherrlichen<strong>den</strong><br />

Texten aus dem Ghettoblaster tatauslösend gewesen<br />

sei, geführt. 4<br />

Rockmusik gilt als gewalttätig in ihrem gesamten<br />

Auftreten und in ihrer musikalische Geste. Dies<br />

zu leugnen hieße große Bereiche <strong>der</strong> Rockmusik<br />

um ihre Substanz zu betrügen. Als Ausdruck des<br />

Aufbegehrens gegen gesellschaftliche Verkrustungen<br />

ist sie entstan<strong>den</strong>. Die 68er-Bewegung ist<br />

zum großen Teil auch musikalisch auf diese Weise<br />

bewegt. „Macht kaputt, was Euch kaputt macht”<br />

hieß es dann in <strong>den</strong> 80er Jahren in Deutschland –<br />

die atomare Bedrohung im Nacken fühlend. Umso<br />

erstaunlicher ist es, dass man <strong>den</strong> Vorwurf des<br />

Faschismus gegen die Rockmusik häufig genug in<br />

Stellung bringt. Dieser Vorwurf bezieht sich im<br />

wesentlichen auf die große Lautstärke von rockmusikalischen<br />

Darbietungen. Gewalt an Ohr und<br />

Hirn. Damit wird ein Phänomen herangezogen, das<br />

zweifellos vorhan<strong>den</strong> ist. Aber dieser Vorwurf<br />

betrifft nicht nur<br />

die Rockmusik.<br />

Es ist nicht zu<br />

bestreiten, dass<br />

von Musik<br />

physische und<br />

psychische<br />

Wirkungen<br />

grundlegendster<br />

Art ausgehen. Musik tut <strong>den</strong> Menschen immer<br />

etwas an. Musik berührt. Und dieser Berührung<br />

kann man sich schlecht entziehen. Augen kann<br />

man schließen, Ohren kann man bestenfalls zustopfen.<br />

Es ist zu fragen, ob erhebliche musikalische Lautstärke<br />

eine Form <strong>der</strong> Gewalt ist, „die eine Ausübung<br />

von physischem o<strong>der</strong> psychischem Zwang<br />

darstellt, die mit dem Ziel verbun<strong>den</strong> ist, Personen<br />

o<strong>der</strong> Sachen zu schädigen”. Diesen Vorsatz wird<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_49<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

man nur selten antreffen. Dass man eine Schädigung<br />

von Personen billigend in Kauf nimmt, das<br />

wird jedoch häufiger <strong>der</strong> Fall sein.<br />

Aber im Fall <strong>der</strong> Rockmusik unterstellt man gern,<br />

dass diese Musik nicht nur gewalttätig sei,<br />

son<strong>der</strong>n auch zur Gewalt gegen Personen und<br />

Sachen anstachele. 5 Es ist interessant, dass<br />

es zwar jede Menge Meinungen gibt, die<br />

eine gewaltauslösende und aggressionsför<strong>der</strong>nde<br />

Wirkung von Musik bejahen,<br />

aber kaum wissenschaftliche Untersuchungen<br />

als Beleg o<strong>der</strong> zur Wi<strong>der</strong>legung dieser<br />

Meinungen. Auch erscheint <strong>der</strong> Hinweis<br />

wichtig, dass Musik als solche nicht<br />

aggressiv sein kann. Die Bewertung von<br />

Musik hinsichtlich ihrer „Aggressivität”<br />

kann nie ein objektives Kriterium sein,<br />

son<strong>der</strong>n resultiert aus subjektiven Einschätzungen.<br />

Inhalt <strong>der</strong> Studie, Fragestellungen<br />

und Hypothesen <strong>der</strong> Studie von<br />

C. Stöver<br />

Die wissenschaftliche Diskussion um „Musik<br />

und Gewalt” konstatiert auf <strong>der</strong> einen Seite gewalttätige<br />

Handlungen im Umfeld gewisser<br />

Musikdarbietungen, wozu auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

die „Katharsisthese” im Wi<strong>der</strong>spruch zu stehen<br />

scheint, <strong>der</strong> zufolge Musik <strong>der</strong> Abfuhr von Energien,<br />

<strong>der</strong> Verarbeitung von Gewaltphantasien und<br />

damit <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung gewalttätiger Handlungen<br />

dienen kann.<br />

C. Stöver führt dazu in seiner Arbeit aus: Ebenso<br />

bleibt insgesamt festzuhalten, dass in <strong>der</strong> Literatur<br />

eine relativ hohe Übereinstimmung darin<br />

besteht, dass Musik langfristig keine kathartische<br />

Wirkung hat. 6 Die Frage, ob Musik Einfluss auf die<br />

Aggressivität einer Person hat o<strong>der</strong> ob Musik<br />

aggressives Verhalten auslösen kann lässt sich<br />

dagegen scheinbar noch nicht generell beant-<br />

50_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

worten. Allenfalls lässt sich belegen, dass unter<br />

bestimmten Bedingungen mögliche Effekte bei<br />

bestimmten Personen mit speziellen persönlichen<br />

o<strong>der</strong> sozialen Hintergrün<strong>den</strong> auftreten können.<br />

7 Mit an<strong>der</strong>en Worten müsste man die Frage<br />

wohl mit einem „es kommt darauf an” beantworten.<br />

Für wahrscheinlicher halte ich dagegen<br />

die Theorie, dass Aggressivität als<br />

Persönlichkeitsmerkmal auf die Beurteilung<br />

von Musik bzw. auf an<strong>der</strong>e Aspekte<br />

des Musikkonsums einwirkt, wobei hier<br />

zu fragen ist, auf welche Aspekte des<br />

Musikkonsums eine <strong>der</strong>artige Abhängigkeit<br />

zutrifft. Aufgrund <strong>der</strong> dargestellten<br />

beson<strong>der</strong>en Bedeutung von Musik für Jugendliche<br />

beziehen sich die im folgen<strong>den</strong> dargestellten<br />

Vermutungen insbeson<strong>der</strong>e auf diesen<br />

Personenkreis. 8<br />

Stöver untersucht in seiner Studie die „Neigung<br />

zu aggressivem Verhalten”, die er mit <strong>den</strong> jeweiligen<br />

Musikpräferenzen, charakteristischen Umgangsweisen<br />

mit Musik, Musikverwendung in<br />

Situationen von Ärger und Trauer sowie dem<br />

Stellenwert, <strong>den</strong> Musik für die Jugendlichen hat, in<br />

Beziehung setzt.<br />

Er formuliert folgende Hypothesen, die er mit Hilfe<br />

einer Befragung (Fragebogenaktion) von 200<br />

Jugendlichen aus acht städtischen und sechs<br />

ländlichen Jugendzentren überprüfte.<br />

Hypothesenbildung<br />

Hypothese 1:<br />

Die Präferenz von bestimmten Musikstilen ist bei<br />

Jugendlichen abhängig vom Persönlichkeitsmerkmal<br />

„Aggressivität”.<br />

Hypothese 1.1.:<br />

Je stärker das Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />

bei Jugendlichen ausgeprägt ist, desto<br />

stärker präferieren sie subjektiv als aggressiv


empfun<strong>den</strong>e Musik.<br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

Hypothese 2:<br />

Die musikalischen Präferenzen von Jugendlichen<br />

in stark emotional geprägten, subjektiv als negativ<br />

bewerteten Situationen sind abhängig vom<br />

Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”.<br />

Hypothese 2.1.:<br />

Die musikalischen Präferenzen von Jugendlichen in<br />

Situationen des Ärgers unterschei<strong>den</strong> sich von <strong>den</strong><br />

musikalischen Präferenzen in Situationen <strong>der</strong><br />

Trauer.<br />

Hypothese 2.2.:<br />

Die musikalischen Präferenzen von Jugendlichen<br />

in Situationen des Ärgers sind abhängig vom<br />

Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”.<br />

Hypothese 2.3.:<br />

Die musikalischen Präferenzen von Jugendlichen<br />

in Situationen <strong>der</strong> Trauer sind abhängig vom<br />

Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”.<br />

Hypothese 2.4.:<br />

Je stärker das Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />

bei Jugendlichen ausgeprägt ist, desto<br />

aggressiver und erregen<strong>der</strong> soll die Musik in stark<br />

emotional geprägten, subjektiv als negativ bewerteten<br />

Situationen sein.<br />

Hypothese 3:<br />

Die Umgangsweise von Jugendlichen mit Musik ist<br />

abhängig vom Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”.<br />

Hypothese 3.1.:<br />

Jugendliche mit einer hohen Neigung zu aggressivem<br />

Verhalten tendieren dazu, mit Musik verstärkt<br />

stimulativ umzugehen.<br />

Bzw.: Jugendliche mit einer geringen Neigung zu<br />

aggressivem Verhalten tendieren dazu, mit Musik<br />

weniger stark stimulativ umzugehen.<br />

Hypothese 3.2.:<br />

Jugendliche mit einer hohen Neigung zu aggressivem<br />

Verhalten tendieren dazu, mit Musik verstärkt<br />

kompensatorisch umzugehen.<br />

Bzw.: Jugendliche mit einer geringen Neigung zu<br />

aggressivem Verhalten tendieren dazu, mit Musik<br />

weniger stark kompensatorisch umzugehen.<br />

Hypothese 3.3.:<br />

Bei Jugendlichen mit einer hohen Neigung zu<br />

aggressivem Verhalten ist die Ten<strong>den</strong>z, mit Musik<br />

verstärkt stimulativ umzugehen, stärker ausgeprägt,<br />

wenn Musik einen hohen Stellenwert einnimmt.<br />

Hypothese 3.4.:<br />

Bei Jugendlichen mit einer hohen Neigung zu<br />

aggressivem Verhalten ist die Ten<strong>den</strong>z, mit Musik<br />

verstärkt kompensatorisch umzugehen, stärker<br />

ausgeprägt, wenn Musik einen hohen Stellenwert<br />

einnimmt.<br />

Der Fragebogen<br />

Der empirische Teil <strong>der</strong> Studie von C. Stöver<br />

umfasst zwei Teile: die Durchführung eines standardisierten<br />

Tests zum Persönlichkeitsmerkmal<br />

„Aggressivität” und die Befragung <strong>der</strong> Jugendlichen<br />

hinsichtlich des Musikkonsums. Die Untersuchung<br />

sollte sich an etwa 12- bis 20-jährige<br />

Jugendliche richten und die Durchführung an<br />

verschie<strong>den</strong>en Jugendzentren erfolgen. Um die<br />

Aussagekraft <strong>der</strong> Studie zu erhöhen, wur<strong>den</strong><br />

dabei verschie<strong>den</strong>e Wohnregionen (Stadt Ol<strong>den</strong>burg<br />

und Landkreis Ammerland) berücksichtigt.<br />

9 Aus <strong>den</strong> Telefonverzeichnissen <strong>der</strong> Stadt<br />

Ol<strong>den</strong>burg und dem Landkreis Ammerland wur<strong>den</strong><br />

die aufgeführten Jugendzentren und Jugendfreizeitstätten<br />

herausgesucht und bezüglich ihrer<br />

Bereitschaft zur Teilnahme an dieser empirischen<br />

Studie angesprochen. Von <strong>den</strong> kontaktierten<br />

Jugendzentren und Jugendfreizeitstätten gaben<br />

alle ihr Einverständnis zur Durchführung <strong>der</strong><br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_51<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

Befragung. Insgesamt war im allgemeinen großes<br />

Interesse, Offenheit und Teilnahmebereitschaft<br />

sowohl von Seiten <strong>der</strong> Mitarbeiter in <strong>den</strong> Jugendzentren<br />

als auch insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>den</strong> Jugendlichen<br />

zu beobachten.<br />

Die Darstellung des genauen Verfahrens zur Erstellung<br />

des Fragebogens würde <strong>den</strong> Rahmen dieses<br />

Artikels sprengen. 10<br />

Der Fragebogen erfasste im folgende Aspekte:<br />

1. Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />

2. Merkmale hinsichtlich des Musikkonsums:<br />

• präferierte Musikrichtungen<br />

• zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Untersuchung präferierte<br />

Musikstücke und Interpreten<br />

• Stellenwert von Musik<br />

• musikalische Präferenzen in <strong>der</strong> Situationen<br />

des Ärgers und <strong>der</strong> Trauer<br />

• Begründung dieser situativen Präferenzen<br />

• Umgangsweisen mit Musik<br />

3. Merkmale zur Person<br />

• Alter<br />

• Geschlecht<br />

• Schulform<br />

• Wohnregion<br />

Um eine computergestützte und zugleich ökonomische<br />

Auszählung <strong>der</strong> Ergebnisse zu ermöglichen,<br />

wur<strong>den</strong> im wesentlichen Fragen mit<br />

festgelegten Antwortalternativen (geschlossene<br />

Fragen) ausgewählt. Lediglich an <strong>den</strong> Stellen, wo<br />

die potentiellen Antwortmöglichkeiten vorab nicht<br />

abzuschätzen sind, wurde offenen Fragen <strong>der</strong><br />

Vorzug gegeben. 11 Bezogen auf seinen Umfang<br />

wurde dieser Fragebogen so konzipiert, dass die<br />

Durchführung <strong>der</strong> Befragung einschließlich einer<br />

Einführung in ca. 15 Minuten erfolgen kann.<br />

52_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …


Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

Hier nun <strong>der</strong> Fragebogen:<br />

Fragebogen zum Zusammenhang von Persönlichkeit und Musikkonsum<br />

Fragebogen-Nr.<br />

➊ Zunächst wirst Du ein paar Aussagen über bestimmte Verhaltensweisen, Einstellungen und Gewohnheiten<br />

fin<strong>den</strong>. Beantworte bitte jede mit „stimmt” o<strong>der</strong> mit „stimmt nicht”. Es gibt hier keine richtigen<br />

o<strong>der</strong> falschen Antworten, weil je<strong>der</strong> Mensch das Recht zu eigenen Anschauungen hat. Antworte bitte so,<br />

wie es für Dich zutrifft.<br />

Beachte: Überlege bitte nicht erst, welche Antwort vielleicht <strong>den</strong> „besten Eindruck” machen könnte,<br />

son<strong>der</strong>n antworte so, wie es für Dich persönlich gilt. Manche Fragen kommen Dir vielleicht sehr persönlich<br />

vor. Be<strong>den</strong>ke aber, dass Deine Angaben wirklich vertraulich behandelt wer<strong>den</strong> und Du Deinen Namen<br />

nicht angeben musst. Denke nicht lange über einen Satz nach, son<strong>der</strong>n antworte so, wie es Dir<br />

unmittelbar in <strong>den</strong> Sinn kommt. Auch wenn vielleicht einige Fragen nicht so gut passen, kreuze bitte<br />

trotzdem immer die Antwort an, die noch am ehesten auf Dich zutrifft.<br />

1. Wenn jemand meinem Freund etwas Böses tut, bin ich dabei, wenn es<br />

heimgezahlt wird.<br />

2. Ich kann mich erinnern, mal so zornig gewesen zu sein, dass ich<br />

irgend etwas nahm und es zerriss o<strong>der</strong> zerschlug.<br />

3. Wenn ich in einer ausgelassenen, lustigen Gruppe bin, habe ich<br />

häufig Lust, üble Streiche zu spielen.<br />

4. Ich überlege mir manchmal, wie schlecht es <strong>den</strong>en eigentlich ergehen<br />

müsste, die mir Unrecht tun.<br />

5. Als Kind habe ich manchmal ganz gerne an<strong>der</strong>en die Arme umgedreht,<br />

an Haaren gezogen, ein Bein gestellt usw.<br />

6. Es macht mir Spaß, an<strong>der</strong>en ihre Fehler zu zeigen.<br />

7. Wenn ich körperlich gewalttätig wer<strong>den</strong> muss, um meine Rechte zu<br />

verteidigen, dann tue ich es.<br />

8. Wenn mich jemand anschreit, schreie ich zurück.<br />

9. Wenn ich wirklich wütend werde, bin ich in <strong>der</strong> Lage jemandem eine<br />

runterzuhauen.<br />

10. Einem Menschen, <strong>der</strong> mich schlecht behandelt o<strong>der</strong> beleidigt hat,<br />

wünsche ich eine harte Strafe.<br />

11. Lieber bis zum Äußersten gehen als feige sein.<br />

12. Es gab Leute, die mich so ärgerten, dass es zu einer handfesten<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung (z.B. einer Schlägerei) kam.<br />

stimmt stimmt nicht<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_53<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

Die jetzt folgen<strong>den</strong> Fragen drehen sich ausschließlich um Musik.<br />

➋ Zuerst möchte ich gerne etwas über Deinen Musikgeschmack erfahren.<br />

Nenne dazu bitte drei Musikstücke, die Dir im Moment sehr gut gefallen. Schreibe bitte die Musiktitel<br />

und die jeweiligen Interpreten/Interpretinnen auf.<br />

Wenn Du nicht alle Angaben ganz genau weißt, dann lasse die Stelle einfach frei.<br />

1. Titel:<br />

Interpreten/Interpretinnen:<br />

2. Titel:<br />

Interpreten/Interpretinnen:<br />

3. Titel:<br />

Interpreten/Interpretinnen:<br />

➌ Bitte gebe nun jeweils an, wie gut Dir die folgen<strong>den</strong> Musikarten gefallen.<br />

1. Schlagermusik<br />

2. Techno/House<br />

3. HipHop/Rap<br />

4. Rockmusik<br />

5. Heavy-Metal<br />

6. Popmusik<br />

7. Punk<br />

8. Soul<br />

9. Gothic/Dark Wave/EBM<br />

(Electronic Body Music)<br />

10. SoftRock<br />

11. Rechtsrock/rechte<br />

Rockmusik/Oi!-Musik<br />

12. Dancefloor/Technopop<br />

13. Grunge<br />

14. aggressive Musik<br />

gefällt mir beson<strong>der</strong>s<br />

gut (4)<br />

54_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

höre ich auch<br />

noch gern (3)<br />

gefällt mir<br />

weniger (2)<br />

gefällt mir<br />

gar nicht (1)<br />

keine Meinung/<br />

mir unbekannt (0)


➍ Jetzt möchte ich erfahren, wie wichtig Musik für Dich ist.<br />

1. Für ein wichtiges Konzert fahre ich auch<br />

sehr weit.<br />

2. Ich sammle Texte, Bil<strong>der</strong>, Bücher usw.<br />

über Musik.<br />

3. Ich lese Zeitschriften, um mich über<br />

Musik zu informieren.<br />

4. Ohne Musik würde mir etwas sehr<br />

Wichtiges fehlen.<br />

5. Ich höre CDs, Kassetten o<strong>der</strong> Schallplatten.<br />

6. Ich tausche, leihe und überspiele CDs,<br />

Kassetten o<strong>der</strong> Schallplatten.<br />

7. Wenn ich für längere Zeit keine Musik<br />

hören kann, werde ich ganz unruhig.<br />

➎ Stell Dir bitte einmal folgende Situation vor: Du hast Dich mit Deinem besten Freund/Deiner besten<br />

Freundin heftig gestritten und bist jetzt stinksauer auf ihn/sie.<br />

Wenn Du nun Musik einschalten könntest, die Du in dieser Situation am liebsten hören würdest, wie<br />

sollte diese Musik sein? Mache bitte in je<strong>der</strong> Zeile ein Kreuz!<br />

➠<br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

➠<br />

stimmt<br />

gar nicht (0)<br />

schnell ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ langsam<br />

hart ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ weich<br />

heiter ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ trübe<br />

aggressiv ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ friedvoll<br />

traurig ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ froh<br />

lebhaft ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ müde<br />

erregend ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ beruhigend<br />

nüchtern ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ gefühlvoll<br />

(0) (1) (2) (3) (4) (5)<br />

stimmt<br />

wenig (1)<br />

Könntest Du auch kurz begrün<strong>den</strong>, warum die Musik so und nicht an<strong>der</strong>s sein sollte?<br />

stimmt<br />

ziemlich (2)<br />

stimmt<br />

völlig (3)<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_55<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

Versuche Dich jetzt einmal an eine Situation zu erinnern, in <strong>der</strong> Du unheimlich traurig warst.<br />

Wenn Du nun Musik einschalten könntest, die Du in dieser Situation am liebsten hören würdest, wie<br />

sollte diese Musik sein? Mache bitte in je<strong>der</strong> Zeile ein Kreuz!<br />

➠<br />

schnell ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ langsam<br />

hart ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ weich<br />

heiter ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ trübe<br />

aggressiv ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ friedvoll<br />

traurig ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ froh<br />

lebhaft ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ müde<br />

erregend ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ beruhigend<br />

nüchtern ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ gefühlvoll<br />

(0) (1) (2) (3) (4) (5)<br />

Könntest Du auch kurz begrün<strong>den</strong>, warum die Musik so und nicht an<strong>der</strong>s sein sollte?<br />

➏ Im folgen<strong>den</strong> findest Du eine Reihe von Feststellungen, Behauptungen und Beschreibungen, die<br />

etwas mit Musikhören zu tun haben. Einigen wirst Du persönlich zustimmen können, an<strong>der</strong>en nicht.<br />

Manchmal ist es aber nicht leicht, eindeutig ja o<strong>der</strong> nein zu sagen. Versuche deshalb, die einzelnen<br />

Aussagen mit Zahlen von 1 bis 5 (ähnlich wie mit Zensuren) daraufhin zu bewerten, ob sie für Dich persönlich<br />

zutreffen. Denke dabei an die Musikstücke, die Du zur Zeit gut findest. Dabei bedeutet:<br />

1 Absolut richtig – diese Aussage trifft genau auf mich zu;<br />

2 Einigermaßen richtig – diese Aussage trifft mit Einschränkungen auf mich zu;<br />

3 Unentschie<strong>den</strong> – da kann man we<strong>der</strong> ja noch nein sagen;<br />

4 Eher falsch – diese Aussage stimmt für mich im Allgemeinen nicht, manchmal trifft sie aber vielleicht doch zu;<br />

5 Absolut falsch – diese Aussage trifft auf mich überhaupt nicht zu.<br />

Wenn ich Musik höre … Bewertung von 1 bis 5 hier eintragen:<br />

1 … singe o<strong>der</strong> summe ich oft mit. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

56_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

➠<br />

2 … habe ich oft bildhafte Vorstellungen. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

3 … kann es sein, dass mir die Musik regelrecht unter die Haut geht. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

4 … versuche ich gleich zu erkennen, welche Art von Musik das sein könnte (z.B. Rock, Jazz, Folk,<br />

klassische Musik, ...). - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

5 … möchte ich mich am liebsten immer bewegen. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]


Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

6 … höre ich gern nur mit einem Ohr zu.- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

7 … kann es sein, dass ich bestimmte körperliche Wirkungen (Verän<strong>der</strong>ungen des Herzschlages,<br />

Kribbeln auf <strong>der</strong> Haut, Gefühl im Magen, ...) spüre. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

8 … versuche ich <strong>den</strong> Text (wenn vorhan<strong>den</strong>) zu verstehen. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

9 … achte ich auch darauf, welche Gefühle durch die Musik ausgedrückt wer<strong>den</strong>.- - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

10 … träume ich am liebsten. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

11 … kann es sein, dass mich <strong>der</strong> Rhythmus ganz gefangen hält. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

12 … höre ich hin und wie<strong>der</strong> gezielt bestimmte Instrumente heraus. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

13 … ist eine höhere Lautstärke für mich wichtig. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

14 … werde ich an Dinge erinnert, die ich früher erlebt habe. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

15 … kann ich mich richtig beruhigen, wenn ich vorher aufgeregt war. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

16 … kann es sein, dass ich meine Stimmungen in <strong>der</strong> Musik wie<strong>der</strong>finde. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

17 … fühle ich mich weniger einsam. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

18 … versuche ich, <strong>den</strong> Aufbau des Stückes (Wie<strong>der</strong>holungen, Verän<strong>der</strong>ungen) zu verstehen. - - - - - [ ]<br />

19 … mache ich gern etwas ganz an<strong>der</strong>es. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

20 … kann es sein, dass ich sehr erregt, angriffslustig, aggressiv werde.- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

21 … kann es sein, dass ich eine ganze Geschichte zur Musik erfinde, so als wenn ein Film in mir abläuft. [ ]<br />

22 … regt sie mich an, über mich nachzu<strong>den</strong>ken. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

23 … setze ich mich irgendwie an<strong>der</strong>s hin als sonst. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

24 … soll sie mich auf an<strong>der</strong>e Gedanken bringen, unangenehme Stimmungen aus meinem<br />

Kopf vertreiben. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

25 … kann es sein, dass ich am liebsten weinen möchte. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

26 … möchte ich ganz weit weg sein. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

27 … höre ich vor allem mit dem Gefühl. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

28 … mache ich gern die Augen zu. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

29 … finde ich es interessant, die verschie<strong>den</strong>en Themen, Melodien und Rhythmen zu verfolgen. - - [ ]<br />

30 … bringt sie mich in eine an<strong>der</strong>e Stimmung. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />

➐ Abschließend nur noch ein paar Fragen zu Deiner Person:<br />

Ich bin Jahre alt. ❐ weiblich ❐ männlich<br />

Welchen Schulabschluss hast Du o<strong>der</strong> strebst Du an?<br />

❐ Hauptschulabschluss ❐ Realschulabschluss ❐ Abitur o<strong>der</strong> Fachabitur<br />

Ganz vielen Dank für Deine Mitarbeit!<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_57<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

Analyse 12 und Untersuchungsergebnisse<br />

Einfluss von Geschlecht, Alter, besuchter Schulform und Wohnregion auf das Persönlichkeitsmerkmal<br />

„Aggressivität”<br />

Tab. 1: Verteilung des Skalenwerts für das Persönlichkeitsmerkmals „Aggressivität” in <strong>der</strong> Stichprobe<br />

Gültig<br />

58_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Häufigkeit Prozent Kumulierte Prozente<br />

3 1 ,5 ,5<br />

4 13 6,4 6,9<br />

5 40 19,8 26,7<br />

6 60 29,7 56,4<br />

7 49 24,3 80,7<br />

8 22 10,9 91,6<br />

9 17 8,4 100,0<br />

Gesamt 202 100,0<br />

Tab. 2: Abhängigkeit des Persönlichkeitsmerkmals „Aggressivität” von Geschlecht, Alter,<br />

Schulabschluss und Wohnregion<br />

Persönlichkeitsmerkmal "Aggressivität" (Skalenwert)<br />

Geschlecht <strong>der</strong> Person Mittelwert N Standardabweichung<br />

weiblich 6,69 78 1,32<br />

männlich 6,17 124 1,32<br />

Insgesamt 6,37 202 1,34<br />

Altersgruppen Mittelwert N Standardabweichung<br />

12-14 Jahre 6,59 41 1,55<br />

15-16 Jahre 6,41 78 1,38<br />

17-18 Jahre 6,34 50 1,22<br />

19-24 Jahre 6,06 31 1,15<br />

Welchen Schulabschluss<br />

hast Du o<strong>der</strong> strebst Du an? Mittelwert N Standardabweichung<br />

Hauptschule 6,56 57 1,21<br />

Realschule 6,29 100 1,42<br />

Abitur o<strong>der</strong> Fachabitur 6,19 36 1,33


Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

Wohnort <strong>der</strong> Person Mittelwert N Standardabweichung<br />

Ol<strong>den</strong>burg 6,39 94 1,42<br />

Ammerland 6,35 108 1,28<br />

Zunächst ist einmal auffällig <strong>der</strong> relativ hohe<br />

Gesamtmittelwert (Mittelwert 6,37) für das Persönlichkeitsmerkmal<br />

„Aggressivität”, da als repräsentative<br />

Vergleichsdaten in <strong>der</strong> Handanweisung<br />

zum FPI-R für Männer zwischen 16 und 24 Jahren<br />

ein Mittelwert von 5,44 und für Frauen in diesem<br />

Alter ein Mittelwert von 4,33 angegeben wird. 13<br />

Jedoch ist zu beachten, dass in <strong>der</strong> Normstichprobe<br />

zum FPI-R auch die Standardabweichungen<br />

wesentlich größer als in dieser Untersuchung<br />

waren (Männer: s = 3,27; Frauen: s = 2,88) 14 ,<br />

wodurch die Unterschiede in <strong>den</strong> Mittelwerten<br />

weniger aussagekräftig wer<strong>den</strong>. Wie bei <strong>der</strong> Skalenkonstruktion<br />

vom FPI-R vorgesehen, lagen etwa<br />

54% 15 (exakter Wert in dieser Untersuchung:<br />

55,9%) <strong>der</strong> Stichprobe im mittleren Skalenbereich,<br />

d.h. im Bereich von 4 bis 6. Während jedoch <strong>der</strong><br />

Anteil <strong>der</strong> Jugendlichen mit einem hohen Skalenwert<br />

(7 bis 9) bei 43,6% liegt, sind Jugendliche mit<br />

einem niedrigen Skalenwert (1 bis 3) bis auf eine<br />

Ausnahme nicht vorhan<strong>den</strong> (vgl. Tab. 7). Aufgrund<br />

<strong>der</strong> Tatsache, dass in <strong>den</strong> bereits erwähnten Vergleichsdaten<br />

die Männer im Durchschnitt eine<br />

höhere Neigung zu aggressivem Verhalten aufwiesen,<br />

ist <strong>der</strong> in dieser Studie vorhan<strong>den</strong>e signifikant<br />

höhere Wert für Frauen (vgl. Tab. 8 und 9) beson<strong>der</strong>s<br />

hervorstechend.<br />

Über die Gründe dieser Ergebnisse kann an dieser<br />

Stelle nur spekuliert wer<strong>den</strong>. Eine Erklärungsmöglichkeit<br />

für das relativ hohe durchschnittliche<br />

Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität” ist, dass<br />

Jugendliche heute wohl im allgemeinen mit Emotionen<br />

offener umgehen als zum Zeitpunkt <strong>der</strong><br />

Repräsentativerhebung zum FPI-R (1982). So sind<br />

auch in <strong>den</strong> Begründungen für die Musikpräferenzen<br />

in Situationen des Ärgers häufiger Aussagen<br />

wie etwa „ (...) ich lebe meine Gefühle eher aus als<br />

dass ich gegen sie arbeite” 16 und „weil ich gerade<br />

in <strong>der</strong> Stimmung bin und so bin ich halt” 17 zu<br />

fin<strong>den</strong>. Eine weitere mögliche Ursache könnte<br />

aber auch in <strong>der</strong> Sozialstruktur <strong>der</strong> Besucher von<br />

Jugendfreizeitstätten liegen. Aus einer Untersuchung<br />

von Freizeitstätten aus ganz Deutschland<br />

ergab sich, dass „Besucher aus unteren Statusgruppen<br />

(...) leicht überrepräsentiert” 18 sind. Es ist<br />

anzunehmen, dass die Jugendlichen aus dieser<br />

sogenannten unteren Sozialschicht eine schichtspezifische<br />

Sozialisationserfahrung haben. Das,<br />

was sie im Alltag an eventueller Unterdrückung<br />

und Frustration erfahren (z.B. in Familie, Schule<br />

und Arbeitsplatz), spiegelt sich in ihrem Freizeitverhalten<br />

wi<strong>der</strong>. In diesem Kontext kann die Freizeitstätte<br />

durchaus auch als ein Ort verstan<strong>den</strong><br />

wer<strong>den</strong>, <strong>der</strong> Jugendlichen die Möglichkeit bietet,<br />

aus <strong>den</strong> vorgegebenen Bahnen auszubrechen und<br />

die eventuell erfahrenen Frustrationen unmittelbar<br />

abzureagieren. So erwarten Jugendliche nach<br />

Krisam & Tegethoff in einer Freizeitstätte stets die<br />

Möglichkeit einer lärmen<strong>den</strong> und geselligen<br />

Atmosphäre. 19 Dieser ‘lärmende’ Umgang von<br />

Jugendlichen beinhaltet eine gewisse Form von<br />

Aggressivität, jedoch ist von Bedeutung, „dass<br />

(diese) Aggressivität nicht als ein nach außen<br />

und gegen an<strong>der</strong>e Besucher gerichtetes, son<strong>der</strong>n<br />

als ein sich selbst befreiendes, enthemmendes<br />

Verhalten verstan<strong>den</strong> wird.” 20 Ebenso wäre <strong>den</strong>kbar,<br />

dass Jugendliche durch Konsumangebote in<br />

dem von <strong>der</strong> Freizeitstätte scheinbar angebotenen<br />

Freiraum eine Entschädigung für erfahrene Frustration<br />

erwarten. 21 Es wird jedoch z.B. bei Grauer<br />

auch betont, dass „Besucher von Freizeit(stätten)<br />

im Großen und Ganzen nicht als eine charakteristische<br />

Untergruppe in bezug auf bedeutsame<br />

Merkmale des sozialen Milieus und <strong>der</strong> Familiensituation<br />

(...) anzusehen sind.” 22<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_59<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

Das höhere Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />

bei weiblichen Jugendlichen in dieser Studie könnte<br />

ebenfalls mit dem Lebenskontext Jugendzentrum<br />

in Zusammenhang gebracht wer<strong>den</strong>. Es ist zu vermuten,<br />

dass insbeson<strong>der</strong>e bei weiblichen Besuchern<br />

Vergleicht man die Mittelwerte des Persönlichkeitsmerkmals<br />

„Aggressivität” mit <strong>der</strong> Variable<br />

„Alter”, so fällt auf, dass die Jugendlichen mit<br />

zunehmen<strong>den</strong> Alter eine kontinuierlich weniger<br />

stark ausgeprägte Neigung zu aggressivem Verhalten<br />

aufweisen. Jedoch erweisen sich diese<br />

Abweichungen nicht als signifikant. Dennoch ist<br />

anzunehmen, dass bei einer Stichprobe mit größerer<br />

Altersspanne <strong>der</strong> Proban<strong>den</strong> eine signifikante<br />

Auswirkung auf das Persönlichkeitsmerkmal<br />

„Aggressivität” zu verzeichnen gewesen wäre.<br />

Auch vom Schulabschluss <strong>der</strong> befragten Jugendlichen<br />

hängt <strong>der</strong> Skalenwert für das Persönlichkeitsmerkmal<br />

„Aggressivität” nur geringfügig<br />

60_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

von Jugendzentren beson<strong>der</strong>e charakteristische<br />

Merkmale, wie etwa ein stark ausgeprägtes Durchsetzungsvermögen,<br />

notwendig sind, um in diesen<br />

vorwiegend von männlichen Jugendlichen besuchten<br />

Freizeiteinrichtungen zurechtzukommen.<br />

Tab. 3: Korrelationen des Skalenwerts für das Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität” mit Geschlecht,<br />

Alter, Schulabschluss und Wohnort<br />

Geschlecht Altersangabe Welchen Schulabschluss Wohnort<br />

<strong>der</strong> Person hast Du o<strong>der</strong> strebst Du an? <strong>der</strong> Person<br />

Persönlichkeits- Korrelation -,190 (**) -,128 -,099 -,016<br />

merkmal nach<br />

„Aggressivität„ Pearson<br />

(Skalenwert) N<br />

202 200 193 202<br />

** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant.<br />

Tab. 4: „Aggressivitätsgruppen“<br />

zusammen (vgl. Tab. 3). Die Gymnasiasten weisen<br />

hier mit einem Mittelwert von 6,19 die geringste,<br />

die Hauptschüler mit 6,56 die höchste Neigung zu<br />

aggressivem Verhalten auf. Eine Abhängigkeit von<br />

<strong>der</strong> Wohnregion konnte nicht ausgemacht wer<strong>den</strong><br />

(vgl. Tab. 2 und Tab. 3).<br />

Um im Folgen<strong>den</strong> die Abhängigkeit <strong>der</strong> verschie<strong>den</strong>en<br />

Aspekte des Musikkonsums vom Persönlichkeitsmerkmal<br />

„Aggressivität” zu untersuchen,<br />

wur<strong>den</strong> die einzelnen Skalenwerte aufgrund<br />

von zum Teil sehr geringen Häufigkeiten zu vier<br />

„Aggressivitätsgruppen” zusammengefasst (vgl.<br />

Tab. 4).<br />

Häufigkeit Prozent Kumulierte Prozente<br />

Gruppe 1: Skalenwerte 3 bis 5 54 26,7 26,7<br />

Gruppe 2: Skalenwert 6 60 29,7 56,4<br />

Gruppe 3: Skalenwert 7 49 24,3 80,7<br />

Gruppe 4: Skalenwerte 8 und 9 39 19,3 100,0


Zusammenfassung <strong>der</strong><br />

Untersuchungsergebnisse<br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

Insgesamt lässt sich festhalten, dass mit zunehmen<strong>der</strong><br />

Neigung zu aggressivem Verhalten auch<br />

die Präferenz von subjektiv als aggressiv empfun<strong>den</strong>er<br />

Musik stärker wird (Bestätigung <strong>der</strong> Hypothese<br />

1.1.). Die Einfluss <strong>der</strong> Aggressivität auf die<br />

Präferenzen zu <strong>den</strong> erhobenen Musikstilen scheint<br />

dagegen nur relativ gering zu sein. Hier ergibt sich<br />

nur eine signifikante Abhängigkeit bei Schlagermusik,<br />

die sich als geschlechtsspezifisch erweist<br />

(vgl. Kapitel 6.2.). Obwohl darüber hinaus bei<br />

mehreren an<strong>der</strong>en Musikrichtungen durchaus<br />

weitere (varianzanalytisch nicht signifikante)<br />

Ten<strong>den</strong>zen zu beobachten sind, kann Hypothese 1<br />

(Die Präferenz von bestimmten Musikstilen ist bei<br />

Jugendlichen abhängig vom Persönlichkeitsmerkmal<br />

„Aggressivität”.) im <strong>Gegen</strong>satz zu Hypothese<br />

1.1. (Je stärker das Persönlichkeitsmerkmal<br />

„Aggressivität” bei Jugendlichen ausgeprägt ist,<br />

desto stärker präferieren sie subjektiv als aggressiv<br />

empfun<strong>den</strong>e Musik.) nicht eindeutig als bestätigt<br />

angesehen wer<strong>den</strong>.<br />

Dieses Ergebnis kann man dahingehend interpretieren,<br />

dass die empfun<strong>den</strong>e Aggressivität eines<br />

Musikstücks für Jugendliche mit einer höheren<br />

Neigung zu aggressivem Verhalten ein wichtiges<br />

Kriterium für die Präferenz dieser Musik ist. Diese<br />

Jugendlichen präferieren ein Musikstück folglich<br />

unter an<strong>der</strong>em aufgrund <strong>der</strong> empfun<strong>den</strong>en Aggressivität.<br />

Jugendliche mit einer geringeren<br />

Neigung präferieren evtl. dieselbe Musikrichtung,<br />

ohne diese jedoch als aggressiv zu empfin<strong>den</strong>.<br />

Denn schließlich resultiert die Beurteilung <strong>der</strong><br />

Musik hinsichtlich ihrer Aggressivität immer aus<br />

einer subjektiven Einschätzung.<br />

Deutlich zeigt sich auch, dass Musikpräferenzen<br />

recht stark situationsabhängig sind. Während sich<br />

in Situationen <strong>der</strong> Trauer ein recht deutlicher<br />

Wunsch nach langsamer, weicher, friedvoller,<br />

beruhigen<strong>der</strong>, gefühlvoller und eher trauriger<br />

Musik abzeichnet, sind in Situationen des Ärgers<br />

bis auf eine leichte Ten<strong>den</strong>z zu lebhafter und<br />

gefühlvoller Musik keine einheitlichen Musikpräferenzen<br />

festzustellen. Die Hypothese 2.1.<br />

(„Die musikalischen Präferenzen von Jugendlichen<br />

in Situationen des Ärgers unterschei<strong>den</strong> sich von<br />

<strong>den</strong> musikalischen Präferenzen in Situationen <strong>der</strong><br />

Trauer.”) wird also bestätigt.<br />

Als hoch signifikant abhängig vom Persönlichkeitsmerkmal<br />

„Aggressivität” erweisen sich die<br />

musikalischen Präferenzen in Situationen des<br />

Ärgers (Bestätigung <strong>der</strong> Hypothese 2.2.). Jugendliche<br />

mit einer hohen Neigung zu aggressivem<br />

Verhalten wünschen sich in dieser Situation deutlich<br />

härtere, aggressivere und erregen<strong>der</strong>e sowie<br />

ten<strong>den</strong>ziell schnellere Musik als Jugendliche mit<br />

einer geringeren Neigung (vgl. Kapitel 6.3.2.).<br />

Deutlich wird in Kapitel 6.3.4. zudem, dass Musik<br />

bei einigen Jugendlichen auch dazu benutzt wird,<br />

vorhan<strong>den</strong>en Ärger in vielleicht sogar lustvoller<br />

Form auszuleben. Diese Jugendlichen weisen im<br />

Durchschnitt eine vergleichsweise hohe Neigung<br />

zu aggressivem Verhalten auf. In Situationen <strong>der</strong><br />

Trauer hängen die Musikpräferenzen von Jugendlichen<br />

dagegen kaum von <strong>der</strong> „Aggressivität” ab<br />

(vgl. Kapitel 6.3.3.). Hier läßt sich lediglich beobachten,<br />

dass die Präferenz von trauriger Musik bei<br />

Jugendlichen mit hoher Neigung zu aggressivem<br />

Verhalten vergleichsweise stark ausgeprägt ist.<br />

Darüber hinaus wünschen sich männliche Jugendliche<br />

mit einem höheren Maß an Aggressivität<br />

ten<strong>den</strong>ziell lebhaftere Musik. Weibliche Jugendliche<br />

mit geringerer Neigung zu aggressivem Verhalten<br />

lassen eine stärker ausgeprägte Vorliebe für<br />

beruhigende Musik erkennen. Die Hypothese 2.3.<br />

(Die musikalischen Präferenzen von Jugendlichen<br />

in Situationen <strong>der</strong> Trauer sind abhängig vom<br />

Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”.) wird<br />

demzufolge nicht eindeutig bestätigt. Hypothese<br />

2.4. (Je stärker das Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />

bei Jugendlichen ausgeprägt ist, desto<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_61<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

aggressiver und erregen<strong>der</strong> soll die Musik in stark<br />

emotional geprägten, subjektiv als negativ bewerteten<br />

Situationen sein.) bestätigt sich in Situationen<br />

des Ärgers, in Situationen <strong>der</strong> Trauer hingegen<br />

nicht.<br />

In bei<strong>den</strong> Situation treten starke Abweichungen<br />

von <strong>den</strong> durchschnittlichen Musikwünschen fast<br />

ausschließlich in <strong>der</strong> Gruppe mit <strong>der</strong> höchsten<br />

Neigung zu aggressivem Verhalten (Gruppe 4)<br />

auf. Es ist zu vermuten, dass sich bei Jugendlichen<br />

mit einer weit unterdurchschnittlichen Neigung<br />

zu aggressivem Verhalten gegenläufige Effekte<br />

abzeichnen, wodurch die bereits in dieser Untersuchung<br />

an mehreren Stellen festgestellte Abhängigkeit<br />

<strong>der</strong> situativen Musikpräferenzen vom<br />

Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität” noch<br />

deutlicher wer<strong>den</strong> würde. Da jedoch keiner <strong>der</strong><br />

Jugendlichen in dieser Untersuchung eine weit<br />

unterdurchschnittliche Neigung zu aggressivem<br />

Verhalten aufweist 23 , müsste man diese Annahme<br />

in einer weiterführen<strong>den</strong> Studie überprüfen.<br />

Aus <strong>den</strong> dargestellten Clusterprofilen <strong>der</strong> Situation<br />

Ärger 24 wird ersichtlich, dass es unterschiedliche<br />

Arten <strong>der</strong> Emotionsbewältigung durch Musik gibt,<br />

die durch verschie<strong>den</strong>e emotionale und kognitive<br />

Verläufe gekennzeichnet sind. Ein bestimmtes<br />

Grundgefühl wie z.B. Ärger soll durch Musik noch<br />

verstärkt wer<strong>den</strong> o<strong>der</strong> – im <strong>Gegen</strong>teil (wahrscheinlich<br />

hauptsächlich bei als unangenehm empfun<strong>den</strong>en<br />

Gefühlszustän<strong>den</strong>) – abgeschwächt o<strong>der</strong> in<br />

eine konträre, „positive” Laune verwandelt wer<strong>den</strong>.<br />

Auch diese musikalischen Bewältigungsstrategien<br />

in Situationen des Ärgers erweisen sich<br />

als hoch signifikant abhängig vom Persönlichkeitsmerkmal<br />

„Aggressivität”. An dieser Stelle wird<br />

allerdings ebenso erkennbar, dass musikalische<br />

Präferenzen kein Indikator für die Neigung zu<br />

aggressivem Verhalten von Jugendlichen sind (vgl.<br />

Kapitel 6.3.4.). In <strong>der</strong> Situation Trauer ergibt sich<br />

auch im Zusammenhang keine signifikante Abhängigkeit.<br />

62_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Wie vermutet zeigt sich insgesamt auch, dass die<br />

Umgangsweisen mit Musik von Jugendlichen<br />

abhängig vom Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />

sind (Hypothese 3). Varianzanalytisch ergibt<br />

sich hier insgesamt ein schwach signifikanter<br />

Effekt (vgl. Kapitel 6.4.). Beson<strong>der</strong>s hervorzuheben<br />

ist diesem Kontext die hoch signifikante<br />

Abhängigkeit bei <strong>der</strong> stimulativen Hörweise. In<br />

überraschen<strong>der</strong> Deutlichkeit wird bestätigt, dass<br />

Jugendliche mit einer hohen Neigung zu aggressivem<br />

Verhalten dazu tendieren, mit Musik verstärkt<br />

stimulativ umzugehen (Hypothese 3.1.). Zudem<br />

gehen weibliche Jugendliche mit hoher Aggressivität<br />

weniger stark konzentriert und „aggressivere”<br />

männliche Jugendliche stärker assoziativ mit<br />

Musik um. Da sich in an<strong>der</strong>en Studien zeigte,<br />

dass männliche Jugendliche allgemein stärker als<br />

weibliche Jugendliche an Gewalt in Videoclips<br />

interessiert sind und sich in dieser Studie eine<br />

signifikante Korrelation zwischen <strong>der</strong> Präferenz<br />

von „aggressiver” Musik und <strong>der</strong> assoziativen<br />

Hörweise ergibt, erscheint es mir möglich, dass in<br />

<strong>den</strong> Köpfen von männlichen Jugendlichen mit<br />

höherer Neigung zu aggressivem Verhalten beim<br />

Hören von „aggressiver Musik gelegentlich z.B.<br />

Erinnerungen an gewalttätige Filmszenen aktiviert<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

Nicht bestätigt hat sich allerdings die vermutete<br />

Abhängigkeit <strong>der</strong> kompensatorischen Hörweise<br />

vom Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />

(Hypothese 3.2.). Die Jugendlichen mit einer<br />

hohen Neigung zu aggressivem Verhalten nutzen<br />

Musik nicht stärker zur Verdrängung o<strong>der</strong> Verarbeitung<br />

von negativen Erlebnisinhalten als Jugendliche<br />

mit einem geringen Maß an Aggressivität.<br />

Betrachtet man Tabelle 25, so wird deutlich, dass<br />

die Jugendlichen mit <strong>der</strong> höchsten Neigung zu<br />

aggressivem Verhalten mit Musik ebenso stark<br />

kompensatorisch wie auch stimulativ umgehen,<br />

bei <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en Jugendlichen dagegen eine kompensatorische<br />

Hörweise jeweils deutlich stärker<br />

ausgeprägt ist. Dieses Ergebnis könnte darauf


hindeuten, dass insbeson<strong>der</strong>e Jugendliche mit<br />

hohem Maß an Aggressivität Musik – wahrscheinlich<br />

in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Situation sowie von<br />

individuellen Faktoren – gleichermaßen zum<br />

„Dampfablassen” im Sinne eines angestrebten<br />

Aggressionsabbaus wie auch zur „Aufstachelung”<br />

und weiteren Anheizung nutzen.<br />

Sehr deutlich wird insgesamt <strong>der</strong> Einfluss des<br />

Stellenwerts von Musik auf die musikalischen<br />

Umgangsweisen. Die „überdurchschnittlichen”<br />

MusikliebhaberInnen gehen mit Musik wesentlich<br />

vielfältiger um, als die Jugendlichen, für die Musik<br />

einen unterdurchschnittlichen Stellenwert hat. Es<br />

ist anzunehmen, dass die scheinbar vorhan<strong>den</strong>e<br />

intensivere Beziehung <strong>der</strong> MusikliebhaberInnen<br />

zur Musik auch eine stärkere Wirkungsweise z.B.<br />

im Sinne einer Kompensation bedingt. Als bestätigt<br />

anzusehen ist daher die Hypothese 3.4. (Bei<br />

Jugendlichen mit einer hohen Neigung zu aggressivem<br />

Verhalten ist die Ten<strong>den</strong>z, mit Musik verstärkt<br />

kompensatorisch umzugehen, stärker<br />

ausgeprägt, wenn Musik einen hohen Stellenwert<br />

einnimmt.), auch wenn die Ausprägung <strong>der</strong> Zustimmung<br />

zur kompensatorischen Umgangsweise<br />

mit Musik ausschließlich vom Stellenwert von<br />

Musik (und nicht vom Persönlichkeitsmerkmal<br />

„Aggressivität”) abhängig ist. Die stimulative<br />

Hörweise erweist sich bei Jugendlichen mit hoher<br />

Neigung zu aggressivem Verhalten als nur vom<br />

Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität” und nicht<br />

vom Stellenwert von Musik abhängig, so dass<br />

Hypothese 3.3. (Bei Jugendlichen mit einer hohen<br />

Neigung zu aggressivem Verhalten ist die Ten<strong>den</strong>z,<br />

mit Musik verstärkt stimulativ umzugehen, stärker<br />

ausgeprägt, wenn Musik einen hohen Stellenwert<br />

einnimmt.) nicht als bestätigt betrachtet wer<strong>den</strong><br />

kann.<br />

Fazit<br />

In <strong>der</strong> Studie von Carsten Stöver zeigt sich die<br />

Abhängigkeit des Musikkonsums vom Persön-<br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

lichkeitsmerkmal „Aggressivität” an mehreren<br />

Stellen sehr deutlich. Aufgrund <strong>der</strong> Untersuchungsdurchführung<br />

in Jugendzentren muss jedoch<br />

davon ausgegangen wer<strong>den</strong>, dass einige<br />

Ergebnisse zum Teil aus <strong>der</strong> in dieser Hinsicht<br />

vielleicht etwas spezifischen Stichprobe resultieren.<br />

Allgemein kann jedoch festgestellt wer<strong>den</strong>,<br />

dass viele Ängste vor <strong>der</strong> alleinigen aggressionsauslösen<strong>den</strong><br />

Wirkung spezifischer Musik unbegründet<br />

sind. Aus <strong>den</strong> bislang vorliegen<strong>den</strong><br />

Befun<strong>den</strong> können allerdings noch keine endgültigen<br />

Schlussfolgerungen gezogen wer<strong>den</strong>, so dass<br />

die Frage nach <strong>den</strong> Wirkungen noch nicht eindeutig<br />

zu beantworten ist.<br />

Die Befragung ergab drei Gruppen von Musikpräferenzen<br />

(„Cluster“): die „Freunde gitarrenlastiger<br />

Rockmusik“ (50 Prozent), „Technopop-Fans“ (25<br />

Prozent) und „Liebhaber angesagter Musikstile“<br />

(25 Prozent). Auf <strong>der</strong> „Aggressivitätsskala“ unterschie<strong>den</strong><br />

sich diese drei Gruppen nicht signifikant.<br />

In Situationen von Ärger o<strong>der</strong> Trauer setzen die<br />

Jugendlichen aber eindeutig unterschiedliche<br />

Musik ein. Je höher die Neigung zu aggressivem<br />

Verhalten ausgeprägt ist, umso mehr neigen die<br />

Jugendlichen auch dazu, Ärger mit aggressiver<br />

Musik zu verarbeiten, während in Situationen von<br />

Trauer <strong>der</strong> Wunsch nach trauriger Musik bei <strong>den</strong><br />

Aggressiven signifikant stärker ausgeprägt ist als<br />

bei <strong>den</strong> weniger Aggressiven. Allerdings konnte<br />

nicht festgestellt wer<strong>den</strong>, dass Musikpräferenzen<br />

etwas über Persönlichkeitsmerkmerkmale aussagen,<br />

d.h. vom Hören aggressiver Musik kann nicht<br />

auf eine Neigung zu aggressivem Verhalten geschlossen<br />

wer<strong>den</strong>. Hingegen war zu konstatieren,<br />

dass Jugendliche mit Neigung zu aggressivem<br />

Verhalten Musik eher „stimulativ“ einsetzen und<br />

auch Musik eher „assoziativ“ hören als an<strong>der</strong>e<br />

Jugendliche.<br />

André Medeke<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_63<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

1 Die Welt zertrümmern? Eine empirisch quantitative<br />

Untersuchung zum Zusammenhang von<br />

Musikkonsum und aggressivem Verhalten,<br />

Ol<strong>den</strong>burg 1999. Von: Carsten Stöver, Mittellinie<br />

185a, 26160 Bad Zwischenahn<br />

2 Dietmar Portals: Aggression als musikalische<br />

Metapher und ihre Wahrnehmung – Ein alternativer<br />

Ansatz zur Erklärung <strong>der</strong> Entstehung<br />

von Aggressionen durch Musik. Hausarbeit im<br />

Hauptseminar: ,,Mediengewalt. Von Opfern,<br />

Tätern und sonstigen Betroffenen”/Wintersemester<br />

1998/99<br />

3 Dietmar Korthals: a. a. O.<br />

4 Der Vorfall ist ansatzweise, allerdings lei<strong>der</strong><br />

ohne konkret auf die Diskussion um die Musik<br />

einzugehen, dokumentiert in: Didion, Joan: Überfall<br />

im Central Park. Eine Reportage.(Dt. Übersetzung<br />

von Eike Schönfeld). München 1991.<br />

5 Martin Hufner: Musik und Gewalt. Rundfunksendung<br />

von Bayern2Radio. Sendetermin:<br />

07.04.2000/20:05<br />

6 Vgl. hierzu auch Müller, Renate: Soziale Bedingungen<br />

<strong>der</strong> Umgehensweisen Jugendlicher<br />

mit Musik. Theoretische und empirisch-statistische<br />

Untersuchung zur Musikpädagogik.<br />

Essen: Verlag Die Blaue Eule 1990. S.31ff.;<br />

sowie Münch, Thomas: Was ‘macht’ eigentlich<br />

die populäre Musik im Radio? In: Musikpädagogische<br />

Biographieforschung. Fachgeschichte<br />

– Zeitgeschichte – Lebensgeschichte. Hrsg.:<br />

Rudolf-Dieter Kraemer. Essen: Verlag Die Blaue<br />

Eule 1997. S.350 Vgl. Kapitel 2.3.2. und 3.2.3.<br />

7 Vgl. Kapitel 3.2.<br />

8 Vgl. Stöver, Carsten: a. a. O. Kapitel 3.3<br />

9 Vgl. Stöver, Carsten: a. a. O, Kapitel 4<br />

64_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

10 Das genaue Verfahren wird beschrieben bei:<br />

Stöver, C.: a. a. O. Kapitel 4.1 – 4.2<br />

11 Vgl. auch Bastian, Hans Günther: Metho<strong>den</strong> <strong>der</strong><br />

empirischen Sozialforschung in Musikpsychologie<br />

und Musikpädagogik. In: Musikpsychologische<br />

Forschung und Musikunterricht. Hrsg.:<br />

Rudolf-Dieter Kraemer. Mainz: Schott 1983. S.113.<br />

12 Wer sich für die Mess- und Prüfverfahren und<br />

Metho<strong>den</strong> interessiert: Vgl. Stöver, C.: a. a. O.<br />

Kapitel 5<br />

13 Vgl. Fahrenberg, Jochen & Hampel, Rainer &<br />

Selg, Herbert: Das Freiburger Persönlichkeitsinventar<br />

FPI. Test und Handanweisung in <strong>der</strong> 5.,<br />

ergänzten Auflage. Göttingen & Toronto & Zürich:<br />

Hogrefe Verlag 1989. S.87.<br />

14 ebd. S.87<br />

15 Vgl. ebd.<br />

16 18-jährige Gymnasiastin aus Ol<strong>den</strong>burg, Fragebogen<br />

Nr. 17.<br />

17 19-jährige Frau aus Ol<strong>den</strong>burg, Realschulabschluß,<br />

Fragebogen Nr. 93.<br />

18 Lüdtke, Hartmut: Jugendliche in organisierter<br />

Freizeit. Ihr soziales Motivations- und Orientierungsfeld<br />

als Variable des inneren Systems<br />

von Jugendfreizeitheimen. Teil 2 <strong>der</strong> Untersuchung<br />

von Jugendfreizeitheimen. Weinheim<br />

& Basel: Beltz 1972. S.329.<br />

19 Vgl. Krisam, Raymund & Tegethoff, Hans Georg:<br />

Jugendfreizeitzentrum und soziales Umfeld. Ein<br />

Lehrforschungsprojekt zur stadtteilorientierten<br />

Jugendarbeit. Neuwied & Darmstadt: Luchterhand<br />

1977.<br />

20 ebd. S.66.


Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

21 Vgl. Liebel, Manfed: Überlegungen zum Praxisverständnis<br />

antikapitalistischer Jugendarbeit.<br />

In: Deutsche Jugend, München, 18 (1971) 6,<br />

S.28-34.<br />

22 Grauer, Gustaf: Jugendfreizeitheime in <strong>der</strong> Krise.<br />

Zur Situation des sozialpädagogischen Feldes.<br />

Teil 1 <strong>der</strong> Untersuchung von Jugendfreizeitheimen.<br />

2.Auflage. Weinheim & Basel: Beltz<br />

1975.<br />

23 Insbeson<strong>der</strong>e sind hier keine Jugendlichen mit<br />

FPI-Skalenwerten von 1 und 2 vertreten (vgl.<br />

Kapitel 4.1.1.).<br />

24 wie auch aus <strong>den</strong> nicht dargestellten Clusterprofilen<br />

<strong>der</strong> Situation Trauer<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_65<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />

66_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …


›› Gewaltbereite<br />

Mädchen


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Gewaltbereite Mädchen<br />

Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit von Mädchen<br />

ist ein Thema, dass noch tief im Dunkeln<br />

liegt. Ein Grund dafür ist sicherlich die statistisch<br />

sichtbare höhere Beteiligung von Jungen an Gewalttaten.<br />

Darüber hinaus handelt es sich bei <strong>der</strong><br />

Erforschung dieses Themenkomplexes fast um ein<br />

Tabuthema. Feministische Forscherinnen befürchten,<br />

dass Untersuchungen zur Mädchengewalt<br />

angesichts des erheblichen Gefälles zur Jungengewalt<br />

und <strong>der</strong> Tatsache, dass Mädchen häufiger<br />

Opfer als Täterinnen sind, zu einer überhöhten<br />

öffentlichen Aufmerksamkeit und somit zu einer<br />

verzerrten Wahrnehmung <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />

Realität führen. Ein Beispiel liefert <strong>der</strong> SPIEGEL im<br />

November 1998 mit <strong>der</strong> Schlagzeile „Brutalität<br />

unter Jugendlichen ist nicht länger Domäne von<br />

Jungen – immer mehr Mädchen prügeln und foltern“.<br />

Außerdem können Themen wie Einschränkungen<br />

und Diskriminierungen von Mädchen verdrängt<br />

und damit <strong>der</strong> Blick auf „das Wesentliche“ verloren<br />

gehen, auf die Bedingungen und Mechanismen,<br />

die traditionelle Weiblichkeitsbil<strong>der</strong> und<br />

Geschlechterhierarchien erzeugen und reproduzieren<br />

(Bruhns/Wittmann, 1999). Derartige Be<strong>den</strong>ken<br />

sind sicherlich berechtigt und verlangen einen<br />

sensiblen Umgang mit Forschungsergebnissen.<br />

Mädchenforschung und Mädchenarbeit, die an<br />

<strong>den</strong> Lebenssituationen und –perspektiven von<br />

Mädchen ansetzt und Unterschiede zwischen<br />

Jungen und Mädchen, aber auch zwischen <strong>den</strong><br />

Mädchen selber herausarbeitet, kann und will<br />

gewaltbereite Mädchen nicht übergehen. Denn<br />

Gewaltbereitschaft ist eine möglicherweise weibliche<br />

Ausdrucksform, mit <strong>der</strong> Belastungen, Wi<strong>der</strong>sprüche<br />

und Ambivalenzen in <strong>der</strong> Lebenswelt<br />

„verarbeitet“ wer<strong>den</strong>.<br />

Bislang beziehen sich Erkenntnisse und Handlungsansätze<br />

überwiegend auf gewaltbereite und<br />

gewalttätige Mädchen in rechtsextremen Gruppen.<br />

68_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Das Projekt „Starke Mädchen<br />

gegen Rechts“<br />

So wurde z.B. die Evangelische Fachhochschule<br />

Rheinland-Westfalen-Lippe vom nordrhein-westfälischen<br />

Ministerium für Gleichstellung beauftragt,<br />

mädchenspezifische Angebote zu erarbeiten und<br />

zu erproben, um <strong>der</strong> Jugendarbeit Impulse für die<br />

Arbeit mit gewaltbereiten Mädchen geben zu können.<br />

Die Evangelische Fachhochschule führte das<br />

Projekt gemeinsam mit <strong>den</strong> Mädchenzentren Gelsenkirchen<br />

und Gladbeck von 1994 bis 1996 durch.<br />

Ein Projektteam entwickelte und führte in 18 Monaten<br />

14 Teilprojekte mit insgesamt 120 Mädchen<br />

und jungen Frauen im Alter von 6 bis 25 Jahren an<br />

Schulen, einer Jugendwerkstatt und Mädchenzentren<br />

durch. Die Teilprojekte umfassten Zeiträume<br />

zwischen einer Woche und 18 Monaten, die<br />

Gruppengröße lag zwischen 5 und 26 Teilnehmerinnen.<br />

Hintergrundwissen über<br />

gewaltbereite Mädchen<br />

Um im Vorfeld mehr über die Zielgruppe <strong>der</strong> gewaltbereiten<br />

Mädchen zu erfahren, wurde <strong>der</strong><br />

aktuelle Forschungsstand ausgewertet und Gespräche<br />

mit 127 Einzelpersonen und Einrichtungen<br />

<strong>der</strong> Jugendarbeit geführt, sowie auf Arbeitserfahrungen<br />

aus Projekten <strong>der</strong> akzeptieren<strong>den</strong><br />

Sozialarbeit mit gewaltbereiten Jugendlichen<br />

zurückgegriffen.<br />

Für dieses Projekt stand im Vor<strong>der</strong>grund folgendes<br />

Verständnis von Rechtsextremismus:<br />

Ein Syndrom aus folgen<strong>den</strong> Dimensionen:<br />

• Akzeptanz von Gewalt als Konfliktlösungsmuster<br />

• Autoritative bzw. antidemokratische Orientierungsmuster


• Ideologie <strong>der</strong> natürlichen Ungleichheit bzw.<br />

Ungleichwertigkeit <strong>der</strong> Menschen<br />

• Indifferentes bis positives Verhältnis zum Nationalsozialismus<br />

Unterschie<strong>den</strong> wurde zwischen dem manifesten,<br />

messbaren Bereich (Mitgliedschaft, Wahlverhalten)<br />

des Rechtsextremismus und dem Bereich<br />

des latenten, indirekt zugänglichen Rechtsextremismus,<br />

<strong>der</strong> sich an Einstellungen, Sympathien,<br />

unbewussten Orientierungsmustern zeigt. Letzterer<br />

war für dieses Projekt vorrangig von Bedeutung.<br />

In empirischen Untersuchungen (Utzmann-Krombholz,1994,<br />

1045 Befragte; Birsl,1994, 469 Befragte)<br />

wur<strong>den</strong> bei <strong>den</strong> befragten Jugendlichen<br />

zwischen 14 und 24 Jahren deutliche Affinitäten zu<br />

rechtsextremem Gedankengut sowie rassistische<br />

und autoritative Einstellungen gefun<strong>den</strong>.<br />

• Weibliche Mitgliedschaften in rechtsextremen<br />

Parteien: 20-30% (=ca. 11-17000 weibl. Mitglie<strong>der</strong>)<br />

• Organisationen am rechten Rand: ca. 1-5%<br />

aktive Mädchen/Frauen<br />

• Rechtsextreme Mädchen wie die „Reenies“,<br />

„Skingirls“ o<strong>der</strong> „Faschobräute“ sind teils<br />

organisiert, teilweise auch nicht.<br />

Gewaltbereite Mädchen<br />

• Schätzungen gehen von ca. 500 – 2500 organisierten<br />

Rechtsextremistinnen aus.<br />

• Geschlechtsspezifische Differenzierung: deutlich<br />

weniger Mädchen und Frauen tendieren zu<br />

autoritativen und/o<strong>der</strong> gewaltakzeptieren<strong>den</strong><br />

Verhaltensmustern.<br />

Warum sind Mädchen und Frauen<br />

in <strong>der</strong> rechtsextremen Szene zu<br />

fin<strong>den</strong>?<br />

Mögliche Ursachen:<br />

Auf <strong>der</strong> Suche nach spezifischen Anschlussstellen<br />

des Rechtsextremismus in <strong>der</strong> weiblichen Psyche<br />

und <strong>den</strong> weiblichen Lebenslagen wurde ein gemeinsamer<br />

Schlüssel immer deutlicher: das Phänomen<br />

<strong>der</strong> Unsicherheit.<br />

Ursachen:<br />

in psychischer Disposition, in <strong>der</strong> sozial-ökonomischen<br />

Situation, in <strong>der</strong> Unklarheit mo<strong>der</strong>ner weiblicher<br />

Lebensentwürfe o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Kombination<br />

aus allem?<br />

Gewaltakzeptanz und eigene Gewaltbereitschaft<br />

sind bei Mädchen zu beobachten, die unter ungünstigen<br />

sozioökonomischen Bedingungen<br />

aufwuchsen, häufig verbun<strong>den</strong> mit <strong>der</strong> Prägung<br />

durch gewaltträchtige Familienmillieus. Die Mädchen<br />

entwickeln in <strong>der</strong> Regel trotz ihrer vergleichbaren<br />

Opfer- und Benachteiligungserfahrungen<br />

keine Solidarität miteinan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n konkurrieren<br />

um Chancen auf <strong>den</strong> Arbeitsmarkt und um<br />

Männer, die ihnen Anerkennung, Schutz, Geld etc.<br />

verschaffen sollen.<br />

Zuschlagen als präventive Methode:<br />

• Der Ruf als gewalttätiges Mädchen schützt vor<br />

Angriffen und sexueller Anmache und verschafft<br />

Respekt. Zuschlagen als präventive Methode,<br />

sich die Gewalt an<strong>der</strong>er vom Leib zu halten.<br />

„Haben sie erst mal <strong>den</strong> Ruf als „Gewaltelse“,<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_69<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Gewaltbereite Mädchen<br />

dann traut sich so schnell niemand an sie ran,“<br />

(eine Sozialarbeiterin). Der Wunsch, gewalttätig<br />

zu sein, entwickelt sich oft aus Unterlegenheitsgefühlen<br />

und Opfererfahrungen.<br />

• Gewalttätig sein wird bei Mädchen z.T. auch mit<br />

Gleichberechtigung gleichgesetzt. „Wenn Jungs<br />

das können, warum sollen Mädchen das nicht<br />

auch können?“<br />

• Ursachen für die Abwertung alles „An<strong>der</strong>sartigen“,<br />

Vorurteilsstrukturen und antidemokratischen<br />

Orientierungen: Weitergabe von<br />

Einstellungen und Handlungsmustern, die ihnen<br />

in ihren Familienmillieus vorgelebt wur<strong>den</strong>.<br />

• Zum Teil verarbeiten die Mädchen durch ihre<br />

Abwehrhaltung ihre psychischen Verunsicherungen<br />

und/o<strong>der</strong> passiven Gewalterfahrungen und<br />

versuchen, aus rassistischen und/o<strong>der</strong> autoritativen<br />

Einstellungen Sicherheit und Stärke zu<br />

beziehen.<br />

• In <strong>der</strong> antidemokratischen Einstellung spiegeln<br />

sich vor allem die Erfahrungen <strong>der</strong> eigenen<br />

öffentlichen Einflusslosigkeit und Ohnmachtserfahrungen<br />

in Schule, Stadtteil wie auch in <strong>der</strong><br />

„großen Politik“.<br />

Allen Mädchen gemeinsam ist die Lebensphase<br />

<strong>der</strong> Pubertät und damit u.a. die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit und Übernahme <strong>der</strong> eigenen Geschlechtsrollen<br />

sowie die Entwicklung einer biographischen<br />

Perspektive. Für Mädchen ist dieses<br />

ein beson<strong>der</strong>er Balanceakt. Es zeigen sich deutliche<br />

Verän<strong>der</strong>ungen bei <strong>der</strong> „typischen“ Frauenrolle,<br />

die als ein „Sowohl als auch“ beschrieben<br />

wer<strong>den</strong> können. Zu <strong>der</strong> herkömmlichen Rolle als<br />

fürsorgliche Mutter und Hausfrau kommen Erwerbsarbeit<br />

und ein Leistungs-, Konkurrenz- und<br />

Selbstständigkeits<strong>den</strong>ken hinzu. Die Doppelrolle<br />

<strong>der</strong> unselbstständigen-schutzbedürftigen, aber<br />

auch verführerischen Frau wird erweitert durch<br />

70_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Orientierungen an Normen wie sexuelle Selbstbestimmung,<br />

Freiheit und Emanzipation. „Mädchen<br />

wer<strong>den</strong> ermutigt, erfahren aber oftmals in <strong>der</strong><br />

sozialen Wirklichkeit, dass ihnen doch nur <strong>der</strong><br />

zweite Platz gebührt“ (Mogge-Grotjahn, 1992).<br />

Mädchen sollen sich vor Männern in acht nehmen<br />

und sich gleichzeitig von ihnen beschützen lassen.<br />

Mit alldem ist eine starke Verunsicherung, häufig<br />

das Gefühl des Unzulänglichseins verbun<strong>den</strong>,<br />

dass dazu führen kann, das eigene Stärken und<br />

Fähigkeiten abgewertet wer<strong>den</strong>. Die genannten<br />

Balanceakte und Suchbewegungen bieten Anknüpfungspunkte<br />

für rechtsgerichtete Orientierungen.<br />

Das Gefühl des Unzulänglichseins und <strong>der</strong><br />

Hilfebedürftigkeit wird von rechtsextremen Ideologien<br />

aufgegriffen und durch feste Zuschreibungen<br />

von Qualitäten überspielt. So wird in <strong>den</strong> meisten<br />

rechten Szenen die Mädchen- und Frauenrolle als<br />

Mutterrolle aufgewertet. Angeboten wer<strong>den</strong> Sicherheit,<br />

klare Prioritäten, Zugehörigkeitsgefühle,<br />

die eine Abmil<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong> weiblichen<br />

Balanceakte versprechen. Das führt durchaus<br />

auch zu wi<strong>der</strong>sprüchlichem Verhalten bei Mädchen:<br />

einerseits <strong>den</strong> starken Mann toll fin<strong>den</strong> und<br />

alles für ihn tun, an<strong>der</strong>erseits selber stark und<br />

auch gewalttätig sein zu wollen.<br />

Ziel des Projektes<br />

Die konkrete Projektarbeit zielte darauf ab, Einstellungen,<br />

Verhalten und Wünsche von Mädchen<br />

an ihren Lebensorten näher kennenzulernen und<br />

durch inhaltliche Angebote hieran anzuschließen.<br />

Die rechtsorientierten und gewaltbejahen<strong>den</strong><br />

Einstellungen sollten nicht durch Belehren o<strong>der</strong><br />

durch Instruktionsarbeit zu verän<strong>der</strong>n versucht<br />

wer<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n es sollte durch Möglichkeit<br />

zum Erleben von alternativen Erfahrungen auf<br />

das Selbstbewusstsein <strong>der</strong> Mädchen, ihr Verhaltens-<br />

und Einstellungsrepertoire Einfluss genommen<br />

wer<strong>den</strong>. Außerdem sollten die Belange <strong>der</strong><br />

Mädchen in <strong>der</strong> kommunalen Öffentlichkeit stärker<br />

ins Bewusstsein kommen. Dahinter stand die


Überlegung, dass durch öffentlich wirksame<br />

Aktivitäten die positiven Effekte für das Selbstbewusstsein<br />

<strong>der</strong> Mädchen beson<strong>der</strong>s groß sein<br />

könnten.<br />

Umsetzung<br />

Klar war, dass Mädchen aus <strong>den</strong> gut organisierten,<br />

teils militanten rechtsextremen Organisationen<br />

und Parteien mit sozialarbeiterischen Angeboten<br />

nicht ohne weiteres erreicht wür<strong>den</strong>. Erreicht<br />

wer<strong>den</strong> sollten Mädchen aus <strong>der</strong> Jugendszene, die<br />

Affinitäten zu rechtem Gedankengut aufweisen<br />

und gewaltbejahend bzw. –bereit sind. Kontakte<br />

wur<strong>den</strong> geknüpft über die Jugendzentren, Schulen,<br />

Einrichtungen des betreuten Wohnens und einer<br />

Jugendwerkstatt, in <strong>der</strong> Jugendliche betreut wer<strong>den</strong>,<br />

die in <strong>der</strong> Schule die Klassen 7-9 erreicht<br />

haben und als nicht berufsreif, aber för<strong>der</strong>ungsfähig<br />

gelten. An verschie<strong>den</strong>en Schulen und <strong>der</strong><br />

Jugendwerkstatt wur<strong>den</strong> für das Projekt Mädchen-<br />

AGs eingerichtet, an <strong>den</strong>en die Teilnahme freiwillig<br />

war, die aber auf die Schulstun<strong>den</strong> angerechnet<br />

wur<strong>den</strong>. An<strong>der</strong>e Mädchengruppen fan<strong>den</strong> sich<br />

projektbezogen und wur<strong>den</strong> in <strong>den</strong> Mädchenzentren<br />

durchgeführt. In einem Bildungszentrum<br />

für arbeitslose Jugendliche wurde ebenfalls eine<br />

Mädchengruppe eingerichtet.<br />

Vorstellung vom Teilprojekt<br />

„Straßenbefragung“<br />

Ziel:<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit einem Thema wie z.B.<br />

„Vorurteile gegenüber Auslän<strong>der</strong>n“<br />

• Die Form <strong>der</strong> Straßenumfrage lässt die Mädchen<br />

die Hemmschwelle gegenüber ihnen unbekannten<br />

Menschen überschreiten bzw. ein Gefühl<br />

entwickeln, wie sie mit Frem<strong>den</strong> umgehen und<br />

selbstbestimmt Distanz einhalten können. Begrüßenswert<br />

ist es, wenn die Ergebnisse veröffentlicht<br />

wer<strong>den</strong> (z.B. Schülerzeitung, lokale<br />

Gewaltbereite Mädchen<br />

Tageszeitung, Gespräch mit PolitikerInnen). Die<br />

Veröffentlichung kann für die Mädchen eine<br />

wichtige Erfahrung bedeuten, sie fühlen sich<br />

ernst genommen und können etwas berichten.<br />

Erfahrungsgemäß haben die Mädchen selber<br />

Ideen, wie mit <strong>der</strong> Umfrage umgegangen wer<strong>den</strong><br />

soll.<br />

• Die Aktion kann mit Vor- und Nachbereitung in<br />

sich geschlossen sein und dementsprechend<br />

geplant wer<strong>den</strong>.<br />

• Alle können sich beteiligen. Es ist günstig, wenn<br />

die Mädchen nicht alleine losziehen, son<strong>der</strong>n<br />

sich in Kleingruppen zusammentun, in <strong>den</strong>en sie<br />

die Umfrage auch vor- und nachbereiten.<br />

Instruktionen:<br />

Die Umfrage muss inhaltlich mit <strong>den</strong> Mädchen<br />

vorbereitet wer<strong>den</strong>: Wieviele Fragen und welche<br />

Fragen sollen gestellt wer<strong>den</strong>? Wie verhalte ich<br />

mich gegenüber <strong>den</strong> befragten Personen? Wie<br />

beende ich ein Interview u.v.a.m. In Rollenspielen<br />

wer<strong>den</strong> die Interviews vorbereitet, auch kritische<br />

Situationen können durchgespielt wer<strong>den</strong>.<br />

Wirkungen:<br />

Die Aktion Straßenbefragung und das Formulieren<br />

<strong>der</strong> Ergebnisse auf Wandzeitungen setzte bei <strong>den</strong><br />

Mädchen eine Auseinan<strong>der</strong>setzung mit eigenen<br />

und frem<strong>den</strong> Vorurteilen in Gang. Auch eigene<br />

Erfahrungen von Macht und Ohnmacht, Angst und<br />

Gewalt konnten nach <strong>der</strong> gemeinsam durchgeführten<br />

Aktion intensiver und offener als in <strong>der</strong> Vorbereitung<br />

besprochen wer<strong>den</strong>. Die Mädchen hatten<br />

insgesamt von sich selbst <strong>den</strong> Eindruck, im Laufe<br />

<strong>der</strong> Befragung mutiger gewor<strong>den</strong> zu sein. Beispielsweise<br />

hatten sie zu Beginn nur ihnen sympathische<br />

Personen angesprochen, später auch<br />

an<strong>der</strong>e. Beson<strong>der</strong>s intensiv beschäftigte sie die<br />

Frage, warum nur wenige <strong>der</strong> Befragten aktiv<br />

eingreifen wür<strong>den</strong>, wenn an<strong>der</strong>e Menschen bedroht<br />

wer<strong>den</strong>. Hieran schlossen sich Gespräche<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_71<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Gewaltbereite Mädchen<br />

<strong>der</strong> Mädchen darüber an, wie sie selbst sich in bedrohlichen<br />

Situationen verhalten wür<strong>den</strong> o<strong>der</strong><br />

verhalten haben,<br />

welche alternativen<br />

Handlungsstrategien<br />

es gibt.<br />

Da die Mädchen<br />

keine Vorerfahrung<br />

mit geschlechtshomogenen<br />

Gruppen<br />

und kaum Erfahrungen<br />

mit an<strong>der</strong>en als<br />

frontalen Unterrichtsmetho<strong>den</strong><br />

hatten,<br />

war es wichtig,<br />

durch Kennlern- und<br />

Vertrauensübungen für eine Atmosphäre zu sorgen,<br />

in <strong>der</strong> sich alle zu Wort kommen lassen und<br />

gegenseitig wahrnehmen konnten.<br />

Ergebnisse des Gesamtprojektes<br />

Insgesamt hat das Projekt dazu beigetragen, das<br />

die Mädchen neue soziale Erfahrungen machen<br />

konnten. Sie erlebten, dass sie nicht vereinzelt<br />

und erfolglos sein müssen, dass sie auf Konkurrenz<br />

untereinan<strong>der</strong>, auf Ressentiments und ten<strong>den</strong>ziell<br />

feindliche Abgrenzungen gegen an<strong>der</strong>e<br />

nicht angewiesen sind. Die Erfahrungen des gemeinsamen<br />

Handelns in einer gleichgeschlechtlichen<br />

Gruppe und das Ernst-genommen-wer<strong>den</strong><br />

haben die Sichtweisen <strong>der</strong> Mädchen verän<strong>der</strong>t.<br />

Deutlich wurde, dass ein großer Bedarf nach<br />

Anregung und Reflexion besteht, um aus <strong>den</strong><br />

vorhan<strong>den</strong>en Unsicherheiten einen Ausweg zu<br />

fin<strong>den</strong>. Dadurch, dass die Belange <strong>der</strong> Mädchen<br />

nachhaltig in das öffentliche Bewusstsein gerückt<br />

wur<strong>den</strong>, ist ihr Selbstbewusstsein aufgewertet<br />

wor<strong>den</strong> und sie haben durch das Hinaustreten in<br />

die Öffentlichkeit politische Strukturen kennenund<br />

anwen<strong>den</strong> gelernt. Hiermit ist ein wichtiger<br />

Schritt in Richtung gelebte Demokratie getan<br />

72_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

wor<strong>den</strong>, <strong>der</strong> als Prävention gegen Rechtsextremismus<br />

und Gewalt als Konfliktlösung, sowie gegen<br />

Autoritarismus gewertet wer<strong>den</strong> kann<br />

Daniela Jeksties<br />

Literatur:<br />

Kirsten Bruhns/Svendy Wittmann<br />

in: Recht <strong>der</strong> Jugend und des Bildungswesens,<br />

Heft 3/99<br />

Hilde Utzmann-Krombholz<br />

Rechtsextremismus und Gewalt: Affinitäten und<br />

Resistenzen von Mädchen und jungen Frauen,<br />

Ergebnisse einer Studie.<br />

Dokumente und Berichte 27 des Ministeriums<br />

für die Gleichstellung von Frau und Mann NRW,<br />

Düsseldorf.<br />

Uschi Birsl<br />

Rechtsextremismus: weiblich – männlich? Eine<br />

Fallstudie, Opla<strong>den</strong> 1994<br />

Hildegard Mogge-Grotjahn/ Martin Bellermann<br />

Starke Mädchen gegen Rechts, Abschlußbericht<br />

des Projektes Rechtsextremismus und Mädchenarbeit,<br />

Evangelische Fachhochschule Bochum,<br />

1998


›› Sexuelle Gewalt<br />

gegen Mädchen<br />

und Frauen


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />

Wege des Ausbruchs<br />

Viele Mädchen und junge Frauen, die sexuelle Gewalt<br />

erlebt haben, haben keine öffentliche Stimme,<br />

leben individuell mit ihren Biographien weiter. Um<br />

dies zu durchbrechen, suchte das autonome Mädchenhaus<br />

Berlin ein Medium, das die Erlebniswelten<br />

<strong>der</strong> Betroffenen auf gefühlsmäßig ansprechende<br />

Art <strong>der</strong> Öffentlichkeit nachvollziehbar machen<br />

könnte. Wichtig war dabei, das neben dem Aufzeigen<br />

<strong>der</strong> strukturellen Gewalt und <strong>der</strong>en Auswirkungen<br />

auch Ausbruchsmöglichkeiten dargestellt<br />

wer<strong>den</strong>. Wenn Mädchen sich aus <strong>der</strong> erlebten<br />

Gewaltsituation befreien und Risiken eingehen,<br />

heißt dies Wachstum, Stärke und Kraft. Grundidee<br />

war von Anfang an, die betroffenen Mädchen und<br />

jungen Frauen in das Projekt mit einzubeziehen. Es<br />

wur<strong>den</strong> vielfältige Workshops angeboten, wie Mal-,<br />

Foto-, Bau- und Schreibworkshops. Die Ergebnisse<br />

flossen in eine beeindruckende Ausstellung ein,<br />

die mit dem Berliner Frauenpreis ausgezeichnet<br />

wurde und die ausleihbar ist. Der Name <strong>der</strong> Ausstellung<br />

ist „Wege des Ausbruchs“.<br />

Mädchen und jungen Frauen Raum zu geben, sich<br />

auszudrücken, ist nicht nur eine Möglichkeit, um Gewalterlebnisse<br />

zu verarbeiten, son<strong>der</strong>n grundsätzlich<br />

Präventionsarbeit. Denn nur Mädchen, die ihre<br />

Bedürfnisse und ihre Grenzen kennen und für sie<br />

aktiv eintreten können, können sich gegen sexuelle<br />

Gewalt zur Wehr setzen. Ausdruck macht stark<br />

gegen das immer noch „bestgehütete Geheimnis“.<br />

Die Dunkelziffer bei sexuellem Missbrauch liegt<br />

laut Bundeskriminalamt bei 1:15. Es wird angenommen,<br />

dass in <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />

etwa jedes vierte Mädchen und je<strong>der</strong> zwölfte<br />

Junge sexuell missbraucht wür<strong>den</strong>. Die Täter sind<br />

zu 90 % männlich.<br />

Sexuelle Gewalt fängt mit Grenzüberschreitungen<br />

an, d.h. dort, wo die Intimsphäre des Mädchens<br />

nicht beachtet wird, ihre Grenzen nicht akzeptiert<br />

74_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

bzw. nicht wahrgenommen wer<strong>den</strong>. Dazu gehören<br />

auch für Mädchen alltägliche Situationen, wie z.B.<br />

das gemeinsame Ba<strong>den</strong>, die „zufälligen“ Berührungen,<br />

die Sprüche, Bemerkungen und Blicke von<br />

Vätern, Bekannten, Lehrern u.a. in Bezug auf <strong>den</strong><br />

Körper, das enge Sitzen in Bus und Bahn. Mädchen<br />

erleben diese Situationen oft sehr wi<strong>der</strong>sprüchlich.<br />

Zum einen haben sie sehr wohl das<br />

Gefühl, das die Situation nicht in Ordnung ist.<br />

Doch gleichzeitig bewerten sie die Situation als<br />

nicht so schlimm bzw. nehmen die eigenen Gefühle<br />

nicht so wichtig. Die Geschlechtsrollenzuschreibungen<br />

wirken hier auf fatale Weise: was<br />

Männer dürfen (Grenzverletzungen begehen, sich<br />

wichtig nehmen), dürfen Frauen noch lange nicht.<br />

Die Folgen sexueller Gewalterfahrung können sein:<br />

• Gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper,<br />

• Schwierigkeiten, zu erkennen, was gut tut und<br />

was nicht,<br />

• verschütteter Zugang zu <strong>den</strong> eigenen Gefühlen,<br />

Wünschen und Bedürfnissen,<br />

• Schwierigkeiten, mit Nähe und Distanz, Vertrauen<br />

und Mißtrauen, umzugehen,<br />

• unklares Gefühl zu <strong>den</strong> eigenen physischen und<br />

psychischen Grenzen,


• Schwierigkeiten, „nein“ zu sagen,<br />

• Gefühl von Ohnmacht, Ausgeliefertsein und<br />

Schwäche<br />

Mädchen mit sexuellen Gewalterfahrungen sen<strong>den</strong><br />

oft ausgesprochene und unausgesprochene,<br />

direkte und indirekte Signale aus, mit <strong>den</strong>en sie<br />

ihre Umgebung auf die sexuelle Gewalt aufmerksam<br />

machen wollen. Da die Signale häufig nicht<br />

wahrgenommen wer<strong>den</strong>, sind Mädchen gezwungen,<br />

Überlebensstrategien zu entwickeln. Diese<br />

haben verschie<strong>den</strong>e Seiten. Zum einen helfen sie<br />

Mädchen, mit <strong>den</strong> ihnen zugefügten Verletzungen<br />

überhaupt weiterleben zu können und stellen<br />

daher einen wichtigen Schutz dar. Diese Strategien<br />

können sich im Laufe des Lebens zu Stärken<br />

entwickeln. Zum an<strong>der</strong>en können sie aber auch zu<br />

selbstzerstörerischen Handlungsmustern wer<strong>den</strong>.<br />

Die Notwendigkeit, mit Hilfe von Strategien zu<br />

überleben, bedeutet auch, keinen wirklichen<br />

inneren und äußeren Raum für die Verarbeitung<br />

von Grenzverletzungen zu haben. Vielmehr können<br />

diese Strategien neue Probleme schaffen.<br />

Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />

Überlebensstrategien<br />

Verharmlosung: die Gewalterfahrung sich selbst<br />

und an<strong>der</strong>en gegenüber verharmlosen; rationalisieren<br />

und Entschuldigungen für <strong>den</strong> Täter fin<strong>den</strong>;<br />

ignorieren<br />

Abspaltung: um <strong>den</strong> Körper von Gefühlen zu<br />

trennen und ihn dadurch nicht wahrzunehmen;<br />

eine Fassade aufbauen (erfolgreich, souverän<br />

und durchsetzungsfähig nach außen – Unsicherheit,<br />

Depression, Angst u.a. sind Gefühle im Innern)<br />

Kontrolle: alles im Griff haben, pedantisch auf<br />

Ordnung achten; Chaos, Unruhe und Krisen schaffen<br />

und gleichzeitig hervorragend zu managen;<br />

erhöhte Wachsamkeit zeigen für die Bedürfnisse,<br />

Konflikte an<strong>der</strong>er<br />

Sicherheit: durch das Vermei<strong>den</strong> von großer Nähe<br />

in Beziehungen; durch eine selbstgegründete Familie;<br />

durch <strong>den</strong> Anschluß an strukturierte Gruppen<br />

Humor: als ein Mittel, eine schützende Distanz herzustellen,<br />

o<strong>der</strong> negative Gefühle zu kanalisieren<br />

Flucht: in Bücher, in <strong>den</strong> Schlaf, ins Fernsehen, in<br />

Phantasien<br />

Rastlosigkeit: um ständig beschäftigt zu sein,<br />

immer etwas vorzuhaben, zu organisieren<br />

Schlaflosigkeit: Nacht und Dunkelheit ausweichen,<br />

um am Tag zu schlafen, bedeutet Überschaubarkeit<br />

und Kontrolle<br />

Selbstverletzung: als Ventil für die erlittenen<br />

Grenzverletzungen<br />

Sucht: Drogen, Medikamente, Alkohol; Essstörungen<br />

als Ablehnung des eigenen Körpers;<br />

zwanghaftes Lügen als Folge des Schweigens;<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_75<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />

zwanghaftes Stehlen als Versuch, sich etwas<br />

zurückzuholen; Arbeitssucht<br />

Suchen von Sexualität: als Wie<strong>der</strong>holungsmuster;<br />

um Kommunikation, Zuneigung, Selbstwert zu<br />

erfahren; um Macht und Kontrolle über an<strong>der</strong>e zu<br />

erleben;<br />

Vermeidung von Sexualität: um <strong>der</strong> Konfrontation<br />

mit <strong>der</strong> Erinnerung aus dem Weg zu gehen: aus<br />

Angst, sich nicht abgrenzen zu können und die<br />

Kontrolle zu verlieren.<br />

Gefühl zeigen über Kreativität<br />

Es zeigt sich, das Mädchen, die sexuelle Grenzverletzungen<br />

erfahren haben, ein großes Potential an<br />

Kreativität besitzen. Haben Mädchen die Möglichkeit,<br />

diese einzusetzen und wer<strong>den</strong> darin bestärkt,<br />

so erhalten sie Anerkennung, die ihr Selbstwertgefühl<br />

stärkt.<br />

Freies und experimentelles<br />

Malen<br />

Mit einem Malworkshop wird Mädchen Raum für<br />

freies und experimentelles Malen angeboten.<br />

Möglichst große Malflächen sollten zur Verfügung<br />

stehen, um so das Gefühl zu vermitteln, auch im<br />

wahrsten Sinne des Wortes Raum einnehmen zu<br />

dürfen. Es sollte kein Leistungsdruck entstehen<br />

und ausreichend Zeit zur Verfügung sein. Als<br />

Rahmen sollten die Anleiterinnen Maltechniken<br />

vorstellen, um <strong>den</strong> Einstieg zu erleichtern (z.B.<br />

Papiere schichten, blind malen, Collagen kleben,<br />

mit Farbe und Materialien experimentieren). In<br />

Einzelgesprächen können die Mädchen während<br />

des Malens technisch und gestalterisch beraten<br />

wer<strong>den</strong>. Sie fühlen sich ernst genommen und in<br />

ihrer Arbeit wertgeschätzt. Die Mädchen malen so<br />

lange, bis ein für sie befriedigendes Bild entsteht<br />

(oft 4-6 Stun<strong>den</strong>). In einem Malworkshop erleben<br />

die Mädchen, dass sie etwas erschaffen und<br />

76_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

been<strong>den</strong> können, was sie sich vorher nicht zugetraut<br />

hätten und worauf sie stolz sein können.<br />

Wenn die Mädchen damit einverstan<strong>den</strong> sind,<br />

können die Bil<strong>der</strong> auch öffentlich ausgestellt<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

Mädchenarbeit ist<br />

Präventionsarbeit<br />

Sie kann Mädchen Orientierungsmöglichkeiten<br />

aufzeigen, um ihr eigenes Selbstbewusstsein zu<br />

entwickeln, Stärke aufzubauen und Mut zu sich<br />

selbst zu haben. Denn nur „starke Mädchen“ sind<br />

in <strong>der</strong> Lage, sich gegenüber sexuellen Übergriffen<br />

zu wehren.<br />

Daniela Jeksties<br />

Literatur:<br />

„Wege des Ausbruchs“, Gewalt gegen Mädchen<br />

und junge Frauen – Ausstellungskatalog 1997,<br />

Hrsg.: Autonomes Mädchenhaus Berlin, Gneisenaustr.<br />

2a, 10961 Berlin


Wen Do - Weg <strong>der</strong> Frauen<br />

Ausgangssituation<br />

Täglich entwickeln Frauen und Mädchen eine<br />

Vielzahl von Strategien sich gegen männliche<br />

Abwertung und negativ empfun<strong>den</strong>er Anmache zu<br />

wehren. Das reicht von dem sich Entziehen und<br />

Ertragen bis zur aggressiven Verbalattacke und ist<br />

meistens mit Gefühl <strong>der</strong> Hilflosigkeit bei <strong>den</strong><br />

Mädchen und Frauen verbun<strong>den</strong>.<br />

In unserer gesellschaftlichen<br />

Realität sind patriarchale<br />

Strukturen verankert, die<br />

das Männliche als Normalität<br />

und das Weibliche als<br />

Abweichung von <strong>der</strong><br />

Norm erscheinen lassen<br />

und damit als weniger<br />

wertvoll und defizitär definieren. Dieses ist die<br />

Grundlage <strong>der</strong> von Gewalt geprägten Beziehung<br />

zwischen Frauen und Männern. Das äußert sich in<br />

körperlicher Gewalt, d. h.: 1 „Mädchen wer<strong>den</strong><br />

geboxt, geschlagen, geprügelt, in die Geschlechtsteile<br />

getreten, sexuell misshandelt und vergewaltigt.<br />

... die psychische Gewalt wird ausgeübt durch<br />

heruntermachende Bemerkungen, die sich auf die<br />

Geschlechtszugehörigkeit beziehen, wie durch<br />

eine sexistische Sprache, Witze, durch anzügliche<br />

Bemerkungen, durch ein Nicht-Respektieren <strong>der</strong><br />

Grenzen eines Mädchens. Außerdem gibt es noch<br />

die nicht unmittelbare o<strong>der</strong> spürbare strukturelle<br />

Gewalt. Darunter sind Strukturen zu<br />

verstehen, die Frauen und Mädchen<br />

in unserer Gesellschaft<br />

benachteiligen, behin<strong>der</strong>n, wirtschaftlich<br />

schlechter stellen und<br />

vom Status her abwerten; in <strong>der</strong><br />

Jugendarbeit beispielsweise<br />

• Mädchen (gewaltsam) daran hin<strong>der</strong>n, das<br />

Jugendzentrum zu besuchen (fehlende Mäd-<br />

Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />

chenangebote,<br />

kein<br />

Mädchenraum,<br />

Eingangsbereiche in<br />

Jugendhäusern mit<br />

„Laufsteg“-Situation<br />

für Mädchen)<br />

• bei <strong>den</strong> Lerninhalten und methodisch-didaktischen<br />

Konzepten in <strong>der</strong> Schule Erfahrungen aus<br />

weiblichen Lebenszusammenhängen negieren<br />

bzw. nicht berücksichtigen.“<br />

Dieses Zitat aus <strong>der</strong> Landesjugendring Broschüre<br />

Wen – Do Materialien für die Mädchenarbeit beschreibt<br />

<strong>den</strong> gesellschaftlichen bzw. jugendarbeiterischen<br />

Alltag von Pädagoginnen. Sie reagieren<br />

auf <strong>den</strong> Kontext, in dem Mädchen und junge Frauen<br />

eingebun<strong>den</strong> sind. Verschärfend<br />

kommt heute,<br />

einige Jahre nach<br />

Erscheinen <strong>der</strong><br />

Broschüre, dazu,<br />

dass Mädchen<br />

und junge<br />

Frauen sich<br />

in einer<br />

Welt sehen,<br />

in <strong>der</strong> alles<br />

möglich ist, alles easy und Problembewusstsein<br />

nicht zum Selbstverständnis von Mädchen gehört.<br />

Mädchen von heute sind eigenwillig, selbstbewusste<br />

Zicken, sind laut, wissen was sie wollen<br />

und wenn sie nichts wollen ist das auch OK. Unsere<br />

Gesellschaft gaukelt ihnen vor: „Alles ist möglich,<br />

wenn du nur willst.“ Und schiebt damit jedes<br />

Scheitern auf eine individuelle Schiene: „Wenn du<br />

es nicht schaffst, bist du selbst schuld!“ Ich sehe<br />

darin eine Verstärkung <strong>der</strong> strukturellen Gewalt,<br />

weil <strong>den</strong> Mädchen und jungen Frauen suggeriert<br />

wird, dass es strukturelle Gewalt kaum noch gibt.<br />

Wen Do als Weg <strong>der</strong> Frauen setzt genau hier an.<br />

Mädchen und Frauen wird ein frauenspezifischer<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_77<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />

Blick aufgezeigt und ein sich daraus<br />

ergebendes individuelles<br />

Handeln<br />

ermöglicht.<br />

Geschichte und Prinzipien<br />

Wen Do entstand vor ca. 20 Jahren in Kanada und<br />

wurde von Frauen entwickelt, die sich intensiv mit<br />

asiatischen Kampftechniken beschäftigten. Ihr<br />

Anliegen war, aus <strong>den</strong> Kampfkünsten, die ursprünglich<br />

für Männer gedacht waren, eine frauenspezifische<br />

Form <strong>der</strong> Selbstverteidigung und<br />

Selbstbehauptung zu entwickeln. Wen Do lebt vom<br />

„mündlichen Prinzip“. Es wird ausschließlich von<br />

Frauen an Frauen und Mädchen weitergegeben.<br />

Das bedeutet, einen Form des Frauenwissens, zu<br />

dem keine potentiellen Täter Zugang haben.<br />

Dieses Element des „Frauenwissens“ stärkt Mädchen<br />

bzw. Frauen in ihrer Weiblichkeit. Wen Do ist<br />

weiterhin ein praktisches Prinzip. Wen Do Trainerinnen<br />

verbin<strong>den</strong><br />

Theorie und<br />

Praxis und<br />

setzen bei<br />

<strong>den</strong><br />

jeweiligenindividuellen<br />

Lebenssituationen <strong>der</strong> Teilnehmerinnen<br />

an. Das erfor<strong>der</strong>t z. B. eine altershomogene Struktur<br />

<strong>der</strong> Teilnehmerinnen in <strong>den</strong> Mädchenkursen.<br />

Verständlicherweise sieht die Lebenswelt einer<br />

12jährigen an<strong>der</strong>s aus als die einer 16jährigen.<br />

Um in <strong>den</strong> Mädchenkursen tatsächlich Erfahrungsund<br />

Lernräume für individuelle Handlungsspektren<br />

zu ermöglichen, sind Altersbegrenzungen von<br />

jeweils zwei Jahrgangsstufen (z.B. 10 bis 12 Jahren)<br />

78_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

und Kursgrößen von nicht mehr als 14 Mädchen<br />

üblich.<br />

Das Beson<strong>der</strong>e am Wen Do<br />

Der Ansatz je<strong>der</strong> Wen Do Trainerin<br />

richtet sich nach ihrer Persönlichkeit<br />

und Authentizität. Sie stellt sich <strong>den</strong><br />

Frauen und Mädchen mit ihrer Persönlichkeit<br />

ihrer Form <strong>der</strong> Selbstbehauptung<br />

und –verteidigung<br />

zur Verfügung und zeigt ihnen<br />

gleichzeitig auf, wie individuelle<br />

Formen gefun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> können.<br />

Da jede Frau unterschiedliche<br />

Reaktionsmuster hat, gibt es kein<br />

einheitliches Konzept. Aber sicher sind Anteile <strong>der</strong><br />

körperorientierten und mental ausgerichteten Art<br />

<strong>der</strong> Selbstbehauptung und –verteidigung zu gleichen<br />

Teilen vertreten.<br />

Die Vermittlung von körperlicher Verteidigungstechnik<br />

in Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskursen<br />

ist bei<br />

vielen Anbietern z. B.<br />

Polizeisportvereinen<br />

ein wesentlicher<br />

Teil. Zu<br />

Wen Do Kursen<br />

besteht <strong>der</strong><br />

wesentliche<br />

Unterschied, dass<br />

bei an<strong>der</strong>en Anbietern<br />

häufig Männer<br />

<strong>den</strong> Teilnehmerinnen beibringen,<br />

wohin sie Tätern treten sollen, um sich zu wehren.<br />

Sicher ist das auch wichtig, aber es macht auf<br />

das Beson<strong>der</strong>e eines Wen Do Kurses aufmerksam.<br />

Die Vermittlung von mentalen Voraussetzungen<br />

<strong>der</strong> Selbstbehauptung und Selbstverteidigung<br />

von Frau und Mädchen ist das stärkste Element<br />

jedes Kurses. Mentale Voraussetzung heißt: jede<br />

Frau/jedes Mädchen muss wissen, wann und wie


sie N E I N sagt. Dazu gehört <strong>der</strong> Kontakt zu sich<br />

selbst und eigene Grenzen zu spüren. Mädchen<br />

und Frauen brauchen Erfahrungsräume,<br />

die frei sind<br />

von potentiellen Tätern,<br />

in <strong>den</strong>en sie<br />

ihrer individuellen<br />

Strategien entwickeln<br />

und z. B.<br />

rückgemeldet<br />

bekommen,<br />

wie ihr „Nein“<br />

wirkt. In Wen Do<br />

Kursen erfahren sie Stärkung von Frau zu Frau/<br />

Mädchen auf femininer, mentaler Ebene.<br />

Wen Do als Bildungsschwerpunkt<br />

in <strong>der</strong> Mädchenarbeit<br />

Wen Do Kurse sind Bildungsseminare, die eingebettet<br />

in die Mädchenarbeit sind. Sie beschränken<br />

sich nicht auf Tricks o<strong>der</strong> kurz zu<br />

erlernende Techniken, son<strong>der</strong>n bieten <strong>den</strong> Einstieg<br />

in Lernprozesse, die in einer fortlaufen<strong>den</strong> Mädchenarbeit<br />

eingebettet wer<strong>den</strong> sollten. Die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit <strong>der</strong> eigenen I<strong>den</strong>tität und <strong>der</strong><br />

gesellschaftlichen Struktur, die die I<strong>den</strong>tität mit<br />

beeinflusst, ist für alle Bildungsträger eine notwendige<br />

Aufgabe. Die Einbindung in ein Konzept<br />

emanzipatorischer, feministischer<br />

Mädchenarbeit wäre wünschenswert.<br />

Allerdings sehe ich auch<br />

Vorteile in einer gemischtgeschlechtlichenJugendarbeit,<br />

durch das Anbieten von<br />

Wen Do Kursen <strong>den</strong> Mädchen<br />

einen geschlechtshomogenen Raum zur I<strong>den</strong>titätsfindung<br />

zu ermöglichen.<br />

Durch die Veranstaltung eines Wen Do Kurses<br />

ergeben sich in <strong>der</strong> bestehen<strong>den</strong> Mädchenarbeit<br />

beson<strong>der</strong>e Chancen für kontinuierliche Gruppenarbeit.<br />

Mädchen sehen durch das Thema Selbst-<br />

Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />

verteidigung und -behauptung schnell ein, dass<br />

ein solcher Kurs sich ausschließlich an Mädchen<br />

wendet. Und am Ende <strong>der</strong> Kurse steht immer<br />

wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Wunsch in geschlechtshomoger Mädchengruppe<br />

zusammen zu bleiben. Häufig ein<br />

Anfang einer kontinuierlichen Mädchengruppe.<br />

Noch ein Wort zur Durchführung. Wen Do ist kein<br />

geschützter Begriff von sich aus. Deshalb empfehle<br />

ich, sich an das Netzwerk <strong>der</strong> Wen Do Trainerinnen<br />

zu wen<strong>den</strong>. Trainerinnen aus dem Netzwerk<br />

stellen sicher, dass ihre Kurse ihre verabredeten<br />

Standards beinhalten. Da alle Trainerinnen freiberuflich<br />

arbeiten, wird außerdem ein Preiskampf<br />

vermie<strong>den</strong>. Es ist im übrigen<br />

je<strong>der</strong> Pädagogin zu<br />

empfehlen, einen<br />

Kurs bei <strong>der</strong><br />

Trainerin zu<br />

besuchen,<br />

die sie engagieren<br />

will.<br />

Adressen und Kontakte sind über: Eva Viedt,<br />

Ev. Stadtjugenddienst, Am Fallersleber Tore 9 in<br />

38100 Braunschweig Tel. 0531/49017 und Daniela<br />

Jeksties, Archivstr. 3 in 30169 Hannover Tel. 0511/<br />

1241-693 zu erhalten.<br />

Eva Viedt<br />

1 Monika Wolff in: Wen – Do Materialien für die<br />

Mädchenarbeit Seite 5, Hg. Landesjugendring<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen e.V.<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_79<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />

80_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …


›› Gewalt<br />

und Jungen


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Gewalt und Jungen (Jungen treten - Mädchen ziehen an <strong>den</strong> Haaren)<br />

Einleitung<br />

Denke ich an Gewalt, entstehen ganz automatisch<br />

Bil<strong>der</strong> von randalieren<strong>den</strong> Skinheads, schlagen<strong>den</strong><br />

Vätern o<strong>der</strong> sich prügelnde Jungs auf dem Schulhof<br />

in meinem Kopf. Wahrscheinlich haben die<br />

meisten Menschen<br />

ähnliche Bil<strong>der</strong> vor<br />

Augen. Was dabei<br />

auffällt, diejenigen,<br />

die Gewalt ausüben,<br />

sind männlich.<br />

Das wird auch<br />

durch statistische<br />

Zahlen belegt. 90%<br />

aller Tatverdächtigen<br />

Gewalttäter sind männlich, über 80% aller<br />

Gefängnisinsassen in Nie<strong>der</strong>sachsen sind männlich.<br />

Ist Gewalt also reine Männersache? Berechtigte<br />

Zweifel wer<strong>den</strong> wach, wenn man die Ergebnisse<br />

einer in NRW veröffentlichten Studie über die<br />

Einstellungen von 14-24-jährigen Jugendlichen zu<br />

Gewalt in Hinblick auf geschlechtsspezifische<br />

Aspekte von Gewalt wahrnimmt. So lehnen zum<br />

Beispiel 82% <strong>der</strong> Mädchen und 72% <strong>der</strong> Jungen<br />

Gewalt rundweg ab. Eine normale Klopperei fin<strong>den</strong><br />

doppelt so viele Jungen (26%) wie Mädchen (13%)<br />

in Ordnung. Nicht alle Mädchen also lehnen Gewalt<br />

grundsätzlich ab. Gewalt äußert sich ja auch<br />

in Form von Beleidigungen, emotionaler Ausbeutung,<br />

Erpressung und subtile Manipulation (psychische<br />

Gewalt). Viele Menschen vermuten, dass<br />

Mädchen und Frauen auf diesem Gebiet Gewalt<br />

ausüben (Buscotte). Weil es aber starke Unterschiede<br />

in <strong>der</strong> Einstellung zur Gewalt und in <strong>der</strong><br />

Ausprägung von Gewalt zwischen <strong>den</strong> Geschlechtern<br />

gibt, ist es nötig die geschlechtsspezifischen<br />

Aspekte von Gewalt zu berücksichtigen. Vernünftige<br />

Gewaltprävention sollte sich also mit <strong>der</strong><br />

Frage beschäftigen, wie die unterschiedlichen<br />

Geschlechter mit Gewalt umgehen, und welche<br />

82_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Ursachen das hat. Dieser Bereich fällt in <strong>der</strong> öffentlichen<br />

Diskussion über die Ursachen von<br />

Gewalt häufig unter <strong>den</strong> Tisch. Im Folgen<strong>den</strong> geht<br />

es um die Gewalt von Jungen und jungen Männern<br />

unter Berücksichtigung <strong>der</strong> geschlechtsspezifischen<br />

Aspekte.<br />

Gewalt ist vielschichtig. Einfache Erklärungen und<br />

Begründungen reichen oft nicht aus, um das<br />

Handeln von gewalttätigen Jugendlichen zu verstehen.<br />

Eine Dimension, die bei <strong>der</strong> Betrachtung von<br />

Gewalt eine beson<strong>der</strong>e Rolle spielt, ist die Frage<br />

nach <strong>der</strong> aktiven o<strong>der</strong> passiven Gewalt. Je<strong>der</strong><br />

Täter, <strong>der</strong> Gewalt ausübt, hat in seinem Leben<br />

mehr als einmal die Erfahrung gemacht, was es<br />

heißt, Opfer zu sein. Häufig ergibt sich eine gewalttätige<br />

Karriere aus <strong>den</strong> Gewalterfahrungen in<br />

<strong>der</strong> Kindheit und Jugend. Und sei es nur durch das<br />

negative Vorbild. Wie soll jemand, <strong>der</strong> als Kind<br />

Schläge erhält, als Erwachsener gewaltfreie Konfliktlösungsmechanismen<br />

beherrschen? Es heißt,<br />

vom Opfer zum Täter ist es nur ein kleiner Schritt.<br />

Dieser Opfer-Täter Aspekt von Gewalt ist selten<br />

klar zu trennen, sollte aber immer berücksichtigt<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

Das Thema Jungen und Gewalt lässt sich also<br />

sowohl unter dem Blickwinkel Jungen als Opfer,<br />

als auch unter dem Blickwinkel Jungen als Täter<br />

betrachten.<br />

Zwei Drittel <strong>der</strong> körperlichen Gewalttaten von<br />

Jungen richten sich gegen Jungen. Auch beim<br />

Thema sexuelle Gewalt gegen Jungen wird von<br />

einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Es ist


Gewalt und Jungen (Jungen treten - Mädchen ziehen an <strong>den</strong> Haaren)<br />

anzunehmen, dass auch Jungen sehr viel häufiger<br />

Opfer von sexueller Gewalt sind, als bislang angenommen.<br />

Lei<strong>der</strong> gibt es wenig genaue Untersuchungen.<br />

Beschreibung von aktiver Gewalt<br />

bei Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

Von <strong>den</strong> vielen Ursachen für die Gewalt von Jugendlichen<br />

und jungen Männern sollen einige<br />

wichtige Aspekte im folgen<strong>den</strong> erörtert wer<strong>den</strong>.<br />

Gewalt in <strong>der</strong> Familie<br />

Wer seine Rute schont, <strong>der</strong> hasst seinen Sohn,<br />

wer ihn aber lieb hat, <strong>der</strong> züchtigt ihn beizeiten.<br />

Dieser Vers aus <strong>den</strong> Sprüchen Salomos (Spr 13,<br />

24) verdeutlicht, dass die Gewalt an Kin<strong>der</strong>n, in<br />

diesem Fall an Söhnen, schon eine sehr lange<br />

Tradition hat. Wenn auch die körperliche Gewalt<br />

an Kin<strong>der</strong>n gesellschaftlich in <strong>den</strong> letzten Jahren<br />

und Jahrzehnten immer mehr an Akzeptanz verloren<br />

hat, so sprechen doch die statistischen<br />

Zahlen eine eindeutige Sprache. 1999 gab es in<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik über 3000 angezeigte Fälle<br />

von Kindesmisshandlung (http://www.bka.de).<br />

Das ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs.<br />

Schätzungen gehen für das Jahr 1990 von bis zu<br />

300 000 Fällen von Kindesmisshandlungen aus<br />

(Möller 1991 bei Rohrmann). Bei Gewalt gegen<br />

Kin<strong>der</strong> sind, im <strong>Gegen</strong>satz zu <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en Gewaltdelikten,<br />

Frauen mit einem relativ hohen<br />

Anteil als Täterinnen vertreten (ca. 40%). Jungen<br />

wer<strong>den</strong> ten<strong>den</strong>ziell häufiger geschlagen. Obwohl<br />

Untersuchungen belegen, dass körperliche Strafen<br />

sich aggressionsför<strong>der</strong>nd erweisen, waren<br />

1993 immer noch mehr als die Hälfte <strong>der</strong> Eltern<br />

<strong>der</strong> Meinung, dass Kin<strong>der</strong>n eine Ohrfeige ab und<br />

an nicht schade. Nicht zwangsläufig entwickeln<br />

sich später diejenigen Jungen am aggressivsten,<br />

die am häufigsten misshandelt wur<strong>den</strong>. Aber<br />

Gewalt ist für Jungen, viel stärker als für Mädchen,<br />

ein Ventil, wenn sie mit Konflikten, Misshandlun-<br />

gen und Ohnmachtserfahrungen nicht fertig wer<strong>den</strong>.<br />

Jungen und Gewalt<br />

Jungen sind aggressiver als Mädchen (Cains und<br />

Cains bei Rohrmann). Sie initiieren mehr Konflikte<br />

und sind häufiger <strong>der</strong>en Opfer. Im Konfliktfall<br />

schlagen Jungen eher zurück als Mädchen. Gewalttätiges<br />

Handeln ist schon bei Kin<strong>der</strong>n einer sehr<br />

starken Differenzierung unterworfen. Wo bei<br />

Mädchen bei aggressivem Verhalten sehr schnell<br />

interveniert wird, geht es bei Jungen sehr häufig<br />

noch als normal durch. Jungen sind aktiver, sie<br />

versuchen in Raufereien „ihren Mann“ zu stehen<br />

und ernten wenig Kritik, manchmal sogar offene<br />

Zustimmung. Auf diese Weise bil<strong>den</strong> sich im Umgang<br />

mit Gewalt typisch weibliche und typisch<br />

männliche Verhaltensmuster. Der Meinung, dass<br />

Aggressivität ein angeborenes menschliches<br />

Verhaltensmuster ist, kann entgegengesetzt<br />

wer<strong>den</strong>, dass es daneben, wie im Ausdruck von<br />

Schmerz o<strong>der</strong> Hilflosigkeit, auch an<strong>der</strong>e mögliche<br />

Verhaltensmuster gibt. Es kommt nur darauf an,<br />

diese zu erlernen. Ein Problem für Jungen besteht<br />

allerdings darin, dass häufig die männlichen<br />

Vorbil<strong>der</strong> fehlen. Neben <strong>der</strong> Mutter wer<strong>den</strong> die<br />

Kin<strong>der</strong> von Babysitterinnen, Erzieherinnen in<br />

Kin<strong>der</strong>tagesstätten und Grundschullehrerinnen<br />

versorgt. Väter im Erziehungsurlaub sind immer<br />

noch relativ seltene Ausnahmen. Was männlich ist,<br />

lernen Jungen nicht von Vorbil<strong>der</strong>n. Aber von wem<br />

dann?<br />

Eine wichtige Rolle in <strong>der</strong> Sozialisation von Verhaltensweisen<br />

spielen Peergroups. Gerade im<br />

Miteinan<strong>der</strong>umgehen unter Jungen wer<strong>den</strong> bestimmte<br />

gewalttätige Rituale toleriert. Allerdings<br />

lassen sich nicht alle Peergruppen über einen<br />

Kamm scheren. Häufig wird abweichendes Verhalten<br />

sanktioniert. Hyperaktive und aggressive<br />

Jungen stehen auch in Gefahr, sozial isoliert zu<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_83<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Gewalt und Jungen (Jungen treten - Mädchen ziehen an <strong>den</strong> Haaren)<br />

Jugendgewalt<br />

Im Jugendalter spielt Gewalt eine noch größere<br />

Rolle als bei Kin<strong>der</strong>n. Ob die Gewalt von Jugendlichen<br />

unter Jugendlichen tatsächlich zugenommen<br />

hat, darüber gibt es in <strong>der</strong> Forschung keine Einigkeit.<br />

In Zeitungsberichten und im Fernsehen wird<br />

dieser Eindruck vermittelt. Auch die akute permanente<br />

Gewalt von Rechts verstärkt diesen Eindruck<br />

einer erhöhten Gewalt bei Jugendlichen. Ob sich<br />

die Formen <strong>der</strong> Gewalt bei Jugendlichen verän<strong>der</strong>t<br />

haben, ob wir durch eine intensivere Berichterstattung<br />

in <strong>den</strong> Medien <strong>den</strong> Eindruck haben, es gäbe<br />

mehr Gewalt unter männlichen Jugendlichen, o<strong>der</strong><br />

ob es tatsächlich wirklich mehr Gewalt gibt, das ist<br />

nicht klar zu beantworten. Tatsache ist, dass<br />

Gewalt vor allem bei männlichen Jugendlichen in<br />

einem hohen Maß vorkommt. Das ist ein immenser<br />

gesellschaftlicher Missstand.<br />

Gewalt war auch immer schon ein Aufbegehren<br />

gegen das Establishment, das beson<strong>der</strong>s von<br />

jungen Menschen bei<strong>der</strong>lei Geschlechts praktiziert<br />

wurde und war somit eine beson<strong>der</strong>e Form von<br />

jugendlicher Gewalt. Die politisch motivierte<br />

Gewalt rechter Jugendlicher gegen Auslän<strong>der</strong> und<br />

An<strong>der</strong>s<strong>den</strong>kende hat eine ganz an<strong>der</strong>e Brisanz,<br />

wenngleich auch hierbei das Aufbegehren gegen<br />

die Erwachsenengesellschaft und die Ohnmachtsgefühle<br />

verursachen<strong>den</strong> Strukturen eine Rolle<br />

spielen können. Die sich verän<strong>der</strong>nde gesellschaftliche<br />

Erfahrungswelt ist für Jugendliche<br />

unübersichtlicher und befrem<strong>den</strong><strong>der</strong> gewor<strong>den</strong>.<br />

Gerade bei Jungen bringen ein Verschwin<strong>den</strong> des<br />

traditionellen Männerbildes und die Schwierigkeiten<br />

auf dem Arbeitsmarkt immense Verunsicherungen<br />

mit sich, die sich auch in gewalttätigem<br />

Verhalten äußern können. Gründe für Gewalt, die<br />

in <strong>der</strong> Forschung diskutiert wer<strong>den</strong>, lassen sich<br />

beliebig fortführen. So gehören Armut, gesellschaftliche<br />

Ausgrenzung, gesellschaftlich-strukturelle<br />

Gewalt, ungünstige Familienverhältnisse,<br />

Politikverdrossenheit, Ohnmachtserfahrungen,<br />

84_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Orientierungslosigkeit und Vereinzelung durch<br />

Individualisierungsprozesse zu möglichen Ursachen<br />

für die Gewalt auf <strong>den</strong> Straßen. Auch die<br />

Gewalt im Fernsehen wird als Ursache diskutiert.<br />

In <strong>der</strong> Wahrnehmung, dass Gewalt ein normales<br />

Mittel zur Durchsetzung von Konflikten ist, kann<br />

sie die Einstellung des Konsumenten zur Gewalt<br />

beeinflussen. Diese Begründungen haben sicher<br />

ihre Berechtigung. Aber Mädchen reagieren auf<br />

diese Belastungen an<strong>der</strong>s als Jungen. Das heißt,<br />

es gibt auch noch geschlechtsspezifische Erklärungen,<br />

wieso Jungen auf diverse Probleme in<br />

ihrem Umfeld viel stärker mit Gewalt reagieren als<br />

Mädchen.<br />

Gewalt als Mittel <strong>der</strong><br />

I<strong>den</strong>titätsfindung<br />

Für sozial benachteiligte Jugendliche kann traditionelle<br />

Männlichkeit ein Versuch sein, ihre I<strong>den</strong>tität<br />

zu fin<strong>den</strong>, um <strong>den</strong> Fall in soziale Bedeutungslosigkeit<br />

und individuelle Leere zu verhin<strong>der</strong>n. Mut,<br />

Kampfbereitschaft, Darstellung <strong>der</strong> Kompetenz im<br />

Umgang mit Autos, Maschinen und Waffen, Negation<br />

von Gefühlen und eine durch Sprüche symbolisierte<br />

Abgrenzung zum an<strong>der</strong>en Geschlecht<br />

können als Aspekte <strong>der</strong> traditionellen Männlichkeit<br />

verstan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Ehre, Territorium und<br />

die eigenen Frauen wer<strong>den</strong> verteidigt, Schwule<br />

und Fremde müssen weg. Diesen Kriterien versuchen<br />

Jungen zu entsprechen, um sich in einer von<br />

Männern dominierten Kultur Respekt und Beachtung<br />

zu verschaffen. In <strong>der</strong> Gewalt mit sich bringen<strong>den</strong><br />

Ausprägung dieser Männlichkeit wird sie<br />

von <strong>der</strong> Gesellschaft gefürchtet und bekämpft.<br />

Gewalt als Erlebnis<br />

Die meisten rationalen Begründungen für Gewalt<br />

bei Jugendlichen, bei männlichen Jugendlichen,<br />

treffen nicht das Phänomen, dass Gewalt Spaß<br />

macht. Bekannt ist <strong>der</strong> Begriff „im Rausch <strong>der</strong><br />

Gewalt“. Das gewalttätige Auftreten von Hooligans


kann als Beispiel dienen. Mann geht zum Fußballspiel<br />

wegen <strong>der</strong> Action, <strong>der</strong> Randale am Rand. Erst<br />

haut man sich auf <strong>den</strong> Kopf, um später miteinan<strong>der</strong><br />

ein Bier trinken zu gehen. Nicht die Jugendlichen<br />

aus <strong>den</strong> unteren Schichten am Rande <strong>der</strong><br />

Gesellschaft, son<strong>der</strong>n ganz „normale“ junge<br />

Männer, die einen festen sozialen Status haben,<br />

lassen sich von <strong>der</strong> Gewalt berauschen. Gewalt<br />

kann hier als eine Aktion erlebt wer<strong>den</strong>, in <strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Jugendliche seinen Körper spürt. Manchmal<br />

scheint es, als ob Wut und Zerstörung das Einzige<br />

Ventil für unterdrückte Kraft und Lebendigkeit<br />

sind, und manchmal sieht es so aus, als ob Wut<br />

das Einzige sei, was Verän<strong>der</strong>ung möglich macht.<br />

Nach meiner Einschätzung handelt es sich hierbei<br />

um das Ausleben von Emotionen bei Männern, die<br />

aus welchen Grün<strong>den</strong> auch immer im emotionalen<br />

Bereich Defizite aufweisen. Den Spaßaspekt bei<br />

<strong>der</strong> Gewalt gibt es nur bei jungen Männern und<br />

nicht bei Mädchen und Frauen.<br />

Gewalt als Angstabwehr<br />

Gewalt und Jungen (Jungen treten - Mädchen ziehen an <strong>den</strong> Haaren)<br />

Sich in <strong>der</strong> Gewalt spüren, Angst und Ohnmachtsgefühle<br />

überwin<strong>den</strong> - wieso haben männliche<br />

Jugendliche das nötig und Mädchen und Frauen<br />

eher nicht?<br />

Jungen sind gleichaltrigen Mädchen oft unterlegen.<br />

Sei es bei <strong>den</strong> Schulleistungen o<strong>der</strong> durch<br />

<strong>den</strong> Reifevorsprung in <strong>der</strong> Pubertät. Wo es keine<br />

Möglichkeit gibt, das dadurch entstehende Ohnmachtsgefühl<br />

zu kompensieren, wird es durch die<br />

Form körperlicher Gewalt gegen Schwächere<br />

ausgelebt. Das dabei entstehende Machtgefühl<br />

hilft <strong>der</strong> Stärkung eines meist eher brüchigen<br />

Selbstwertgefühls. Unsicherheit und Überfor<strong>der</strong>ung<br />

wer<strong>den</strong> weg geprügelt. Verstärken kann sich<br />

dieses Problem in familiären und sexuellen Beziehungen.<br />

Gerade bei Männern, die sich ihrer<br />

Männlichkeit nicht ganz sicher sind, kann es zu<br />

beson<strong>der</strong>s herablassen<strong>den</strong>, aggressiven Verhaltensweisen<br />

kommen.<br />

Durch die Verankerung von <strong>der</strong> Gewalt in <strong>der</strong><br />

Jungenkultur und die mangelnde Fähigkeit vieler<br />

Jungen, mit ihren Bedürfnissen, Konflikten und<br />

Gefühlen (beson<strong>der</strong>s mit Angst und Hilflosigkeit)<br />

umzugehen, kommt es zur Männergewalt in allen<br />

Bereichen, in <strong>den</strong>en wir sie heute wahrnehmen.<br />

Solange es für Jungen und Männer nicht akzeptiert<br />

wird, Angst, Schmerz und Schwäche zu zeigen,<br />

bleiben die Gewaltbeziehungen unter Jungen<br />

bestehen.<br />

Wenn Jungen Opfer von Gewalt wer<strong>den</strong>, trauen sie<br />

sich häufig nicht, sich zu wehren und geben Gewalt<br />

an jüngere und schwächere Jungen weiter.<br />

Selbst schwere Misshandlungen wer<strong>den</strong> vor <strong>den</strong><br />

Eltern geheim gehalten. Das wäre nicht so, wenn<br />

das Verhältnis zum eigenen Körper nicht gestört<br />

wäre. Irgendwann macht eine Faust im Gesicht<br />

nichts mehr aus. Dann kommt zur Unempfindlichkeit<br />

gegenüber dem eigenen Schmerz noch die<br />

Unempfindlichkeit gegen <strong>den</strong> Schmerz überhaupt.<br />

Unsere Gesellschaft bietet Jungen wenig Möglichkeiten<br />

für „weiche Körpererfahrungen“. Neben<br />

Sport und Sex ist aggressives Verhalten eine<br />

immer noch akzeptierte Möglichkeit, Gefühle<br />

auszudrücken. Weil es an Möglichkeiten fehlt, die<br />

eigene Männlichkeit zu erleben, wer<strong>den</strong> riskante<br />

Handlungen und Gewalt zum Ventil. Gewalt lässt<br />

Jungen ihren Körper spüren.<br />

Konsequenzen für die<br />

Gewaltprävention<br />

Beim Verstehen vom Gewalt ist ebenso wie in <strong>der</strong><br />

praktischen Jugendarbeit zu berücksichtigen, dass<br />

Gewalt auch eine Form <strong>der</strong> Suche nach Männlichkeit<br />

darstellt. Auf Gewalt mit Sanktionen und<br />

<strong>Gegen</strong>gewalt zu reagieren, erscheint mir nur da<br />

sinnvoll, wo es um berechtigte Interessen des<br />

Opferschutzes geht. Sonst gilt für Gewaltprävention<br />

wie für Jugendarbeit im Allgemeinen, dass die<br />

Jugendlichen dort abgeholt wer<strong>den</strong>, wo sie stehen,<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_85<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Gewalt und Jungen (Jungen treten - Mädchen ziehen an <strong>den</strong> Haaren)<br />

dass sie selbst und ihre Bedürfnisse ernst genommen<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

Nötig ist eine beson<strong>der</strong>e Arbeit mit Jungen. Es<br />

ist wichtig, die Persönlichkeit <strong>der</strong> Jungen zu stärken<br />

und Orientierungshilfen zu geben. Hier sind<br />

männliche Vorbil<strong>der</strong> gefragt. Jungen brauchen die<br />

Möglichkeit, ihre Körper zu spüren und Gefühle<br />

auszudrücken. Erlebnis- und Abenteuerpädagogik,<br />

aber auch Theater- und Spielpädagogik bieten<br />

Handlungsansätze. Um in unserer Gesellschaft<br />

Männlichkeit positiv zu erleben, benötigen Jungen<br />

die Erfahrungen, Anregungen und Unterstützung<br />

von Männern, die Lust haben, sich mit ihnen zu<br />

beschäftigen.<br />

Gottfried Labuhn<br />

Literatur:<br />

Rohrmann, Timm:<br />

Junge, Junge - Mann, o Mann - Die Entwicklung zur<br />

Männlichkeit. Hamburg, 1994<br />

Buskotte, Andrea:<br />

Gewalt - (k)eine reine Männersache? In: JUGEND -<br />

GEWALT - UND KEIN ENDE? Hrsg. Landesstelle<br />

Jugendschutz in Hannover. Hannover, 1999<br />

86_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …


›› Der Herr <strong>der</strong><br />

Heerscharen


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />

„Meine Faust will in sein Gesicht – und darf nicht,<br />

und darf nicht“ – Herbert Grönemeyer bringt in<br />

seinem Song „Was soll das“ die Ambivalenz des<br />

mo<strong>der</strong>nen Menschen in Bezug auf Gewalt auf <strong>den</strong><br />

Punkt. Einmal ist Gewalt verpönt – statt zuschlagen<br />

lieber miteinan<strong>der</strong> re<strong>den</strong>, statt Krieg führen<br />

lieber verhandeln. Aber an<strong>der</strong>erseits gibt es da<br />

noch die Ebene <strong>der</strong> Emotionen, die im Falle eines<br />

Falles nur mühsam im Zaum gehalten wer<strong>den</strong><br />

können. Diese Form <strong>der</strong> Begeisterung, die das<br />

Innere aufwühlt und durcheinan<strong>der</strong> bringt, die<br />

vor Wut schäumen lässt, die eine Spannung<br />

aufbaut, die sich so gerne in einem Gewaltakt<br />

entla<strong>den</strong> möchte. Bisweilen versagt die kulturelle<br />

Kontrolle und die Faust landet tatsächlich<br />

im Gesicht des Nebenbuhlers. Dieses „… und<br />

darf nicht!“ hat seine Geschichte. Diese moralische<br />

Ächtung von Gewalt als Mittel zur Lösung<br />

von Beziehungsproblemen im zwischenmenschlichen<br />

wie auch zwischenstaatlichen Bereich ist<br />

historisch gewachsen und zu einem großen Teil<br />

auch religiös motiviert. Wie sieht es mit dieser<br />

religiösen Motivation aus? Aus welchen Traditionen<br />

stammt sie? Wie gehen die bei<strong>den</strong> Testamente<br />

des christlichen Glauben mit <strong>der</strong> Gewaltfrage<br />

um?<br />

Von Pazifismus keine Spur?<br />

Wer in unserer Zeit das Alte Testament liest, wird<br />

an vielen Stellen die Stirn runzeln und sich fragen,<br />

welcher Gott kommt <strong>den</strong>n da auf mich zu.<br />

Alles an<strong>der</strong>e als friedlich und sanftmütig mischt<br />

er sich in die Geschichte seines Volkes ein. Wenn<br />

er will, schickt er seinen Geist in Gestalt eines<br />

Engels zu einem friedlich vor sich hindreschen<strong>den</strong><br />

Ackerbauern und beruft ihn zum Strategen<br />

und Kämpfer gegen plün<strong>der</strong>nde Reitervölker<br />

(Richter 6,11ff.), o<strong>der</strong> er lässt durch seinen Propheten<br />

die Priester eines Konkurrenzgottes<br />

abschlachten (1.Kön.19). Statt entschie<strong>den</strong> die<br />

Ablehnung von Gewalt zu propagieren, zeugen<br />

viele Geschichten des Alten Testamentes eher<br />

88_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

von einem unverkrampften Verhältnis dazu. Wie<br />

selbstverständlich können die Dichter mancher<br />

Psalmen in ihren Rachegedanken schwelgen (z.B.<br />

Psalm 137). Was ist das für ein Gott, <strong>der</strong> auf dem<br />

Schlachtfeld mitmischt, <strong>der</strong> seinen Geist ausschickt,<br />

um Kämpfern zum Sieg zu verhelfen, statt<br />

sie in <strong>den</strong> Strategien zur Gewaltvermeidung zu<br />

unterweisen?<br />

Nun, zunächst muss man be<strong>den</strong>ken, dass <strong>der</strong><br />

Gott des Volkes Israel es recht schwer hatte, was<br />

Bekanntheitsgrad und Verehrungsmasse betraf.<br />

Er war im Grunde genommen genauso bedeutend<br />

wie das Volk, von dem er angebetet wurde.<br />

Diese Bedeutung hielt sich in Grenzen. Und diese<br />

Grenzen waren markiert von an<strong>der</strong>en Völkern,<br />

die Bedeuten<strong>der</strong> waren und entsprechend bedeuten<strong>der</strong>e<br />

Gottheiten verehrten. Ägypten, Babylon,<br />

Assyrien – Großreiche mit militärischer Macht<br />

und <strong>der</strong> Lizenz zu unterdrücken. Macht und Religion<br />

gingen Hand in Hand – je größer <strong>der</strong> militärische<br />

Erfolg, desto größer die Gottheit, die<br />

diesen Erfolg veranlasst o<strong>der</strong> zumindest begleitet<br />

hatte. Das Schlachtfeld war auch <strong>der</strong> Kampfplatz<br />

<strong>der</strong> Gottheiten – nicht nur vor <strong>den</strong> Toren<br />

Trojas, son<strong>der</strong>n überall im antiken Vor<strong>der</strong>asien<br />

bzw. Nordafrika. Ein besiegtes Volk hatte entwe<strong>der</strong><br />

eine schwache Gottheit, die ihm nicht helfen<br />

konnte, o<strong>der</strong> eine ärgerliche Gottheit, die mit<br />

seinem Volk aus bekannten o<strong>der</strong> unbekannten<br />

Grün<strong>den</strong> unzufrie<strong>den</strong> war (zu wenig Opfer, zu lasches<br />

Geboteeinhalten, zu viel Interesse an an<strong>der</strong>en<br />

Göttinnen und Göttern, etc.). Im Bewusstsein<br />

<strong>der</strong> Menschen war das eigene Überleben an die<br />

Macht und das Wohlwollen <strong>der</strong> Gottheit gebun<strong>den</strong>.<br />

Ein starker Gott hilft einem<br />

schwachen Volk: Showdown am<br />

Schilfmeer<br />

Das Urdatum <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Volkes Israel war<br />

seine wun<strong>der</strong>same Errettung bei seinem Auszug


Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />

aus Ägypten. In <strong>der</strong> größten Bedrohung durch die<br />

Streitwagen <strong>der</strong> verfolgen<strong>den</strong> Ägypter tut sich dem<br />

fliehen<strong>den</strong> Volk das Schilfmeer auf. Trockenen<br />

Fußes können sie dem drohen<strong>den</strong> Gemetzel entkommen.<br />

Pech hatten die militärisch überlegenen<br />

Ägypter:<br />

2.Mose 15,19-21: Denn <strong>der</strong> Pharao zog hinein ins<br />

Meer mit Rossen und Wagen und Männern. Und<br />

<strong>der</strong> HERR ließ das Meer wie<strong>der</strong> über sie kommen.<br />

Aber die Israeliten gingen trocken mitten durchs<br />

Meer. Da nahm Mirjam, die Prophetin, Aarons<br />

Schwester, eine Pauke in ihre Hand, und alle<br />

Frauen folgten ihr nach mit Pauken im Reigen. Und<br />

Mirjam sang ihnen vor: Lasst uns dem HERRN<br />

singen, <strong>den</strong>n er hat eine herrliche Tat getan, Ross<br />

und Mann hat er ins Meer gestürzt.<br />

Unter dem Gesichtspunkt des Überlebens wird<br />

die Begeisterung angesichts des jämmerlichen<br />

Ersaufens <strong>der</strong> ägyptischen Heerscharen mit ihren<br />

gefährlichen Streitwagen verständlich: normalerweise<br />

hatten die Ägypter und ihre Gottheiten<br />

das Sagen und die Macht. Die Israeliten als kleine<br />

geduldete Volksgruppe, die sich gut zu Sklavenarbeit<br />

pressen ließ, hatten angesichts <strong>der</strong> Übermacht<br />

eigentlich wenig Aussicht aufs Überleben.<br />

Die Ägypter hatten die größeren Tempel und die<br />

mächtigeren Krieger. Doch plötzlich wendet sich<br />

das Blatt und <strong>der</strong> bis dahin namenlose Gott <strong>der</strong><br />

Israeliten zeigt, was in ihm steckt. Der „Ich bin“<br />

rettet sein erwähltes Volk vor dem sicheren Untergang.<br />

Mag man über die Metho<strong>den</strong> dieser Rettung<br />

auch geteilter Meinung sein – des einen Rettung,<br />

des an<strong>der</strong>en Untergang – es hätte evtl. auch elegantere<br />

Lösungen geben können und schließlich<br />

waren auch viele <strong>der</strong> Kriegswagenlenker Familienväter<br />

– so tritt doch mit diesem Ereignis ein Wandel<br />

in <strong>der</strong> theologischen Reflexion ein: fortan gilt<br />

nicht mehr die Gleichung: großes, starkes, bedeutendes<br />

Volk gleich große, starke, bedeutende<br />

Götter. Vielmehr dürfen ab jetzt gerade die Unterdrückten<br />

auf Hilfe hoffen.<br />

Eine betende Terminatorin: Judit<br />

Frauen konnten sich nicht nur über die Siege<br />

freuen – sie hatten bisweilen auch handfesten<br />

Anteil daran. Im Buch Judit wird erzählt, wie die<br />

Titelheldin mit Gottes Hilfe <strong>den</strong> schrecklichen<br />

Feldherrn Holofernes enthauptet:<br />

Judit 13,7-10: Nach diesem Gebet trat sie zu <strong>der</strong><br />

Säule oben an seinem Bett und griff nach seinem<br />

Schwert, das dort hing, zog es heraus, ergriff ihn<br />

beim Schopf und betete abermals: Herr, Gott<br />

Israels, stärke mich in dieser Stunde! Darauf stach<br />

sie ihn zweimal mit ganzer Kraft in <strong>den</strong> Hals und<br />

schnitt ihm <strong>den</strong> Kopf ab. Danach wälzte sie <strong>den</strong><br />

Körper aus dem Bett und nahm das Netz von <strong>den</strong><br />

Säulen herunter. Kurz darauf ging sie hinaus und<br />

gab das Haupt des Holofernes ihrer Magd, damit<br />

sie es in ihren Sack steckte.<br />

Im Gebet bereitet sich Judit auf die Gewalttat vor –<br />

auch wenn es sich um die Befreiung von einem<br />

gefährlichen Unterdrücker und Plün<strong>der</strong>er handelte,<br />

bleibt die Verbindung von Spiritualität und<br />

Gewalt befremdlich: beten bevor man mordet?<br />

O<strong>der</strong> vielleicht ist das auch gar nicht so befremdlich.<br />

Schließlich ist es schon ein Akt, das Lebenslicht<br />

eines an<strong>der</strong>en Menschen auszulösen. Tief in<br />

uns greifen noch die Mechanismen unseres animalischen<br />

Erbes, die uns eigentlich davor bewahren<br />

sollten, Artgenossen auszuschalten. Diese Hemmungen<br />

gilt es zu überwin<strong>den</strong>, will frau die eigene<br />

Stadt vor dem Aggressor schützen. Es braucht eine<br />

Form von „Begeisterung“, <strong>der</strong> Einstimmung in die<br />

Tat, die ohne innere Zustimmung nicht begangen<br />

wer<strong>den</strong> kann. Im Gebet wird diese Selbstvergewisserung<br />

gesucht. Der Gott, <strong>der</strong> am Sinai unter<br />

an<strong>der</strong>em „Du sollst nicht töten“ gesprochen hat,<br />

muss anscheinend einbezogen wer<strong>den</strong>, wenn<br />

Gewaltlösungen als ultima ratio notwendig wer<strong>den</strong>.<br />

Im Gebet wer<strong>den</strong> Kraft und Erlaubnis zur<br />

Überwindung <strong>der</strong> natürlichen Hemmung gesucht<br />

und gefun<strong>den</strong>. Die Ausführende wird damit zum<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_89<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />

Medium des Eingreifens Gottes zum Schutz seines<br />

Volkes.<br />

Begeisterung macht stark: Simson<br />

In <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> sogenannten „Landnahme“, also<br />

des allmählichen Zusammenwachsens und Ausbreitens<br />

<strong>der</strong> Stämme, die sich dann zum Volk<br />

Israel zählten, hat es eine Vielzahl von Konflikten<br />

gegeben. Konfliktgegner waren die „Philister“ –<br />

ein Sammelbegriff für an<strong>der</strong>e Bevölkerungsgruppen,<br />

die schon in dem Land lebten, das die<br />

Stämme Israels für sich beanspruchten. Das<br />

Kriegsglück war häufig auf Seiten <strong>der</strong> Philister.<br />

Dann konnte es aber geschehen, dass Gott sich<br />

einen Menschen auswählte, um durch seine Hilfe<br />

sein Volk zu retten. Die sogenannten „Richter“<br />

sind Männer und Frauen, die zu ungewöhnlichen<br />

Taten fähig wur<strong>den</strong>. Allerdings hatten sie diese<br />

Fähigkeiten nicht aus sich selbst heraus. Vielmehr<br />

war es Gottes Geist, <strong>der</strong> sie ergriff und<br />

ihnen strategisches Wissen o<strong>der</strong> übermenschliche<br />

Kampfkraft verlieh.<br />

Richter 15,9-20: Da zogen die Philister hinauf und<br />

lagerten sich in Juda und breiteten sich aus bei<br />

Lehi. Aber die von Juda sprachen: Warum seid ihr<br />

gegen uns heraufgezogen? Sie antworteten: Wir<br />

sind heraufgekommen, Simson zu bin<strong>den</strong>, dass<br />

wir ihm tun, wie er uns getan hat. Da zogen dreitausend<br />

Mann von Juda hinab in die Felsenkluft zu<br />

Etam und sprachen zu Simson: Weißt du nicht,<br />

dass die Philister über uns herrschen? Warum hast<br />

du uns <strong>den</strong>n das angetan? Er sprach zu ihnen: Wie<br />

sie mir getan haben, so hab ich ihnen wie<strong>der</strong><br />

getan. Sie sprachen zu ihm: Wir sind herabgekommen,<br />

dich zu bin<strong>den</strong> und in die Hände <strong>der</strong> Philister<br />

zu geben. Simson sprach zu ihnen: So schwört mir,<br />

dass ihr selber mir nichts antun wollt. Sie antworteten<br />

ihm: Nein, son<strong>der</strong>n wir wollen dich nur<br />

bin<strong>den</strong> und in ihre Hände geben und wollen dich<br />

nicht töten. Und sie ban<strong>den</strong> ihn mit zwei neuen<br />

Stricken und führten ihn aus <strong>der</strong> Felsenkluft hin-<br />

90_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

auf. Und als er nach Lehi kam, jauchzten die Philister<br />

ihm entgegen. Aber <strong>der</strong> Geist des HERRN geriet<br />

über ihn, und die Stricke an seinen Armen wur<strong>den</strong><br />

wie Fä<strong>den</strong>, die das Feuer versengt hat, so dass die<br />

Fesseln an seinen Hän<strong>den</strong> zerschmolzen. Und er<br />

fand einen frischen Eselskinnbacken. Da streckte<br />

er seine Hand aus und nahm ihn und erschlug<br />

damit tausend Mann.<br />

Von <strong>der</strong> Begeisterung zur Gewalt – spannen<strong>der</strong><br />

geht’s nicht mehr. Simson, eine Art Bud Spencer<br />

des Alten Testamentes, wird nach diversen Streichen<br />

und Fiaskos, die er <strong>den</strong> Philistern angetan<br />

hat, von <strong>den</strong> eigenen Leuten an seine Feinde<br />

ausgeliefert. Aber die freuen sich wie<strong>der</strong> einmal zu<br />

früh – sie rechnen nicht mit <strong>der</strong> Kraft <strong>der</strong> Begeisterung.<br />

Nicht nur Wut o<strong>der</strong> menschlicher Überlebenswille<br />

treiben Simson an, es ist die göttliche<br />

Kraft, die in ihm <strong>den</strong> Blutrausch wirkt. Tausend<br />

Mann <strong>der</strong> Philister bekommen es zu spüren wie<br />

das ist, wenn die Kraft des Herrn in einem Menschen<br />

brennt und <strong>der</strong> Unterkiefer eines Eselsskeletts<br />

in greifbarer Nähe ist.<br />

In <strong>der</strong> theologischen Reflexion wird Gewalt nicht<br />

grundsätzlich problematisiert. Sie steht in <strong>der</strong><br />

rückblicken<strong>den</strong> Geschichtsbetrachtung <strong>der</strong> Deuteronomisten<br />

(5.Mose bis 2.Könige) in einem<br />

engen Zusammenhang mit dem Eingreifen Gottes<br />

in die Geschichte seines Volkes. Dieses Eingreifen<br />

geht nach einem recht einfachen Schema vor sich:<br />

wenn Israel sich an die Satzungen und Gebote<br />

Gottes hält und ihn allein verehrt, dann führt sein<br />

Geist zu Kampf und Sieg. Ist Israel dagegen <strong>den</strong><br />

Geboten und Gott untreu, dann zieht Gott seinen<br />

Geist zurück und die Philister dürfen wie<strong>der</strong> über<br />

das Volk herfallen und es knechten. So lange, bis<br />

es sich bessert.<br />

Die jugendliche Geheimwaffe: David<br />

Kriegsglück ist Gnade und Segen Gottes, ist Teil<br />

des Schutzes, <strong>den</strong> Gott seinem Volk gewährt.


Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />

Bisweilen sind es recht merkwürdige Umstände<br />

unter <strong>den</strong>en Israel diesen Schutz erfährt. Seine<br />

Feinde einfach nur besiegen kann je<strong>der</strong> mit entsprechen<strong>der</strong><br />

Rüstung und Ausbildung und Taktik.<br />

Aber das Schlachtfeld ist immer auch Ort <strong>der</strong><br />

Gotteserfahrung. Und die wird um so stärker, je<br />

aussichtsloser die Situation ist. Sich auf diesen<br />

Gott zu verlassen und auf seine Hilfe zu vertrauen<br />

ist wichtiger als die zahlen- o<strong>der</strong> kräftemäßige<br />

Überlegenheit. In <strong>der</strong> rückschauen<strong>den</strong> Erzählung<br />

über die großen Taten <strong>der</strong> Vorfahren wird Gott als<br />

Helfer auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Kleinen und Schwachen<br />

gesehen.<br />

1.Sam.17,39-51: Und David gürtete Sauls Schwert<br />

über seine Rüstung und mühte sich vergeblich,<br />

damit zu gehen; <strong>den</strong>n er hatte es noch nie versucht.<br />

Da sprach David zu Saul: Ich kann so nicht<br />

gehen, <strong>den</strong>n ich bin’s nicht gewohnt; und er legte<br />

es ab und nahm seinen Stab in die Hand und<br />

wählte fünf glatte Steine aus dem Bach und tat sie<br />

in die Hirtentasche, die ihm als Köcher diente, und<br />

nahm die Schleu<strong>der</strong> in die Hand und ging dem<br />

Philister entgegen. Der Philister aber kam immer<br />

näher an David heran, und sein Schildträger ging<br />

vor ihm her. Als nun <strong>der</strong> Philister aufsah und David<br />

anschaute, verachtete er ihn; <strong>den</strong>n er war noch<br />

jung, und er war bräunlich und schön. Und <strong>der</strong><br />

Philister sprach zu David: Bin ich <strong>den</strong>n ein Hund,<br />

dass du mit Stecken zu mir kommst? Und <strong>der</strong><br />

Philister fluchte dem David bei seinem Gott und<br />

sprach zu David: Komm her zu mir, ich will dein<br />

Fleisch <strong>den</strong> Vögeln unter dem Himmel geben und<br />

<strong>den</strong> Tieren auf dem Felde. David aber sprach zu<br />

dem Philister: Du kommst zu mir mit Schwert,<br />

Lanze und Spieß, ich aber komme zu dir im Namen<br />

des HERRN Zebaoth, des Gottes des Heeres Israels,<br />

<strong>den</strong> du verhöhnt hast. Heute wird dich <strong>der</strong><br />

HERR in meine Hand geben, dass ich dich erschlage<br />

und dir <strong>den</strong> Kopf abhaue und gebe deinen<br />

Leichnam und die Leichname des Heeres <strong>der</strong><br />

Philister heute <strong>den</strong> Vögeln unter dem Himmel und<br />

dem Wild auf <strong>der</strong> Erde, damit alle Welt innewerde,<br />

dass Israel einen Gott hat, und damit diese ganze<br />

Gemeinde innewerde, dass <strong>der</strong> HERR nicht durch<br />

Schwert o<strong>der</strong> Spieß hilft; <strong>den</strong>n <strong>der</strong> Krieg ist des<br />

HERRN, und er wird euch in unsere Hände geben.<br />

Als sich nun <strong>der</strong> Philister aufmachte und daherging<br />

und sich David nahte, lief David eilends von<br />

<strong>der</strong> Schlachtreihe dem Philister entgegen. Und<br />

David tat seine Hand in die Hirtentasche und nahm<br />

einen Stein daraus und schleu<strong>der</strong>te ihn und traf<br />

<strong>den</strong> Philister an die Stirn, dass <strong>der</strong> Stein in seine<br />

Stirn fuhr und er zur Erde fiel auf sein Angesicht.<br />

So überwand David <strong>den</strong> Philister mit Schleu<strong>der</strong><br />

und Stein und traf und tötete ihn. David aber hatte<br />

kein Schwert in seiner Hand. Da lief er hin und trat<br />

zu dem Philister und nahm dessen Schwert und<br />

zog es aus <strong>der</strong> Scheide und tötete ihn vollends<br />

und hieb ihm <strong>den</strong> Kopf damit ab. Als aber die<br />

Philister sahen, dass ihr Stärkster tot war, flohen<br />

sie.<br />

Auch nicht gerade eine Geschichte für das Lesebuch<br />

zur Überwindung von Gewalt. Man darf aber<br />

nicht vergessen, dass sie aus einer Zeit stammte,<br />

in <strong>der</strong> Spiele ohne Sieger noch kein Thema waren.<br />

Sieg o<strong>der</strong> Untergang war die Alternative für die<br />

Sippen und Clans, die in Palästina um Wasser und<br />

Weideland stritten. Eine Kampfmaschine wie<br />

Goliath brachte im Kampf ums Überleben natürlich<br />

entschei<strong>den</strong>de Vorteile für <strong>den</strong> eigenen Stamm.<br />

Aber Rüstung und Waffen helfen nicht gegen einen<br />

Gott, <strong>der</strong> „Jahwe Zebaoth“ heißt – <strong>der</strong> Gott <strong>der</strong><br />

Heerscharen, <strong>der</strong> Schlachtreihen Israels. Gott<br />

steht auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Schwachen und wendet<br />

sogar aussichtslose Situationen wie diesen ungleichen<br />

Zweikampf.<br />

Größe und Größenwahn<br />

Mit David beginnt aber auch ein neuer Abschnitt<br />

in <strong>der</strong> Geschichte Israels. Aus dem lockeren Verband<br />

mehrerer Sippen und Stämme entwickelt<br />

sich ein Zentralstaat mit dem König an <strong>der</strong> Spitze.<br />

Eine straffere militärische Organisation wird zur<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_91<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />

Grundlage für Eroberungen und Unterdrückung<br />

<strong>der</strong> Nachbarvölker. Die Vielzahl <strong>der</strong> kleinen Konflikte<br />

um Äcker und Beute wird abgelöst durch<br />

stabilere Verhältnisse – gegen die militärische<br />

Überlegenheit Israels kommen die kleineren<br />

Nachbarvölker nicht gegen an. In Palästina ist<br />

Israel zur einflussreichen Großmacht aufgestiegen.<br />

Das gibt einerseits Ruhe in <strong>der</strong> Region, an<strong>der</strong>erseits<br />

aber ruft es auch an<strong>der</strong>e Großmächte<br />

als neue Konfliktpartner auf <strong>den</strong> Plan. Ägypten,<br />

Assyrien und Babylonien wechselten sich in <strong>den</strong><br />

Jahrhun<strong>der</strong>ten als Gegner ab. Mit <strong>den</strong>en kann man<br />

aber besser ins Geschäft kommen als mit irgendwelchen<br />

marodieren<strong>den</strong> Räuberban<strong>den</strong>. Das heißt,<br />

dass Politik zunehmend an Bedeutung gewinnt. Es<br />

wird möglich, Machtgefüge durch geschickte<br />

Diplomatie auszubalancieren. Wer regelmäßig<br />

Tribut zahlt, <strong>der</strong> kann auch einigermaßen in Frie<strong>den</strong><br />

leben. Wer dagegen auf militärische Stärke<br />

setzt, geht das Risiko ein, dass das Imperium<br />

zurückschlägt. Das Nordreich Israels hatte das 722<br />

v.Chr. schmerzhaft erfahren müssen, als es gegen<br />

die Oberherrschaft <strong>der</strong> Assyrer rebellierte. Nach<br />

<strong>der</strong> militärischen Nie<strong>der</strong>lage gingen die Menschen<br />

in die Deportation und das Reich hörte auf zu<br />

existieren. Statt auf Waffen, Wagen und Wehrhaftigkeit<br />

zu setzen, wer<strong>den</strong> in <strong>der</strong> theologischen<br />

Reflexion verstärkt intelligente Wege zur Frie<strong>den</strong>sbewahrung<br />

und Deeskalation bedacht. Vor allem<br />

in <strong>der</strong> Verkündigung <strong>der</strong> Propheten tauchen immer<br />

wie<strong>der</strong> kritische Stimmen auf, die davor warnen,<br />

sich auf militärische Abenteuer einzulassen.<br />

Jesaja 31,1-3: Weh <strong>den</strong>en, die hinabziehen nach<br />

Ägypten um Hilfe und, sich verlassen auf Rosse<br />

und hoffen auf Wagen, weil ihrer viele sind, und<br />

auf Gespanne, weil sie sehr stark sind! Aber sie<br />

halten sich nicht zum Heiligen Israels und fragen<br />

nichts nach dem HERRN. Aber auch er ist weise<br />

und bringt Unheil herbei und nimmt seine Worte<br />

nicht zurück, son<strong>der</strong>n wird sich aufmachen wi<strong>der</strong><br />

das Haus <strong>der</strong> Bösen und wi<strong>der</strong> die Hilfe <strong>der</strong> Übeltäter.<br />

Denn Ägypten ist Mensch und nicht Gott,<br />

92_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

und seine Rosse sind Fleisch und nicht Geist. Und<br />

<strong>der</strong> HERR wird seine Hand ausstrecken, so dass<br />

<strong>der</strong> Helfer strauchelt und <strong>der</strong>, dem geholfen wird,<br />

fällt und alle miteinan<strong>der</strong> umkommen.<br />

Plötzlich geht es nicht mehr einfach nur darum,<br />

dass Gott seinen Segen zu einer militärischen<br />

Unternehmung gibt und die Schlachtreihen Israels<br />

siegreich bleiben. Jetzt gibt es so etwas wie einen<br />

übergeordneten Gedanken, bei dem die Sinnhaftigkeit<br />

des Tuns über <strong>den</strong> göttlichen Beistand<br />

entscheidet. Mit <strong>den</strong> Ägyptern ein Bündnis einzugehen,<br />

um eventuell <strong>den</strong> Assyrern die Stirn zu<br />

bieten, ist ein riskantes militärisches und politisches<br />

Abenteuer. Jesaja warnt seinen König Hiskia<br />

davor, sich in dieses Abenteuer zu begeben. Der<br />

Gott Israels steht darin nicht automatisch auf<br />

seiner Seite. Es kann sogar sein, dass Gott sich<br />

des Assyrerkönigs Sanherib (705-681 v.Chr.) bedient,<br />

um sein Volk für die Gottvergessenheit<br />

seines Königs zu strafen.<br />

Rohrstockpädagogik im Kleinen ...<br />

Aber Gewalt ist nicht nur ein Phänomen des Überlebenskampfes<br />

<strong>der</strong> Sippen und Staaten gewesen.<br />

Sie ereignet sich nicht nur in Einzelkämpfen und auf<br />

Schlachtfel<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n ist alltäglicher Bestandteil<br />

in Erziehung und Rechtssprechung. Wo es an<br />

Gehorsam mangelt, kann selbstverständlich Gewalt<br />

eingesetzt wer<strong>den</strong>, um ihn zu erzwingen. Wo<br />

eine Schuld begangen wird, muss selbstverständlich<br />

eine entsprechende Strafe verhängt wer<strong>den</strong> –<br />

das ist ein wichtiges Prinzip nach dem das Alte<br />

Testament das Zusammenleben <strong>der</strong> Menschen regelt.<br />

Eine Fülle von Geboten und Vorschriften beschreiben,<br />

wie im Einzelnen verfahren wer<strong>den</strong> soll,<br />

wenn jemand sich außerhalb des zulässigen Verhaltens<br />

bewegt. Die Anweisungen darüber, wie dann<br />

zu verfahren sei, waren nicht gerade zimperlich.<br />

5.Mose 21,18 Wenn jemand einen wi<strong>der</strong>spenstigen<br />

und ungehorsamen Sohn hat, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Stimme


Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />

seines Vaters und seiner Mutter nicht gehorcht<br />

und auch, wenn sie ihn züchtigen, ihnen nicht<br />

gehorchen will, so sollen ihn Vater und Mutter<br />

ergreifen und zu <strong>den</strong> Ältesten <strong>der</strong> Stadt führen und<br />

zu dem Tor des Ortes und zu <strong>den</strong> Ältesten <strong>der</strong><br />

Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist wi<strong>der</strong>spenstig<br />

und ungehorsam und gehorcht unserer Stimme<br />

nicht und ist ein Prasser und Trunkenbold. So<br />

sollen ihn steinigen alle Leute seiner Stadt, dass<br />

er sterbe, und du sollst so das Böse aus deiner<br />

Mitte wegtun, dass ganz Israel aufhorche und sich<br />

fürchte.<br />

Gewalt war legitim als pädagogisches Mittel bis<br />

hin zur Todesstrafe selbst gegen die eigene Nachkommenschaft.<br />

Für das, was jemand verbrochen<br />

hat, muss ihm auch Vergeltung wi<strong>der</strong>fahren, sonst<br />

gerät die Gesellschaft aus <strong>der</strong> Ordnung. „Auge um<br />

Auge, Zahn um Zahn“ ist das bekannte Schlagwort<br />

des ius talionis, des Vergeltungsrechtes. Zu be<strong>den</strong>ken<br />

ist, dass diese gesetzlichen Regelungen<br />

immerhin schon eine kulturelle Errungenschaft<br />

sind, indem sie einer ungezügelten Rache ein<br />

geregeltes Verfahren <strong>der</strong> Vergeltung gegenüberstellten.<br />

Gewalt soll begrenzt wer<strong>den</strong> und nicht<br />

unkontrolliert hervorbrechen.<br />

...und im Großen<br />

Wessen alltägliches Leben so von Gewalt geprägt<br />

ist, wer durch die Drohung von Strafe auf geordneten<br />

Lebensbahnen gehalten wird, für <strong>den</strong> wird<br />

auch Gott in Gleicherweise sein Handeln in <strong>der</strong><br />

Welt gestalten. Die geschichtlichen Ereignisse und<br />

Katastrophen sind dann durch Gottes Handeln<br />

heraufgeführt. Das Schema ist einfach: Gnade<br />

zeigt sich in siegreichen Unternehmungen, wenn<br />

sich das Volk an die Gebote hält. Wenn das Volk<br />

die Gebote verachtet, schickt Gott militärische<br />

Nie<strong>der</strong>lagen, Eroberungen und Plün<strong>der</strong>ungen. Gott<br />

hält Gericht und straft sein Volk – so deuten die<br />

Geschichtstheologen das Auf und Ab von Sieg und<br />

Nie<strong>der</strong>lage vom Anfang <strong>der</strong> Eroberung des gelob-<br />

ten Landes bis hin zu <strong>der</strong> großen Katastrophe von<br />

586 v.Chr. als die Neubabylonier unter Nebukadnezar<br />

Jerusalem erobern und <strong>den</strong> Tempel zerstören.<br />

2.Kön.24,18-20: Einundzwanzig Jahre alt war<br />

Zedekia, als er König wurde; und er regierte elf<br />

Jahre zu Jerusalem. Seine Mutter hieß Hamutal,<br />

eine Tochter Jirmejas aus Libna. Und er tat, was<br />

dem HERRN missfiel, wie Jojakim getan hatte.<br />

Denn so geschah es mit Jerusalem und Juda um<br />

des Zornes des HERRN willen, bis er sie von seinem<br />

Angesicht wegstieß.<br />

Es hatte nur wenige Zeiten gegeben, in <strong>den</strong>en „von<br />

Dan bis Beersheba“ ein je<strong>der</strong> unter seinem Feigenbaum<br />

und Weinstock in Frie<strong>den</strong> sitzen konnte.<br />

Gewalt ist immer eine Bedrohung gewesen und<br />

oftmals hatte das Volk darunter zu lei<strong>den</strong>. Wenn<br />

<strong>der</strong> „Hüter Israels“ wirklich nicht schläft und<br />

schlummert (Psalm 121,4), dann musste man<br />

irgendwie erklären, weshalb immer wie<strong>der</strong> fremde<br />

Mächte sich nicht davon abbringen ließen, mit<br />

ihren Kriegsheeren durchs Land zu ziehen. Die<br />

Deutung <strong>der</strong> kleinen und großen Katastrophen als<br />

Strafe für unbotmäßiges Verhalten von Volk und<br />

König ist schnell bei <strong>der</strong> Hand. Zudem korrespondiert<br />

sie mit <strong>den</strong> Alltagserfahrungen von Gewalt<br />

als Strafe für Verfehlungen und Übertretungen <strong>der</strong><br />

Gebote.<br />

Der an<strong>der</strong>e Gott<br />

Trotzdem: neben <strong>den</strong> Erzählungen von dem gewaltigen<br />

und gewalttätigen Gott fin<strong>den</strong> sich auch<br />

noch ganz an<strong>der</strong>e Seiten seines Wesens beschrieben.<br />

Da ist <strong>der</strong> Gott, <strong>der</strong> <strong>den</strong> Kain wegen seines<br />

Mordes an seinem Bru<strong>der</strong> Abel nicht tötet, son<strong>der</strong>n<br />

ihm sein Leben lässt. Statt Todesstrafe nur<br />

lebenslänglich eine unstete und flüchtige Existenz.<br />

Da ist <strong>der</strong> Gott, <strong>der</strong>, nach dem fast hun<strong>der</strong>tprozentigen<br />

Auslöschen <strong>der</strong> Menschheit durch die Sintflut,<br />

plötzlich Gewissenbisse bekommt und sich<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_93<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />

ernsthaft vornimmt, nie wie<strong>der</strong> so zu strafen. Es<br />

scheint neben <strong>der</strong> Rede von dem eifern<strong>den</strong> Gott<br />

auch noch <strong>den</strong> Gedanken an einen Gott zu geben,<br />

<strong>der</strong> in unmenschlicher o<strong>der</strong> besser übermenschlicher<br />

Weise seinen Geschöpfen Nachsichtigkeit<br />

gewährt.<br />

Spuren dieser an<strong>der</strong>en Seite Gottes fin<strong>den</strong> sich an<br />

vielen Stellen. So gibt es z.B. in <strong>den</strong> Kriegsgesetzen<br />

neben <strong>den</strong> Anweisungen darüber, wie die<br />

Städte <strong>der</strong> An<strong>der</strong>sgläubigen zu vernichten seien<br />

(5. Mose 20,10-18), auch ungewohnt nachsichtige<br />

Regelungen:<br />

5. Mose 20,5-7: Und die Amtleute sollen mit dem<br />

Volk re<strong>den</strong> und sagen: Wer ein neues Haus gebaut<br />

hat und hat’s noch nicht eingeweiht, <strong>der</strong> mache<br />

sich auf und kehre heim, auf dass er nicht sterbe<br />

im Krieg und ein an<strong>der</strong>er es einweihe. Wer einen<br />

Weinberg gepflanzt hat und hat seine Früchte<br />

noch nicht genossen, <strong>der</strong> mache sich auf und<br />

kehre heim, dass er nicht im Kriege sterbe und ein<br />

an<strong>der</strong>er seine Früchte genieße. Wer mit einem<br />

Mädchen verlobt ist und hat es noch nicht heimgeholt,<br />

<strong>der</strong> mache sich auf und kehre heim, dass er<br />

nicht im Krieg sterbe und ein an<strong>der</strong>er hole es<br />

heim.<br />

Ja, sogar <strong>den</strong> Furchtsamen wird die Kriegslast<br />

abgenommen und sie wer<strong>den</strong> nach Hause entlassen:<br />

5. Mose 20,8: Und die Amtleute sollen weiter mit<br />

dem Volk re<strong>den</strong> und sprechen: Wer sich fürchtet<br />

und ein verzagtes Herz hat, <strong>der</strong> mache sich auf<br />

und kehre heim, auf dass er nicht auch das Herz<br />

seiner Brü<strong>der</strong> feige mache, wie sein Herz ist.<br />

Merkwürdige Töne in einer rauen Zeit, in <strong>der</strong> das<br />

eigene Überleben immer wie<strong>der</strong> auf dem Spiel<br />

stand. Aber vielleicht ein Fingerzeig dafür, dass<br />

hinter dem Gewaltsamen, von dem auch das<br />

Gottesbild nicht ausgenommen war, schon etwas<br />

aufleuchtet, das hinweist auf eine neue Sicht-<br />

94_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

weise. Hoffnung auf einen Frie<strong>den</strong>, <strong>der</strong> nicht mehr<br />

durch das Auslöschen <strong>der</strong> Feinde mit Hilfe göttlicher<br />

Gewalt geschieht. Es wächst die Sehnsucht<br />

nach einem Gott, <strong>der</strong> nicht mehr die Schlachtreihen<br />

Israels anführt, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> dafür sorgt,<br />

dass <strong>der</strong> Teufelskreis <strong>der</strong> Gewalt unterbrochen<br />

wird und die Völker nicht mehr übereinan<strong>der</strong><br />

herfallen.<br />

Jesaja 2,1-5: Dies ist’s, was Jesaja, <strong>der</strong> Sohn des<br />

Amoz, geschaut hat über Juda und Jerusalem: Es<br />

wird zur letzten Zeit <strong>der</strong> Berg, da des HERRN Haus<br />

ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle<br />

Hügel erhaben, und alle Hei<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> herzulaufen,<br />

und viele Völker wer<strong>den</strong> hingehen und sagen:<br />

Kommt, laßt uns auf <strong>den</strong> Berg des HERRN gehen,<br />

zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre<br />

seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen!<br />

Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des<br />

HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten<br />

unter <strong>den</strong> Hei<strong>den</strong> und zurechtweisen viele Völker.<br />

Da wer<strong>den</strong> sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und<br />

ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein<br />

Volk wi<strong>der</strong> das an<strong>der</strong>e das Schwert erheben, und<br />

sie wer<strong>den</strong> hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu<br />

führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, laßt uns<br />

wandeln im Licht des HERRN!<br />

Die Vision einer neuen Form <strong>der</strong> Begeisterung:<br />

Menschen verfallen nicht mehr dem Blutrausch,<br />

son<strong>der</strong>n wer<strong>den</strong> vom Wissensdurst getrieben. Ihr<br />

Fernweh wird durch Bildungsreisen kuriert und<br />

muss nicht mehr durch Eroberungszüge gestillt<br />

wer<strong>den</strong>. Ihre Erfindungskraft konzentriert sich auf<br />

die Verbesserung <strong>der</strong> landwirtschaftlichen Anbauund<br />

Erntemetho<strong>den</strong> im Rückgriff auf die ehemaligen<br />

Raub- und Plün<strong>der</strong>werkzeuge.<br />

Frie<strong>den</strong> ist möglich in einer Welt, die von Vergebung<br />

geprägt ist. Vergebung, die von Gott<br />

ausgeht, sich in <strong>den</strong> Menschen entfaltet und ihr<br />

Miteinan<strong>der</strong>leben prägt. Nach dem Untergang<br />

Jerusalems hofft <strong>der</strong> Prophet Jeremia auf diese


Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />

neue Zeit, in <strong>der</strong> es einen neuen Bund geben wird<br />

zwischen Gott und <strong>den</strong> Menschen.<br />

Jeremia 31,33-34 son<strong>der</strong>n das soll <strong>der</strong> Bund sein,<br />

<strong>den</strong> ich mit dem Hause Israel schließen will nach<br />

dieser Zeit, spricht <strong>der</strong> HERR: Ich will mein Gesetz<br />

in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und<br />

sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.<br />

Und es wird keiner <strong>den</strong> an<strong>der</strong>n noch ein Bru<strong>der</strong><br />

<strong>den</strong> an<strong>der</strong>n lehren und sagen: »Erkenne <strong>den</strong><br />

HERRN«, son<strong>der</strong>n sie sollen mich alle erkennen,<br />

beide, klein und groß, spricht <strong>der</strong> HERR; <strong>den</strong>n ich<br />

will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde<br />

nimmermehr ge<strong>den</strong>ken.<br />

Ein vergeben<strong>der</strong> Gott, <strong>der</strong> seinen Geist schickt,<br />

damit Menschen auf seinen Wegen zum Leben<br />

wandeln. Und wenn sie Um- und Irrwege gehen,<br />

wer<strong>den</strong> sie nicht zurückgeprügelt, son<strong>der</strong>n sie<br />

dürfen freiwillig umkehren, weil Vergebung und<br />

neue Liebe auf sie warten. Diese Vision Jeremias<br />

zeigt, wie sich das Bild Gottes im Laufe <strong>der</strong> Zeit<br />

und <strong>der</strong> geschichtlichen Erfahrungen verwandelt<br />

hat. Aus dem Kriegsgott kleiner, um ihr Leben<br />

kämpfen<strong>der</strong> Stämme wird ein Weltgott, <strong>der</strong> die<br />

Menschen zu mehr befähigen kann als nur sich<br />

möglichst effektiv und ausdauernd die Schädel<br />

einzuschlagen.<br />

Runter mit <strong>der</strong> Hasskappe – rauf<br />

mit dem Helm des Heils!<br />

Diese Spur des Gottes, <strong>der</strong> <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> will und<br />

alles Er<strong>den</strong>kliche dafür tut, wird im neuen Testament<br />

vollends deutlich.<br />

Epheser 6,13-17: Deshalb ergreift die Waffenrüstung<br />

Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Wi<strong>der</strong>stand<br />

leisten und alles überwin<strong>den</strong> und das Feld<br />

behalten könnt. So steht nun fest, umgürtet an<br />

euren Len<strong>den</strong> mit Wahrheit und angetan mit dem<br />

Panzer <strong>der</strong> Gerechtigkeit, und an <strong>den</strong> Beinen<br />

gestiefelt, bereit, einzutreten für das Evangelium<br />

des Frie<strong>den</strong>s. Vor allen Dingen aber ergreift <strong>den</strong><br />

Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen<br />

könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und nehmt<br />

<strong>den</strong> Helm des Heils und das Schwert des Geistes,<br />

welches ist das Wort Gottes.<br />

Was sich martialisch anhört, ist bei näherer Betrachtung<br />

eher als defensive Bewaffnung zu verstehen.<br />

Es fehlen Speer und Bogen – typische<br />

Distanzwaffen für Angreifer. Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Schild<br />

des Glaubens ist ein schönes Bild – er dient zum<br />

Auslöschen <strong>der</strong> Aggression des Bösen. Aber Auslöschen<br />

reicht – es ist nicht die Rede vom Zurückschießen!<br />

Aggressionen ins Leere laufen lassen<br />

mit Hilfe des Glaubens – wie kann das geschehen?<br />

Ist es überhaupt möglich? Was muss dieser Glaube<br />

beinhalten, damit es möglich wer<strong>den</strong> kann? Es<br />

fängt wohl damit an, dass Jesus in Gott nicht mehr<br />

<strong>den</strong> Rohrstockpädagogen <strong>der</strong> alten Zeit gesehen<br />

hat. Er hat sich selbst von einem neuen Bild von<br />

Gott leiten lassen und gleichzeitig ist in ihm dieses<br />

neue Bild Gottes geoffenbart wor<strong>den</strong>..<br />

Lukas 13,1-4: Es kamen aber zu <strong>der</strong> Zeit einige, die<br />

berichteten ihm von <strong>den</strong> Galiläern, <strong>der</strong>en Blut<br />

Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. Und<br />

Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr,<br />

dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle<br />

an<strong>der</strong>n Galiläer, weil sie das erlitten haben? Ich<br />

sage euch: Nein; son<strong>der</strong>n wenn ihr nicht Buße tut,<br />

werdet ihr alle auch so umkommen. O<strong>der</strong> meint<br />

ihr, dass die achtzehn, auf die <strong>der</strong> Turm in Siloah<br />

fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als<br />

alle an<strong>der</strong>n Menschen, die in Jerusalem wohnen?<br />

Unheil, Unglück, Katastrophen sind nicht Strafen<br />

eines zornigen Gottes für die Übertretung seiner<br />

Gebote. Gott übt damit nicht Rache für unbotmäßiges<br />

Verhalten. Das „Warum“ wird nicht geklärt,<br />

aber abgewiesen wird diese allzu einfache Erklärung<br />

<strong>der</strong> negativen Welterfahrungen. Gott verübt<br />

keine Gewalttaten, er schubst keinen Turm um, um<br />

Menschen in ihre Schranken zu weisen. Sie sind<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_95<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />

für ihn zu wertvoll, als dass er so grob mit ihnen<br />

umginge. Aus dieser Überzeugung entwickelt<br />

Jesus Christus seinen Umgang mit <strong>den</strong> Menschen.<br />

Sie sind für ihn alle – die Guten wie die Bösen –<br />

Kin<strong>der</strong> des himmlischen Vaters, <strong>der</strong> die Sonne<br />

aufgehen lässt über Gerechte wie Ungerechte. So<br />

sind selbst die Menschen unter <strong>der</strong>en Feindseligkeit<br />

man zu lei<strong>den</strong> hat, nicht Feinde im endgültigen<br />

Sinn. Auch für sie lohnt sich das Gebet:<br />

Matthäus 5,43-45: Ihr habt gehört, dass gesagt ist<br />

(3. Mose 19,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben«<br />

und deinen Feind hassen. Ich aber sage<br />

euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch<br />

verfolgen, damit ihr Kin<strong>der</strong> seid eures Vaters im<br />

Himmel. Denn er läßt seine Sonne aufgehen über<br />

Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte und<br />

Ungerechte.<br />

„Liebet eure Feinde!“ – das ist <strong>der</strong> vielleicht steilste<br />

Satz <strong>der</strong> Welt- und Geistesgeschichte. Um ihn<br />

<strong>den</strong>ken und erst recht leben zu können, muss man<br />

schon so etwas wie einen „Helm des Heils“, eine<br />

„Glaubenskappe“ auf dem Kopf haben – eine<br />

Gründung <strong>der</strong> eigenen Existenz in <strong>der</strong> Zusage<br />

Gottes, in seinem Erbarmen. Ein festes Vertrauen<br />

auf sein Wohlwollen trotz aller üblen Welterfahrung,<br />

die so oft dagegen zu sprechen scheint. Und<br />

dann muss auch noch eine Übertragung stattfin<strong>den</strong>:<br />

dass dieses Wohlwollen Gottes nicht exklusiv<br />

nur für einen selber und die paar Gutmenschen um<br />

einen herum gilt, son<strong>der</strong>n dieses Wohlwollen<br />

erstreckt sich auf alle Menschen und keiner kann<br />

jemals davon ausgeschlossen wer<strong>den</strong>. Es ist die<br />

pure Zumutung und wer ihr folgen kann, muss<br />

begeistert sein, muss von Gottes Geist mit diesem<br />

Glauben erfüllt wor<strong>den</strong> sein. Es geht um eine<br />

Begeisterung <strong>der</strong> neuen Art als Kreativität für <strong>den</strong><br />

Frie<strong>den</strong>.<br />

Matthäus 5,38-41: Ihr habt gehört, dass gesagt ist<br />

(2. Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.«<br />

Ich aber sage euch, dass ihr nicht wi<strong>der</strong>streben<br />

96_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

sollt dem Übel, son<strong>der</strong>n: wenn dich jemand auf<br />

deine rechte Backe schlägt, dem biete die an<strong>der</strong>e<br />

auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will<br />

und dir deinen Rock nehmen, dem laß auch <strong>den</strong><br />

Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile<br />

mitzugehen, so geh mit ihm zwei.<br />

Wie kann ich dem Feind <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong> für seine<br />

Feindschaft entziehen – das ist die Leitfrage unter<br />

<strong>der</strong> Jesus auf dieses Problem <strong>der</strong> kleinen und<br />

großen menschlichen Beziehungsstörungen blickt.<br />

Das alte Schema <strong>der</strong> „geregelten Rache“ – also<br />

nur das dem an<strong>der</strong>en zerstören, was er bei mir<br />

o<strong>der</strong> <strong>den</strong> Meinen zerstört hat und ihm nicht darüber<br />

hinaus heimzahlen – greift nicht mehr. Es ist<br />

die alte Form <strong>der</strong> „Rohrstockpädagogik“: <strong>der</strong><br />

An<strong>der</strong>e muss spüren, was er falsch gemacht hat,<br />

soll am eigenen Leibe erfahren, was er An<strong>der</strong>en<br />

angetan hat. In <strong>der</strong> Rache entlädt sich die Spannung,<br />

die durch die Untat im Opfer aufgebaut<br />

wurde. Aber in <strong>den</strong> seltensten Fällen ist damit die<br />

Sache erledigt und aus <strong>der</strong> Welt geschafft. Meistens<br />

wird neue Spannung aufgebaut, die sich im<br />

Täter entwickelt und ihn nun seinerseits auf Rache<br />

sinnen lässt. Ein Kreislauf ohne Ende mit <strong>der</strong><br />

Aussicht auf Steigerung <strong>der</strong> Gewalt. Eine Rache,<br />

die keine Einsicht beim Täter hervorruft, bleibt<br />

ohne Erfolg und beendet die Feindschaft nicht.<br />

Kreativität für das Evangelium<br />

des Frie<strong>den</strong>s<br />

Was kann man <strong>der</strong> Feindschaft entgegenstellen<br />

ohne selber feindselig zu sein. Jesus nennt mehrere<br />

Beispiele, wie er mit Feindschaft umgehen<br />

würde. Es sind Formen des aktiven aber gewaltfreien<br />

Wi<strong>der</strong>standes:<br />

Die an<strong>der</strong>e Backe hinhalten, wenn man auf die<br />

rechte Backe geschlagen wird: auf die rechte<br />

Backe kann jemand normalerweise nur mit dem<br />

Handrücken <strong>der</strong> linken Hand schlagen. Das war im<br />

alten Orient eine außeror<strong>den</strong>tlich beleidigende


Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />

Geste gewesen. Es geht also um Beleidigung und<br />

nicht um Prügelei. Die an<strong>der</strong>e Backe hinhalten<br />

meint: steige auf die Beleidigung nicht mit einer<br />

<strong>Gegen</strong>beleidigung ein, lass dich nicht in Feindschaft<br />

hineinziehen, son<strong>der</strong>n mache dem an<strong>der</strong>en<br />

bewusst, was er getan hat. Sei dabei aktiv und<br />

lass dich nicht in die Opferrolle hineindrängen.<br />

Zu dem Rock auch noch <strong>den</strong> Mantel geben – das<br />

spielt an auf eine Situation vor Gericht, in <strong>der</strong> es<br />

um Pfändung geht. Der Mantel war oftmals <strong>der</strong><br />

letzte Besitz und Schutz vor <strong>der</strong> Kälte <strong>der</strong> Nacht.<br />

Zu dem Mantel auch noch das Untergewand herzugeben<br />

bedeutete, nackt vor Gericht zu stehen –<br />

eine Peinlichkeit und Schande, die aber zu Lasten<br />

des For<strong>der</strong>n<strong>den</strong> ging.<br />

Zu <strong>der</strong> ersten Meile auch noch die zweite mitzugehen<br />

– das greift ein Gesetz <strong>der</strong> römischen Besatzungsmacht<br />

auf, nach dem je<strong>der</strong> Legionär einen<br />

Ju<strong>den</strong> dazu zwingen konnte, ihm sein Gepäck eine<br />

Meile weit zu tragen. Eine schwere Demütigung<br />

ganz gewiss. Aber nach <strong>der</strong> einen Meile nicht<br />

einfach stehen zu bleiben, son<strong>der</strong>n fröhlich pfeifend<br />

<strong>den</strong> Rucksack auch noch weiter zu tragen –<br />

das ist eine äußerst souveräne Art von Protest, die<br />

<strong>der</strong> Besatzer machtlos hinnehmen muss. (Vergleiche<br />

dazu auch die ausführliche Interpretation<br />

dieser Stelle bei: Walter Wink, Der dritte Weg Jesu,<br />

in: Schritte gegen Tritte, S. 40-44; o<strong>der</strong> auch im<br />

Internet: http://bs.cyty.com/elmbs/wink.htm)<br />

Überbiete das, was <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e von dir for<strong>der</strong>t, er<br />

kann dann nicht auf deine Aggression reagieren.<br />

Es geht also nicht darum, kleinbeizugeben, son<strong>der</strong>n<br />

darum, dem Täter seine eigene Feindseligkeit<br />

bewusst zu machen. Den Teufelskreis von Erniedrigung<br />

und Rache, von Gewalt und <strong>Gegen</strong>gewalt zu<br />

durchbrechen, dazu braucht es diese Kreativität<br />

für <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong>. Sie wächst aus <strong>der</strong> Begeisterung<br />

für <strong>den</strong> Weg, <strong>den</strong> Jesus selbst gegangen ist – bis<br />

hin zum Kreuz. Die Abkehr von dem alten Schema<br />

von Schuld und Strafe und die Entdeckung <strong>der</strong><br />

Vergebung und <strong>der</strong> grundsätzlichen und unwi<strong>der</strong>ruflichen<br />

Menschenfreundlichkeit Gottes sind<br />

wichtige Meilensteine auf diesem Weg.<br />

Wenn heute Gewalt in allen ihren Spielarten als<br />

problematisch empfun<strong>den</strong> wird, dann hat das<br />

seine Wurzeln auch in diesem neuen Gottesbild,<br />

das schon im Alten Testament aufgeleuchtet hat<br />

und dann in Jesus Christus sichtbar gewor<strong>den</strong> ist.<br />

Begeisterung von diesem Gott und durch diesen<br />

Gott kann die Kreativität freisetzen, die dazu hilft,<br />

Gewalt zu überwin<strong>den</strong>.<br />

Praxisbeispiel<br />

„Liebet eure Feinde!“ dieses Wort Jesu ist wohl nur<br />

auf dem Hintergrund seines Gottes- und Menschenbilds<br />

zu verstehen. Gott ist für Jesus jemand,<br />

dessen Liebe we<strong>der</strong> durch das gewonnen noch<br />

durch das zerstört wer<strong>den</strong> kann, was ein Mensch<br />

in seinem Leben an Taten vollbringt. Der Mensch<br />

ist und bleibt ein geliebtes Wesen und sei er noch<br />

so schlecht. „Liebet eure Feinde“ heißt, sich von<br />

dieser Perspektive Gottes anrühren zu lassen. Es<br />

bedeutet nicht, dass sich Gemeinheit und Gewalt<br />

einfach so nie<strong>der</strong>kuscheln lassen – so naiv war<br />

Jesus nun wirklich nicht. Aber damit überhaupt<br />

Kreativität für die Überwindung von Gewalt freigesetzt<br />

wer<strong>den</strong> kann, muss zwischen <strong>der</strong> Schuld und<br />

dem Schuldigen unterschie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Sich diese<br />

Unterscheidung bewusst zu machen, ist Ziel dieser<br />

Methode:<br />

Wir phantasieren einen<br />

Lebenslauf<br />

Auf einem großen Blatt Papier liegt eine Babypuppe<br />

o<strong>der</strong> eine Babyfoto. Wir sammeln Gedanken<br />

zu dem, was ein Neugeborenes für uns bedeutet.<br />

Etwa: schutzlos, offenes Buch, noch nicht fertig,<br />

Hardware, die noch Software braucht, etwas, das<br />

wachsen will und wachsen wird, unschuldig,<br />

angewiesen, positive Gefühle. Die Einfälle wer<strong>den</strong><br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_97<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />

auf dem Papier um die Babypuppe notiert. Dann<br />

wird ein etwas größerer Umriss als „Hülle“ um die<br />

Babypuppe herum aufgezeichnet. Wir überlegen,<br />

welche Entwicklung das Kind durchmacht. Kin<strong>der</strong>garten<br />

und Grundschule – welche Erfahrungen<br />

wer<strong>den</strong> damit verbun<strong>den</strong> sein? Kampf<br />

um Spielzeug, Freundschaften, Feindschaften,<br />

… Die Begriffe wer<strong>den</strong> um <strong>den</strong> ersten<br />

Umriss herum notiert. Dann folgt ein<br />

weiterer Umriss, <strong>der</strong> eine weitere<br />

Entwicklungsstufe markiert: Sortierung<br />

in <strong>der</strong> OS – wer kommt wohin?<br />

Ich bin, was ich in <strong>der</strong> Schule leiste;<br />

ich darf weiter von zu Hause weggehen,<br />

aber es wird auch gefährlicher;<br />

ich muss stark sein und mich behaupten.<br />

Eine dritte und vierte<br />

„Hülle“ markieren weitere Entwicklungsstufen<br />

mit eigenen Erfahrungen.<br />

Leben in <strong>der</strong> Clique, was läuft<br />

am Wochenende, sich stark fühlen in<br />

<strong>der</strong> Gruppe, vielleicht auch eigenen<br />

Taten in Richtung Gemeinheit und Gewalt.<br />

Am Ende blicken wir gemeinsam auf die<br />

Babypuppe und dem, was sich daraus<br />

entwickelt hat. Wir merken, je<strong>der</strong> Mensch<br />

fängt sein Leben an als ein schutzbedürftiges,<br />

hilfloses, unschuldiges (wir lassen<br />

jetzt mal die Erbsün<strong>den</strong>lehre beiseite), liebenswertes<br />

Wesen an. Es legen sich Erfahrungen und<br />

Handlungen um dieses Anfangswesen herum – es<br />

verliert viel von seiner ursprünglichen Liebenswürdigkeit,<br />

vielleicht gibt es sogar Grund zum Hass.<br />

Aber worauf würde sich <strong>der</strong> Hass richten? Auf das<br />

Wesen, das in <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> „Hüllen“ liegt, o<strong>der</strong><br />

auf das, was als „Hülle“, als Erfahrungen und<br />

Taten zu dem Menschen dazu gekommen ist?<br />

Kann <strong>der</strong> Blick noch zu diesem Ausgangspunkt<br />

hindurch dringen? Das wäre <strong>der</strong> Perspektivenwechsel,<br />

<strong>den</strong> Jesus von Nazareth eingeleitet hat.<br />

98_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Vor Gott kann <strong>der</strong> Mensch seine Würde und seinen<br />

Wert nicht verlieren – auch nicht durch seine Taten.<br />

Gott blickt hindurch zu dem, was <strong>der</strong> Mensch<br />

einmal war. Nicht auf <strong>den</strong> sogenannten „guten<br />

Kern“, son<strong>der</strong>n auf das, was einmal klein<br />

angefangen hat: ein schutzloses, liebenswürdiges<br />

Geschöpf, das atmet und schreit<br />

und Wärme und Zuwendung braucht. Ist es<br />

möglich, diesen gottgeliebten Kern in<br />

jedem Menschen zu entdecken – auch<br />

und gerade in <strong>den</strong>en, mit <strong>den</strong>en das<br />

Leben schwer ist?<br />

Ralph-Ruprecht Bartels


›› Dekade zur<br />

Überwindung<br />

von Gewalt<br />

<strong>2001</strong>-2010


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />

Ein Programm zur Überwindung<br />

<strong>der</strong> Gewalt<br />

Das Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong><br />

Kirchen zur Überwindung <strong>der</strong> Gewalt hat seinen<br />

kirchengeschichtlichen Vorlauf nicht nur in <strong>der</strong><br />

Programmentwicklungsgeschichte des ÖRK selber.<br />

Auf ihn soll gleich Bezug genommen wer<strong>den</strong>,<br />

damit die Dekade zur Überwindung von Gewalt<br />

historisch eingeordnet wer<strong>den</strong> kann. Und, um es<br />

vorwegzunehmen, es handelt sich hier für mein<br />

Dafürhalten um <strong>den</strong> Beginn eines kirchengeschichtlichen<br />

Durchbruches <strong>der</strong> volkskirchlichen<br />

Ernstnahme <strong>der</strong> Tradition <strong>der</strong> jesuanischen Gewaltlosigkeit<br />

in einer Breitenwirkung, die es so<br />

bisher nicht gegeben hat. Immer gab es in <strong>der</strong><br />

Kirchengeschichte diese Tradition, stellvertretend<br />

seien hier nur Franziskus von Assisi und die historischen<br />

Frie<strong>den</strong>skirchen benannt. Sie haben sich<br />

vor allem auch auf die Bergpredigt bezogen.<br />

Die Dekade des ÖRK greift auf die paulinische<br />

Weiterführung <strong>der</strong> jesuanischen Tradition zurück,<br />

was auch deshalb wichtig ist, weil damit erkennbar<br />

wird, dass Paulus in <strong>der</strong> Kontinuität <strong>der</strong> Überlieferung<br />

bleibt. Das Programm zur Überwindung<br />

von Gewalt, und <strong>der</strong> Schwerpunkt soll bei <strong>der</strong><br />

Überwindung liegen, greift zurück auf Röm 12, 21<br />

„Lass dich nicht vom Bösen überwin<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n<br />

überwinde das Böse mit Gutem“.<br />

Mit dieser Wahrheit hat in <strong>der</strong> Neuzeit vor allem<br />

ein Hinduist mit viel Sympathien für das Christentum<br />

ernst gemacht. Um <strong>der</strong> historischen Redlichkeit<br />

willen muss deshalb von ihm gesprochen<br />

wer<strong>den</strong>. Dies ist insofern auch bedeutsam, als es<br />

in Zukunft zur Überwindung von Gewalt nicht nur<br />

auf <strong>den</strong> Dialog <strong>der</strong> Konfessionen, son<strong>der</strong>n auch<br />

<strong>der</strong> Weltreligionen ankommt. Es handelt sich um<br />

Mahatma Gandhi, dessen gesamtes Leben eine<br />

praktische Auslegung und ein Umsetzen dessen<br />

war, was Jesus in <strong>der</strong> Bergpredigt (Mt. 5 - 7) lehrt.<br />

Ein an<strong>der</strong>er großer Christ unseres Jahrhun<strong>der</strong>ts,<br />

100_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

<strong>der</strong> wie kein an<strong>der</strong>er für die Lehre und Praxis<br />

gewaltfreien Handelns steht, beruft sich ausdrücklich<br />

auf ihn, so dass ich das Hauptanliegen<br />

Gandhis durch ihn, durch Martin Luther - King jr.,<br />

erkennbar wer<strong>den</strong> lassen möchte. Martin Luther -<br />

King jr. schrieb: „Dann wurde ich mit Leben und<br />

Lehre Mahatma Gandhis bekannt. Mich fesselte<br />

sein Eintreten für <strong>den</strong> gewaltlosen Wi<strong>der</strong>stand.<br />

Gandhis Konzept des satyagraha (satya ist Wahrheit,<br />

die <strong>der</strong> Liebe gleicht, und graha ist Kraft;<br />

satyagraha bedeutet also Wahrheit-Kraft o<strong>der</strong><br />

Liebe-Kraft) schien mir sehr bedeutungsvoll. Je<br />

tiefer ich in die Lehre Gandhis eindrang, desto<br />

mehr schwand meine Skepsis hinsichtlich <strong>der</strong><br />

Kraft <strong>der</strong> Liebe. Zum erstenmal erkannte ich, dass<br />

die christliche Lehre <strong>der</strong> Liebe, wie sie in <strong>der</strong><br />

Gewaltlosigkeit Gandhis zum Ausdruck kam, eine<br />

<strong>der</strong> mächtigsten Waffen ist, die ein unterdrücktes<br />

Volk in seinem Kampf um die Freiheit ergreifen<br />

kann … Aber die Gewaltlosigkeit bewirkt etwas in<br />

<strong>den</strong> Herzen <strong>der</strong>er, die sich ihr verschreiben. Sie<br />

gibt ihnen eine neue Selbstachtung. Sie legt<br />

bisher ungeahnte Quellen <strong>der</strong> Kraft und des Mutes<br />

frei. Und endlich rührt sie auch das Gewissen des<br />

Gegners so sehr an, dass die Aussöhnung zur<br />

Wirklichkeit wird.“ ( Martin Luther - King jr., Kraft<br />

zum Lieben, Konstanz 1971, S.229 ff.)<br />

Das, was Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann als<br />

Ertrag einer bibliodramatischen Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />

mit <strong>der</strong> Bergpredigt während einer Konferenz<br />

<strong>der</strong> VELKD in ihrem neuen Buch beschreibt, nämlich<br />

dass die Bergpredigt zu Gewaltfreiheit, nicht<br />

aber zur Wi<strong>der</strong>standlosigkeit aufruft, (Margot<br />

Käßmann, Gewalt überwin<strong>den</strong>, Hannover 2000, S.<br />

49) ist hier schon vorweggenommen und zwar im<br />

Horizont politischer und gesellschaftlicher Auseinan<strong>der</strong>setzungen,<br />

die, wie wir wissen, sowohl für<br />

Gandhi als auch für Martin Luther King jr. tödlich<br />

endeten. Bei<strong>den</strong> Menschen war diese Konsequenz<br />

ihrer Option für die Gewaltfreiheit Jesu deutlich,<br />

trotzdem blieben sie bei ihrem Programm <strong>der</strong><br />

Überwindung von Gewalt durch gewaltfreies


Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />

Handeln. Das diese Wahrheit und Kraft <strong>der</strong> Botschaft<br />

Jesu jetzt auch in <strong>den</strong> Volkskirchen theologisch<br />

und praktisch wie<strong>der</strong> entdeckt wird und<br />

Raum gewinnt, weckt Hoffnung für die politische<br />

und gesellschaftliche Rolle <strong>der</strong> Kirchen in <strong>der</strong><br />

Zukunft.<br />

Es gibt einen roten Fa<strong>den</strong> <strong>der</strong> Gewaltkritik und <strong>der</strong><br />

Überwindung <strong>der</strong> Gewalt schon in <strong>der</strong> Bibel, und<br />

zwar in bei<strong>den</strong> Testamenten (siehe Jürgen Ebach,<br />

Das Erbe <strong>der</strong> Gewalt - eine biblische Realität und<br />

ihre Wirkungsgeschichte, Gütersloh 1980) Er zieht<br />

sich dann durch die Kirchengeschichte hindurch<br />

und durchwirkt wie Sauerteig die Geschichte <strong>der</strong><br />

ökumenischen Bewegung und nun auch hoffentlich,<br />

aktuell und wirkungsmächtig, Leben, Lehre<br />

und Praxis <strong>der</strong> Kirchen, die im Ökumenischen Rat<br />

zusammengeschlossen sind. Dass sich für die<br />

lutherischen Landeskirchen in <strong>der</strong> Frage von Gewalt<br />

und Gewaltüberwindung ein theologischer<br />

Paradigmenwechsel ankündigt, sei nur an zwei<br />

theologischen Gedankengängen <strong>der</strong> lutherischen<br />

Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann aufgezeigt.<br />

Zum einen stellt sie, ausgehend von einer intensiven<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Bergpredigt und<br />

dem Schicksal Jesu fest, dass Gewaltfreiheit in<br />

das Zentrum des Evangeliums gehört (Margot<br />

Käßmann, s.o. S.58). Zum an<strong>der</strong>en zieht sie aus<br />

dieser Erkennnis auch die ekklesiologischen<br />

Konsequenzen. Nach lutherischem Verständnis ist<br />

gemäß CA VII (Confessio Augustina) die Kirche die<br />

Versammlung <strong>der</strong> Heiligen, in <strong>der</strong> das Evangelium<br />

rein gelehrt und die Sakramente recht verwaltet<br />

wer<strong>den</strong>. „Dies könnte <strong>der</strong> gemeinsame Bezugspunkt<br />

im ökumenischen Dialog wer<strong>den</strong>, um die<br />

Gewaltfreiheit im esse bzw. im Sein <strong>der</strong> Kirche zu<br />

verankern, da alle drei großen Traditionen des<br />

Christentums - Orthodoxie, römischer Katholizismus<br />

und Reformation - Evangelium und Sakrament<br />

als fundamental für die Kirche ansehen. Und<br />

Gewaltfreiheit steht, wie aufgezeigt, im Zentrum<br />

des Evangeliums“ (Margot Käßmann, s.o. S. 58).<br />

Gewaltfreiheit und Engagement für die Überwin-<br />

dung von Gewalt haben ihre Begründung also<br />

nicht nur im Bereich des ethischen Handelns des<br />

einzelnen Christen, son<strong>der</strong>n es geht hier in Zukunft<br />

um das Sein und das Wesen <strong>der</strong> Kirche<br />

selbst.<br />

Die Geschichte <strong>der</strong> ÖRK - Dekade<br />

Die ÖRK - Dekade zur Überwindung <strong>der</strong> Gewalt<br />

und ihre Programmatik ist Ergebnis eines langen<br />

Prozesses <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> neuzeitlichen<br />

ökumenischen Bewegung. Schon auf <strong>der</strong> Gründungsversammlung<br />

des Weltkirchenrates 1948<br />

in Amsterdam wurde noch unter dem Eindruck<br />

des Zweiten Weltkrieges das Zeugnis formuliert:<br />

„Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“ ( EKD<br />

Texte 3, Kirche und Frie<strong>den</strong>, S. 156 ff.). Seitdem<br />

beschäftigt sich die ökumenische Bewegung mit<br />

Fragen des Krieges und des Frie<strong>den</strong>s, <strong>der</strong> Gewaltanwendung<br />

und <strong>der</strong> Gewaltüberwindung. Zu einer<br />

eindeutig pazifistischen Grundhaltung konnte man<br />

sich im Laufe <strong>der</strong> Jahrzehnte nicht durchringen,<br />

obwohl man dem sehr nahe kam.<br />

Es sind hier in aller kürze zwei Entwicklungsstränge<br />

zu benennen, die konsequent auf die ÖRK<br />

- Dekade zuführen:<br />

1.Die Vollversammlungen und Zentralausschusssitzungen<br />

des ÖRK:<br />

1968 Die ÖRK Vollversammlung in Uppsala verabschiedete<br />

ein ökumenisches Programm zur<br />

Bekämpfung des Rassismus. Intensiv wurde<br />

damals die Frage nach <strong>der</strong> „gerechten Revolution“<br />

und „gerechten Gewaltanwendung“<br />

diskutiert vor dem Hintergrund bewaffneter<br />

Befreiungsbewegungen in <strong>der</strong> Dritten Welt<br />

und des Kampfes gegen Rassismus, vor<br />

allem in Südafrika. Es wurde ein Studienprozess<br />

in Gang gesetzt zum Thema „Gewalt,<br />

Gewaltfreiheit und <strong>der</strong> Kampf für soziale<br />

Gerechtigkeit“.<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_101<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />

1975 Die ÖRK Vollversammlung in Nairobi führte<br />

zu einer Erklärung <strong>der</strong> Delegierten, bereit zu<br />

sein, ohne <strong>den</strong> Schutz von Waffen zu leben.<br />

Diese Erklärung gab vielen christlichen<br />

Frie<strong>den</strong>sgruppen einen neuen Anschub, auch<br />

neue Gruppe entstan<strong>den</strong>, vor allem bekannt<br />

wurde die Aktion „Ohne Rüstung Leben“. Die<br />

Frie<strong>den</strong>sbewegung insgesamt bekam kräftigen<br />

Aufwind.<br />

1983 Die ÖRK Vollversammlung in Vancouver<br />

beschloss einen „Konziliaren Prozess für<br />

Frie<strong>den</strong>, Gerechtigkeit und Bewahrung <strong>der</strong><br />

Schöpfung“. Die Frage nach Gewalt und<br />

Gewaltüberwindung wird zum eigentlichen<br />

Bindeglied <strong>der</strong> drei Themenbereiche, die die<br />

entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Menscheitsprobleme <strong>der</strong><br />

<strong>Gegen</strong>wart und Zukunft ansprechen.<br />

1991 Die ÖRK Vollversammlung in Canberra konnte<br />

sich angesichts des Golfkrieges auf eine<br />

Ablehnung militärischer Interventionen nicht<br />

einigen, obwohl ein Konsens <strong>der</strong> Kirchen<br />

greifbar schien, jede theologische Legitimation<br />

von Gewalt in Zukunft abzulehnen. (siehe<br />

Margot Käßmann, Was steht ihr da und seht<br />

zum Himmel,Hannover 1999 S.136)<br />

1994 Der ÖRK Zentralausschuss beschloss in<br />

Johannesburg ein „Programm zur Überwindung<br />

<strong>der</strong> Gewalt“ im Angesicht <strong>der</strong> Überwindung<br />

<strong>der</strong> rassistischen Gewalt in Südafrika.<br />

1996 Als erste Konkretisierung des Beschlusses<br />

entsteht das Programm „Friede für die Stadt“<br />

(Peace to the city). Es soll in sieben internationalen<br />

Großstädten mit hohem Gewaltpotential<br />

Initiativen <strong>der</strong> Gewaltüberwindung<br />

ermutigen, stärken, stützen und vernetzen.<br />

1998 Die 8. Vollversammlung des ÖRK in Harare<br />

beschliesst eine „Ökumenische Dekade zur<br />

Überwindung <strong>der</strong> Gewalt“.<br />

102_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

2. Konziliarer Prozess für Frie<strong>den</strong>, Gerechtigkeit<br />

und Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />

Ausgehend von <strong>der</strong> ÖRK - Vollversammlung in<br />

Vancouver entwickelten sich verschie<strong>den</strong>e Bestrebungen,<br />

vor allem auch in Deutschland (damals<br />

noch BRD und DDR), auf ein Weltkonzil für<br />

Frie<strong>den</strong> und Gerechtigkeit hinzuwirken. Diese<br />

Bestrebungen beriefen sich auf eine Rede von<br />

Dietrich Bonhoeffer, die dieser 1934 auf <strong>der</strong> Insel<br />

Fanö, anlässlich einer ökumenischen Jugendkonferenz<br />

gehalten hatte. Er ahnte einen neuen<br />

Weltkrieg und for<strong>der</strong>te das eine „große ökumenische<br />

Konzil <strong>der</strong> Heiligen Kirche Christi aus aller<br />

Welt“, das <strong>den</strong> Krieg verbieten und <strong>den</strong> Söhnen<br />

<strong>der</strong> Völker die Waffen aus <strong>der</strong> Hand nehmen<br />

sollte (Dietrich Bonhoeffer, London 1933 - 35,<br />

DBW Band 13, S.299 - 301). Es kann hier nicht<br />

weiter ausgeführt wer<strong>den</strong>, warum ein Konzil we<strong>der</strong><br />

damals noch infolge von Vancouver zustande<br />

kam. Aber die Bestrebungen blieben nicht ergebnislos.<br />

1989 fand eine Europäische Ökumenische Versammlung<br />

für Frie<strong>den</strong> in Gerechtigkeit in<br />

Basel statt, mit Beteiligung <strong>der</strong> römisch -<br />

katholischen Kirche.<br />

1990 kam es schließlich zu einer Weltversammlung<br />

des ÖRK für Gerechtigkeit, Frie<strong>den</strong><br />

und Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Seoul in<br />

Korea. Die Teilnehmen<strong>den</strong> dieser Konferenz<br />

gingen einen sogenannten Bundesschluss<br />

und eine Selbstverpflichtung ein, in ihren<br />

Kirchen für diesen Bundesschluss und seine<br />

praktischen Konsequenzen einzutreten. Stellvertretend<br />

sei hier nur ein Bundesschluss<br />

benannt, für eine Kultur aktiver und lebensfreundlicher<br />

Gewaltlosigkeit - nicht als Flucht<br />

vor Gewalt und Unterdrückung, son<strong>der</strong>n<br />

als Einsatz für Gerechtigkeit und Befreiung<br />

(epd Dokumentation, Frankfurt 2.4.1990,<br />

S. 25).


Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />

Insgesamt kann und muss man also sagen, dass<br />

die „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ eine<br />

Konsequenz aus dem jahrzehntelangen Ringen um<br />

und aus dem Engagement für Gerechtigkeit, Frie<strong>den</strong><br />

und Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung des Ökumenischen<br />

Rates <strong>der</strong> Kirchen ist.<br />

Das Programm <strong>der</strong> Dekade<br />

Am 3./4. Februar <strong>2001</strong> wird die internationale<br />

Eröffnung <strong>der</strong> ÖRK - Dekade erfolgen, und zwar<br />

während <strong>der</strong> Sitzung des Zentralausschusses des<br />

ÖRK in Potsdam und Berlin. Der Zentralausschuss<br />

hat ein Rahmenkonzept verabschiedet, das <strong>der</strong><br />

Dekade erste erkennbare Konturen verleiht. Es<br />

geht dem Zentralausschuss am Ende dieses gewalttätigen<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ts um ein deutliches Zeugnis:<br />

„Wir sind <strong>der</strong> festen Überzeugung, dass die<br />

Kirchen aufgerufen sind, vor <strong>der</strong> Welt ein klares<br />

Zeugnis abzulegen von Frie<strong>den</strong>, Versöhnung und<br />

Gewaltlosigkeit, die auf Gerechtigkeit grün<strong>den</strong>.“<br />

(M. Käßmann, s.o. S.148) Und es geht um praktische<br />

Zeichen und Konsequenzen: „Wir müssen<br />

aufhören, reine Zuschauer <strong>der</strong> Gewalt zu sein o<strong>der</strong><br />

sie lediglich zu beklagen. Wir müssen uns aktiv um<br />

ihre Überwindung sowohl innerhalb als auch<br />

außerhalb <strong>der</strong> Kirchenmauern bemühen.“ (M.<br />

Käßmann, s.o. S. 149) Der Schwerpunkt des Programmes<br />

liegt also eindeutig auf dem Aspekt <strong>der</strong><br />

Überwindung, auf dem Willen, konstruktive Wege<br />

aufzuzeigen und umzusetzen. „Beim methodischen<br />

Ansatz wird man daher die positiven Erfahrungen<br />

<strong>der</strong> Kirchen und Gruppen herausstellen,<br />

die an <strong>der</strong> Überwindung von Gewalt arbeiten. Die<br />

Dekade zur Überwindung von Gewalt muss aus<br />

<strong>den</strong> Erfahrungen und <strong>der</strong> Arbeit von Gemein<strong>den</strong><br />

und Gemeinschaften erwachsen...Deshalb wird die<br />

Dekade Bemühungen um die Überwindung unterschiedlicher<br />

Formen <strong>der</strong> Gewalt von Seiten <strong>der</strong><br />

Kirchen, ökumenischen Organisationen und Zivilgesellschaftlichen<br />

Bewegungen hervorheben und<br />

miteinan<strong>der</strong> verknüpfen.“ (epd Dokumentation<br />

38/99, S. 30)<br />

Im Rahmenkonzept des Zentralausschusses wer<strong>den</strong><br />

folgende Ziele gesetzt, auf die in <strong>den</strong> kommen<strong>den</strong><br />

zehn Jahren in zwei Etappen hingearbeitet<br />

wer<strong>den</strong> soll. Es wird dabei davon ausgegangen,<br />

dass die neunte Vollversammlung des ÖRK im Jahr<br />

2005 einen ersten Höhepunkt markieren wird, <strong>der</strong><br />

dazu dienen soll, die bis dahin erreichten Ergebnisse<br />

aufzuarbeiten und <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong><br />

Dekade einen neuen Schub und neue Motivation<br />

zu geben. Die Ziele sind:<br />

• Ganzheitliche Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem<br />

breiten Spektrum von direkter wie auch struktureller<br />

Gewalt zu Hause, in Gemeinschaften und<br />

auf internationaler Ebene, und lernen von lokalen<br />

und regionalen Analysen <strong>der</strong> Gewalt und<br />

Wegen zu ihrer Überwindung;<br />

• Auffor<strong>der</strong>ung an die Kirchen, Geist, Logik und<br />

Ausübung von Gewalt zu überwin<strong>den</strong>;<br />

• auf jede theologische Rechtfertigung von Gewalt<br />

zu verzichten und erneut die Spiritualität<br />

von Versöhnung und aktiver Gewaltlosigkeit zu<br />

bekräftigen;<br />

• Gewinnung eines neuen Verständnisses von<br />

Sicherheit im Sinne von Zusammenarbeit und<br />

Gemeinschaft statt Herrschaft und Konkurrenz;<br />

• Lernen von <strong>der</strong> Spiritualität An<strong>der</strong>sgläubiger<br />

und ihren Möglichkeiten, Frie<strong>den</strong> zu schaffen,<br />

Zusammenarbeit mit Gemeinschaften An<strong>der</strong>sgläubiger<br />

bei <strong>der</strong> Suche nach Frie<strong>den</strong>, und<br />

Auffor<strong>der</strong>ung an die Kirchen, sich mit dem<br />

Missbrauch religiöser und ethnischer I<strong>den</strong>tität<br />

in pluralistischen Gesellschaften auseinan<strong>der</strong>zusetzen;<br />

• Protest gegen die zunehmende Militarisierung<br />

unserer Welt und insbeson<strong>der</strong>e gegen die Verbreitung<br />

von Feuer- und Handfeuerwaffen.<br />

(nach epd Nr. 38/99, S. 30)<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_103<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />

ÖRK - Dekade und evangelische<br />

Jugendarbeit<br />

Die Landesjugendkammer <strong>der</strong> evangelisch - lutherischen<br />

Landeskirche Hannovers hat am 12.11.00<br />

während ihrer Tagung im Sachsenhain beschlossen,<br />

das Thema <strong>der</strong> ÖRK - Dekade zu einem<br />

Schwerpunktthema <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> <strong>Evangelischen</strong><br />

Jugend in <strong>den</strong> nächsten Jahren zu machen.<br />

Dies ist sowohl folgerichtig mit Blick auf die Zielgruppen<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen, als auch<br />

mit Blick auf mögliche methodische Vorgehensweisen<br />

im Rahmen <strong>der</strong> Dekade. Dass die Zunahme<br />

<strong>der</strong> Gewaltanwendung an Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

in unserer Gesellschaft, als auch durch<br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche, eine Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

auch für die Jugendverbandsarbeit ist, kann nicht<br />

bestritten wer<strong>den</strong>. Es gibt in <strong>der</strong> Jugendarbeit<br />

vielfältige Ansätze <strong>der</strong> Präventionsarbeit und des<br />

konstruktiven Umgangs mit Konflikten und <strong>der</strong>en<br />

Austragung, die ausbaufähig sind und zwischen<br />

verschie<strong>den</strong>en Trägern verbandlicher und kommunaler<br />

Jugendarbeit vernetzt wer<strong>den</strong> können. Gerade<br />

dies ist ja ein Grundanliegen <strong>der</strong> Dekade.<br />

Im Bereich <strong>der</strong> methodischen Ansätze und Vorgehensweisen,<br />

die im Rahmenkonzept benannt wer<strong>den</strong><br />

hat Jugendarbeit Kompetenzen, die eingebracht wer<strong>den</strong><br />

können. Neben <strong>den</strong> Stichworten: ➨Kampagnen,<br />

➨Bildungsarbeit, ➨Gottesdienst und Spiritualität,<br />

➨Geschichten erzählen, seien auch noch hinzugefügt<br />

➨Internationale ökumenische Jugendbegegnungsarbeit<br />

und ➨Erinnerungs- und Ge<strong>den</strong>kstättenarbeit.<br />

Die Liste ist sicher noch nicht vollständig.<br />

Die Landesjugendkammer hat alle ihre Ausschüsse,<br />

Glie<strong>der</strong>ungen, <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong>en und die<br />

Verbände eigener Prägung aufgefor<strong>der</strong>t zu untersuchen<br />

und zu benennen, welche Bezüge es in <strong>der</strong><br />

konkreten praktischen Arbeit mit Kin<strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen vor Ort zum Thema <strong>der</strong> ÖRK- Dekade<br />

gibt. Dies wird zusammengetragen und analysiert<br />

104_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

wer<strong>den</strong>, um bestehende Handlungsansätze aufzunehmen,<br />

auszubauen und auch darauf aufbauend<br />

neue Ansätze zu entwickeln. Die anstehen<strong>den</strong><br />

größeren Veranstaltungen <strong>der</strong> nächsten Jahre, wie<br />

z.B. <strong>der</strong> Landesjugendsonntag und das Landesjugendcamp,<br />

wer<strong>den</strong> sicherlich vom Thema <strong>der</strong><br />

Gewaltüberwindung geprägt und dominiert sein.<br />

Natürlich wird darauf zu achten sein, dass des<br />

Guten nicht zuviel geschieht. Auch in an<strong>der</strong>en<br />

gesellschaftlichen Zusammenhängen ist dieses<br />

Thema zur Zeit dran und Jugendliche wer<strong>den</strong> damit<br />

konfrontiert. Vor allem auch im Raum <strong>der</strong> Schulen.<br />

Deshalb wird Jugendarbeit auf ein eigenes Profil<br />

achten müssen. Dies kann zum einen darin bestehen,<br />

dass uns durch <strong>den</strong> ökumenischen Kontext<br />

eine kritische Sichtweise zu Verfügung steht,<br />

die auch nach <strong>den</strong> Ursachen von Gewalt fragt,<br />

sowohl direkter als auch struktureller Gewalt. Dies<br />

kann uns davor bewahren, in vor<strong>der</strong>gründigen<br />

Präventionsaktionismus zu verfallen, <strong>der</strong> gesellschaftliche,<br />

politische und wirtschaftliche Zusammenhänge<br />

ausblendet. Zum an<strong>der</strong>en haben wir<br />

Freiräume und methodische Kompetenzen, gepaart<br />

mit Phantasie und Kreativität, die es uns<br />

ermöglichen sollten, unseren spezifischen Beitrag<br />

zu leisten, damit die Ziele <strong>der</strong> ÖRK - Dekade erreicht<br />

wer<strong>den</strong> können.<br />

Zum Abschluss noch ein Bogen zum eigentlichen<br />

Thema des Heftes, dessen Schwerpunkt ja auch<br />

auf <strong>der</strong> Begeisterung liegen soll. Nur mit dieser, im<br />

positiven Sinn, wird die Dekade ein Erfolg wer<strong>den</strong>.<br />

„Die Ökumenische Dekade zur Überwindung von<br />

Gewalt erfüllt <strong>den</strong> Zweck, die Begeisterung und<br />

Erwartungen von Kirchen, ökumenischen Organisationen,<br />

Gruppen und Bewegungen weltweit zu<br />

bündeln, um einen positiven, praktischen und<br />

einzigartigen Beitrag <strong>der</strong> Kirchen zur Errichtung<br />

einer Frie<strong>den</strong>skultur zu leisten. Der Entwurf und<br />

<strong>der</strong> methodische Ansatz <strong>der</strong> Dekade zur Überwindung<br />

von Gewalt sollten zielgerichtet und zugleich<br />

offen für Kreativität sein und die Dynamik <strong>der</strong>


Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />

Kirchen und verschie<strong>den</strong>en gesellschaftlichen<br />

Gruppen nutzen.“ (epd - Dokumentation Nr. 38/<br />

99, S.32)<br />

Für die evangelisch - lutherische Landeskirche<br />

Hannovers hat es schon zwei ermutigende kirchliche<br />

Signale gegeben, dass die ÖRK - Dekade ein<br />

Schwerpunkt kirchlicher<br />

Arbeit <strong>der</strong><br />

nächsten Jahre<br />

wer<strong>den</strong> soll. Zum<br />

einen hat die<br />

Landesbischöfin<br />

Dr. Margot Käßmann<br />

ihren<br />

Syno<strong>den</strong>bericht<br />

am 18.06.2000<br />

unter diesen<br />

Schwerpunkt<br />

gestellt, zum<br />

an<strong>der</strong>en hat<br />

sie in <strong>der</strong> Marktkirche<br />

Hannovers<br />

zu einem ökumenischen Dekadegottsdienst am<br />

3.09.00 eingela<strong>den</strong>, <strong>der</strong> einen ersten eindrucksvollen<br />

Einblick gab, welche Potentiale <strong>der</strong> Entfaltung<br />

und Vernetzung bezüglich <strong>der</strong> Dekade in unserer<br />

Landeskirche schlummern. Sie hat damit aus ihrer<br />

Sicht künftige Prioritäten kirchlicher Arbeit deutlich<br />

gemacht.<br />

Dass die Evangelische Jugend unserer Landeskirche<br />

zügig und konsequent auf das Thema <strong>der</strong><br />

Dekade zugegangen ist, zeigt, dass sie die Zeichen<br />

<strong>der</strong> Zeit erkannt hat und ihre Jugendarbeit in <strong>der</strong><br />

Lage ist, auf aktuelle kirchliche und gesellschaftliche<br />

Entwicklungen einzugehen.<br />

Siegfried Rupnow<br />

Die herzförmigen<br />

Hände über <strong>der</strong> fragmentierten<br />

Erde symbolisieren<br />

die Notwendigkeit<br />

und die Hoffnung, Gewalt<br />

zu überwin<strong>den</strong>. Die gelbe<br />

Erde bedeutet Hoffnung<br />

inmitten von Unruhe, während<br />

die scharfen Kanten<br />

<strong>der</strong> grünen Form auf die<br />

Gefahr hindeuten, in <strong>der</strong><br />

sich die Erde befindet. Die<br />

Bewegung <strong>der</strong> Schrift um die<br />

Erde herum deutet die Dynamik<br />

dieser weltweiten Initiative an.<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_105<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />

106_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …


» Praxisbeispiele


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Praxisbeispiele<br />

Ich brauche Platz<br />

Material: zwei Stühle o<strong>der</strong> eine kleine Bank<br />

Übung zu dritt. Zwei Mädchen sitzen auf zwei<br />

Stühlen (o<strong>der</strong> einer kleinen Bank). In <strong>der</strong> Mitte ist<br />

soviel Platz, dass noch eine Person sitzen könnte.<br />

Dort nimmt die dritte Person Platz. Alle drei schließen<br />

die Augen, besinnen sich auf sich selbst und<br />

versuchen dann, sich möglichst bequem hinzusetzen.<br />

Anschließend wer<strong>den</strong> die Rollen so getauscht,<br />

dass jede einmal in <strong>der</strong> Mitte sitzt.<br />

Ich breche aus<br />

Die Teilnehmerinnen bil<strong>den</strong> einen Kreis und fassen<br />

sich an <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong>. Ein Mädchen steht in <strong>der</strong><br />

Mitte und versucht <strong>den</strong> geschlossenen Kreis zu<br />

durchbrechen. Wenn sie ausgebrochen ist, kann<br />

sie sich im Kreis einen Platz wählen, mit dem<br />

sie zufrie<strong>den</strong> ist. Die Mädchen im Kreis dürfen<br />

nicht miteinan<strong>der</strong> sprechen, son<strong>der</strong>n sollen das<br />

Verhalten des ausbrechen<strong>den</strong> Mädchens beobachten.<br />

Auswertungsgespräch:<br />

(Das erste Wort hat das Mädchen, das in <strong>der</strong> Mitte<br />

stand.)<br />

• Wie hast du dich in <strong>der</strong> Mitte gefühlt?<br />

108_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Auswertungsgespräch:<br />

• Konnte ich mir Platz verschaffen?<br />

• Wurde ich verdrängt?<br />

• Ist es mir leicht gefallen, Druck auszuüben?<br />

• Ist es mir leicht gefallen, Druck auszuhalten?<br />

• An welcher Stelle habe ich meine Kraft eingesetzt,<br />

an welcher Stelle habe ich sie zurückgenommen?<br />

• Erlebe ich ähnliche Situationen in meinem<br />

Alltag, wie geht es mir mit solchen Erlebnissen?<br />

• Hat es zu lange gedauert?<br />

• Was haben die an<strong>der</strong>en Mädchen beobachtet?<br />

• Wie versuchte das Mädchen auszubrechen?<br />

Setzte sie neben <strong>den</strong> körperlichen auch noch<br />

an<strong>der</strong>e Kräfte ein?<br />

• Nach welchen Kriterien suchte sie schließlich<br />

einen neuen Platz im Kreis?<br />

• Waren die Versuche des Kreises sehr intensiv,<br />

das Mädchen am Ausbrechen zu hin<strong>der</strong>n?<br />

aus:<br />

Pfadfin<strong>der</strong>innenschaft St. Georg, Arbeitshilfe<br />

„Starke Mädchen“ zur Prävention von sexueller<br />

Gewalt an Mädchen und Frauen, 1993


Rück‘ mir nicht auf die Pelle<br />

Öffentliche sexuelle Belästigungen von Mädchen<br />

in <strong>der</strong> Pubertät sind gang und gäbe. Der Cartoon<br />

erlaubt es Mädchen, darüber zu sprechen.<br />

Gesprächsleitfa<strong>den</strong><br />

Ein 12jähriges Mädchen sitzt in <strong>der</strong> Straßenbahn.<br />

Sie hört Musik über Kopfhörer und schaut ganz<br />

versunken durch das Fenster. Obgleich noch viele<br />

an<strong>der</strong>e Plätze frei sind, setzt sich ein Mann direkt<br />

neben sie und macht sich sehr breit - bedrängt sie<br />

mit seinem Körper. PIötzlich spürt sie seine Hand<br />

an ihrem Oberschenkel. Der Übergriff geschieht<br />

wie nebenher, scheinbar zufällig, als ließen sich<br />

die Berührungen nicht vermei<strong>den</strong>. Doch die Tarnung<br />

mißlingt. Jetzt reicht’s! Wütend blickt das<br />

Mädchen <strong>den</strong> Belästiger an. Aus dieser Stimmung<br />

heraus bläst sie mit ihrem Kaugummi eine große<br />

Blase und knallt ihm diese auf die Brille. Dabei<br />

schreit sie: »Uuups - ist aber auch schrecklich eng<br />

hier!«<br />

Der Mann ist von <strong>der</strong> spontanen Abwehr des<br />

Mädchens vollkommen überrascht. Damit hat er<br />

nicht gerechnet! Die Situation wird peinlich. Das<br />

Mädchen ist für ihn unberechenbar. Er hält es für<br />

ratsam, <strong>den</strong> Platz zu räumen, und schleicht sich<br />

aus <strong>der</strong> Sitzreihe. Zwei Kin<strong>der</strong> auf <strong>den</strong> hinteren<br />

Plätzen solidarisieren sich mit dem Mädchen und<br />

rufen laut »Bravo«.<br />

Kommentar<br />

Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung befindet sich<br />

das Mädchen in einer Belästigungssituation. Diese<br />

überfallartigen Übergriffe ohne »VorgeplänkeI« erleben<br />

Mädchen täglich. Auch die HauptdarsteIlerin<br />

des Cartoons »trifft es« aus heiterem HimmeI.<br />

Das Mädchen erkennt die Situation. Für sie besteht<br />

kein Zweifel daran, dass <strong>der</strong> Mann sie mit<br />

Für die Arbeit mit Mädchen (jungen Frauen)<br />

voller Absicht sexuell belästigt. Doch sie zeigt klar<br />

und deutlich ihren Wi<strong>der</strong>willen und ihre Entschlossenheit,<br />

ihr Recht auf Platz und Bewegungsfreiheit<br />

zu verteidigen. Wenn <strong>der</strong> Kerl unhöflich ist, dann<br />

kann sie es auch sein! Sie fackeIt nicht lange und<br />

weiß genau, wie die Pläne des Belästigers durchkreuzt<br />

wer<strong>den</strong> können.<br />

Methodische Uberlegungen<br />

Jedes Mädchen sollte erst einmal selbständig<br />

anhand <strong>der</strong> Fragen zu dem Cartoon SteIlung beziehen.<br />

Anschließend kann die Gruppe die Situation<br />

in <strong>der</strong> Straßenbahn nachspielen. Es empfiehlt sich,<br />

während des SpieIs verschie<strong>den</strong>e Wi<strong>der</strong>standsformen<br />

auszuprobieren (verrückt spielen, unhöflich<br />

sein, weglaufen, treten usw. Die Täterrolle<br />

können und sollen auch schüchterne Mädchen<br />

übernehmen.<br />

Anschließend können die Mädchen sich eine <strong>der</strong><br />

SelbstbestimmungsregeIn aussuchen und diese in<br />

<strong>der</strong> Gruppe als Ich-Botschaft laut wie<strong>der</strong>holen.<br />

Z.B.: »Ich steIle meinen Schutz und meine Sicherheit<br />

an erste SteIle … Ich vertraue meinem Gefühl<br />

…« usw. Die Mädchen sollen aussprechen, was sie<br />

spüren, wenn sie diesen Satz sagen, und was sie<br />

dazu bewogen hat, gerade diese Regel auszusuchen.<br />

Oft sind Jugendliche stark verunsichert, weil<br />

sie meinen, sie könnten sich »so etwas« nicht<br />

erlauben, o<strong>der</strong> aber sie spüren, wie wichtig diese<br />

Regeln sind und wie gut es ihnen tut, sie laut zu<br />

sagen. Häufig fällt die Wahl auf Regeln, die entwe<strong>der</strong><br />

wenig beherzigt o<strong>der</strong> schon angewendet<br />

wur<strong>den</strong>. Geben Sie <strong>den</strong> Mädchen die SelbstbestimmungsregeIn<br />

und lassen Sie die einzeInen<br />

Regeln von <strong>den</strong> Kin<strong>der</strong>n illustrieren.<br />

Erklären Sie <strong>den</strong> Mädchen, was eine sexueIle<br />

Belästigung ist! Entschei<strong>den</strong>d ist auch hier das<br />

Verhalten und die Handlung des Belästigers -<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_109<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Für die Arbeit mit Mädchen (jungen Frauen)<br />

110_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …


weniger die Frage, ob er bekannt o<strong>der</strong> fremd ist.<br />

Erzählen Sie eine erIebte Belästigung und wie Sie<br />

sich gefühlt und reagiert haben. Ohne weitere<br />

Auffor<strong>der</strong>ung wer<strong>den</strong> die Mädchen danach über<br />

eigene Erfahrungen berichten.<br />

Beachten Sie jede Erzählung. Manchmal brauchen<br />

Mädchen Formulierungshilfe, z.B. wenn sie sich<br />

schämen, Geschlechtsteile zu benennen. Je<strong>der</strong> Bericht<br />

sollte mit einer positiven Bemerkung über das Mädchen<br />

abgeschlossen wer<strong>den</strong>. Wenn Sie merken, dass<br />

Mädchen sich über Humor und Lachen Distanz zum<br />

ErIebten schaffen, dann machen Sie einfach mit.<br />

Fragestellungen<br />

• Wie hat sich das Mädchen gefühlt, als <strong>der</strong> Mann<br />

sie belästigte?<br />

• Gab es eine Möglichkeit, <strong>der</strong> Belästigung auszuweichen?<br />

• Darf ein Mädchen unfreundlich sein, wenn sie<br />

belästigt wird?<br />

• WeIche Arten <strong>der</strong> Belästigungen kennst Du?<br />

Regeln zur Selbstbestimmung für Mädchen<br />

(ab 11 Jahre)<br />

1 . SteIle Deinen Schutz und Deine Sicherheit an die<br />

erste SteIle, wenn jemand Deine Gefühle und<br />

Deinen Körper nicht achten o<strong>der</strong> verIetzen will.<br />

2. Dein Körper gehört Dir! Du bestimmst, wer ihm<br />

nahe kommen und ihn anfassen darf!<br />

3. Wenn dich jemand bedrängt und unangenehm<br />

berührt, überIege nicht, was diese Person von<br />

dir wilI. ÜberIege was Du willst!<br />

4. Vertraue deinem Gefühl! Wenn sich Berührungen<br />

unangenehm o<strong>der</strong> komisch anfühlen und<br />

Für die Arbeit mit Mädchen (jungen Frauen)<br />

Du Angst und Unsicherheit spürst, dann traue<br />

diesem Gefühl. Meist stimmt es.<br />

5. Manchmal kommt das Gefühl erst später, wenn<br />

Du Dich daran wie<strong>der</strong> erinnerst. Beachte es<br />

genauso!<br />

6. Du darfst wie ein Hund die unangenehmen<br />

Berührungen abschütteIn o<strong>der</strong> sie mit <strong>der</strong> Hand<br />

wegstreichen. Sofort nachdem es passiert ist,<br />

o<strong>der</strong> auch im nachhinein.<br />

7. Du darfst Nein sagen, unfreundlich sein, verrückt<br />

spielen, nicht gehorchen, weglaufen,<br />

herumschreien, treten. Alles ist für Dich erlaubt,<br />

wenn Du glaubst, in Gefahr zu sein.<br />

8. Wenn Du Nein sagst, dann meine auch Nein.<br />

Lache nicht, wenn Du innerlich voll Ärger bist.<br />

Zeige, was Du fühlst und willst.<br />

9. Sprich mit Deinen Freundinnen über unangenehme<br />

Erlebnisse. Du kannst Dir sicher sein,<br />

dass sie Dir glauben, weil sie Ähnliches erIebt<br />

haben. Wenn Du darüber sprichst, dann verpflichte<br />

Deine Freundinnen nicht, darüber zu<br />

schweigen. Überlegt, wer es alles wissen soll<br />

und darf!<br />

aus: Irmgard Schaffrin/Dorothee Wolters,<br />

Auf <strong>den</strong> Spuren starker Mädchen, Cartoons für<br />

Mädchen - diesseits von Gut und Böse, Köln 1993<br />

Hrsg.: Zartbitter e.V., Kontakt- und Informationsstelle<br />

gegen sexuellen Mißbrauch an Mädchen<br />

und Jungen, Sachsenring 2-4, 50677 Köln,<br />

Tel.: 0221/312055<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_111<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />

Elektrischer Draht<br />

Ziel: Erlernen von Problemlösungsstrategien;<br />

Zusammenarbeit; För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Diskussionsfähigkeit<br />

Teilnehmer: 10 – 15<br />

Alter: ab 14<br />

Material: - zwei Bäume von ca. 5 m<br />

- ein ca. 5 m langes Seil<br />

- ein 2,00 m langes, 15 cm breites<br />

und mindestens 10 cm dickes<br />

Brett<br />

Beschreibung: Das Seil wird zwischen die bei<strong>den</strong><br />

Bäume in einer Höhe von 1,50 m<br />

gespannt. Der Spielleiter erklärt,<br />

dass es elektrisch gela<strong>den</strong> sei.<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Teilnehmer ist es, die<br />

gesamte Gruppe von einer Seite<br />

des Seiles auf die an<strong>der</strong>e zu bringen,<br />

wobei das Seil nicht berührt<br />

wer<strong>den</strong> darf. Als Hilfsmittel steht<br />

das Brett zur Verfügung.<br />

Die Regeln sind wie folgt:<br />

- Wenn ein Teilnehmer <strong>den</strong><br />

„Draht“ berührt, muß er neu<br />

beginnen. Für je<strong>den</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Teilnehmer, <strong>der</strong> <strong>den</strong>jenigen zu<br />

diesem Zeitpunkt berührt hat,<br />

gilt das Gleiche; gleichgültig, ob<br />

er bereits auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

war o<strong>der</strong> nicht.<br />

- Wenn das Brett <strong>den</strong> „Draht“<br />

berührt, müssen die, die das<br />

112_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Brett gehalten haben, von vorn<br />

beginnen.<br />

- Die Bäume, um die das Seil<br />

gespannt ist, stehen ebenfalls<br />

„Unter Strom“.<br />

Variationen: (1) Der „elektrische Draht“ kann<br />

mit Hilfe eines dritten Baumes als<br />

Dreieck gespannt wer<strong>den</strong>. Alle<br />

Teilnehmer müssen in die innere<br />

Fläche des Dreiecks gelangen.<br />

(1.1) Bei dieser Variante ist es auch<br />

möglich, das Seil in unterschiedlichen<br />

Höhen zu spannen (Zum<br />

Beispiel von Baum A zu B eine<br />

Höhe von 1,50 , von B zu C eine<br />

Höhe von 1,40 m und von C zu A<br />

eine Höhe von 1,30 m). Der Spielleiter<br />

kann je nach Gruppenzusammenstellung<br />

bestimmen,<br />

wieviele Teilnehmer über das niedrig,<br />

wieviele über das 1,30 m hoch<br />

gespannte Seil hinüberdürfen.<br />

Erfahrungen: Die Problemstellungen bei dieser<br />

Übung for<strong>der</strong>t die Überlegung, wie<br />

die letzte Person die an<strong>der</strong>e Seite<br />

des „Drahtes“ erreichen kann.<br />

Gruppen, die wild drauflosarbeiten,<br />

wer<strong>den</strong> sich sehr schnell vor<br />

diesem Problem sehen. Es müssen<br />

also sowohl eine Taktik als auch<br />

Personen nach beson<strong>der</strong>en Eigenschaften<br />

diskutiert und ausgewählt<br />

wer<strong>den</strong>.


Säureteich<br />

Ziel: Erlernen von Problemlösungsstrategien;<br />

Zusammenarbeit; För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Diskussionsfähigkeit<br />

Teilnehmer: 10 –14<br />

Alter: ab 14 Jahre<br />

Material: - ein Baum o<strong>der</strong> jede an<strong>der</strong>e<br />

besteigbare stabile Plattform, an<br />

<strong>der</strong> ein Seil befestigt wer<strong>den</strong> kann<br />

- ein Kletterseil (30 m)<br />

- ein Seil (20 m)<br />

- ein Klettergurt mit Karabiner<br />

- ein Kletterhelm<br />

- ein <strong>Gegen</strong>stand (zum Beispiel<br />

Apfel)<br />

- ein Tuch zum Augenverbin<strong>den</strong><br />

Beschreibung: Das Seil wird an <strong>den</strong> En<strong>den</strong> zusammengeknotet<br />

und vor dem<br />

Baum als Kreis ausgelegt. In <strong>den</strong><br />

Mittelpunkt wird <strong>der</strong> Apfel gestellt.<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Gruppe ist es, mit<br />

Hilfe des Kletterseils, des Klettergurtes<br />

mit Helm und des Baumes<br />

<strong>den</strong> Apfel innerhalb einer halben<br />

Stunde aus dem Kreis zu holen.<br />

Der Kreis stellt einen Teich mit<br />

giftiger Säure dar.<br />

Kürzung o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Auflagen wie<br />

z.B. Augenverbin<strong>den</strong> <strong>der</strong> betreffen<strong>den</strong><br />

Person, Hände auf <strong>den</strong> Rücken<br />

bin<strong>den</strong>, etc. erhöhen <strong>den</strong> Schwierigkeitsgrad.<br />

Die gängigste Lösung ist, ein Ende<br />

des Kletterseils in einer maximalen<br />

Höhe von 2,50 m am Baum zu<br />

befestigen (<strong>der</strong> Knoten sollte auf<br />

Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />

alle Fälle vom Betreuer überprüft<br />

wer<strong>den</strong>). Eine Person legt Klettergurt<br />

und Helm an, besteigt <strong>den</strong><br />

Baum und klinkt <strong>den</strong> Karabiner in<br />

das Kletterseil ein. Der Rest <strong>der</strong><br />

Gruppe hält das Kletterseil über<br />

<strong>den</strong> Kreis hinweg gestrafft. Nun<br />

kann sich die Person am Kletterseil<br />

in Richtung Apfel hinunterhangeln<br />

und ihn aufnehmen.<br />

Variationen: (1) Es ist eine sehr interessante<br />

Erschwerung <strong>der</strong> Aufgabe, <strong>der</strong><br />

Person im Klettergurt die Augen zu<br />

verbin<strong>den</strong>.<br />

(2) Je nach Gruppe kann <strong>der</strong> Spielleiter<br />

die Zeitvorgabe verlängern<br />

o<strong>der</strong> verkürzen.<br />

Erfahrungen: Dieses Spiel verlangt Einfallsreichtum<br />

<strong>der</strong> Gruppe. Es gilt eine Taktik<br />

und die geeignete Person für die<br />

Aufgabe zu fin<strong>den</strong>. Die wichtigste<br />

Funktion des Betreuers o<strong>der</strong> Spielleiters<br />

liegt in <strong>der</strong> Sicherheitsüberwachung.<br />

Er hat darauf zu achten,<br />

dass das Kletterseil richtig an <strong>den</strong><br />

Baum geknotet ist und dass sowohl<br />

Klettergurt als auch Helm<br />

ordnungsgemäß angelegt sind.<br />

Man sollte dieses Spiel auf keinen<br />

Fall mit Kin<strong>der</strong>n unter 18 Jahren<br />

spielen. Der Betreuer müßte voraussichtlich<br />

aus sichterheitstechnischen<br />

Grün<strong>den</strong> oft eingreifen<br />

und würde so die Eigeninitiative<br />

<strong>der</strong> Teilnehmer unterdrücke. Damit<br />

wäre <strong>der</strong> Zweck des Spieles verfehlt.<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_113<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />

Das Spinnennetz<br />

Ziel: Erlernen von Problemlösungsstrategien,<br />

Zusammenarbeit; För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Diskussionsfähigkeit.<br />

Teilnehmer: 10 –12<br />

Alter: ab 14 Jahre<br />

Material: - zwei Bäume im Abstand von<br />

ca. 4m<br />

- ein langes Seil o<strong>der</strong> Nylonschnur<br />

Beschreibung: Zwischen <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> Bäumen wird<br />

ein Spinnennetz mit Hilfe des Seils<br />

gespannt. Es sollte 0,5 m über dem<br />

Bo<strong>den</strong> beginnen und eine Höhe<br />

von 2m haben. Je nach Teilnehmerzahl<br />

müssen zwischen 10 –12<br />

Löcher in dem Netz in verschie<strong>den</strong>en<br />

Höhen vorhan<strong>den</strong> sein.<br />

Aufgabe <strong>der</strong> Gruppe ist es, alle<br />

Teilnehmer durch die Löcher im<br />

Netz zu schleusen, wobei jede<br />

Berührung des Netzes untersagt<br />

ist.<br />

Wenn das Netz berührt wurde,<br />

muss die gesamt Gruppe von vorn<br />

beginnen. Außerdem darf jedes<br />

Loch nur einmal benutzt wer<strong>den</strong>.<br />

Derjenige, <strong>der</strong> einmal durch das<br />

Netz hindurch ist, darf nicht mehr<br />

auf die an<strong>der</strong>e Seite zurück, um<br />

<strong>den</strong> Restlichen zu helfen. Die Hilfe<br />

kann nur auf <strong>der</strong> Seite geschehen,<br />

auf <strong>der</strong> er sich im Moment befindet.<br />

Variationen: (1)Wenn jemand das Netz berührt,<br />

muss nicht die ganze Gruppe noch<br />

mal beginnen; <strong>der</strong> Befreffende<br />

114_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

bekommt stattdessen eine beson<strong>der</strong>e<br />

Aufgabe: sich die Augen zu<br />

verbin<strong>den</strong>, ein Lied beim Durchsteigen<br />

des Netzes zu singen, eine<br />

o<strong>der</strong> beide Hände auf <strong>den</strong> Rücken<br />

zu bin<strong>den</strong>, einen <strong>Gegen</strong>stand mit<br />

durch das Netz zu nehmen, etc.<br />

(2) Der Spielleiter kann als zusätzliches<br />

„Loch“ <strong>den</strong> Weg unter dem<br />

Netz, jedoch nicht über dem Netz<br />

anbieten.<br />

Erfahrungen: Diese Übung för<strong>der</strong>t neben dem<br />

Erlernen von Problemlösungensstrategien<br />

(Aufgabe akzeptieren,<br />

Plan fassen und ausprobieren) die<br />

Zusammenarbeit und die Diskussionsfähigkeit<br />

einer Gruppe, da sie<br />

wie die an<strong>der</strong>en von einem Individuum<br />

nicht zu lösen ist.<br />

Der Spielleiter sollte zu Beginn<br />

betonen, dass es sich bei dieser<br />

Übung um eine Gruppenaktivität<br />

handelt. Die Aufgabe ist erst erfüllt,<br />

wenn alle Gruppenmitglie<strong>der</strong><br />

die an<strong>der</strong>e Seite des Netzes erreicht<br />

haben. Es wird wahrscheinlich<br />

einige geben, die sich sofort<br />

ein für sie leichtes Loch aussuchen.<br />

Wie die restlichen Teilnehmer<br />

hinüberkommen, ist ihnen im<br />

ersten Moment nicht so wichtig.<br />

Ansonsten kann ich diese Übung<br />

nur empfehlen, sie weckt großen<br />

Ehrgeiz, da sie am Anfang fast<br />

unmöglich zu lösen erscheint.<br />

Aus: Reiners, Annette: Praktische Erlebnispädagogik,<br />

Alling, 1997


Konkurrenz unter Jungen<br />

- möglicher Auslöser von Gewalt<br />

Einleitung: Ist die Konkurrenz unter Jungen das<br />

auslösende Moment für Gewalt? Geht<br />

man <strong>der</strong> ursprünglichen Bedeutung<br />

von Konkurrenz nach, so bedeutet es<br />

im Lateinischen: Wettstreit. Sicherlich<br />

im klassischen Sinne von fairem Wettstreit.<br />

In unserer Zeit ist damit stärker<br />

<strong>der</strong> Akzent des Ausstechens, besser<br />

sein als <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e verbun<strong>den</strong>. Jungen<br />

stehen in ständigem Wettstreit, in<br />

ständiger Konkurrenz zu einan<strong>der</strong>.<br />

Beobachten können wir das an ständigen<br />

Rangeleien und Schubsereien.<br />

Darüber hinaus sind Jungen häufig in<br />

Situationen des sich gegenseitig<br />

Ausstechens verwickelt. Egal ob es um<br />

Kleidung, um Cool sein, um körperliche<br />

Leistung, Rauchen, Alkohol, o<strong>der</strong><br />

Mädchen geht. In diesen täglichen<br />

kleinen Auseinan<strong>der</strong>setzungen lernen<br />

sie unter an<strong>der</strong>em Durchsetzungsvermögen<br />

und Willensstärke.<br />

Doch wird es <strong>den</strong> Jungen zum Verhängnis,<br />

wenn sich diese Dynamik<br />

verselbstständigt, o<strong>der</strong> wenn sie<br />

ausschließlich von solchen tagtäglichen<br />

Bestätigungen durch Rangeleien<br />

abhängig wer<strong>den</strong>. In <strong>der</strong> Übersteigerung<br />

dieses Bedürfnisses liegt die<br />

Gefahr. Jungen geht es häufig darum,<br />

in <strong>der</strong> Selbstdarstellung und Außenwirkung<br />

immer ein wenig an<strong>der</strong>s,<br />

besser dazustehen, als die An<strong>der</strong>en.<br />

Ein wenig mehr Aufmerksamkeit für<br />

sich zu bekommen, ein bisschen mehr<br />

zu sein als <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e. Dabei ist <strong>der</strong><br />

Kern <strong>der</strong> Streites eigentlich ziemlich<br />

nebensächlich. Das Prinzip des Konkurrierens,<br />

des Ausstechens an sich ist<br />

wichtig. In diesem Prozess gibt es<br />

Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />

immer zwei Seiten: einen Gewinner<br />

und einen Verlierer. Ist es erreicht, die<br />

Überlegenheit o<strong>der</strong> eigene Bedürfnisse<br />

zu demonstrieren, hat das Verhalten<br />

auch immer einen Verlierer produziert,<br />

<strong>der</strong> kleiner, schwächer, weniger, hässlicher<br />

ist, als man selbst.<br />

Jungen, die sich häufig in <strong>der</strong> Verliererposition<br />

wie<strong>der</strong>fin<strong>den</strong>, sehen sich, um<br />

ihr Selbstwertgefühl wie<strong>der</strong> aufzubauen,<br />

zunehmend in die Situation<br />

gedrängt, mit „aller Gewalt” ihre<br />

Persönlichkeit o<strong>der</strong> ihre Position in <strong>der</strong><br />

Gruppe verteidigen zu müssen. Sie<br />

überschreiten in ihrem übersteigerten<br />

Eifer dann häufig die Grenzen an<strong>der</strong>er.<br />

Verliert ein Junge diese Konkurrenz<br />

zum gleichen Geschlecht, so besteht<br />

für ihn immer noch die Möglichkeit,<br />

seine Überlegenheit gegenüber Mädchen<br />

zu betonen. „Ich war besser, als<br />

das beste Mädchen”. Somit kann er<br />

seinen angekratzten Selbstwert wenigstens<br />

teilweise zurückzugewinnen.<br />

Das Prinzip des Konkurrierens ist im<br />

männlichen Denken fest verankert und<br />

bestimmt das Verhalten zu <strong>den</strong> Geschlechtsgenossen.<br />

Der Mythos des<br />

„Einzelkämpfers” ( Ich schaffe das<br />

schon alleine ), steht <strong>der</strong> Solidarität<br />

unter Jungen im Wege. Somit wird eine<br />

vertrauensvolle und hilfsbereite Atmosphäre<br />

zwischen <strong>den</strong> Jungen verhin<strong>der</strong>t.<br />

Spiel: Der große Reiz<br />

Thema: Gewalt und Aggression<br />

Einleitung:Eine Aufgabe <strong>der</strong> Arbeit mit Jungen ist<br />

es, sie aus diesen Konkurrenzsituati-<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_115<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />

onen herauszuholen, ihre Solidarität<br />

untereinan<strong>der</strong> zu för<strong>der</strong>n<br />

und somit zur Vermeidung von<br />

Gewaltanwendung beizutragen.<br />

Dazu ist es erfor<strong>der</strong>lich ihnen<br />

diese Konkurrenzsituationen vor<br />

Augen zu führen und gemeinsam<br />

nach Alternativlösungen zu<br />

suchen.<br />

Aufgabe ist es, sie von dem<br />

Zwang zu befreien, immer besser,<br />

schneller o<strong>der</strong> stärker sein<br />

zu müssen als <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e. Das<br />

folgende Spiel bietet Jungen die<br />

Möglichkeit im spielerischen<br />

Wettstreit an<strong>der</strong>e Verhaltensweisen<br />

anzu<strong>den</strong>ken, bzw. im Rollenspiel<br />

auszuprobieren und als<br />

mögliche Verhaltensmuster für<br />

sich kennenzulernen.<br />

Zielgruppe: Jungen im Alter ab 12 Jahren; auf<br />

Freizeiten und in Gruppenstun<strong>den</strong><br />

entwe<strong>der</strong> aus einer<br />

Jugendgruppe, Konfirman<strong>den</strong>gruppe,<br />

o<strong>der</strong> einer Projektgruppe<br />

in einer Schule.<br />

Teilnehmerzahl mindestens 8<br />

Dauer: ca. 2 Stun<strong>den</strong><br />

Zielformulierung: Die Jungen sollen in einer spielerischen<br />

Situation im Wettstreit<br />

um Punkte Konflikt und Konkurrenzsituationen<br />

gewaltfrei<br />

lösen lernen. Sie sollen erleben,<br />

dass Nachgeben nicht „uncool<br />

sein“ bedeutet. Sie sollen erleben,<br />

dass an<strong>der</strong>e Jungen ähnliche<br />

Erfahrungen im Erleben von<br />

Konkurrenz machen.<br />

Ablauf: Der große Reiz ( in Anlehnung an<br />

die Fernsehsendung „Der große<br />

116_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Preis”) kann in vielen verschie<strong>den</strong>en<br />

Ausprägungen und unter<br />

verschie<strong>den</strong>sten Themenstellungen<br />

gespielt wer<strong>den</strong>. Wichtig<br />

hierbei ist, dass Fragen und<br />

Aufgaben von <strong>den</strong> Leiten<strong>den</strong><br />

selbst ausgesucht und durchdacht<br />

wor<strong>den</strong> und auf die Gruppe<br />

abgestimmt wor<strong>den</strong> sind.<br />

Somit sind die hier abgedruckten<br />

Fragen und Aufgaben als<br />

Anregung zu verstehen.<br />

Als Leitung muss ich mir die<br />

Fragen selbst zutrauen, um ein<br />

Gespür zu haben, was <strong>den</strong><br />

Jungen bei <strong>der</strong> Beantwortung an<br />

Gefühlen begegnen kann.<br />

Zu Beginn des Spiels wer<strong>den</strong><br />

Kleingruppen von 2 - 4 Spielern<br />

gebildet, die sich bei <strong>der</strong> Beantwortung<br />

<strong>der</strong> Fragen o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong><br />

Erfüllung <strong>der</strong> Aufgabe unterstützen.<br />

Die erste Aufgabe <strong>der</strong><br />

Kleingruppe vor Spielbeginn ist<br />

es, sich einen Namen zu geben.<br />

Nun beginnt ein Team von <strong>den</strong><br />

verdeckten, nur mit Punktzahlen<br />

versehenen Fel<strong>der</strong>n zu <strong>den</strong><br />

verschie<strong>den</strong>en Überschriften<br />

eine Frage auszuwählen. Das<br />

gewählte Feld wird umgedreht<br />

und die Frage/Aufgabe laut<br />

vorgelesen. Das Recht des<br />

Wählens geht nach je<strong>der</strong> Frage<br />

zum nächsten Team über. Die<br />

Punktevergabe o<strong>der</strong> Lösung <strong>der</strong><br />

Aufgabe entscheidet nicht die<br />

Spielleitung, son<strong>der</strong>n alle urteilen<br />

über Antwort und Punkteverteilung.<br />

aus: Halbe Hem<strong>den</strong> - ganze Kerle<br />

Landesstelle Jugendschutz Nie<strong>der</strong>sachsen


Jungen<br />

Zähle vier Möglichkeiten<br />

auf, wie Jungen<br />

einen Streit/Konflikt<br />

been<strong>den</strong> können? WeIche<br />

Möglichkeit wählst<br />

Du am häufigsten?<br />

Zähle Gründe auf<br />

warum Jungen sich<br />

prügeln? Welche Gründe<br />

kennst Du von Dir?<br />

Du hast einen heftigen<br />

Streit mit Deinem Vater<br />

über das Schuleschwänzen.<br />

Spiel die<br />

Streitsituation nach.<br />

Spiele ein Gespräch<br />

von zwei Jungen in<br />

Deinem Alter mit <strong>der</strong><br />

Frage nach: Was fin<strong>den</strong><br />

Jungen so interessant<br />

an Rambo?<br />

Jungen<br />

20<br />

40<br />

60<br />

80<br />

Lösungen<br />

WeIches Signal/Äußerung<br />

würde Dich stoppen,<br />

weiter auf einen<br />

an<strong>der</strong>en einzuschlagen?<br />

Joker<br />

Erzähle eine Begebenheit<br />

von Dir, in <strong>der</strong> Du<br />

gestritten hast, und<br />

vielleicht auch geschlagen<br />

hast? Wie bist Du<br />

da für Dich zu einem<br />

Ende gekommen?<br />

Folgende Situation: Du<br />

betrittst eine Straßenbahn.<br />

Es ist nur ein<br />

Sitzplatz frei. Ein<br />

Klassenkamerad, <strong>den</strong><br />

Du nicht lei<strong>den</strong> kannst<br />

versucht es ebenfalls.<br />

Was passiert?<br />

Lösungen<br />

20<br />

40<br />

60<br />

80<br />

Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />

Gewalt<br />

VervolIständige folgen<strong>den</strong><br />

Satz in drei Varianten.<br />

Gewalt ist, wenn ...<br />

Assoziiere Worte zum<br />

Thema Gewalt mit <strong>den</strong><br />

Anfangsbuchstaben von<br />

Gewalt: G -E-W -A -L-T<br />

Gibt es für Dich eine<br />

Grenze zwischen Gewalt<br />

und Aggression?<br />

Wo ist sie? Beschreibe<br />

<strong>den</strong> Unterschied mit<br />

Deinen Worten.<br />

Beschreibe eine Situation,<br />

Begebenheit in<br />

<strong>der</strong> Du Opfer gewor<strong>den</strong><br />

bist. Welche Gefühle<br />

sind da bei Dir hochgekommen?<br />

Gewalt<br />

20<br />

40<br />

60<br />

80<br />

Konflikte<br />

Beschreibe das Bild.<br />

Was geht in Dir vor<br />

wenn Du es siehst?<br />

Beschreibe eine Situation,<br />

in <strong>der</strong> Du Dich körperlich<br />

gewehrt hast.<br />

Was hast Du gefühlt?<br />

Beschreibe einen<br />

Konflikt, <strong>der</strong> Dich<br />

innerlich hin und her<br />

gerissen hat. Wie bist<br />

Du da wie<strong>der</strong> herausgekommen?<br />

Beschreibe, wie Du<br />

Dich abregst, wenn Du<br />

Dich ins Unrecht gesetzt<br />

fühlst. Welche<br />

Möglichkeiten hast<br />

Du?<br />

Konflikte<br />

20<br />

40<br />

60<br />

80<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_117<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />

Lebenskurve: Erfahrungen von Gewalt<br />

Einleitung: JedeR von uns hat Gewalt in<br />

unterschiedlicher Form in<br />

ihrem/seinem Leben schon<br />

einmal erfahren. Diese Einheit<br />

gibt die Möglichkeit sich<br />

im vertrauten Rahmen über<br />

Gewalterfahrungen auszutauschen<br />

und Solidarität in <strong>der</strong><br />

erlebten Situation durch die<br />

Äußerungen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Teilnehmen<strong>den</strong> zu erfahren.<br />

Zielgruppe: Diese Einheit erfor<strong>der</strong>t ein<br />

hohes Maß an Vertrauen<br />

innerhalb <strong>der</strong> Gruppe und zur<br />

Gruppenleitung. Die Teilnehmen<strong>den</strong><br />

sollten sich gut<br />

kennen. Vielleicht auf einer<br />

gemeinsamen Freizeit sein,<br />

o<strong>der</strong> schon eine längere Zeit<br />

in einer Gruppe zusammen<br />

sein und mindestens 16 Jahre<br />

alt sein.<br />

Zielformulierungen: Die Teilnehmen<strong>den</strong> sollen<br />

anhand <strong>der</strong> Lebenskurve<br />

konkrete Erlebnisse aus<br />

Anzahl<br />

6 •<br />

5 •<br />

4 •<br />

3 •<br />

2 •<br />

1<br />

•<br />

118_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

ihrem persönlichen Bereich<br />

mit Gewaltstrukturen und<br />

Gewalt benennen. In einem<br />

weiteren Schritt sollen die<br />

Gefühle <strong>der</strong> Teilnehmen<strong>den</strong><br />

zur Sprache kommen. Die<br />

Teilnehmen<strong>den</strong> sollen erkennen,<br />

dass sie mit ihren Gefühlen<br />

nicht allein sind.<br />

Ablauf: JedeR Teilnehmende erhält<br />

ein Arbeitsblatt mit dem<br />

Koordinatenkreuz „Lebenskurve”.<br />

Die Teilnehmen<strong>den</strong><br />

tragen ihre individuellen<br />

Erfahrungen in das Arbeitsblatt<br />

ein.<br />

Auswertung: In welchen Situationen habe<br />

ich Gewalt erlebt?<br />

Welche Person waren / sind<br />

daran beteiligt?<br />

Welche Gefühle hat das bei<br />

mir ausgelöst?<br />

Wie gehe ich damit um?<br />

Wie bin ich damit umgegangen?<br />

• • • •<br />

5 10 15 20<br />

Lebensalter


Grenzen wahrnehmen<br />

Einleitung: Begeisterung kennt keine<br />

Grenzen habe ich vorhin behauptet.<br />

Im Sturme <strong>der</strong> Begeisterung<br />

kommt es schnell zu<br />

Grenzverletzungen an<strong>der</strong>er. Die<br />

folgende Übung soll Möglichkeiten<br />

aufzeigen, die eigene<br />

Grenze und die <strong>der</strong>/des An<strong>der</strong>en<br />

kennenzulernen.<br />

Zielgruppe: Die Gruppe sollte vertraut miteinan<strong>der</strong><br />

sein. Sie sollte sich<br />

entwe<strong>der</strong> auf einer Freizeit befin<strong>den</strong>,<br />

o<strong>der</strong> aber schon längere<br />

Zeit in einer Gruppe zusammen<br />

sein. Alter ab 16 Jahren.<br />

Zielformulierung: Die TN sollen ihre eigenen Grenzen<br />

deutlicher erfahren und die<br />

Grenzen an<strong>der</strong>er akzeptieren<br />

lernen. Unsichtbare persönliche<br />

Grenzen sollen durch die Übung<br />

visualisiert wer<strong>den</strong>.<br />

Ablauf: Ein TN steht auf <strong>der</strong> einen Seite<br />

des Raumes mit dem Gesicht<br />

Burgspiel<br />

Einleitung: Grenzüberschreitungen sind ein<br />

gewaltsames Eindringen in <strong>den</strong><br />

Persönlichkeitsbereich an<strong>der</strong>er.<br />

Grenzverletzungen geschehen<br />

manchmal auch unbewußt.<br />

Die folgende Übung will die<br />

Grenzen in Form eines Spieles<br />

deutlich machen und <strong>den</strong> Teilnehmen<strong>den</strong><br />

Wege eröffnen,<br />

Grenzen nicht gewaltsam und<br />

unbewusst zu überschreiten.<br />

Durch diese Übung wer<strong>den</strong> die<br />

Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />

zur Wand. Der/die an<strong>der</strong>e TN<br />

steht auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite des<br />

Raumes, das Gesicht auf <strong>den</strong><br />

Rücken des an<strong>der</strong>en gerichtet.<br />

Auf Kommando des 1. TN setzt<br />

sich <strong>der</strong> 2. TN langsam in Bewegung,<br />

Richtung 1. TN. DieseR<br />

versucht das langsam Näherkommen<br />

des 2. TN zu erspüren<br />

und sagt „Stopp” wenn es ihm/<br />

ihr zu dicht wird. Dann dreht er/<br />

Sie sich um und betrachtet die<br />

Entfernung zum 2. TN.<br />

Auswertung: Wie dicht habe ich <strong>den</strong> 2. TN an<br />

mich herangelassen?<br />

War meine Vermutung mit <strong>der</strong><br />

tatsächlichen Entfernung i<strong>den</strong>tisch?<br />

Was hab ich in meinem Rücken<br />

gespürt?<br />

Wo liegt meine körperliche<br />

Grenze?<br />

Wie ist es mir mit dem auf<br />

<strong>den</strong> an<strong>der</strong>en Zugehen ergangen?<br />

Teilnehmen<strong>den</strong> in ihrer Kreativität<br />

und Sensibilisierung für<br />

einan<strong>der</strong> gestärkt.<br />

Zielgruppe: Dieses Spiel eignet sich für<br />

Gruppen auf Freizeiten o<strong>der</strong><br />

auch im Schulbereich.<br />

Alter ab 12 Jahren, aber auch für<br />

jüngere.<br />

Zielformulierung: Die Teilnehmen<strong>den</strong> sollen<br />

Grenzen erkennen und durch<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_119<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />

Burgspiel (Variante)<br />

Kreativität vorsichtig öffnen<br />

lernen.<br />

Ablauf: Es wird eine Mädchen- und eine<br />

Jungengruppe gebildet. Die einen<br />

gehen hinaus, die an<strong>der</strong>en<br />

bil<strong>den</strong> einen dichten Kreis und<br />

setzten sich auf <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong>. Sie<br />

verabre<strong>den</strong> ein Zeichen auf das<br />

hin sich <strong>der</strong> Kreis öffnen (Bein<br />

streicheln, Ärmel aufkrempeln,<br />

sanft am Ohrläppchen zupfen,<br />

o.ä.). Die Gruppe von draußen<br />

kommt herein und versucht das<br />

Zeichen zu fin<strong>den</strong>, in dem sie<br />

mögliche Verhaltensweisen<br />

gemeinsam ausprobieren. Die<br />

Zielformulierung: Einübung (gewaltfreier) Problemlösungen<br />

Ablauf: Eine Gruppe wird in zwei Kleingruppen<br />

unterteilt. Die einen<br />

gehen Hinaus. Die an<strong>der</strong>en<br />

bil<strong>den</strong> einen dichten Kreis auf<br />

dem Bo<strong>den</strong>. Die Gruppe von<br />

außen hat als Ziel in die Burg zu<br />

gelangen. Die Gruppe von innen<br />

soll das verhin<strong>der</strong>n.<br />

Auswertung: Die TN sowohl in <strong>der</strong>, als auch<br />

außerhalb <strong>der</strong> Burg sollten<br />

über ihre Erfahrungen/Gefühle<br />

re<strong>den</strong>. Dabei sollte<br />

Praxisbeispiel (Väter) für die thematische Arbeit<br />

mit Jungen (männlichen Jugendlichen):<br />

Gemischtgeschlechtliche Gruppen können in zwei<br />

geschlechtshomogene Untergruppen aufgeteilt<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

120_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Personen im Kreis lassen sich<br />

z. B. auf die Nase stupsen und<br />

öffnen <strong>den</strong> Kreis erst wenn das<br />

verabredete Zeichen von einem<br />

gefun<strong>den</strong> wurde.<br />

Auswertung: Die Teilnehmen<strong>den</strong> sowohl in<br />

<strong>der</strong>, als auch außerhalb <strong>der</strong><br />

Burg sollten über ihre Erfahrungen/Gefühle<br />

re<strong>den</strong> können.<br />

Anmerkung: Wichtigste Regel für dieses<br />

Spiel ist kein aggressives, o<strong>der</strong><br />

unangenehmes Verhalten zuzulassen.<br />

Es geht um kreative<br />

Ideen im Blick auf Grenzöffnungen.<br />

auch thematisiert wer<strong>den</strong>, wie<br />

eine Lösung zustande kam<br />

und wie die Gruppe kooperiert<br />

hat.<br />

Anmerkung: Kommt es zu einem konfrontativem<br />

Verhalten <strong>der</strong> äußeren<br />

Gruppe, lässt sich daran sehr<br />

gut über das Thema Gewalt<br />

re<strong>den</strong>. In einem zweiten Durchgang<br />

kann sehr gut die an<strong>der</strong>e<br />

Variante des Burgspiels erprobt<br />

wer<strong>den</strong>. Wenn man vor hat,<br />

beide Varianten auszuprobieren,<br />

sollte diese Variante zuerst<br />

durchgeführt wer<strong>den</strong>.<br />

Lies <strong>den</strong> Text bis zum Ende durch.<br />

(Wenn möglich, die Musikversion von <strong>der</strong> Gruppe<br />

„Die Ärzte“ anhören.)


Was für ein Männerbild wird hier transportiert<br />

bzw. welche männlichen Rollenzuschreibungen<br />

wer<strong>den</strong> thematisiert?<br />

Welche Alternativen gibt es?<br />

Was für ein Frauenbild wird hier transportiert?<br />

Welche Möglichkeiten gibt es für Mädchen und<br />

Frauen, sich gegen männliche Gewalt zu wehren?<br />

In einer Bar sprach er<br />

mich an.<br />

Er war betrunken und<br />

er roch nach Schweiß.<br />

Er sagte: „Junge, hör<br />

mir zu, da gibt es<br />

etwas, das ich besser<br />

weiß.<br />

Die Emanzipation ist<br />

<strong>der</strong> gerechte Lohn, für die verweichlichte Männerschaft.<br />

Doch du kannst mir vertrauen zwischen Männern<br />

und Frauen,<br />

gibt es einen Unterschied, <strong>der</strong> ganz gewaltig klafft.“<br />

Und was ich dann hörte, was mich total empörte,<br />

es wie<strong>der</strong>zugeben fehlt mir fast die Kraft.<br />

Er sagte: Manchmal, aber nur manchmal, haben<br />

Frauen ein kleines bisschen Haue gern.<br />

Manchmal, aber nur manchmal, haben Frauen ein<br />

kleines bisschen Haue gern.<br />

Ich sagte: „Laß´ mich in Ruh´. Ich hör´ Dir nicht<br />

mehr zu, Du stinkbesoffenes Machoschwein!“<br />

Das hörte er nicht gern. Er fing an, an mir zu zerren.<br />

Kurz darauf fing ich mir eine ein.<br />

Er schrie: „Stell´ Dich nicht blind! Du bist doch kein<br />

Kind. Ich mach Dich alle, dann weißt Du Bescheid!“<br />

Doch statt mir noch eine zu zimmern, fing er an zu<br />

wimmern, jetzt tat <strong>der</strong> Typ mir plötzlich leid.<br />

Er fing an zu flehen, ich sollte endlich verstehen.<br />

Sein Mundgeruch brachte mir Übelkeit.<br />

Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />

Manchmal haben Frauen…<br />

Die Ärzte (M/T: Felsenheimer)<br />

Was passiert (worin liegt die Gefahr), wenn Radiosen<strong>der</strong><br />

das Lied nicht bis zum Ende ausspielen?<br />

Wird das Lied <strong>der</strong> tatsächlichen Gewalt gegen<br />

Mädchen und Frauen gerecht?<br />

Ist die Art und Weise des Liedes geeignet, das<br />

Problem <strong>der</strong> Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />

angemessen zu problematisieren?<br />

Er sagte: Manchmal, aber nur manchmal, haben<br />

Frauen ein kleines bisschen Haue gern.<br />

Manchmal, aber nur manchmal, haben Frauen ein<br />

kleines bisschen Haue gern.<br />

Ich stieß ihn weg und rannte nach Haus´, das<br />

mußte ich meiner Freundin erzählen.<br />

Ich ließ nichts aus, es sprudelte aus mir raus. Die<br />

Ungewissheit fing an mich zu quälen.<br />

Das war mir noch nie passiert. Ich war wie traumatisiert,<br />

und etwas neugierig war ich auch.<br />

Da lächelte sie und hob ihr Knie, und rammte es<br />

mit voller Wucht in meinen Bauch.<br />

Als ich nach Atem rang und ihre Stimme erklang,<br />

umwehte sie ein eisiger Hauch.<br />

Sie sagte: Manchmal, aber nur manchmal, haben<br />

Frauen ein kleines bisschen Haue gern.<br />

Manchmal, aber nur manchmal, haben Frauen ein<br />

kleines bisschen Haue gern.<br />

Immer, ja wirklich<br />

immer, haben<br />

Typen wie<br />

Du, was auf die<br />

Fresse verdient.<br />

Immer, ja wirklich<br />

immer, haben<br />

Typen wie<br />

Du, was auf die<br />

Fresse verdient.<br />

© Sascha Lüthje<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_121<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />

Begeisterung kennt keine Grenzen<br />

Wer lässt sich nicht gerne von etwas begeistern?<br />

Ich je<strong>den</strong>falls bin mit Begeisterung bei vielen<br />

Aktionen dabei, sei es nun das Spielen, eine Sportveranstaltung<br />

meines Lieblingsvereins o<strong>der</strong> aber<br />

bei meiner Lieblingsmusik auf einem Konzert.<br />

Begeisterung ist für mich eine gefühlsmäßige<br />

Zustimmung zu einer Sache/Idee/Aktion, o.ä. In<br />

<strong>der</strong> evangelischen Jugendarbeit versuchen wir mit<br />

unseren Angeboten Jugendliche und Kin<strong>der</strong> zu<br />

begeistern. Deshalb sind unsere Angebote zum<br />

einen sehr vielfältig, und zum an<strong>der</strong>en haben sie<br />

einen hohen Begeisterungswert. Begeisterung<br />

wird in Freizeiten, Aktionen, Spielsituationen,<br />

Konzerten und Gottesdiensten erlebbar.<br />

Durch die Erlebnisgesellschaft hervorgerufen, wird<br />

<strong>der</strong> Drang zu immer mehr Erleben und Begeisterung<br />

größer. Die Schwelle <strong>der</strong> Begeisterungsfähigkeit<br />

steigt an und erfor<strong>der</strong>t somit ein ständig<br />

sich selbst übertreffendes Erlebnisangebot (Kick,<br />

Events, Thrill).<br />

Allerdings bedeutet Begeisterung noch keine<br />

eindeutige I<strong>den</strong>tifikation o<strong>der</strong> reflektierte Zustimmung<br />

mit <strong>der</strong> Sache an sich, son<strong>der</strong>n sie beinhaltet,<br />

dass ich mich emotional von dem Geist, <strong>der</strong><br />

dieser Sache/Aktion/Idee innewohnt, anstecken<br />

und mittragen lasse. Dieses „unreflektierte Verhalten”<br />

birgt die Gefahr des Umkippens <strong>der</strong> Begeisterung<br />

in Gewalt o<strong>der</strong> Euphorie. Wie schnell kann<br />

Begeisterung kennt keine Grenzen<br />

Einleitung: Menschen lassen sich von unterschiedlichen<br />

Dingen und auch<br />

unterschiedlich stark o<strong>der</strong><br />

schnell begeistern. Die folgende<br />

Übung für Jugendliche ab<br />

12 Jahren auf einer Freizeit o<strong>der</strong><br />

während einer Gruppen-/Schulstunde<br />

bietet die Möglichkeit,<br />

122_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

aus <strong>der</strong> Begeisterung für einen Fußballverein in<br />

<strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit an<strong>der</strong>en Vereinen im<br />

Falle einer sportlichen Nie<strong>der</strong>lage „eine gewaltige<br />

Begeisterung” wer<strong>den</strong>.<br />

Begeisterung für eine Person, eine Idee, die in<br />

Euphorie umschlägt und zur Folge hat, dass eigenes<br />

Verhalten grenzenlos wird und die Grenzen<br />

an<strong>der</strong>er überschreitet. Zum Beispiel, wenn ich<br />

versuche eine An<strong>der</strong>e/einen An<strong>der</strong>en von meiner<br />

Idee „mit Gewalt” zu überzeugen.<br />

An<strong>der</strong>erseits ist Begeisterung für das eigene Erleben<br />

von großer Bedeutung, <strong>den</strong>n sie wird<br />

zur eigenen Antriebsfe<strong>der</strong>, zum Motor meines<br />

Handelns für/in dieser Angelegenheit. Ein reflektiertes<br />

Verhalten meinerseits macht aus <strong>der</strong><br />

Begeisterung stärker ein zielgerichtetes Interesse.<br />

Insofern schwankt Begeisterung immer zwischen<br />

<strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong> Grenzüberschreitung, sowohl<br />

meiner eigenen Grenze, als auch <strong>der</strong> an<strong>der</strong>er<br />

Menschen.<br />

In <strong>der</strong> pädagogischen Arbeit mit Kin<strong>der</strong>n und<br />

Jugendlichen soll es auch darum gehen, diese<br />

Gradwan<strong>der</strong>ung zwischen Begeisterung und<br />

Gewalt deutlich zu machen und die Sensibilität für<br />

<strong>den</strong> „Punkt des Kippens” zu erfahren. Die folgen<strong>den</strong><br />

Übungen bieten dazu Gelegenheit und Anregungen.<br />

die verschie<strong>den</strong>en Formen von<br />

Begeisterung sichtbar wer<strong>den</strong> zu<br />

lassen.<br />

Zielformulierung:Die Teilnehmen<strong>den</strong> sollen erleben,<br />

dass Begeisterung individuell<br />

unterschiedlich geäußert<br />

und wahrgenommen wird.


Ablauf: Alle Teilnehmen<strong>den</strong> stehen im<br />

Kreis und wer<strong>den</strong> aufgefor<strong>der</strong>t<br />

Begeisterung gleichzeitig pantomimisch<br />

darzustellen. Die<br />

Unterschiede im Ausdruck von<br />

Begeisterung wer<strong>den</strong> sicherlich<br />

deutlich wer<strong>den</strong>.<br />

Auswertung: Welche Form des Ausdrucks von<br />

Begeisterung habe ich für mich<br />

gewählt?<br />

Welche Formen habe ich bei <strong>den</strong><br />

an<strong>der</strong>en gesehen?<br />

Gruppenarbeit zum Thema Begeisterung<br />

Einleitung: In <strong>der</strong> vorangegangen Übung ist<br />

die Unterschiedlichkeit von Begeisterung<br />

deutlich gewor<strong>den</strong>.<br />

Ebenso unterschiedlich sind die<br />

Dinge/Aktionen für die Menschen<br />

sich begeistern können.<br />

In <strong>der</strong> folgen<strong>den</strong> Gruppenstunde<br />

sollen die Teilnehmen<strong>den</strong> die<br />

Gelegenheit erhalten, sich über<br />

ihre Bereiche <strong>der</strong> Begeisterung<br />

auszutauschen.<br />

Zielformulierung: Die Teilnehmen<strong>den</strong> sollen durch<br />

<strong>den</strong> Austausch erfahren, dass<br />

Menschen sich für unterschiedliche<br />

Dinge begeistern können. Sie<br />

sollen die Begeisterung an<strong>der</strong>er<br />

für an<strong>der</strong>e Dinge akzeptieren lernen<br />

und diese nicht bewerten.<br />

Ablauf: 1. Schritt: Einzelarbeit:<br />

Die Teilnehmen<strong>den</strong> erhalten das<br />

Arbeitsblatt und bearbeiten<br />

dieses jedeR für sich alleine<br />

unter folgen<strong>der</strong> Fragestellung:<br />

Wovon lässt du dich begeistern?<br />

Wofür kannst du dich begeistern?<br />

Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />

Alternative: Es wer<strong>den</strong> Bil<strong>der</strong> von Menschen<br />

in Situationen <strong>der</strong> Begeisterung<br />

ausgelegt. JedeR Teilnehmende<br />

kann sich ein Bild auswählen<br />

und dann in einer Austauschrunde<br />

begrün<strong>den</strong>:<br />

❒ Musik<br />

❒ Sportarten überhaupt<br />

❒ Fußball<br />

❒ Personen<br />

❒ Aktionen<br />

❒ Ideen<br />

❒ Hobbys<br />

❒ Autos<br />

❒ Technik<br />

❒ Freizeiten<br />

❒ Fernsehen<br />

❒ ______________<br />

❒ ______________<br />

Warum habe ich dieses Bild<br />

gewählt hat?<br />

Was ist das Begeisternde für<br />

mich an dieser Situation?<br />

Kenne ich ähnliche Situationen<br />

von mir?<br />

2. Schritt: Kleingruppenarbeit:<br />

Die Teilnehmen<strong>den</strong> tauschen<br />

ihre Einzelergebnisse in Kleingruppen<br />

zu 5 Personen aus und<br />

stellen Gemeinsamkeiten bzw.<br />

Unterschiede fest. Sie erstellen<br />

eine Hit-Liste <strong>der</strong> drei meistgenannten<br />

Bereiche.<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_123<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />

3. Schritt: Plenum:<br />

Im Plenumsgespräch wer<strong>den</strong> die<br />

„Hit - Listen <strong>der</strong> Begeisterung<br />

vorgestellt und auf Mehrfachnennungen<br />

überprüft. Ein Gruppentrend<br />

kann sichtbar wer<strong>den</strong>.<br />

4. Schritt: Einzelarbeit im Plenum<br />

Die Teilnehmen<strong>den</strong> sollen folgen<strong>den</strong><br />

Fragen für sich beantworten.<br />

Was ist es genau, was<br />

dich begeistert? Wie äußert sich<br />

deine Begeisterung?<br />

124_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Was bist du bereit dafür zu tun?<br />

Wo gibt es für dich Grenzen?<br />

Der Austausch erfolgt im Plenumsgespräch.<br />

Anmerkung: Antworten und Einschätzungen<br />

sollen besprochen und diskutiert<br />

wer<strong>den</strong>. Eine Bewertung<br />

<strong>der</strong> Aussagen ist, auch von <strong>den</strong><br />

Teilnehmen<strong>den</strong>, bewusst zu<br />

vermei<strong>den</strong>.<br />

Martin Bauer


Gewaltorientierte Spiele mit <strong>der</strong> Playstation - ein Selbstversuch<br />

Gewaltorientierte Spiele mit <strong>der</strong> Playstation<br />

- ein Selbstversuch<br />

1. Die Idee<br />

Immer wie<strong>der</strong> wird diskutiert, ob gewaltbetonte<br />

Filme und Spiele Jugendliche dazu bringen, auch<br />

selbst häufiger Gewalt anzuwen<strong>den</strong>. Wir haben die<br />

Probe auf’s Exempel gemacht und uns selbst<br />

getestet. Wir wollten herausfin<strong>den</strong> und wahrnehmen,<br />

wie wir uns während des Spiels verhalten<br />

und ob unmittelbare Wirkungen beobachtbar sind.<br />

Natürlich ist auf diese Weise nicht zu ermitteln,<br />

wie häufiges Spielen sich langfristig auswirkt.<br />

Durch <strong>den</strong> Selbstversuch wer<strong>den</strong> Jugendliche aber<br />

auf die Möglichkeit dieses Effektes aufmerksam<br />

gemacht und für Nebenwirkungen ihrer Spielbegeisterung<br />

sensibilisiert. Dabei ist entschei<strong>den</strong>d,<br />

dass sie durch gegenseitige Beobachtung<br />

lernen und nicht Erwachsene als „Spielver<strong>der</strong>ber”<br />

ihre Lieblingsspiele verteufelen.<br />

Und ganz ehrlich: Playstationspiele machen Spaß!<br />

Wir haben sogar diskutiert, ob es sich dabei nicht<br />

um eine Art Geländespiel mit fortgesetzten Mitteln,<br />

nämlich im Cyberspace, handelt.<br />

2. Der Versuchsaufbau<br />

Pro 6 Teilnehmer wer<strong>den</strong> benötigt: eine Playstation,<br />

Spiele (möglichst für zwei Spieler), ein<br />

Fernseher (möglichst großer Bildschirm; allerdings<br />

spielen viele Jugendliche auch oft auf kleineren<br />

Bildschirmen), Beobachtungsbögen, eine Uhr/<br />

Wecker, evtl. eine Videokamera mit Stativ. Der<br />

Raum wird folgen<strong>der</strong>maßen arrangiert:<br />

Der Einsatz einer Videokamera hängt von <strong>den</strong><br />

technischen Möglichkeiten ab. Er ist ausgesprochen<br />

lohnend, weil sich einzelne Sequenzen<br />

wie<strong>der</strong>holen lassen und auch die Spieler selbst<br />

Gelegenheit haben, sich zu beobachten. Ein Nachteil<br />

kann die in <strong>der</strong> Regel längere Auswertungsdauer<br />

sein. Möglicherweise besteht zu Beginn<br />

eine gewisse Kamerascheu. Wird die Kamera aber<br />

mit Stativ fest aufgebaut und läuft einfach durch,<br />

gerät sie schnell in Vergessenheit.<br />

Die Uhr wird hinter <strong>den</strong> Spielern aufgebaut. Damit<br />

wer<strong>den</strong> die Spieler nicht irritiert und die Beobachter<br />

können sich problemlos zeitlich orientieren.<br />

Eine Spielphase sollte zwischen 10 und 20 Minuten<br />

dauern, um einerseits <strong>den</strong> Spielern ein<br />

„eintauchen” in das Spiel zu ermöglichen und<br />

an<strong>der</strong>erseits die Beobachter nicht zu überfor<strong>der</strong>n.<br />

Die Zeitleiste auf dem Beobachtungsbogen ist entsprechend<br />

anzupassen. Die Beobachter schweigen<br />

während <strong>der</strong> Spielphase. Je<strong>der</strong> Beobachter ist<br />

jeweils nur für einen Mitspieler zuständig.<br />

3. Durchführung<br />

In unserem Testdurchlauf haben wir Spielphasen<br />

von 10 Minuten erprobt. Dabei füllten die Beobachter<br />

folgen<strong>den</strong> Bogen aus:<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_125<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Gewaltorientierte Spiele mit <strong>der</strong> Playstation - ein Selbstversuch<br />

Spiel:<br />

Beobachter:<br />

Beobachteter Mitspieler:<br />

➡ Beurteile die Körperhaltung/Körperspannung des Mitspielers:<br />

P entspannt ➠ sehr angespannt/engagiert<br />

nach 1 Minute ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />

nach 2 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />

nach 3 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />

nach 4 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />

nach 5 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />

nach 6 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />

nach 7 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />

nach 8 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />

nach 9 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />

nach 10 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />

➡ Welche Zeichen von Aggressivität konntest Du wahrnehmen?<br />

➡ Notiere typische (auch körperliche) Äußerungen:<br />

für die 2. Minute:<br />

für die 4. Minute:<br />

für die 6. Minute:<br />

für die 8. Minute:<br />

für die 10. Minute:<br />

126_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />


Die anschließende Reflexion erfolgte in drei bzw.<br />

vier Phasen. Der Leiter/die Leiterin kann in <strong>der</strong><br />

jeweiligen Phase einige Impulsfragen liefern:<br />

1. Phase: Zunächst durften sich die Mitspieler<br />

äußern:<br />

• Wie habt ihr euch gefühlt?<br />

• Wie habt ihr euch selbst wahrgenommen?<br />

• Habt ihr jetzt Ärger im Bauch o<strong>der</strong> eher<br />

ein Glücksgefühl?<br />

2.Phase: Die Beobachter sind an <strong>der</strong> Reihe:<br />

• Was habt ihr gesehen?<br />

3. Phase: Das Spiel insgesamt kann reflektiert<br />

wer<strong>den</strong>:<br />

• Wie wird in dem Spiel mit Gewalt<br />

umgegangen?<br />

• Was macht daran Spaß / was begeistert<br />

euch? Warum?<br />

4. Phase: Am Ende des gesamten Selbstversuchs<br />

kann eine eher allgemeine Diskussionsrunde<br />

angeschlossen wer<strong>den</strong>:<br />

• Glaubt ihr, dass die Spieler während<br />

des Spiels aggressiver gewor<strong>den</strong> sind?<br />

• Welche Spiele machen euch am meisten<br />

Spaß/bringen <strong>den</strong> größten Kick?<br />

• Haben diese Spiele irgendetwas mit<br />

dem wirklichen Leben zu tun?<br />

Es lohnt sich, alle Impulse noch einmal auf die<br />

geplante Zielgruppe hin zu durch<strong>den</strong>ken, <strong>den</strong>n von<br />

<strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Reflexionsgespräche hängt ab, ob<br />

eine Sensibilisierung für die verharmlosen<strong>den</strong><br />

o<strong>der</strong> gewaltverherrlichen<strong>den</strong> Aspekte <strong>der</strong> Spiele<br />

erreicht wird.<br />

4. Unsere Erfahrungen und Tipps zur Durchführung<br />

des Versuchs in Schulklassen und Jugendgruppen<br />

Wir haben <strong>den</strong> Playstation-Selbstversuch mit<br />

sechs 13-15jährigen Jugendlichen einer Gruppe<br />

aus <strong>der</strong> Kirchengemeinde durchgeführt. Alle waren<br />

Gewaltorientierte Spiele mit <strong>der</strong> Playstation - ein Selbstversuch<br />

interessiert dabei und haben sich anschließend<br />

auch <strong>der</strong> Diskussion gestellt.<br />

Die Beobachter konnten ermitteln, dass die Mitspieler/innen<br />

ganz unterschiedlich angespannt<br />

waren, am stärksten oft dann, wenn ihr „Leben”<br />

massiv bedroht war. Je tiefer <strong>der</strong>/die Einzelne in<br />

das Spiel eintauchte, desto häufiger kam es zu<br />

ungehemmten Spontanäußerungen wie „Wo bist<br />

du Kanake?”. Das bot wie<strong>der</strong>um gute Ansatzpunkte<br />

für die Reflexion.<br />

Die Beobachter/innen waren teilweise überfor<strong>der</strong>t.<br />

Das lag weniger an ihren Fähigkeiten, als<br />

vielmehr daran, dass sie begannen im Spiel mitzufiebern<br />

und <strong>den</strong> Spieler/innen Tipps zu geben. Es<br />

ist also wichtig, <strong>den</strong> Beobachtern räumlich eine<br />

gewisse Distanz zu schaffen, damit sie auch gedanklich<br />

Abstand halten können.<br />

Aufgrund <strong>der</strong> meist begrenzten Zeit ist nicht jedes<br />

Spiel gleichermaßen geeignet (s. Kleine Quellenkunde).<br />

Bei Schulklassen wäre zu überlegen, statt einem<br />

zwei o<strong>der</strong> drei Beobachtungs-Arrangements zu<br />

schaffen. Es war <strong>den</strong> Jugendlichen durchweg<br />

wichtig, auch selbst zum Spielen zu kommen.<br />

5. Kleine Quellenkunde zu geeigneten (aktuellen)<br />

Spielen<br />

An dieser Stelle kann nur ein grober Überblick geliefert<br />

wer<strong>den</strong>. Wer einzelne Spielbeschreibungen,<br />

Rezensionen und repräsentative Fotos von Spielszenen<br />

sucht, schaut am besten unter http://<br />

games.hotvision.de nach. Dort gibt es ein Archiv zu<br />

nahezu allen auf dem Markt befindlichen Spielen.<br />

➡ Beat’em-up-Spiele<br />

Bei dieser Gruppe von Spielen geht es um ein<br />

Duell zweier Spieler, die sich – wie <strong>der</strong> Name<br />

schon sagt – „fertigmachen” müssen.<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_127<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Gewaltorientierte Spiele mit <strong>der</strong> Playstation - ein Selbstversuch<br />

• Tekken I, II und III: Ein echter Klassiker. Die<br />

Spieler wählen eine bestimmte Person, <strong>der</strong>en<br />

Schlag- und Kampftechniken sie im Laufe des<br />

Spiels immer besser kennenlernen. Dadurch<br />

entsteht eine hohe I<strong>den</strong>tifikation mit <strong>der</strong> kämpfen<strong>den</strong><br />

Figur. Erinnert ein bißchen an Kung-fu-<br />

Filme.<br />

Ähnlich sind:<br />

• Virtual Fighter<br />

• Dead or alive<br />

➡ Action-Spiele<br />

Hier ist nur wenig Strategie gefragt. Es geht – wie<br />

<strong>der</strong> Name schon sagt – um die Action.<br />

• Jedi Power Battles (Star Wars Episode 1): Außergewöhnlich<br />

ist hier, dass die zwei Spieler gemeinsam<br />

kämpfen. In einem Szenario, das an<br />

die Star Wars Filme angelehnt ist, kämpfen sie<br />

gemeinsam für das Gute.<br />

• Syphon Filter I und II: Special-Forces-Typ<br />

kämpft gegen zahlreiche Wi<strong>der</strong>sacher, die alle<br />

im Dienst eines Terroristen stehen, <strong>der</strong> mit<br />

biologischen Waffen die Welt vernichten will.<br />

Die Version II des Spiels bietet als Zusatzoption<br />

<strong>den</strong> Duellmodus. Dabei können zwei Spieler in<br />

Häuserkampfmanier mit Handfeuerwaffen bis<br />

zum Granatwerfer gegeneinan<strong>der</strong> antreten.<br />

➡ Action-Adventure-Spiele<br />

enthalten auch Strategieelemente.<br />

• Resi<strong>den</strong>t Evil I, II und III ist <strong>der</strong> Klassiker in<br />

diesem Bereich. Genexperimente machten fast<br />

alle Menschen zu Zombies. Der Spieler hat die<br />

Aufgabe <strong>den</strong> Professor, <strong>der</strong> für diese Experimente<br />

verantwortlich ist, zu fin<strong>den</strong> und zu<br />

vernichten. Dabei wird nicht nur gegen Zombis<br />

gekämpft, son<strong>der</strong>n auch beispielsweise gegen<br />

Dobermänner. Im Ganzen blutrünstig und spannend.<br />

Resi<strong>den</strong>t Evil wird allerdings nur von<br />

einem Spieler allein gespielt.<br />

Hier – wie auch bei an<strong>der</strong>en Gewaltspielen – gibt<br />

es eine deutsche sowie eine unzensierte ameri-<br />

128_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

kanische Version, die sich im Brutalitätsgrad noch<br />

einmal voneinan<strong>der</strong> unterschei<strong>den</strong>.<br />

➡ Arcade-Adventure-Spiele<br />

bedeutet, dass in Echtzeit Aufträge zu lösen sind<br />

und während des Spiels immer wie<strong>der</strong> neue Aufträge/Nachrichten<br />

einer imaginären Kommandozentrale<br />

o.ä. eingespielt wer<strong>den</strong>.<br />

• GTa 1 und 2. Als Gangster erfüllt <strong>der</strong> Spieler<br />

diverse Aufträge. Er kann dabei Autos kapern,<br />

Waffen einsetzen, Menschen überfahren, usw.<br />

➡ Command & Conquer (C & C)<br />

ist ein Echtzeit-Strategiespiel, bei dem es darum<br />

geht, einen Stützpunkt aufzubauen, von dem aus<br />

die jeweils gegnerische Partei bekämpft wird. Es<br />

wird ein Krieg zwischen <strong>der</strong> Brotherhood of Nod<br />

und <strong>der</strong> Global Defense Initiative simuliert. Das<br />

Spiel ist relativ kompliziert und dauert mindestens<br />

eine Stunde.<br />

Dieses Spiel hat sowohl Nachfolger- als auch<br />

Nachahmerspiele hervorgebracht, z.B.:<br />

• C & C II<br />

• Red Alert<br />

• Rise of the Tiberium Sun<br />

6. Und was bringt’s?<br />

Der Playstation-Selbstversuch kann mit Sicherheit<br />

keine empirischen Daten liefern. Aber er bietet<br />

eine gute Möglichkeit, mit <strong>den</strong> Jugendlichen ernsthaft<br />

ins Gespräch zu kommen. Über das Medium<br />

des Versuchs kommen die Jugendlichen untereinan<strong>der</strong><br />

ins Gespräch und setzen sich mit <strong>der</strong> Gewalt/Begeisterung-Thematik<br />

auseinan<strong>der</strong>. Der<br />

Lehrer bzw. die Leiterin übernimmt dabei lediglich<br />

eine mo<strong>der</strong>ierende Rolle. Die Methodik wird viele<br />

Jugendliche überraschen, aber gerade dadurch<br />

kommt großes Interesse auf. Wir können <strong>den</strong><br />

Selbstversuch wärmstens weiterempfehlen.<br />

Christian Ceconi-Solle


Das Bauwagenprojekt „Paule“<br />

zur Überwindung von Gewalt<br />

Das Bauwagenprojekt „Paule“ zur Überwindung<br />

von Gewalt<br />

1. Entstehung des Projektes:<br />

Motivation: Den entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Impuls hat dieses<br />

Projekt durch die Dekade des Ökumenischen<br />

Rates <strong>der</strong> Kirchen (ÖRK) „Overcome violence - die<br />

Gewalt überwin<strong>den</strong>” erhalten. „Laß dich nicht vom<br />

Bösen überwin<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n überwinde das Böse<br />

mit dem Guten.” (Röm 12,21) In ihrem Syno<strong>den</strong>bericht<br />

rief die Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann<br />

im Mai 2000 zu mehr Einmischung und<br />

Kreativität <strong>der</strong> Christen in <strong>der</strong> Frage nach dem<br />

Umgang mit Gewalt auf: „Wir sollten als Kirche<br />

nicht länger ein Lamento über Gewalt anstimmen<br />

o<strong>der</strong> schweigen, son<strong>der</strong>n selbst aktiv wer<strong>den</strong> bei<br />

<strong>der</strong>en Überwindung.” Das Projekt „Bauwagen<br />

Paule” ist seither <strong>der</strong> Versuch, basisnah im Handlungsbereich<br />

<strong>der</strong> Kirche konkret vor Ort die globalen<br />

Themen des ÖRK umzusetzen.<br />

Theologisch entschei<strong>den</strong>d für die Entstehung von<br />

Aktionen und Projekten wie dem Bauwagenprojekt<br />

ist die Wirkung des Heiligen Geistes als „spiritus<br />

creator” (schöpferischer Geist). Demnach erschließt<br />

<strong>der</strong> Heilige Geist <strong>den</strong> menschlichen Geist<br />

für sein Wirken, bewegt, treibt und motiviert ihn<br />

über die Grenzen von Trägheit, Mutlosigkeit und<br />

Resignation hinaus. Die Wirkung des Heiligen<br />

Geistes unter uns Menschen ist grundlegend<br />

initiiert in <strong>der</strong> Menschwerdung Gottes in Jesus<br />

Christus. Gott ist eben nicht allein als Gott im<br />

Himmel geblieben, son<strong>der</strong>n wahrer Mensch gewor<strong>den</strong><br />

und bringt auf dieser Basis Menschen in<br />

Bewegung bzw. zur Begeisterung, als wahrer<br />

Mensch und wahrer Gott. Als solcher ist er am<br />

Kreuz nicht im Tod geblieben, son<strong>der</strong>n von <strong>den</strong><br />

Toten auferstan<strong>den</strong>. Er hat <strong>den</strong> Tod überwun<strong>den</strong><br />

heißt in unserem Kontext: er hat die menschliche<br />

Das Bauwagenprojekt „Paule“ zur Überwindung von Gewalt<br />

Unfähigkeit überwun<strong>den</strong>, sich von seinem Geist<br />

begeistern und bewegen zu lassen. Er hat uns<br />

Menschen die Perspektive <strong>der</strong> Begeisterung auf<br />

ein schöpferisches, geistgewirktes Leben hin<br />

eröffnet.<br />

2. Ziel: Overcome violence - die Gewalt überwin<strong>den</strong><br />

Kin<strong>der</strong> und Jugendliche sollen in die Lage versetzt<br />

wer<strong>den</strong>, Gewalt, gewalttätige Strukturen und<br />

eigenes Aggressionspotential zu erkennen und<br />

positiv zu prägen, bzw. angemessen damit umzugehen.<br />

Sie sollen in diesem Prozeß die grundlegende<br />

Bedeutung <strong>der</strong> biblischen Botschaft<br />

erleben, erfahren und reflektieren.<br />

Die Arbeit mit „Paule” hat ein Profil: Alle Angebote<br />

beziehen sich in ihrer spezifischen Art und Weise<br />

auf das Thema <strong>der</strong> Dekade „Gewalt überwin<strong>den</strong>”.<br />

Dabei geht es um einen Mix aus Erfahrungsaustausch,<br />

Übungen, Reflexion und Spiel. So sollen<br />

Inhalte und Metho<strong>den</strong> zur gewaltfreien Bearbeitung<br />

von Konflikten unter Aufnahme entsprechen<strong>der</strong><br />

Impulse aus <strong>der</strong> biblischen Botschaft<br />

vermittelt wer<strong>den</strong>.<br />

3. Der Ausbau des Bauwagens<br />

„Der Umbau dieses Wagens kam mir vor wie die<br />

Entwicklung einer Raupe zum Schmetterling”, so<br />

eine ältere Frau aus <strong>der</strong> Gemeinde. Der Innenausbau<br />

und die Außenarbeiten benötigten in <strong>der</strong> Zeit<br />

von April bis zur Einweihung am 3. September<br />

2000 700 Arbeitsstun<strong>den</strong>. Das alles geschah mit<br />

großer Beteiligung von freiwilligen Jugendlichen<br />

und Senioren. Dieses Engagement steigerte <strong>den</strong><br />

Bekanntheitsgrad des Projektes, beson<strong>der</strong>s bei<br />

<strong>der</strong> Zielgruppe <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen und<br />

erhöhte die Möglichkeit zur I<strong>den</strong>tifikation.<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_129<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Das Bauwagenprojekt „Paule“ zur Überwindung von Gewalt<br />

Innenausbau: Ausbau <strong>der</strong> vorhan<strong>den</strong>en Innenausstattung,<br />

<strong>der</strong> Decken-, Wand- und Fußbo<strong>den</strong>verkleidung,<br />

Verlegen <strong>der</strong> elektrischen Leitungen,<br />

Verschalung <strong>der</strong> Decke und Seitenwände mit<br />

Profilbrettern, Verlegen von Laminat als Fußbo<strong>den</strong>,<br />

Installierung <strong>der</strong> Küchen- und Schrankeinrichtung,<br />

Streicharbeiten, etc.<br />

Außenarbeiten: Abnehmen des Wellblechs, Reparatur<br />

des Wandgerüstes, Isolierung, Verschalung<br />

mit Blockhausbrettern, Fensterlä<strong>den</strong>, Streicharbeiten,<br />

Reparatur des Daches, Herstellung eines<br />

Glockenturmes, Überholen <strong>der</strong> Bremsanlage,<br />

Installierung einer Lichtanlage, etc.<br />

4. Die Arbeit mit<br />

„Paule”:<br />

Mit „Paule” gibt<br />

es drei Bereiche<br />

<strong>der</strong> AntigewaltundPräventionsarbeit:<br />

• In öffentlichen Schulen<br />

• An sozialen Brennpunkten<br />

• Mit kirchlichen Gruppen<br />

In öffentlichen Schulen: Es geht konkret um Projekte,<br />

die seitens <strong>der</strong> Kirche in zeitlich überschaubaren<br />

Angeboten im Alltag <strong>der</strong> Schulen durchgeführt<br />

wer<strong>den</strong>. Schulklassen sollen innerhalb ihres<br />

Schulalltages positiv geprägt wer<strong>den</strong> und <strong>den</strong><br />

Charakter <strong>der</strong> Schule mitbestimmen. Inhalte<br />

kirchlicher Handlungs- und Lernfel<strong>der</strong> wer<strong>den</strong><br />

als Konsequenz biblischer Überlieferung und<br />

Werte <strong>den</strong> SchülerInnen zur Orientierung angeboten.<br />

Durchgeführt wer<strong>den</strong> Projekttage und Unterrichtseinheiten<br />

zum Thema „Gewalt überwin<strong>den</strong>”,<br />

Beteiligung des Bauwagen-Teams am SchülerInnengottesdienst<br />

<strong>der</strong> Sek 2 am Buß- und Bettag<br />

zum Thema „Zivilcourage?!”, SchülerInnencafe auf<br />

130_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

dem Schulhof, Malwettbewerb mit Kunstkursen<br />

und AGs etc.<br />

In sozialen Brennpunkten: Mit offenen Angeboten<br />

vor Ort sollen gerade die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen<br />

erreicht wer<strong>den</strong>, die nur bedingt an sozialen Angeboten<br />

<strong>der</strong> Kirche, bzw. <strong>der</strong> Vereine teilnehmen. Die<br />

Erkenntnis <strong>der</strong> „Sozialbilanz” <strong>der</strong> Stadt Hameln,<br />

mehr wohnortnahe Angebote für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />

zu schaffen, hat die städtische Jugendarbeit<br />

in Hameln verän<strong>der</strong>t. Der Bauwagen „Paule”<br />

ist jetzt Teil des Konzeptes <strong>der</strong> Stadt Hameln in <strong>der</strong><br />

„dezentralen und offenen Jugendarbeit”, weil<br />

„Paule” aufsuchende Arbeit leistet. Es wird dort<br />

ein Raum <strong>der</strong> Begegnung angeboten, wo die<br />

Jugendlichen bereits ihre Treffpunkte haben, bzw.<br />

leicht hinkommen. In beson<strong>der</strong>en Aufgabengebieten,<br />

wie z.B. in sozialen Brennpunkten,<br />

können flexible Angebote <strong>der</strong> Situation vor Ort am<br />

ehesten gerecht wer<strong>den</strong>.<br />

Z.Zt. (Dezember 2000) bietet „Paule” einmal<br />

wöchentlich einen offenen Treffpunkt an. Zielgruppe<br />

sind 20 Jugendliche aus z.T. „schwierigen<br />

Verhältnissen” im Alter von 12 bis 17 Jahren, die<br />

im Stadtteil durch provozierendes und schockierendes<br />

Verhalten aufgefallen sind. Unter dem<br />

Motto „bekämpft nicht die Jugendlichen, son<strong>der</strong>n<br />

ihre Probleme” ist <strong>der</strong> Bauwagen Ort niedrigschwelliger<br />

Begegnung mit Tee, Musik, warmem<br />

Raum, Gesprächen und angemessenen Spielangeboten.<br />

Mit kirchlichen Gruppen: In <strong>der</strong> Gemeinde gibt<br />

es seit Jahren <strong>den</strong> Zirkus „Gerhardy”. Hier entdecken<br />

die 40 Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen ihre verborgenen<br />

Talente, lernen das soziale Miteinan<strong>der</strong><br />

und erleben die Kirche als einen Ort kennen, wo<br />

sie auch gemeinsamen Spaß haben können.<br />

Weil zu jedem Zirkus ein Zirkuswagen gehört,<br />

ist <strong>der</strong> Bauwagen als Materialwagen und Publikumsmagnet<br />

für verschie<strong>den</strong>e Auftritte vorgesehen.


Die Gruppen des traditionellen Konfiman<strong>den</strong>unterrichtes<br />

und des Hoyaer Modells bin<strong>den</strong><br />

„Paule” in ihre Paddeltouren auf <strong>der</strong> Weser ein,<br />

indem sie ihn als Campingmobil zum Übernachten<br />

und Kochen nutzen. Der Pfadfin<strong>der</strong>Innenstamm<br />

„Kreuzfähnlein” des VCP buchte „Paule” für ein<br />

Zeltlager im Sommer.<br />

5. 10 Artikel zur Gewaltvermeidung<br />

Situativ und an <strong>den</strong> Bedürfnissen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und<br />

Jugendlichen orientiert, wer<strong>den</strong> kurze Einheiten<br />

als „in” o<strong>der</strong> „out” Impulse angeboten. Entsprechend<br />

wird die Glocke im Turm geläutet. Es handelt<br />

sich dabei um kurze, gemeinsame Run<strong>den</strong>,<br />

nicht länger als sieben Minuten, zu Beginn und/<br />

o<strong>der</strong> zum Ende des jeweiligen Angebotes. Hier<br />

wer<strong>den</strong> Absprachen getroffen, Regeln diskutiert,<br />

Ideen gesammelt aber auch spirituelle Impulse<br />

gegeben, z.B. mit einer Meditation zu Steinen,<br />

Kerzen und Bil<strong>der</strong>n, kurzen Gebeten o<strong>der</strong> mit<br />

einem Lied aus <strong>der</strong> Musikszene mit religiösem<br />

Inhalt etc.<br />

Aus <strong>der</strong> inhaltlichen Arbeit am Bauwagen sind die<br />

„10 Artikel zur Gewaltvermeidung” hervorgegangen.<br />

Sie sind Produkt bisheriger und bieten eine<br />

Grundlage zukünftiger Diskussionen.<br />

1. Wir achten die Würde unserer Mitmenschen.<br />

2. Wir leisten jedem Menschen Beistand gegen<br />

Schikane, auch wenn wir nicht seine Meinung<br />

teilen.<br />

3. Wir wollen <strong>den</strong> Anfängen von Psychoterror<br />

in unserem Umfeld (Schule, Clique etc) wehren.<br />

4. Wir üben Toleranz.<br />

5. Wir begegnen Fehlern von frem<strong>den</strong> Menschen<br />

ebenso nachsichtig wie unseren eigenen.<br />

6. Wir beteiligen uns nicht an <strong>der</strong> Entstehung von<br />

Gerüchten. Miteinan<strong>der</strong> und nicht übereinan<strong>der</strong><br />

re<strong>den</strong>!<br />

Das Bauwagenprojekt „Paule“ zur Überwindung von Gewalt<br />

7. Wir erklären, dass wir die Schwachen stützen<br />

und verpflichten uns, auf Gerechtigkeit in<br />

unserem Umfeld zu bestehen.<br />

8. Wir erklären, dass wir nieman<strong>den</strong> schikanieren.<br />

9. Wir wollen uns Mühe geben, mit jedem in<br />

unserer Nähe höflich und offen zusammenzuarbeiten<br />

und Problemen nicht aus dem Weg zu<br />

gehen.<br />

10. Wir verpflichten uns, gegen Mobbing gemeinsam<br />

vorzugehen - gemeinsam, nicht einsam.<br />

6. Mobilität ermöglicht Kooperation:<br />

Mobilität ist die beste Vorraussetzung für eine<br />

übergreifende Zusammenarbeit zwischen Kirche,<br />

Schulen, Vereinen und Initiativen.<br />

„Paule kann man mieten!” ist das Motto, mit dem<br />

an<strong>der</strong>e Einrichtungen aufgefor<strong>der</strong>t wer<strong>den</strong>, „Paule”<br />

auch für ihre selbstbestimmten Zwecke im Rahmen<br />

ihrer Antigewalt o<strong>der</strong> Präventionsarbeit vor<br />

Ort zu nutzen. Die lokale wie überregionale Kooperation<br />

gehört zum Grundwesen des Projektes. Das<br />

paulinische Bild vom Leib und seinen Glie<strong>der</strong>n (1.<br />

Kor. 12) kann als biblische Vision einen kreativen<br />

Prozess einleiten, <strong>der</strong> seine Wurzeln in <strong>der</strong> biblischen<br />

Tradition offenlegt, pflegt und weitersagt.<br />

Der Prozess einer Vernetzung von Maßnahmen zur<br />

Überwindung von Gewalt kann als eine Chance betrachtet<br />

wer<strong>den</strong>, kreativ und geistesgegenwärtig<br />

am Netzwerk des Geistes Gottes im pluralen Leben<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft mitzuwirken. Diese pneumatologische<br />

Perspektive verbietet eine institutionell<br />

verengte Sicht <strong>der</strong> Kirche auf die Binnenperspektive<br />

<strong>der</strong> eigenen Organisation. Je breiter Gewaltprävention<br />

angelegt ist, desto mehr Aussicht auf<br />

Erfolg hat sie nach menschlichem Ermessen. Das<br />

konzentrierte Auftreten öffentlicher Einrichtungen<br />

för<strong>der</strong>t bei betroffenen Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

das Gefühl ernstgenommen zu wer<strong>den</strong>.<br />

In <strong>der</strong> Stadt Hameln: Das Projekt ist Teil einer<br />

Projektgruppe, die sich die Umsetzung und<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_131<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Das Bauwagenprojekt „Paule“ zur Überwindung von Gewalt<br />

Begleitung von konkreten Projekten zur Überwindung<br />

von Gewalt in <strong>der</strong> Stadt Hameln zum Ziel<br />

gesetzt hat. Diese Gruppe ist beauftragt vom<br />

„Kriminalpräventionsrat” <strong>der</strong> Stadt, besteht aus 14<br />

Personen und trifft sich einmal im Monat. In ihr<br />

sind VertreterInnen des Stadtrates, <strong>der</strong> städtischen<br />

Kin<strong>der</strong>- und Jugendsozialarbeit, <strong>der</strong> Polizei,<br />

<strong>der</strong> Schulen, <strong>der</strong> Sportvereine und an<strong>der</strong>er sozialer<br />

Einrichtungen vertreten. Die Person aus dem<br />

Bauwagenprojekt ist die bisher einzige aus einer<br />

kirchlichen Initiative - kirchliches Engagement im<br />

säkularen kommunalen Raum.<br />

In <strong>der</strong> Kirche: Das Projekt „Paule” ist an die<br />

evang.-luth. Paul-Gerhardt Kirchengemeinde<br />

angebun<strong>den</strong>, ist aber ein Projekt des Kirchenkreises<br />

Hameln-Pyrmont. Folglich geschieht die<br />

Entwicklung einer Konzeption des Projektes, die<br />

Planung und Durchführung <strong>der</strong> Angebote in enger<br />

Zusammenarbeit mit dem Kirchenkreisjugenddienst,<br />

<strong>der</strong> Jugend-AG und dem Jugendkonvent des<br />

Kirchenkreises. Ziel ist, dass „Paule” mit dem<br />

Trecker (23,5 km/h) auch bei überregionalen<br />

Veranstaltungen wie dem Landesjugendcamp,<br />

Kirchentagen, <strong>der</strong> Synode etc. zum Einsatz<br />

kommt.<br />

7. Teamarbeit<br />

„Die Sache Jesu braucht Begeisterte, sein Geist<br />

sucht sie auch unter uns.” (P. Janssens) Die Angebote<br />

sollen überwiegend durch ein geschultes<br />

Team von ehrenamtlichen Jugendlichen und jungen<br />

Erwachsenen im Alter von 16-30 Jahre vorbereitet<br />

und durchgeführt wer<strong>den</strong>. Für die Aktion und<br />

die jeweilige Bedarfslage muss jedes mitwirkende<br />

Team gut qualifiziert sein, auch in religionspädagogischer<br />

Hinsicht. Dazu wer<strong>den</strong> Ressourcen<br />

und Kompetenzen gesammelt, gesucht und genutzt.<br />

Bisher sind es 10 Personen, die an kurz- o<strong>der</strong> mittelfristigen<br />

Zielen im Projekt mitwirken. Durch die<br />

132_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

persönliche Erfahrung im Umgang mit Gewalt bei<br />

sich und an<strong>der</strong>en befassen sie sich in diesem Team<br />

regelmäßig mit einem konkreten Teilaspekt aus ihrem<br />

direkten Lebensumfeld. Sie wer<strong>den</strong> von <strong>der</strong><br />

Problemdarstellung über die Lösungssuche und<br />

die Planung <strong>der</strong> jeweiligen Maßnahme bis zu ihrer<br />

Umsetzung beteiligt. Dabei handelt es sich überwiegend<br />

um überschaubare Problembereiche, die<br />

über das Projekt zeitnah gelöst wer<strong>den</strong> sollen. Die<br />

Gewinnung, Ausbildung und Einarbeitung von ehrenamtlichen<br />

MitarbeiterInnen ist unverzichtbar für<br />

die Nachhaltigkeit und Breitenwirkung des Projektes.<br />

Um die Beteiligung und Schulung <strong>der</strong> Mitarbeiten<strong>den</strong><br />

zu gewährleisten, trifft sich das Team einmal<br />

im Monat zu einem Abend o<strong>der</strong> einem Fachtag. Bei<br />

diesen Treffen wurde gemeinsam das „Paule-Konzept”<br />

entworfen, bedürfnisorientierte Angebote geplant<br />

und reflektiert, sowie konkrete Anfragen und<br />

Schwerpunkte <strong>der</strong> weiteren Arbeit besprochen. Die<br />

Ergebnisse des Engagements sind unmittelbar erfahrbar<br />

und vermitteln damit das notwendige Maß<br />

an Erfolgserlebnissen: Die Arbeit macht Spaß!!<br />

8. Ausblick<br />

Es ist geplant<br />

und von <strong>der</strong><br />

zuständigen<br />

Kommission in<br />

Hannover am<br />

8. November<br />

2000 beschlossen,<br />

ab Mai <strong>2001</strong> eine DiakonIn einzustellen,<br />

die z.T. aus dem Beschäftigungfonds <strong>der</strong><br />

Landeskirche Hannovers bezahlt wird. Für die<br />

anfallen<strong>den</strong> Personalkosten von jährlich 15.000<br />

DM, sowie etwa 10.000 DM Sachkosten wer<strong>den</strong><br />

noch Geldgeber gesucht. Im März <strong>2001</strong> soll ein<br />

„Freundeskreis Paule” ins Leben gerufen wer<strong>den</strong>,<br />

<strong>der</strong> die Arbeit finanziell und ideell begleitet.<br />

Daniel Petzold


Gewalt in unseren Straßen<br />

Jugendliche sind immer häufiger Opfer von Gewalt<br />

– ein Jugendlicher, <strong>der</strong> selber an einem<br />

schönen Sommerabend in einer nie<strong>der</strong>sächsischen<br />

Stadt Opfer gewor<strong>den</strong> ist, hat aufgeschrieben,<br />

wie so eine Eruption von Gewalt abläuft.<br />

Erlebnisse eines 16- Jährigen<br />

Eigentlich ist <strong>der</strong> Platz nicht gerade verrufen.<br />

Sicher, weil er ein Treffpunkt <strong>der</strong> Skater ist, hängen<br />

da viele Jugendliche herum. Aber ansonsten<br />

ist dort eigentlich alles im grünen Bereich. Gleich<br />

nebenan tobt das Leben in <strong>den</strong> angesagten Szene-<br />

Kneipen. Wir sitzen kurz nach 23.00 Uhr an <strong>der</strong><br />

Bushaltestelle und warten auf <strong>den</strong> letzten Bus.<br />

Plötzlich kommen zwei Jungs auf uns zu, die sich<br />

gegenseitig laut anbrüllen – sie scheinen sich zu<br />

streiten. Wir <strong>den</strong>ken uns nichts dabei und blieben<br />

sitzen, doch in dem Moment, als sie an uns vorbeigehen,<br />

drehen sie sich um und bleiben stehen.<br />

Sie bauen sich direkt vor uns, so dass wir nicht<br />

weglaufen können. Ziemlich kräftige Typen – uns<br />

wird mulmig und wir ahnen schon, was die bei<strong>den</strong><br />

von uns wollen. Sie fangen an, uns Fragen zu<br />

stellen. Belangloses Zeug. Sie wollen wissen, wo<br />

wir wohnen, wo wir zur Schule gehen. Dann geben<br />

sie uns Befehle. Wir haben mehr nicht zu re<strong>den</strong>, es<br />

sei <strong>den</strong>n, sie for<strong>der</strong>n uns dazu auf. Sie fragen<br />

meinen Kumpel aus welchem Land er komme. Er<br />

will sich dazu nicht äußern. „Hast du <strong>den</strong>n keinen<br />

Stolz in dir, dass du nicht zu deinem Land stehst?“<br />

schnauzen sie ihn an. Mein Kumpel fängt an zu<br />

Gewalt in unseren Straßen<br />

Dieser konkrete Vorfall läuft nach einem verbreiteten<br />

Schema ab. Es kann gefragt wer<strong>den</strong>,<br />

welche Handlungsalternativen in <strong>den</strong> einzelnen<br />

Abschnitten des Dramas möglich gewesen wären.<br />

stottern – ich merke, wie die Angst ihn verwirrt.<br />

Wie es genau gekommen ist, kann ich gar nicht<br />

mehr sagen. Aber plötzlich fangen sie an, mir mit<br />

ihren Fäusten ins Gesicht zu schlagen. Merkwürdigerweise<br />

tat es im ersten Moment gar nicht<br />

weh. Ich möchte abhauen – aber es ist aussichtslos.<br />

Hoffentlich komme ich da wie<strong>der</strong> raus! Dann<br />

sehe ich P. - einen Bekannten, <strong>der</strong> an uns vorbeigeht.<br />

Vielleicht meine Rettung. Ich hoffe, dass er<br />

die bei<strong>den</strong> kennt und mit ihnen re<strong>den</strong> kann. Ich<br />

rufe P. zu und er kommt sofort zu uns her. Die<br />

bei<strong>den</strong> lassen mich und gehen jetzt auf ihn los.<br />

Um sie abzuwehren schlägt P. dem einen sofort ins<br />

Gesicht. Aber er hat keine Chance. Die bei<strong>den</strong><br />

prügeln jetzt auf ihn ein. Mein Kumpel und ich<br />

nutzen die Gelegenheit und rennen zu einer <strong>der</strong><br />

Kneipen, um Hilfe zu holen. Vor <strong>der</strong> Kneipe stehen<br />

Männer so um die 30. Doch lei<strong>der</strong> fühlt sich<br />

keiner dazu in <strong>der</strong> Lage, uns gegen zwei jugendliche<br />

Schläger zu verteidigen. O<strong>der</strong> sie haben einfach<br />

keine Lust, ihr Bier warten zu lassen. Am<br />

liebsten hätte ich dem einen das Blut aus meinem<br />

Gesicht auf sein piekfeines weißes Hemd geschmiert.<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_133<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Gewalt in unseren Straßen<br />

Vaterland<br />

Konstantin Wecker schrieb 1979 unter dem Eindruck<br />

von neu erwachten nationalistischen und<br />

rechtsextremistischen Aktivitäten das Lied „Vaterland“.<br />

In ihm wird deutlich, welches Gedankengut<br />

in <strong>den</strong> entsprechen<strong>den</strong> Gruppen <strong>den</strong> Einzelnen<br />

fasziniert und in tragische Situationen hineinführen<br />

kann. An<strong>der</strong>erseits wird an die deutsche Geschichte<br />

von 1933-1945 erinnert, in <strong>der</strong> schon<br />

einmal die „grausamen Stiefel“ die Menschlichkeit<br />

zertrampelt hatten. „Recht und Ordnung“ und<br />

„Männer aus Stahl und Granit“ mit einem lohnen<strong>den</strong><br />

Ziel vor Augen - ganz schnell wird daraus die<br />

Vaterland<br />

Vater, sag mir, ist das wahr<br />

warst Du wirklich ein Sozi in die dreiß´ger Jahr´<br />

warst Du wirklich damals im Wi<strong>der</strong>stand<br />

hast gekämpft gegen´s eigene Vaterland<br />

Vater i muß mi schame´<br />

i möchte´ an an<strong>der</strong>n Name´<br />

in <strong>der</strong> Schul´, Du glaubst net wie an peinlich das ist<br />

da haoßen´s dir an Kommunist.<br />

Und <strong>der</strong> Buer träumt von Recht und Ordnung<br />

von einem g´sun<strong>den</strong> gra<strong>den</strong> Tritt<br />

und im Geist hört er´s marschieren<br />

und im Geist marschiert er scho‘mit<br />

und <strong>der</strong> Vater weiß niet aus noch ei<br />

so weit is‘ scho‘ g‘komme mit <strong>der</strong> Druckerei<br />

mit Kommunistenhatz und Berufsverbot<br />

und Wirtschaftswun<strong>der</strong> und Arbeitsnot.<br />

Da wehrs‘t Dich dei‘ Leben lang gegen all <strong>den</strong> Schutt<br />

und dann machen´s dafür deinen Sohn kaputt.<br />

Und <strong>der</strong> Vater nimmt sich eine Nacht lang Zeit<br />

und erzählt dem Buer‘m von <strong>der</strong> Unmenschlichkeit<br />

von Krieg und KZ, von <strong>der</strong> Feigheit <strong>der</strong> Leit‘<br />

und er blehrt, paß auf, die machen sich bald<br />

wie<strong>der</strong> breit<br />

und dann packt <strong>der</strong> Buer seine Sache‘<br />

sagt Vater, da muß ich doch lache‘.<br />

134_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Rechtfertigung von Gewalt gegen An<strong>der</strong>sartige<br />

und An<strong>der</strong>s<strong>den</strong>kende. Spannend die Frage, ob es<br />

erst zur Katastrophe kommen muss, o<strong>der</strong> ob schon<br />

im Vorfeld eine Möglichkeit zur „Bekehrung“<br />

bestände – gerade auch in Hinsicht auf die Erfahrungen<br />

des Vaters.<br />

Obwohl in bayrischem<br />

Dialekt gesungen, empfiehlt<br />

es sich, das Lied<br />

vorzuspielen, nicht zuletzt<br />

deswegen, weil Wecker es sehr engagiert vorträgt.<br />

Du kannst es doch überall lesen,<br />

des is doch ganz an<strong>der</strong>s g‘wesen,<br />

und dann träumt er von hohen Stiefeln<br />

und von Männern aus Stahl und Granit<br />

und im Geist da hört er Trompeten<br />

und im Geist da maschiert er scho‘ mit.<br />

Und <strong>der</strong> Vater, woaß net aus noch ei‘,<br />

so weit ist scho‘g‘ komme mit <strong>der</strong> Duckerei,<br />

mit...<br />

Und a‘ paar Woche‘ später steht <strong>der</strong> Buer vor <strong>der</strong> Tür<br />

und zittert und flüstert, i ko nix dafür,<br />

die mache‘ ernst, die basteln Granaten,<br />

die rechen vom Volkssturm und Attentaten<br />

Vater, i‘muß mi schame‘,<br />

i möchte‘ an an<strong>der</strong>n Name‘,<br />

mir ham, i trau‘ mer‘s gar nich‘sog‘n<br />

gestern Nacht im Streit an Mo daschlagen.<br />

Und <strong>der</strong> Vater <strong>den</strong>kt an früher,<br />

hört die grausamen Stiefel marschieren<br />

und im Geist marschieren die noch immer<br />

und scho‘ morgen kann des wie<strong>der</strong> passieren.<br />

Und wie a soviel‘ andre da kriegt er an Zorn,<br />

was ist bloß wie<strong>der</strong> aus Deutschland ‘wor<strong>den</strong><br />

mit.....<br />

aus: Konstantin Wecker (live), Polydor 1979


Schritte gegen Tritte<br />

Vom Umgang mit Gewalt - in Südafrika und bei uns<br />

Ein ökumenisches Lernprojekt für Schulen und Gemein<strong>den</strong><br />

Zwei Männer steigen in einen mit acht Passagieren<br />

besetzten Bus. „Deutschland zuerst,” brüllt <strong>der</strong><br />

eine und geht zielstrebig auf einen jungen Mann<br />

zu. Plump wird dieser angepöbelt. Es kommt zu<br />

einem kurzen verbalen Schlagabtausch; dann zu<br />

Handgreiflichkeiten. Die Situation wirkt bedrohlich.<br />

Wird jemand eingreifen? Welches Risiko geht<br />

er/sie dabei ein? Gibt es unterschiedliche Möglichkeiten<br />

und Metho<strong>den</strong>, deeskalierend in Gewaltsituationen<br />

zu wirken?<br />

Um solche Fragen und konkrete Hilfen zur Gewaltintervention<br />

geht es in dem Projekt „Schritte gegen<br />

Tritte”, das von Pastor Klaus Burckhardt, ELM<br />

Beauftragter für Mission und Ökumene in <strong>der</strong><br />

Landeskirche Braunschweig, gemeinsam mit<br />

religionspädagogischen Mitarbeitern des Hauses<br />

Kirchlicher Dienste Kassel entwickelt wurde. Pastor<br />

Burckhardt hat sich in zehnjährigem Gemeindedienst<br />

in Südafrika (1983 - 1993) intensiv mit<br />

dem Thema <strong>der</strong> Gewaltprävention und -intervention<br />

auseinan<strong>der</strong>gesetzt, beson<strong>der</strong>s in seiner Arbeit in<br />

einem Lager für Flüchtlinge und Landlose. Nach<br />

seiner Rückkehr stellte er Vergleiche zur deutschen<br />

Situation an und widmete sich dabei beson<strong>der</strong>s<br />

<strong>den</strong> Fragen <strong>der</strong> Entstehung von Gewalt, ihren<br />

Strukturen und Merkmalen unter Jugendlichen.<br />

Daraus entstand ein sechsstündiges Unterrichtsprojekt,<br />

das mit Hilfe verschie<strong>den</strong>er Medien (Videos,<br />

Ausstellung und 3-D Simulationsspiel zum<br />

Flüchtlingslager „Canaan”, Rollenspiele) versucht:<br />

1. Jugendlichen am Beispiel Südafrikas Gewaltursachen,<br />

-strukturen und -reaktionen bewusstzumachen,<br />

2. ihnen die Möglichkeit zu geben, eigene Gewalterfahrungen<br />

und Ausgrenzungsmechanismen im<br />

persönlichen Umfeld zu reflektieren,<br />

Gewalt in unseren Straßen<br />

3. konkrete Handlungs- und Interventionshilfen im<br />

Umgang mit Gewalt zu erarbeiten und<br />

4. biblisch fundierte Alternativen zur Gewaltanwendung<br />

zu entdecken.<br />

Das Projekt wurde bisher mit mehr als 17000<br />

Schülern verschie<strong>den</strong>er Schultypen (beson<strong>der</strong>s<br />

OS, HS, RS und BBS) <strong>der</strong> Klassen 6 - 13 durchgeführt.<br />

Dabei hat sich eine Zusammenarbeit mit<br />

MitarbeiterInnen aus Schule, Kirchengemeinde<br />

und Kommune bewährt, die für die Vorbereitung,<br />

Projektvorstellung im Lehrerkollegium und die<br />

Frage <strong>der</strong> Unterrichtsbegleitung und -nacharbeit<br />

verantwortlich ist. Das Projekt hat über <strong>den</strong> regionalen<br />

Bereich hinaus eine große Breitenwirkung<br />

und wird mittlerweile auch von 10 weiteren MultiplikatorInnen<br />

in Nie<strong>der</strong>sachsen, Sachsen-Anhalt<br />

und Hessen durchgeführt.<br />

In Braunschweig wird „Schritte gegen Tritte” als<br />

Impulsprojekt in einem Gesamtpaket von Anti-<br />

Gewaltmaßnahmen an Schulen angeboten, die auf<br />

ein Konfliktschlichterprogramm hinauslaufen<br />

(http://bs.cyty.com/elmbs/pbs.htm).<br />

Die Kosten (DM 200,00 pro Tag & Fahrtkosten<br />

& Vor- und Nachbereitung von 250,00) kommen<br />

einen Solidaritätsprojekt des Ev.-luth. Missionswerks<br />

i.N. (ELM) in Südafrika zugute.<br />

Konkrete Anfragen sind zu richten an:<br />

P. Klaus J. Burckhardt, ELM Beauftragter für Mission<br />

& Ökumene, Leonhardstr.39, 38102 Braunschweig,<br />

Tel: 0531-2702866 o<strong>der</strong> 71902, Fax: 0531-79772,<br />

Email: KJBURCK@aol.com<br />

Weitere Informationen, Presseartikel, Links, etc.<br />

sind unter <strong>der</strong> Homepage URL http://bs.cyty.com/<br />

elmbs/schritte.htm abrufbar.<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_135<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Gewalt in unseren Straßen<br />

Schritte gegen Tritte<br />

Ratschläge zum Verhalten<br />

in Bedrohungssituationen<br />

Vorbemerkungen:<br />

• Es gibt keinen 100% Schutz vor Überfällen und<br />

gewaltsamen Auseinan<strong>der</strong>setzungen. Je<strong>der</strong><br />

Mensch kann Opfer o<strong>der</strong> Beteiligter einer<br />

Gewalttat wer<strong>den</strong>. Doch die Wahrscheinlichkeit<br />

ist - trotz des von <strong>den</strong> Medien vermittelten<br />

Eindrucks - eher geringer anzusetzen, als es<br />

das subjektiv wahrgenommene Gefühl <strong>der</strong><br />

Bedrohung suggeriert.<br />

• Das statistische Datenmaterial zeigt, dass<br />

entgegen landläufiger Meinung:<br />

• die meisten Taten nicht von Gruppen, son<strong>der</strong>n<br />

von Einzeltätern, die meisten Tötungsdelikte<br />

von Erwachsenen, nicht von Jugendlichen<br />

begangen wer<strong>den</strong>,<br />

• die Opfer von Gewalttaten häufiger Männer als<br />

Frauen sind. (Hier ist allerdings die Dunkelziffer<br />

nicht gemeldeter und tabuisierter Gewalttaten<br />

nicht eingeschlossen!)<br />

• Das Erlernen asiatischer Kampfsportarten ist<br />

nur dann erfolgversprechend, wenn eine<br />

vernünftige Ausbildung durch LehrerInnen<br />

geschieht, die gleichzeitig die lebensbejahen-<br />

Folgende Regeln allerdings können - unter Berücksichtung<br />

<strong>der</strong> oben genannten Vorbemerkungen<br />

- durchaus sehr nützlich sein:<br />

• VORBEREITEN!<br />

Bereite dich auf mögliche Bedrohungssituationen<br />

seelisch vor: Spiel Situationen für dich<br />

allein und im Gespräch mit an<strong>der</strong>en durch. Werde<br />

dir grundsätzlich klar darüber, zu welchem persönlichen<br />

Risiko du bereit bist. Es ist besser,<br />

sofort die Polizei zu alarmieren und Hilfe herbeizuholen,<br />

als sich nicht für o<strong>der</strong> gegen das<br />

Eingreifen entschei<strong>den</strong> zu können und gar nichts<br />

zu tun.<br />

136_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

<strong>den</strong> und -för<strong>der</strong>n<strong>den</strong> Grundsätze dieser Sportarten<br />

mitvermittelt (z.B. Einheit von Körper,<br />

Seele, Geist, Entspannungsübungen und<br />

Körpergefühl, Einsatz zur Gewaltvermeidung,<br />

Nicht-Aggression).<br />

• Das Tragen und die Anwendung von Waffen<br />

führt in fast allen Fällen zu einer Eskalation<br />

<strong>der</strong> Gewaltspirale! Dies gilt auch für Kampfmittel,<br />

die juristisch nicht als Waffen gelten<br />

(z.B. Butterfly-Messer, bestimmte Reizgase<br />

etc). Oft kommt es vor, dass die eigene Waffe<br />

gegen <strong>den</strong>/die WaffenträgerIn eingesetzt wird.<br />

• Je<strong>der</strong>/jede sollte das tun, was er/sie sich in<br />

einer Krisen- bzw. Gewaltsituation zutraut.<br />

Meine eigene Persönlichkeitsstruktur entscheidet<br />

mit darüber, welches Verhalten ich in<br />

einer bestimmten Situation an <strong>den</strong> Tag legen<br />

kann. Dies kann ich jedoch nur herausfin<strong>den</strong>,<br />

indem ich mich in spielerisch mit erlebten o<strong>der</strong><br />

von an<strong>der</strong>en vorgegebenen ausgewählten<br />

Gewalt- bzw. Konfliktsituationen auseinan<strong>der</strong>setze<br />

(Rollenspiele, Forumtheather etc).<br />

Klaus Burckhardt<br />

• RUHIG BLEIBEN!<br />

Panik und Hektik vermei<strong>den</strong> und möglichst keine<br />

hastigen Bewegungen machen, die reflexartige<br />

Reaktionen herausfor<strong>der</strong>n könnten. Wenn ich „in<br />

mir ruhe”, bin ich kreativer in meinen Handlungen<br />

und wirke meist auch auf an<strong>der</strong>e Beteiligte beruhigend.<br />

• AKTIV WERDEN!<br />

Wichtig ist, sich von <strong>der</strong> Angst nicht zähmen zu<br />

lassen. Eine Kleinigkeit zu tun ist besser, als über<br />

große Hel<strong>den</strong>taten nachzu<strong>den</strong>ken. Wenn du Zeuge<br />

o<strong>der</strong> Zeugin von Gewalt bist: Zeige, dass du bereit<br />

bist, gemäß deinen Möglichkeiten einzugreifen.


Ein einziger Schritt, ein kurzes Ansprechen, jede<br />

Aktion verän<strong>der</strong>t die Situation und kann an<strong>der</strong>e<br />

dazu anregen, ihrerseits einzugreifen.<br />

• VERLASSE DIE DIR ZUGEWIESENE OPFER-<br />

ROLLE!<br />

Wenn du angegriffen wirst: Flehe nicht, und verhalte<br />

dich nicht unterwürfig. Sei dir über deine<br />

Prioritäten im klaren und zeige deutlich, was du<br />

willst. Ergreif die Initiative, um die Situation in<br />

deinem Sinne zu prägen: Schreib dein eigenes<br />

Drehbuch!<br />

• HALTE DEN KONTAKT ZUM ANGREIFER!<br />

Stelle Blickkontakt her und versuche, Kommunikation<br />

herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten.<br />

• REDEN UND ZUHÖREN!<br />

Teile das Offensichtliche mit, sprich ruhig, laut<br />

und deutlich. Hör zu, was dein Gegner bzw. Angreifer<br />

sagt. Aus seinen Antworten kannst du deine<br />

nächsten Schritte ableiten.<br />

• NICHT DROHEN ODER<br />

BELEIDIGEN!<br />

Mach keine geringschätzigen<br />

Äußerungen über <strong>den</strong><br />

Angreifer. Versuche nicht,<br />

ihn einzuschüchtern, ihm<br />

zu drohen o<strong>der</strong> Angst zu<br />

machen. Kritisiere sein<br />

Verhalten, aber werte ihn persönlich nicht ab.<br />

(Also: nicht „Du bist schlecht”, son<strong>der</strong>n „Das ist<br />

schlecht”)<br />

• HOL DIR HILFE!<br />

Sprich nicht eine anonyme Masse an, son<strong>der</strong>n<br />

einzelne Personen. Dies gilt sowohl für Opfer als<br />

auch für Zuschauerinnen und Zuschauer. Sie sind<br />

bereit zu helfen, wenn jemand an<strong>der</strong>es <strong>den</strong> ersten<br />

Schritt macht o<strong>der</strong> sie persönlich angesprochen<br />

wer<strong>den</strong>.<br />

Gewalt in unseren Straßen<br />

• TU DAS UNERWARTETE!<br />

Fall aus <strong>der</strong> Rolle, sei kreativ, und nutz <strong>den</strong> Überraschungseffekt<br />

zu deinem Vorteil aus.<br />

• VERMEIDE MÖGLICHST JEDEN KÖRPER-<br />

KONTAKT!<br />

Wenn du jemandem zu Hilfe kommst, vermeide es<br />

möglichst, <strong>den</strong> Angreifer anzufassen, es sei <strong>den</strong>n,<br />

Ihr seid in <strong>der</strong> Überzahl, so dass Ihr jeman<strong>den</strong><br />

beruhigend festhalten könnt. Körperkontakt ist in<br />

<strong>der</strong> Regel eine Grenzüberschreitung, die zu weiterer<br />

Aggression führt. Wenn nötig, nimm lieber<br />

direkten Kontakt zum Opfer auf.<br />

(nach: Ralf-Erik Posselt: Handbuch „Schule Ohne<br />

Rassismus”, S. 83 f.)<br />

Dazu noch einige Ratschläge <strong>der</strong> Polizei Hamburg:<br />

„Die Gewalt nimmt zu. Gerade in Großstädten. Wer<br />

nicht hilft, wird selbst zum Mittäter.“ Das Urteil<br />

<strong>der</strong> Polizei ist hart. Dabei wäre Helfen so einfach.<br />

Doch nur wenige tun es. Die Polizei hat sechs<br />

Regeln für mehr Courage erarbeitet. Die Polizei-<br />

Psychologin Claudia Brockmann erläutert sie:<br />

1) Ich helfe, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen:<br />

Je<strong>der</strong> hat die Möglichkeit zu helfen, ohne in die<br />

direkte Konfrontation zum Täter zu gehen.<br />

Häufig reicht es, wenn <strong>der</strong> Täter mitbekommt,<br />

dass er beobachtet wird.<br />

2) Ich for<strong>der</strong>e an<strong>der</strong>e direkt zu Mithilfe auf: Je mehr<br />

Personen an einem Tatort versammelt sind,<br />

desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass<br />

jemand hilft - ein Phänomen. Viele haben Angst,<br />

sich zu blamieren o<strong>der</strong> einen Fehler zu machen.<br />

Ein Tip: Fangen Sie an, aber handeln Sie nicht<br />

alleine, son<strong>der</strong>n for<strong>der</strong>n Sie ganz gezielt an<strong>der</strong>e<br />

Passanten zur Mithilfe auf. Vielleicht so: „Junger<br />

Mann mit <strong>der</strong> roten Jacke! Helfen Sie mir<br />

bitte!”<br />

3) Ich beobachte genau und merke mir <strong>den</strong> Täter:<br />

Eine gute Täterbeschreibung hilft <strong>der</strong> Polizei<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_137<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Gewalt in unseren Straßen<br />

enorm. Wichtig sind Alter, Aussehen, Kleidung<br />

und Fluchtrichtung. Auch kann es sinnvoll sein,<br />

dem Täter in sicherer Distanz zu folgen - schon<br />

viele Täter haben dadurch entnervt ihre Flucht<br />

aufgegeben.<br />

4) Ich rufe Hilfe: Es ist so lächerlich wenig nötig,<br />

um zu helfen: Wählen Sie <strong>den</strong> Notruf 110. Sagen<br />

Sie, was genau passiert und wo es passiert.<br />

Legen Sie nicht gleich wie<strong>der</strong> auf, warten Sie auf<br />

eine mögliche Rückfrage <strong>der</strong> Polizei.<br />

5) Ich kümmere mich um das Opfer: Für die Opfer<br />

dauert es eine schiere Ewigkeit, bis Polizei,<br />

Feuerwehr o<strong>der</strong> Rettungsdienst am Tatort sind.<br />

Auch wenn Sie sich in Erster Hilfe nicht sicher<br />

sind, leisten Sie deshalb wenigstens seelischen<br />

Beistand, trösten Sie und fragen, wie Sie das<br />

Opfer unterstützen können.<br />

6) Ich stelle mich als Zeuge zur Verfügung: Um<br />

Täter zu bestrafen bedarf es Zeugen. Rennen<br />

Sie nicht weg, wenn Sie eine Straftat o<strong>der</strong> ein<br />

Unglück beobachtet haben - auch wenn viele<br />

an<strong>der</strong>e scheinbar das gleiche gesehen haben.<br />

Mel<strong>den</strong> Sie sich bei <strong>der</strong> Polizei. Und wenn Sie es<br />

eilig haben: Hinterlassen Sie wenigsten Ihren<br />

Namen und Ihre Telefonnummer. Opfer und<br />

Polizei wer<strong>den</strong> es Ihnen danken.<br />

Helfen Sie unbedingt! Auch wenn es Sie Mühe<br />

und Überwindung kostet. Es könnte sein, daß<br />

auch Sie einmal die Hilfe an<strong>der</strong>er Menschen<br />

benötigen. Auch deshalb gilt in Deutschland:<br />

Unterlassene Hilfe ist strafbar!<br />

Zum Hintergrund <strong>der</strong> Hamburger Ratschläge aus<br />

einem Internet-Chat zum Thema „Gewalt”:<br />

Sie schrie um Hilfe, schlug wild um sich, doch <strong>der</strong><br />

junge Mann war stärker. Er riß ihr die Hose runter,<br />

drückte die 17jährige in die Ecke <strong>der</strong> Sitzbank und<br />

vergewaltigte sie. Beschämt blickten die an<strong>der</strong>en<br />

Fahrgäste zur Seite. Niemand half, griff ein o<strong>der</strong><br />

rief die Polizei. Nicht einmal als Zeugen stellten<br />

sie sich zur Verfügung. Hamburgs Medien schrieen<br />

auf vor Empörung: Wie konnte so ein Fall in <strong>der</strong><br />

138_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Schnellbahnlinie 21 geschehen? Wie konnten an<strong>der</strong>e<br />

Fahrgäste teilnahmslos die Tat hinnehmen?<br />

Noch immer ist <strong>der</strong> junge Mann nicht gefasst.<br />

Und so geht je<strong>den</strong> Abend die Angst in Hamburgs<br />

Schnellbahnen mit auf Reisen.<br />

„Wer nichts tut, macht mit”, urteilt Hamburgs<br />

Polizei. Sie startete im Frühjahr eine ungewöhnliche<br />

Kampagne für mehr Zivilcourage. Polizisten<br />

verteilten in Bussen und Bahnen 250.000 Kärtchen<br />

mit sechs wichtigen Verhaltensregeln. „Wir<br />

for<strong>der</strong>n nicht zu falschem Hel<strong>den</strong>tum auf”, sagte<br />

Hamburgs Innensenator Wrocklage. Er for<strong>der</strong>te<br />

aber mehr Courage, bei Straftaten o<strong>der</strong> Unglücken<br />

zu helfen.<br />

Unterstützt wird die Aktion von Prominenz aus<br />

Film, Kultur und Sport. Box-Weltmeister Dariusz<br />

Michalczewski ruft ebenso zu mehr Mut im Alltag<br />

auf wie Schauspielerin Hannelore Hoger,<br />

Fußballer Carsten Pröpper, Krimi-Legende Jürgen<br />

Roland o<strong>der</strong> Regisseur Christoph Schlingensief.<br />

Polizeibehör<strong>den</strong> an<strong>der</strong>er Bundeslän<strong>der</strong> haben die<br />

Aktion aufmerksam verfolgt und wollen sie wie<strong>der</strong>holen.<br />

„Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrie<strong>den</strong>”, sagte<br />

Polizei-Sprecherin Ulrike Swe<strong>den</strong> gegenüber AOL.<br />

Für Polizei-Präsi<strong>den</strong>t Ernst Uhrlau steht fest: „Wir<br />

konnten die Bereitschaft <strong>der</strong> Bürger, Opfern von<br />

Straftaten zu helfen, wie<strong>der</strong> wachrütteln.” Allein<br />

die Internet-Seiten zu diesem Thema haben 4500<br />

Interessierte aufgerufen. Jetzt will die Polizei das<br />

Thema auch in an<strong>der</strong>e Institutionen hineintragen.<br />

In Schulen und Universitäten beispielsweise,<br />

sagte Sprecherin Swe<strong>den</strong>.<br />

Entworfen wurde die Kampagne von <strong>der</strong> Werbeagentur<br />

„Springer & Jacoby”. Sie spendete ihr<br />

kreatives Potential. Heraus kam eine Kampagne<br />

mit beklemmendem Tenor. Beispiel: „Hier wurde<br />

gestern ein Mädchen Opfer von sechs Tätern. Einer<br />

vergewaltigte sie, fünf schauten weg.”


10 Regeln zur Deeskalation in Gewaltsituationen<br />

I. In Beziehung treten mit ation, <strong>der</strong> Situ sich<br />

einmischen Genau hinsehen! Wenn Jungen sich<br />

prügeln o<strong>der</strong> wenn Jungen Mädchen bedrängen<br />

und belästigen, ist das Ernst und nicht Spiel. Deshalb:<br />

Nicht wegsehen, son<strong>der</strong>n Stellung beziehen.<br />

II. Per sonale Konfrontation Sich als Person ohne<br />

pädagogisch-verständnisvolle Fassade bemerkbar<br />

machen. So nicht: „Du, ich weiß, dass du sauer bist,<br />

aber ich find’ das irgendwie nicht gut jetzt.” Son<strong>der</strong>n:<br />

„Schluss damit! Hier wird nicht geprügelt.“ „O<strong>der</strong>:<br />

So etwas will ich von euch/dir nie wie<strong>der</strong> mitkriegen!”<br />

Gewalt in unseren Straßen<br />

will, aber kein Gegner ist. Ihn auf sich und die<br />

Realität beziehen. Auf <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong> <strong>der</strong> Tatsachen<br />

bringen. Laut wer<strong>den</strong>: „Was macht ihr hier eigentlich?”,<br />

„Euer Streit interessiert mich nicht/ich hab<br />

damit nichts zu tun, aber das (Gewalt) läuft hier<br />

nicht!”, „Schluss damit! Seht ihr nicht, dass er/sie<br />

Angst hat/verletzt ist/ sich nicht wehren kann?”<br />

VII. Nicht entw eichen assen l Gewaltsituation<br />

nicht durch Flucht <strong>der</strong> Gewalthandeln<strong>den</strong> abbrechen<br />

lassen - nach dem Motto: „Ist doch nichts<br />

passiert”. „Hier geblieben! Erst wird euer Streit<br />

geklärt, dann könnt ihr gehen!”<br />

III. Trennung <strong>der</strong> ontrahenten K<br />

Weitere Gewaltanwendungen<br />

durch Trennung <strong>der</strong> Gewalthandeln- VIII. Erns t nehmen „Ich nehme dich mit dem, was<br />

<strong>den</strong> verhin<strong>der</strong>n. Opfer und Täter müssen sofort du sagst, beim Wort und ernst!” Auch die Gewalt-<br />

getrennt wer<strong>den</strong>.<br />

handlung mit ihrer interpersonalen Aussage wörtlich<br />

nehmen und damit <strong>den</strong> Schüler für seine<br />

IV. Sofor t und eindeutig Grenz en setz en Kei- Gewalthandlung verantwortlich machen. Beschönerlei<br />

Gewalt o<strong>der</strong> Androhung von Gewalt gegen<br />

sich selbst als Intervenierende/n zulassen.<br />

nigen ist dann nicht mehr möglich.<br />

IX. Sp iegeln„Das<br />

hier war kein Spaß, dein Tun hat<br />

V. Per sonale W ertung Eigene Bewertung <strong>der</strong> Ge- Konsequenzen.” Konsequenzen in Form von persamtsituation<br />

deutlich machen, aber nicht moralisönlicher Ablehnung durch <strong>den</strong> Pädagogen/die<br />

sieren. „Ich verbiete dir das! Hier läuft so was nicht!” Pädagogin, einer Meldung an die Schulleitung etc.<br />

Und: Eine Ankündigung ist keine leere Drohung.<br />

VI. Einsch tzung, ob depressiv e o<strong>der</strong> cha otische<br />

Gew altkrise orliegt v Beispiele: Ein Eifersuchts-<br />

Sie muss auch umgesetzt wer<strong>den</strong>!<br />

drama ist eine depressiv verengte Krise, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> X. Begleitung ch nadem<br />

Ge waltende Der/die<br />

Gewalthandelnde nur noch die scheinbare Überle- Pädagoge/in soll nicht aus dem Kontakt gehen,<br />

genheit <strong>der</strong> Partnerin sieht. In diesem Fall: Weiten, son<strong>der</strong>n im Kontakt bleiben, bis die Situation<br />

d.h.: ihn auf seine Stärken bzw. auf an<strong>der</strong>e Perso- deeskaliert ist, bis festgestellt wer<strong>den</strong> kann: „Es<br />

nen, die ihn mögen, aufmerksam machen. „Du bist ist bei <strong>den</strong> Handeln<strong>den</strong> angekommen“. Nicht die<br />

schließlich nicht allein. Das kann doch je<strong>der</strong> sehen, Schüler/innen wie<strong>der</strong> zusammenkommen lassen,<br />

dass Peter, Uli, Karin dich gerne haben.” „Meinst wenn damit gerechnet wer<strong>den</strong> muss, dass weiter<br />

du, Rita tut es nicht auch weh, dass ihr nicht mehr<br />

zusammen seid?“ Gruppengewalt hat einen zumeist<br />

geprügelt, belästigt wird.<br />

chaotischen Krisenverlauf. Je<strong>der</strong> ist gegen je<strong>den</strong>, Ausgearbeitet von: Kontakt- und Beratungsstelle<br />

auch Unbeteiligte wer<strong>den</strong> angegriffen; dann en- Männer gegen Männer-Gewalt e.V., Institut for<br />

gen, d.h.: dem Gewalthandeln<strong>den</strong> deutlich ma- Male, Burkhard Oelemann, Joachim Lempert,<br />

chen, dass <strong>der</strong>/die Intervenierende nur schlichten Mühlendamm 66, 22087 Hamburg<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_139<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


›› Literaturliste<br />

und<br />

Deeskalations-<br />

Seminare


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Literatur: Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt - Kirchen für Frie<strong>den</strong> und Wie<strong>der</strong>versöhnung -<br />

Bücher zur Dekade (DOV):<br />

Margot Käßmann<br />

Gewalt überwin<strong>den</strong>: Eine Dekade des Ökumenischen<br />

Rates <strong>der</strong> Kirchen, Hannover 2000<br />

Bücher zum Thema „Gewalt“:<br />

Hans-Eckhard Bahr<br />

Aggression und Lebenslust. Kooperieren statt<br />

konfrontieren, Düsseldorf, 1994<br />

Eckhard Bahr<br />

Verfluchte Gewalt. Dokumentierte Geschichten,<br />

Leipzig, 1992<br />

Georg Baudler<br />

Die Befreiung von einem Gott <strong>der</strong> Gewalt, Düsseldorf,<br />

1999<br />

Heidrun Bründel, Klaus Hurrelmann<br />

Gewalt macht Schule. Wie gehen wir mit aggressiven<br />

Kin<strong>der</strong>n um? München 1994<br />

Christian W. Büttner<br />

Frie<strong>den</strong>sbriga<strong>den</strong>: Zivile Konfliktbearbeitung mit<br />

gewaltfreien Metho<strong>den</strong>. Münster, 1995<br />

Tilman Evers (Hrsg.)<br />

Ziviler Frie<strong>den</strong>sdienst - Fachleute für <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong>.<br />

Idee – Erfahrungen – Ziele, Opla<strong>den</strong>, 2000<br />

EKD (Hrsg.)<br />

Gewalt gegen Frauen als Thema <strong>der</strong> Kirche. Ein<br />

Bericht in zwei Teilen, Gütersloh 2000<br />

Erich Fromm<br />

Anatomie <strong>der</strong> menschlichen Destruktivität, rororo<br />

sachbuch, Hamburg 1977<br />

Wolfgang Huber<br />

Die tägliche Gewalt. <strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> Ausverkauf <strong>der</strong><br />

Menschenwürde, Freiburg i.B., 1993<br />

142_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Paul Hugger, Ulrich Stadler (Hrsg.)<br />

Gewalt. Kulturelle Formen in Geschichte und<br />

<strong>Gegen</strong>wart, Zürich, 1995<br />

René Girard<br />

Das Heilige und die Gewalt, Frankfurt a.M., 1992<br />

Hildegard Goss-Mayer<br />

Wie Feinde Freunde wer<strong>den</strong>, Freiburg-Basel-Wien,<br />

1996<br />

Günther Gugel, Uli Jäger<br />

Gewalt muß nicht sein. Eine Einführung in frie<strong>den</strong>spädagogisches<br />

Denken und Handeln, Verein<br />

für Frie<strong>den</strong>spädagogik Tübingen e.V., 1994<br />

G. Ma<strong>der</strong>, W.-D. Eberwein, W.R. Vogt<br />

Frie<strong>den</strong> durch Zivilisierung? Probleme – Ansätze –<br />

Perspektiven, in: Schriftenreihe des Österreichischen<br />

Studienzentrums für Frie<strong>den</strong> und Konfliktlösung<br />

– ÖSFK (Hrsg.), Band 1, Münster 1996<br />

Joh. Esser, Dieter v. Kietzell, Barbara Ketelhut,<br />

Joachim Romppel<br />

Frie<strong>den</strong> vor Ort. Alltagsfrie<strong>den</strong>sforschung - Subjektentwicklung<br />

– Partizipationspraxis, agenda<br />

Frie<strong>den</strong> 19, Münster 1996<br />

Wilhelm Heitmeyer u.a.<br />

Gewalt. Schattenseiten <strong>der</strong> Individualisierung aus<br />

unterschiedlichen Milieus, München, 2. Aufl., 1996<br />

Wolfgang Redwanz<br />

Schritte gegen Gewalt, pädagogische Konzepte<br />

<strong>der</strong> Gewaltprävention, Hg.: Bundeszentrale für<br />

politische Bildung (BpB), Berliner Freiheit 7, 53111<br />

Bonn. Fax: 0 18 88/515-309; ag4@bpb.bund.de;<br />

www.bpb.de<br />

Kurt Singer<br />

Zivilcourage wagen — wie man lernt, sich einzumischen,<br />

Piper Verlag, München, 190 Seiten


Literatur: Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt - Kirchen für Frie<strong>den</strong> und Wie<strong>der</strong>versöhnung -<br />

Robert Spaemann<br />

Zur Kritik <strong>der</strong> politischen Utopie. Zehn Kapitel politischer<br />

Philosophie, Stuttgart 1977 (Beson<strong>der</strong>s die<br />

Begriffsklärung im Artikel: Moral und Gewalt,<br />

S. 77-103)<br />

Helmut Lukesch<br />

Wenn Gewalt zu Unterhaltung wird ... Regensburg<br />

1994 (Gewalt im Fernsehen)<br />

Hans-Uwe Otto, Roland Merten (Hrsg.)<br />

Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland.<br />

Jugend im Umbruch, Opla<strong>den</strong> 1993<br />

Wolfgang Sofsky<br />

Traktat über die Gewalt, Frankfurt a.M., 1994, 2.Aufl.<br />

Wolfgang R. Vogt, Eckard Jung (Hrsg.)<br />

Kultur des Frie<strong>den</strong>s: Wege zu einer Welt, Darmstadt<br />

1997<br />

Ulrike C. Wasmuht<br />

Geschichte <strong>der</strong> deutschen Frie<strong>den</strong>sforschung:<br />

Entwicklung, Selbstverständnis, Politischer Kontext,<br />

Münster 1998<br />

Zivilcourage<br />

Anleitung zum kreativen Umgang mit Konflikten<br />

und Gewalt. Agenda Verlag, Münster 1995, 142 S.<br />

Zeitschriften und Aufsätze:<br />

Margot Käßmann<br />

Ökumenische Dekade „Gewalt überwin<strong>den</strong>“, Junge<br />

Kirche – Zeitschrift europ. Christinnen und Christen,<br />

Febr. 1999, 60. Jhg. , S. 83 ff<br />

epd-Dokumentation<br />

Dekade zur Überwindung von Gewalt. Botschaft<br />

und Rahmenkonzeption und Bewaffnete Konflikte<br />

und Völkerrecht. Memorandum und Empfehlungen,<br />

ÖRK Zentralausschuss ´99, Nr. 38/99<br />

(Bestellung: Tel 069/580 98-189 Fax 069/ 580 98<br />

- 226, E-Mail gep-publ@epd.de<br />

Son<strong>der</strong>heft: Gewalt überwin<strong>den</strong><br />

Junge Kirche – Zeitschrift europ. Christinnen und<br />

Christen, Mai 2000, 61. Jhg.<br />

Son<strong>der</strong>heft: Religionen als Quelle von Gewalt?<br />

Concilium Internationale Zeitschrift für Theologie,<br />

33. Jhg., September 1997, Heft 4<br />

Ausrottung <strong>der</strong> Armut – Überwindung von Gewalt:<br />

Themen <strong>der</strong> Oekumene, Nr. 61 – September 2000,<br />

III. Quartal<br />

Christ sein weltweit – Gewalt überwin<strong>den</strong>:<br />

Material f. Gemein<strong>den</strong> und Gruppen; 2000<br />

Hrsg.: Ev. Missionswerk in Deutschland e.V.<br />

Programm zur Überwindung von Gewalt; Zusammengestellt<br />

von Salpy Eskidjian<br />

Oekumenischer Rat <strong>der</strong> Kirchen, Genf 1997 (vergriffen?)<br />

Gewalt überwin<strong>den</strong>: Werkstatt zur Ökumenischen<br />

Dekade, 19.bis 21. Januar 2000<br />

in <strong>der</strong> Ev. Akademie Bad Boll, Protokolldienst 8/<br />

2000<br />

Lateinamerika: Wer stoppt die Gewalt?<br />

In: <strong>der</strong> überblick. Zeitschrift für ökum. Begegnung<br />

und intern. Zusammenarbeit, Heft 1 1998<br />

Krieg gegen die Frauen<br />

<strong>der</strong> überblick, Heft 2, 1993<br />

Ernst von <strong>der</strong> Recke<br />

Warum hast du gleich geschlagen, in: zivil - Zeitschrift<br />

für Frie<strong>den</strong> und Gewalt-Freiheit, 3/2000, S.36 f<br />

Tobias Kaufmann<br />

Frie<strong>den</strong> fängt beim Fußball an, in: zivil – Zeitschrift<br />

für Frie<strong>den</strong> und Gewaltfreiheit, 3/2000 S. 33 f<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_143<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Literatur: Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt - Kirchen für Frie<strong>den</strong> und Wie<strong>der</strong>versöhnung -<br />

Gewaltfreie Konfliktbearbeitung<br />

antimilitarismus information (ami) 25. Jhrg.,<br />

Heft 12, Dezember 1995<br />

Thomas Rödl<br />

Zivil handeln. Gewaltfrei Alternativen, AG Frie<strong>den</strong>spädagogik,<br />

München, 98<br />

Joachim Zierau<br />

Alternativen zur militärischen Konfliktbearbeitung,<br />

in: Grenzen <strong>der</strong> Versöhnung: Handreichung zur<br />

Frie<strong>den</strong>sdekade Aktion Sühnezeichen Frie<strong>den</strong>sdienste,<br />

Göttingen 1995<br />

Zeitschrift: Probleme des Frie<strong>den</strong>s, Pax Christi<br />

(Hrsg.), Komzi Verlag, Idstein<br />

• Frie<strong>den</strong>s- statt Militäreinsätze. Freiwillige Frie<strong>den</strong>sdienste<br />

im Aufwind, 2-3/1994<br />

• Jenseits <strong>der</strong> Gewalt. Arbeit für <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> in Ex-<br />

Jugoslawien, 1-2/1996<br />

• Aufstehen gegen Kulturen <strong>der</strong> Gewalt. Beispiel<br />

Türkei, 3/1997<br />

• Der konziliare Prozeß. Gemeinsam für Gerechtigkeit,<br />

Frie<strong>den</strong> und Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung, 1-2/1998<br />

Gewaltverherrlichung kann gefährlich sein, Ursula<br />

Nuber<br />

Interview mit H. Selg und H. Lukesch zu Gewaltdarstellungen<br />

in <strong>den</strong> Medien, in: Psychologie<br />

Heute April 1999, S. 45-49<br />

Arbeitsmaterialen:<br />

Arbeitsgruppe SOS-Rassismus NRW (Hrg.)<br />

»Spiele, Impulse und Übungen«, SOS-Rassismus,<br />

Haus Villigst, 58239 Schwerte, Tel. 02 304/75 51 90<br />

Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt,<br />

Braunschweig, Reinhard Koch, Rechtsextremismus<br />

und Gewalt.<br />

Ein Verzeichnis <strong>der</strong> in Braunschweig verfügbaren<br />

Medien und Materialien, Verzeichnis 9, 1994<br />

144_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend (Hrsg.) »Störenfriede«,<br />

Broschürenstelle Bundesministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend, Postfach 20 15 51,<br />

53145 Bonn Fon: 0180/53 29-3 29<br />

Klaus Burckhardt,<br />

Schritte gegen Tritte. Vom Umgang mit Gewalt in<br />

Südafrika und bei uns, Evangelisches Missionswerk<br />

in Deutschland (EMW), Hamburg<br />

K. Fuller, W. Kerntke<br />

Konflikte selber lösen – Mediation für Schule und<br />

Jugendarbeit, Verlag an <strong>der</strong> Ruhr, 1996<br />

K. Fuller, W. Kerntke<br />

Konflikte selber lösen – Mediation für Schule und<br />

Jugendarbeit, Verlag an <strong>der</strong> Ruhr, 1996<br />

R.-E. Posselt, Kl. Schumacher<br />

Projekthandbuch: Gewalt und Rassismus. Handlungsorientierte<br />

und offensive Projekte, Aktionen<br />

und Ideen zur Auseinan<strong>der</strong>setzung und Überwindung<br />

von Gewalt und Rassismus in Jugendarbeit,<br />

Schule und Betrieb, Mühlheim a.d.R., 1993<br />

Peace to the City. Stories of Hope. Video-Serie zur<br />

Kampagne „Peace to the City“<br />

WCC Publicationes, P.O. Box 2100, 1211 Geneva 2,<br />

Switzerland<br />

Dokumentation des Modellvorhabens „Ausbildung<br />

in ziviler Konfliktbearbeitung“, Forum<br />

Ziviler Frie<strong>den</strong>sdienst<br />

<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> Dienst für <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> (AGDF)<br />

u.a. Hrsg., 1997<br />

Detlef Beck – Barbara Müller<br />

Gewaltfreie Nachbarschaftshilfe, BSV Min<strong>den</strong>,<br />

1994<br />

»Publik-Forum«<br />

Dossier: »Den braunen Vormarsch stoppen«.


Literatur: Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt - Kirchen für Frie<strong>den</strong> und Wie<strong>der</strong>versöhnung -<br />

Dort sind auch »Initiativen für ein freundliches<br />

Land« vorgestellt. Publik-Forum, Postfach 2010,<br />

61410 Oberursel www.publik-forum.de<br />

Internetadressen:<br />

www.arbeitsstelle-moeve.de<br />

www.wcc-coe.org<br />

(ÖRK Website mit vielen Informationen)<br />

www.afg-hannover.de<br />

Zusammengestellt von:<br />

Joachim Zierau, Pastor, Arbeitsstelle KDV & ZDL<br />

& Frie<strong>den</strong>sdienste im Amt für Gemeindedienst,<br />

0511-1241-468<br />

Deeskalations-Seminare<br />

(und Informationen dazu) bieten an:<br />

Arbeitsgruppe SOS-Rassismus NRW<br />

Haus Villigst, 58239 Schwerte, Tel.: 02304-755190,<br />

e-mail: AG-SOS-R@GISMO.GUN.de<br />

ARIC-NRW (Anti-Rassismus-Informations-Centrum)<br />

Nie<strong>der</strong>str. 5, 47051 Duisburg, Tel.<br />

und Fax: 0203/284873, e-mail: ARIC@wirehub.nl<br />

o<strong>der</strong>: aric@project.fido.de<br />

Aktion Courage<br />

c/o Ulrich Nehls, Lankauer Weg 1, 23879 Mölln,<br />

Tel.: 04542-87345<br />

Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie<br />

Aktion<br />

Kirchstr. 14, 29462 Wustrow, Tel.: 05843-507<br />

Ghandi Informationszentrum<br />

Lübecker Str. 44, 10559 Berlin 21, Tel.: 030-3941420<br />

Graswurzelwerkstatt, Scharnhorststr. 6, 50733<br />

Köln 60, Tel.: 0221-765842<br />

Frie<strong>den</strong>s- und Begegnungsstätte Mutlangen e.V.<br />

Forststr. 3, 73557 Mutlangen, Tel.: 07171-75661.<br />

Werkstatt für gewaltfreie Aktion Ba<strong>den</strong><br />

Römerstr. 32, 69115 Heidelberg, Tel.: 06221/16197<br />

Bund für soziale Verteidigung, Frie<strong>den</strong>splatz 1a,<br />

32378 Min<strong>den</strong>, Tel.: 0571/29456<br />

Pädagogisches Institut des Schulreferats München<br />

c/o Wunibald Heigl, Herrnstr. 19, 80539 München,<br />

Tel.: 089-23327965 Fax.: 089-23328749<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_145<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Informationen über die AEJN<br />

Zur Arbeit <strong>der</strong> AEJN<br />

In <strong>der</strong> <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>Evangelischen</strong><br />

Jugend in Nie<strong>der</strong>sachsen (AEJN) haben sich 10<br />

Jugendverbände aus <strong>den</strong> 5 Landeskirchen, <strong>den</strong><br />

Verbän<strong>den</strong> eigener Prägung und <strong>den</strong> Freikirchen<br />

zusammengeschlossen, um u. a. „gemeinsame<br />

Belange bei staatlichen, kirchlichen und sonstigen<br />

öffentlichen Stellen“ zu vertreten. Wesentliche<br />

Grundlage <strong>der</strong> verbandlichen Jugendarbeit<br />

sind weiterhin Jugendgruppen, Projekt- und Aktionsgruppen.<br />

Sie haben wechselnde inhaltliche<br />

Schwerpunkte und sind Teil <strong>der</strong> Freizeit, die Jugendliche<br />

und junge Erwachsene gemeinsam<br />

gestalten, in <strong>der</strong> sie soziale Aktionen durchführen<br />

und sich mit religiösen, gesellschaftspolitischen<br />

und politischen Fragen auseinan<strong>der</strong>setzen. Hinzu<br />

kommen Seminare, Wochenendfreizeiten, Zeltlager,<br />

internationale Jugendbegegnungen, Jugendgottesdienste<br />

und offene Angebote für nicht<br />

organisierte Jugendliche. Ein nicht unerheblicher<br />

Anteil <strong>der</strong> Aktivitäten wird mit öffentlichen Mitteln<br />

geför<strong>der</strong>t. 1.486 Freizeiten- bzw. Bildungsmaßnahmen<br />

(davon 759 Freizeiten und 727 Bildungsmaßnahmen)<br />

haben die zehn Mitgliedsverbände<br />

<strong>der</strong> AEJN im Jahr 1999 durchgeführt . An diesen<br />

Veranstaltungen nahmen 44.142 Personen (davon<br />

22.913 weiblich und 21.229 männlich) teil.<br />

Insgesamt konnten 268.969 Teilnehmertage<br />

(TNT=Anzahl <strong>der</strong> Personen multipliziert mit Tagen)<br />

gezählt wer<strong>den</strong>. Mit mehr als 31.000 TeilnehmerInnen<br />

bei 759 Freizeitmaßnahmen dürften die<br />

evangelischen Jugendverbände zu <strong>den</strong> größten<br />

Anbietern im Jugendhilfebereich in Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

zählen. Dazu müssen eine Vielzahl von weiteren<br />

Freizeiten <strong>der</strong> örtlichen Ebene gerechnet wer<strong>den</strong>,<br />

die von dieser Statistik nicht erfasst wer<strong>den</strong>.<br />

Bei einer Auflistung <strong>der</strong> Altersstruktur ist erkennbar,<br />

dass bei <strong>den</strong> genannten Maßnahmen 17.500<br />

Jugendliche aus dem Segment <strong>der</strong> 14 -18 Jährigen<br />

stammen, ca. 7.000 Personen zum Zeitpunkt <strong>der</strong><br />

Erhebung zwischen 19 und 26 Jahre alt waren.<br />

146_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

Über 15.000 Kin<strong>der</strong> im Alter von 6 -13 Jahren nahmen<br />

an Freizeiten teil.<br />

Die Mitgliedsverbände zählten 16.978 Ehrenamtliche,<br />

die für die unterschiedlichsten Angebotsformen<br />

<strong>der</strong> Jugendarbeit aktiv tätig waren. 52%<br />

davon sind weiblich - 48% sind männlich. Diese<br />

Statistik weist nur ein Teilsegment <strong>der</strong> Angebotsvielfalt<br />

<strong>der</strong> Jugendverbände aus. Regelmäßig stattfin<strong>den</strong>de<br />

Gruppenzusammenkünfte, Projekte o<strong>der</strong><br />

Wochenendveranstaltungen kommen noch dazu.<br />

Fazit: Jede Mark, die <strong>den</strong> Mitgliedsverbän<strong>den</strong> <strong>der</strong><br />

AEJN vom Land Nie<strong>der</strong>sachsen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

öffentlichen Stellen zur Verfügung gestellt wer<strong>den</strong>,<br />

ist gut angelegt. Verwendungsnachweise wer<strong>den</strong><br />

<strong>den</strong> zuständigen Stellen zur Überprüfung regelmäßig<br />

vorgelegt.<br />

Dazu kommen die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen, die<br />

sich regelmäßig in Gruppen und Projekten, häufig<br />

wöchentlich o<strong>der</strong> 14-tägig treffen. Allein im<br />

Bereich <strong>der</strong> Ev. Jugend <strong>der</strong> hannoverschen Landeskirche<br />

gibt es mehr als 3.540 Kin<strong>der</strong>- und Jugendgruppen.<br />

Zur Arbeit Ehrenamtlicher<br />

Ehrenamtliches Engagement ist nach wie vor die<br />

tragende Säule <strong>der</strong> Jugendarbeit und insbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit. Jugendverbände<br />

wer<strong>den</strong> seit ihrer Gründung von Ehrenamtlichen,<br />

d.h. von freiwilligen und unbezahlten Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeitern getragen und gestaltet. Mit<br />

ihrem Engagement sichern sie das gesamte Verbandsleben<br />

von regelmäßiger Gruppenarbeit über<br />

die Leitung von Bildungs- und Freizeitmaßnahmen<br />

bis zur politischen Vertretung. Es sind Ehrenamtliche,<br />

die Projekte, Freizeiten und die alltäglichen<br />

Angebote erst möglich machen. Nach <strong>der</strong> oben<br />

erwähnten Aktivitätenübersicht <strong>der</strong> AEJN wur<strong>den</strong><br />

16.978 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />

gezählt.


Die Mitgliedsverbände <strong>der</strong> AEJN haben Strukturen<br />

und Rahmenbedingungen geschaffen, damit junge<br />

Menschen<br />

• durch religiöse, allgemeine und politische<br />

Bildung in ihrer Persönlichkeitsentwicklung<br />

geför<strong>der</strong>t wer<strong>den</strong>;<br />

• ihre Interessen innerhalb ihres eigenen Jugendverbandes<br />

artikulieren;<br />

• ihre Bedürfnisse und Anliegen in <strong>der</strong> kirchlichen<br />

und politischen Öffentlichkeit vertreten;<br />

Als Grundlage dient die Überzeugung, wie sie z. B.<br />

in <strong>der</strong> Präambel <strong>der</strong> Ordnung für die ev. Jugendarbeit<br />

in <strong>der</strong> Ev.-luth. Landeskirche Hannovers formuliert<br />

ist:<br />

„Ev. Jugendarbeit will allen jungen Menschen das<br />

Evangelium von Jesus Christus in ihnen gemäßer<br />

Weise bezeugen, sie mit <strong>der</strong> biblischen Botschaft<br />

in ihrer Lebenswirklichkeit begleiten und sie<br />

ermutigen, in <strong>der</strong> Nachfolge Jesu Christi als mündige<br />

Christen kirchliches Leben mitzugestalten und<br />

Verantwortung in <strong>der</strong> Welt wahrzunehmen.“<br />

<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong> Ev. Jugend in Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

(AEJN): evangelische Jugendarbeit <strong>der</strong><br />

Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig, Ev.-luth.<br />

Landeskirche Hannovers, Ev.-luth. Kirche in Ol<strong>den</strong>burg,<br />

Ev.-luth. Landeskirche Schaumburg-<br />

Lippe, Evangelisch-reformierte Kirche (Synode<br />

ev.-ref. Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland),<br />

Jugendwerk <strong>der</strong> ev.-meth. Kirche Nie<strong>der</strong>sachsen,<br />

Gemeindejugendwerke Nie<strong>der</strong>sachsen<br />

und Nordwestdeutschland des Bundes Ev.-freikirchlicher<br />

Gemein<strong>den</strong>, Jugendwerk des Bundes<br />

<strong>der</strong> freien <strong>Evangelischen</strong> Gemein<strong>den</strong>, CVJM in<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen, Nie<strong>der</strong>sächsischer Jugendverband<br />

„Entschie<strong>den</strong> für Christus (EC)“ e.V.<br />

Postanschrift: Postfach 265, 30002 Hannover,<br />

Telefon (05 11) 12 41 - 5 71, Fax (05 11) 12 41 - 4 92<br />

e-mail: AEJN.@t-online.de<br />

Homepage: http://www.ejh.de/aejn.htm<br />

Informationen über die AEJN<br />

ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_147<br />

GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>


GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />

Veröffentlichungen „<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong>“<br />

<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1992 vergriffen<br />

40 Tage ohne …Verzicht ein Gewinn<br />

- Fasten - ein leibliches Fest und ein<br />

religiöses Ereignis<br />

- Thema Alkohol<br />

- Thema Süßigkeiten<br />

- Thema Medienkosum<br />

<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1993 vergriffen<br />

Gewalt - gewaltfrei leben<br />

- Die Aktion<br />

- Gewalt in <strong>der</strong> Schule<br />

- Gewalt in <strong>der</strong> Freizeit<br />

- Gewalt in <strong>den</strong> Medien<br />

<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1994 DM 6,–<br />

Wettstreit statt Feindschaft<br />

- Die Aktion<br />

- Versuch einer Ist-Stands Beschreibung<br />

- Individuum und Gemeinschaft - Ich suche<br />

mich noch<br />

- Individuum und Gemeinschaft - „Es ist<br />

nicht gut, dass <strong>der</strong> Mensch allein sei...„<br />

- Werte und Orientierungen - Die an<strong>der</strong>en<br />

sind mein größter Wert<br />

<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1995 DM 6,–<br />

Fasten und Teilen<br />

- Option für die Schwachen<br />

- Jugend und Teilen<br />

- Macht teilen<br />

- Zeit - teilen statt totschlagen<br />

- Arbeit teilen<br />

- Geld/Besitz teilen<br />

- Begabung, Intelligenz, Talent und die<br />

Möglichkeit des Teilens<br />

- Fasten und Teilen im Horizont <strong>der</strong> Einen Welt<br />

<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1996 DM 6,50<br />

Kick, Fun & Thrill<br />

- von <strong>der</strong> Schiffsschaukel zum Euro-Disney<br />

- <strong>Trend</strong>s<br />

- Tanzen ist Trumpf<br />

- Beziehungskisten<br />

- Erleben gegen <strong>den</strong> <strong>Trend</strong><br />

- Erlebnispädagogik - Rettungsanker in<br />

schwieriger Zeit?<br />

148_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />

<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1997 vergriffen<br />

Surfen in die Zukunft<br />

- Runter von <strong>der</strong> Oberfläche<br />

- Ich-Styling<br />

- Kreativ sein im Internet<br />

- Die Computergesellschaft<br />

- Kommunikation<br />

- Zukunft in <strong>der</strong> Bibel<br />

<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1998 DM 6,50<br />

Erfolgreich leben<br />

- Erfolg, was ist das für mich<br />

- Je<strong>der</strong> ist seines Glückes Schmied? Von<br />

Leitbil<strong>der</strong>n und Idolen<br />

- Stell Dir vor, Du stellst Dich vor, und keiner<br />

stellt Dich ein!<br />

- Warum immer nur zu kurz kommen?<br />

Frauen und Erfolg<br />

- Die Geburtsstätte des Erfolgs: Die Stadt<br />

- Von Winnern und Losern: die geistliche Dimension des Erfolges<br />

- Impuls- und Erlebnisstationen zu biblischen „Erfolgstexten“<br />

<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1999 DM 6,50<br />

Navigation braucht Orientierung<br />

- Orientierung<br />

- Vom Gebot zur Geschichte - Orientierung<br />

als Prozeß<br />

- Innerer Kompaß und Orientierungslosigkeit<br />

- Global + Ratlosigkeit = Angst<br />

- Lebensaufgaben im Jugendalter<br />

- Wertehammer<br />

- Werte und Orientierungen - Wir haben einen Traum - The dark side of the moon - Umgang mit Tod und Sterben<br />

- Wie gewinne ich Orientierung?<br />

<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 2000 DM 6,50<br />

Von Hel<strong>den</strong> und an<strong>der</strong>en Lichtgestalten<br />

- Einführung<br />

- Hel<strong>den</strong> - Begleiter auf dem Weg zur<br />

eigenen Persönlichkeit<br />

- Filmhel<strong>den</strong> in Aktion<br />

- Star Trek - Raumschiff Enterprise<br />

- Stars - Hel<strong>den</strong> in <strong>der</strong> Musikszene<br />

- Martin Luther King<br />

- Vom General zum Frie<strong>den</strong>sheld - Yitzchak Rabin<br />

- Heldinnen<br />

- Jungen - Männer - Hel<strong>den</strong><br />

- „Mir nach spricht Christus unser Held …“

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