Gegen den Trend 2001 - Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen ...
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AEJN • <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>Evangelischen</strong> Jugend in Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
Postfach 265 • 30002 Hannover • Telefon: 05 11 / 12 41 - 572 / - 571 • Fax: 05 11 / 12 41 - 492<br />
AEJN.@t-online.de • http://www.ejh.de/aejn.htm<br />
Redaktion:<br />
Ralph-Ruprecht Bartels, Christian Ceconi-Solle, Daniela Jeksties, Gottfried Labuhn, Manfred Neubauer, Daniel Petzold<br />
Autoren:<br />
Ralph-Ruprecht Bartels, Pastor im Landesjugendpfarramt Hannover<br />
Martin Bauer, Dipl. Religionspädagoge, Kirchenkreisjugendwart Nienburg<br />
Christian Ceconi-Solle,Vikar, Ehrenamtlicher <strong>der</strong> Christlichen Pfadfin<strong>der</strong>schaft Deutschland<br />
Daniela Jeksties, Dipl. Sozialwirtin, Referentin für Mädchenarbeit, Landesjugendpfarramt Hannover<br />
Gottfried Labuhn, Dipl.Sozialarbeiter, Propsteijugenddiakon, Ev.-Luth. Landeskirche Braunschweig<br />
André Medeke, Dipl. Religionspädagoge, Regionaljugenddiakon f. d. Kirchenkreis Vechta, Ev.Luth. Kirche in Ol<strong>den</strong>burg<br />
Roger Moch, Berufsschulpastor, Rotenburg/Wümme<br />
Manfred Neubauer, Dipl.Religionspädagoge, Jugendbildungsreferent im Landesjugendpfarramt Hannover<br />
Daniel Petzold,Vikar und Mitglied <strong>der</strong> Altpapiergruppe Loccum<br />
Siegfried Rupnow, Dipl. Religionspädagoge, Landesjugendwart im Landesjugendpfarramt Hannover<br />
Eva Viedt, Diakonin, Arbeitsgebiet Mädchenarbeit, Evangelischer Stadtjugenddienst Braunschweig<br />
Dr. Klaus Zastrow, Berufsschulpastor in Bückeburg<br />
Titelseite:<br />
Kolja Schwab - s•form<br />
Satzerfassung:<br />
Doris Koch, Manfred Neubauer<br />
Layout:<br />
Kolja Schwab - s•form<br />
Druck:<br />
Buchdruckwerkstätten GmbH, Hannover<br />
Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier, Recycling<br />
Hannover, im Januar <strong>2001</strong><br />
GEGEN DEN TREND<br />
-<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG<br />
UND GEWALT …
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
5_ Vorwort <strong>der</strong> Nds. Ministerin für Frauen,<br />
Arbeit und Soziales<br />
6_ Vorwort <strong>der</strong> Redaktion<br />
Die Aktion<br />
8_ Die Aktion und ihr Thema<br />
8_ Zur Arbeit <strong>der</strong> Projektgruppe und <strong>der</strong> Zielsetzung<br />
9_ Fasten, warum?<br />
9_ Die Arbeitshilfe (Broschüre) und ihre Zielgruppen<br />
10_ Die Themen<br />
Jugendgewalt - Wie, wo, warum?<br />
- Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong><br />
neuesten soziologischen Studien<br />
12_ Einleitung<br />
12_ Gewalt in <strong>der</strong> Schule<br />
12_ Gewalt findet (meistens) draußen statt<br />
13_ Bangemachen bringt nix – die Rolle <strong>der</strong><br />
Lehrer/innen<br />
13_ Gewalt und soziales Milieu<br />
13_ Gewalterlebnisse bestimmen das Gewaltverhalten<br />
14_ Je schlechter die soziale Lage, desto häufiger<br />
Gewalt<br />
14_ Normen wer<strong>den</strong> zu Hause gemacht<br />
15_ Jugendgewalt ist ein Männlichkeitsproblem<br />
15_ Sind es also immer die Auslän<strong>der</strong>?<br />
16_ Welchen Stellenwert hat das Thema Gewalt<br />
für die Jugendlichen selbst?<br />
16_ Das Gewaltproblem realistisch einschätzen<br />
und gezielt daran arbeiten<br />
Faszinosum Gewalt<br />
20_ Das Ende <strong>der</strong> Vernunft?<br />
20_ Kein Leben ohne Beziehung<br />
21_ Wie <strong>der</strong> Mensch sich selbst gewinnt<br />
22_ 3 x 1 = 1: Der dreieinige Gott<br />
23_ Gewalt und die Suche nach Beziehung<br />
2_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
23_ Nächstenliebe – Deine Sache!?<br />
24_ Vom Frem<strong>den</strong> zum Eigenen<br />
26_ Pädagogik <strong>der</strong> Grenzen<br />
26_ Der Grund des Seins – Kick o<strong>der</strong> Exstase<br />
28_ Verstehen o<strong>der</strong> Abschrecken?<br />
28_ Nachsicht o<strong>der</strong> Verantwortung?<br />
Wie wirkt Musik?<br />
34_ Die Affekte, Begriffsbestimmungen<br />
35_ Aggression beim Menschen Aggressionstheorien<br />
37_ Praxisbaustein: Ablauf eines Schulgottesdienstes<br />
an <strong>der</strong> BBS zum Thema Gewalt/<br />
Menschlichkeit<br />
40_ Gewalt in <strong>den</strong> Medien/Musik<br />
40_ Begegnung mit einem (typischen?) Nazimusik-Konsumenten<br />
44_ Musik und ihre Funktionen<br />
Die Welt zertrümmern?!<br />
Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
48_ Vorbemerkung<br />
48_ Einleitung<br />
50_ Inhalt <strong>der</strong> Studie, Fragestellungen und<br />
Hypothesen <strong>der</strong> Studie von C. Stöver<br />
50_ Hypothesenbildung<br />
51_ Der Fragebogen<br />
53_ Fragebogen zum Zusammenhang von<br />
Persönlichkeit und Musikkonsum<br />
58_ Analyse und Untersuchungsergebnisse<br />
61_ Zusammenfassung <strong>der</strong> Untersuchungsergebnisse<br />
63_ Fazit<br />
Gewaltbereite Mädchen<br />
68_ Das Projekt „Starke Mädchen gegen Rechts“<br />
68_ Hintergrundwissen über gewaltbereite<br />
Mädchen<br />
69_ Warum sind Mädchen und Frauen in <strong>der</strong><br />
rechtsextremen Szene zu fin<strong>den</strong>?
70_ Ziel des Projektes<br />
71_ Umsetzung<br />
71_ Vorstellung vom Teilprojekt „Straßenbefragung“<br />
72_ Ergebnisse des Gesamtprojektes<br />
Sexuelle Gewalt gegen Mädchen<br />
und Frauen<br />
74_ Wege des Ausbruchs<br />
75_ Überlebensstrategien<br />
76_ Gefühl zeigen über Kreativität<br />
76_ Freies und experimentelles Malen<br />
76_ Mädchenarbeit ist Präventionsarbeit<br />
77_ Wen Do - Weg <strong>der</strong> Frauen<br />
77_ Ausgangssituation<br />
78_ Geschichte und Prinzipien<br />
78_ Das Beson<strong>der</strong>e am Wen Do<br />
79_ Wen Do als Bildungsschwerpunkt in <strong>der</strong><br />
Mädchenarbeit<br />
Gewalt und Jungen (Jungen treten -<br />
Mädchen ziehen an <strong>den</strong> Haaren)<br />
82_ Einleitung<br />
83_ Beschreibung von aktiver Gewalt bei Kin<strong>der</strong>n<br />
und Jugendlichen<br />
83_ Gewalt in <strong>der</strong> Familie<br />
83_ Jungen und Gewalt<br />
84_ Jugendgewalt<br />
84_ Gewalt als Mittel <strong>der</strong> I<strong>den</strong>titätsfindung<br />
84_ Gewalt als Erlebnis<br />
85_ Gewalt als Angstabwehr<br />
85_ Konsequenzen für die Gewaltprävention<br />
Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen<br />
Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />
88_ Von Pazifismus keine Spur<br />
88_ Ein starker Gott hilft einem schwachen<br />
Volk: Showdown am Schilfmeer<br />
89_ Eine betende Terminatorin: Judit<br />
90_ Begeisterung macht stark: Simson<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
90_ Die jugendliche Geheimwaffe: David<br />
91_ Größe und Größenwahn<br />
92_ Rohrstockpädagogik im Kleinen ...<br />
93_ ...und im Großen<br />
93_ Der an<strong>der</strong>e Gott<br />
95_ Runter mit <strong>der</strong> Hasskappe – rauf mit dem<br />
Helm des Heils!<br />
96_ Kreativität für das Evangelium des Frie<strong>den</strong>s<br />
97_ Praxisbeispiel<br />
Dekade zur Überwindung von<br />
Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - Ein Programm<br />
des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />
100_ Ein Programm zur Überwindung <strong>der</strong> Gewalt<br />
101_ Die Geschichte <strong>der</strong> ÖRK - Dekade<br />
103_ Das Programm <strong>der</strong> Dekade<br />
104_ ÖRK - Dekade und evangelische Jugendarbeit<br />
Praxisbeispiele<br />
Für die Arbeit mit Mädchen (jungen Frauen)<br />
108_ Ich brauche Platz<br />
108_ Ich breche aus<br />
109_ Rück‘ mir nicht auf die Pelle<br />
Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />
112_ Elektrischer Draht<br />
113_ Säureteich<br />
114_ Das Spinnennetz<br />
115_ Konkurrenz unter Jungen<br />
Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/<br />
Männern und Frauen<br />
118_ Lebenskurve: Erfahrungen von Gewalt<br />
119_ Grenzen wahrnehmen<br />
119_ Burgspiel<br />
120_ Burgspiel (Variante)<br />
121_ Manchmal haben Frauen …<br />
122_ Begeisterung kennt keine Grenzen<br />
123_ Gruppenarbeit zum Thema Begeisterung<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_3<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Gewaltorientierte Spiele mit <strong>der</strong><br />
Playstation - ein Selbstversuch<br />
125_ Die Idee<br />
125_ Der Versuchsaufbau<br />
125_ Durchführung<br />
127_ Unsere Erfahrungen und Tipps zur Durchführung<br />
des Versuchs in Schulklassen und<br />
Jugendgruppen<br />
127_ Kleine Quellenkunde zu geeigneten (aktuellen)<br />
Spielen<br />
128_ Und was bringt‘s?<br />
Das Bauwagenprojekt „Paule“ zur<br />
Überwindung von Gewalt<br />
129_ Entstehung des Projektes<br />
129_ Ziel: Overcome violence – die Gewalt überwin<strong>den</strong><br />
129_ Der Ausbau des Bauwagens<br />
130_ Die Arbeit mit „Paule“<br />
131_ 10 Artikel zur Gewaltvermeidung<br />
131_ Mobilität<br />
132_ Teamarbeit<br />
132_ Ausblick<br />
Gewalt in unseren Straßen<br />
133_ Erlebnisse eines 16jährigen<br />
134_ Vaterland<br />
135_ Schritte gegen Tritte<br />
138_ 10 Regeln zur Deeskalation<br />
142_ Literaturliste und Deeskalationsseminare<br />
146_ Informationen über die AEJN<br />
148_ Veröffentlichungen <strong>der</strong> AEJN zur Aktion<br />
„<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong>“<br />
4_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …
Vorwort <strong>der</strong> Nds. Ministerin für Frauen, Arbeit und Soziales<br />
Mit ihrem Motto „<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> <strong>2001</strong> - Zwischen<br />
Begeisterung und Gewalt“ ruft die <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Evangelischen</strong> Jugend zu ihrer<br />
diesjährigen Fastenaktion auf. Gewalt scheint „im<br />
<strong>Trend</strong>“ zu liegen. Medienmeldungen über Gewalt<br />
an Auslän<strong>der</strong>n und fremdländisch Aussehen<strong>den</strong>,<br />
an Behin<strong>der</strong>ten, Obdachlosen, Wehrlosen häufen<br />
sich. Gewalt, die weniger nach außen dringt,<br />
herrscht in vielen Familien. Subtile Formen <strong>der</strong><br />
Gewalt fin<strong>den</strong> sich in <strong>der</strong> Arbeitswelt. Gewalt<br />
richtet sich immer gegen Schwächere. Gewalt<br />
wi<strong>der</strong>spricht <strong>den</strong> zentralen Grundsätzen unseres<br />
Zusammenlebens, <strong>der</strong> Freiheit, <strong>der</strong> Solidarität und<br />
<strong>der</strong> gegenseitigen Achtung. Ansätze, die „gegen<br />
<strong>den</strong> <strong>Trend</strong>“ <strong>der</strong> Gewalt wirken, sind daher notwendig.<br />
Dazu gehört es, auf die unterschiedlichen<br />
Formen von Gewalt und ihre Ursachen hinzuweisen,<br />
Wege zur Prävention aufzuzeigen, Beispiele<br />
und Anregungen zu benennen, die jungen Menschen<br />
und ihren Familien, Pädagogen in <strong>der</strong> Jugendhilfe<br />
und <strong>der</strong> Schule helfen und Mut machen,<br />
Gewalt vorzubeugen und abzubauen. Die diesjährige<br />
Aktion <strong>der</strong> <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>Evangelischen</strong><br />
Jugend leistet dazu einen guten Beitrag.<br />
Mit dem „Präventions- und Integrationsprogramm”,<br />
das auf einer Intensivierung <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />
zwischen Jugendhilfe und Schule aufbaut, verstärkt<br />
Nie<strong>der</strong>sachsen in diesem Jahr die Maßnahmen<br />
des Landes zur Gewaltbekämpfung. Aber um<br />
<strong>der</strong> Gewalt in ihren verschie<strong>den</strong>en Formen wirksam<br />
zu begegnen, bedarf es darüber hinaus <strong>der</strong><br />
gemeinsamen Verantwortung und Bereitschaft zur<br />
Zusammenarbeit vieler gesellschaftlicher Gruppen<br />
und Institutionen und auch vieler Einzelner, die<br />
beispielgebend sind. Beson<strong>der</strong>s Familien brauchen<br />
unsere Unterstützung. Wir haben gemeinsam<br />
die Aufgabe, junge Menschen mit ihren Erwartungen,<br />
Ängsten und Wünschen ernstzunehmen, sie<br />
an Entscheidungen, die ihre Angelegenheiten<br />
betreffen, zu beteiligen, ihnen lebenswerte Perspektiven<br />
zu geben und verantwortlich mit <strong>den</strong><br />
Ressourcen ihrer Zukunft umzugehen. In dieser<br />
Aufgabe liegt ein Schlüssel zur Gewaltvermeidung.<br />
Ich würde mich sehr freuen, wenn die vorliegende<br />
Arbeitshilfe für Jugendhilfe und Schule zu konstruktiven<br />
und hilfreichen Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
mit dem Thema „Gewalt” beitragen kann.<br />
Dr. Gitta Trauernicht<br />
Nie<strong>der</strong>sächsische Ministerin<br />
für Frauen, Arbeit und Soziales<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_5<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Vorwort <strong>der</strong> Redaktion<br />
Bartels: Ja, da sind wir doch auf einen fahren<strong>den</strong><br />
Zug aufgesprungen, o<strong>der</strong>, Neubauer?<br />
Neubauer: Die Idee des Themas war schon länger<br />
vorhan<strong>den</strong>, wie du dich erinnerst. Im<br />
Rahmen <strong>der</strong> Reihe „<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong>”<br />
haben wir 1993 schon einmal das<br />
Thema „Gewalt” behandelt.<br />
Bartels: ...und, hat sich seitdem etwas verän<strong>der</strong>t?<br />
Gibt es neue Erkenntnisse, die<br />
eine weitere Arbeitshilfe zu dem Themenkomplex<br />
begrün<strong>den</strong>?<br />
Neubauer: Acht Jahre sind verstrichen, die Aktualität<br />
des Themas ist ungebrochen. Hinzu<br />
kommt, dass für das Jahr <strong>2001</strong> die<br />
ÖRK 1 -Dekade zur Überwindung von<br />
Gewalt ausgerufen wurde. Das hat auf<br />
verschie<strong>den</strong>en Ebenen Bewegung<br />
gebracht. Im Bereich <strong>der</strong> evangelischen<br />
Jugendarbeit <strong>der</strong> Landeskirche Hannovers<br />
hat beispielsweise die Landesjugendkammer<br />
beschlossen, sich an<br />
<strong>der</strong> Umsetzung <strong>der</strong> Dekade zu beteiligen.<br />
Bartels: Richtig, die Synode <strong>der</strong> Landeskirche<br />
hat in ihrer Novembersitzung ebenfalls<br />
einen entsprechen<strong>den</strong> Beschluss<br />
gefasst.<br />
Neubauer: Außerdem: Wir haben scheinbar friedliche<br />
Zeiten. Wie leben in einem Land, in<br />
dem es keine Bombennächte mehr<br />
6_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
gibt. Unsere Gesellschaft baut ja<br />
bekanntlich auf einem geregelten<br />
Rechtssystem auf, <strong>der</strong> Staat hat das<br />
Gewaltmonopol und körperliche Stärken<br />
sind zum Überleben nicht mehr<br />
notwendig, außer in Godzillafilmen,<br />
o<strong>der</strong> Bartels?<br />
Bartels: Ja, es findet zur Zeit <strong>der</strong> virtuelle Overkill<br />
statt, in PC´s, auf Spielkonsolen in<br />
Action-Filmen und Serien. Dort wer<strong>den</strong><br />
Fähigkeiten idealisiert, die Mann o<strong>der</strong><br />
Frau im normalen Leben eigentlich<br />
nicht mehr braucht. Wo kann man sich<br />
heute noch austesten? Da bleibt nur<br />
die Randale auf Straßen o<strong>der</strong> in Stadien,<br />
ist doch so o<strong>der</strong>, Neubauer?<br />
Neubauer: Richtig, Bartels. Deshalb haben wir ja<br />
auch lange <strong>den</strong> Spagat diskutiert:<br />
„Zwischen Begeisterung und Gewalt”.<br />
Uns war und ist klar, dass Begeisterung<br />
kreativ positiv umgesetzt wer<strong>den</strong> kann.<br />
Aber auch negativ gewendet in Gewalt<br />
umschlagen kann. O<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s ausgedrückt:<br />
Begeisterung ist eine Kraft, die<br />
unglaublich viel Kreativität freisetzen<br />
kann. An<strong>der</strong>erseits kann sie uns auch<br />
zu Dingen hinreißen, die Unheil bewirken.<br />
Bartels: Stimmt, aus Begeisterung kann auch<br />
Gewalt wer<strong>den</strong>. Aber Jugendliche teilen<br />
nicht nur Gewalt aus, son<strong>der</strong>n sie sind<br />
auch im hohen Maße Opfer von Brutalität,<br />
Erpressung und dem sogenannten<br />
„Abziehen”. Erwachsene beklagen die<br />
vermeintliche Zunahme von Gewalt,<br />
aber sehen sie auch inwieweit sie selbst<br />
dafür die Ursache sind, Neubauer?<br />
Neubauer: Ist doch klar, Bartels. Diejenigen, die<br />
selbst Gewalt erlitten haben, wer<strong>den</strong>
eher gewalttätig, das zeigen einschlägige<br />
wissenschaftliche Untersuchungen.<br />
Bartels: Das sagt auch schon das Alte Testament:<br />
„Die Sünde <strong>der</strong> Väter will ich<br />
heimzahlen bis ins dritte und vierte<br />
Glied”.<br />
Neubauer: Erwachsene leben nicht unbedingt<br />
gewaltfreies Handeln vor. Schläge sind<br />
in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>erziehung weiterhin an <strong>der</strong><br />
Tagesordnung, Gewalt zwischen Frauen<br />
und Männern wird üblich und verniedlicht.<br />
Jungen und Mädchen lernen<br />
davon.<br />
Bartels: Ach du meinst, „manchmal haben<br />
Frauen ein bisschen Haue gern”, wie es<br />
„Die Ärzte” singen. Aber das kann doch<br />
nicht ernst gemeint sein, o<strong>der</strong>, Neubauer?<br />
Neubauer: Natürlich nicht, Bartels. Da wird uns<br />
doch ein Spiegel vorgehalten, das ist<br />
doch eher eine Persiflage. Aber es<br />
zeigt, dass das Thema allgegenwärtig<br />
ist und auf Gewalt mit Gewalt reagiert<br />
wird, selbst von Frauen.<br />
Bartels: Gibt es so etwas wie ein Bedürfnis nach<br />
Gewalt? Ein letzter Kick nachdem alle<br />
an<strong>der</strong>en täglichen Höhepunkte ausgereizt<br />
sind?<br />
Neubauer: Ich glaube schon. Es gibt eine voyeuristische-<br />
und eine Opfer-Perspektive.<br />
Ganz abgesehen von <strong>der</strong> Täter-Sicht,<br />
o<strong>der</strong> Bartels?<br />
Bartels: Liebe und Gewalt rühren an die tiefsten<br />
Schichten unserer Existenz. Sie lassen<br />
sich beide nicht allein auf <strong>der</strong> Ebene<br />
des Verstandes bewältigen, son<strong>der</strong>n<br />
greifen tief in unseren Gefühlshaushalt<br />
hinein. Aber vielleicht ist es darum um<br />
so wichtiger, klare Orientierungen zu<br />
gewinnen über das, was sein soll und<br />
was nicht sein darf.<br />
Neubauer: Dann darf das ganze Thema nicht nur<br />
über die theoretische Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
angegangen wer<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n wir<br />
müssen vielleicht alte und neue Techniken<br />
anwen<strong>den</strong>, bzw. entwickeln, die<br />
zur Gewaltüberwindung führen und<br />
gewaltfreieren Umgang zwischen uns<br />
ermöglichen.<br />
Bartels: Also, ähnlich wie ich auch das Lieben<br />
lernen muss, Neubauer?<br />
Neubauer: Ja klar, Bartels, auch du.<br />
Bartels: Wir alle sind hoffentlich lernfähig,<br />
Neubauer!<br />
1 Ökumenischer Rat <strong>der</strong> Kirchen<br />
Vorwort <strong>der</strong> Redaktion<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_7<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Die Aktion<br />
Die Aktion und ihr Thema<br />
Fasten ist mehr als nur Verzichten. Mit dem Fasten<br />
steigen Menschen aus gewohnten Verhaltens- und<br />
Konsumweisen aus und es eröffnen sich ihnen<br />
neue Reflexionsmöglichkeiten. Es ist eine Zeit des<br />
Innehaltens und <strong>der</strong> Besinnung auf das eigene<br />
Verhältnis zu Gott und zur Welt. Eine heilsame<br />
Leere tut sich auf und will mit weiterführen<strong>den</strong><br />
Anregungen gefüllt wer<strong>den</strong>. In <strong>der</strong> diesjährigen<br />
Fastenzeit will die Aktion „<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong>” <strong>der</strong><br />
<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>Evangelischen</strong> Jugend in<br />
Nie<strong>der</strong>sachsen (AEJN) das Thema „Zwischen<br />
Begeisterung und Gewalt” in <strong>den</strong> Mittelpunkt des<br />
Nach<strong>den</strong>kens stellen.<br />
Begeisterung - ein Hochgefühl, dass dem Geist<br />
Flügel verleiht. Es gibt ganz unterschiedliche<br />
Ursachen und ganz unterschiedliche Wirkungen<br />
von Begeisterung. Begeisterung kann Kreativität<br />
zur Überwindung von Gewalt freisetzen. Begeisterung<br />
kann aber auch Grenzen sprengen, eigenes<br />
Verhalten entgrenzen und somit in Gewalt umschlagen.<br />
„Das ist eben so bei mir, wenn ich erst<br />
mal dabei bin, kann ich nicht einfach aufhören”<br />
sagte ein 23 Jähriger vor Gericht, <strong>der</strong> einen Obdachlosen<br />
fast zu Tode geprügelt hatte. Gewalt<br />
schreckt ab und macht Angst, Gewalt wird (zu<br />
recht) moralisch verurteilt. Gewalt kann aber auch<br />
zum „Trip” wer<strong>den</strong>, zum faszinieren<strong>den</strong> Rausch, in<br />
dem alle Hemmungen verloren gehen. Begeisterung<br />
und Gewalt sind beides ambivalente Phänomene,<br />
die oftmals miteinan<strong>der</strong> in einer engen<br />
Beziehung stehen.<br />
Zur Arbeit <strong>der</strong> Projektgruppe<br />
und die Zielsetzung<br />
Insgesamt hatte die Projektgruppe die Schwierigkeit,<br />
dass <strong>der</strong> Fokus bei <strong>der</strong> Behandlung des<br />
Themas stärker auf dem Stichwort „Gewalt˝ lag.<br />
Der Bereich „Begeisterung˝ musste immer wie<strong>der</strong><br />
neu in <strong>den</strong> Blickpunkt gerückt wer<strong>den</strong>. Doch ist es<br />
8_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
in manchen Beiträgen gelungen, die jeweiligen<br />
Pole zu Wort kommen zu lassen. Bei <strong>der</strong> Behandlung<br />
eines Themenkomplexes war folgen<strong>der</strong> 3-er<br />
Schritt leitend: 1.) Beschreibung, 2.) Zuspitzung<br />
und 3.) Material zur Umsetzung, um dadurch <strong>den</strong><br />
Praxisbezug sicher zu stellen. Für die Projektgruppenmitglie<strong>der</strong><br />
galt für die Artikel folgende<br />
Glie<strong>der</strong>ung:<br />
• Einordnung des Themas: Begeisterung und<br />
Gewalt<br />
• Wie wird Begeisterung thematisiert und wie<br />
lässt sie sich dokumentieren?<br />
• Wie wird Gewalt thematisiert und wie lässt sie<br />
sich dokumentieren?<br />
• Ausblicke zum Umgang mit Begeisterung und<br />
Gewalt<br />
• Ausblicke zur Überwindung<br />
Als inhaltliche Zielsetzung für diese Arbeitshilfe<br />
wurde formuliert:<br />
• dass eine weitere Sensibilisierung für gesellschaftliche<br />
Phänomene zwischen Begeisterung<br />
und Gewalt erfolgen soll<br />
• dass dabei auch <strong>der</strong> eigene Umgang mit Gewalt<br />
in <strong>den</strong> Blick genommen wer<strong>den</strong> soll<br />
• dass Möglichkeiten erkundet wer<strong>den</strong> sollen,<br />
wie die zweifelsohne bei Jugendlichen vorhan<strong>den</strong>e<br />
Begeisterungsbereitschaft auf gute Wege<br />
geleitet wer<strong>den</strong> kann.<br />
• dass das Thema 1993 zwar schon einmal behandelt<br />
wurde, aber nach acht Jahren sich<br />
eine „Neubearbeitung” lohnt, da das Thema<br />
weiterhin virulent ist und die Dekade zur<br />
Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong> – 2010 – ein<br />
Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />
- aufgenommen und unterstützt wer<strong>den</strong><br />
soll.<br />
Über die 40 Tage <strong>der</strong> Passionszeit hinaus erhoffen<br />
wir uns gute Diskussionen in Schulklassen und<br />
Jugendgruppen, in <strong>den</strong>en Jugendliche angeregt<br />
wer<strong>den</strong>, ihre persönlichen Vorstellungen zu Gewalt<br />
und ihrer Überwindung weiterzuentwickeln.
Fasten, warum?<br />
Neben <strong>der</strong> inhaltlichen Auseinan<strong>der</strong>setzung mit<br />
dem Thema: „<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> – Zwischen Begeisterung<br />
und Gewalt” bietet die Fastenzeit selbst<br />
Gelegenheit innezuhalten. Der Anstoß dafür liegt<br />
in <strong>der</strong> Bereitschaft, vorhan<strong>den</strong>e Verhaltensmuster<br />
und Einstellungen, gewohnte und vielleicht sogar<br />
beliebte Gewohnheiten auf ihre Bedeutung<br />
für die eigene Lebensgestaltung zu überprüfen.<br />
Und zwar durch Verzicht, freiwillig, einzeln o<strong>der</strong><br />
gemeinsam. Die im biologischen Vollzug oft genug<br />
praktizierte und <strong>der</strong> körperlichen Verfassung<br />
zu Nutze kommende Praxis des Fastens hat ihr<br />
Pendant im geistig-seelischen Bereich gefun<strong>den</strong>.<br />
Selbst religiös nicht engagierte Menschen können<br />
für sich einen Sinn darin sehen, die Orientierung<br />
nach an<strong>der</strong>en Maßstäben zu fin<strong>den</strong> als<br />
nur nach dem Schema „Nehmen ist seliger als Geben”<br />
(in Umkehr zu einer christlich verwurzelten<br />
Einstellung). Eine befriedigende Lebensgestaltung<br />
kann eben nicht durch Egoismus und Kosten-Nutzen-Denken<br />
gefun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. In <strong>der</strong><br />
(<strong>Evangelischen</strong>) Jugend liegt das Potential zur<br />
Verän<strong>der</strong>ung, zum Ausprobieren, zum Protest.<br />
Dies lässt sich auch für solch eine Fastenaktion<br />
nutzbar machen.<br />
Der biblische Anknüpfungspunkt kann z. B. mit<br />
einem Text nach dem Jesaja-Buch benannt wer<strong>den</strong>,<br />
in dem Fasten und Teilen anschaulich aufeinan<strong>der</strong><br />
bezogen wer<strong>den</strong>: „Während du fastest, singst,<br />
betest und dich ausruhst, arbeiten zur gleichen<br />
Zeit an<strong>der</strong>e für einen Hungerlohn dafür, dass es dir<br />
gut geht. Vielleicht unterdrückst du nicht selbst<br />
an<strong>der</strong>e Mitmenschen: aber du lässt zu, dass es<br />
geschieht. Du selbst achtest die Menschenrechte,<br />
aber du lässt zu, dass an<strong>der</strong>e sie missachten. Zwar<br />
bist du auch dafür, dass es <strong>den</strong> Armen in <strong>den</strong><br />
Entwicklungslän<strong>der</strong>n besser geht, aber du nimmst<br />
in Kauf, dass sie arm sind, weil du hier billige<br />
Produkte einkaufen kannst. Fasten heißt: verzichten<br />
und teilen. Du kannst nicht fasten und es<br />
Die Aktion<br />
zulassen, dass die Armen <strong>der</strong> Welt mit vielen<br />
schönen Worten abgespeist wer<strong>den</strong> und weiter<br />
hungern müssen. Wenn du fastest, dann sollst du<br />
demjenigen Obdach und Wohnung gewähren, <strong>der</strong><br />
keine Wohnung hat … Wenn du fastest, dann gib<br />
das ab, worauf du verzichtest: gib dem Hungrigen<br />
von deinem Brot, dem Nackten von deiner Kleidung,<br />
dem Obdachlosen von deiner Wohnung,<br />
dem Verfolgten Asyl. Wenn du so fastest, dann<br />
wirst du etwas von Gottes Licht <strong>der</strong> Liebe in dieser<br />
Welt zum Leuchten bringen” (weiterentwickelte<br />
Fassung <strong>der</strong> Verse 3-9 des Kapitels 58 des Propheten<br />
Jesajas). Teilen kann - ebenso wie fasten - nur<br />
gelingen, wenn <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e, <strong>der</strong> Mitmensch, die<br />
Familie, die Gesellschaft im Blick bleiben.<br />
Die Arbeitshilfe (Broschüre) und<br />
ihre Zielgruppen<br />
Die Arbeitshilfe versucht die weit gestreute Bezugsgruppe<br />
„Jugendliche” in <strong>den</strong> Blick zu nehmen,<br />
für OrientierungsstufenschülerInnen bis hin zu<br />
AbiturientInnen sollen die Unterthemen aufgenommen,<br />
aufgegriffen, weiterentwickelt und<br />
weitergegeben wer<strong>den</strong>. Die Entfaltung <strong>der</strong> Einzelthemen<br />
geschieht jedoch nicht schematisch, so<br />
dass nacheinan<strong>der</strong> alle Schul- und Altersstufen<br />
gleichmäßig angesprochen wer<strong>den</strong>. Zum Teil ist<br />
es auch von <strong>den</strong> zugänglichen Materialien abhängig,<br />
was hier dargeboten wird. Außerdem<br />
spielt eine Rolle, aus welchem Bereich <strong>der</strong> Jugendarbeit<br />
bzw. Schule <strong>der</strong>/die jeweilige Redakteur/in<br />
kommt. Das wie<strong>der</strong>um macht (hoffentlich)<br />
<strong>den</strong> Reiz dieser Arbeitshilfe aus, dass sie von<br />
verschie<strong>den</strong>en Seiten her einen Zugang anbietet,<br />
dass sie in <strong>der</strong> Auswahl des Stoffes und <strong>der</strong> Metho<strong>den</strong><br />
dementsprechend vielfältig ist. Einen<br />
Anspruch auf Vollständigkeit <strong>der</strong> Themen wie <strong>der</strong><br />
Materialien kann und will die Broschüre nicht<br />
erheben.<br />
Die Leserschaft wird auch feststellen, dass es<br />
<strong>den</strong> einzelnen Redakteuren nicht nur um eine<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_9<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Die Aktion<br />
sachgemäße Wie<strong>der</strong>gabe <strong>der</strong> Problematik und<br />
eine saubere Exegese <strong>der</strong> Texte geht, son<strong>der</strong>n<br />
auch darum, eigene Ansichten zur Diskussion zu<br />
stellen. Hier und da wird es gewiss Wi<strong>der</strong>spruch<br />
geben - dies ist bewusst einkalkuliert und kann<br />
sicher auch zu weiterführen<strong>der</strong> Bearbeitung bzw.<br />
zu Diskussionen innerhalb <strong>der</strong> jeweiligen Zielgruppe<br />
führen.<br />
Natürlich ist es die Absicht, sowohl Jugendliche in<br />
verschie<strong>den</strong>en Jugendgruppen und Verbän<strong>den</strong>, als<br />
auch Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher<br />
Schulstufen zu berücksichtigen. Allerdings konnte<br />
bei <strong>der</strong> jeweiligen Auswahl nicht nach Proportionen<br />
und Quantitäten entschie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> (also<br />
keine gleiche Menge für jede Alters- und Zielgruppe).<br />
Vielmehr wird mit dem Dargebotenen die<br />
Hoffnung verbun<strong>den</strong>, dass es einen größeren<br />
Entscheidungs- und Spielraum <strong>der</strong> Verwendbarkeit<br />
zulässt; zum Beispiel mag, was zunächst für 13 bis<br />
14-Jährige entworfen ist, hier auch für 11 bis 12-<br />
Jährige in Frage kommen usw.<br />
Diese Arbeitshilfe selbst ist vorrangig für die Hand<br />
des Gruppenleiters/<strong>der</strong> Gruppenleiterin, des<br />
Lehrers/<strong>der</strong> Lehrerin bestimmt. Natürlich wer<strong>den</strong><br />
auch interessierte Jugendliche Anregendes und<br />
Interessantes fin<strong>den</strong> - hofft die Redaktion - aber<br />
die Lektüre und Bearbeitung <strong>der</strong> jeweiligen Themen<br />
und ihrer Materialien erfor<strong>der</strong>t, bei aller<br />
Sorgfalt <strong>der</strong> Bearbeitung und <strong>der</strong> Darbietung auf<br />
Seiten <strong>der</strong> Redaktion, doch noch eine Menge an<br />
Eigenarbeit, an Reflexion und an eigener Entscheidung<br />
darüber, was mit welchem Material gemacht<br />
wird. Die Erfahrungen <strong>der</strong> Vergangenheit mit <strong>der</strong><br />
Reihe „<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong>” zeigen jedoch, dass die<br />
jeweils entwickelten Anregungen zur Behandlung<br />
von Themen z.B. für Schreibwerkstätten, (Jugend- )<br />
Gottesdiensten, Gruppenstun<strong>den</strong>, Schulprojektwochen<br />
o<strong>der</strong> inhaltlichen Ausrichtungen bei Freizeiten<br />
o<strong>der</strong> Seminaren genutzt, in <strong>der</strong> schulischen<br />
o<strong>der</strong> außerschulischen Praxis weiterentwickelt<br />
und umgesetzt wur<strong>den</strong>.<br />
10_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Die Themen<br />
Die Anzahl <strong>der</strong> Einzelthemen ist gegenüber <strong>der</strong><br />
letzten Ausgabe auf gleich hohem Niveau - das<br />
hängt mit dem weitgefächerten Feld zusammen, in<br />
dem die Themen entfaltet wer<strong>den</strong> und dem Versuch,<br />
die Spannungspole „Begeisterung” und<br />
„Gewalt” zu bearbeiten.<br />
Die Einzel- o<strong>der</strong> Unterthemen wollen jedes auf<br />
seine Weise das Hauptthema entfalten. Dabei sind<br />
sie jeweils in sich abgeschlossene Arbeiten, die<br />
<strong>den</strong> Leser/die Leserin selektiv vorgehen lassen.<br />
Wer sich beispielsweise mit dem Einzelthema „Die<br />
Welt zertrümmern?! Musikkonsum und aggressives<br />
Verhalten” befassen will, ist nicht zugleich auf<br />
die Texte von „Faszinosum Gewalt” angewiesen.<br />
Jedes Einzelthema entfaltet mehr o<strong>der</strong> weniger<br />
umfangreich die Grundfragen, das Umfeld, <strong>den</strong><br />
Kontext, bevor es auf die Konkretionen zugeht.<br />
Nicht jedes Medium o<strong>der</strong> Material kann detailliert<br />
dargelegt und aufbereitet wer<strong>den</strong>. Dies kann nur<br />
exemplarisch geschehen, an<strong>der</strong>enfalls hätte die<br />
Broschüre einen zu großen Umfang bekommen.<br />
Manfred Neubauer
›› Jugendgewalt -<br />
Wie, wo, warum?
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />
Einleitung<br />
„Jochen F. aus S. hat schon lange aufgehört Konflikte<br />
mit ,Rumgequatsche‘ auszutragen. Mit<br />
14 Jahren hat er sich eine Gaspistole besorgt und<br />
<strong>den</strong> Lauf aufgebohrt. „Jetzt kann mir keiner mehr<br />
was“, sagt Jochen. Im <strong>Gegen</strong>teil, nun tanzen die<br />
Mitschüler nach seiner Pfeife. „Was soll ich da<br />
machen?“, berichtet hilflos Monika A., Grundschullehrerin,<br />
seit zwei Monaten an die Hauptschule<br />
versetzt. Wer<strong>den</strong> unsere Kin<strong>der</strong> immer<br />
gewalttätiger? Brauchen wir nicht endlich wie<strong>der</strong><br />
klare Regeln?“<br />
So ähnlich klingen viele Meldungen und Artikel,<br />
die sich populistisch mit dem Thema Jugendgewalt<br />
auseinan<strong>der</strong>setzen. Einzelschicksale wer<strong>den</strong> im<br />
Reportagestil dargestellt, um schließlich in gesellschaftliche<br />
Anfragen zu mün<strong>den</strong>, die einerseits<br />
Hilflosigkeit thematisieren und an<strong>der</strong>erseits<br />
nach schnellen und wirkungsvollen Lösungen<br />
fragen.<br />
Beides scheint mir falsch. Einzelschicksale taugen<br />
nicht zur Verallgemeinerung und sagen – außer<br />
für diesen Einzelfall – wenig über das Gewaltverhalten<br />
<strong>der</strong> Jugendlichen aus 1 . Schnelle, wirkungsvolle<br />
Lösungen gibt es darüber hinaus nicht,<br />
weil Jugendgewalt viel mit Beziehungen zu tun<br />
hat. Und Beziehungen aufzubauen und zu verän<strong>der</strong>n<br />
braucht Zeit.<br />
Im Januar 1999 haben Peter Wetzels, Dirk Enzmann<br />
und Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut<br />
Nie<strong>der</strong>sachsen (KFN) die Ergebnisse<br />
<strong>der</strong> Studie „Jugendgewalt in Hannover“<br />
veröffentlicht, die sich mit <strong>den</strong> Opfererfahrungen<br />
und dem Gewalthandeln junger Menschen in<br />
<strong>der</strong> Großstadt befasst. Zum Vergleich gingen in<br />
diese Studie auch Zahlen aus Kleinstädten wie<br />
Wunstorf o<strong>der</strong> Schwäbisch Gemünd ein. Im Mittelpunkt<br />
stehen Gewaltdelikte, aber es wur<strong>den</strong><br />
auch Daten ermittelt, die Aussagen beispiels-<br />
12_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
weise über verbale Gewalt in <strong>der</strong> Schule erlauben.<br />
Im Februar und März 1998 wur<strong>den</strong> 2268 Schülerinnen<br />
und Schüler im Alter zwischen 14 und<br />
18 Jahren aus <strong>den</strong> 9. Klassen bzw. dem BVJ von<br />
55 verschie<strong>den</strong>en Schulen bzw. Schulzentren<br />
befragt. Schlaglichtartig sollen einige Ergebnisse<br />
hier vorgestellt und mit an<strong>der</strong>en Veröffentlichungen<br />
neueren Datums ins Gespräch gebracht wer<strong>den</strong>.<br />
Gewalt 2 in <strong>der</strong> Schule 3<br />
In <strong>den</strong> vergangenen Jahren war Gewalt in <strong>der</strong><br />
Schule ein großes Thema in <strong>den</strong> Medien. Schulen<br />
schienen zeitweise <strong>der</strong> Brennpunkt jugendlicher<br />
Gewalt zu sein. Stimmt das wirklich?<br />
Gewalt findet (meistens)<br />
draußen statt<br />
Ein nicht zu vernachlässigen<strong>der</strong> Teil krimineller<br />
Gewaltdelikte findet in <strong>der</strong> Schule statt. Verglichen<br />
mit an<strong>der</strong>en Tatorten ist aber festzustellen, dass<br />
<strong>der</strong> Großteil <strong>der</strong> Delikte – insbeson<strong>der</strong>e Raub und<br />
Delikte mit Waffenanwendung – außerhalb <strong>der</strong><br />
Schule stattfindet. „Für die Schule typisch sind<br />
eher weniger gravierende Gewaltformen, die von<br />
verbalem Ausgrenzen und Hänseln bis zur einfachen<br />
Körperverletzung reichen.“ 4 Opfer und Täter<br />
sind dabei vor allem die Jungen. Außerdem zeigt<br />
sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen<br />
Bildungsniveau und Anzahl <strong>der</strong> Gewalttaten im<br />
Blick auf physische Gewalt. Gymnasien sind hier<br />
wesentlich weniger betroffen als beispielsweise<br />
Hauptschulen. Gewalt ist aber gleichwohl - wenn<br />
auch häufig „nur“ verbal - auch an Gymnasien<br />
präsent.<br />
Die Schule ist also offenbar weitaus sicherer, als<br />
manch reißerischer Medienbericht <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
das glauben machen wollte. Auch S. Lamnek<br />
kommt zu dem Ergebnis, dass sich in dem von ihm<br />
untersuchten Zeitraum 1994-1999 das Ausmaß <strong>der</strong>
Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />
Jugendgewalt nicht wesentlich verän<strong>der</strong>t hat<br />
(allenfalls im verbalen Bereich). 5<br />
Trotzdem muss im Blick behalten wer<strong>den</strong>, dass in<br />
etwa je<strong>der</strong> zehnte Schüler in Hannover „von massiver<br />
verbaler o<strong>der</strong> physischer Gewalt und/o<strong>der</strong><br />
Bedrohung“ 6 betroffen ist.<br />
Bangemachen bringt nix –<br />
die Rolle <strong>der</strong> LehrerInnen<br />
Sollen Lehrer und alle, die mit Jugendlichen zusammenarbeiten,<br />
bei wahrgenommener Gewalt<br />
intervenieren, o<strong>der</strong> von Zeit zu Zeit auch nach <strong>der</strong><br />
Devise verfahren „Pack schlägt sich, Pack verträgt<br />
sich“? In verschie<strong>den</strong>en Veröffentlichungen wurde<br />
die Theorie aufgestellt, dass die von Schülern<br />
wahrgenommene Reaktion <strong>der</strong> Lehrer eine wesentliche<br />
Rolle beim Thema Schulgewalt spielt.<br />
Die Studie von Wetzels u.a. zeigt hier, dass erhöhte<br />
Opfer- und Täterraten in <strong>der</strong>jenigen Gruppe von<br />
Jugendlichen festzustellen sind, die wahrnehmen,<br />
dass ihre Lehrer sich nicht aktiv mit Jugendgewalt<br />
auseinan<strong>der</strong>setzen. Be<strong>den</strong>kt man außerdem, dass<br />
im familiären Bereich die häufige Konfrontation<br />
mit Gewalt gewalttätiges Handeln Jugendlicher begünstigt,<br />
wird deutlich, dass das Lehrerverhalten<br />
ein wichtiger Faktor <strong>der</strong> Gewaltprävention ist 7 .<br />
Jugendliche nehmen sehr differenziert wahr, wie<br />
Erwachsene auf Gewalt reagieren. Umso wichtiger<br />
ist es, dass Erwachsene bewusst reagieren.<br />
Gewalt und soziales Milieu<br />
Als wesentliche Faktoren für das Gewaltverhalten<br />
wur<strong>den</strong> bei <strong>der</strong> hannoverschen Studie die soziale<br />
Lage <strong>der</strong> Familie, Gewalterleben in <strong>der</strong> Familie und<br />
auch die orientierende Rolle <strong>der</strong> Eltern ausgemacht.<br />
Gewalterlebnisse bestimmen<br />
das Gewaltverhalten<br />
Statistisch gesehen am häufigsten erleben Jugendliche<br />
Gewalt in <strong>der</strong> eigenen Familie.<br />
Die Untersuchungen ergaben, dass nur 47,3%<br />
ganz ohne elterliche Gewalt aufgewachsen sind,<br />
hingegen haben 26,4% leichte elterliche Züchtigung<br />
erlebt und 15,8% wur<strong>den</strong> sogar schwer<br />
gezüchtigt (in <strong>der</strong> Befragung die Items „Mein<br />
Vater/Mutter hat mich geprügelt, zusammengeschlagen„<br />
bzw. „...hat mich mit <strong>der</strong> Faust geschlagen<br />
o<strong>der</strong> mich getreten.“).<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_13<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />
Diese Formen von Gewalt gegenüber Jugendlichen<br />
wer<strong>den</strong> in <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion weit weniger<br />
thematisiert als Gewalt, die von Jugendlichen<br />
selbst ausgeht. Auch die Opfer re<strong>den</strong> kaum<br />
über diese Vorfälle. Der Anteil, <strong>der</strong> zur Anzeige<br />
gebracht wird, ist verschwin<strong>den</strong>d gering, noch<br />
seltener ist das Aufsuchen von Beratungsangeboten<br />
o<strong>der</strong> etwa <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>hilfe (nur fünf Prozent<br />
<strong>der</strong> Fälle gelangen allen damit beschäftigten<br />
Institutionen zur Kenntnis!). Die Bundesregierung<br />
hat zu diesem Problembereich im Dezember 2000<br />
eine Anzeigenkampagne unter dem Motto „Wer<br />
Schläge einsteckt, wird Schläge austeilen“ gestartet<br />
8 .<br />
Auffällig war außerdem, dass in einigen ethnischen<br />
Gruppen (v.a. in türkischen und südeuropäischen<br />
Familien) in beson<strong>der</strong>em Maße elterliche<br />
Gewalt ausgeübt wird.<br />
Unklar ist, inwieweit sich neben wirtschaftlichem<br />
Druck hier ein Druck durch Integrationsanfor<strong>der</strong>ungen<br />
bzw. soziale Ausgrenzung bemerkbar<br />
14_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
macht. Möglicherweise spielen aber auch „kulturspezifische<br />
Normen <strong>der</strong> verschie<strong>den</strong>en Ethnien im<br />
Blick auf Gewalt“ 9 eine wichtige Rolle. Vergleichsstudien<br />
in Großstädten wie Istanbul wer<strong>den</strong> hier<br />
Aufschluß bringen.<br />
Je schlechter die soziale Lage,<br />
desto häufiger Gewalt<br />
Sicher ist, dass in Milieus mit hoher Elterngewalt<br />
auch die Zahl <strong>der</strong> Jugendlichen, die Gewalt ausüben<br />
deutlich höher ist. „Die soziale Lage von<br />
Familien hat einen bedeutsamen Einfluss auf die<br />
Wahrscheinlichkeit des Auftretens von elterlicher<br />
Gewalt: In Fällen von Arbeitslosigkeit sowie Sozialhilfeabhängigkeit<br />
ist das Risiko innerfamiliärer<br />
Gewalt deutlich erhöht.“ 10 Dabei sind die verschie<strong>den</strong>en<br />
ethnischen Gruppen nicht in gleicher Weise<br />
betroffen. Nichtdeutsche Jugendliche sind erheblich<br />
öfter durch soziale Schwierigkeiten <strong>der</strong> Familie<br />
mitbetroffen als deutsche Jugendliche.<br />
Normen wer<strong>den</strong> zu Hause<br />
gemacht<br />
Erleben Kin<strong>der</strong> und Jugendliche in <strong>der</strong> Familie<br />
Gewalt, sei es als Opfer o<strong>der</strong> als Beobachter,<br />
beeinflusst dies natürlich ihre Wahrnehmung und<br />
Bewertung von Gewalt. Die Gruppe <strong>der</strong>er, die in<br />
Kindheit o<strong>der</strong> Jugend mit Gewalt im Elternhaus<br />
konfrontiert wurde, ist bei jugendlichen Gewalttätern<br />
beson<strong>der</strong>s stark vertreten.
Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />
In <strong>der</strong> individuellen Bewertung von Gewalt spielt<br />
außerdem das Erziehungsverhalten <strong>der</strong> Eltern eine<br />
Rolle. Inkonsistenz, d.h. nicht erwartbare Reaktionen,<br />
die keinen offensichtlichen Regeln folgen,<br />
wirkt sich dabei negativ aus. Noch mehr als <strong>den</strong><br />
Lehrern kommt also <strong>den</strong> Eltern eine wichtige<br />
orientierende Rolle zu. Wetzels u.a. kommen zu<br />
dem Ergebnis: „(1) Die Neigung zu Feindseligkeitszuschreibungen<br />
<strong>der</strong> Jugendlichen steigt<br />
systematisch mit <strong>der</strong> Häufigkeit und Intensität<br />
elterlicher Gewalt in <strong>der</strong> Kindheit. (2) Je häufiger<br />
bzw. intensiver die Befragten in ihrer Kindheit <strong>der</strong><br />
Gewalt seitens ihrer Eltern ausgesetzt waren,<br />
desto positiver bewerten sie selbst die Anwendung<br />
von Gewalt. (3) Die Konfliktkompetenz ist<br />
um so niedriger, je stärker ausgeprägt elterliche<br />
Gewalterfahrungen in <strong>der</strong> Kindheit waren. ... (4) Je<br />
geringer die Konfliktkompetenz, je höher die<br />
Feindseligkeitszuschreibung und je ausgeprägter<br />
gewaltbefürwortende Einstellungen, desto häufiger<br />
kommt es auch tatsächlich zu Gewalthandlungen.“<br />
11<br />
Jugendgewalt ist ein<br />
Männlichkeitsproblem<br />
Die weit überwiegende Zahl <strong>der</strong> jugendlichen<br />
Gewalttäter sind Jungen. Aber nicht nur auf <strong>der</strong><br />
Täterseite sind Jungen stärker repräsentiert. Sie<br />
bil<strong>den</strong> auch die Mehrzahl <strong>der</strong> Opfer.<br />
Mit Ausnahme des Bereichs „sexuelle Gewalt“<br />
übersteigen die Opferraten <strong>der</strong> männlichen Ju-<br />
gendlichen die <strong>der</strong> weiblichen um das Doppelte<br />
bis Vierfache. Daraus abgeleitet stellt sich gerade<br />
für die Arbeit mit Jungen die Frage, ob in <strong>der</strong> geschlechtsspezifischen<br />
Arbeit neben <strong>der</strong> Thematisierung<br />
eigener Aggressivität und Gewalt nicht<br />
noch stärker auf Gewalterfahrung in <strong>der</strong> Opferrolle<br />
eingegangen wer<strong>den</strong> muss.<br />
Im Hinblick auf kriminelle Gewalttaten wurde<br />
außerdem ermittelt, dass eine kleine Gruppe von<br />
etwa 5% für mehr als 2/3 <strong>der</strong> Gewalttaten verantwortlich<br />
ist. Es handelt sich hier um Mehrfachtäter,<br />
die überwiegend dem männlichen Geschlecht<br />
angehören und in <strong>der</strong> die jugendlichen Nichtdeutschen<br />
überrepräsentiert sind.<br />
Sind es also immer die<br />
Auslän<strong>der</strong>?<br />
Die Antwort lautet hier nicht immer, aber sicher<br />
verhältnismäßig öfter. Nur ist das, wie sich oben<br />
bereits zeigte, weniger eine Frage <strong>der</strong> Nationalität,<br />
als vielmehr <strong>der</strong> sozioökonomischen Bedingungen<br />
<strong>der</strong> jeweiligen Familie, <strong>der</strong> jeweiligen<br />
Bildungschancen und <strong>der</strong> Beziehungsangebote,<br />
die es Jugendlichen ermöglichen, ein bestimmtes<br />
Sozialverhalten zu entwickeln. Nichtdeutsche<br />
Jugendliche haben wesentlich häufiger mit sozialen<br />
Problemen zu kämpfen als deutsche Jugendliche.<br />
In absoluten Zahlen ausgedrückt, wer<strong>den</strong> die<br />
meisten Gewalttaten noch immer von deutschen<br />
Jugendlichen verübt.<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_15<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />
Welchen Stellenwert hat das<br />
Thema Gewalt für die Jugendlichen<br />
selbst? – Opferängste und<br />
tatsächliche Bedrohung<br />
Die hannoversche Studie kommt zum Ergebnis:<br />
„Die weit überwiegende Mehrheit <strong>der</strong> Hannoveraner<br />
Jugendlichen hat eher selten Angst vor Gewalt<br />
und schätzt auch das Risiko einer eigenen Viktimisierung<br />
eher gering ein.“ Tatsächlich ergab die<br />
Befragung, dass im Vergleich mit an<strong>der</strong>en Lebensrisiken<br />
und Problemen, Gewalt eine eher nachgeordnete<br />
Rolle spielt. Im Vor<strong>der</strong>grund stehen Umweltverschmutzung,<br />
Tod von Familienangehörigen<br />
o<strong>der</strong> auch die Sorge um einen Ausbildungsplatz.<br />
Die Einschätzung des Gewaltproblems durch die<br />
Jugendlichen selbst hängt darüber hinaus anscheinend<br />
stark damit zusammen, wie sehr sie mit<br />
dem jeweiligen Ort vertraut sind. Während beispielsweise<br />
Klassenraum und eigener Stadtteil<br />
(tagsüber) als relativ sicher eingestuft wer<strong>den</strong>,<br />
schnei<strong>den</strong> an<strong>der</strong>e Stadtteile o<strong>der</strong> Städte deutlich<br />
schlechter ab. Für weiter entfernte Orte wird auch<br />
die Zunahme <strong>der</strong> Kriminalität in <strong>den</strong> letzten zwei<br />
Jahren wesentlich höher eingeschätzt.<br />
Das Gewaltproblem realistisch<br />
einschätzen und gezielt daran<br />
arbeiten<br />
Gewalt gehört zum Alltag <strong>der</strong> Jugendlichen, in <strong>der</strong><br />
Schule v.a. in Form verbaler Gewalt. Nach eigenen<br />
Angaben wur<strong>den</strong> in einem Zeitraum von zwei<br />
16_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Jahren 38% <strong>der</strong> befragten Jugendlichen selbst<br />
Opfer von Gewalt, bezogen auf einen Einjahreszeitraum<br />
28%. Gewalt geht also (fast) alle an.<br />
Es wurde deutlich, dass es die sozialen Rahmenbedingungen,<br />
die Bildungschancen und das bei<br />
Erwachsenen erlebte Verhalten insbeson<strong>der</strong>e in<br />
<strong>der</strong> eigenen Familie wesentliche Faktoren sind, die<br />
das Gewaltverhalten von Jugendlichen mitbestimmen.<br />
Wetzels u.a. weisen ausdrücklich darauf hin,<br />
dass „Personen als Träger von Beziehungsangeboten“<br />
gefragt sind. Angesichts <strong>der</strong> vielfältigen<br />
Probleme auf dem Weg zum Erwachsensein sind<br />
Jugendliche auf Menschen angewiesen, die ihnen<br />
aktiv Beziehungsangebote machen und unterstützend<br />
wirken, wenn junge Menschen ihren Platz in<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft suchen. Hier steckt das kleine<br />
Körnchen Wahrheit, wenn über Einzelschicksale im<br />
Zusammenhang mit Jugendgewalt berichtet wird:<br />
An <strong>den</strong> Chancen für und dem Umgang mit dem<br />
Einzelnen entscheidet sich, ob Jugendliche lernen<br />
mit Gewalt umzugehen.<br />
Christian Ceconi-Solle<br />
1 Vgl. auch F. J. Krafeld, Immer mehr, immer jünger,<br />
immer gewalttätiger...? Überlegungen zur<br />
Diskussion über Jugendgewalt und -kriminalität,<br />
in: Landesstelle Jugendschutz Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
(Hg.), Jugendgewalt – und kein Ende?,<br />
Hannover 1999, 6-16.<br />
2 Der Gewaltbegriff <strong>der</strong> vorgestellten Studie<br />
orientiert sich an kriminellen Delikten. Sicher<br />
muss im Gespräch mit Jugendlichen die Definition<br />
dessen, was Gewalt ist, an erster Stelle<br />
stehen. An<strong>der</strong>e Artikel dieser Arbeitshilfe bieten<br />
dazu Ansatzpunkte.<br />
3 Eine grundlegende Orientierung zum Bereich<br />
Schule bietet auch: S. Lamnek, Gewalttätige<br />
Schüler 1994-1999, in: Landesstelle Jugend-
Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />
schutz Nie<strong>der</strong>sachsen (Hg.), Jugendgewalt - und<br />
kein Ende?, Hannover 1999, 17-46.<br />
4 Wetzels u.a. (1999), 197.<br />
5 Vgl. Lamnek (1999), 44f.<br />
6 Wetzels u.a. (1999), 130.<br />
7 Vgl. auch Lamnek (1999), 32ff zu Normorientierungen<br />
und Gewalt an Schulen.<br />
8 Diese Kampagne soll die BGB-Gesetzesän<strong>der</strong>ung<br />
vom 06.07.2000 bekannt machen. In<br />
§ 1631 Abs 2 BGB heißt es: „Kin<strong>der</strong> haben ein<br />
Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche<br />
Bestrafungen, seelische Verletzungen und<br />
an<strong>der</strong>e entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“<br />
Weitere Infos unter: www.mehr-respektvor-kin<strong>der</strong>n.de;<br />
eine Infobroschüre kann dort<br />
ebenfalls angefor<strong>der</strong>t wer<strong>den</strong>.<br />
9 Wetzels u.a. (1999), 170.<br />
10 Wetzels u.a. (1999), 198.<br />
11 Wetzels u.a. (1999), 187.<br />
Literatur:<br />
P. Wetzels/D. Enzmann/C. Pfeiffer:<br />
Jugendgewalt in Hannover. Eine repräsentative<br />
kriminologische Studie über Opfererfahrungen<br />
und Gewalthandeln junger Menschen in einer<br />
Großstadt, Hannover 1999. (mit Vergleichsstudien<br />
in an<strong>der</strong>en großen Städten)<br />
Landesstelle Jugendschutz Nie<strong>der</strong>sachsen (Hg.):<br />
Jugendgewalt – und kein Ende?, Hannover 1999.<br />
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen<br />
und Jugend:<br />
www.mehr-respekt-vor-kin<strong>der</strong>n.de.<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_17<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Jugendgewalt - Wie, wo, warum? - Überblick über die Ergebnisse <strong>der</strong> neuesten soziologischen Studien<br />
18_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …
›› Faszinosum<br />
Gewalt
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Faszinosum Gewalt<br />
Das Ende <strong>der</strong> Vernunft?<br />
Nicht nur auf Grund <strong>der</strong> Ereignisse <strong>der</strong> ersten<br />
Hälfte des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts empfin<strong>den</strong> viele<br />
die neuaufkommen<strong>den</strong> rechtsextremistischen und<br />
auslän<strong>der</strong>feindlichen Aktionen als Skandal. Hirnloser<br />
Hass und Gewalt machen auch das alte<br />
Aufklärungsmodell fraglich, nach dem vernünftige<br />
Einsicht die Grundlage von gesellschaftlicher<br />
Entwicklung ist.<br />
Ist es <strong>den</strong>n so, dass alle Gruppierungen einer<br />
Gesellschaft „Einsicht“ haben und haben wollen?<br />
O<strong>der</strong> gibt es Gruppen, die sich aller „vernünftigen<br />
Einsicht“ versperren? Hat vielleicht die Gewalt ihre<br />
eigenen Strukturen und Einsichten, die sich <strong>der</strong><br />
Vernunft entziehen? Und, wenn dem so ist, wie<br />
können solche Strukturen entstehen und aus<br />
welchem Grunde? Dieser Beitrag behauptet, dass<br />
von <strong>der</strong> Gewalt eine Faszination ausgeht, die <strong>den</strong><br />
Menschen existentieller ergreift als die Vernunft<br />
und sich deshalb auch <strong>den</strong> Grün<strong>den</strong> <strong>der</strong> Vernunft<br />
verschließt. Eine solche gewalttätige, faszinierende<br />
Lebenshaltung entsteht, wenn die eigene<br />
Existenz nicht mehr gespürt wird und die Ausübung<br />
von Gewalt in dem Täter eine Ekstase auslöst,<br />
die ihm sagt: Du lebst. Eine solche Haltung ist<br />
aber keine „echte“ Teilhabe am Sein, son<strong>der</strong>n<br />
impliziert eine Suchtstruktur des Täters. D.h. <strong>der</strong><br />
Täter wird immer wie<strong>der</strong> Gewalt anwen<strong>den</strong>, um<br />
sich am Leben zu spüren. Die Suchtstruktur verhin<strong>der</strong>t<br />
wie<strong>der</strong>um, dass <strong>der</strong> Täter Vernunftgrün<strong>den</strong><br />
20_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
zugänglich sein kann. Präventionen gegen Gewalt<br />
können daher nicht länger auf Aufklärungsmodelle<br />
setzen, son<strong>der</strong>n müssen auf Gemeinschaft und<br />
Erleben setzen. Dabei kann das „Erleben“ nicht<br />
auf Aufklärung zielen und die Gemeinschaft nicht<br />
als eine Zusammenfassung von Randgruppierungen<br />
meinen. Gesellschaftliche <strong>Gegen</strong>entwürfe<br />
müssen lebbar sein und nicht in <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Verweigerung en<strong>den</strong>, die schnell in Gewalt<br />
umschlagen kann. Deshalb plädiert dieser Artikel<br />
für eine Gesellschaft, die aus vielen, verschie<strong>den</strong>en<br />
Gemeinschaften besteht, die alle ihr Recht<br />
zum Leben haben, weil sie sich alle um die große<br />
Gemeinschaft, die <strong>der</strong> Gesellschaft, bemühen. Und<br />
das nicht aus Vernunftgrün<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n auf Grund<br />
von Erfahrung.<br />
Kein Leben ohne Beziehung<br />
Das Schlagwort unserer Zeit ist „Subjekt“. Ein<br />
Subjekt setzt gegenüber <strong>der</strong> restlichen Welt einen<br />
eigenen Standort. Welches sind die Bedingungen<br />
für die Selbstsetzung des Subjektes? Zu keinem<br />
Zeitpunkt unseres Lebens sind wir allein. Selbst in<br />
<strong>der</strong> Psychoanalyse, die ein Subjekt im Sinne von<br />
<strong>Gegen</strong>über behauptet, integriert das Ich sich in ein<br />
Geschehen, das Ich und An<strong>der</strong>es umgreift. Durch<br />
diesen glücklichen Wi<strong>der</strong>spruch wird das Ich zu<br />
einem Teilaspekt einer Atmosphäre, die viele<br />
umgreift. Jacques Lacan behauptet, das jedes<br />
menschliche Leben bei seiner Geburt ohnmächtig<br />
und verraten ins Dasein stürzt. 1 Erst wenn es sich<br />
in einem Spiegel als Mensch begreife, setze die<br />
Erlösung ein. Wer aber ist dieser Spiegel, wenn
nicht die Mutter; wenn nicht das an<strong>der</strong>e Ich? Das<br />
eigene Ich kann ja gerade nicht zum Spiegel wer<strong>den</strong>.<br />
Der Mensch ist demnach auf die Beziehung<br />
zu an<strong>der</strong>en festgelegt. Beziehungen sind keine<br />
freie Wahl, die durch Zuneigung gewonnen wer<strong>den</strong>.<br />
Beziehungsfähigkeit wird auch nicht a posteriori<br />
erworben, son<strong>der</strong>n ist eine angeborene. Im<br />
Ich ist die Beziehungsfähigkeit das Wesentliche.<br />
Damit ist das Fremde bereits in meiner Subjektivität<br />
enthalten und ermöglicht erst das Erkennen<br />
meiner selbst. Es ist müßig zu fragen, was eher<br />
war: das An<strong>der</strong>e o<strong>der</strong> Ich. Die Gleichzeitigkeit ist<br />
grundlegend für Beziehungsfähigkeit.<br />
Wie <strong>der</strong> Mensch sich selbst<br />
gewinnt<br />
Und Gott <strong>der</strong> Herr sprach: Es ist nicht gut, dass <strong>der</strong><br />
Mensch allein sei. Ich will ihm eine Hilfe schaffen<br />
als sein <strong>Gegen</strong>über, die zu ihm passt (Gen 2,18).<br />
Martin Heidegger hat das Sein als ein<br />
Einwohnen in <strong>der</strong> Welt beschreiben. 2 Der<br />
Welt wohnt man nicht ein, wie man<br />
einem Haus einwohnt, son<strong>der</strong>n indem<br />
ich in <strong>der</strong> Welt wohne, wohnt sie in mir.<br />
Im Sein ist auch keine Eigenschaft, die<br />
man manchmal hat o<strong>der</strong> nicht, son<strong>der</strong>n<br />
ohne Sein könnte <strong>der</strong> Mensch nicht<br />
existieren. 3 Damit aber ist die Welt nicht<br />
nur Objekt für <strong>den</strong> Menschen, son<strong>der</strong>n<br />
zugleich auch Subjekt. Welt und Mensch<br />
sind ein Ganzes und neben diesen Teilen<br />
(Mensch, Welt) gibt es kein Ganzes. Es<br />
ist nicht so, dass das Subjekt je nach<br />
Laune eine Beziehung zur Welt aufnimmt<br />
o<strong>der</strong> nicht. Indem <strong>der</strong> Mensch die Welt draußen<br />
betrachtet, ist er bereits in ihr enthalten. Der Welt<br />
Äußeres ist zugleich des Menschen Inneres. 4 Dem<br />
Sein wesenhaft ist die Nähe. Entfernen bedeutet<br />
zunächst, dass eine Ferne zum Verschwin<strong>den</strong><br />
gebracht wer<strong>den</strong> soll. Die Ferne soll entfernt<br />
wer<strong>den</strong>. Solches Entfernen ist zugleich eine Näherung.<br />
Der Mensch kommt immer von einer Nähe<br />
Faszinosum Gewalt<br />
(Vergangenheit) her zu<br />
einer Ferne (<strong>Gegen</strong>wart)<br />
hin, die er zu seiner Nähe<br />
machen will. Dasein ist<br />
Annäherung, ist Nähe. 5<br />
Zur Klärung seines Weges,<br />
seiner Herkunft und seines Zieles, nistet <strong>der</strong><br />
Mensch sich in <strong>der</strong> Sprache ein. Durch sie weiß<br />
er von <strong>der</strong> vorangehen<strong>den</strong> Nähe und von <strong>der</strong> Annäherung<br />
an das Ziel. Kommunikation ist seine<br />
Daseinsweise.<br />
Intimverhältnisse, die kommunikativ (medial) sind,<br />
trennen das Subjekt nie von dem Umfeld. Sie<br />
konfrontieren nicht, sie integrieren. Das Subjekt-<br />
Objekt-Schema trennt, während die reflexive<br />
Subjektivität Trennung verhin<strong>der</strong>t. Im Subjekt-<br />
Objekt-Schema begreift sich das anschauende<br />
Subjekt außerhalb des Geschehens. Im Schema<br />
<strong>der</strong> reflexiven Subjektivität begreift sich das betrachtende<br />
Subjekt<br />
sich selbst als ein<br />
Teil des Betrachtens.<br />
Das Subjekt<br />
bildet lediglich<br />
einen Pol des Verhältnisses.<br />
Wir sind<br />
sowenig in uns<br />
selbst, wie wir im<br />
Irgendwo sind,<br />
son<strong>der</strong>n wir durchdringen<br />
alles. Fragt<br />
man nach dem Band<br />
zwischen mir und<br />
an<strong>der</strong>en, tut sich<br />
eine Verbindung auf, die tiefer reicht als alles<br />
rationales Be<strong>den</strong>ken. Das Band reicht bis vor<br />
unsere Geburt. Und so wie die Liebe nicht existiert,<br />
bevor sie sich nicht ereignet, beginnt das<br />
gemeinsame Band mit unserer fötalen Entwicklung<br />
zu existieren. Begegnen sich zwei Menschen,<br />
so geschieht es nicht aus dem eigenen Willen<br />
zweier, autonomer Persönlichkeiten heraus und<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_21<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Faszinosum Gewalt<br />
(vielleicht) durch <strong>den</strong> Zufall bestimmt, son<strong>der</strong>n<br />
unser Sein führt die Begegnung selbst herbei, um<br />
sich zu begreifen. In je<strong>der</strong> Begegnung geschieht<br />
im Grunde die Wie<strong>der</strong>holung des fötalen Erlebnisses,<br />
um <strong>den</strong> Menschen als Person zu konstituieren.<br />
Mit <strong>der</strong> leiblichen Geburt inszeniert das Sein<br />
selbst die Begegnungen, um einstige Gemeinsamkeit<br />
wie<strong>der</strong>zugewinnen. Die Lücke, die nun klafft,<br />
könnte man auch als <strong>den</strong> Weg zum Heilsein bezeichnen.<br />
Von wann an erinnert sich <strong>der</strong> Mensch? Nikolaus<br />
von Kues antwortet: Von dem Tage an, wo Gott<br />
sich mit <strong>der</strong> Seele 6 verschränkte (contractio). Die<br />
Seele wird damit zum Statthalter, zum Beamten<br />
Gottes in jedem Menschen, ohne selbst Gott zu<br />
sein. „Und was ist, Herr, mein Leben, wenn nicht<br />
jene Umarmung (amplexus), in <strong>der</strong> die süße Freude<br />
deiner Liebe mich so liebevoll umschließt? 7 “<br />
Wie kann <strong>der</strong> Mensch in dieser unio mystica, die<br />
<strong>den</strong> Grund des Lebens und seiner Person legt,<br />
unverwechselbare Person sein? Wie kann er eine<br />
gewisse Eigenmacht entfalten? Und kann <strong>der</strong><br />
Mensch durch die Selbstwerdung überhaupt die<br />
Revolte gegen Gott verhin<strong>der</strong>n? Nach Nikolaus von<br />
Kues herrscht die von Gott erschaffene Seele über<br />
<strong>den</strong> Körper wie <strong>der</strong> König über sein Reich, weil<br />
durch die Seele das Maximum (Gott) im Minimum<br />
(Mensch) ist. So gesehen ist er frei und die Begegnung<br />
mit an<strong>der</strong>en Menschen wird zu einer Begegnung<br />
von Freien. Cusanus <strong>den</strong>kt hier die Urform<br />
<strong>der</strong> Demokratie. Eigenmacht erhält <strong>der</strong> einzelne<br />
nur indem er an<strong>der</strong>en dient, bzw. <strong>der</strong> Gemeinschaft<br />
dient. Ja, er muss aktiv wer<strong>den</strong>, seiner Seele<br />
wegen. Herrschen wird zu einem Synonym für<br />
Dienen 8 . Entfällt das Dienen, dann entfällt auch die<br />
Persönlichkeit des Menschen. Hier sind die Anfänge<br />
<strong>der</strong> Menschenrechte mit Hän<strong>den</strong> zu greifen.<br />
Heute wird <strong>der</strong> Bezug zu Gott als Bezug zur Natur<br />
o<strong>der</strong> zur Gesellschaft hin gewandelt. Aber die<br />
Frage, wie die Natur o<strong>der</strong> die Gesellschaft außerhalb<br />
unser selbst, zugleich in uns sein kann, wird<br />
22_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
nicht mehr wie in <strong>der</strong> Theologie gelöst, so dass<br />
aus <strong>der</strong> Verschränkung von Außen und Innen das<br />
Auseinan<strong>der</strong>treten von Subjekt und Objekt wurde.<br />
Eine Vereinzelung machte sich breit.<br />
3 x 1 = 1: Der dreieinige Gott<br />
Wie soll man die unio mystica<br />
überhaupt <strong>den</strong>ken? Im<br />
Modell <strong>der</strong> Trinität verdeutlicht<br />
sich <strong>der</strong> Sachverhalt.<br />
Das Johannes-Evangelium<br />
beginnt mit <strong>den</strong> Worten:<br />
„Im Anfang war das Wort,<br />
und das Wort war bei Gott,<br />
und Gott war das Wort.“(1,1)<br />
Dieser Vers kennzeichnet<br />
<strong>den</strong> Vater. Vom Sohn sagt<br />
das Johannes-Evangelium:<br />
„Und das Wort ward Fleisch<br />
und wohnte unter uns, und<br />
wir sahen seine Herrlichkeit,<br />
eine Herrlichkeit als<br />
des eingeborenen Sohnes<br />
vom Vater, voller Gnade und<br />
Wahrheit.“(1,14) 9 Damit<br />
wird die Frage aufgeworfen,<br />
wie mehrere Personen in<br />
eins sein können, so dass<br />
sie ungeschie<strong>den</strong>, ungewandelt,<br />
ungetrennt gedacht<br />
wer<strong>den</strong> können. Das<br />
An<strong>der</strong>ssein soll im Vereintsein<br />
gedacht wer<strong>den</strong>. Die Kirchenväter nahmen<br />
ein Ausdrucksgeschehen innerhalb <strong>der</strong> einzelnen<br />
Personen an (Perichorese/Intercessio). Damit<br />
wurde ein physischer Raum aufgegeben und eine<br />
Liebessphäre angenommen, die das Verschie<strong>den</strong>sein<br />
eint. Innerhalb dieser Verbun<strong>den</strong>heit kann<br />
es keine Zeit geben, weil sie ein Nacheinan<strong>der</strong><br />
konstituieren würde. Es ist im Grunde die gleiche<br />
Redeweise, wie sie Cusanus mit seinem „maximum<br />
in minimum est unum“ meinte. Es entsteht
ein Personenraum, <strong>der</strong> keine Lokalisierung mehr<br />
braucht. Die Beziehung selbst wird <strong>der</strong> Ort <strong>der</strong><br />
Einheit. Die Beziehungen konstituieren Gott als<br />
Vater, als Sohn und als Heiligen Geist. An<strong>der</strong>s:<br />
Subjekt und Objekt sind relational und keine Orte.<br />
Gewalt und die Suche nach<br />
Beziehung<br />
Zwischen dem theologischen Denken und <strong>den</strong><br />
heutigen Anfor<strong>der</strong>ungen, offenbart sich eine<br />
überraschende Kongruenz. Kommunikation ist die<br />
Seinsweise des Menschen. 10 Existiert <strong>der</strong> Mensch<br />
als Person nur durch <strong>den</strong> kommunikativen Ort,<br />
<strong>der</strong> kein lokaler sein kann, dann ist für die Idee<br />
des sich selbst bestimmen<strong>den</strong> Individuums kein<br />
Platz. 11 Die verschie<strong>den</strong>en Sozialformen von Völkern<br />
innerhalb einer Gesellschaft, wie es heute<br />
vielfach in <strong>den</strong> westlichen Län<strong>der</strong>n gegeben ist,<br />
durchdringen sich (Perichorese) zu einer Einheit.<br />
Das eigene Sein wird zum Mitsein mit An<strong>der</strong>em.<br />
Gelingt die Perichorese aber nicht, dann stolpern<br />
wir über Heideggers Satz: „Je<strong>der</strong> ist <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e<br />
und Keiner er selbst.“ 12 Dann verschwimmt alles:<br />
das Fremde und die eigene I<strong>den</strong>tität. Dann wird<br />
<strong>der</strong> Mensch sich selbst o<strong>der</strong> <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en zur<br />
Hölle, wie es Sartre und Beckett beschrieben. Die<br />
verabsolutierte Seinsweise, die zu keiner Durchlässigkeit<br />
(Perichorese) mehr fähig ist, führt faktisch<br />
zur Abwertung des Menschseins – führt zur<br />
Hölle. Aber selbst in <strong>der</strong> Hölle bleibt ein Rest: Die<br />
Sehnsucht, in <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> Rest begreift, irgendeinmal<br />
irgendjemandem nahe zu sein. Selbst in <strong>der</strong><br />
rohesten Gemeinschaft ist die vorrationale Grundlegung<br />
für das Personensein, das Außen möge<br />
Innen sein, lebendig. Nur im dumpfen Kollektiv<br />
ahnt das eigene, dumpfe Ich sich größer, realer als<br />
es ist. Der Sog <strong>der</strong> Sehnsucht nach Verschmelzung<br />
führt zu einer allgemeinen Innenweltentleerung. 13<br />
Die Seele gibt sich ans Außen ab, an das dumpfe<br />
Kollektiv. Begegnet man aber einer einzelnen<br />
Seele, zeigt sie sich zwar verschlossen und nicht<br />
kommunikativ, jedoch auch nicht unbedingt<br />
Faszinosum Gewalt<br />
entschlossen, sich mit Gewalt des Frem<strong>den</strong> zu<br />
bemächtigen. In <strong>der</strong> Gruppe jedoch tritt die<br />
einzelne Seele durch ihre Sehnsucht nach Geistesgemeinschaft<br />
in eine ekstatische Vorläufigkeit ein<br />
und prügelt sich oft durch das Fremde, um durch<br />
die Aggressivität seine Seele in einem ekstatischen<br />
Akt eine dumpfen Gemeinschaft zu erleben,<br />
die dann zu einer verschworen (unio mystica) wird.<br />
Die Clique richtet sich im ortlosen Ungeheurem ein<br />
und ist durch rationale Argumente nicht erreichbar,<br />
weil sie dann ihre I<strong>den</strong>tität verlöre.<br />
Nächstenliebe – Deine Sache!?<br />
Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst,<br />
gebietet das Matthäus-Evangelium (Mt 22,39). Im<br />
mo<strong>der</strong>nen Irrtum des Subjekt-Objekt-Schemas<br />
wird dieser Satz oft missverstan<strong>den</strong> und umformuliert:<br />
Erst muss ich mich selbst lieben lernen,<br />
bevor ich an<strong>der</strong>e wie mich lieben kann. Der Irrtum<br />
beschreitet einen doppelten Weg. Einmal glaubt<br />
<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>ne Mensch, sich selbst lieben lernen zu<br />
können, bevor er an<strong>der</strong>e lieben kann, was ein<br />
lebenslanger Weg ist und keine Lebensetappe.<br />
Immer wird es Momente geben, in <strong>den</strong>en man sich<br />
nicht ausstehen kann. Das ist die Form <strong>der</strong> Selbstliebe,<br />
mit <strong>der</strong> <strong>der</strong> Mensch kein Ende findet: Der<br />
an<strong>der</strong>e Mensch wird zum Objekt unter an<strong>der</strong>en<br />
Objekten. Zum an<strong>der</strong>en wird eingewandt, wenn ich<br />
<strong>den</strong> an<strong>der</strong>en liebe und mich nicht, liebe ich <strong>den</strong><br />
an<strong>der</strong>en nicht. Das ist nur eine Spielart des ersten<br />
Satzes. Auch hier herrscht das Subjekt-Objekt-<br />
Schema vor. Dass Mt. 22, 39 meinen könnte, dass<br />
durch <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en ich mich selbst konstituiere,<br />
kommt nicht in <strong>den</strong> Blick. Nachzeitigkeit ist nicht<br />
gemeint, son<strong>der</strong>n Gleichzeitigkeit. Das Matthäus-<br />
Evangelium meint keinen lokalen, son<strong>der</strong>n einen<br />
mentalen Ort. Wäre ein lokaler Ort gemeint, wäre<br />
auch eine Nachzeitigkeit angesprochen. Doch das<br />
Subjekt-Objekt-Schema kann nur räumlich <strong>den</strong>ken<br />
und daher nur in <strong>der</strong> Nachzeitigkeit. Dann wird das<br />
vorangehende Lieben von sich selbst o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
immer zum Verlust des eigenen Ichs führen. Das<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_23<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Faszinosum Gewalt<br />
ekstatische Element des Ichs, das das Ich begründet,<br />
tritt in <strong>den</strong> Hintergrund und verbeißt sich in<br />
eine sprachlichen Binnenwelt, die sich keiner<br />
sprachlichen Argumentation mehr zugänglich<br />
erweist. Doch das biblische Zitat weist gerade auf<br />
die Gleichzeitigkeit hin. „Wie dich selbst“ meint<br />
die Fähigkeit zur Antwort auf eine Auffor<strong>der</strong>ung<br />
des Außen. Das Innen will ja gerade nicht antworten.<br />
Aber im Nichtantworten würde es sich<br />
selbst verfehlen. Der bipolare Aspekt des Daseins<br />
würde verfehlt, würde man einer Seite <strong>der</strong> zweiteiligen<br />
Sphäre das Übergewicht zuerkennen. Der<br />
Mensch ist kein Wesen, das sich aus sich selbst<br />
erschafft.<br />
Je<strong>der</strong> wird zu einer unverwechselbaren Persönlichkeit<br />
durch an<strong>der</strong>e. Den an<strong>der</strong>en geht es nicht<br />
an<strong>der</strong>s. Dann sind wir alle einan<strong>der</strong> Spiegel und<br />
Hilfe zur Persönlichkeitswerdung. Dies drückt Mt<br />
22,39 aus: Liebe <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en (zur gleichen Zeit)<br />
wie dich selbst. Wer liebt, nimmt an. Wer annimmt,<br />
muss Person sein. Ein verwaschenes, dumpfes Ich<br />
Gaby ist unglücklich. Gaby hat stets an sich selbst<br />
zuletzt gedacht. Nie hat sie sich in <strong>den</strong> Vor<strong>der</strong>grund<br />
gestellt, geschweige <strong>den</strong>n gedrängelt. Hieß<br />
es: wer will in diesem Theaterstück die Hauptrolle<br />
übernehmen, schlug sie an<strong>der</strong>e statt sich vor.<br />
Hieß es: Wer hilft bei diesem Projekt? O<strong>der</strong>: Wer<br />
kann jene Aufgabe übernehmen? Tat sie es. Sie<br />
wurde rot, wenn sie gelobt wurde. Und wurde sie<br />
einmal selbst vorgeschlagen, in vor<strong>der</strong>ster Reihe<br />
zu stehen, wehrte sie verlegen, ja fast ängstlich<br />
ab. Einige Jungen hänselten sie wegen ihrer Beschei<strong>den</strong>heit.<br />
Dann weinte sie schnell. Und ihre<br />
Freundin beschwerte sich dann lauthals beim<br />
Lehrer über die Jungen. Aber auch da wehrte Gaby<br />
verlegen ab. Und dann kümmerte sich plötzlich<br />
Jens um sie. Ausgerechnet Jens. Er war nicht aufdringlich.<br />
Gewiss nicht. Aber zuversichtlich. Und<br />
ihrer Freundin vertraute sie an, sie sei überglücklich,<br />
dass Jens sich um ihre Zuneigung bemühe.<br />
Doch wisse sie gar nicht, was Jens eigentlich an ihr<br />
24_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
kann nieman<strong>den</strong> annehmen. Höchstens kann es<br />
bewun<strong>der</strong>n. Wer sich nicht selbst zu würdigen<br />
weiß, wie sollte er an<strong>der</strong>e würdigen können?<br />
Hinter Bewun<strong>der</strong>ung versteckt sich die Aufgabe,<br />
sich zu gestalten und gleichzeitig Spiegel für<br />
an<strong>der</strong>e zu sein.<br />
Vom Frem<strong>den</strong> zum Eigenen<br />
„Die Seele gibt dem Druck <strong>der</strong> ersten Überzeugung<br />
um so leichter nach, je weniger sie über<br />
einen eigenen Inhalt und ein inneres Gleichgewicht<br />
verfügt.“ 14 Dieser Satz aus Montaignes Essay<br />
über die Torheit, spricht sich gegen die Suggestion<br />
aus, dass unser Geist beurteilen könne, was<br />
wahr und falsch ist. Mit diesem Glauben nähert<br />
man sich oft rechtsradikalen Jugendlichen. Man<br />
traut <strong>der</strong> Vernunft zu, sie könne irrige Vorstellungen<br />
korrigieren und dann wür<strong>den</strong> mehr und mehr<br />
die Gewaltentäußerungen schwin<strong>den</strong>. Thomas<br />
Assheuer betont in seinem Zeit-Artikel 15 , dass<br />
gewaltwillige Gedanken in Jugendlichen sehr früh<br />
finde. Er, <strong>der</strong> so geliebt würde von allen, <strong>der</strong> so im<br />
Mittelpunkt des Interesses aller stände, könne sie<br />
doch gar nicht attraktiv fin<strong>den</strong>. Sie, so sagte später<br />
ihre Freundin, sei ganz hilflos. Sie glaube, Jens<br />
wolle sich im Grunde nur über sie lustig machen.<br />
Und als Jens merkte, dass Gaby weiterhin, trotz<br />
aller seiner Bemühungen, scheu und zurückgezogen<br />
blieb, ließ er von ihr ab. Nun ist Gaby unglücklich.<br />
Und, so sagte sie zu ihrer Freundin, sie fände<br />
das gar nicht gerecht, weil sie doch an sich selbst<br />
immer zuletzt <strong>den</strong>ke.<br />
Fragen zur Geschichte:<br />
Anscheinend liebt Gaby an<strong>der</strong>e mehr als sich<br />
selbst. O<strong>der</strong> liebt sie an<strong>der</strong>e gar nicht mehr als<br />
sich? Was hin<strong>der</strong>t sie <strong>den</strong>n, sich selbst zu lieben?<br />
Mt. 22,39 meint, wenn man an<strong>der</strong>e liebt, liebt man<br />
sich auch selbst und umgekehrt. Was meint ihr?
entstehen und sich gegenüber<br />
einer argumentativen<br />
<strong>Gegen</strong>darstellung<br />
als resistent erweisen.<br />
Peter Schnei<strong>der</strong> 16 meint,<br />
die Gewalt <strong>der</strong> Rechtsradikalen<br />
sei we<strong>der</strong> ein<br />
akademisches noch ein<br />
vorübergehendes Problem.<br />
Was hilft dann,<br />
rechtsradikale Jugendliche zu verstehen? Offensichtlich<br />
nicht unsere vernünftigen Weltentwürfe.<br />
Sie scheinen diesen Jugendlichen nicht einsichtig.<br />
Und eine definitorische Einordnung dieser<br />
Jugendlichen, die auf Abwarten setzt, weil sich<br />
solche „Jugendsün<strong>den</strong>„ leicht erledigen lassen,<br />
scheitert ebenso. Der Gedanke von Wilhelm Heitmeyer<br />
aus Bielefeld, dass sich rechtsradikales<br />
Gedankengut viel früher bilde als es naive Politiker<br />
annehmen, spricht die Erziehung an. Und<br />
Peter Schnei<strong>der</strong> fragt nach dem „Wie“ <strong>der</strong> Erziehung.<br />
Offensichtlich ist das Insistieren auf Einsicht<br />
nicht ausreichend. Die Methode <strong>der</strong> offenen<br />
Diskussion scheint keinen son<strong>der</strong>lichen Einfluss<br />
auf rechtsradikale Jugendliche zu haben. Sie<br />
scheint allgemeine Werte eher ins Beliebige zu<br />
rücken als Maximen für eine ethische Lebensführung<br />
vermitteln zu können. Im Eingangs erwähnten<br />
Zitat von Montaigne meldet sich <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruch<br />
von Meinung und Wissen an, und darüber hinaus<br />
spricht Montaigne von <strong>der</strong> gefestigten Seele, die<br />
falschen Einschätzungen wi<strong>der</strong>stehen kann. Ab<br />
wann ist <strong>den</strong>n die Seele in <strong>der</strong> Lage zu wi<strong>der</strong>stehen?<br />
Und muss sie von Wissen unterstützt wer<strong>den</strong>?<br />
Joachim Camerarius ist heut genauso unbekannt<br />
wie <strong>der</strong> große Pädagoge Christofero Landino. Der<br />
pädagogische Streit <strong>der</strong> Renaissance entzündete<br />
sich am Maß <strong>der</strong> Nachahmung. Geht durch das<br />
Nacheifern von Vorbil<strong>der</strong>n das Eigene verloren?<br />
Wie weit darf die Nachahmung gehen? Wird durch<br />
Nachahmung Neues verhin<strong>der</strong>t? Diese Fragen<br />
Faszinosum Gewalt<br />
wur<strong>den</strong> von Erasmus von Rotterdam aufgeworfen.<br />
Camerarius nimmt dazu Stellung und stellt fest:<br />
zur Nachahmung gibt es keine Alternative, sie<br />
liegt in <strong>der</strong> Natur des Menschen. 17 Denn <strong>der</strong> gesellschaftliche<br />
Mensch wird gemacht, nicht als solcher<br />
geboren. Das zeigt sich beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong> Frage<br />
nach <strong>der</strong> Toleranz. Lernen, Üben und Orientierung<br />
verlangen nach Vorbil<strong>der</strong>n. Dadurch kommt man<br />
zu einer Unterscheidung. Da <strong>der</strong> Mensch von<br />
Natur aus kein Maß zum Nächsten besitzt, dem er<br />
entgegen wächst, ist Nachahmung ein unentbehrliches<br />
<strong>Gegen</strong>stück zur Beliebigkeit, die schnell<br />
als Freiheit missverstan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> kann. Nachahmung<br />
ist das Überführen von Meinen in die<br />
Praxis. Dabei kommt <strong>der</strong> Sprache eine große<br />
Bedeutung zu. Sie vermittelt erprobte Denkweisen,<br />
auf die gerade Jugendliche zurückgreifen<br />
können. Die Nachahmung prägt sich vornehmlich<br />
durch Sprachfiguren ein. Doch sind Schlagworte<br />
noch keine zusammenhängende Rede, und damit<br />
auch keine Welterklärung. Vorbil<strong>der</strong> vermitteln<br />
eine zusammenhängende Rede für eine bestimmte<br />
Weltsicht. Wie Kin<strong>der</strong> von <strong>den</strong> Eltern das Leben<br />
empfangen, erlangen Jugendliche durch Vorbil<strong>der</strong><br />
Sprachfähigkeit. Durch solches Re<strong>den</strong> erschließt<br />
sich Zukunft, die auf die Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
<strong>Gegen</strong>wart antwortet.<br />
Johannes Schwarte 18 , so berichtet die FAZ, führt<br />
die zunehmende Verrohung von Kin<strong>der</strong>n und<br />
Jugendlichen, wie auch die Infantilisierung <strong>der</strong><br />
Erwachsenen auf <strong>den</strong> rapi<strong>den</strong> Verlust von nacheifernswerten<br />
Vorbil<strong>der</strong>n zurück. Die Gesellschaft<br />
mit ihrer wirtschaftlichen Rücksichtslosigkeit habe<br />
erst die Autorität des Vaters und nun auch die <strong>der</strong><br />
Mutter zerrüttet. Wo aber Vorbil<strong>der</strong> fehlen, da<br />
zieht die Gewalt ein. Ähnliches stellt Susanne<br />
Gaschke 19 fest. Kin<strong>der</strong> wer<strong>den</strong> zu Erwachsenen,<br />
was ihr Konsumverhalten betrifft, während die<br />
Erwachsenen infantilisieren. An<strong>der</strong>erseits können<br />
Eltern dem Druck des Konsums nicht mehr standhalten<br />
und verlangen ihrerseits, dass die Schule<br />
das leisten soll, was sie selbst nicht mehr leisten<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_25<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Faszinosum Gewalt<br />
können o<strong>der</strong> wollen. Dieser <strong>Trend</strong> beginne bereits<br />
im Kin<strong>der</strong>garten. 20 Schon hier zeigen sich Konzentrationsschwierigkeiten<br />
und Unangepasstheit.<br />
Ulrich Greiner 21 beschreibt anhand von Analysen<br />
von Norbert Elias, Richard Sennett und Erving<br />
Goffman, wie dem heutigen Individuum die Orientierung<br />
fehlt, die frühere Generationen durch<br />
Vorbil<strong>der</strong> erhalten haben. Welche Vorbil<strong>der</strong> präsentieren<br />
Schulen, die aus Geldnot ihre Tore für<br />
die Werbung öffnen? Deutlicher kann <strong>den</strong> Schülern<br />
nicht vor Augen geführt wer<strong>den</strong>, welche Autorität<br />
heute noch zählt und wem sie nacheifern müssen,<br />
um erfolgreich zu sein.<br />
Pädagogik <strong>der</strong> Grenzen<br />
Der nach Lebenssinn Suchende ist in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong><br />
Globalisierung allein gelassen. Gemeinschaft, die<br />
durchs Leben trägt, kollidiert mit <strong>den</strong> Alltagserfahrungen.<br />
Allgemein gilt: Die Familie hält zusammen<br />
gegen äußere Einflüsse. Das Vorbild<br />
des Zusammenhalts gegenüber einer feindlichen<br />
Umwelt führt zur Cliquen-Bildung, zu mafiosen<br />
Strukturen und zur Auflösung <strong>der</strong> Demokratie.<br />
Und da die Demokratie mehr und mehr zum<br />
Sprungbrett <strong>der</strong> Selbstdarstellung wird, führt sie<br />
schließlich zur Fragmentarisierung des Ich’s. Mit<br />
an<strong>der</strong>en Worten: Die höchste Entwicklung des<br />
Subjekts ist gleichzeitig seine Auflösung und<br />
Vermassung.<br />
Verurteilung und Ausgrenzung weichen dem Problem<br />
aus. Erklärungsmuster auf dem Bo<strong>den</strong> <strong>der</strong><br />
Aufklärung verfehlen das Anliegen, die Gewalttätigen<br />
in eine zivile Gesellschaft zurückzuführen.<br />
Wer grundsätzlich eine an<strong>der</strong>e Weltsicht hat, hat<br />
auch ein an<strong>der</strong>es Vokabular. Wer ein an<strong>der</strong>es<br />
Vokabular hat, kann nicht durch Argumente überzeugt<br />
wer<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n erfährt Fundamentalismus<br />
als einzige Antwort auf eine global expandierende<br />
technische Konsumwelt. Denn die Globalisierung<br />
antwortet auf die Begier<strong>den</strong> des Menschen, nicht<br />
aber auf die Frage nach dem Warum des Lebens.<br />
26_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Der Grund des Seins –Kick o<strong>der</strong><br />
Ekstase<br />
„Glaube“, schreibt Paul Tillich „ist das Ergriffensein<br />
von dem, was uns unbedingt angeht.“ 22 Alles,<br />
was uns angeht ist demnach Glaube. Was uns<br />
angeht, sind in <strong>der</strong> Regel Dinge, die unser persönliches<br />
Leben betreffen. Wer<strong>den</strong> diese Anliegen<br />
cliquenhaft ausgeweitet, bekommt <strong>der</strong> Glaube<br />
dämonische Züge und die Verheißungen wer<strong>den</strong><br />
diffus. Helfen Verheißungen nicht weiter, sollen<br />
Drohungen die Wünsche beför<strong>der</strong>n. Glaube ist<br />
keine Erkenntnis, kein für wahr halten, son<strong>der</strong>n<br />
besitzt eine logische Evi<strong>den</strong>z. 23 Ein Willensakt, zu<br />
dem man jeman<strong>den</strong> aufruft, kann Glaube nicht<br />
sein, <strong>den</strong>n <strong>der</strong> Mensch ist nicht in <strong>der</strong> Lage, sich<br />
durch Willen, Gewissheit zu verschaffen. 24 Ebenso<br />
wenig ist <strong>der</strong> Glaube eine subjektive Gemütsbewegung,<br />
ein Gefühl. Werde ich von dem ergriffen, was<br />
mich unbedingt angeht, so ist alles von mir davon<br />
ergriffen: Gefühl, Wille und Verstand. Das aber<br />
kann nicht auf eine Ergriffenheit des Subjekts<br />
beschränkt wer<strong>den</strong>. 25 Vielmehr übersteigt Glaube<br />
das Subjekt und weist auf eine menschliche Befindlichkeit,<br />
die alle angeht.<br />
Folgt man dieser Auffassung von Glauben, so wird<br />
rasch klar, dass aufklärerische Konzepte, die sich<br />
Erfolg durch vernünftige Argumente erhoffen,<br />
existentiale Än<strong>der</strong>ungen nicht herbeiführen können.<br />
Herzinger betont, dass <strong>der</strong> Rechtsradikalismus<br />
eine <strong>Gegen</strong>welt zur demokratischen ist.<br />
Wären Rechtsradikale vernünftigen Argumenten<br />
zugänglich, stün<strong>den</strong> sie zumindest partiell auf<br />
dem gleichen Grund wie die aufgeklärten Demokraten.<br />
26 Aber sie haben sich hermetisch in ihrem<br />
ahistorischen Glauben eingeigelt.<br />
Wie soll die Gesellschaft darauf reagieren? Sie<br />
schwankt zwischen hartem Durchgreifen und<br />
Verstehen. Das Verstehen wird jedoch immer mehr<br />
erschwert, je mehr Kin<strong>der</strong> kriminell wer<strong>den</strong>. Das<br />
allgemeine Bild von <strong>der</strong> Unschuldigkeit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>
driftet. 27 Die jahrelange Auffor<strong>der</strong>ung an die nachwachsende<br />
Jugend, ihre Selbstverwirklichung<br />
selbst in die Hand zu nehmen, trägt Früchte, die<br />
die Ermunterer nicht beabsichtigten.<br />
Eine Frucht ist sicherlich die Langeweile, die<br />
allenthalben empfun<strong>den</strong> wird, weil man sich vom<br />
Quell des Seins ausgeschlossen fühlt. Sie erzeugt<br />
einen so großen Lei<strong>den</strong>sdruck, dass das Risiko<br />
bewusst gesucht wird, um sich dem Sein näher zu<br />
fühlen. Der begehrte„Kick„ geistert durch alle<br />
Schichten des Volkes und hat sich in allen Überzeugungen<br />
eingenistet. Da suchen die besser<br />
betuchten Jugendlichen <strong>den</strong> „Kick“ in <strong>den</strong> sogenannten<br />
Risiko-Sportarten 28 , da springen zwei<br />
jugendliche Mädchen in Berlin-Marzahn bewusst<br />
in <strong>den</strong> Tod, um <strong>der</strong> Langeweile zu entrinnen; Politiker<br />
bauen mitten in <strong>der</strong> Demokratie ein personales<br />
Imperium auf; Konzerne fusionieren zu<br />
gigantischen Unternehmen; Zlatko wird durch Big<br />
Brother seiner dumpfen Anonymität entrissen;<br />
Touristen fahren vermehrt in Spannungsgebiete.<br />
Von <strong>den</strong> Grenzen des Möglichen her will sich je<strong>der</strong><br />
begreifen. Der „Kick“ ist kein Phänomen, das sich<br />
nur auf Hooligans o<strong>der</strong> die rechte Gewaltszene<br />
beschränkt. Horst W. Opaschowski, <strong>der</strong> Leiter des<br />
B.A.T. (British American Tobacco) kann <strong>der</strong> Langenweile,<br />
die selbst das größte Risiko nicht scheut,<br />
sogar eine positive Seite abgewinnen, wenn er<br />
meint, dass die Langeweile und ihr Hang zur<br />
Risikobereitschaft in manchen Fällen Gewalt<br />
abbaue, 29 weil sie sich in Risikosportarten entlade.<br />
Lei<strong>der</strong> verfügen Jugendliche aus weniger bemittelten<br />
Elternhäuser nicht über die nötigen Mittel,<br />
ihre Aggressionen auf diese Weise abzubauen.<br />
Vielleicht wäre es nach Opaschowski ein probates<br />
Mittel, wenn <strong>der</strong> Staat allen Jugendlichen die<br />
nötigen Mittel bereitstellte, um so die Gewalt zu<br />
verhin<strong>der</strong>n. Lei<strong>der</strong> greifen aber auch Jugendliche<br />
aus dem „besseren Milieu“ zum Mittel Gewalt.<br />
Und Opaschowski räumt selbst ein, dass <strong>der</strong><br />
„Kick“ nur manchmal Gewalt verhin<strong>der</strong>e. Dieses<br />
„Manchmal“ ist zu vage. Vielmehr verbirgt sich<br />
Faszinosum Gewalt<br />
hinter <strong>der</strong> Langenweile eine Seinsverlorenheit, zu<br />
<strong>der</strong> die B.A.T.-Studie nicht vordringt, weil sie sich<br />
mit <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>gründigen Langenweile zufrie<strong>den</strong><br />
gibt. Die Frage, wo <strong>der</strong> Mensch gründet, lässt ihn<br />
bis an die Grenzen gehen. Sich zu spüren, ist das<br />
Ziel; nicht, sich zu zerstreuen. Nicht die Fragmentarisierung,<br />
son<strong>der</strong>n die I<strong>den</strong>tität wird angestrebt.<br />
Gefun<strong>den</strong> wird in <strong>der</strong> Zerstreuung jedoch<br />
nur das Fragmentarische. Solange wir diesen<br />
Sachverhalt nur bei <strong>den</strong> Jugendlichen suchen und<br />
Erwachsene aus dem Blick lassen, wer<strong>den</strong> wir<br />
kaum die Sehnsucht <strong>der</strong> Jugendlichen erkennen.<br />
Sie wachsen ja nicht in einem traditionsleeren<br />
Raum auf. Sie lösen sich nicht von <strong>der</strong> älteren<br />
Generation, ohne zu über<strong>den</strong>ken, wie dies geschehen<br />
kann. Es ist ein Band vorhan<strong>den</strong> zwischen <strong>den</strong><br />
Generationen. Entwurzelt aber die ältere Generation,<br />
dann entwurzelt auch die jüngere. Denn ihr<br />
Suchen nach Eigenem richtet sich vielfach nach<br />
dem Gefun<strong>den</strong>sein <strong>der</strong> Älteren. Gebär<strong>den</strong> sich<br />
aber gerade die Älteren als die Lebendigern,<br />
sprich: exzesshafteren, dann entwickelt sich ein<br />
konkurrenter Lauf und die Alten lassen die Jungen<br />
nicht jung sein, weil sie es selbst sein wollen, und<br />
die Jungen wollen die Alten im Jungsein übertreffen.<br />
Die Leugnung des Lebensalters äußert sich als<br />
Seinsverlorenheit. Der Tod stellt sich als Unfall und<br />
Selbstverschuldung dar. Wer stirbt hat entwe<strong>der</strong><br />
zu viel geraucht, zu viel gegessen o<strong>der</strong> überhaupt<br />
ungesund gelebt. Wenn biologische Grenzen<br />
geleugnet und permanent überschritte wer<strong>den</strong>,<br />
muss man sich dann nicht wun<strong>der</strong>n, wenn Jugendliche<br />
moralische Grenzen überschreiten? Setzt die<br />
Natur uns nicht Verhaltensgrenzen, aus <strong>den</strong>en<br />
moralische Regeln folgen? Die Leugnung <strong>der</strong><br />
Endlichkeit des Seins führt zur Seinsverlorenheit.<br />
Alle Möglichkeiten sollen je<strong>der</strong>zeit allen offen<br />
stehen, unabhängig vom Alter. Wir vergessen, dass<br />
<strong>der</strong> Tod, unserem Leben Sinn verleiht, weil er uns<br />
zu Entscheidungen zwingt, indem er uns begrenzt.<br />
Je mehr uns ein Jenseits entschwindet, desto<br />
weniger können wir dem Diesseits folgen. Wir<br />
verriegeln uns in einem optimalen, erträumten<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_27<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Faszinosum Gewalt<br />
Der Prediger schreibt (Prediger 3,16-22): Weiter<br />
sah ich unter <strong>der</strong> Sonne: An <strong>der</strong> Stätte des Rechts<br />
war Gottlosigkeit, und an <strong>der</strong> Stätte <strong>der</strong> Gerechtigkeit<br />
war Frevel. Da sprach ich in meinem Herzen:<br />
Gott wird richten <strong>den</strong> Gerechten und <strong>den</strong> Gottlosen;<br />
<strong>den</strong>n alles Vorhaben und alles Tun hat seine<br />
Zeit. Ich sprach in meinem Herzen: Es geschieht<br />
wegen <strong>der</strong> Menschenkin<strong>der</strong>, damit Gott sie prüfe<br />
und sie sehen, dass sie selber sind wie das Vieh.<br />
Denn es geht dem Menschen wie dem Vieh: wie<br />
dies stirbt, so stirbt auch er, und sie haben alle<br />
einen Odem, und <strong>der</strong> Mensch hat nichts voraus vor<br />
dem Viel; <strong>den</strong>n alles ist eitel. Es fährt alles an<br />
einen Ort. Es ist alles aus Staub gewor<strong>den</strong> und<br />
wird wie<strong>der</strong> zu Staub. Wer weiß, ob <strong>der</strong> Odem <strong>der</strong><br />
Menschen aufwärts fahre und <strong>der</strong> Odem des Viehs<br />
hinab unter die Erde fahre. Und <strong>der</strong> Prediger fährt<br />
fort (Prediger 4,8-12): Da ist einer, <strong>der</strong> steht allein<br />
und hat we<strong>der</strong> Kind noch Bru<strong>der</strong>, doch ist seiner<br />
Zustand und meinen, darauf ein verbrieftes Recht<br />
zu haben. Doch das Jenseits wird deshalb nicht<br />
obsolet, son<strong>der</strong>n unser Feind. Wir müssen es<br />
bekämpfen, um unser vermeintlich diesseitiges<br />
Leben zu retten. Der Tod wird zur persönlichen<br />
Nie<strong>der</strong>lage. Und das hartnäckige Leugnen <strong>der</strong><br />
Transzen<strong>den</strong>z zur Hoffnungslosigkeit. Das irdische<br />
Leben ist tragisch vorgezeichnet. Ein gigantischer<br />
Kampf entwickelt sich. Der Kampf gegen das Sein.<br />
Wir wollen mehr als das Sein sein und müssen es<br />
gerade deswegen verfehlen.<br />
Verstehen o<strong>der</strong> Abschrecken?<br />
Was ist zu tun? Konzepte, die in <strong>der</strong> frühen Sozialisation<br />
(Kindheit) die Ursachen für <strong>den</strong> heutigen<br />
Zustand suchen, fin<strong>den</strong> immer weniger Berücksichtigung,<br />
weil sie keine Erklärung geben, warum<br />
auch im Jugendalter zukunftsweisende Erlebnisse<br />
eintreten. Der Schrei nach härteren Maßnahmen<br />
übersieht, dass we<strong>der</strong> die Fixierung auf die frühe<br />
Kindheit noch eine Verantwortung ohne Einübung<br />
eine Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Verhältnisse bringen. Härtere<br />
28_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Mühe kein Ende, und seine Augen können nicht<br />
genug Reichtum sehen. Für wen mühe ich mich<br />
<strong>den</strong>n und gönne mir selber nichts Gutes? Das ist<br />
auch eitel und eine böse Mühe. So ist’s ja besser<br />
zu zweien als allein; <strong>den</strong>n sie haben guten Lohn<br />
für ihre Mühe. Fällt einer, so hilft ihm sein Gefährte<br />
auf. Weh dem, <strong>der</strong> allein ist, wenn er fällt. Dann<br />
ist keiner da, <strong>der</strong> ihm aufhilft. Auch wenn zwei<br />
beieinan<strong>der</strong> liegen, wärmen sie sich; wie aber<br />
kann einem Einzelnen warm wer<strong>den</strong>? Einer mag<br />
überwältig wer<strong>den</strong>, aber zwei können wi<strong>der</strong>stehen,<br />
und eine dreifache Schnur reißt nicht leicht<br />
entzwei.<br />
Der erste Text warnt vor menschlichen Hochmut<br />
und <strong>der</strong> zweite tröstet <strong>den</strong>, <strong>der</strong> hochmütig war<br />
und weist ihm die Gemeinschaft an als Rettung<br />
aus seiner Vereinsamung, wo <strong>der</strong> Hochmut hineinführt.<br />
Maßnahmen können nicht dem Schutz <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
dienen. Sie bringen kurzfristig Lösungen,<br />
weil sie die Probleme amputieren. Verän<strong>der</strong>ungen<br />
grün<strong>den</strong> in <strong>der</strong> Übernahme von Verantwortung.<br />
Geschieht sie, ergäben sich an<strong>der</strong>e Metho<strong>den</strong>.<br />
Statt Rache und gesellschaftliche Sicherheit stünde<br />
die Einübung in einen existentiellen Habitus im<br />
Vor<strong>der</strong>grund. Kurz: statt Ausgrenzung Einglie<strong>der</strong>ung,<br />
die dann gelingt, wenn gelernt wird, Pflichten<br />
zu übernehmen.<br />
Nachsicht o<strong>der</strong> Verantwortung?<br />
Wie immer, wenn ein Thema im Vor<strong>der</strong>grund steht,<br />
scheint sich alles auf dieses Thema zu reduzieren<br />
und düstere Aussichten gewinnen die Oberhand.<br />
So geschieht es auch beim Thema Gewalt. Die<br />
Konzentrierung auf dieses Thema lässt <strong>den</strong> Blick<br />
auf an<strong>der</strong>e ruhen. Aber es gibt auch an<strong>der</strong>e Gruppen<br />
als nur solche, die Gewalt als Lebensinhalt<br />
begreifen. Die Ausdifferenzierung <strong>der</strong> Jugendgruppen<br />
könnte auch als Sehnsucht nach Geborgenheit,<br />
nach einem gemeinsamen, geschützten
Raum verstan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>, in dem eine neue Form<br />
von Solidarität und Gemeinschaft heranwächst. In<br />
<strong>den</strong> Berichterstattungen stehen viel zu oft die<br />
Gewaltgruppen im Vor<strong>der</strong>grund. An<strong>der</strong>erseits<br />
dürfen gewaltbereite Gruppen nicht verharmlost<br />
wer<strong>den</strong>. Gewalt ist niemals marginal für eine<br />
Gesellschaft. Und wer Nachsicht übt, in dem<br />
er rechtsradikale Gruppierungen als Ran<strong>der</strong>scheinungen<br />
ausgibt, <strong>den</strong>unziert die an<strong>der</strong>en<br />
Jugendgruppen. Gewalt verlangt per se eine<br />
Stellungsnahme. Nachsicht schiebt die Übernahme<br />
von Verantwortung fort. Modelle, die begreifen<br />
wollen, wie es zur Gewaltentäußerung kommt,<br />
sollen <strong>den</strong> Täter begreifen, jedoch mit <strong>der</strong> Tat<br />
keine Nachsicht üben. Daher ist es nötig auf die<br />
Tat eine Nach-Sicht zu werfen, um weiterem gewalttätigem<br />
Handeln zu wehren. Der Glaube macht<br />
<strong>den</strong> Menschen, nicht seine Taten, formulierte<br />
bereits Martin Luther. Solchen Glauben gilt es zu<br />
erkennen. Nur wenn man die Taten verurteilt, kann<br />
man <strong>den</strong> Täter retten. Je mehr Nach-Sichten wir<br />
üben, desto mehr nachwachsende Täter können<br />
wir aus dem dumpfen Dunst einer Gewaltatmosphäre,<br />
die Geborgenheit vorspiegelt retten.<br />
Früher, so führt Peter Sloterdijk 30 aus, umschloss<br />
Gott alles. Und alles war in ihm. Doch mit <strong>der</strong><br />
Dimension <strong>der</strong> Unendlichkeit, mit <strong>der</strong> Gott näher<br />
konkretisiert wer<strong>den</strong> sollte, verlor sich das Bergende.<br />
Nun waren alle Menschen irgendwo im<br />
Unendlichen verstreut. Gott wurde unanschaulich.<br />
Er mutierte zu einem „Monstrum“ für menschliche<br />
Versuche, Unendliches zu fassen. Die Postmo<strong>der</strong>ne<br />
wandte sich von <strong>der</strong> metaphysischen<br />
Kategorie des Unendlichen ab und versuchte<br />
keine Einheit <strong>der</strong> Anschauungen mehr zu entwickeln.<br />
Sie näherte sich <strong>den</strong> Sprachspielen,<br />
Handlungsmustern, und „Ereignissen“, die Sinn<br />
liefern sollten. 31 Doch warum <strong>der</strong> Mensch nicht<br />
mehr durch sein Wesen, son<strong>der</strong>n durch Ereignisse<br />
konstituiert wer<strong>den</strong> soll, wurde nicht einsichtig.<br />
Wo ist <strong>den</strong>n <strong>der</strong> Ort des Menschen, wenn er im<br />
Ungeheuerlichen wohnt und nicht mehr im Ber-<br />
Faszinosum Gewalt<br />
gen<strong>den</strong>? Sloterdijks Antwort ist: Im Egoismus. Das<br />
Drehen um das Selbst und nur für sich zu sorgen,<br />
ist die Konstante, die Individuum, Staat, Familie<br />
und Wirtschaft eint. Doch näher kommen sich die<br />
Menschen nicht. Unterschlagen wird, dass Atmosphären<br />
sind, die alle Kommunizieren<strong>den</strong><br />
einschließen und sie gegenseitig wer<strong>den</strong> lässt.<br />
Atmosphären es sind we<strong>der</strong> Worte noch Dinge.<br />
Atmosphären sind auch nie Sache eines einzelnen.<br />
32 Atmosphären bil<strong>den</strong> sich durch viele. Sie<br />
eröffnen für einan<strong>der</strong> einen Raum.<br />
Die von mehreren erzeugten Räume sind ungegenständlich<br />
und unbeherrschbar. Die Mittel, um<br />
solche Räume zu erweitern sind verschie<strong>den</strong>.<br />
Einmal kann man das Äußere ins Innere integrieren.<br />
Diesen Weg beschritt das Christentum. Das<br />
Fremde wurde als Eigenes erkannt. Die Hingabe an<br />
das größere Ganze ermöglichte die Anerkennung<br />
des Frem<strong>den</strong>. Das „Böse“ (Fremde) wird verwandelt.<br />
Der an<strong>der</strong>e Weg <strong>der</strong> Atmosphärenerweiterung<br />
benötigt einen Sün<strong>den</strong>bock. Es entsteht ein Gefälle<br />
vom Guten (Innen) zum Bösen (Außen). Der<br />
Sün<strong>den</strong>bock wird ritualisiert, um eine Gruppensphäre<br />
zu erzeugen. In dieser Opferatmosphäre<br />
bildet sich aus Erregung und Einredung das Heilige<br />
einer Gruppe. In diesem Klima wachsen Ehrfurcht,<br />
Opferbereitschaft und Schuldgefühle<br />
gegenüber <strong>der</strong> Gruppe. Es entwickelt sich ein<br />
Täterkollektiv um ein Opfer, das die Gruppe zusammenhält.<br />
Daher braucht die Gruppe, um eine<br />
homogene Einheit zu bleiben, immer wie<strong>der</strong> neue<br />
Opfer, die <strong>der</strong> Gruppe zugleich numinos, unheimlich<br />
und verachtenswert erscheinen. Gerade weil<br />
<strong>der</strong> Sün<strong>den</strong>bock zu einem unheimlichen Gegner<br />
wird, <strong>der</strong> die Gruppe bedroht wie erhält, gewinnt<br />
die Sprache <strong>der</strong> Gruppe über ihren Sün<strong>den</strong>bock<br />
zugleich abwerten<strong>den</strong> wie beschwören<strong>den</strong> Charakter.<br />
33<br />
Gewaltgruppen können Frie<strong>den</strong> immer nur als<br />
Durchsetzung <strong>der</strong> eigenen Machtvorstellungen<br />
<strong>den</strong>ken. Dagegen wollen Gruppen, die integrieren<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_29<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Faszinosum Gewalt<br />
Frie<strong>den</strong> durch Geist und Einsicht erreichen. Wo<br />
<strong>der</strong> Staat versagt und versagen muss, sollte die<br />
Kirche helfen. Individualität setzt einen überschaubaren<br />
Lebensraum voraus. Wer kann Lebensräume<br />
schaffen, wenn <strong>der</strong> Staat dem Druck <strong>der</strong><br />
Wirtschaft folgt? Der Staat kann das Miteinan<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Menschen regeln, aber nicht Sinn im Leben<br />
des Einzelnen stiften. Die Abschaffung des Religionsunterrichts<br />
und an<strong>der</strong>er geisteswissenschaftlicher<br />
Fächer in <strong>den</strong> Ausbildungsinstitutionen<br />
erklärt die Sinnfrage des Lebens zur Randfrage<br />
und macht das Leben des Einzelnen zur Bagatelle.<br />
Je mehr die Wirtschaft dem irdischen Leben<br />
Glückseligkeit verspricht und nicht einhalten<br />
kann, desto mehr wächst das Verlangen danach<br />
und die Vorstellung, ein einklagbares Recht darauf<br />
zu besitzen. Und dann wird es spannend,<br />
welche Strategien einem zur Verfügung stehen,<br />
um auch an sein (vermeintliches) Recht zu kommen.<br />
Klaus Zastrow<br />
1 Jacques Lacan: Schriften I, Frankfurt 1975, S. 63-<br />
2<br />
70.<br />
Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen 1967,<br />
S. 53-54.<br />
3 Martin Heidegger: a.a.O. S. 57.<br />
4 Martin Heidegger: a.a.O. S. 62.<br />
5 Martin Heidegger: a.a.O. S. 107.<br />
6 Nikolaus von Kues: Die philosophisch-theologischen<br />
Schriften, Lateinisch-Deutsch, Wien 1989,<br />
Bd.3, S. 97-99, („De visione Die sive de icona“<br />
von 1453).<br />
7 Nikolaus von Kues: ebenda, S. 107. Vgl. auch<br />
Röm 5,5.<br />
30_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
8 Nikolaus von Kues: a.a.O. S. 263, (Dialogus de<br />
ludo globoli, Liber primus von 1462).<br />
9 Vgl. auch Joh 14,9.11.26.<br />
10 Es sei nebenbei an das Experiment Friedrich II.<br />
von Staufen erinnert, <strong>der</strong> erfahren wollte, welche<br />
Sprache Kin<strong>der</strong> von Natur aus sprechen,<br />
wenn sie keine Sprache erlernen. Vgl. Umberto<br />
Eco: Die Suche nach <strong>der</strong> vollkommenen Sprache,<br />
Frankfurt 1994, S. 13.<br />
11 Peter Sloterdijk: a.a.O. S. 639.<br />
12 Martin Heidegger: Sein und Zeit, Tübingen 1967,<br />
S. 128.<br />
13 Peter Sloterdijk: a.a.O. S. 643.<br />
14 Michel de Montaigne: Die Essais, 1. Buch, 25.<br />
Kapitel, Reclams Universal-Bibliothek Nr. 8308,<br />
Stuttgart 1969, S. 97.<br />
15 Thomas Assheuer: Rechte Gewalt und Neue<br />
Mitte, „Die Zeit“ Nr. 36 vom 31. 8. 2000.<br />
16 Peter Schnei<strong>der</strong>: Der Zerfall des Zivilen, „Die<br />
Zeit“ Nr. 32 vom 3. 8. 2000.<br />
17 Hanna-Barbara Gerl-Falkowitz: Wie wird <strong>der</strong><br />
Mensch zum Menschen? Die Wichtigkeit<br />
<strong>der</strong> Nachahmung bei Joachim Camerarius,<br />
in: Hanna-Barbara Gerl-Falkowitz: Die zweite<br />
Schöpfung <strong>der</strong> Welt, Mainz 1994, S. 164f.<br />
18 Arnulf Baring: Erziehungssabotage, von Arnulf<br />
Baring, FAZ, Nr. 136, Mittwoch 14.6.00.<br />
19 Susanne Gaschke: Ende <strong>der</strong> Kindheit. in: Die<br />
Zeit, Nr. 17, 19. April 00<br />
20 Susanne Gaschke: Prima für Kevin, in: Die Zeit<br />
Nr. 25 vom 15. Juni 2000.
21 Ulrich Greiner: Versuch über die Intimität.<br />
Von Ballermann bis zu ,,Big Brother”, vom<br />
Internet bis zur Talkshow, in: Die Zeit, Nr. 18<br />
vom 27.4.2000.<br />
22 Paul Tillich: Wesen und Wandel des Glaubens,<br />
Ullstein Buch 318, 1961, S. 9.<br />
23 Paul Tillich: a.a.O. S. 41ff.<br />
24 Paul Tillich: a.a.O. S. 49.<br />
25 Paul Tillich: a.a.O. S. 51.<br />
26 Richard Herzinger: Der Hass zum Tode. Liberale<br />
Diskursgesellschaft und rechte Gewalt, „Die<br />
Zeit“ Nr. 33 vom 10. August 2000.<br />
27 Thomas Darnstädt: Angriff auf die bösen Jungs,<br />
„Der Spiegel“ Nr. 12/ 1999.<br />
28 Vgl. „Schaumburger Nachrichten“: Risikosport<br />
gegen Öde im Alltag, vom 20. September 2000.<br />
29 „Schaumburger Nachrichten“: a.a.O.<br />
30 Peter Sloterdijk: Sphären, Bd. 2, Frankfurt 1999,<br />
S. 131ff.<br />
31 Hans Joachim Türk: Postmo<strong>der</strong>ne, Stuttgart<br />
1990, S. 64f.<br />
32 Vgl. hierzu: Gernot Böhme: Atmosphäre. Essays<br />
zur neuen Ästhetik, Frankfurt 1995.<br />
33 Peter Sloterdijk: Sphären, Bd. 2, S. 159 – 195.<br />
Faszinosum Gewalt<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_31<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Faszinosum Gewalt<br />
32_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …
›› Wie wirkt<br />
Musik?
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Wie wirkt Musik?<br />
Die Affekte,<br />
Begriffsbestimmungen<br />
1) außerwissenschaftliche<br />
Definitionen:<br />
Ärger<br />
durch Mißfallen an etwas, durch Unzufrie<strong>den</strong>heit,<br />
Enttäuschung o.ä. hervorgerufenes Gefühl des<br />
Unwillens.<br />
(Du<strong>den</strong> „Bedeutungswörterbuch”/ hrsg. u. bearb.<br />
Von Wolfgang Müller. Unter Mitarb.. d. Du<strong>den</strong>red.:<br />
Wolfgang Eckey ...-2. völlig neu bearb.. u. erw..<br />
Aufl.-Mannheim; Wien; Zürich: Bibliographisches<br />
Institut, 1985, S.69. )<br />
bewußtes, von starker Unlust u. [aggressiver]<br />
innerer Auflehnung geprägtes [erregtes] Erleben<br />
[vermeintlicher] persönlicher Beeinträchtigung,<br />
insbeson<strong>der</strong>e dadurch, daß etwas, nicht ungeschehen<br />
zu machen, zu än<strong>der</strong>n ist; Aufgebrachtsein,<br />
heftige Unzufrie<strong>den</strong>heit, [heftiger] Unmut,<br />
Unwille, heftige Verstimmung, Mißstimmung.<br />
(Du<strong>den</strong> „Deutsches Universalwörterbuch”/ hrsg.<br />
u. bearb. vom Wiss. Rat u. d. Mitarb.. d. Du<strong>den</strong>-red.<br />
unter Leitung von Günther Drosdowski. [Un-ter<br />
Mitw. von Brigitte Alsleben ...]. - Mannheim; Wien;<br />
Zürich: Bibliographisches Institut, 1983, S.99.)<br />
ärgern: „erzürnen, reizen”: Das Verb mhd. ergern,<br />
argern, ahd. argorôn, ergirôn ist von … abgeleitet<br />
und bedeutet demnach eigentlich „schlimmer,<br />
böser, schlechter machen” . Abl.: Ärger (18.Jh.).<br />
(Du<strong>den</strong> „Etymologie”: Herkunftswörterbuch <strong>der</strong><br />
deutschen Sprache. 2., völlig neu bearb.. u. erw..<br />
Aufl./ von Günther Drosdowski. Mannheim; Wien;<br />
Zürich: Du<strong>den</strong>verl., 1989, S.44.)<br />
Wut<br />
[sich in heftigen, zornigen Worten und/o<strong>der</strong> unbeherrschten<br />
Handlungen äußern<strong>der</strong>] Zustand äu-<br />
34_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
ßerster Erregung.<br />
(s.o.: Du<strong>den</strong> „Bedeutungswörterbuch”,S.765.)<br />
heftiger, unbeherrschter, durch Ärger o.ä. hervorgerufener<br />
Gefühlsausbruch, <strong>der</strong> sich in Miene,<br />
Wort und Tat zeigt.<br />
(s.o.: Du<strong>den</strong> „Deutsches Universalwörterbuch”,<br />
S.1458. )<br />
das Substantiv mhd., ahd. wuot ist eine Bildung zu<br />
dem gemeingerm. Adjektiv ahd. wuot „unsinnig”,<br />
got. Wôds „wütend, besessen”, aengl. wôd, aisl.<br />
ôdr „rasend”.<br />
Daneben steht das an<strong>der</strong>sgebildete Substantiv<br />
aengl. Wôd „Ton Stimme, Dichtung”, aisl. ôdr<br />
„Dichtung, Dichtkunst”. Damit ist wohl <strong>der</strong> Göttername<br />
ahd. Wuotan, aengl. Wô<strong>den</strong>, aisl. Odinn<br />
verwandt, <strong>der</strong> wahrscheinlich eigentlich „rasen<strong>der</strong><br />
Gott, Dämon” bedeutet. Die germ. Wörter sind<br />
wohl verwandt mit lat. vates „Wahrsager, Seher”<br />
und air. fâith „Seher, Prophet”.<br />
(s.o.: Du<strong>den</strong> „Etymologie”:Herkunftswörterbuch<br />
<strong>der</strong> deutschen Sprache,S.821.)<br />
Unmut<br />
durch das Verhalten an<strong>der</strong>er ausgelöstes starkes<br />
Gefühl <strong>der</strong> Unzufrie<strong>den</strong>heit, des Mißfallens, des<br />
Verdrusses.<br />
(s.o.: Du<strong>den</strong> „Deutsches Universalwörterbuch”,<br />
S.1330.)<br />
2) Wissenschaftliche Definition<br />
Ärger<br />
Ärger in <strong>den</strong> Emotionstheorien: Ärger entsteht<br />
infolge einer Störung, eines Hin<strong>der</strong>nisses, eines<br />
missfälligen Ereignisses; Ärger aktiviert, mit welchen<br />
Mitteln auch immer. Der Ausdruck des Ärgers<br />
mag ursprünglich an<strong>der</strong>e davor gewarnt haben,<br />
dass Wi<strong>der</strong>stand droht das kann er natürlich auch<br />
heute noch tun. Ein weiteres Element einbringt,
sind die kognitiven Theorien, die davon ausgehen,<br />
dass Ärger dann einsetzt, wenn ein an<strong>der</strong>e Mensch<br />
sich nicht an soziale Normen bzw. persönlich bedeutsame<br />
Standards hält.<br />
Begeisterung/Besessenheit<br />
Verän<strong>der</strong>ter Bewusstseinszustand, in dem sich<br />
<strong>der</strong> Erlebende von einer frem<strong>den</strong> Macht „in Besitz<br />
genommen” fühlt. B.-Zustände wer<strong>den</strong> in<br />
Trancekulten, die auf schamanische Wurzeln<br />
zurückzuführen sind, vor allem durch frenetische<br />
Bewegungen, monotone Musik, Tanz und heftiges<br />
Atmen hervorgerufen. Während <strong>der</strong> B.-Trance<br />
verliert <strong>der</strong> Erlebende sein gewöhnliches Verhältnis<br />
zu seinem psychischen Bezugsmittelpunkt,<br />
seinem Ich. Wesentliches Element <strong>der</strong> B. ist ihr<br />
religiöser Charakter (Ekstase). Insofern ist die B.<br />
die phänomenologisch folgerichtigste Form <strong>der</strong><br />
enthusiastischen Ergriffenheit. Die B. zählt zu<br />
einem in allen Teilen <strong>der</strong> Welt von alters her verbreiteten<br />
Phänomen, das als Hinweis für <strong>den</strong> dem<br />
Menschen innewohnen<strong>den</strong> Wunsch gesehen<br />
wer<strong>den</strong> kann, die transzen<strong>den</strong>te Wirklichkeit o<strong>der</strong><br />
die göttliche Sphäre zu erfahren und zu erleben<br />
(mystische Erfahrung). In <strong>der</strong> christlichen Religionsgeschichte<br />
begegnet uns das Phänomen <strong>der</strong><br />
B. als B. von Dämonen und Teufeln. Dem Rituale<br />
Romanum zufolge erkennt man Besessene nicht<br />
nur an blasphemischen, obszönen Äußerungen<br />
und Handlungen, son<strong>der</strong>n vor allem an ihren<br />
paranormalen Fähigkeiten, einschließlich des<br />
Sprechens und Verstehens frem<strong>der</strong> Sprachen.<br />
Ekstase<br />
[von griech. Ekstasis „Aus-sich-Heraustreten”]<br />
Bewusstseinszustand, in dem ein Individuum sich<br />
selbst nicht mehr allein mit seinem eigenen Körper<br />
i<strong>den</strong>tifiziert. Dieser Zustand des „Außer-Sich-<br />
Seins” (Entrückung, Verzückung) erreicht in seiner<br />
extremsten Form die mystische Vereinigung mit<br />
Gott bzw. dem höchsten Wesen (unio mystica).<br />
Wie wirkt Musik?<br />
Ekstase ist aus dem Schamanismus, aus <strong>den</strong><br />
dionysischen Kulten, sowie zahlreichen religiösen<br />
Systemen und im Bereich <strong>der</strong> christlichen Mystik<br />
seit dem älteren Prophetentum bekannt. Thomas<br />
von Aquin deutete die Ekstase als eine Wirkung<br />
<strong>der</strong> Liebe, die <strong>den</strong> Lieben<strong>den</strong> außer sich setzt, so<br />
dass er nicht mehr in sich selbst lebt, son<strong>der</strong>n in<br />
<strong>der</strong> geliebten Sache. Die Ekstase sei ihm zufolge<br />
ein Durchgangsschritt zum eigentlichen Ziel <strong>der</strong><br />
Mystik, <strong>der</strong> Vereinigung mit Gott.<br />
Aggression beim Menschen<br />
Aggressionstheorien<br />
In <strong>der</strong> Psychologie:<br />
• das Austeilen schädigen<strong>der</strong> Reize gegen Lebewesen<br />
(auch gegen die eigene Person › Auto-<br />
Aggression), Institutionen und Sachen<br />
• kann offen (körperlich, verbal) o<strong>der</strong> versteckt<br />
(phantasiert) sein<br />
• kann negativ (missbilligt) o<strong>der</strong> positiv (von <strong>der</strong><br />
Kultur gebilligt) sein<br />
• Psychoanalyse sieht als Ursache <strong>den</strong> Aggressionstrieb,<br />
<strong>der</strong> seine Quelle im Todestrieb (S.<br />
Freud) hat<br />
Verhaltensforschung:<br />
• <strong>der</strong> tatsächliche physische Akt o<strong>der</strong> eine Drohhandlung<br />
mit dem Ziel die Lebensfähigkeit<br />
eines an<strong>der</strong>en Individuums o<strong>der</strong> einer an<strong>der</strong>en<br />
Gruppe von Individuen einzuschränken<br />
• Bereitschaft, solche Handlung auszuführen,<br />
als Aggressionstrieb (Triebstauhypothese) o<strong>der</strong><br />
Aggressivität bezeichnet<br />
• Aggressivität: [lat.: „Angriffslust”], die Bereitschaft<br />
eines o<strong>der</strong> mehrerer Individuen, an<strong>der</strong>e<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_35<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Wie wirkt Musik?<br />
Organismen durch bestimmte Verhaltensweisen<br />
so einzuschränken, dass ihre Umweltbeziehungen<br />
entgegen <strong>der</strong> eigenen Motivation<br />
verän<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> ganz aufgehoben wer<strong>den</strong>;<br />
hierzu zählen verschie<strong>den</strong>e Klassen des Angriffsverhaltens<br />
(Inner- und Zwischengruppenaggressionen).<br />
• Trieb (Antrieb, Motivation): Bereitschaft, eine<br />
bestimmte Handlung (insbeson<strong>der</strong>e eine Instinkthandlung)<br />
ablaufen zu lassen; innere Erregung<br />
wird zentralnervös produziert und staut<br />
sich auf (Triebstau); bei starkem Triebstau reicht<br />
schon schwacher spezifischer Reiz (Auslöser,<br />
Schlüsselreiz) aus, <strong>der</strong> die innere Sperre über<br />
einen angeborenen Auslösemechanismus<br />
beseitigt, um Handlung ablaufen zu lassen<br />
(Triebbefriedigung); bleibt Reiz aus, wird die<br />
angestaute Erregung in einer Leerlaufhandlung<br />
aufgebraucht (Abreaktion an Ersatzobjekt)<br />
Aggressionstheorien<br />
Triebtheorie:<br />
• Aggressionsverhalten = echter Instinkt mit<br />
eigener endogener Antriebserzeugung<br />
• kann durch Lernen verän<strong>der</strong>t wer<strong>den</strong><br />
• Frustration kann zu aggressiven Handlungen führen<br />
Frustrations-Aggressionstheorie:<br />
• Frustration ist Störung einer zielgerichteten<br />
Aktivität<br />
• Aggression ist jedes Verhalten, dass auf die<br />
Verletzung eines Organismus abzielt<br />
• Aggression ist immer Folge einer Frustration,<br />
d.h. die Versagung von Bedürfnissen o<strong>der</strong> Wünschen<br />
führt zur Angriffslust<br />
36_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
• Frustration führt stets zu einer Form <strong>der</strong> Aggression<br />
• Stärke <strong>der</strong> Bereitschaft zur Aggression ist abhängig<br />
von:<br />
• <strong>der</strong> Stärke <strong>der</strong> gestörten Aktivität,<br />
• <strong>der</strong> Stärke <strong>der</strong> Störung und<br />
• <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Frustrationen<br />
Lerntheorie:<br />
• aggressives Verhalten basiert auf Lernen<br />
• aggressives Verhalten befriedigt Bedürfnisse<br />
und führt zum Erreichen von Zielen<br />
• es entwickelt sich die Erwartung, auch zukünftig<br />
durch Aggression Erfolg zu haben<br />
• Lob und Belohnung verstärken aggressives<br />
Verhalten<br />
• Aggression kann auch am Modell gelernt wer<strong>den</strong>,<br />
d.h. wenn aggressives Verhalten an<strong>der</strong>er erfolgreich<br />
ist, unbestraft bleibt, gerechtfertigt o<strong>der</strong><br />
verherrlicht wird, erhöht sich Erwartung, dass<br />
eigenes aggressives Verhalten zu Zielen verhilft<br />
Gemeinsamkeit:<br />
in 5 Bereichen gesteuert und unmittelbar beeinflusst:<br />
• im Bereich <strong>der</strong> Gene<br />
• in <strong>der</strong> Physiologie (z.B. Hormonstörungen<br />
bewirken auffällige Aggressivität o<strong>der</strong> völliges<br />
Fehlen aggressiven Verhaltens)<br />
• im Gesamtorganismus (psychische Zustände,<br />
Empfindungen, Motive, ...)
• im sozialen Verband (Aggression bei Ausbildung<br />
einer Rangordnung, weniger bei gefestigten<br />
Hierarchien)<br />
• im ökologischen Zusammenhang (Gruppendichte<br />
o<strong>der</strong> Nahrungsknappheit beeinflussen<br />
aggressives Verhalten)<br />
Strategien zur Vermeidung von Aggressionen<br />
beim Menschen<br />
• Aggression abreagieren, z.B. durch körperliche<br />
Anstrengung › Abbau von Energieüberschüssen<br />
Praxisbaustein: Ablauf eines Schulgottesdienstes an <strong>der</strong> BBS<br />
zum Thema Gewalt/Menschlichkeit<br />
„Du mußt ein Schwein sein in dieser Welt“<br />
Aktualisiert: „Es ist geil, ein Arschloch zu sein“ (Christian)<br />
Musik zur Einstimmung<br />
Beginn<br />
• Lied: Alex (Schulband, nach Tote Hosen)<br />
- Begrüßung, Einführung<br />
- (Biblische Relevanz) Exemplarische biblische<br />
Texte zum Themenkomplex »Gewaltanwendung/<br />
Frie<strong>den</strong>»: Ex 20,13: Ps 34,15; Spr 20.22; Jes 2,4b;<br />
Jes 32,17; Mt 5,9; Mt 10,.34 (Kontrast): Mt 26,52;<br />
Röm 12,17; 1 Kor 14,33; 1 Petr 3,9; SchülerInnen<br />
lesen die Texte mit Erklärungen zum Thema<br />
• Lied: „Du mußt ein Schwein sein“ (nach Prinzen)<br />
bzw. „Es ist geil, ein Arschloch zu sein“ (Christian)<br />
• Gedanken zum Liedtext (SchülerInnen)<br />
Wie wirkt Musik?<br />
• stabile Familienverhältnisse (feste Bezugsperson)<br />
Aggressionsbereitschaft wird gesenkt<br />
durch: Lächeln, Höflichkeit, Grüßen<br />
• Anerkennung, Geschenke<br />
• nicht zu Handlung verleiten lassen, die man von<br />
selbst nie tun würde<br />
• bei ungerechten For<strong>der</strong>ungen nicht nachgeben,<br />
weil sonst Lernen am Erfolg<br />
• Menschen sollten sich selbst kennenlernen, sich<br />
beobachten und Selbstbeherrschung üben<br />
• Meditative Musik (Schulband)<br />
• Sketch: „Nicht alles gefallen lassen“<br />
nach Gerhard Zwerenz (SchülerInnen)<br />
siehe Text 1<br />
• Gedanken zum Text (SchülerInnen )<br />
• Gebet, Meditative Musik (Schulband)<br />
• Video Grasshoppers (Erklärungen als Grundlage<br />
zur Erarbeitung siehe Text 2)<br />
• Gedanken zum Video (SchülerInnen)<br />
Abschlußsegen<br />
Gebet<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_37<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Wie wirkt Musik?<br />
Auf dem Weg des Frie<strong>den</strong>s<br />
Herr, unser Gott<br />
und Gott unserer Väter, möge es dein Wille sein,<br />
uns in Frie<strong>den</strong> zu leiten,<br />
unsere Schritte<br />
auf <strong>den</strong> Weg des Frie<strong>den</strong>s zu richten,<br />
und uns wohlbehalten<br />
zum Ziel unserer Reise zu führen.<br />
Behüte uns vor aller Gefahr, die uns auf dem Weg<br />
bedroht.<br />
Bewahre uns vor Unfall und vor Unglück,<br />
das über die Welt Unruhe bringt.<br />
Segne die Arbeit unserer Hände.<br />
Laß uns Gnade und Barmherzigkeit vor deinen<br />
Augen fin<strong>den</strong>;<br />
Verständnis und Freundlichkeit bei allen, die uns<br />
begegnen.<br />
Höre auf die Stimme unseres Gebetes. Gepriesen<br />
seist du, O Gott,<br />
<strong>der</strong> du unser Gebet erhörst.<br />
Amen.<br />
(Altes jüdisches Reisegebet)<br />
• Musik: Sounds of silence (Schulband)<br />
Anhang Texte 1 und 2<br />
Material z. Gottesdienst<br />
Text 1: Nicht alles gefallen lassen...<br />
(von Gerhard Zwerenz)<br />
Wir wohnten im dritten Stock mitten in <strong>der</strong> Stadt<br />
und haben uns nie etwas zuschul<strong>den</strong> kommen<br />
lassen, auch mit Doerfelts von gegenüber verband<br />
uns eine jahrelange Freundschaft, bis die Frau sich<br />
kurz vor dem Fest unsere Bratpfanne auslieh und<br />
nicht zurückbrachte.<br />
38_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Als meine Mutter dreimal vergeblich gemahnt<br />
hatte, riss ihr eines Tages die Geduld, und sie<br />
sagte auf <strong>der</strong> Treppe zu Frau Muschg, die im vierten<br />
Stock wohnt, Frau Doerfelt sei eine Schlampe.<br />
Irgendwer muss das <strong>den</strong> Doerfelts hinterbracht<br />
haben, <strong>den</strong>n am nächsten Tag überfielen Klaus<br />
und Achim unseren Jüngsten, <strong>den</strong> Hans, und<br />
prügelten ihn windelweich.<br />
Ich stand grad im Hausflur, als Hans ankam und<br />
heulte. In diesem Moment trat Frau Doerfelt drüben<br />
aus <strong>der</strong> Haustür, ich lief über die Strasse,<br />
packte ihre Einkaufstasche und stülpte sie ihr über<br />
<strong>den</strong> Kopf. Sie schrie aufgeregt um Hilfe, als sei<br />
sonst was los, dabei drückten sie nur die Glasscherben<br />
etwas auf <strong>den</strong> Kopf, weil sie ein paar<br />
Milchflaschen in <strong>der</strong> Tasche gehabt hatte.<br />
Mittagszeit, und da kam Herr Doerfelt mit dem<br />
Wagen angefahren. Ich zog mich sofort zurück,<br />
doch Elli, meine Schwester, die mittags zum Essen<br />
heimkommt, fiel Herrn Doerfelt in die Hände. Er<br />
schlug ihr ins Gesicht und zerriss dabei ihren Rock.<br />
Das Geschrei lockte unsere Mutter ans Fenster,<br />
und als sie sah, wie Herr Doerfelt mit Elli umging,<br />
warf unsere Mutter mit Blumentöpfen nach ihm.<br />
Von Stund an herrschte erbitterte Feindschaft<br />
zwischen <strong>den</strong> Familien.<br />
Weil wir nun Doerfelts nicht über <strong>den</strong> Weg trauen,<br />
installierte Herbert, mein ältester Bru<strong>der</strong>, <strong>der</strong> bei<br />
einem Optiker in die Lehre geht, ein Scherenfernrohr<br />
am Küchenfenster. Da konnte unsere Mutter,<br />
waren wir an<strong>der</strong>en alle unterwegs, die Doerfelts<br />
beobachten. Augenscheinlich verfügte diese über<br />
ein ähnliches Instrument, <strong>den</strong>n eines Tages schossen<br />
sie von drüben mit einem Luftgewehr herüber.<br />
Ich erledigte das feindliche Fernrohr dafür mit<br />
einer Kleinkaliberbüchse, an diesem Abend ging<br />
unser Volkswagen unten im Hof in die Luft.<br />
Unser Vater, <strong>der</strong> als Oberkellner im hochrenommierten<br />
Café Imperial arbeitete, nicht schlecht
verdiente und immer für <strong>den</strong> Ausleich eintrat,<br />
meinte, wir sollten uns jetzt an die Polizei wen<strong>den</strong>.<br />
Aber unserer Mutter passte das nicht, <strong>den</strong>n Frau<br />
Doerfelt verbreitete in <strong>der</strong> ganzen Strasse, wir,<br />
das heißt, unsere gesamte Familie, seien <strong>der</strong>art<br />
schmutzig, dass wir mindestens zweimal jede<br />
Woche badeten und für das hohe Wassergeld, das<br />
die Mieter zu gleichen Teilen zahlen müssen,<br />
verantwortlich wären. Wir beschlossen also, <strong>den</strong><br />
Kampf aus eigener Kraft in aller Härte aufzunehmen,<br />
auch konnten wir nicht mehr zurück, verfolgte<br />
doch die gesamte Nachbarschaft gebannt <strong>den</strong><br />
Fortgang des Streites.<br />
Am nächsten Morgen schon wurde die Strasse<br />
durch ein mör<strong>der</strong>isches Geschrei geweckt. Wir<br />
lachten uns halbtot, Herr Doerfelt, <strong>der</strong> früh als<br />
erster das Haus verliess, war in eine tiefe Grube<br />
gefallen, die sich vor <strong>der</strong> Haustür erstreckte. Er<br />
zappelte ganz schön in dem Stacheldraht, <strong>den</strong> wir<br />
gezogen hatten, nur mit dem linken Bein zappelte<br />
er nicht, das hielt er fein still, das hatte er sich<br />
gebrochen. Bei alledem konnte <strong>der</strong> Mann noch von<br />
Glück sagen - für <strong>den</strong> Fall, dass er die Grube bemerkt<br />
und umgangen hätte, war <strong>der</strong> Zün<strong>der</strong> einer<br />
Plastikbombe mit dem Anlasser seines Wagens<br />
verbun<strong>den</strong>. Damit ging kurze Zeit später Klunker-<br />
Paul, ein Untermieter von Doerfelts, hoch, <strong>der</strong> <strong>den</strong><br />
Arzt holen wollte.<br />
Es ist bekannt, dass die Doerfelts leicht übelnehmen.<br />
So gegen zehn Uhr begannen sie unsere<br />
Hausfront mit einem Flakgeschütz zu bestreichen.<br />
Sie mussten sich erst einschiessen, und die Einschläge<br />
befan<strong>den</strong> sich nicht alle in <strong>der</strong> Nähe unserer<br />
Fenster. Das konnte uns nur recht sein, <strong>den</strong>n<br />
jetzt fühlten sich auch die an<strong>der</strong>en Hausbewohner<br />
geärgert, und Herr Lehmann, <strong>der</strong> Hausbesitzer,<br />
begann um <strong>den</strong> Putz zu fürchten. Eine Weile sah er<br />
sich die Sache noch an, als aber zwei Granaten in<br />
seiner guten Stube krepierten, wurde er nervös<br />
und gab uns <strong>den</strong> Schlüssel zum Bo<strong>den</strong>. Wir robbten<br />
sofort hinauf und rissen die Tarnung von <strong>der</strong><br />
Wie wirkt Musik?<br />
Atomkanone. Es lief alles wie am Schnürchen, wir<br />
hatten <strong>den</strong> Einsatz oft genug geübt, die wer<strong>den</strong><br />
sich jetzt ganz schön wun<strong>der</strong>n, triumphierte unsere<br />
Mutter und kniff als Richtkanonier das rechte<br />
Auge fachmännisch zusammen.<br />
Als wir das Rohr genau auf Doerfelts Küche eingestellt<br />
hatten, sah ich drüben gegenüber im<br />
Bo<strong>den</strong>fenster ein gleiches Rohr blinzeln, das<br />
hatte freilich keine Chance mehr, Elli, unsere<br />
Schwester, die <strong>den</strong> Verlust ihres Rockes nicht<br />
verschmerzen konnte, hatte zornroten Gesichts<br />
das Kommando „Feuer!“ erteilt. Mit einem unvergesslichem<br />
Fauchen verliess die Atomgranate das<br />
Rohr, zugleich fauchte es auch auf <strong>der</strong> <strong>Gegen</strong>seite.<br />
Die bei<strong>den</strong> Geschosse trafen sich genau in <strong>der</strong><br />
Strassenmitte.<br />
Natürlich sind wir nun alle tot, die Strasse ist hin,<br />
und wo unsere Stadt früher stand, breitet sich<br />
jetzt ein graubrauner Fleck aus. Aber eins<br />
muss man sagen, wir haben das Unsere getan,<br />
schließlich kann man sich nicht alles gefallen<br />
lassen. Die Nachbarn tanzen einem sonst auf <strong>der</strong><br />
Nase herum.<br />
Text 2: Erklärungen zum Film Grasshoppers<br />
Bozetto kontrastiert eine von Kriegen gezeichnete<br />
Menschheitsgeschichte mit einer friedvollen und<br />
fröhlichen Natur, die unverän<strong>der</strong>t bleibt und sich<br />
selbst immer wie<strong>der</strong> hervorbringt (vgl. die Fortpflanzung<br />
<strong>der</strong> bei<strong>den</strong> Heuschrecken im letzten<br />
Bild). Das ist ein Kunstgriff: We<strong>der</strong> ist Natur friedvoll<br />
noch bleibt sie unverän<strong>der</strong>t. Im Vergleich zur<br />
Geschichte <strong>der</strong> Menschheit vollziehen sich natürliche<br />
Än<strong>der</strong>ungen allerdings in großen Zeiträumen.<br />
Auch gibt es keine Vernichtung einzelner Gattungen<br />
untereinan<strong>der</strong>. Bozettos Kontrastierung wirft<br />
ein kritisches Licht auf die Vorstellung von <strong>der</strong><br />
Überlegenheit des Menschen über die Natur.<br />
Nimmt man das filmisch konstruierte Nebeneinan<strong>der</strong><br />
von Menschheitsgeschichte und natürlichem<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_39<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Wie wirkt Musik?<br />
Leben allerdings als Gleichsetzung - das eine ist<br />
wie das an<strong>der</strong>e - dann ergibt sich eine an<strong>der</strong>e<br />
Deutungsperspektive: Der Film wird zur Satire, die<br />
lakonisch-überzeichnet <strong>den</strong> Menschen vor Augen<br />
führt, wie lächerlich ihre erbitterten Gefechte<br />
neben dem natürlichen Fortgang des Lebens<br />
wirken. Geht man nach dem Titel des Films, Grasshoppers,<br />
dann ist klar, wer die Hauptpersonen<br />
sind: Die Heuschrecken, nicht die Menschen.<br />
Unberührt von dem Gemetzel, das um sie immer<br />
wie<strong>der</strong> ausbricht, gehen sie ihren Verrichtungen<br />
nach.<br />
Gewalt in <strong>den</strong> Medien/Musik<br />
Begegnung mit einem (typischen?)<br />
Nazimusik-Konsumenten<br />
Daniel, 29 Jahre, arbeitslos. Ich treffe ihn in Bernau,<br />
in Bran<strong>den</strong>burg. Stolz führt er uns seine<br />
Musik vor. Eines <strong>der</strong> szene-üblichen Lie<strong>der</strong> mit<br />
rassistischen und gewaltverherrlichen<strong>den</strong> Texten.<br />
Schmierstoff für Aggression und Gewalt …<br />
„Das ist mein Lieblingssong. Den habe ich von<br />
einem Kumpel gekriegt!”, sagt er und legt die<br />
Kassette in <strong>den</strong> Autorecor<strong>der</strong> ein: „Ich brauch’<br />
keinen Griechen, um gut essen zu gehen/Keinen<br />
Nigger, um ein Fußballtor zu sehen/Ich will auch<br />
kein Arbeiter bei <strong>den</strong> Türken sein/Ich will, daß wir<br />
uns vom frem<strong>den</strong> Pack befrei’n/Tritt einfach rein in<br />
das dumme Schwein...!”<br />
“Solche Lie<strong>der</strong> von Skinhead-Bands<br />
ohne Namen<br />
wer<strong>den</strong> in <strong>der</strong> Szene<br />
weitergereicht”, erzählt<br />
mir Daniel. Konzerte <strong>der</strong><br />
entsprechen<strong>den</strong> Gruppen,<br />
meist als Privatparties<br />
getarnt, fin<strong>den</strong><br />
regelmäßig statt. Vor allem in <strong>den</strong> neuen Bundeslän<strong>der</strong>n.<br />
Das Publikum aber kommt von überall<br />
her, auch aus Nordrhein-Westfalen. Die Musik<br />
40_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Insgesamt kennt <strong>der</strong> Handlungsverlauf des Films<br />
kein Ende. Die collagenhafte Aneinan<strong>der</strong>reihung<br />
<strong>der</strong> Szenen hat exemplarischen Charakter und<br />
betont das Fragmentarische <strong>der</strong> Darstellung.<br />
• Exemplarische biblische Texte zum Themenkomplex<br />
»Gewaltanwendung/Frie<strong>den</strong>»: Ex<br />
20,13: Ps 34,15; Spr 20.22; Jes 2,4b; Jes 32,17;<br />
Mt 5,9; Mt 10,.34 (Kontrast): Mt 26,52; Röm<br />
12,17; 1 Kor 14,33; 1 Petr 3<br />
Ende<br />
dient als Einstiegsdroge und schürt die Gewaltbereitschaft.<br />
Und nicht selten folgen auf Parolen<br />
auch Taten, wie Daniel bestätigt … „Wie gesagt:<br />
Tritt einfach rein in die dumme Sau, ganz einfach!”<br />
„Bist Du auch schon einmal gewalttätig gewor<strong>den</strong>?”,<br />
frage ich ihn. „Ja, mehrmals! Du bist mit <strong>der</strong><br />
Gruppe unterwegs und da langst du hin, wenn<br />
irgend so ein Idiot kommt, ob es irgend so ein<br />
dreckiger Punk ist o<strong>der</strong> eine Zecke, da wird einfach<br />
reingehämmert, mit <strong>den</strong> Springerstiefeln noch mal<br />
nachgetreten und dann ist gut!”<br />
Ortswechsel: Düsseldorf. Der Handel mit verbotener<br />
rechter Musik ist inzwischen ein einträgliches<br />
Geschäft, bedeutendste Geldquelle <strong>der</strong><br />
rechten Szenen, die deutschlandweit eng vernetzt<br />
sind. Ganz wichtig dabei: Die Rolle Nordrhein-<br />
Westfalens. Einer <strong>der</strong> Drahtzieher hier: Torsten<br />
Lemmer. Bereits 1993 gründete <strong>der</strong> Musterjunge<br />
<strong>der</strong> neuen Rechten in Düsseldorf die bei<strong>den</strong> Musikverlage<br />
„Creative Zeiten” und „Funny Sounds”,<br />
die nach eigenen Angaben etwa 40 Prozent des<br />
gesamtdeutschen Rechtsrock-Marktes halten. Alle<br />
Musikrichtungen - auch Techno o<strong>der</strong> Schlager -<br />
wer<strong>den</strong> hier mit faschistoi<strong>den</strong> Texten und Inhalten<br />
besetzt.<br />
Von Köln aus vertreibt <strong>der</strong> Musikverlag „Rock-o-<br />
Rama” seit 1997 rechtsradikale Musik und ist
mittlerweile zu Europas größtem Unternehmen<br />
dieser Art aufgestiegen. Die hier verlegte Musik ist<br />
nicht verboten o<strong>der</strong> indiziert. Gerichtsverfahren<br />
gegen <strong>den</strong> Verlag wegen Volksverhetzung waren<br />
meist erfolglos. Demonstrationen in Köln und<br />
Polizei-Razzien bei dem Hintermann Herbert<br />
Egoldt aus Brühl haben das einträgliche Geschäft<br />
bisher nicht gestört. Doch die Demonstranten<br />
bleiben dabei: “Wer Leute dazu anleitet, Asylbewerberwohnheime<br />
anzuzün<strong>den</strong>, ist und bleibt<br />
ein mieser Rassist!”, ruft einer von ihnen.<br />
Der Journalist Burkhard Schrö<strong>der</strong> untersucht seit<br />
langem die Vernetzungen innerhalb <strong>der</strong> deutschen<br />
rechtsradikalen Szene. Immer wie<strong>der</strong> weist er auf<br />
die Bedeutung <strong>der</strong> neuen Medien bei <strong>der</strong> Verbreitung<br />
rechtsextremer Musik hin. „Wenn man sich<br />
das mal anguckt auf <strong>den</strong> Internet-Portalen, die<br />
sich mit Musik beschäftigen, ist Deutschland das<br />
einzige Land, das mit Neonazis vermehrt präsent<br />
ist. In allen an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n ist das an<strong>der</strong>s.<br />
Das sagt etwas über die deutsche Kultur aus.”<br />
„Was?”, möchte ich wissen. „Dass Rassismus<br />
gesellschaftsfähig ist in Deutschland und von<br />
vielen Leuten konsumiert wird und das Gefühl<br />
vieler Leute anspricht - vor allem in <strong>den</strong> neuen<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n. Es ist eben nicht nur ein Problem<br />
<strong>der</strong> Jugendlichen. Die Jugendlichen - das weiß<br />
je<strong>der</strong> Sozialwissenschafter - sagen das, was die<br />
Erwachsenen auch <strong>den</strong>ken, nur etwas radikaler.”<br />
Bestätigt wird diese These, wenn man sich bei <strong>den</strong><br />
Skinheads, <strong>den</strong> Fans von Neonazi-Musik, umhört.<br />
Ich frage Daniel, wie seine Mutter die Nazimusik<br />
findet. Die Mutter, sie steht neben ihm auf <strong>der</strong><br />
Straße, mitten in Bernau … „Meine Mutti, die hört<br />
die Mucke auch ganz gern!”, sagt Daniel. Die<br />
“Mutti” nickt zustimmend. „Und die an<strong>der</strong>en<br />
Verwandten?“ „Die auch, die sind alle ganz easy<br />
drauf und haben auch keine Probleme damit!”<br />
Ortswechsel. Ich besuche das Landeskriminalamt<br />
von Sachsen-Anhalt in Magdeburg. Hier gibt es<br />
Wie wirkt Musik?<br />
eine spezielle “Koordinierungs- und Ermittlungsgruppe<br />
Rechts”. Immer wie<strong>der</strong> wer<strong>den</strong> hier CDs<br />
sichergestellt. Es ist nicht leicht, die Tatbestände<br />
<strong>der</strong> Volksverhetzung und Gewaltverherrlichung zu<br />
verfolgen, vor allem dann nicht, wenn die Verlage<br />
ihren Sitz im Ausland haben. Die Musik - aus dem<br />
Internet in <strong>den</strong> PC gela<strong>den</strong> - kann leicht vervielfältigt<br />
wer<strong>den</strong>. „Die CDs wer<strong>den</strong> zum Selbstbrennen<br />
immer günstiger. Mittlerweile kostet die Herstellung<br />
einer CD 1,40 Mark. Verkauft wer<strong>den</strong> sie für<br />
zwischen 15 und 40 Mark. Wir haben bei Ermittlungsverfahren<br />
festgestellt, dass <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong><br />
vertreibt, Umsätze zwischen 10.000 und 40.000<br />
Mark im Monat macht. Steuerfrei, versteht sich -<br />
<strong>den</strong>n die Vertreiber mel<strong>den</strong> natürlich kein Gewerbe<br />
an.”<br />
Fazit für mich, nach tagelanger<br />
Recherche in Bran<strong>den</strong>burg, Nordrhein-Westfalen<br />
und Sachsen-<br />
Anhalt: Rechtsextreme Bands<br />
haben ihre Proberäume verlassen.<br />
Es besteht zumindest die Gefahr, daß Nazimusik<br />
in <strong>den</strong> Jugendkultur-Mainstream eindringt.<br />
Die Drahtzieher und Profiteure sitzen auch in<br />
Nordrhein-Westfalen. Ihre Musik erreicht immer<br />
mehr Leute. Leute wie Daniel, <strong>der</strong> seine auslän<strong>der</strong>feindlichen<br />
Anschauungen in <strong>der</strong> braunen Musik<br />
wie<strong>der</strong>findet. Eigentlich sollte man ihn in die<br />
faszinierende Welt <strong>der</strong> bunten Musik entführen.<br />
“Bunt statt braun” - eigentlich müsste Daniel<br />
einleuchten, daß bunte Musik attraktiver ist als<br />
“braune”, die er - in Abwandlungen - immer wie<strong>der</strong><br />
hört. O<strong>der</strong> ist für ihn alles schon zu spät?<br />
Dieser Beitrag des WDR-Autors Antonio Cascais<br />
wurde in leicht verän<strong>der</strong>ter Fassung in <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>sendung<br />
des WDR-Fernsehens “Gewalt von<br />
rechts - Was tun?” ausgestrahlt: Antonio Cascais<br />
wurde in Portugal geboren, studierte in Dortmund<br />
Journalistik und Geschichte, und arbeitet als<br />
freier Autor für <strong>den</strong> WDR, u. a. für das ARD-Magazin<br />
Monitor.<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_41<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Wie wirkt Musik?<br />
Songbeispiele für rassistische,<br />
menschenverachtende Texte<br />
Im harten Skin-Rock'n'Roll wird <strong>der</strong> Nationalsozialismus<br />
verherrlicht und gegen Auslän<strong>der</strong> gehetzt.<br />
Zitat aus einem z.Zt. vor allem in <strong>den</strong> neuen<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n kursieren<strong>den</strong> Song:<br />
„Ich brauch' keinen<br />
Griechen, um gut essen<br />
zu geh'n<br />
keinen Nigger, um ein<br />
Fußball-Tor zu seh'n<br />
ich will auch kein Arbeiter<br />
bei <strong>den</strong> Türken sein<br />
ich will nur, daß wir uns vom frem<strong>den</strong> Pack befrei'n<br />
Tritt einfach rein in das fiese Schwein…“<br />
Auszüge aus an<strong>der</strong>en "Lie<strong>der</strong>n" mit rechtsextremem<br />
Inhalt:<br />
(…) lasst die Messer flutschen in <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong>leib<br />
(…) schmiert die Guillotine mit dem Ju<strong>den</strong>fett (…)<br />
(Quelle: Sampler „Northeim Live“)<br />
(…) Adolf Hitler unser Führer<br />
Adolf Hitler unser Held (…)<br />
(Interpreten: „Weisser Arischer Wi<strong>der</strong>stand“)<br />
(…) alle Ju<strong>den</strong> sind mir<br />
gleich,<br />
ich mag Skinheads und SA,<br />
Türken klatschen, ist doch<br />
klar<br />
Ich mag Fußball auf dem<br />
Rasen,<br />
die SS, wenn sie gasen.<br />
All das mag ich, und ganz<br />
doll NSDAP (…)<br />
Die rechte Musikszene ist keine bloße Ran<strong>der</strong>scheinung<br />
„Es gibt circa 100 Faschobands, <strong>der</strong>en Produkte<br />
von Hand zu Hand weitergereicht wer<strong>den</strong>. Ihre<br />
42_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Musik wird vor allem über <strong>den</strong> Versandhandel an<br />
die interessierte Klientel weitergegeben…“<br />
Beschreiben Sie die Musik und ihre Inhalte:<br />
„Das ist sehr<br />
schwer, weil es alle<br />
Segmente des<br />
rechten Millieus<br />
gibt. Es gibt Skinheadmusik,<br />
die<br />
sich eher an die<br />
harten Rhythmen<br />
des Punks annähert.<br />
Die eigentlichen<br />
Wurzeln<br />
dieser Musik kommen ja ursprünglich aus <strong>den</strong><br />
Wurzeln des Ska in Jamaica, was die heutige Szene<br />
kaum noch weiß. Einfache, schnelle Rhythmen,<br />
sehr laut, ab 120 Phon aufwärts. Es gibt auch<br />
melancholische Gruftie-Musik, die mit rechten<br />
Texten arbeitet, es gibt auch rechte Techno-Musik,<br />
das wird nicht im Text klar, son<strong>der</strong>n durch das<br />
Arrangement(...). Es gibt auch die klassische<br />
Gitarrenmusik<br />
<strong>der</strong> sogenannten<br />
Bar<strong>den</strong>, das<br />
ist wahrscheinlich<br />
das größte<br />
Segment.“<br />
„Die zentralen Themen sind natürlich Rassismus -<br />
also Türken abstechen, Frauen schän<strong>den</strong>, das<br />
kann man sich gar nicht brutal genug vorstellen.<br />
Das zweite Element: antisemitische Grundstimmung:<br />
Es gibt Bands, die dezidiert dazu aufrufen,<br />
Ju<strong>den</strong> abzustechen. Es ist so, dass die Texte,<br />
wenn sie indiziert sind, von <strong>den</strong> Musikern auf <strong>der</strong><br />
Bühne gar nicht selber gesungen wer<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n<br />
- da das Publikum das vorher schon weiß - die<br />
Bands nur <strong>den</strong> Anstoß geben müssen, und das<br />
Publikum das dann im Chor singt - so daß juristisch<br />
schwer etwas zu machen ist gegen diese<br />
Bands.“
Rechtsextremistische Musik ist dann gegeben,<br />
wenn - zumindest in Teilpassagen - gegen § 86<br />
und 86 a o<strong>der</strong> §130 verstoßen wird, also wenn das<br />
Verwen<strong>den</strong> von verbotenen Kennzeichen, Gewaltverherrlichung<br />
Volksverhetzung eine Rolle spielt.<br />
Es gibt aber auch Texte, wo lediglich umschrieben<br />
Passagen dargestellt wer<strong>den</strong>, die zwar einen<br />
gewissen frem<strong>den</strong>feindlichen Eindruck hinterlassen,<br />
aber nicht strafrechtlich relevant sind. Die<br />
Abgrenzung ist sehr fließend, weil man nicht zu<br />
jedem Text sagen kann: Er ist rechtsextremistisch.<br />
Vielfach ist bloß ein frem<strong>den</strong>feindlicher Inhalt<br />
gegeben, <strong>der</strong> an sich - wie <strong>der</strong> rechtsextremistische<br />
- nicht strafbar ist. Strafbar wird es erst, wenn<br />
Gesetze verletzt wer<strong>den</strong>, wie §86, 86a, Verwendung<br />
von verbotenen Kennzeichen, o<strong>der</strong> Volksverhetzung<br />
o<strong>der</strong> Gewaltverherrlichung.“<br />
Die Strafverfolgungsbehör<strong>den</strong> müssen <strong>den</strong> Vertreibern<br />
rechtsextremer Medien nachweisen, daß<br />
sie zum Zeitpunkt des Vertriebs indizierter Musik<br />
informiert waren, dass das Verbreiten verboten<br />
wurde. Dieses ist oft so gut wie unmöglich. Überdies<br />
wird ein Großteil verbotener Skin-Musik und<br />
NS-Propagandamaterial in Skandinavien, Belgien/<br />
Holland und vor allem USA produziert. Da im<br />
Ausland aber die Herstellung und Verbeitung von<br />
Nazisymbolen erlaubt ist, sehen die Behör<strong>den</strong> in<br />
diesen Län<strong>der</strong>n keinen Anlaß, <strong>den</strong> deutschen<br />
Behör<strong>den</strong> bei Rechtshilfeersuchen zu helfen.<br />
Jörg Bunk, LKA Sachsen-Anhalt: „Die rechtsextremistische<br />
Musikszene - und hier insbeson<strong>der</strong>e<br />
die Skinheadszene - war bereits 1992/93 schon<br />
einmal im Kommen gewesen und da haben wir<br />
bundesweit, in Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> Informationsgruppe<br />
gegen frem<strong>den</strong>feindliche und<br />
rechtsextremistische Straftaten, 1993 Aktionen<br />
durchgeführt. Wir konnten dann die rechtsextremistische<br />
Musikszene und auch die Verlage<br />
zumindest für zwei Jahre zurückdrängen. Es hat<br />
sich dann herausgestellt, - so ab 1995/96 - daß<br />
diese rechtsextremistische Szene, vor allem die<br />
Wie wirkt Musik?<br />
strafrechtlich relevanten Texte wie<strong>der</strong> im Kommen<br />
sind, jetzt aber in einer an<strong>der</strong>en Art. Sie wer<strong>den</strong><br />
also nicht mehr in Deutschland hergestellt, son<strong>der</strong>n<br />
vielfach im Ausland, und damit wurde dann<br />
ab 1996/97 <strong>der</strong> deutsche Markt überschwemmt.”<br />
„Die Bundesprüfstelle für jugendgefähr<strong>den</strong>de<br />
Schriften ist die Instanz, die das Gütesiegel vergibt.<br />
Jede Naziband ist stolz, wenn sie dieses<br />
Gütesiegel hat, weil es <strong>den</strong> Erfolg in <strong>der</strong> rechten<br />
Szene garantiert. Die Indexliste, die ja frei erhältlich<br />
ist, ist in ihrer Wirkung ungefähr das, was die<br />
Prohibition in <strong>den</strong> USA für <strong>den</strong> Alkoholkonsum<br />
war. Das ist bei <strong>der</strong> Prohibition so gewesen und so<br />
ist es auch bei <strong>der</strong> Nazimusik. Aber wir Deutschen<br />
haben lei<strong>der</strong> die Tradition des Obrigkeitsstaates<br />
und <strong>der</strong> Erziehungsdiktatur, und deswegen tun wir<br />
alles dafür, daß es auch so bleibt.”<br />
Hilft ein Verbot? „Ich glaube, ein Verbot und <strong>der</strong><br />
Gedanke daran ist zwar typisch deutsch aber<br />
immer ein Zeichen völliger Hilfslosigkeit. Da wir in<br />
Deutschland keinen Konsens darüber haben, was<br />
eigentlich das Problem ist, auch keine Idee, wie<br />
<strong>der</strong> Rassismus in die Köpfe hineinkommt, sehe ich<br />
auch schwarz, was die Bekämpfung dieses Problems<br />
angeht.”<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_43<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Wie wirkt Musik?<br />
Musik und ihre Funktionen<br />
(nach Musikpsychologie S.77ff)<br />
Der Soziologe Max Weber unterschied in seinen<br />
Ausführungen zur Musik zwischen vier grundlegen<strong>den</strong>,<br />
als idealtypisch bezeichneten´ Funktionen:<br />
zweckrationalen Funktionen (politisch,<br />
wirtschaftlich o<strong>der</strong> erzieherisch ausgerichtet),<br />
traditionalen Funktionen (rituell, geschichtsbezogen,<br />
überliefernd), wertrationalen Funktionen<br />
(gute - schlechte, schöne - unschöne Musik) und<br />
affektbestimmten bzw. emotionalen Funktionen<br />
Resonanz, Projektion o<strong>der</strong> Abreaktion von Stimmungen<br />
und Gefühlen; (Weber, 1992). Natürlich<br />
greifen diese Funktionen ineinan<strong>der</strong> über und<br />
ergänzen sich, und zwar um so mehr, je weniger<br />
arbeitsteilig eine Gesellschaft strukturiert ist.<br />
Ein idealtypisch strukturierter Überblick aus heutiger<br />
Sicht, ohne explizite Berücksichtigung <strong>der</strong><br />
historischen Dimension und <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />
Genres abendländischer Musik (z.B. Feldmusik,<br />
44_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Volksmusik, Kunstmusik), legt die Trennung in<br />
zwei Hauptbereiche nahe: <strong>den</strong> gesellschaftlichkommunikativen<br />
und <strong>den</strong> individuell-psychischen<br />
Bereich (Rösing, 1992).<br />
Zum gesellschaftlich-kommunikativen Funktionsbereich<br />
zählen:<br />
• sakrale Funktionen: Sie haben die Musik des<br />
Abendlandes zumindest bis zum Beginn <strong>der</strong><br />
Säkularisierung entschei<strong>den</strong>d mitgeprägt;<br />
• Repräsentations- bzw. Glorifizierungsfunktionen:<br />
Musik als Statussymbol, als klingen<strong>der</strong><br />
Ausdruck von wirtschaftlicher, politischer und/<br />
o<strong>der</strong> kultureller Potenz;<br />
• Festlichkeitsfunktionen: Musik als Rahmen für<br />
das Beson<strong>der</strong>e, Außeralltägliche. Das betrifft<br />
das Leben des einzelnen (Geburt, Geburtstage,<br />
Volljährigkeit, Hochzeit usw.) ebenso wie das<br />
gemeinschaftliche Leben (Festtage, Feierstun<strong>den</strong>,<br />
Staatsakte und Funktionen <strong>der</strong> Bewegungsaktivierung<br />
und -koordination: beim<br />
Volks- und Gesellschaftstanz (auch in <strong>der</strong> Disco),<br />
bei Musik zur Gruppenarbeit, bei Marsch<br />
und Parademusik mit jeweils unterschiedlichen<br />
Intentionen;<br />
• gemeinschaftsbin<strong>den</strong>de-gruppenstabilisierende<br />
Funktionen: Musik bestimmter sozialer<br />
Schichten und Gruppen, die sich jeweils mit<br />
dem Sinn ihrer Musik i<strong>den</strong>tifizieren (in gruppenübergreifendem<br />
Sinn die Nationalhymne als<br />
musikalisches Symbol einer Nation);<br />
• erzieherische Funktionen: Musik als Mittel zur<br />
Bildung, zur «richtigen» Gesinnung, zur Etablierung<br />
von ästhetischen Normen;<br />
• geseIIschaftliche Funktionen: Musik wie Kunst<br />
überhaupt) als Ausdrucksmittel von Min<strong>der</strong>heiten,<br />
um auf Mißstände in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
hinzuweisen und um neue Utopien zu artikulieren,<br />
Musik <strong>der</strong> Sub- und <strong>Gegen</strong>kulturen;<br />
• Verständigungsfunktionen: Musik als Metasprache<br />
als symbolhaltiges Kommunikationsmedium<br />
neben <strong>der</strong> Sprache und über die<br />
Sprache hinaus;
• Kontaktfunktionen: Musik als nonverbales<br />
Medium <strong>der</strong> Kontaktaufnahme und zur Klärung<br />
zwischenmenschlicher (meist positiver) Beziehungen;<br />
• Funktionen <strong>der</strong> Selbstverwirklichung: beson<strong>der</strong>s<br />
beim eigenen Musikmachen, aber durchaus<br />
auch beim gezielten und eigenbestimmten<br />
Musikhören.<br />
Alle diese dem gesellschaftlich-kommunikativen<br />
Funktionsbereich zugeordneten, einan<strong>der</strong> durchaus<br />
ergänzen<strong>den</strong> und überlagern<strong>den</strong> Teilfunktionen<br />
sind hochgradig abhängig vom jeweiligen<br />
situativen Kontext, also von <strong>der</strong> spezifischen musikalischen<br />
Aufführungs- bzw. Darbietungssituation<br />
(Behne, 1991). Sie beruhen, wahrnehmungspsychologisch<br />
gesehen, auf Aneignungs- und Vergegenständlichungsstrategien<br />
von Musik durch<br />
Objektivierung im Sinne vorgegebener gesellschaftlicher<br />
Normen (Oerter, 1991) handlungs-<br />
Wie wirkt Musik?<br />
theoretische Fundierung, hier von Musizieren und<br />
Musikerleben).<br />
Die Teilfunktionen im individuell-psychischen<br />
Funktionsbereich dagegen sind weniger kontextabhängig<br />
und stärker personenorientiert. Die<br />
Aneignung und Vergegenständlichung erfolgt<br />
vornehmlich durch Subjektivierung, also z. B.<br />
durch Assoziationen und Imaginationen im Hinblick<br />
auf die eigene psychische Bedürfnislage. Im<br />
einzelnen lassen sich hier die folgen<strong>den</strong> Teilfunktionen<br />
benennen:<br />
• emotionale Kompensationsfunktion: die Projektion<br />
o<strong>der</strong> Abreaktion von Stimmungen, Gefühlen,<br />
Wünschen, Träumen und Vorstellungen<br />
durch Musik;<br />
• Funktion <strong>der</strong> Einsamkeitsüberbrückung: Musik<br />
suggeriert durch I<strong>den</strong>tifikationsangebote Verbindungen<br />
zum gesellschaftlichen Umfeld, die<br />
real nicht gegeben sind;<br />
• Konfliktbewältigungsfunktion: die Flucht aus<br />
<strong>den</strong> Sachzwängen des Alltags durch meist<br />
regressive Versenkung in das abstrakte und<br />
realitätsüberhöhende Medium Musik, Musik als<br />
Drogenersatz;<br />
• Entspannungsfunktion: Musik als streßregulierendes,<br />
Emotionen glättendes und Diskrepanzen<br />
innerhalb des Selbst verdrängendes<br />
Therapeutikum;<br />
• Aktivierungsfunktion: geistige und körperliche<br />
Stimulierung und Stimmungsoptimierung durch<br />
entsprechende, dem eigenen Geschmack angepaßte<br />
Musik;<br />
• Unterhaltungsfunktion: Empfin<strong>den</strong> von Spaß,<br />
Wohlgefallen und Lustgewinn durch Anpassungs-<br />
und I<strong>den</strong>tifikationsprozesse bei als<br />
schön empfun<strong>den</strong>er Musik.<br />
Die vom realen Aufführungsanlass losgelöste<br />
Musikwie<strong>der</strong>gabe über Lautsprecher hat fraglos<br />
zur Dominanz <strong>der</strong> individuell-psychischen gegenüber<br />
<strong>den</strong> gesellschaftlich-kommunikativen Funktionen<br />
in unserer Gesellschaft beigetragen (Rösing,<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_45<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Wie wirkt Musik?<br />
1992). Auf diese Weise werde – so Theodor W.<br />
Adorno unter kulturkritischem Blickwinkel - ein<br />
falsches Bewußtsein geschaffen. Musik diene<br />
heutzutage vornehmlich <strong>der</strong> unterhaltsamen<br />
Ablenkung, als Freu<strong>den</strong>bringer und schwindelhaftes<br />
Versprechen von Glück, als Ersatzbefriedigung<br />
und Selbstbestätigung («Radau als Triumph»), als<br />
Illusion von Unmittelbarkeit in einer total verwalteten<br />
Welt, als triebdynamischer Abwehrmechanismus,<br />
als Dressur des Unbewussten auf bedingte<br />
Reflexe. Eine <strong>der</strong>art funktionalisierte Musik sei<br />
rückhaltlos <strong>der</strong> herrschen<strong>den</strong> Ideologie übereignet,<br />
Abbild <strong>der</strong> gesellschaftlichen Situation, in <strong>der</strong><br />
sie produziert und rezipiert wird (Adorno, 1962,<br />
Kap. III). Entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Anteil an dieser Entwicklung<br />
haben die schriftliche Verdinglichung (Notation)<br />
von Musik und ihre Speicherung auf Tonträger<br />
gehabt.<br />
Roger Moch<br />
46_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Literatur:<br />
Böhm, Uwe; Buschmann, Gerd<br />
Popmusik – Religion –Unterricht: Modelle und<br />
Materialien zur Didaktik von Popularkultur-<br />
Münster: LIT, 2000 (Symbol – Mythos – Medien, 5)<br />
ISBN 3-8258-5179-6<br />
Bruhn, Herbert; Oerter, Rolf; Rösing, Helmut (hg.)<br />
Musikpsychologie<br />
Reinbek bei Hamburg, April 1993, 3. Auflage 1997<br />
3690-ISBN- 3 499 55526 3<br />
Schrö<strong>der</strong>, Burkhard<br />
Nazis sind Pop<br />
ESPRESSO Verlag GmbH, Berlin<br />
ISBN 3 – 88520-779-6<br />
Beten, Texte zum Mit<strong>den</strong>ken und Nachsprechen<br />
Evangelische Jugend, Landesjugendpfarramt d.<br />
Ev.-luth. Landeskirche Hannovers
›› Die Welt<br />
zertrümmern?!
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
Vorbemerkung<br />
Weite Teile dieses Artikels sind <strong>der</strong> Examensarbeit<br />
von Carsten Stöver entnommen, die an <strong>der</strong> Universität<br />
Ol<strong>den</strong>burg im Fach Musik (Fachbereich 2<br />
Kommunikation/Ästhetik) entstan<strong>den</strong> ist und<br />
einen detaillierten Einblick in die Wirkungszusammenhänge<br />
von Musik, Persönlichkeit und Gewalt<br />
bietet. Ich bedanke mich in diesem Zusammenhang<br />
ganz herzlich für die Zusammenarbeit mit<br />
Herrn Stöver. 1<br />
Einleitung<br />
Die Diskussion, ob<br />
Musik in <strong>der</strong> Lage ist,<br />
menschliche Verhaltensweisen<br />
<strong>der</strong>art zu<br />
beeinflussen, dass <strong>der</strong><br />
Mensch zur Anwendung<br />
physischer Gewalt<br />
neigt, o<strong>der</strong> aber<br />
die Musik zumindest die Ausführung von Gewalttaten<br />
begünstigen kann, besteht schon lange und<br />
geht einher mit Diskussionen um die Frage, ob und<br />
inwieweit Musik konkrete Auswirkungen auf<br />
Psyche und Verhalten des Menschen haben kann.<br />
Die Diskussion um die Wirkung von Musik und <strong>der</strong><br />
Frage, ob <strong>den</strong>n Musik menschliche Gewalttaten<br />
auslösen o<strong>der</strong> aber zu Gewalttaten animieren<br />
könne, ist gegenwärtig immer noch aktuell. Vor<br />
dem Hintergrund einer steigen<strong>den</strong> Gewalt von<br />
Schülern an Schulen und eines Aufkommens<br />
neonazistischer, gewaltbereiter Jugendsubkulturen<br />
wird breit erörtert, inwieweit die von Jugendlichen<br />
konsumierte Musik im Prozess <strong>der</strong><br />
Gewaltentstehung involviert ist o<strong>der</strong> sogar Auslöser<br />
für Gewalttaten sein kann. 2<br />
In einem Brief vom 13. Februar 1997 an Senator<br />
Joseph Lieberman, Washington DC, schreiben<br />
Richard und Christine Kuntz:<br />
48_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Dear Senator Lieberman.<br />
As part our families normal daily behaviour<br />
on the morning of December<br />
12th, 1996, my wife started our son´s<br />
shower and went to wake him. But our<br />
son was not sleeping at bed, he was<br />
dead, he had killed himself. He has<br />
left us and is never coming back.<br />
Dear sir, my son was listening to<br />
Marylin Manson´s ,,Antichrist Superstar”<br />
on the stereo when he died, (...)<br />
with the rough draft of a 10th grade<br />
English class paper about this artist,<br />
that his teacher had returned to him<br />
that day for final revisions, on the<br />
stand next to his body. The lyrics<br />
(enclosed) of ,,The Reflecting God”,<br />
on that CD, read as an unequivocally<br />
direct inducement to take one’s own<br />
life. (...)<br />
We are all certainly free to make our<br />
own decisions regarding the value of<br />
content, but if you were to ask me,<br />
I´d say that the lyrics of this song,<br />
contributed directly to my son´s death.<br />
(...) Sir, this<br />
music, because it<br />
glorifies inhumane<br />
intolerance and<br />
hate, and promotes<br />
suicide, contradicts<br />
all of the<br />
community values that people of good<br />
will, regardless of faith, ideology,<br />
economic or social position, share.<br />
Simply put, this music hurts us as a<br />
people. Our children are quietly being<br />
destroyed (dying), by this man´s music,<br />
by ones and twos in scattered isolation<br />
throughout our nation today. (...)
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
Der Selbstmord des 15jährigen Richard Kuntz, <strong>der</strong><br />
sich während des Hörens eines Titels von Marylin<br />
Manson umgebracht haben soll, löste in <strong>der</strong> USA<br />
eine Debatte über die Rolle <strong>der</strong> von Jugendlichen<br />
konsumierten Musik aus, inwieweit sie Gewalttaten<br />
begünstige o<strong>der</strong> verursache. Für die Eltern des<br />
Jugendlichen und auch für eine breite Öffentlichkeit<br />
in Amerika ergibt sich in diesem Fall<br />
ein eindeutiger Zusammenhang zwischen <strong>der</strong><br />
Selbstmordtat und <strong>der</strong> konsumierten Musik,<br />
da <strong>der</strong> nihilistische Text des gehörten Marylin-<br />
Manson-Titels <strong>den</strong> Selbstmord verherrliche und<br />
Richard Kuntz beim Hören dieses Songs Selbstmord<br />
verübte; ergo muss seine Entscheidung<br />
zum Selbstmord durch die konsumierte Musik<br />
ausgelöst wor<strong>den</strong> sein. Eine populäre Meinung<br />
scheint es demnach zu sein, dass Musik direkt das<br />
menschliche Verhalten beeinflusst und somit auch<br />
Gewalttaten verursachen kann. 3<br />
Die Annahme, dass Musikkonsum Gewalttaten<br />
auslösen kann, wird auch zugrunde gelegt, wenn<br />
die Entstehung von Gewalt und Krawallen während<br />
und nach Rockkonzerten erklärt und eine<br />
Ursache für die Genese dieser Gewalt gefun<strong>den</strong><br />
wer<strong>den</strong> soll. Deshalb hier noch ein Beispiel,<br />
welches die gängige Meinung belegt, dass Musik<br />
eine verhaltensmodulierende, zur Gewaltanwendung<br />
führende Wirkung besitzt: Im New Yorker<br />
Central Park überfielen im Jahre 1989 sechs Jugendliche<br />
eine Joggerin und vergewaltigten sie,<br />
während aus einem Ghettoblaster Rapmusik<br />
ertönte. Die sich aus diesem Vorfall entwickelnde<br />
Diskussion wurde auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Unterstellung,<br />
dass die Musik mit ihren gewaltverherrlichen<strong>den</strong><br />
Texten aus dem Ghettoblaster tatauslösend gewesen<br />
sei, geführt. 4<br />
Rockmusik gilt als gewalttätig in ihrem gesamten<br />
Auftreten und in ihrer musikalische Geste. Dies<br />
zu leugnen hieße große Bereiche <strong>der</strong> Rockmusik<br />
um ihre Substanz zu betrügen. Als Ausdruck des<br />
Aufbegehrens gegen gesellschaftliche Verkrustungen<br />
ist sie entstan<strong>den</strong>. Die 68er-Bewegung ist<br />
zum großen Teil auch musikalisch auf diese Weise<br />
bewegt. „Macht kaputt, was Euch kaputt macht”<br />
hieß es dann in <strong>den</strong> 80er Jahren in Deutschland –<br />
die atomare Bedrohung im Nacken fühlend. Umso<br />
erstaunlicher ist es, dass man <strong>den</strong> Vorwurf des<br />
Faschismus gegen die Rockmusik häufig genug in<br />
Stellung bringt. Dieser Vorwurf bezieht sich im<br />
wesentlichen auf die große Lautstärke von rockmusikalischen<br />
Darbietungen. Gewalt an Ohr und<br />
Hirn. Damit wird ein Phänomen herangezogen, das<br />
zweifellos vorhan<strong>den</strong> ist. Aber dieser Vorwurf<br />
betrifft nicht nur<br />
die Rockmusik.<br />
Es ist nicht zu<br />
bestreiten, dass<br />
von Musik<br />
physische und<br />
psychische<br />
Wirkungen<br />
grundlegendster<br />
Art ausgehen. Musik tut <strong>den</strong> Menschen immer<br />
etwas an. Musik berührt. Und dieser Berührung<br />
kann man sich schlecht entziehen. Augen kann<br />
man schließen, Ohren kann man bestenfalls zustopfen.<br />
Es ist zu fragen, ob erhebliche musikalische Lautstärke<br />
eine Form <strong>der</strong> Gewalt ist, „die eine Ausübung<br />
von physischem o<strong>der</strong> psychischem Zwang<br />
darstellt, die mit dem Ziel verbun<strong>den</strong> ist, Personen<br />
o<strong>der</strong> Sachen zu schädigen”. Diesen Vorsatz wird<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_49<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
man nur selten antreffen. Dass man eine Schädigung<br />
von Personen billigend in Kauf nimmt, das<br />
wird jedoch häufiger <strong>der</strong> Fall sein.<br />
Aber im Fall <strong>der</strong> Rockmusik unterstellt man gern,<br />
dass diese Musik nicht nur gewalttätig sei,<br />
son<strong>der</strong>n auch zur Gewalt gegen Personen und<br />
Sachen anstachele. 5 Es ist interessant, dass<br />
es zwar jede Menge Meinungen gibt, die<br />
eine gewaltauslösende und aggressionsför<strong>der</strong>nde<br />
Wirkung von Musik bejahen,<br />
aber kaum wissenschaftliche Untersuchungen<br />
als Beleg o<strong>der</strong> zur Wi<strong>der</strong>legung dieser<br />
Meinungen. Auch erscheint <strong>der</strong> Hinweis<br />
wichtig, dass Musik als solche nicht<br />
aggressiv sein kann. Die Bewertung von<br />
Musik hinsichtlich ihrer „Aggressivität”<br />
kann nie ein objektives Kriterium sein,<br />
son<strong>der</strong>n resultiert aus subjektiven Einschätzungen.<br />
Inhalt <strong>der</strong> Studie, Fragestellungen<br />
und Hypothesen <strong>der</strong> Studie von<br />
C. Stöver<br />
Die wissenschaftliche Diskussion um „Musik<br />
und Gewalt” konstatiert auf <strong>der</strong> einen Seite gewalttätige<br />
Handlungen im Umfeld gewisser<br />
Musikdarbietungen, wozu auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />
die „Katharsisthese” im Wi<strong>der</strong>spruch zu stehen<br />
scheint, <strong>der</strong> zufolge Musik <strong>der</strong> Abfuhr von Energien,<br />
<strong>der</strong> Verarbeitung von Gewaltphantasien und<br />
damit <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>ung gewalttätiger Handlungen<br />
dienen kann.<br />
C. Stöver führt dazu in seiner Arbeit aus: Ebenso<br />
bleibt insgesamt festzuhalten, dass in <strong>der</strong> Literatur<br />
eine relativ hohe Übereinstimmung darin<br />
besteht, dass Musik langfristig keine kathartische<br />
Wirkung hat. 6 Die Frage, ob Musik Einfluss auf die<br />
Aggressivität einer Person hat o<strong>der</strong> ob Musik<br />
aggressives Verhalten auslösen kann lässt sich<br />
dagegen scheinbar noch nicht generell beant-<br />
50_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
worten. Allenfalls lässt sich belegen, dass unter<br />
bestimmten Bedingungen mögliche Effekte bei<br />
bestimmten Personen mit speziellen persönlichen<br />
o<strong>der</strong> sozialen Hintergrün<strong>den</strong> auftreten können.<br />
7 Mit an<strong>der</strong>en Worten müsste man die Frage<br />
wohl mit einem „es kommt darauf an” beantworten.<br />
Für wahrscheinlicher halte ich dagegen<br />
die Theorie, dass Aggressivität als<br />
Persönlichkeitsmerkmal auf die Beurteilung<br />
von Musik bzw. auf an<strong>der</strong>e Aspekte<br />
des Musikkonsums einwirkt, wobei hier<br />
zu fragen ist, auf welche Aspekte des<br />
Musikkonsums eine <strong>der</strong>artige Abhängigkeit<br />
zutrifft. Aufgrund <strong>der</strong> dargestellten<br />
beson<strong>der</strong>en Bedeutung von Musik für Jugendliche<br />
beziehen sich die im folgen<strong>den</strong> dargestellten<br />
Vermutungen insbeson<strong>der</strong>e auf diesen<br />
Personenkreis. 8<br />
Stöver untersucht in seiner Studie die „Neigung<br />
zu aggressivem Verhalten”, die er mit <strong>den</strong> jeweiligen<br />
Musikpräferenzen, charakteristischen Umgangsweisen<br />
mit Musik, Musikverwendung in<br />
Situationen von Ärger und Trauer sowie dem<br />
Stellenwert, <strong>den</strong> Musik für die Jugendlichen hat, in<br />
Beziehung setzt.<br />
Er formuliert folgende Hypothesen, die er mit Hilfe<br />
einer Befragung (Fragebogenaktion) von 200<br />
Jugendlichen aus acht städtischen und sechs<br />
ländlichen Jugendzentren überprüfte.<br />
Hypothesenbildung<br />
Hypothese 1:<br />
Die Präferenz von bestimmten Musikstilen ist bei<br />
Jugendlichen abhängig vom Persönlichkeitsmerkmal<br />
„Aggressivität”.<br />
Hypothese 1.1.:<br />
Je stärker das Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />
bei Jugendlichen ausgeprägt ist, desto<br />
stärker präferieren sie subjektiv als aggressiv
empfun<strong>den</strong>e Musik.<br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
Hypothese 2:<br />
Die musikalischen Präferenzen von Jugendlichen<br />
in stark emotional geprägten, subjektiv als negativ<br />
bewerteten Situationen sind abhängig vom<br />
Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”.<br />
Hypothese 2.1.:<br />
Die musikalischen Präferenzen von Jugendlichen in<br />
Situationen des Ärgers unterschei<strong>den</strong> sich von <strong>den</strong><br />
musikalischen Präferenzen in Situationen <strong>der</strong><br />
Trauer.<br />
Hypothese 2.2.:<br />
Die musikalischen Präferenzen von Jugendlichen<br />
in Situationen des Ärgers sind abhängig vom<br />
Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”.<br />
Hypothese 2.3.:<br />
Die musikalischen Präferenzen von Jugendlichen<br />
in Situationen <strong>der</strong> Trauer sind abhängig vom<br />
Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”.<br />
Hypothese 2.4.:<br />
Je stärker das Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />
bei Jugendlichen ausgeprägt ist, desto<br />
aggressiver und erregen<strong>der</strong> soll die Musik in stark<br />
emotional geprägten, subjektiv als negativ bewerteten<br />
Situationen sein.<br />
Hypothese 3:<br />
Die Umgangsweise von Jugendlichen mit Musik ist<br />
abhängig vom Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”.<br />
Hypothese 3.1.:<br />
Jugendliche mit einer hohen Neigung zu aggressivem<br />
Verhalten tendieren dazu, mit Musik verstärkt<br />
stimulativ umzugehen.<br />
Bzw.: Jugendliche mit einer geringen Neigung zu<br />
aggressivem Verhalten tendieren dazu, mit Musik<br />
weniger stark stimulativ umzugehen.<br />
Hypothese 3.2.:<br />
Jugendliche mit einer hohen Neigung zu aggressivem<br />
Verhalten tendieren dazu, mit Musik verstärkt<br />
kompensatorisch umzugehen.<br />
Bzw.: Jugendliche mit einer geringen Neigung zu<br />
aggressivem Verhalten tendieren dazu, mit Musik<br />
weniger stark kompensatorisch umzugehen.<br />
Hypothese 3.3.:<br />
Bei Jugendlichen mit einer hohen Neigung zu<br />
aggressivem Verhalten ist die Ten<strong>den</strong>z, mit Musik<br />
verstärkt stimulativ umzugehen, stärker ausgeprägt,<br />
wenn Musik einen hohen Stellenwert einnimmt.<br />
Hypothese 3.4.:<br />
Bei Jugendlichen mit einer hohen Neigung zu<br />
aggressivem Verhalten ist die Ten<strong>den</strong>z, mit Musik<br />
verstärkt kompensatorisch umzugehen, stärker<br />
ausgeprägt, wenn Musik einen hohen Stellenwert<br />
einnimmt.<br />
Der Fragebogen<br />
Der empirische Teil <strong>der</strong> Studie von C. Stöver<br />
umfasst zwei Teile: die Durchführung eines standardisierten<br />
Tests zum Persönlichkeitsmerkmal<br />
„Aggressivität” und die Befragung <strong>der</strong> Jugendlichen<br />
hinsichtlich des Musikkonsums. Die Untersuchung<br />
sollte sich an etwa 12- bis 20-jährige<br />
Jugendliche richten und die Durchführung an<br />
verschie<strong>den</strong>en Jugendzentren erfolgen. Um die<br />
Aussagekraft <strong>der</strong> Studie zu erhöhen, wur<strong>den</strong><br />
dabei verschie<strong>den</strong>e Wohnregionen (Stadt Ol<strong>den</strong>burg<br />
und Landkreis Ammerland) berücksichtigt.<br />
9 Aus <strong>den</strong> Telefonverzeichnissen <strong>der</strong> Stadt<br />
Ol<strong>den</strong>burg und dem Landkreis Ammerland wur<strong>den</strong><br />
die aufgeführten Jugendzentren und Jugendfreizeitstätten<br />
herausgesucht und bezüglich ihrer<br />
Bereitschaft zur Teilnahme an dieser empirischen<br />
Studie angesprochen. Von <strong>den</strong> kontaktierten<br />
Jugendzentren und Jugendfreizeitstätten gaben<br />
alle ihr Einverständnis zur Durchführung <strong>der</strong><br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_51<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
Befragung. Insgesamt war im allgemeinen großes<br />
Interesse, Offenheit und Teilnahmebereitschaft<br />
sowohl von Seiten <strong>der</strong> Mitarbeiter in <strong>den</strong> Jugendzentren<br />
als auch insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>den</strong> Jugendlichen<br />
zu beobachten.<br />
Die Darstellung des genauen Verfahrens zur Erstellung<br />
des Fragebogens würde <strong>den</strong> Rahmen dieses<br />
Artikels sprengen. 10<br />
Der Fragebogen erfasste im folgende Aspekte:<br />
1. Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />
2. Merkmale hinsichtlich des Musikkonsums:<br />
• präferierte Musikrichtungen<br />
• zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Untersuchung präferierte<br />
Musikstücke und Interpreten<br />
• Stellenwert von Musik<br />
• musikalische Präferenzen in <strong>der</strong> Situationen<br />
des Ärgers und <strong>der</strong> Trauer<br />
• Begründung dieser situativen Präferenzen<br />
• Umgangsweisen mit Musik<br />
3. Merkmale zur Person<br />
• Alter<br />
• Geschlecht<br />
• Schulform<br />
• Wohnregion<br />
Um eine computergestützte und zugleich ökonomische<br />
Auszählung <strong>der</strong> Ergebnisse zu ermöglichen,<br />
wur<strong>den</strong> im wesentlichen Fragen mit<br />
festgelegten Antwortalternativen (geschlossene<br />
Fragen) ausgewählt. Lediglich an <strong>den</strong> Stellen, wo<br />
die potentiellen Antwortmöglichkeiten vorab nicht<br />
abzuschätzen sind, wurde offenen Fragen <strong>der</strong><br />
Vorzug gegeben. 11 Bezogen auf seinen Umfang<br />
wurde dieser Fragebogen so konzipiert, dass die<br />
Durchführung <strong>der</strong> Befragung einschließlich einer<br />
Einführung in ca. 15 Minuten erfolgen kann.<br />
52_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
Hier nun <strong>der</strong> Fragebogen:<br />
Fragebogen zum Zusammenhang von Persönlichkeit und Musikkonsum<br />
Fragebogen-Nr.<br />
➊ Zunächst wirst Du ein paar Aussagen über bestimmte Verhaltensweisen, Einstellungen und Gewohnheiten<br />
fin<strong>den</strong>. Beantworte bitte jede mit „stimmt” o<strong>der</strong> mit „stimmt nicht”. Es gibt hier keine richtigen<br />
o<strong>der</strong> falschen Antworten, weil je<strong>der</strong> Mensch das Recht zu eigenen Anschauungen hat. Antworte bitte so,<br />
wie es für Dich zutrifft.<br />
Beachte: Überlege bitte nicht erst, welche Antwort vielleicht <strong>den</strong> „besten Eindruck” machen könnte,<br />
son<strong>der</strong>n antworte so, wie es für Dich persönlich gilt. Manche Fragen kommen Dir vielleicht sehr persönlich<br />
vor. Be<strong>den</strong>ke aber, dass Deine Angaben wirklich vertraulich behandelt wer<strong>den</strong> und Du Deinen Namen<br />
nicht angeben musst. Denke nicht lange über einen Satz nach, son<strong>der</strong>n antworte so, wie es Dir<br />
unmittelbar in <strong>den</strong> Sinn kommt. Auch wenn vielleicht einige Fragen nicht so gut passen, kreuze bitte<br />
trotzdem immer die Antwort an, die noch am ehesten auf Dich zutrifft.<br />
1. Wenn jemand meinem Freund etwas Böses tut, bin ich dabei, wenn es<br />
heimgezahlt wird.<br />
2. Ich kann mich erinnern, mal so zornig gewesen zu sein, dass ich<br />
irgend etwas nahm und es zerriss o<strong>der</strong> zerschlug.<br />
3. Wenn ich in einer ausgelassenen, lustigen Gruppe bin, habe ich<br />
häufig Lust, üble Streiche zu spielen.<br />
4. Ich überlege mir manchmal, wie schlecht es <strong>den</strong>en eigentlich ergehen<br />
müsste, die mir Unrecht tun.<br />
5. Als Kind habe ich manchmal ganz gerne an<strong>der</strong>en die Arme umgedreht,<br />
an Haaren gezogen, ein Bein gestellt usw.<br />
6. Es macht mir Spaß, an<strong>der</strong>en ihre Fehler zu zeigen.<br />
7. Wenn ich körperlich gewalttätig wer<strong>den</strong> muss, um meine Rechte zu<br />
verteidigen, dann tue ich es.<br />
8. Wenn mich jemand anschreit, schreie ich zurück.<br />
9. Wenn ich wirklich wütend werde, bin ich in <strong>der</strong> Lage jemandem eine<br />
runterzuhauen.<br />
10. Einem Menschen, <strong>der</strong> mich schlecht behandelt o<strong>der</strong> beleidigt hat,<br />
wünsche ich eine harte Strafe.<br />
11. Lieber bis zum Äußersten gehen als feige sein.<br />
12. Es gab Leute, die mich so ärgerten, dass es zu einer handfesten<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung (z.B. einer Schlägerei) kam.<br />
stimmt stimmt nicht<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_53<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
Die jetzt folgen<strong>den</strong> Fragen drehen sich ausschließlich um Musik.<br />
➋ Zuerst möchte ich gerne etwas über Deinen Musikgeschmack erfahren.<br />
Nenne dazu bitte drei Musikstücke, die Dir im Moment sehr gut gefallen. Schreibe bitte die Musiktitel<br />
und die jeweiligen Interpreten/Interpretinnen auf.<br />
Wenn Du nicht alle Angaben ganz genau weißt, dann lasse die Stelle einfach frei.<br />
1. Titel:<br />
Interpreten/Interpretinnen:<br />
2. Titel:<br />
Interpreten/Interpretinnen:<br />
3. Titel:<br />
Interpreten/Interpretinnen:<br />
➌ Bitte gebe nun jeweils an, wie gut Dir die folgen<strong>den</strong> Musikarten gefallen.<br />
1. Schlagermusik<br />
2. Techno/House<br />
3. HipHop/Rap<br />
4. Rockmusik<br />
5. Heavy-Metal<br />
6. Popmusik<br />
7. Punk<br />
8. Soul<br />
9. Gothic/Dark Wave/EBM<br />
(Electronic Body Music)<br />
10. SoftRock<br />
11. Rechtsrock/rechte<br />
Rockmusik/Oi!-Musik<br />
12. Dancefloor/Technopop<br />
13. Grunge<br />
14. aggressive Musik<br />
gefällt mir beson<strong>der</strong>s<br />
gut (4)<br />
54_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
höre ich auch<br />
noch gern (3)<br />
gefällt mir<br />
weniger (2)<br />
gefällt mir<br />
gar nicht (1)<br />
keine Meinung/<br />
mir unbekannt (0)
➍ Jetzt möchte ich erfahren, wie wichtig Musik für Dich ist.<br />
1. Für ein wichtiges Konzert fahre ich auch<br />
sehr weit.<br />
2. Ich sammle Texte, Bil<strong>der</strong>, Bücher usw.<br />
über Musik.<br />
3. Ich lese Zeitschriften, um mich über<br />
Musik zu informieren.<br />
4. Ohne Musik würde mir etwas sehr<br />
Wichtiges fehlen.<br />
5. Ich höre CDs, Kassetten o<strong>der</strong> Schallplatten.<br />
6. Ich tausche, leihe und überspiele CDs,<br />
Kassetten o<strong>der</strong> Schallplatten.<br />
7. Wenn ich für längere Zeit keine Musik<br />
hören kann, werde ich ganz unruhig.<br />
➎ Stell Dir bitte einmal folgende Situation vor: Du hast Dich mit Deinem besten Freund/Deiner besten<br />
Freundin heftig gestritten und bist jetzt stinksauer auf ihn/sie.<br />
Wenn Du nun Musik einschalten könntest, die Du in dieser Situation am liebsten hören würdest, wie<br />
sollte diese Musik sein? Mache bitte in je<strong>der</strong> Zeile ein Kreuz!<br />
➠<br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
➠<br />
stimmt<br />
gar nicht (0)<br />
schnell ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ langsam<br />
hart ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ weich<br />
heiter ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ trübe<br />
aggressiv ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ friedvoll<br />
traurig ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ froh<br />
lebhaft ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ müde<br />
erregend ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ beruhigend<br />
nüchtern ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ gefühlvoll<br />
(0) (1) (2) (3) (4) (5)<br />
stimmt<br />
wenig (1)<br />
Könntest Du auch kurz begrün<strong>den</strong>, warum die Musik so und nicht an<strong>der</strong>s sein sollte?<br />
stimmt<br />
ziemlich (2)<br />
stimmt<br />
völlig (3)<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_55<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
Versuche Dich jetzt einmal an eine Situation zu erinnern, in <strong>der</strong> Du unheimlich traurig warst.<br />
Wenn Du nun Musik einschalten könntest, die Du in dieser Situation am liebsten hören würdest, wie<br />
sollte diese Musik sein? Mache bitte in je<strong>der</strong> Zeile ein Kreuz!<br />
➠<br />
schnell ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ langsam<br />
hart ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ weich<br />
heiter ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ trübe<br />
aggressiv ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ friedvoll<br />
traurig ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ froh<br />
lebhaft ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ müde<br />
erregend ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ beruhigend<br />
nüchtern ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ ❍ gefühlvoll<br />
(0) (1) (2) (3) (4) (5)<br />
Könntest Du auch kurz begrün<strong>den</strong>, warum die Musik so und nicht an<strong>der</strong>s sein sollte?<br />
➏ Im folgen<strong>den</strong> findest Du eine Reihe von Feststellungen, Behauptungen und Beschreibungen, die<br />
etwas mit Musikhören zu tun haben. Einigen wirst Du persönlich zustimmen können, an<strong>der</strong>en nicht.<br />
Manchmal ist es aber nicht leicht, eindeutig ja o<strong>der</strong> nein zu sagen. Versuche deshalb, die einzelnen<br />
Aussagen mit Zahlen von 1 bis 5 (ähnlich wie mit Zensuren) daraufhin zu bewerten, ob sie für Dich persönlich<br />
zutreffen. Denke dabei an die Musikstücke, die Du zur Zeit gut findest. Dabei bedeutet:<br />
1 Absolut richtig – diese Aussage trifft genau auf mich zu;<br />
2 Einigermaßen richtig – diese Aussage trifft mit Einschränkungen auf mich zu;<br />
3 Unentschie<strong>den</strong> – da kann man we<strong>der</strong> ja noch nein sagen;<br />
4 Eher falsch – diese Aussage stimmt für mich im Allgemeinen nicht, manchmal trifft sie aber vielleicht doch zu;<br />
5 Absolut falsch – diese Aussage trifft auf mich überhaupt nicht zu.<br />
Wenn ich Musik höre … Bewertung von 1 bis 5 hier eintragen:<br />
1 … singe o<strong>der</strong> summe ich oft mit. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
56_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
➠<br />
2 … habe ich oft bildhafte Vorstellungen. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
3 … kann es sein, dass mir die Musik regelrecht unter die Haut geht. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
4 … versuche ich gleich zu erkennen, welche Art von Musik das sein könnte (z.B. Rock, Jazz, Folk,<br />
klassische Musik, ...). - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
5 … möchte ich mich am liebsten immer bewegen. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
6 … höre ich gern nur mit einem Ohr zu.- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
7 … kann es sein, dass ich bestimmte körperliche Wirkungen (Verän<strong>der</strong>ungen des Herzschlages,<br />
Kribbeln auf <strong>der</strong> Haut, Gefühl im Magen, ...) spüre. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
8 … versuche ich <strong>den</strong> Text (wenn vorhan<strong>den</strong>) zu verstehen. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
9 … achte ich auch darauf, welche Gefühle durch die Musik ausgedrückt wer<strong>den</strong>.- - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
10 … träume ich am liebsten. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
11 … kann es sein, dass mich <strong>der</strong> Rhythmus ganz gefangen hält. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
12 … höre ich hin und wie<strong>der</strong> gezielt bestimmte Instrumente heraus. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
13 … ist eine höhere Lautstärke für mich wichtig. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
14 … werde ich an Dinge erinnert, die ich früher erlebt habe. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
15 … kann ich mich richtig beruhigen, wenn ich vorher aufgeregt war. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
16 … kann es sein, dass ich meine Stimmungen in <strong>der</strong> Musik wie<strong>der</strong>finde. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
17 … fühle ich mich weniger einsam. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
18 … versuche ich, <strong>den</strong> Aufbau des Stückes (Wie<strong>der</strong>holungen, Verän<strong>der</strong>ungen) zu verstehen. - - - - - [ ]<br />
19 … mache ich gern etwas ganz an<strong>der</strong>es. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
20 … kann es sein, dass ich sehr erregt, angriffslustig, aggressiv werde.- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
21 … kann es sein, dass ich eine ganze Geschichte zur Musik erfinde, so als wenn ein Film in mir abläuft. [ ]<br />
22 … regt sie mich an, über mich nachzu<strong>den</strong>ken. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
23 … setze ich mich irgendwie an<strong>der</strong>s hin als sonst. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
24 … soll sie mich auf an<strong>der</strong>e Gedanken bringen, unangenehme Stimmungen aus meinem<br />
Kopf vertreiben. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
25 … kann es sein, dass ich am liebsten weinen möchte. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
26 … möchte ich ganz weit weg sein. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
27 … höre ich vor allem mit dem Gefühl. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
28 … mache ich gern die Augen zu. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
29 … finde ich es interessant, die verschie<strong>den</strong>en Themen, Melodien und Rhythmen zu verfolgen. - - [ ]<br />
30 … bringt sie mich in eine an<strong>der</strong>e Stimmung. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - [ ]<br />
➐ Abschließend nur noch ein paar Fragen zu Deiner Person:<br />
Ich bin Jahre alt. ❐ weiblich ❐ männlich<br />
Welchen Schulabschluss hast Du o<strong>der</strong> strebst Du an?<br />
❐ Hauptschulabschluss ❐ Realschulabschluss ❐ Abitur o<strong>der</strong> Fachabitur<br />
Ganz vielen Dank für Deine Mitarbeit!<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_57<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
Analyse 12 und Untersuchungsergebnisse<br />
Einfluss von Geschlecht, Alter, besuchter Schulform und Wohnregion auf das Persönlichkeitsmerkmal<br />
„Aggressivität”<br />
Tab. 1: Verteilung des Skalenwerts für das Persönlichkeitsmerkmals „Aggressivität” in <strong>der</strong> Stichprobe<br />
Gültig<br />
58_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Häufigkeit Prozent Kumulierte Prozente<br />
3 1 ,5 ,5<br />
4 13 6,4 6,9<br />
5 40 19,8 26,7<br />
6 60 29,7 56,4<br />
7 49 24,3 80,7<br />
8 22 10,9 91,6<br />
9 17 8,4 100,0<br />
Gesamt 202 100,0<br />
Tab. 2: Abhängigkeit des Persönlichkeitsmerkmals „Aggressivität” von Geschlecht, Alter,<br />
Schulabschluss und Wohnregion<br />
Persönlichkeitsmerkmal "Aggressivität" (Skalenwert)<br />
Geschlecht <strong>der</strong> Person Mittelwert N Standardabweichung<br />
weiblich 6,69 78 1,32<br />
männlich 6,17 124 1,32<br />
Insgesamt 6,37 202 1,34<br />
Altersgruppen Mittelwert N Standardabweichung<br />
12-14 Jahre 6,59 41 1,55<br />
15-16 Jahre 6,41 78 1,38<br />
17-18 Jahre 6,34 50 1,22<br />
19-24 Jahre 6,06 31 1,15<br />
Welchen Schulabschluss<br />
hast Du o<strong>der</strong> strebst Du an? Mittelwert N Standardabweichung<br />
Hauptschule 6,56 57 1,21<br />
Realschule 6,29 100 1,42<br />
Abitur o<strong>der</strong> Fachabitur 6,19 36 1,33
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
Wohnort <strong>der</strong> Person Mittelwert N Standardabweichung<br />
Ol<strong>den</strong>burg 6,39 94 1,42<br />
Ammerland 6,35 108 1,28<br />
Zunächst ist einmal auffällig <strong>der</strong> relativ hohe<br />
Gesamtmittelwert (Mittelwert 6,37) für das Persönlichkeitsmerkmal<br />
„Aggressivität”, da als repräsentative<br />
Vergleichsdaten in <strong>der</strong> Handanweisung<br />
zum FPI-R für Männer zwischen 16 und 24 Jahren<br />
ein Mittelwert von 5,44 und für Frauen in diesem<br />
Alter ein Mittelwert von 4,33 angegeben wird. 13<br />
Jedoch ist zu beachten, dass in <strong>der</strong> Normstichprobe<br />
zum FPI-R auch die Standardabweichungen<br />
wesentlich größer als in dieser Untersuchung<br />
waren (Männer: s = 3,27; Frauen: s = 2,88) 14 ,<br />
wodurch die Unterschiede in <strong>den</strong> Mittelwerten<br />
weniger aussagekräftig wer<strong>den</strong>. Wie bei <strong>der</strong> Skalenkonstruktion<br />
vom FPI-R vorgesehen, lagen etwa<br />
54% 15 (exakter Wert in dieser Untersuchung:<br />
55,9%) <strong>der</strong> Stichprobe im mittleren Skalenbereich,<br />
d.h. im Bereich von 4 bis 6. Während jedoch <strong>der</strong><br />
Anteil <strong>der</strong> Jugendlichen mit einem hohen Skalenwert<br />
(7 bis 9) bei 43,6% liegt, sind Jugendliche mit<br />
einem niedrigen Skalenwert (1 bis 3) bis auf eine<br />
Ausnahme nicht vorhan<strong>den</strong> (vgl. Tab. 7). Aufgrund<br />
<strong>der</strong> Tatsache, dass in <strong>den</strong> bereits erwähnten Vergleichsdaten<br />
die Männer im Durchschnitt eine<br />
höhere Neigung zu aggressivem Verhalten aufwiesen,<br />
ist <strong>der</strong> in dieser Studie vorhan<strong>den</strong>e signifikant<br />
höhere Wert für Frauen (vgl. Tab. 8 und 9) beson<strong>der</strong>s<br />
hervorstechend.<br />
Über die Gründe dieser Ergebnisse kann an dieser<br />
Stelle nur spekuliert wer<strong>den</strong>. Eine Erklärungsmöglichkeit<br />
für das relativ hohe durchschnittliche<br />
Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität” ist, dass<br />
Jugendliche heute wohl im allgemeinen mit Emotionen<br />
offener umgehen als zum Zeitpunkt <strong>der</strong><br />
Repräsentativerhebung zum FPI-R (1982). So sind<br />
auch in <strong>den</strong> Begründungen für die Musikpräferenzen<br />
in Situationen des Ärgers häufiger Aussagen<br />
wie etwa „ (...) ich lebe meine Gefühle eher aus als<br />
dass ich gegen sie arbeite” 16 und „weil ich gerade<br />
in <strong>der</strong> Stimmung bin und so bin ich halt” 17 zu<br />
fin<strong>den</strong>. Eine weitere mögliche Ursache könnte<br />
aber auch in <strong>der</strong> Sozialstruktur <strong>der</strong> Besucher von<br />
Jugendfreizeitstätten liegen. Aus einer Untersuchung<br />
von Freizeitstätten aus ganz Deutschland<br />
ergab sich, dass „Besucher aus unteren Statusgruppen<br />
(...) leicht überrepräsentiert” 18 sind. Es ist<br />
anzunehmen, dass die Jugendlichen aus dieser<br />
sogenannten unteren Sozialschicht eine schichtspezifische<br />
Sozialisationserfahrung haben. Das,<br />
was sie im Alltag an eventueller Unterdrückung<br />
und Frustration erfahren (z.B. in Familie, Schule<br />
und Arbeitsplatz), spiegelt sich in ihrem Freizeitverhalten<br />
wi<strong>der</strong>. In diesem Kontext kann die Freizeitstätte<br />
durchaus auch als ein Ort verstan<strong>den</strong><br />
wer<strong>den</strong>, <strong>der</strong> Jugendlichen die Möglichkeit bietet,<br />
aus <strong>den</strong> vorgegebenen Bahnen auszubrechen und<br />
die eventuell erfahrenen Frustrationen unmittelbar<br />
abzureagieren. So erwarten Jugendliche nach<br />
Krisam & Tegethoff in einer Freizeitstätte stets die<br />
Möglichkeit einer lärmen<strong>den</strong> und geselligen<br />
Atmosphäre. 19 Dieser ‘lärmende’ Umgang von<br />
Jugendlichen beinhaltet eine gewisse Form von<br />
Aggressivität, jedoch ist von Bedeutung, „dass<br />
(diese) Aggressivität nicht als ein nach außen<br />
und gegen an<strong>der</strong>e Besucher gerichtetes, son<strong>der</strong>n<br />
als ein sich selbst befreiendes, enthemmendes<br />
Verhalten verstan<strong>den</strong> wird.” 20 Ebenso wäre <strong>den</strong>kbar,<br />
dass Jugendliche durch Konsumangebote in<br />
dem von <strong>der</strong> Freizeitstätte scheinbar angebotenen<br />
Freiraum eine Entschädigung für erfahrene Frustration<br />
erwarten. 21 Es wird jedoch z.B. bei Grauer<br />
auch betont, dass „Besucher von Freizeit(stätten)<br />
im Großen und Ganzen nicht als eine charakteristische<br />
Untergruppe in bezug auf bedeutsame<br />
Merkmale des sozialen Milieus und <strong>der</strong> Familiensituation<br />
(...) anzusehen sind.” 22<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_59<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
Das höhere Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />
bei weiblichen Jugendlichen in dieser Studie könnte<br />
ebenfalls mit dem Lebenskontext Jugendzentrum<br />
in Zusammenhang gebracht wer<strong>den</strong>. Es ist zu vermuten,<br />
dass insbeson<strong>der</strong>e bei weiblichen Besuchern<br />
Vergleicht man die Mittelwerte des Persönlichkeitsmerkmals<br />
„Aggressivität” mit <strong>der</strong> Variable<br />
„Alter”, so fällt auf, dass die Jugendlichen mit<br />
zunehmen<strong>den</strong> Alter eine kontinuierlich weniger<br />
stark ausgeprägte Neigung zu aggressivem Verhalten<br />
aufweisen. Jedoch erweisen sich diese<br />
Abweichungen nicht als signifikant. Dennoch ist<br />
anzunehmen, dass bei einer Stichprobe mit größerer<br />
Altersspanne <strong>der</strong> Proban<strong>den</strong> eine signifikante<br />
Auswirkung auf das Persönlichkeitsmerkmal<br />
„Aggressivität” zu verzeichnen gewesen wäre.<br />
Auch vom Schulabschluss <strong>der</strong> befragten Jugendlichen<br />
hängt <strong>der</strong> Skalenwert für das Persönlichkeitsmerkmal<br />
„Aggressivität” nur geringfügig<br />
60_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
von Jugendzentren beson<strong>der</strong>e charakteristische<br />
Merkmale, wie etwa ein stark ausgeprägtes Durchsetzungsvermögen,<br />
notwendig sind, um in diesen<br />
vorwiegend von männlichen Jugendlichen besuchten<br />
Freizeiteinrichtungen zurechtzukommen.<br />
Tab. 3: Korrelationen des Skalenwerts für das Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität” mit Geschlecht,<br />
Alter, Schulabschluss und Wohnort<br />
Geschlecht Altersangabe Welchen Schulabschluss Wohnort<br />
<strong>der</strong> Person hast Du o<strong>der</strong> strebst Du an? <strong>der</strong> Person<br />
Persönlichkeits- Korrelation -,190 (**) -,128 -,099 -,016<br />
merkmal nach<br />
„Aggressivität„ Pearson<br />
(Skalenwert) N<br />
202 200 193 202<br />
** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant.<br />
Tab. 4: „Aggressivitätsgruppen“<br />
zusammen (vgl. Tab. 3). Die Gymnasiasten weisen<br />
hier mit einem Mittelwert von 6,19 die geringste,<br />
die Hauptschüler mit 6,56 die höchste Neigung zu<br />
aggressivem Verhalten auf. Eine Abhängigkeit von<br />
<strong>der</strong> Wohnregion konnte nicht ausgemacht wer<strong>den</strong><br />
(vgl. Tab. 2 und Tab. 3).<br />
Um im Folgen<strong>den</strong> die Abhängigkeit <strong>der</strong> verschie<strong>den</strong>en<br />
Aspekte des Musikkonsums vom Persönlichkeitsmerkmal<br />
„Aggressivität” zu untersuchen,<br />
wur<strong>den</strong> die einzelnen Skalenwerte aufgrund<br />
von zum Teil sehr geringen Häufigkeiten zu vier<br />
„Aggressivitätsgruppen” zusammengefasst (vgl.<br />
Tab. 4).<br />
Häufigkeit Prozent Kumulierte Prozente<br />
Gruppe 1: Skalenwerte 3 bis 5 54 26,7 26,7<br />
Gruppe 2: Skalenwert 6 60 29,7 56,4<br />
Gruppe 3: Skalenwert 7 49 24,3 80,7<br />
Gruppe 4: Skalenwerte 8 und 9 39 19,3 100,0
Zusammenfassung <strong>der</strong><br />
Untersuchungsergebnisse<br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
Insgesamt lässt sich festhalten, dass mit zunehmen<strong>der</strong><br />
Neigung zu aggressivem Verhalten auch<br />
die Präferenz von subjektiv als aggressiv empfun<strong>den</strong>er<br />
Musik stärker wird (Bestätigung <strong>der</strong> Hypothese<br />
1.1.). Die Einfluss <strong>der</strong> Aggressivität auf die<br />
Präferenzen zu <strong>den</strong> erhobenen Musikstilen scheint<br />
dagegen nur relativ gering zu sein. Hier ergibt sich<br />
nur eine signifikante Abhängigkeit bei Schlagermusik,<br />
die sich als geschlechtsspezifisch erweist<br />
(vgl. Kapitel 6.2.). Obwohl darüber hinaus bei<br />
mehreren an<strong>der</strong>en Musikrichtungen durchaus<br />
weitere (varianzanalytisch nicht signifikante)<br />
Ten<strong>den</strong>zen zu beobachten sind, kann Hypothese 1<br />
(Die Präferenz von bestimmten Musikstilen ist bei<br />
Jugendlichen abhängig vom Persönlichkeitsmerkmal<br />
„Aggressivität”.) im <strong>Gegen</strong>satz zu Hypothese<br />
1.1. (Je stärker das Persönlichkeitsmerkmal<br />
„Aggressivität” bei Jugendlichen ausgeprägt ist,<br />
desto stärker präferieren sie subjektiv als aggressiv<br />
empfun<strong>den</strong>e Musik.) nicht eindeutig als bestätigt<br />
angesehen wer<strong>den</strong>.<br />
Dieses Ergebnis kann man dahingehend interpretieren,<br />
dass die empfun<strong>den</strong>e Aggressivität eines<br />
Musikstücks für Jugendliche mit einer höheren<br />
Neigung zu aggressivem Verhalten ein wichtiges<br />
Kriterium für die Präferenz dieser Musik ist. Diese<br />
Jugendlichen präferieren ein Musikstück folglich<br />
unter an<strong>der</strong>em aufgrund <strong>der</strong> empfun<strong>den</strong>en Aggressivität.<br />
Jugendliche mit einer geringeren<br />
Neigung präferieren evtl. dieselbe Musikrichtung,<br />
ohne diese jedoch als aggressiv zu empfin<strong>den</strong>.<br />
Denn schließlich resultiert die Beurteilung <strong>der</strong><br />
Musik hinsichtlich ihrer Aggressivität immer aus<br />
einer subjektiven Einschätzung.<br />
Deutlich zeigt sich auch, dass Musikpräferenzen<br />
recht stark situationsabhängig sind. Während sich<br />
in Situationen <strong>der</strong> Trauer ein recht deutlicher<br />
Wunsch nach langsamer, weicher, friedvoller,<br />
beruhigen<strong>der</strong>, gefühlvoller und eher trauriger<br />
Musik abzeichnet, sind in Situationen des Ärgers<br />
bis auf eine leichte Ten<strong>den</strong>z zu lebhafter und<br />
gefühlvoller Musik keine einheitlichen Musikpräferenzen<br />
festzustellen. Die Hypothese 2.1.<br />
(„Die musikalischen Präferenzen von Jugendlichen<br />
in Situationen des Ärgers unterschei<strong>den</strong> sich von<br />
<strong>den</strong> musikalischen Präferenzen in Situationen <strong>der</strong><br />
Trauer.”) wird also bestätigt.<br />
Als hoch signifikant abhängig vom Persönlichkeitsmerkmal<br />
„Aggressivität” erweisen sich die<br />
musikalischen Präferenzen in Situationen des<br />
Ärgers (Bestätigung <strong>der</strong> Hypothese 2.2.). Jugendliche<br />
mit einer hohen Neigung zu aggressivem<br />
Verhalten wünschen sich in dieser Situation deutlich<br />
härtere, aggressivere und erregen<strong>der</strong>e sowie<br />
ten<strong>den</strong>ziell schnellere Musik als Jugendliche mit<br />
einer geringeren Neigung (vgl. Kapitel 6.3.2.).<br />
Deutlich wird in Kapitel 6.3.4. zudem, dass Musik<br />
bei einigen Jugendlichen auch dazu benutzt wird,<br />
vorhan<strong>den</strong>en Ärger in vielleicht sogar lustvoller<br />
Form auszuleben. Diese Jugendlichen weisen im<br />
Durchschnitt eine vergleichsweise hohe Neigung<br />
zu aggressivem Verhalten auf. In Situationen <strong>der</strong><br />
Trauer hängen die Musikpräferenzen von Jugendlichen<br />
dagegen kaum von <strong>der</strong> „Aggressivität” ab<br />
(vgl. Kapitel 6.3.3.). Hier läßt sich lediglich beobachten,<br />
dass die Präferenz von trauriger Musik bei<br />
Jugendlichen mit hoher Neigung zu aggressivem<br />
Verhalten vergleichsweise stark ausgeprägt ist.<br />
Darüber hinaus wünschen sich männliche Jugendliche<br />
mit einem höheren Maß an Aggressivität<br />
ten<strong>den</strong>ziell lebhaftere Musik. Weibliche Jugendliche<br />
mit geringerer Neigung zu aggressivem Verhalten<br />
lassen eine stärker ausgeprägte Vorliebe für<br />
beruhigende Musik erkennen. Die Hypothese 2.3.<br />
(Die musikalischen Präferenzen von Jugendlichen<br />
in Situationen <strong>der</strong> Trauer sind abhängig vom<br />
Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”.) wird<br />
demzufolge nicht eindeutig bestätigt. Hypothese<br />
2.4. (Je stärker das Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />
bei Jugendlichen ausgeprägt ist, desto<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_61<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
aggressiver und erregen<strong>der</strong> soll die Musik in stark<br />
emotional geprägten, subjektiv als negativ bewerteten<br />
Situationen sein.) bestätigt sich in Situationen<br />
des Ärgers, in Situationen <strong>der</strong> Trauer hingegen<br />
nicht.<br />
In bei<strong>den</strong> Situation treten starke Abweichungen<br />
von <strong>den</strong> durchschnittlichen Musikwünschen fast<br />
ausschließlich in <strong>der</strong> Gruppe mit <strong>der</strong> höchsten<br />
Neigung zu aggressivem Verhalten (Gruppe 4)<br />
auf. Es ist zu vermuten, dass sich bei Jugendlichen<br />
mit einer weit unterdurchschnittlichen Neigung<br />
zu aggressivem Verhalten gegenläufige Effekte<br />
abzeichnen, wodurch die bereits in dieser Untersuchung<br />
an mehreren Stellen festgestellte Abhängigkeit<br />
<strong>der</strong> situativen Musikpräferenzen vom<br />
Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität” noch<br />
deutlicher wer<strong>den</strong> würde. Da jedoch keiner <strong>der</strong><br />
Jugendlichen in dieser Untersuchung eine weit<br />
unterdurchschnittliche Neigung zu aggressivem<br />
Verhalten aufweist 23 , müsste man diese Annahme<br />
in einer weiterführen<strong>den</strong> Studie überprüfen.<br />
Aus <strong>den</strong> dargestellten Clusterprofilen <strong>der</strong> Situation<br />
Ärger 24 wird ersichtlich, dass es unterschiedliche<br />
Arten <strong>der</strong> Emotionsbewältigung durch Musik gibt,<br />
die durch verschie<strong>den</strong>e emotionale und kognitive<br />
Verläufe gekennzeichnet sind. Ein bestimmtes<br />
Grundgefühl wie z.B. Ärger soll durch Musik noch<br />
verstärkt wer<strong>den</strong> o<strong>der</strong> – im <strong>Gegen</strong>teil (wahrscheinlich<br />
hauptsächlich bei als unangenehm empfun<strong>den</strong>en<br />
Gefühlszustän<strong>den</strong>) – abgeschwächt o<strong>der</strong> in<br />
eine konträre, „positive” Laune verwandelt wer<strong>den</strong>.<br />
Auch diese musikalischen Bewältigungsstrategien<br />
in Situationen des Ärgers erweisen sich<br />
als hoch signifikant abhängig vom Persönlichkeitsmerkmal<br />
„Aggressivität”. An dieser Stelle wird<br />
allerdings ebenso erkennbar, dass musikalische<br />
Präferenzen kein Indikator für die Neigung zu<br />
aggressivem Verhalten von Jugendlichen sind (vgl.<br />
Kapitel 6.3.4.). In <strong>der</strong> Situation Trauer ergibt sich<br />
auch im Zusammenhang keine signifikante Abhängigkeit.<br />
62_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Wie vermutet zeigt sich insgesamt auch, dass die<br />
Umgangsweisen mit Musik von Jugendlichen<br />
abhängig vom Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />
sind (Hypothese 3). Varianzanalytisch ergibt<br />
sich hier insgesamt ein schwach signifikanter<br />
Effekt (vgl. Kapitel 6.4.). Beson<strong>der</strong>s hervorzuheben<br />
ist diesem Kontext die hoch signifikante<br />
Abhängigkeit bei <strong>der</strong> stimulativen Hörweise. In<br />
überraschen<strong>der</strong> Deutlichkeit wird bestätigt, dass<br />
Jugendliche mit einer hohen Neigung zu aggressivem<br />
Verhalten dazu tendieren, mit Musik verstärkt<br />
stimulativ umzugehen (Hypothese 3.1.). Zudem<br />
gehen weibliche Jugendliche mit hoher Aggressivität<br />
weniger stark konzentriert und „aggressivere”<br />
männliche Jugendliche stärker assoziativ mit<br />
Musik um. Da sich in an<strong>der</strong>en Studien zeigte,<br />
dass männliche Jugendliche allgemein stärker als<br />
weibliche Jugendliche an Gewalt in Videoclips<br />
interessiert sind und sich in dieser Studie eine<br />
signifikante Korrelation zwischen <strong>der</strong> Präferenz<br />
von „aggressiver” Musik und <strong>der</strong> assoziativen<br />
Hörweise ergibt, erscheint es mir möglich, dass in<br />
<strong>den</strong> Köpfen von männlichen Jugendlichen mit<br />
höherer Neigung zu aggressivem Verhalten beim<br />
Hören von „aggressiver Musik gelegentlich z.B.<br />
Erinnerungen an gewalttätige Filmszenen aktiviert<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
Nicht bestätigt hat sich allerdings die vermutete<br />
Abhängigkeit <strong>der</strong> kompensatorischen Hörweise<br />
vom Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität”<br />
(Hypothese 3.2.). Die Jugendlichen mit einer<br />
hohen Neigung zu aggressivem Verhalten nutzen<br />
Musik nicht stärker zur Verdrängung o<strong>der</strong> Verarbeitung<br />
von negativen Erlebnisinhalten als Jugendliche<br />
mit einem geringen Maß an Aggressivität.<br />
Betrachtet man Tabelle 25, so wird deutlich, dass<br />
die Jugendlichen mit <strong>der</strong> höchsten Neigung zu<br />
aggressivem Verhalten mit Musik ebenso stark<br />
kompensatorisch wie auch stimulativ umgehen,<br />
bei <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en Jugendlichen dagegen eine kompensatorische<br />
Hörweise jeweils deutlich stärker<br />
ausgeprägt ist. Dieses Ergebnis könnte darauf
hindeuten, dass insbeson<strong>der</strong>e Jugendliche mit<br />
hohem Maß an Aggressivität Musik – wahrscheinlich<br />
in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Situation sowie von<br />
individuellen Faktoren – gleichermaßen zum<br />
„Dampfablassen” im Sinne eines angestrebten<br />
Aggressionsabbaus wie auch zur „Aufstachelung”<br />
und weiteren Anheizung nutzen.<br />
Sehr deutlich wird insgesamt <strong>der</strong> Einfluss des<br />
Stellenwerts von Musik auf die musikalischen<br />
Umgangsweisen. Die „überdurchschnittlichen”<br />
MusikliebhaberInnen gehen mit Musik wesentlich<br />
vielfältiger um, als die Jugendlichen, für die Musik<br />
einen unterdurchschnittlichen Stellenwert hat. Es<br />
ist anzunehmen, dass die scheinbar vorhan<strong>den</strong>e<br />
intensivere Beziehung <strong>der</strong> MusikliebhaberInnen<br />
zur Musik auch eine stärkere Wirkungsweise z.B.<br />
im Sinne einer Kompensation bedingt. Als bestätigt<br />
anzusehen ist daher die Hypothese 3.4. (Bei<br />
Jugendlichen mit einer hohen Neigung zu aggressivem<br />
Verhalten ist die Ten<strong>den</strong>z, mit Musik verstärkt<br />
kompensatorisch umzugehen, stärker<br />
ausgeprägt, wenn Musik einen hohen Stellenwert<br />
einnimmt.), auch wenn die Ausprägung <strong>der</strong> Zustimmung<br />
zur kompensatorischen Umgangsweise<br />
mit Musik ausschließlich vom Stellenwert von<br />
Musik (und nicht vom Persönlichkeitsmerkmal<br />
„Aggressivität”) abhängig ist. Die stimulative<br />
Hörweise erweist sich bei Jugendlichen mit hoher<br />
Neigung zu aggressivem Verhalten als nur vom<br />
Persönlichkeitsmerkmal „Aggressivität” und nicht<br />
vom Stellenwert von Musik abhängig, so dass<br />
Hypothese 3.3. (Bei Jugendlichen mit einer hohen<br />
Neigung zu aggressivem Verhalten ist die Ten<strong>den</strong>z,<br />
mit Musik verstärkt stimulativ umzugehen, stärker<br />
ausgeprägt, wenn Musik einen hohen Stellenwert<br />
einnimmt.) nicht als bestätigt betrachtet wer<strong>den</strong><br />
kann.<br />
Fazit<br />
In <strong>der</strong> Studie von Carsten Stöver zeigt sich die<br />
Abhängigkeit des Musikkonsums vom Persön-<br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
lichkeitsmerkmal „Aggressivität” an mehreren<br />
Stellen sehr deutlich. Aufgrund <strong>der</strong> Untersuchungsdurchführung<br />
in Jugendzentren muss jedoch<br />
davon ausgegangen wer<strong>den</strong>, dass einige<br />
Ergebnisse zum Teil aus <strong>der</strong> in dieser Hinsicht<br />
vielleicht etwas spezifischen Stichprobe resultieren.<br />
Allgemein kann jedoch festgestellt wer<strong>den</strong>,<br />
dass viele Ängste vor <strong>der</strong> alleinigen aggressionsauslösen<strong>den</strong><br />
Wirkung spezifischer Musik unbegründet<br />
sind. Aus <strong>den</strong> bislang vorliegen<strong>den</strong><br />
Befun<strong>den</strong> können allerdings noch keine endgültigen<br />
Schlussfolgerungen gezogen wer<strong>den</strong>, so dass<br />
die Frage nach <strong>den</strong> Wirkungen noch nicht eindeutig<br />
zu beantworten ist.<br />
Die Befragung ergab drei Gruppen von Musikpräferenzen<br />
(„Cluster“): die „Freunde gitarrenlastiger<br />
Rockmusik“ (50 Prozent), „Technopop-Fans“ (25<br />
Prozent) und „Liebhaber angesagter Musikstile“<br />
(25 Prozent). Auf <strong>der</strong> „Aggressivitätsskala“ unterschie<strong>den</strong><br />
sich diese drei Gruppen nicht signifikant.<br />
In Situationen von Ärger o<strong>der</strong> Trauer setzen die<br />
Jugendlichen aber eindeutig unterschiedliche<br />
Musik ein. Je höher die Neigung zu aggressivem<br />
Verhalten ausgeprägt ist, umso mehr neigen die<br />
Jugendlichen auch dazu, Ärger mit aggressiver<br />
Musik zu verarbeiten, während in Situationen von<br />
Trauer <strong>der</strong> Wunsch nach trauriger Musik bei <strong>den</strong><br />
Aggressiven signifikant stärker ausgeprägt ist als<br />
bei <strong>den</strong> weniger Aggressiven. Allerdings konnte<br />
nicht festgestellt wer<strong>den</strong>, dass Musikpräferenzen<br />
etwas über Persönlichkeitsmerkmerkmale aussagen,<br />
d.h. vom Hören aggressiver Musik kann nicht<br />
auf eine Neigung zu aggressivem Verhalten geschlossen<br />
wer<strong>den</strong>. Hingegen war zu konstatieren,<br />
dass Jugendliche mit Neigung zu aggressivem<br />
Verhalten Musik eher „stimulativ“ einsetzen und<br />
auch Musik eher „assoziativ“ hören als an<strong>der</strong>e<br />
Jugendliche.<br />
André Medeke<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_63<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
1 Die Welt zertrümmern? Eine empirisch quantitative<br />
Untersuchung zum Zusammenhang von<br />
Musikkonsum und aggressivem Verhalten,<br />
Ol<strong>den</strong>burg 1999. Von: Carsten Stöver, Mittellinie<br />
185a, 26160 Bad Zwischenahn<br />
2 Dietmar Portals: Aggression als musikalische<br />
Metapher und ihre Wahrnehmung – Ein alternativer<br />
Ansatz zur Erklärung <strong>der</strong> Entstehung<br />
von Aggressionen durch Musik. Hausarbeit im<br />
Hauptseminar: ,,Mediengewalt. Von Opfern,<br />
Tätern und sonstigen Betroffenen”/Wintersemester<br />
1998/99<br />
3 Dietmar Korthals: a. a. O.<br />
4 Der Vorfall ist ansatzweise, allerdings lei<strong>der</strong><br />
ohne konkret auf die Diskussion um die Musik<br />
einzugehen, dokumentiert in: Didion, Joan: Überfall<br />
im Central Park. Eine Reportage.(Dt. Übersetzung<br />
von Eike Schönfeld). München 1991.<br />
5 Martin Hufner: Musik und Gewalt. Rundfunksendung<br />
von Bayern2Radio. Sendetermin:<br />
07.04.2000/20:05<br />
6 Vgl. hierzu auch Müller, Renate: Soziale Bedingungen<br />
<strong>der</strong> Umgehensweisen Jugendlicher<br />
mit Musik. Theoretische und empirisch-statistische<br />
Untersuchung zur Musikpädagogik.<br />
Essen: Verlag Die Blaue Eule 1990. S.31ff.;<br />
sowie Münch, Thomas: Was ‘macht’ eigentlich<br />
die populäre Musik im Radio? In: Musikpädagogische<br />
Biographieforschung. Fachgeschichte<br />
– Zeitgeschichte – Lebensgeschichte. Hrsg.:<br />
Rudolf-Dieter Kraemer. Essen: Verlag Die Blaue<br />
Eule 1997. S.350 Vgl. Kapitel 2.3.2. und 3.2.3.<br />
7 Vgl. Kapitel 3.2.<br />
8 Vgl. Stöver, Carsten: a. a. O. Kapitel 3.3<br />
9 Vgl. Stöver, Carsten: a. a. O, Kapitel 4<br />
64_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
10 Das genaue Verfahren wird beschrieben bei:<br />
Stöver, C.: a. a. O. Kapitel 4.1 – 4.2<br />
11 Vgl. auch Bastian, Hans Günther: Metho<strong>den</strong> <strong>der</strong><br />
empirischen Sozialforschung in Musikpsychologie<br />
und Musikpädagogik. In: Musikpsychologische<br />
Forschung und Musikunterricht. Hrsg.:<br />
Rudolf-Dieter Kraemer. Mainz: Schott 1983. S.113.<br />
12 Wer sich für die Mess- und Prüfverfahren und<br />
Metho<strong>den</strong> interessiert: Vgl. Stöver, C.: a. a. O.<br />
Kapitel 5<br />
13 Vgl. Fahrenberg, Jochen & Hampel, Rainer &<br />
Selg, Herbert: Das Freiburger Persönlichkeitsinventar<br />
FPI. Test und Handanweisung in <strong>der</strong> 5.,<br />
ergänzten Auflage. Göttingen & Toronto & Zürich:<br />
Hogrefe Verlag 1989. S.87.<br />
14 ebd. S.87<br />
15 Vgl. ebd.<br />
16 18-jährige Gymnasiastin aus Ol<strong>den</strong>burg, Fragebogen<br />
Nr. 17.<br />
17 19-jährige Frau aus Ol<strong>den</strong>burg, Realschulabschluß,<br />
Fragebogen Nr. 93.<br />
18 Lüdtke, Hartmut: Jugendliche in organisierter<br />
Freizeit. Ihr soziales Motivations- und Orientierungsfeld<br />
als Variable des inneren Systems<br />
von Jugendfreizeitheimen. Teil 2 <strong>der</strong> Untersuchung<br />
von Jugendfreizeitheimen. Weinheim<br />
& Basel: Beltz 1972. S.329.<br />
19 Vgl. Krisam, Raymund & Tegethoff, Hans Georg:<br />
Jugendfreizeitzentrum und soziales Umfeld. Ein<br />
Lehrforschungsprojekt zur stadtteilorientierten<br />
Jugendarbeit. Neuwied & Darmstadt: Luchterhand<br />
1977.<br />
20 ebd. S.66.
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
21 Vgl. Liebel, Manfed: Überlegungen zum Praxisverständnis<br />
antikapitalistischer Jugendarbeit.<br />
In: Deutsche Jugend, München, 18 (1971) 6,<br />
S.28-34.<br />
22 Grauer, Gustaf: Jugendfreizeitheime in <strong>der</strong> Krise.<br />
Zur Situation des sozialpädagogischen Feldes.<br />
Teil 1 <strong>der</strong> Untersuchung von Jugendfreizeitheimen.<br />
2.Auflage. Weinheim & Basel: Beltz<br />
1975.<br />
23 Insbeson<strong>der</strong>e sind hier keine Jugendlichen mit<br />
FPI-Skalenwerten von 1 und 2 vertreten (vgl.<br />
Kapitel 4.1.1.).<br />
24 wie auch aus <strong>den</strong> nicht dargestellten Clusterprofilen<br />
<strong>der</strong> Situation Trauer<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_65<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Die Welt zertrümmern?! - Musikkonsum und aggressives Verhalten<br />
66_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …
›› Gewaltbereite<br />
Mädchen
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Gewaltbereite Mädchen<br />
Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit von Mädchen<br />
ist ein Thema, dass noch tief im Dunkeln<br />
liegt. Ein Grund dafür ist sicherlich die statistisch<br />
sichtbare höhere Beteiligung von Jungen an Gewalttaten.<br />
Darüber hinaus handelt es sich bei <strong>der</strong><br />
Erforschung dieses Themenkomplexes fast um ein<br />
Tabuthema. Feministische Forscherinnen befürchten,<br />
dass Untersuchungen zur Mädchengewalt<br />
angesichts des erheblichen Gefälles zur Jungengewalt<br />
und <strong>der</strong> Tatsache, dass Mädchen häufiger<br />
Opfer als Täterinnen sind, zu einer überhöhten<br />
öffentlichen Aufmerksamkeit und somit zu einer<br />
verzerrten Wahrnehmung <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Realität führen. Ein Beispiel liefert <strong>der</strong> SPIEGEL im<br />
November 1998 mit <strong>der</strong> Schlagzeile „Brutalität<br />
unter Jugendlichen ist nicht länger Domäne von<br />
Jungen – immer mehr Mädchen prügeln und foltern“.<br />
Außerdem können Themen wie Einschränkungen<br />
und Diskriminierungen von Mädchen verdrängt<br />
und damit <strong>der</strong> Blick auf „das Wesentliche“ verloren<br />
gehen, auf die Bedingungen und Mechanismen,<br />
die traditionelle Weiblichkeitsbil<strong>der</strong> und<br />
Geschlechterhierarchien erzeugen und reproduzieren<br />
(Bruhns/Wittmann, 1999). Derartige Be<strong>den</strong>ken<br />
sind sicherlich berechtigt und verlangen einen<br />
sensiblen Umgang mit Forschungsergebnissen.<br />
Mädchenforschung und Mädchenarbeit, die an<br />
<strong>den</strong> Lebenssituationen und –perspektiven von<br />
Mädchen ansetzt und Unterschiede zwischen<br />
Jungen und Mädchen, aber auch zwischen <strong>den</strong><br />
Mädchen selber herausarbeitet, kann und will<br />
gewaltbereite Mädchen nicht übergehen. Denn<br />
Gewaltbereitschaft ist eine möglicherweise weibliche<br />
Ausdrucksform, mit <strong>der</strong> Belastungen, Wi<strong>der</strong>sprüche<br />
und Ambivalenzen in <strong>der</strong> Lebenswelt<br />
„verarbeitet“ wer<strong>den</strong>.<br />
Bislang beziehen sich Erkenntnisse und Handlungsansätze<br />
überwiegend auf gewaltbereite und<br />
gewalttätige Mädchen in rechtsextremen Gruppen.<br />
68_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Das Projekt „Starke Mädchen<br />
gegen Rechts“<br />
So wurde z.B. die Evangelische Fachhochschule<br />
Rheinland-Westfalen-Lippe vom nordrhein-westfälischen<br />
Ministerium für Gleichstellung beauftragt,<br />
mädchenspezifische Angebote zu erarbeiten und<br />
zu erproben, um <strong>der</strong> Jugendarbeit Impulse für die<br />
Arbeit mit gewaltbereiten Mädchen geben zu können.<br />
Die Evangelische Fachhochschule führte das<br />
Projekt gemeinsam mit <strong>den</strong> Mädchenzentren Gelsenkirchen<br />
und Gladbeck von 1994 bis 1996 durch.<br />
Ein Projektteam entwickelte und führte in 18 Monaten<br />
14 Teilprojekte mit insgesamt 120 Mädchen<br />
und jungen Frauen im Alter von 6 bis 25 Jahren an<br />
Schulen, einer Jugendwerkstatt und Mädchenzentren<br />
durch. Die Teilprojekte umfassten Zeiträume<br />
zwischen einer Woche und 18 Monaten, die<br />
Gruppengröße lag zwischen 5 und 26 Teilnehmerinnen.<br />
Hintergrundwissen über<br />
gewaltbereite Mädchen<br />
Um im Vorfeld mehr über die Zielgruppe <strong>der</strong> gewaltbereiten<br />
Mädchen zu erfahren, wurde <strong>der</strong><br />
aktuelle Forschungsstand ausgewertet und Gespräche<br />
mit 127 Einzelpersonen und Einrichtungen<br />
<strong>der</strong> Jugendarbeit geführt, sowie auf Arbeitserfahrungen<br />
aus Projekten <strong>der</strong> akzeptieren<strong>den</strong><br />
Sozialarbeit mit gewaltbereiten Jugendlichen<br />
zurückgegriffen.<br />
Für dieses Projekt stand im Vor<strong>der</strong>grund folgendes<br />
Verständnis von Rechtsextremismus:<br />
Ein Syndrom aus folgen<strong>den</strong> Dimensionen:<br />
• Akzeptanz von Gewalt als Konfliktlösungsmuster<br />
• Autoritative bzw. antidemokratische Orientierungsmuster
• Ideologie <strong>der</strong> natürlichen Ungleichheit bzw.<br />
Ungleichwertigkeit <strong>der</strong> Menschen<br />
• Indifferentes bis positives Verhältnis zum Nationalsozialismus<br />
Unterschie<strong>den</strong> wurde zwischen dem manifesten,<br />
messbaren Bereich (Mitgliedschaft, Wahlverhalten)<br />
des Rechtsextremismus und dem Bereich<br />
des latenten, indirekt zugänglichen Rechtsextremismus,<br />
<strong>der</strong> sich an Einstellungen, Sympathien,<br />
unbewussten Orientierungsmustern zeigt. Letzterer<br />
war für dieses Projekt vorrangig von Bedeutung.<br />
In empirischen Untersuchungen (Utzmann-Krombholz,1994,<br />
1045 Befragte; Birsl,1994, 469 Befragte)<br />
wur<strong>den</strong> bei <strong>den</strong> befragten Jugendlichen<br />
zwischen 14 und 24 Jahren deutliche Affinitäten zu<br />
rechtsextremem Gedankengut sowie rassistische<br />
und autoritative Einstellungen gefun<strong>den</strong>.<br />
• Weibliche Mitgliedschaften in rechtsextremen<br />
Parteien: 20-30% (=ca. 11-17000 weibl. Mitglie<strong>der</strong>)<br />
• Organisationen am rechten Rand: ca. 1-5%<br />
aktive Mädchen/Frauen<br />
• Rechtsextreme Mädchen wie die „Reenies“,<br />
„Skingirls“ o<strong>der</strong> „Faschobräute“ sind teils<br />
organisiert, teilweise auch nicht.<br />
Gewaltbereite Mädchen<br />
• Schätzungen gehen von ca. 500 – 2500 organisierten<br />
Rechtsextremistinnen aus.<br />
• Geschlechtsspezifische Differenzierung: deutlich<br />
weniger Mädchen und Frauen tendieren zu<br />
autoritativen und/o<strong>der</strong> gewaltakzeptieren<strong>den</strong><br />
Verhaltensmustern.<br />
Warum sind Mädchen und Frauen<br />
in <strong>der</strong> rechtsextremen Szene zu<br />
fin<strong>den</strong>?<br />
Mögliche Ursachen:<br />
Auf <strong>der</strong> Suche nach spezifischen Anschlussstellen<br />
des Rechtsextremismus in <strong>der</strong> weiblichen Psyche<br />
und <strong>den</strong> weiblichen Lebenslagen wurde ein gemeinsamer<br />
Schlüssel immer deutlicher: das Phänomen<br />
<strong>der</strong> Unsicherheit.<br />
Ursachen:<br />
in psychischer Disposition, in <strong>der</strong> sozial-ökonomischen<br />
Situation, in <strong>der</strong> Unklarheit mo<strong>der</strong>ner weiblicher<br />
Lebensentwürfe o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Kombination<br />
aus allem?<br />
Gewaltakzeptanz und eigene Gewaltbereitschaft<br />
sind bei Mädchen zu beobachten, die unter ungünstigen<br />
sozioökonomischen Bedingungen<br />
aufwuchsen, häufig verbun<strong>den</strong> mit <strong>der</strong> Prägung<br />
durch gewaltträchtige Familienmillieus. Die Mädchen<br />
entwickeln in <strong>der</strong> Regel trotz ihrer vergleichbaren<br />
Opfer- und Benachteiligungserfahrungen<br />
keine Solidarität miteinan<strong>der</strong>, son<strong>der</strong>n konkurrieren<br />
um Chancen auf <strong>den</strong> Arbeitsmarkt und um<br />
Männer, die ihnen Anerkennung, Schutz, Geld etc.<br />
verschaffen sollen.<br />
Zuschlagen als präventive Methode:<br />
• Der Ruf als gewalttätiges Mädchen schützt vor<br />
Angriffen und sexueller Anmache und verschafft<br />
Respekt. Zuschlagen als präventive Methode,<br />
sich die Gewalt an<strong>der</strong>er vom Leib zu halten.<br />
„Haben sie erst mal <strong>den</strong> Ruf als „Gewaltelse“,<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_69<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Gewaltbereite Mädchen<br />
dann traut sich so schnell niemand an sie ran,“<br />
(eine Sozialarbeiterin). Der Wunsch, gewalttätig<br />
zu sein, entwickelt sich oft aus Unterlegenheitsgefühlen<br />
und Opfererfahrungen.<br />
• Gewalttätig sein wird bei Mädchen z.T. auch mit<br />
Gleichberechtigung gleichgesetzt. „Wenn Jungs<br />
das können, warum sollen Mädchen das nicht<br />
auch können?“<br />
• Ursachen für die Abwertung alles „An<strong>der</strong>sartigen“,<br />
Vorurteilsstrukturen und antidemokratischen<br />
Orientierungen: Weitergabe von<br />
Einstellungen und Handlungsmustern, die ihnen<br />
in ihren Familienmillieus vorgelebt wur<strong>den</strong>.<br />
• Zum Teil verarbeiten die Mädchen durch ihre<br />
Abwehrhaltung ihre psychischen Verunsicherungen<br />
und/o<strong>der</strong> passiven Gewalterfahrungen und<br />
versuchen, aus rassistischen und/o<strong>der</strong> autoritativen<br />
Einstellungen Sicherheit und Stärke zu<br />
beziehen.<br />
• In <strong>der</strong> antidemokratischen Einstellung spiegeln<br />
sich vor allem die Erfahrungen <strong>der</strong> eigenen<br />
öffentlichen Einflusslosigkeit und Ohnmachtserfahrungen<br />
in Schule, Stadtteil wie auch in <strong>der</strong><br />
„großen Politik“.<br />
Allen Mädchen gemeinsam ist die Lebensphase<br />
<strong>der</strong> Pubertät und damit u.a. die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit und Übernahme <strong>der</strong> eigenen Geschlechtsrollen<br />
sowie die Entwicklung einer biographischen<br />
Perspektive. Für Mädchen ist dieses<br />
ein beson<strong>der</strong>er Balanceakt. Es zeigen sich deutliche<br />
Verän<strong>der</strong>ungen bei <strong>der</strong> „typischen“ Frauenrolle,<br />
die als ein „Sowohl als auch“ beschrieben<br />
wer<strong>den</strong> können. Zu <strong>der</strong> herkömmlichen Rolle als<br />
fürsorgliche Mutter und Hausfrau kommen Erwerbsarbeit<br />
und ein Leistungs-, Konkurrenz- und<br />
Selbstständigkeits<strong>den</strong>ken hinzu. Die Doppelrolle<br />
<strong>der</strong> unselbstständigen-schutzbedürftigen, aber<br />
auch verführerischen Frau wird erweitert durch<br />
70_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Orientierungen an Normen wie sexuelle Selbstbestimmung,<br />
Freiheit und Emanzipation. „Mädchen<br />
wer<strong>den</strong> ermutigt, erfahren aber oftmals in <strong>der</strong><br />
sozialen Wirklichkeit, dass ihnen doch nur <strong>der</strong><br />
zweite Platz gebührt“ (Mogge-Grotjahn, 1992).<br />
Mädchen sollen sich vor Männern in acht nehmen<br />
und sich gleichzeitig von ihnen beschützen lassen.<br />
Mit alldem ist eine starke Verunsicherung, häufig<br />
das Gefühl des Unzulänglichseins verbun<strong>den</strong>,<br />
dass dazu führen kann, das eigene Stärken und<br />
Fähigkeiten abgewertet wer<strong>den</strong>. Die genannten<br />
Balanceakte und Suchbewegungen bieten Anknüpfungspunkte<br />
für rechtsgerichtete Orientierungen.<br />
Das Gefühl des Unzulänglichseins und <strong>der</strong><br />
Hilfebedürftigkeit wird von rechtsextremen Ideologien<br />
aufgegriffen und durch feste Zuschreibungen<br />
von Qualitäten überspielt. So wird in <strong>den</strong> meisten<br />
rechten Szenen die Mädchen- und Frauenrolle als<br />
Mutterrolle aufgewertet. Angeboten wer<strong>den</strong> Sicherheit,<br />
klare Prioritäten, Zugehörigkeitsgefühle,<br />
die eine Abmil<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong> weiblichen<br />
Balanceakte versprechen. Das führt durchaus<br />
auch zu wi<strong>der</strong>sprüchlichem Verhalten bei Mädchen:<br />
einerseits <strong>den</strong> starken Mann toll fin<strong>den</strong> und<br />
alles für ihn tun, an<strong>der</strong>erseits selber stark und<br />
auch gewalttätig sein zu wollen.<br />
Ziel des Projektes<br />
Die konkrete Projektarbeit zielte darauf ab, Einstellungen,<br />
Verhalten und Wünsche von Mädchen<br />
an ihren Lebensorten näher kennenzulernen und<br />
durch inhaltliche Angebote hieran anzuschließen.<br />
Die rechtsorientierten und gewaltbejahen<strong>den</strong><br />
Einstellungen sollten nicht durch Belehren o<strong>der</strong><br />
durch Instruktionsarbeit zu verän<strong>der</strong>n versucht<br />
wer<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n es sollte durch Möglichkeit<br />
zum Erleben von alternativen Erfahrungen auf<br />
das Selbstbewusstsein <strong>der</strong> Mädchen, ihr Verhaltens-<br />
und Einstellungsrepertoire Einfluss genommen<br />
wer<strong>den</strong>. Außerdem sollten die Belange <strong>der</strong><br />
Mädchen in <strong>der</strong> kommunalen Öffentlichkeit stärker<br />
ins Bewusstsein kommen. Dahinter stand die
Überlegung, dass durch öffentlich wirksame<br />
Aktivitäten die positiven Effekte für das Selbstbewusstsein<br />
<strong>der</strong> Mädchen beson<strong>der</strong>s groß sein<br />
könnten.<br />
Umsetzung<br />
Klar war, dass Mädchen aus <strong>den</strong> gut organisierten,<br />
teils militanten rechtsextremen Organisationen<br />
und Parteien mit sozialarbeiterischen Angeboten<br />
nicht ohne weiteres erreicht wür<strong>den</strong>. Erreicht<br />
wer<strong>den</strong> sollten Mädchen aus <strong>der</strong> Jugendszene, die<br />
Affinitäten zu rechtem Gedankengut aufweisen<br />
und gewaltbejahend bzw. –bereit sind. Kontakte<br />
wur<strong>den</strong> geknüpft über die Jugendzentren, Schulen,<br />
Einrichtungen des betreuten Wohnens und einer<br />
Jugendwerkstatt, in <strong>der</strong> Jugendliche betreut wer<strong>den</strong>,<br />
die in <strong>der</strong> Schule die Klassen 7-9 erreicht<br />
haben und als nicht berufsreif, aber för<strong>der</strong>ungsfähig<br />
gelten. An verschie<strong>den</strong>en Schulen und <strong>der</strong><br />
Jugendwerkstatt wur<strong>den</strong> für das Projekt Mädchen-<br />
AGs eingerichtet, an <strong>den</strong>en die Teilnahme freiwillig<br />
war, die aber auf die Schulstun<strong>den</strong> angerechnet<br />
wur<strong>den</strong>. An<strong>der</strong>e Mädchengruppen fan<strong>den</strong> sich<br />
projektbezogen und wur<strong>den</strong> in <strong>den</strong> Mädchenzentren<br />
durchgeführt. In einem Bildungszentrum<br />
für arbeitslose Jugendliche wurde ebenfalls eine<br />
Mädchengruppe eingerichtet.<br />
Vorstellung vom Teilprojekt<br />
„Straßenbefragung“<br />
Ziel:<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung mit einem Thema wie z.B.<br />
„Vorurteile gegenüber Auslän<strong>der</strong>n“<br />
• Die Form <strong>der</strong> Straßenumfrage lässt die Mädchen<br />
die Hemmschwelle gegenüber ihnen unbekannten<br />
Menschen überschreiten bzw. ein Gefühl<br />
entwickeln, wie sie mit Frem<strong>den</strong> umgehen und<br />
selbstbestimmt Distanz einhalten können. Begrüßenswert<br />
ist es, wenn die Ergebnisse veröffentlicht<br />
wer<strong>den</strong> (z.B. Schülerzeitung, lokale<br />
Gewaltbereite Mädchen<br />
Tageszeitung, Gespräch mit PolitikerInnen). Die<br />
Veröffentlichung kann für die Mädchen eine<br />
wichtige Erfahrung bedeuten, sie fühlen sich<br />
ernst genommen und können etwas berichten.<br />
Erfahrungsgemäß haben die Mädchen selber<br />
Ideen, wie mit <strong>der</strong> Umfrage umgegangen wer<strong>den</strong><br />
soll.<br />
• Die Aktion kann mit Vor- und Nachbereitung in<br />
sich geschlossen sein und dementsprechend<br />
geplant wer<strong>den</strong>.<br />
• Alle können sich beteiligen. Es ist günstig, wenn<br />
die Mädchen nicht alleine losziehen, son<strong>der</strong>n<br />
sich in Kleingruppen zusammentun, in <strong>den</strong>en sie<br />
die Umfrage auch vor- und nachbereiten.<br />
Instruktionen:<br />
Die Umfrage muss inhaltlich mit <strong>den</strong> Mädchen<br />
vorbereitet wer<strong>den</strong>: Wieviele Fragen und welche<br />
Fragen sollen gestellt wer<strong>den</strong>? Wie verhalte ich<br />
mich gegenüber <strong>den</strong> befragten Personen? Wie<br />
beende ich ein Interview u.v.a.m. In Rollenspielen<br />
wer<strong>den</strong> die Interviews vorbereitet, auch kritische<br />
Situationen können durchgespielt wer<strong>den</strong>.<br />
Wirkungen:<br />
Die Aktion Straßenbefragung und das Formulieren<br />
<strong>der</strong> Ergebnisse auf Wandzeitungen setzte bei <strong>den</strong><br />
Mädchen eine Auseinan<strong>der</strong>setzung mit eigenen<br />
und frem<strong>den</strong> Vorurteilen in Gang. Auch eigene<br />
Erfahrungen von Macht und Ohnmacht, Angst und<br />
Gewalt konnten nach <strong>der</strong> gemeinsam durchgeführten<br />
Aktion intensiver und offener als in <strong>der</strong> Vorbereitung<br />
besprochen wer<strong>den</strong>. Die Mädchen hatten<br />
insgesamt von sich selbst <strong>den</strong> Eindruck, im Laufe<br />
<strong>der</strong> Befragung mutiger gewor<strong>den</strong> zu sein. Beispielsweise<br />
hatten sie zu Beginn nur ihnen sympathische<br />
Personen angesprochen, später auch<br />
an<strong>der</strong>e. Beson<strong>der</strong>s intensiv beschäftigte sie die<br />
Frage, warum nur wenige <strong>der</strong> Befragten aktiv<br />
eingreifen wür<strong>den</strong>, wenn an<strong>der</strong>e Menschen bedroht<br />
wer<strong>den</strong>. Hieran schlossen sich Gespräche<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_71<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Gewaltbereite Mädchen<br />
<strong>der</strong> Mädchen darüber an, wie sie selbst sich in bedrohlichen<br />
Situationen verhalten wür<strong>den</strong> o<strong>der</strong><br />
verhalten haben,<br />
welche alternativen<br />
Handlungsstrategien<br />
es gibt.<br />
Da die Mädchen<br />
keine Vorerfahrung<br />
mit geschlechtshomogenen<br />
Gruppen<br />
und kaum Erfahrungen<br />
mit an<strong>der</strong>en als<br />
frontalen Unterrichtsmetho<strong>den</strong><br />
hatten,<br />
war es wichtig,<br />
durch Kennlern- und<br />
Vertrauensübungen für eine Atmosphäre zu sorgen,<br />
in <strong>der</strong> sich alle zu Wort kommen lassen und<br />
gegenseitig wahrnehmen konnten.<br />
Ergebnisse des Gesamtprojektes<br />
Insgesamt hat das Projekt dazu beigetragen, das<br />
die Mädchen neue soziale Erfahrungen machen<br />
konnten. Sie erlebten, dass sie nicht vereinzelt<br />
und erfolglos sein müssen, dass sie auf Konkurrenz<br />
untereinan<strong>der</strong>, auf Ressentiments und ten<strong>den</strong>ziell<br />
feindliche Abgrenzungen gegen an<strong>der</strong>e<br />
nicht angewiesen sind. Die Erfahrungen des gemeinsamen<br />
Handelns in einer gleichgeschlechtlichen<br />
Gruppe und das Ernst-genommen-wer<strong>den</strong><br />
haben die Sichtweisen <strong>der</strong> Mädchen verän<strong>der</strong>t.<br />
Deutlich wurde, dass ein großer Bedarf nach<br />
Anregung und Reflexion besteht, um aus <strong>den</strong><br />
vorhan<strong>den</strong>en Unsicherheiten einen Ausweg zu<br />
fin<strong>den</strong>. Dadurch, dass die Belange <strong>der</strong> Mädchen<br />
nachhaltig in das öffentliche Bewusstsein gerückt<br />
wur<strong>den</strong>, ist ihr Selbstbewusstsein aufgewertet<br />
wor<strong>den</strong> und sie haben durch das Hinaustreten in<br />
die Öffentlichkeit politische Strukturen kennenund<br />
anwen<strong>den</strong> gelernt. Hiermit ist ein wichtiger<br />
Schritt in Richtung gelebte Demokratie getan<br />
72_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
wor<strong>den</strong>, <strong>der</strong> als Prävention gegen Rechtsextremismus<br />
und Gewalt als Konfliktlösung, sowie gegen<br />
Autoritarismus gewertet wer<strong>den</strong> kann<br />
Daniela Jeksties<br />
Literatur:<br />
Kirsten Bruhns/Svendy Wittmann<br />
in: Recht <strong>der</strong> Jugend und des Bildungswesens,<br />
Heft 3/99<br />
Hilde Utzmann-Krombholz<br />
Rechtsextremismus und Gewalt: Affinitäten und<br />
Resistenzen von Mädchen und jungen Frauen,<br />
Ergebnisse einer Studie.<br />
Dokumente und Berichte 27 des Ministeriums<br />
für die Gleichstellung von Frau und Mann NRW,<br />
Düsseldorf.<br />
Uschi Birsl<br />
Rechtsextremismus: weiblich – männlich? Eine<br />
Fallstudie, Opla<strong>den</strong> 1994<br />
Hildegard Mogge-Grotjahn/ Martin Bellermann<br />
Starke Mädchen gegen Rechts, Abschlußbericht<br />
des Projektes Rechtsextremismus und Mädchenarbeit,<br />
Evangelische Fachhochschule Bochum,<br />
1998
›› Sexuelle Gewalt<br />
gegen Mädchen<br />
und Frauen
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />
Wege des Ausbruchs<br />
Viele Mädchen und junge Frauen, die sexuelle Gewalt<br />
erlebt haben, haben keine öffentliche Stimme,<br />
leben individuell mit ihren Biographien weiter. Um<br />
dies zu durchbrechen, suchte das autonome Mädchenhaus<br />
Berlin ein Medium, das die Erlebniswelten<br />
<strong>der</strong> Betroffenen auf gefühlsmäßig ansprechende<br />
Art <strong>der</strong> Öffentlichkeit nachvollziehbar machen<br />
könnte. Wichtig war dabei, das neben dem Aufzeigen<br />
<strong>der</strong> strukturellen Gewalt und <strong>der</strong>en Auswirkungen<br />
auch Ausbruchsmöglichkeiten dargestellt<br />
wer<strong>den</strong>. Wenn Mädchen sich aus <strong>der</strong> erlebten<br />
Gewaltsituation befreien und Risiken eingehen,<br />
heißt dies Wachstum, Stärke und Kraft. Grundidee<br />
war von Anfang an, die betroffenen Mädchen und<br />
jungen Frauen in das Projekt mit einzubeziehen. Es<br />
wur<strong>den</strong> vielfältige Workshops angeboten, wie Mal-,<br />
Foto-, Bau- und Schreibworkshops. Die Ergebnisse<br />
flossen in eine beeindruckende Ausstellung ein,<br />
die mit dem Berliner Frauenpreis ausgezeichnet<br />
wurde und die ausleihbar ist. Der Name <strong>der</strong> Ausstellung<br />
ist „Wege des Ausbruchs“.<br />
Mädchen und jungen Frauen Raum zu geben, sich<br />
auszudrücken, ist nicht nur eine Möglichkeit, um Gewalterlebnisse<br />
zu verarbeiten, son<strong>der</strong>n grundsätzlich<br />
Präventionsarbeit. Denn nur Mädchen, die ihre<br />
Bedürfnisse und ihre Grenzen kennen und für sie<br />
aktiv eintreten können, können sich gegen sexuelle<br />
Gewalt zur Wehr setzen. Ausdruck macht stark<br />
gegen das immer noch „bestgehütete Geheimnis“.<br />
Die Dunkelziffer bei sexuellem Missbrauch liegt<br />
laut Bundeskriminalamt bei 1:15. Es wird angenommen,<br />
dass in <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland<br />
etwa jedes vierte Mädchen und je<strong>der</strong> zwölfte<br />
Junge sexuell missbraucht wür<strong>den</strong>. Die Täter sind<br />
zu 90 % männlich.<br />
Sexuelle Gewalt fängt mit Grenzüberschreitungen<br />
an, d.h. dort, wo die Intimsphäre des Mädchens<br />
nicht beachtet wird, ihre Grenzen nicht akzeptiert<br />
74_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
bzw. nicht wahrgenommen wer<strong>den</strong>. Dazu gehören<br />
auch für Mädchen alltägliche Situationen, wie z.B.<br />
das gemeinsame Ba<strong>den</strong>, die „zufälligen“ Berührungen,<br />
die Sprüche, Bemerkungen und Blicke von<br />
Vätern, Bekannten, Lehrern u.a. in Bezug auf <strong>den</strong><br />
Körper, das enge Sitzen in Bus und Bahn. Mädchen<br />
erleben diese Situationen oft sehr wi<strong>der</strong>sprüchlich.<br />
Zum einen haben sie sehr wohl das<br />
Gefühl, das die Situation nicht in Ordnung ist.<br />
Doch gleichzeitig bewerten sie die Situation als<br />
nicht so schlimm bzw. nehmen die eigenen Gefühle<br />
nicht so wichtig. Die Geschlechtsrollenzuschreibungen<br />
wirken hier auf fatale Weise: was<br />
Männer dürfen (Grenzverletzungen begehen, sich<br />
wichtig nehmen), dürfen Frauen noch lange nicht.<br />
Die Folgen sexueller Gewalterfahrung können sein:<br />
• Gestörtes Verhältnis zum eigenen Körper,<br />
• Schwierigkeiten, zu erkennen, was gut tut und<br />
was nicht,<br />
• verschütteter Zugang zu <strong>den</strong> eigenen Gefühlen,<br />
Wünschen und Bedürfnissen,<br />
• Schwierigkeiten, mit Nähe und Distanz, Vertrauen<br />
und Mißtrauen, umzugehen,<br />
• unklares Gefühl zu <strong>den</strong> eigenen physischen und<br />
psychischen Grenzen,
• Schwierigkeiten, „nein“ zu sagen,<br />
• Gefühl von Ohnmacht, Ausgeliefertsein und<br />
Schwäche<br />
Mädchen mit sexuellen Gewalterfahrungen sen<strong>den</strong><br />
oft ausgesprochene und unausgesprochene,<br />
direkte und indirekte Signale aus, mit <strong>den</strong>en sie<br />
ihre Umgebung auf die sexuelle Gewalt aufmerksam<br />
machen wollen. Da die Signale häufig nicht<br />
wahrgenommen wer<strong>den</strong>, sind Mädchen gezwungen,<br />
Überlebensstrategien zu entwickeln. Diese<br />
haben verschie<strong>den</strong>e Seiten. Zum einen helfen sie<br />
Mädchen, mit <strong>den</strong> ihnen zugefügten Verletzungen<br />
überhaupt weiterleben zu können und stellen<br />
daher einen wichtigen Schutz dar. Diese Strategien<br />
können sich im Laufe des Lebens zu Stärken<br />
entwickeln. Zum an<strong>der</strong>en können sie aber auch zu<br />
selbstzerstörerischen Handlungsmustern wer<strong>den</strong>.<br />
Die Notwendigkeit, mit Hilfe von Strategien zu<br />
überleben, bedeutet auch, keinen wirklichen<br />
inneren und äußeren Raum für die Verarbeitung<br />
von Grenzverletzungen zu haben. Vielmehr können<br />
diese Strategien neue Probleme schaffen.<br />
Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />
Überlebensstrategien<br />
Verharmlosung: die Gewalterfahrung sich selbst<br />
und an<strong>der</strong>en gegenüber verharmlosen; rationalisieren<br />
und Entschuldigungen für <strong>den</strong> Täter fin<strong>den</strong>;<br />
ignorieren<br />
Abspaltung: um <strong>den</strong> Körper von Gefühlen zu<br />
trennen und ihn dadurch nicht wahrzunehmen;<br />
eine Fassade aufbauen (erfolgreich, souverän<br />
und durchsetzungsfähig nach außen – Unsicherheit,<br />
Depression, Angst u.a. sind Gefühle im Innern)<br />
Kontrolle: alles im Griff haben, pedantisch auf<br />
Ordnung achten; Chaos, Unruhe und Krisen schaffen<br />
und gleichzeitig hervorragend zu managen;<br />
erhöhte Wachsamkeit zeigen für die Bedürfnisse,<br />
Konflikte an<strong>der</strong>er<br />
Sicherheit: durch das Vermei<strong>den</strong> von großer Nähe<br />
in Beziehungen; durch eine selbstgegründete Familie;<br />
durch <strong>den</strong> Anschluß an strukturierte Gruppen<br />
Humor: als ein Mittel, eine schützende Distanz herzustellen,<br />
o<strong>der</strong> negative Gefühle zu kanalisieren<br />
Flucht: in Bücher, in <strong>den</strong> Schlaf, ins Fernsehen, in<br />
Phantasien<br />
Rastlosigkeit: um ständig beschäftigt zu sein,<br />
immer etwas vorzuhaben, zu organisieren<br />
Schlaflosigkeit: Nacht und Dunkelheit ausweichen,<br />
um am Tag zu schlafen, bedeutet Überschaubarkeit<br />
und Kontrolle<br />
Selbstverletzung: als Ventil für die erlittenen<br />
Grenzverletzungen<br />
Sucht: Drogen, Medikamente, Alkohol; Essstörungen<br />
als Ablehnung des eigenen Körpers;<br />
zwanghaftes Lügen als Folge des Schweigens;<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_75<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />
zwanghaftes Stehlen als Versuch, sich etwas<br />
zurückzuholen; Arbeitssucht<br />
Suchen von Sexualität: als Wie<strong>der</strong>holungsmuster;<br />
um Kommunikation, Zuneigung, Selbstwert zu<br />
erfahren; um Macht und Kontrolle über an<strong>der</strong>e zu<br />
erleben;<br />
Vermeidung von Sexualität: um <strong>der</strong> Konfrontation<br />
mit <strong>der</strong> Erinnerung aus dem Weg zu gehen: aus<br />
Angst, sich nicht abgrenzen zu können und die<br />
Kontrolle zu verlieren.<br />
Gefühl zeigen über Kreativität<br />
Es zeigt sich, das Mädchen, die sexuelle Grenzverletzungen<br />
erfahren haben, ein großes Potential an<br />
Kreativität besitzen. Haben Mädchen die Möglichkeit,<br />
diese einzusetzen und wer<strong>den</strong> darin bestärkt,<br />
so erhalten sie Anerkennung, die ihr Selbstwertgefühl<br />
stärkt.<br />
Freies und experimentelles<br />
Malen<br />
Mit einem Malworkshop wird Mädchen Raum für<br />
freies und experimentelles Malen angeboten.<br />
Möglichst große Malflächen sollten zur Verfügung<br />
stehen, um so das Gefühl zu vermitteln, auch im<br />
wahrsten Sinne des Wortes Raum einnehmen zu<br />
dürfen. Es sollte kein Leistungsdruck entstehen<br />
und ausreichend Zeit zur Verfügung sein. Als<br />
Rahmen sollten die Anleiterinnen Maltechniken<br />
vorstellen, um <strong>den</strong> Einstieg zu erleichtern (z.B.<br />
Papiere schichten, blind malen, Collagen kleben,<br />
mit Farbe und Materialien experimentieren). In<br />
Einzelgesprächen können die Mädchen während<br />
des Malens technisch und gestalterisch beraten<br />
wer<strong>den</strong>. Sie fühlen sich ernst genommen und in<br />
ihrer Arbeit wertgeschätzt. Die Mädchen malen so<br />
lange, bis ein für sie befriedigendes Bild entsteht<br />
(oft 4-6 Stun<strong>den</strong>). In einem Malworkshop erleben<br />
die Mädchen, dass sie etwas erschaffen und<br />
76_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
been<strong>den</strong> können, was sie sich vorher nicht zugetraut<br />
hätten und worauf sie stolz sein können.<br />
Wenn die Mädchen damit einverstan<strong>den</strong> sind,<br />
können die Bil<strong>der</strong> auch öffentlich ausgestellt<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
Mädchenarbeit ist<br />
Präventionsarbeit<br />
Sie kann Mädchen Orientierungsmöglichkeiten<br />
aufzeigen, um ihr eigenes Selbstbewusstsein zu<br />
entwickeln, Stärke aufzubauen und Mut zu sich<br />
selbst zu haben. Denn nur „starke Mädchen“ sind<br />
in <strong>der</strong> Lage, sich gegenüber sexuellen Übergriffen<br />
zu wehren.<br />
Daniela Jeksties<br />
Literatur:<br />
„Wege des Ausbruchs“, Gewalt gegen Mädchen<br />
und junge Frauen – Ausstellungskatalog 1997,<br />
Hrsg.: Autonomes Mädchenhaus Berlin, Gneisenaustr.<br />
2a, 10961 Berlin
Wen Do - Weg <strong>der</strong> Frauen<br />
Ausgangssituation<br />
Täglich entwickeln Frauen und Mädchen eine<br />
Vielzahl von Strategien sich gegen männliche<br />
Abwertung und negativ empfun<strong>den</strong>er Anmache zu<br />
wehren. Das reicht von dem sich Entziehen und<br />
Ertragen bis zur aggressiven Verbalattacke und ist<br />
meistens mit Gefühl <strong>der</strong> Hilflosigkeit bei <strong>den</strong><br />
Mädchen und Frauen verbun<strong>den</strong>.<br />
In unserer gesellschaftlichen<br />
Realität sind patriarchale<br />
Strukturen verankert, die<br />
das Männliche als Normalität<br />
und das Weibliche als<br />
Abweichung von <strong>der</strong><br />
Norm erscheinen lassen<br />
und damit als weniger<br />
wertvoll und defizitär definieren. Dieses ist die<br />
Grundlage <strong>der</strong> von Gewalt geprägten Beziehung<br />
zwischen Frauen und Männern. Das äußert sich in<br />
körperlicher Gewalt, d. h.: 1 „Mädchen wer<strong>den</strong><br />
geboxt, geschlagen, geprügelt, in die Geschlechtsteile<br />
getreten, sexuell misshandelt und vergewaltigt.<br />
... die psychische Gewalt wird ausgeübt durch<br />
heruntermachende Bemerkungen, die sich auf die<br />
Geschlechtszugehörigkeit beziehen, wie durch<br />
eine sexistische Sprache, Witze, durch anzügliche<br />
Bemerkungen, durch ein Nicht-Respektieren <strong>der</strong><br />
Grenzen eines Mädchens. Außerdem gibt es noch<br />
die nicht unmittelbare o<strong>der</strong> spürbare strukturelle<br />
Gewalt. Darunter sind Strukturen zu<br />
verstehen, die Frauen und Mädchen<br />
in unserer Gesellschaft<br />
benachteiligen, behin<strong>der</strong>n, wirtschaftlich<br />
schlechter stellen und<br />
vom Status her abwerten; in <strong>der</strong><br />
Jugendarbeit beispielsweise<br />
• Mädchen (gewaltsam) daran hin<strong>der</strong>n, das<br />
Jugendzentrum zu besuchen (fehlende Mäd-<br />
Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />
chenangebote,<br />
kein<br />
Mädchenraum,<br />
Eingangsbereiche in<br />
Jugendhäusern mit<br />
„Laufsteg“-Situation<br />
für Mädchen)<br />
• bei <strong>den</strong> Lerninhalten und methodisch-didaktischen<br />
Konzepten in <strong>der</strong> Schule Erfahrungen aus<br />
weiblichen Lebenszusammenhängen negieren<br />
bzw. nicht berücksichtigen.“<br />
Dieses Zitat aus <strong>der</strong> Landesjugendring Broschüre<br />
Wen – Do Materialien für die Mädchenarbeit beschreibt<br />
<strong>den</strong> gesellschaftlichen bzw. jugendarbeiterischen<br />
Alltag von Pädagoginnen. Sie reagieren<br />
auf <strong>den</strong> Kontext, in dem Mädchen und junge Frauen<br />
eingebun<strong>den</strong> sind. Verschärfend<br />
kommt heute,<br />
einige Jahre nach<br />
Erscheinen <strong>der</strong><br />
Broschüre, dazu,<br />
dass Mädchen<br />
und junge<br />
Frauen sich<br />
in einer<br />
Welt sehen,<br />
in <strong>der</strong> alles<br />
möglich ist, alles easy und Problembewusstsein<br />
nicht zum Selbstverständnis von Mädchen gehört.<br />
Mädchen von heute sind eigenwillig, selbstbewusste<br />
Zicken, sind laut, wissen was sie wollen<br />
und wenn sie nichts wollen ist das auch OK. Unsere<br />
Gesellschaft gaukelt ihnen vor: „Alles ist möglich,<br />
wenn du nur willst.“ Und schiebt damit jedes<br />
Scheitern auf eine individuelle Schiene: „Wenn du<br />
es nicht schaffst, bist du selbst schuld!“ Ich sehe<br />
darin eine Verstärkung <strong>der</strong> strukturellen Gewalt,<br />
weil <strong>den</strong> Mädchen und jungen Frauen suggeriert<br />
wird, dass es strukturelle Gewalt kaum noch gibt.<br />
Wen Do als Weg <strong>der</strong> Frauen setzt genau hier an.<br />
Mädchen und Frauen wird ein frauenspezifischer<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_77<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />
Blick aufgezeigt und ein sich daraus<br />
ergebendes individuelles<br />
Handeln<br />
ermöglicht.<br />
Geschichte und Prinzipien<br />
Wen Do entstand vor ca. 20 Jahren in Kanada und<br />
wurde von Frauen entwickelt, die sich intensiv mit<br />
asiatischen Kampftechniken beschäftigten. Ihr<br />
Anliegen war, aus <strong>den</strong> Kampfkünsten, die ursprünglich<br />
für Männer gedacht waren, eine frauenspezifische<br />
Form <strong>der</strong> Selbstverteidigung und<br />
Selbstbehauptung zu entwickeln. Wen Do lebt vom<br />
„mündlichen Prinzip“. Es wird ausschließlich von<br />
Frauen an Frauen und Mädchen weitergegeben.<br />
Das bedeutet, einen Form des Frauenwissens, zu<br />
dem keine potentiellen Täter Zugang haben.<br />
Dieses Element des „Frauenwissens“ stärkt Mädchen<br />
bzw. Frauen in ihrer Weiblichkeit. Wen Do ist<br />
weiterhin ein praktisches Prinzip. Wen Do Trainerinnen<br />
verbin<strong>den</strong><br />
Theorie und<br />
Praxis und<br />
setzen bei<br />
<strong>den</strong><br />
jeweiligenindividuellen<br />
Lebenssituationen <strong>der</strong> Teilnehmerinnen<br />
an. Das erfor<strong>der</strong>t z. B. eine altershomogene Struktur<br />
<strong>der</strong> Teilnehmerinnen in <strong>den</strong> Mädchenkursen.<br />
Verständlicherweise sieht die Lebenswelt einer<br />
12jährigen an<strong>der</strong>s aus als die einer 16jährigen.<br />
Um in <strong>den</strong> Mädchenkursen tatsächlich Erfahrungsund<br />
Lernräume für individuelle Handlungsspektren<br />
zu ermöglichen, sind Altersbegrenzungen von<br />
jeweils zwei Jahrgangsstufen (z.B. 10 bis 12 Jahren)<br />
78_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
und Kursgrößen von nicht mehr als 14 Mädchen<br />
üblich.<br />
Das Beson<strong>der</strong>e am Wen Do<br />
Der Ansatz je<strong>der</strong> Wen Do Trainerin<br />
richtet sich nach ihrer Persönlichkeit<br />
und Authentizität. Sie stellt sich <strong>den</strong><br />
Frauen und Mädchen mit ihrer Persönlichkeit<br />
ihrer Form <strong>der</strong> Selbstbehauptung<br />
und –verteidigung<br />
zur Verfügung und zeigt ihnen<br />
gleichzeitig auf, wie individuelle<br />
Formen gefun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> können.<br />
Da jede Frau unterschiedliche<br />
Reaktionsmuster hat, gibt es kein<br />
einheitliches Konzept. Aber sicher sind Anteile <strong>der</strong><br />
körperorientierten und mental ausgerichteten Art<br />
<strong>der</strong> Selbstbehauptung und –verteidigung zu gleichen<br />
Teilen vertreten.<br />
Die Vermittlung von körperlicher Verteidigungstechnik<br />
in Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskursen<br />
ist bei<br />
vielen Anbietern z. B.<br />
Polizeisportvereinen<br />
ein wesentlicher<br />
Teil. Zu<br />
Wen Do Kursen<br />
besteht <strong>der</strong><br />
wesentliche<br />
Unterschied, dass<br />
bei an<strong>der</strong>en Anbietern<br />
häufig Männer<br />
<strong>den</strong> Teilnehmerinnen beibringen,<br />
wohin sie Tätern treten sollen, um sich zu wehren.<br />
Sicher ist das auch wichtig, aber es macht auf<br />
das Beson<strong>der</strong>e eines Wen Do Kurses aufmerksam.<br />
Die Vermittlung von mentalen Voraussetzungen<br />
<strong>der</strong> Selbstbehauptung und Selbstverteidigung<br />
von Frau und Mädchen ist das stärkste Element<br />
jedes Kurses. Mentale Voraussetzung heißt: jede<br />
Frau/jedes Mädchen muss wissen, wann und wie
sie N E I N sagt. Dazu gehört <strong>der</strong> Kontakt zu sich<br />
selbst und eigene Grenzen zu spüren. Mädchen<br />
und Frauen brauchen Erfahrungsräume,<br />
die frei sind<br />
von potentiellen Tätern,<br />
in <strong>den</strong>en sie<br />
ihrer individuellen<br />
Strategien entwickeln<br />
und z. B.<br />
rückgemeldet<br />
bekommen,<br />
wie ihr „Nein“<br />
wirkt. In Wen Do<br />
Kursen erfahren sie Stärkung von Frau zu Frau/<br />
Mädchen auf femininer, mentaler Ebene.<br />
Wen Do als Bildungsschwerpunkt<br />
in <strong>der</strong> Mädchenarbeit<br />
Wen Do Kurse sind Bildungsseminare, die eingebettet<br />
in die Mädchenarbeit sind. Sie beschränken<br />
sich nicht auf Tricks o<strong>der</strong> kurz zu<br />
erlernende Techniken, son<strong>der</strong>n bieten <strong>den</strong> Einstieg<br />
in Lernprozesse, die in einer fortlaufen<strong>den</strong> Mädchenarbeit<br />
eingebettet wer<strong>den</strong> sollten. Die Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit <strong>der</strong> eigenen I<strong>den</strong>tität und <strong>der</strong><br />
gesellschaftlichen Struktur, die die I<strong>den</strong>tität mit<br />
beeinflusst, ist für alle Bildungsträger eine notwendige<br />
Aufgabe. Die Einbindung in ein Konzept<br />
emanzipatorischer, feministischer<br />
Mädchenarbeit wäre wünschenswert.<br />
Allerdings sehe ich auch<br />
Vorteile in einer gemischtgeschlechtlichenJugendarbeit,<br />
durch das Anbieten von<br />
Wen Do Kursen <strong>den</strong> Mädchen<br />
einen geschlechtshomogenen Raum zur I<strong>den</strong>titätsfindung<br />
zu ermöglichen.<br />
Durch die Veranstaltung eines Wen Do Kurses<br />
ergeben sich in <strong>der</strong> bestehen<strong>den</strong> Mädchenarbeit<br />
beson<strong>der</strong>e Chancen für kontinuierliche Gruppenarbeit.<br />
Mädchen sehen durch das Thema Selbst-<br />
Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />
verteidigung und -behauptung schnell ein, dass<br />
ein solcher Kurs sich ausschließlich an Mädchen<br />
wendet. Und am Ende <strong>der</strong> Kurse steht immer<br />
wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Wunsch in geschlechtshomoger Mädchengruppe<br />
zusammen zu bleiben. Häufig ein<br />
Anfang einer kontinuierlichen Mädchengruppe.<br />
Noch ein Wort zur Durchführung. Wen Do ist kein<br />
geschützter Begriff von sich aus. Deshalb empfehle<br />
ich, sich an das Netzwerk <strong>der</strong> Wen Do Trainerinnen<br />
zu wen<strong>den</strong>. Trainerinnen aus dem Netzwerk<br />
stellen sicher, dass ihre Kurse ihre verabredeten<br />
Standards beinhalten. Da alle Trainerinnen freiberuflich<br />
arbeiten, wird außerdem ein Preiskampf<br />
vermie<strong>den</strong>. Es ist im übrigen<br />
je<strong>der</strong> Pädagogin zu<br />
empfehlen, einen<br />
Kurs bei <strong>der</strong><br />
Trainerin zu<br />
besuchen,<br />
die sie engagieren<br />
will.<br />
Adressen und Kontakte sind über: Eva Viedt,<br />
Ev. Stadtjugenddienst, Am Fallersleber Tore 9 in<br />
38100 Braunschweig Tel. 0531/49017 und Daniela<br />
Jeksties, Archivstr. 3 in 30169 Hannover Tel. 0511/<br />
1241-693 zu erhalten.<br />
Eva Viedt<br />
1 Monika Wolff in: Wen – Do Materialien für die<br />
Mädchenarbeit Seite 5, Hg. Landesjugendring<br />
Nie<strong>der</strong>sachsen e.V.<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_79<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />
80_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …
›› Gewalt<br />
und Jungen
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Gewalt und Jungen (Jungen treten - Mädchen ziehen an <strong>den</strong> Haaren)<br />
Einleitung<br />
Denke ich an Gewalt, entstehen ganz automatisch<br />
Bil<strong>der</strong> von randalieren<strong>den</strong> Skinheads, schlagen<strong>den</strong><br />
Vätern o<strong>der</strong> sich prügelnde Jungs auf dem Schulhof<br />
in meinem Kopf. Wahrscheinlich haben die<br />
meisten Menschen<br />
ähnliche Bil<strong>der</strong> vor<br />
Augen. Was dabei<br />
auffällt, diejenigen,<br />
die Gewalt ausüben,<br />
sind männlich.<br />
Das wird auch<br />
durch statistische<br />
Zahlen belegt. 90%<br />
aller Tatverdächtigen<br />
Gewalttäter sind männlich, über 80% aller<br />
Gefängnisinsassen in Nie<strong>der</strong>sachsen sind männlich.<br />
Ist Gewalt also reine Männersache? Berechtigte<br />
Zweifel wer<strong>den</strong> wach, wenn man die Ergebnisse<br />
einer in NRW veröffentlichten Studie über die<br />
Einstellungen von 14-24-jährigen Jugendlichen zu<br />
Gewalt in Hinblick auf geschlechtsspezifische<br />
Aspekte von Gewalt wahrnimmt. So lehnen zum<br />
Beispiel 82% <strong>der</strong> Mädchen und 72% <strong>der</strong> Jungen<br />
Gewalt rundweg ab. Eine normale Klopperei fin<strong>den</strong><br />
doppelt so viele Jungen (26%) wie Mädchen (13%)<br />
in Ordnung. Nicht alle Mädchen also lehnen Gewalt<br />
grundsätzlich ab. Gewalt äußert sich ja auch<br />
in Form von Beleidigungen, emotionaler Ausbeutung,<br />
Erpressung und subtile Manipulation (psychische<br />
Gewalt). Viele Menschen vermuten, dass<br />
Mädchen und Frauen auf diesem Gebiet Gewalt<br />
ausüben (Buscotte). Weil es aber starke Unterschiede<br />
in <strong>der</strong> Einstellung zur Gewalt und in <strong>der</strong><br />
Ausprägung von Gewalt zwischen <strong>den</strong> Geschlechtern<br />
gibt, ist es nötig die geschlechtsspezifischen<br />
Aspekte von Gewalt zu berücksichtigen. Vernünftige<br />
Gewaltprävention sollte sich also mit <strong>der</strong><br />
Frage beschäftigen, wie die unterschiedlichen<br />
Geschlechter mit Gewalt umgehen, und welche<br />
82_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Ursachen das hat. Dieser Bereich fällt in <strong>der</strong> öffentlichen<br />
Diskussion über die Ursachen von<br />
Gewalt häufig unter <strong>den</strong> Tisch. Im Folgen<strong>den</strong> geht<br />
es um die Gewalt von Jungen und jungen Männern<br />
unter Berücksichtigung <strong>der</strong> geschlechtsspezifischen<br />
Aspekte.<br />
Gewalt ist vielschichtig. Einfache Erklärungen und<br />
Begründungen reichen oft nicht aus, um das<br />
Handeln von gewalttätigen Jugendlichen zu verstehen.<br />
Eine Dimension, die bei <strong>der</strong> Betrachtung von<br />
Gewalt eine beson<strong>der</strong>e Rolle spielt, ist die Frage<br />
nach <strong>der</strong> aktiven o<strong>der</strong> passiven Gewalt. Je<strong>der</strong><br />
Täter, <strong>der</strong> Gewalt ausübt, hat in seinem Leben<br />
mehr als einmal die Erfahrung gemacht, was es<br />
heißt, Opfer zu sein. Häufig ergibt sich eine gewalttätige<br />
Karriere aus <strong>den</strong> Gewalterfahrungen in<br />
<strong>der</strong> Kindheit und Jugend. Und sei es nur durch das<br />
negative Vorbild. Wie soll jemand, <strong>der</strong> als Kind<br />
Schläge erhält, als Erwachsener gewaltfreie Konfliktlösungsmechanismen<br />
beherrschen? Es heißt,<br />
vom Opfer zum Täter ist es nur ein kleiner Schritt.<br />
Dieser Opfer-Täter Aspekt von Gewalt ist selten<br />
klar zu trennen, sollte aber immer berücksichtigt<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
Das Thema Jungen und Gewalt lässt sich also<br />
sowohl unter dem Blickwinkel Jungen als Opfer,<br />
als auch unter dem Blickwinkel Jungen als Täter<br />
betrachten.<br />
Zwei Drittel <strong>der</strong> körperlichen Gewalttaten von<br />
Jungen richten sich gegen Jungen. Auch beim<br />
Thema sexuelle Gewalt gegen Jungen wird von<br />
einer hohen Dunkelziffer ausgegangen. Es ist
Gewalt und Jungen (Jungen treten - Mädchen ziehen an <strong>den</strong> Haaren)<br />
anzunehmen, dass auch Jungen sehr viel häufiger<br />
Opfer von sexueller Gewalt sind, als bislang angenommen.<br />
Lei<strong>der</strong> gibt es wenig genaue Untersuchungen.<br />
Beschreibung von aktiver Gewalt<br />
bei Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />
Von <strong>den</strong> vielen Ursachen für die Gewalt von Jugendlichen<br />
und jungen Männern sollen einige<br />
wichtige Aspekte im folgen<strong>den</strong> erörtert wer<strong>den</strong>.<br />
Gewalt in <strong>der</strong> Familie<br />
Wer seine Rute schont, <strong>der</strong> hasst seinen Sohn,<br />
wer ihn aber lieb hat, <strong>der</strong> züchtigt ihn beizeiten.<br />
Dieser Vers aus <strong>den</strong> Sprüchen Salomos (Spr 13,<br />
24) verdeutlicht, dass die Gewalt an Kin<strong>der</strong>n, in<br />
diesem Fall an Söhnen, schon eine sehr lange<br />
Tradition hat. Wenn auch die körperliche Gewalt<br />
an Kin<strong>der</strong>n gesellschaftlich in <strong>den</strong> letzten Jahren<br />
und Jahrzehnten immer mehr an Akzeptanz verloren<br />
hat, so sprechen doch die statistischen<br />
Zahlen eine eindeutige Sprache. 1999 gab es in<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik über 3000 angezeigte Fälle<br />
von Kindesmisshandlung (http://www.bka.de).<br />
Das ist allerdings nur die Spitze des Eisbergs.<br />
Schätzungen gehen für das Jahr 1990 von bis zu<br />
300 000 Fällen von Kindesmisshandlungen aus<br />
(Möller 1991 bei Rohrmann). Bei Gewalt gegen<br />
Kin<strong>der</strong> sind, im <strong>Gegen</strong>satz zu <strong>den</strong> an<strong>der</strong>en Gewaltdelikten,<br />
Frauen mit einem relativ hohen<br />
Anteil als Täterinnen vertreten (ca. 40%). Jungen<br />
wer<strong>den</strong> ten<strong>den</strong>ziell häufiger geschlagen. Obwohl<br />
Untersuchungen belegen, dass körperliche Strafen<br />
sich aggressionsför<strong>der</strong>nd erweisen, waren<br />
1993 immer noch mehr als die Hälfte <strong>der</strong> Eltern<br />
<strong>der</strong> Meinung, dass Kin<strong>der</strong>n eine Ohrfeige ab und<br />
an nicht schade. Nicht zwangsläufig entwickeln<br />
sich später diejenigen Jungen am aggressivsten,<br />
die am häufigsten misshandelt wur<strong>den</strong>. Aber<br />
Gewalt ist für Jungen, viel stärker als für Mädchen,<br />
ein Ventil, wenn sie mit Konflikten, Misshandlun-<br />
gen und Ohnmachtserfahrungen nicht fertig wer<strong>den</strong>.<br />
Jungen und Gewalt<br />
Jungen sind aggressiver als Mädchen (Cains und<br />
Cains bei Rohrmann). Sie initiieren mehr Konflikte<br />
und sind häufiger <strong>der</strong>en Opfer. Im Konfliktfall<br />
schlagen Jungen eher zurück als Mädchen. Gewalttätiges<br />
Handeln ist schon bei Kin<strong>der</strong>n einer sehr<br />
starken Differenzierung unterworfen. Wo bei<br />
Mädchen bei aggressivem Verhalten sehr schnell<br />
interveniert wird, geht es bei Jungen sehr häufig<br />
noch als normal durch. Jungen sind aktiver, sie<br />
versuchen in Raufereien „ihren Mann“ zu stehen<br />
und ernten wenig Kritik, manchmal sogar offene<br />
Zustimmung. Auf diese Weise bil<strong>den</strong> sich im Umgang<br />
mit Gewalt typisch weibliche und typisch<br />
männliche Verhaltensmuster. Der Meinung, dass<br />
Aggressivität ein angeborenes menschliches<br />
Verhaltensmuster ist, kann entgegengesetzt<br />
wer<strong>den</strong>, dass es daneben, wie im Ausdruck von<br />
Schmerz o<strong>der</strong> Hilflosigkeit, auch an<strong>der</strong>e mögliche<br />
Verhaltensmuster gibt. Es kommt nur darauf an,<br />
diese zu erlernen. Ein Problem für Jungen besteht<br />
allerdings darin, dass häufig die männlichen<br />
Vorbil<strong>der</strong> fehlen. Neben <strong>der</strong> Mutter wer<strong>den</strong> die<br />
Kin<strong>der</strong> von Babysitterinnen, Erzieherinnen in<br />
Kin<strong>der</strong>tagesstätten und Grundschullehrerinnen<br />
versorgt. Väter im Erziehungsurlaub sind immer<br />
noch relativ seltene Ausnahmen. Was männlich ist,<br />
lernen Jungen nicht von Vorbil<strong>der</strong>n. Aber von wem<br />
dann?<br />
Eine wichtige Rolle in <strong>der</strong> Sozialisation von Verhaltensweisen<br />
spielen Peergroups. Gerade im<br />
Miteinan<strong>der</strong>umgehen unter Jungen wer<strong>den</strong> bestimmte<br />
gewalttätige Rituale toleriert. Allerdings<br />
lassen sich nicht alle Peergruppen über einen<br />
Kamm scheren. Häufig wird abweichendes Verhalten<br />
sanktioniert. Hyperaktive und aggressive<br />
Jungen stehen auch in Gefahr, sozial isoliert zu<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_83<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Gewalt und Jungen (Jungen treten - Mädchen ziehen an <strong>den</strong> Haaren)<br />
Jugendgewalt<br />
Im Jugendalter spielt Gewalt eine noch größere<br />
Rolle als bei Kin<strong>der</strong>n. Ob die Gewalt von Jugendlichen<br />
unter Jugendlichen tatsächlich zugenommen<br />
hat, darüber gibt es in <strong>der</strong> Forschung keine Einigkeit.<br />
In Zeitungsberichten und im Fernsehen wird<br />
dieser Eindruck vermittelt. Auch die akute permanente<br />
Gewalt von Rechts verstärkt diesen Eindruck<br />
einer erhöhten Gewalt bei Jugendlichen. Ob sich<br />
die Formen <strong>der</strong> Gewalt bei Jugendlichen verän<strong>der</strong>t<br />
haben, ob wir durch eine intensivere Berichterstattung<br />
in <strong>den</strong> Medien <strong>den</strong> Eindruck haben, es gäbe<br />
mehr Gewalt unter männlichen Jugendlichen, o<strong>der</strong><br />
ob es tatsächlich wirklich mehr Gewalt gibt, das ist<br />
nicht klar zu beantworten. Tatsache ist, dass<br />
Gewalt vor allem bei männlichen Jugendlichen in<br />
einem hohen Maß vorkommt. Das ist ein immenser<br />
gesellschaftlicher Missstand.<br />
Gewalt war auch immer schon ein Aufbegehren<br />
gegen das Establishment, das beson<strong>der</strong>s von<br />
jungen Menschen bei<strong>der</strong>lei Geschlechts praktiziert<br />
wurde und war somit eine beson<strong>der</strong>e Form von<br />
jugendlicher Gewalt. Die politisch motivierte<br />
Gewalt rechter Jugendlicher gegen Auslän<strong>der</strong> und<br />
An<strong>der</strong>s<strong>den</strong>kende hat eine ganz an<strong>der</strong>e Brisanz,<br />
wenngleich auch hierbei das Aufbegehren gegen<br />
die Erwachsenengesellschaft und die Ohnmachtsgefühle<br />
verursachen<strong>den</strong> Strukturen eine Rolle<br />
spielen können. Die sich verän<strong>der</strong>nde gesellschaftliche<br />
Erfahrungswelt ist für Jugendliche<br />
unübersichtlicher und befrem<strong>den</strong><strong>der</strong> gewor<strong>den</strong>.<br />
Gerade bei Jungen bringen ein Verschwin<strong>den</strong> des<br />
traditionellen Männerbildes und die Schwierigkeiten<br />
auf dem Arbeitsmarkt immense Verunsicherungen<br />
mit sich, die sich auch in gewalttätigem<br />
Verhalten äußern können. Gründe für Gewalt, die<br />
in <strong>der</strong> Forschung diskutiert wer<strong>den</strong>, lassen sich<br />
beliebig fortführen. So gehören Armut, gesellschaftliche<br />
Ausgrenzung, gesellschaftlich-strukturelle<br />
Gewalt, ungünstige Familienverhältnisse,<br />
Politikverdrossenheit, Ohnmachtserfahrungen,<br />
84_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Orientierungslosigkeit und Vereinzelung durch<br />
Individualisierungsprozesse zu möglichen Ursachen<br />
für die Gewalt auf <strong>den</strong> Straßen. Auch die<br />
Gewalt im Fernsehen wird als Ursache diskutiert.<br />
In <strong>der</strong> Wahrnehmung, dass Gewalt ein normales<br />
Mittel zur Durchsetzung von Konflikten ist, kann<br />
sie die Einstellung des Konsumenten zur Gewalt<br />
beeinflussen. Diese Begründungen haben sicher<br />
ihre Berechtigung. Aber Mädchen reagieren auf<br />
diese Belastungen an<strong>der</strong>s als Jungen. Das heißt,<br />
es gibt auch noch geschlechtsspezifische Erklärungen,<br />
wieso Jungen auf diverse Probleme in<br />
ihrem Umfeld viel stärker mit Gewalt reagieren als<br />
Mädchen.<br />
Gewalt als Mittel <strong>der</strong><br />
I<strong>den</strong>titätsfindung<br />
Für sozial benachteiligte Jugendliche kann traditionelle<br />
Männlichkeit ein Versuch sein, ihre I<strong>den</strong>tität<br />
zu fin<strong>den</strong>, um <strong>den</strong> Fall in soziale Bedeutungslosigkeit<br />
und individuelle Leere zu verhin<strong>der</strong>n. Mut,<br />
Kampfbereitschaft, Darstellung <strong>der</strong> Kompetenz im<br />
Umgang mit Autos, Maschinen und Waffen, Negation<br />
von Gefühlen und eine durch Sprüche symbolisierte<br />
Abgrenzung zum an<strong>der</strong>en Geschlecht<br />
können als Aspekte <strong>der</strong> traditionellen Männlichkeit<br />
verstan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Ehre, Territorium und<br />
die eigenen Frauen wer<strong>den</strong> verteidigt, Schwule<br />
und Fremde müssen weg. Diesen Kriterien versuchen<br />
Jungen zu entsprechen, um sich in einer von<br />
Männern dominierten Kultur Respekt und Beachtung<br />
zu verschaffen. In <strong>der</strong> Gewalt mit sich bringen<strong>den</strong><br />
Ausprägung dieser Männlichkeit wird sie<br />
von <strong>der</strong> Gesellschaft gefürchtet und bekämpft.<br />
Gewalt als Erlebnis<br />
Die meisten rationalen Begründungen für Gewalt<br />
bei Jugendlichen, bei männlichen Jugendlichen,<br />
treffen nicht das Phänomen, dass Gewalt Spaß<br />
macht. Bekannt ist <strong>der</strong> Begriff „im Rausch <strong>der</strong><br />
Gewalt“. Das gewalttätige Auftreten von Hooligans
kann als Beispiel dienen. Mann geht zum Fußballspiel<br />
wegen <strong>der</strong> Action, <strong>der</strong> Randale am Rand. Erst<br />
haut man sich auf <strong>den</strong> Kopf, um später miteinan<strong>der</strong><br />
ein Bier trinken zu gehen. Nicht die Jugendlichen<br />
aus <strong>den</strong> unteren Schichten am Rande <strong>der</strong><br />
Gesellschaft, son<strong>der</strong>n ganz „normale“ junge<br />
Männer, die einen festen sozialen Status haben,<br />
lassen sich von <strong>der</strong> Gewalt berauschen. Gewalt<br />
kann hier als eine Aktion erlebt wer<strong>den</strong>, in <strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Jugendliche seinen Körper spürt. Manchmal<br />
scheint es, als ob Wut und Zerstörung das Einzige<br />
Ventil für unterdrückte Kraft und Lebendigkeit<br />
sind, und manchmal sieht es so aus, als ob Wut<br />
das Einzige sei, was Verän<strong>der</strong>ung möglich macht.<br />
Nach meiner Einschätzung handelt es sich hierbei<br />
um das Ausleben von Emotionen bei Männern, die<br />
aus welchen Grün<strong>den</strong> auch immer im emotionalen<br />
Bereich Defizite aufweisen. Den Spaßaspekt bei<br />
<strong>der</strong> Gewalt gibt es nur bei jungen Männern und<br />
nicht bei Mädchen und Frauen.<br />
Gewalt als Angstabwehr<br />
Gewalt und Jungen (Jungen treten - Mädchen ziehen an <strong>den</strong> Haaren)<br />
Sich in <strong>der</strong> Gewalt spüren, Angst und Ohnmachtsgefühle<br />
überwin<strong>den</strong> - wieso haben männliche<br />
Jugendliche das nötig und Mädchen und Frauen<br />
eher nicht?<br />
Jungen sind gleichaltrigen Mädchen oft unterlegen.<br />
Sei es bei <strong>den</strong> Schulleistungen o<strong>der</strong> durch<br />
<strong>den</strong> Reifevorsprung in <strong>der</strong> Pubertät. Wo es keine<br />
Möglichkeit gibt, das dadurch entstehende Ohnmachtsgefühl<br />
zu kompensieren, wird es durch die<br />
Form körperlicher Gewalt gegen Schwächere<br />
ausgelebt. Das dabei entstehende Machtgefühl<br />
hilft <strong>der</strong> Stärkung eines meist eher brüchigen<br />
Selbstwertgefühls. Unsicherheit und Überfor<strong>der</strong>ung<br />
wer<strong>den</strong> weg geprügelt. Verstärken kann sich<br />
dieses Problem in familiären und sexuellen Beziehungen.<br />
Gerade bei Männern, die sich ihrer<br />
Männlichkeit nicht ganz sicher sind, kann es zu<br />
beson<strong>der</strong>s herablassen<strong>den</strong>, aggressiven Verhaltensweisen<br />
kommen.<br />
Durch die Verankerung von <strong>der</strong> Gewalt in <strong>der</strong><br />
Jungenkultur und die mangelnde Fähigkeit vieler<br />
Jungen, mit ihren Bedürfnissen, Konflikten und<br />
Gefühlen (beson<strong>der</strong>s mit Angst und Hilflosigkeit)<br />
umzugehen, kommt es zur Männergewalt in allen<br />
Bereichen, in <strong>den</strong>en wir sie heute wahrnehmen.<br />
Solange es für Jungen und Männer nicht akzeptiert<br />
wird, Angst, Schmerz und Schwäche zu zeigen,<br />
bleiben die Gewaltbeziehungen unter Jungen<br />
bestehen.<br />
Wenn Jungen Opfer von Gewalt wer<strong>den</strong>, trauen sie<br />
sich häufig nicht, sich zu wehren und geben Gewalt<br />
an jüngere und schwächere Jungen weiter.<br />
Selbst schwere Misshandlungen wer<strong>den</strong> vor <strong>den</strong><br />
Eltern geheim gehalten. Das wäre nicht so, wenn<br />
das Verhältnis zum eigenen Körper nicht gestört<br />
wäre. Irgendwann macht eine Faust im Gesicht<br />
nichts mehr aus. Dann kommt zur Unempfindlichkeit<br />
gegenüber dem eigenen Schmerz noch die<br />
Unempfindlichkeit gegen <strong>den</strong> Schmerz überhaupt.<br />
Unsere Gesellschaft bietet Jungen wenig Möglichkeiten<br />
für „weiche Körpererfahrungen“. Neben<br />
Sport und Sex ist aggressives Verhalten eine<br />
immer noch akzeptierte Möglichkeit, Gefühle<br />
auszudrücken. Weil es an Möglichkeiten fehlt, die<br />
eigene Männlichkeit zu erleben, wer<strong>den</strong> riskante<br />
Handlungen und Gewalt zum Ventil. Gewalt lässt<br />
Jungen ihren Körper spüren.<br />
Konsequenzen für die<br />
Gewaltprävention<br />
Beim Verstehen vom Gewalt ist ebenso wie in <strong>der</strong><br />
praktischen Jugendarbeit zu berücksichtigen, dass<br />
Gewalt auch eine Form <strong>der</strong> Suche nach Männlichkeit<br />
darstellt. Auf Gewalt mit Sanktionen und<br />
<strong>Gegen</strong>gewalt zu reagieren, erscheint mir nur da<br />
sinnvoll, wo es um berechtigte Interessen des<br />
Opferschutzes geht. Sonst gilt für Gewaltprävention<br />
wie für Jugendarbeit im Allgemeinen, dass die<br />
Jugendlichen dort abgeholt wer<strong>den</strong>, wo sie stehen,<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_85<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Gewalt und Jungen (Jungen treten - Mädchen ziehen an <strong>den</strong> Haaren)<br />
dass sie selbst und ihre Bedürfnisse ernst genommen<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
Nötig ist eine beson<strong>der</strong>e Arbeit mit Jungen. Es<br />
ist wichtig, die Persönlichkeit <strong>der</strong> Jungen zu stärken<br />
und Orientierungshilfen zu geben. Hier sind<br />
männliche Vorbil<strong>der</strong> gefragt. Jungen brauchen die<br />
Möglichkeit, ihre Körper zu spüren und Gefühle<br />
auszudrücken. Erlebnis- und Abenteuerpädagogik,<br />
aber auch Theater- und Spielpädagogik bieten<br />
Handlungsansätze. Um in unserer Gesellschaft<br />
Männlichkeit positiv zu erleben, benötigen Jungen<br />
die Erfahrungen, Anregungen und Unterstützung<br />
von Männern, die Lust haben, sich mit ihnen zu<br />
beschäftigen.<br />
Gottfried Labuhn<br />
Literatur:<br />
Rohrmann, Timm:<br />
Junge, Junge - Mann, o Mann - Die Entwicklung zur<br />
Männlichkeit. Hamburg, 1994<br />
Buskotte, Andrea:<br />
Gewalt - (k)eine reine Männersache? In: JUGEND -<br />
GEWALT - UND KEIN ENDE? Hrsg. Landesstelle<br />
Jugendschutz in Hannover. Hannover, 1999<br />
86_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …
›› Der Herr <strong>der</strong><br />
Heerscharen
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />
„Meine Faust will in sein Gesicht – und darf nicht,<br />
und darf nicht“ – Herbert Grönemeyer bringt in<br />
seinem Song „Was soll das“ die Ambivalenz des<br />
mo<strong>der</strong>nen Menschen in Bezug auf Gewalt auf <strong>den</strong><br />
Punkt. Einmal ist Gewalt verpönt – statt zuschlagen<br />
lieber miteinan<strong>der</strong> re<strong>den</strong>, statt Krieg führen<br />
lieber verhandeln. Aber an<strong>der</strong>erseits gibt es da<br />
noch die Ebene <strong>der</strong> Emotionen, die im Falle eines<br />
Falles nur mühsam im Zaum gehalten wer<strong>den</strong><br />
können. Diese Form <strong>der</strong> Begeisterung, die das<br />
Innere aufwühlt und durcheinan<strong>der</strong> bringt, die<br />
vor Wut schäumen lässt, die eine Spannung<br />
aufbaut, die sich so gerne in einem Gewaltakt<br />
entla<strong>den</strong> möchte. Bisweilen versagt die kulturelle<br />
Kontrolle und die Faust landet tatsächlich<br />
im Gesicht des Nebenbuhlers. Dieses „… und<br />
darf nicht!“ hat seine Geschichte. Diese moralische<br />
Ächtung von Gewalt als Mittel zur Lösung<br />
von Beziehungsproblemen im zwischenmenschlichen<br />
wie auch zwischenstaatlichen Bereich ist<br />
historisch gewachsen und zu einem großen Teil<br />
auch religiös motiviert. Wie sieht es mit dieser<br />
religiösen Motivation aus? Aus welchen Traditionen<br />
stammt sie? Wie gehen die bei<strong>den</strong> Testamente<br />
des christlichen Glauben mit <strong>der</strong> Gewaltfrage<br />
um?<br />
Von Pazifismus keine Spur?<br />
Wer in unserer Zeit das Alte Testament liest, wird<br />
an vielen Stellen die Stirn runzeln und sich fragen,<br />
welcher Gott kommt <strong>den</strong>n da auf mich zu.<br />
Alles an<strong>der</strong>e als friedlich und sanftmütig mischt<br />
er sich in die Geschichte seines Volkes ein. Wenn<br />
er will, schickt er seinen Geist in Gestalt eines<br />
Engels zu einem friedlich vor sich hindreschen<strong>den</strong><br />
Ackerbauern und beruft ihn zum Strategen<br />
und Kämpfer gegen plün<strong>der</strong>nde Reitervölker<br />
(Richter 6,11ff.), o<strong>der</strong> er lässt durch seinen Propheten<br />
die Priester eines Konkurrenzgottes<br />
abschlachten (1.Kön.19). Statt entschie<strong>den</strong> die<br />
Ablehnung von Gewalt zu propagieren, zeugen<br />
viele Geschichten des Alten Testamentes eher<br />
88_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
von einem unverkrampften Verhältnis dazu. Wie<br />
selbstverständlich können die Dichter mancher<br />
Psalmen in ihren Rachegedanken schwelgen (z.B.<br />
Psalm 137). Was ist das für ein Gott, <strong>der</strong> auf dem<br />
Schlachtfeld mitmischt, <strong>der</strong> seinen Geist ausschickt,<br />
um Kämpfern zum Sieg zu verhelfen, statt<br />
sie in <strong>den</strong> Strategien zur Gewaltvermeidung zu<br />
unterweisen?<br />
Nun, zunächst muss man be<strong>den</strong>ken, dass <strong>der</strong><br />
Gott des Volkes Israel es recht schwer hatte, was<br />
Bekanntheitsgrad und Verehrungsmasse betraf.<br />
Er war im Grunde genommen genauso bedeutend<br />
wie das Volk, von dem er angebetet wurde.<br />
Diese Bedeutung hielt sich in Grenzen. Und diese<br />
Grenzen waren markiert von an<strong>der</strong>en Völkern,<br />
die Bedeuten<strong>der</strong> waren und entsprechend bedeuten<strong>der</strong>e<br />
Gottheiten verehrten. Ägypten, Babylon,<br />
Assyrien – Großreiche mit militärischer Macht<br />
und <strong>der</strong> Lizenz zu unterdrücken. Macht und Religion<br />
gingen Hand in Hand – je größer <strong>der</strong> militärische<br />
Erfolg, desto größer die Gottheit, die<br />
diesen Erfolg veranlasst o<strong>der</strong> zumindest begleitet<br />
hatte. Das Schlachtfeld war auch <strong>der</strong> Kampfplatz<br />
<strong>der</strong> Gottheiten – nicht nur vor <strong>den</strong> Toren<br />
Trojas, son<strong>der</strong>n überall im antiken Vor<strong>der</strong>asien<br />
bzw. Nordafrika. Ein besiegtes Volk hatte entwe<strong>der</strong><br />
eine schwache Gottheit, die ihm nicht helfen<br />
konnte, o<strong>der</strong> eine ärgerliche Gottheit, die mit<br />
seinem Volk aus bekannten o<strong>der</strong> unbekannten<br />
Grün<strong>den</strong> unzufrie<strong>den</strong> war (zu wenig Opfer, zu lasches<br />
Geboteeinhalten, zu viel Interesse an an<strong>der</strong>en<br />
Göttinnen und Göttern, etc.). Im Bewusstsein<br />
<strong>der</strong> Menschen war das eigene Überleben an die<br />
Macht und das Wohlwollen <strong>der</strong> Gottheit gebun<strong>den</strong>.<br />
Ein starker Gott hilft einem<br />
schwachen Volk: Showdown am<br />
Schilfmeer<br />
Das Urdatum <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Volkes Israel war<br />
seine wun<strong>der</strong>same Errettung bei seinem Auszug
Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />
aus Ägypten. In <strong>der</strong> größten Bedrohung durch die<br />
Streitwagen <strong>der</strong> verfolgen<strong>den</strong> Ägypter tut sich dem<br />
fliehen<strong>den</strong> Volk das Schilfmeer auf. Trockenen<br />
Fußes können sie dem drohen<strong>den</strong> Gemetzel entkommen.<br />
Pech hatten die militärisch überlegenen<br />
Ägypter:<br />
2.Mose 15,19-21: Denn <strong>der</strong> Pharao zog hinein ins<br />
Meer mit Rossen und Wagen und Männern. Und<br />
<strong>der</strong> HERR ließ das Meer wie<strong>der</strong> über sie kommen.<br />
Aber die Israeliten gingen trocken mitten durchs<br />
Meer. Da nahm Mirjam, die Prophetin, Aarons<br />
Schwester, eine Pauke in ihre Hand, und alle<br />
Frauen folgten ihr nach mit Pauken im Reigen. Und<br />
Mirjam sang ihnen vor: Lasst uns dem HERRN<br />
singen, <strong>den</strong>n er hat eine herrliche Tat getan, Ross<br />
und Mann hat er ins Meer gestürzt.<br />
Unter dem Gesichtspunkt des Überlebens wird<br />
die Begeisterung angesichts des jämmerlichen<br />
Ersaufens <strong>der</strong> ägyptischen Heerscharen mit ihren<br />
gefährlichen Streitwagen verständlich: normalerweise<br />
hatten die Ägypter und ihre Gottheiten<br />
das Sagen und die Macht. Die Israeliten als kleine<br />
geduldete Volksgruppe, die sich gut zu Sklavenarbeit<br />
pressen ließ, hatten angesichts <strong>der</strong> Übermacht<br />
eigentlich wenig Aussicht aufs Überleben.<br />
Die Ägypter hatten die größeren Tempel und die<br />
mächtigeren Krieger. Doch plötzlich wendet sich<br />
das Blatt und <strong>der</strong> bis dahin namenlose Gott <strong>der</strong><br />
Israeliten zeigt, was in ihm steckt. Der „Ich bin“<br />
rettet sein erwähltes Volk vor dem sicheren Untergang.<br />
Mag man über die Metho<strong>den</strong> dieser Rettung<br />
auch geteilter Meinung sein – des einen Rettung,<br />
des an<strong>der</strong>en Untergang – es hätte evtl. auch elegantere<br />
Lösungen geben können und schließlich<br />
waren auch viele <strong>der</strong> Kriegswagenlenker Familienväter<br />
– so tritt doch mit diesem Ereignis ein Wandel<br />
in <strong>der</strong> theologischen Reflexion ein: fortan gilt<br />
nicht mehr die Gleichung: großes, starkes, bedeutendes<br />
Volk gleich große, starke, bedeutende<br />
Götter. Vielmehr dürfen ab jetzt gerade die Unterdrückten<br />
auf Hilfe hoffen.<br />
Eine betende Terminatorin: Judit<br />
Frauen konnten sich nicht nur über die Siege<br />
freuen – sie hatten bisweilen auch handfesten<br />
Anteil daran. Im Buch Judit wird erzählt, wie die<br />
Titelheldin mit Gottes Hilfe <strong>den</strong> schrecklichen<br />
Feldherrn Holofernes enthauptet:<br />
Judit 13,7-10: Nach diesem Gebet trat sie zu <strong>der</strong><br />
Säule oben an seinem Bett und griff nach seinem<br />
Schwert, das dort hing, zog es heraus, ergriff ihn<br />
beim Schopf und betete abermals: Herr, Gott<br />
Israels, stärke mich in dieser Stunde! Darauf stach<br />
sie ihn zweimal mit ganzer Kraft in <strong>den</strong> Hals und<br />
schnitt ihm <strong>den</strong> Kopf ab. Danach wälzte sie <strong>den</strong><br />
Körper aus dem Bett und nahm das Netz von <strong>den</strong><br />
Säulen herunter. Kurz darauf ging sie hinaus und<br />
gab das Haupt des Holofernes ihrer Magd, damit<br />
sie es in ihren Sack steckte.<br />
Im Gebet bereitet sich Judit auf die Gewalttat vor –<br />
auch wenn es sich um die Befreiung von einem<br />
gefährlichen Unterdrücker und Plün<strong>der</strong>er handelte,<br />
bleibt die Verbindung von Spiritualität und<br />
Gewalt befremdlich: beten bevor man mordet?<br />
O<strong>der</strong> vielleicht ist das auch gar nicht so befremdlich.<br />
Schließlich ist es schon ein Akt, das Lebenslicht<br />
eines an<strong>der</strong>en Menschen auszulösen. Tief in<br />
uns greifen noch die Mechanismen unseres animalischen<br />
Erbes, die uns eigentlich davor bewahren<br />
sollten, Artgenossen auszuschalten. Diese Hemmungen<br />
gilt es zu überwin<strong>den</strong>, will frau die eigene<br />
Stadt vor dem Aggressor schützen. Es braucht eine<br />
Form von „Begeisterung“, <strong>der</strong> Einstimmung in die<br />
Tat, die ohne innere Zustimmung nicht begangen<br />
wer<strong>den</strong> kann. Im Gebet wird diese Selbstvergewisserung<br />
gesucht. Der Gott, <strong>der</strong> am Sinai unter<br />
an<strong>der</strong>em „Du sollst nicht töten“ gesprochen hat,<br />
muss anscheinend einbezogen wer<strong>den</strong>, wenn<br />
Gewaltlösungen als ultima ratio notwendig wer<strong>den</strong>.<br />
Im Gebet wer<strong>den</strong> Kraft und Erlaubnis zur<br />
Überwindung <strong>der</strong> natürlichen Hemmung gesucht<br />
und gefun<strong>den</strong>. Die Ausführende wird damit zum<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_89<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />
Medium des Eingreifens Gottes zum Schutz seines<br />
Volkes.<br />
Begeisterung macht stark: Simson<br />
In <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> sogenannten „Landnahme“, also<br />
des allmählichen Zusammenwachsens und Ausbreitens<br />
<strong>der</strong> Stämme, die sich dann zum Volk<br />
Israel zählten, hat es eine Vielzahl von Konflikten<br />
gegeben. Konfliktgegner waren die „Philister“ –<br />
ein Sammelbegriff für an<strong>der</strong>e Bevölkerungsgruppen,<br />
die schon in dem Land lebten, das die<br />
Stämme Israels für sich beanspruchten. Das<br />
Kriegsglück war häufig auf Seiten <strong>der</strong> Philister.<br />
Dann konnte es aber geschehen, dass Gott sich<br />
einen Menschen auswählte, um durch seine Hilfe<br />
sein Volk zu retten. Die sogenannten „Richter“<br />
sind Männer und Frauen, die zu ungewöhnlichen<br />
Taten fähig wur<strong>den</strong>. Allerdings hatten sie diese<br />
Fähigkeiten nicht aus sich selbst heraus. Vielmehr<br />
war es Gottes Geist, <strong>der</strong> sie ergriff und<br />
ihnen strategisches Wissen o<strong>der</strong> übermenschliche<br />
Kampfkraft verlieh.<br />
Richter 15,9-20: Da zogen die Philister hinauf und<br />
lagerten sich in Juda und breiteten sich aus bei<br />
Lehi. Aber die von Juda sprachen: Warum seid ihr<br />
gegen uns heraufgezogen? Sie antworteten: Wir<br />
sind heraufgekommen, Simson zu bin<strong>den</strong>, dass<br />
wir ihm tun, wie er uns getan hat. Da zogen dreitausend<br />
Mann von Juda hinab in die Felsenkluft zu<br />
Etam und sprachen zu Simson: Weißt du nicht,<br />
dass die Philister über uns herrschen? Warum hast<br />
du uns <strong>den</strong>n das angetan? Er sprach zu ihnen: Wie<br />
sie mir getan haben, so hab ich ihnen wie<strong>der</strong><br />
getan. Sie sprachen zu ihm: Wir sind herabgekommen,<br />
dich zu bin<strong>den</strong> und in die Hände <strong>der</strong> Philister<br />
zu geben. Simson sprach zu ihnen: So schwört mir,<br />
dass ihr selber mir nichts antun wollt. Sie antworteten<br />
ihm: Nein, son<strong>der</strong>n wir wollen dich nur<br />
bin<strong>den</strong> und in ihre Hände geben und wollen dich<br />
nicht töten. Und sie ban<strong>den</strong> ihn mit zwei neuen<br />
Stricken und führten ihn aus <strong>der</strong> Felsenkluft hin-<br />
90_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
auf. Und als er nach Lehi kam, jauchzten die Philister<br />
ihm entgegen. Aber <strong>der</strong> Geist des HERRN geriet<br />
über ihn, und die Stricke an seinen Armen wur<strong>den</strong><br />
wie Fä<strong>den</strong>, die das Feuer versengt hat, so dass die<br />
Fesseln an seinen Hän<strong>den</strong> zerschmolzen. Und er<br />
fand einen frischen Eselskinnbacken. Da streckte<br />
er seine Hand aus und nahm ihn und erschlug<br />
damit tausend Mann.<br />
Von <strong>der</strong> Begeisterung zur Gewalt – spannen<strong>der</strong><br />
geht’s nicht mehr. Simson, eine Art Bud Spencer<br />
des Alten Testamentes, wird nach diversen Streichen<br />
und Fiaskos, die er <strong>den</strong> Philistern angetan<br />
hat, von <strong>den</strong> eigenen Leuten an seine Feinde<br />
ausgeliefert. Aber die freuen sich wie<strong>der</strong> einmal zu<br />
früh – sie rechnen nicht mit <strong>der</strong> Kraft <strong>der</strong> Begeisterung.<br />
Nicht nur Wut o<strong>der</strong> menschlicher Überlebenswille<br />
treiben Simson an, es ist die göttliche<br />
Kraft, die in ihm <strong>den</strong> Blutrausch wirkt. Tausend<br />
Mann <strong>der</strong> Philister bekommen es zu spüren wie<br />
das ist, wenn die Kraft des Herrn in einem Menschen<br />
brennt und <strong>der</strong> Unterkiefer eines Eselsskeletts<br />
in greifbarer Nähe ist.<br />
In <strong>der</strong> theologischen Reflexion wird Gewalt nicht<br />
grundsätzlich problematisiert. Sie steht in <strong>der</strong><br />
rückblicken<strong>den</strong> Geschichtsbetrachtung <strong>der</strong> Deuteronomisten<br />
(5.Mose bis 2.Könige) in einem<br />
engen Zusammenhang mit dem Eingreifen Gottes<br />
in die Geschichte seines Volkes. Dieses Eingreifen<br />
geht nach einem recht einfachen Schema vor sich:<br />
wenn Israel sich an die Satzungen und Gebote<br />
Gottes hält und ihn allein verehrt, dann führt sein<br />
Geist zu Kampf und Sieg. Ist Israel dagegen <strong>den</strong><br />
Geboten und Gott untreu, dann zieht Gott seinen<br />
Geist zurück und die Philister dürfen wie<strong>der</strong> über<br />
das Volk herfallen und es knechten. So lange, bis<br />
es sich bessert.<br />
Die jugendliche Geheimwaffe: David<br />
Kriegsglück ist Gnade und Segen Gottes, ist Teil<br />
des Schutzes, <strong>den</strong> Gott seinem Volk gewährt.
Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />
Bisweilen sind es recht merkwürdige Umstände<br />
unter <strong>den</strong>en Israel diesen Schutz erfährt. Seine<br />
Feinde einfach nur besiegen kann je<strong>der</strong> mit entsprechen<strong>der</strong><br />
Rüstung und Ausbildung und Taktik.<br />
Aber das Schlachtfeld ist immer auch Ort <strong>der</strong><br />
Gotteserfahrung. Und die wird um so stärker, je<br />
aussichtsloser die Situation ist. Sich auf diesen<br />
Gott zu verlassen und auf seine Hilfe zu vertrauen<br />
ist wichtiger als die zahlen- o<strong>der</strong> kräftemäßige<br />
Überlegenheit. In <strong>der</strong> rückschauen<strong>den</strong> Erzählung<br />
über die großen Taten <strong>der</strong> Vorfahren wird Gott als<br />
Helfer auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Kleinen und Schwachen<br />
gesehen.<br />
1.Sam.17,39-51: Und David gürtete Sauls Schwert<br />
über seine Rüstung und mühte sich vergeblich,<br />
damit zu gehen; <strong>den</strong>n er hatte es noch nie versucht.<br />
Da sprach David zu Saul: Ich kann so nicht<br />
gehen, <strong>den</strong>n ich bin’s nicht gewohnt; und er legte<br />
es ab und nahm seinen Stab in die Hand und<br />
wählte fünf glatte Steine aus dem Bach und tat sie<br />
in die Hirtentasche, die ihm als Köcher diente, und<br />
nahm die Schleu<strong>der</strong> in die Hand und ging dem<br />
Philister entgegen. Der Philister aber kam immer<br />
näher an David heran, und sein Schildträger ging<br />
vor ihm her. Als nun <strong>der</strong> Philister aufsah und David<br />
anschaute, verachtete er ihn; <strong>den</strong>n er war noch<br />
jung, und er war bräunlich und schön. Und <strong>der</strong><br />
Philister sprach zu David: Bin ich <strong>den</strong>n ein Hund,<br />
dass du mit Stecken zu mir kommst? Und <strong>der</strong><br />
Philister fluchte dem David bei seinem Gott und<br />
sprach zu David: Komm her zu mir, ich will dein<br />
Fleisch <strong>den</strong> Vögeln unter dem Himmel geben und<br />
<strong>den</strong> Tieren auf dem Felde. David aber sprach zu<br />
dem Philister: Du kommst zu mir mit Schwert,<br />
Lanze und Spieß, ich aber komme zu dir im Namen<br />
des HERRN Zebaoth, des Gottes des Heeres Israels,<br />
<strong>den</strong> du verhöhnt hast. Heute wird dich <strong>der</strong><br />
HERR in meine Hand geben, dass ich dich erschlage<br />
und dir <strong>den</strong> Kopf abhaue und gebe deinen<br />
Leichnam und die Leichname des Heeres <strong>der</strong><br />
Philister heute <strong>den</strong> Vögeln unter dem Himmel und<br />
dem Wild auf <strong>der</strong> Erde, damit alle Welt innewerde,<br />
dass Israel einen Gott hat, und damit diese ganze<br />
Gemeinde innewerde, dass <strong>der</strong> HERR nicht durch<br />
Schwert o<strong>der</strong> Spieß hilft; <strong>den</strong>n <strong>der</strong> Krieg ist des<br />
HERRN, und er wird euch in unsere Hände geben.<br />
Als sich nun <strong>der</strong> Philister aufmachte und daherging<br />
und sich David nahte, lief David eilends von<br />
<strong>der</strong> Schlachtreihe dem Philister entgegen. Und<br />
David tat seine Hand in die Hirtentasche und nahm<br />
einen Stein daraus und schleu<strong>der</strong>te ihn und traf<br />
<strong>den</strong> Philister an die Stirn, dass <strong>der</strong> Stein in seine<br />
Stirn fuhr und er zur Erde fiel auf sein Angesicht.<br />
So überwand David <strong>den</strong> Philister mit Schleu<strong>der</strong><br />
und Stein und traf und tötete ihn. David aber hatte<br />
kein Schwert in seiner Hand. Da lief er hin und trat<br />
zu dem Philister und nahm dessen Schwert und<br />
zog es aus <strong>der</strong> Scheide und tötete ihn vollends<br />
und hieb ihm <strong>den</strong> Kopf damit ab. Als aber die<br />
Philister sahen, dass ihr Stärkster tot war, flohen<br />
sie.<br />
Auch nicht gerade eine Geschichte für das Lesebuch<br />
zur Überwindung von Gewalt. Man darf aber<br />
nicht vergessen, dass sie aus einer Zeit stammte,<br />
in <strong>der</strong> Spiele ohne Sieger noch kein Thema waren.<br />
Sieg o<strong>der</strong> Untergang war die Alternative für die<br />
Sippen und Clans, die in Palästina um Wasser und<br />
Weideland stritten. Eine Kampfmaschine wie<br />
Goliath brachte im Kampf ums Überleben natürlich<br />
entschei<strong>den</strong>de Vorteile für <strong>den</strong> eigenen Stamm.<br />
Aber Rüstung und Waffen helfen nicht gegen einen<br />
Gott, <strong>der</strong> „Jahwe Zebaoth“ heißt – <strong>der</strong> Gott <strong>der</strong><br />
Heerscharen, <strong>der</strong> Schlachtreihen Israels. Gott<br />
steht auf <strong>der</strong> Seite <strong>der</strong> Schwachen und wendet<br />
sogar aussichtslose Situationen wie diesen ungleichen<br />
Zweikampf.<br />
Größe und Größenwahn<br />
Mit David beginnt aber auch ein neuer Abschnitt<br />
in <strong>der</strong> Geschichte Israels. Aus dem lockeren Verband<br />
mehrerer Sippen und Stämme entwickelt<br />
sich ein Zentralstaat mit dem König an <strong>der</strong> Spitze.<br />
Eine straffere militärische Organisation wird zur<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_91<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />
Grundlage für Eroberungen und Unterdrückung<br />
<strong>der</strong> Nachbarvölker. Die Vielzahl <strong>der</strong> kleinen Konflikte<br />
um Äcker und Beute wird abgelöst durch<br />
stabilere Verhältnisse – gegen die militärische<br />
Überlegenheit Israels kommen die kleineren<br />
Nachbarvölker nicht gegen an. In Palästina ist<br />
Israel zur einflussreichen Großmacht aufgestiegen.<br />
Das gibt einerseits Ruhe in <strong>der</strong> Region, an<strong>der</strong>erseits<br />
aber ruft es auch an<strong>der</strong>e Großmächte<br />
als neue Konfliktpartner auf <strong>den</strong> Plan. Ägypten,<br />
Assyrien und Babylonien wechselten sich in <strong>den</strong><br />
Jahrhun<strong>der</strong>ten als Gegner ab. Mit <strong>den</strong>en kann man<br />
aber besser ins Geschäft kommen als mit irgendwelchen<br />
marodieren<strong>den</strong> Räuberban<strong>den</strong>. Das heißt,<br />
dass Politik zunehmend an Bedeutung gewinnt. Es<br />
wird möglich, Machtgefüge durch geschickte<br />
Diplomatie auszubalancieren. Wer regelmäßig<br />
Tribut zahlt, <strong>der</strong> kann auch einigermaßen in Frie<strong>den</strong><br />
leben. Wer dagegen auf militärische Stärke<br />
setzt, geht das Risiko ein, dass das Imperium<br />
zurückschlägt. Das Nordreich Israels hatte das 722<br />
v.Chr. schmerzhaft erfahren müssen, als es gegen<br />
die Oberherrschaft <strong>der</strong> Assyrer rebellierte. Nach<br />
<strong>der</strong> militärischen Nie<strong>der</strong>lage gingen die Menschen<br />
in die Deportation und das Reich hörte auf zu<br />
existieren. Statt auf Waffen, Wagen und Wehrhaftigkeit<br />
zu setzen, wer<strong>den</strong> in <strong>der</strong> theologischen<br />
Reflexion verstärkt intelligente Wege zur Frie<strong>den</strong>sbewahrung<br />
und Deeskalation bedacht. Vor allem<br />
in <strong>der</strong> Verkündigung <strong>der</strong> Propheten tauchen immer<br />
wie<strong>der</strong> kritische Stimmen auf, die davor warnen,<br />
sich auf militärische Abenteuer einzulassen.<br />
Jesaja 31,1-3: Weh <strong>den</strong>en, die hinabziehen nach<br />
Ägypten um Hilfe und, sich verlassen auf Rosse<br />
und hoffen auf Wagen, weil ihrer viele sind, und<br />
auf Gespanne, weil sie sehr stark sind! Aber sie<br />
halten sich nicht zum Heiligen Israels und fragen<br />
nichts nach dem HERRN. Aber auch er ist weise<br />
und bringt Unheil herbei und nimmt seine Worte<br />
nicht zurück, son<strong>der</strong>n wird sich aufmachen wi<strong>der</strong><br />
das Haus <strong>der</strong> Bösen und wi<strong>der</strong> die Hilfe <strong>der</strong> Übeltäter.<br />
Denn Ägypten ist Mensch und nicht Gott,<br />
92_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
und seine Rosse sind Fleisch und nicht Geist. Und<br />
<strong>der</strong> HERR wird seine Hand ausstrecken, so dass<br />
<strong>der</strong> Helfer strauchelt und <strong>der</strong>, dem geholfen wird,<br />
fällt und alle miteinan<strong>der</strong> umkommen.<br />
Plötzlich geht es nicht mehr einfach nur darum,<br />
dass Gott seinen Segen zu einer militärischen<br />
Unternehmung gibt und die Schlachtreihen Israels<br />
siegreich bleiben. Jetzt gibt es so etwas wie einen<br />
übergeordneten Gedanken, bei dem die Sinnhaftigkeit<br />
des Tuns über <strong>den</strong> göttlichen Beistand<br />
entscheidet. Mit <strong>den</strong> Ägyptern ein Bündnis einzugehen,<br />
um eventuell <strong>den</strong> Assyrern die Stirn zu<br />
bieten, ist ein riskantes militärisches und politisches<br />
Abenteuer. Jesaja warnt seinen König Hiskia<br />
davor, sich in dieses Abenteuer zu begeben. Der<br />
Gott Israels steht darin nicht automatisch auf<br />
seiner Seite. Es kann sogar sein, dass Gott sich<br />
des Assyrerkönigs Sanherib (705-681 v.Chr.) bedient,<br />
um sein Volk für die Gottvergessenheit<br />
seines Königs zu strafen.<br />
Rohrstockpädagogik im Kleinen ...<br />
Aber Gewalt ist nicht nur ein Phänomen des Überlebenskampfes<br />
<strong>der</strong> Sippen und Staaten gewesen.<br />
Sie ereignet sich nicht nur in Einzelkämpfen und auf<br />
Schlachtfel<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n ist alltäglicher Bestandteil<br />
in Erziehung und Rechtssprechung. Wo es an<br />
Gehorsam mangelt, kann selbstverständlich Gewalt<br />
eingesetzt wer<strong>den</strong>, um ihn zu erzwingen. Wo<br />
eine Schuld begangen wird, muss selbstverständlich<br />
eine entsprechende Strafe verhängt wer<strong>den</strong> –<br />
das ist ein wichtiges Prinzip nach dem das Alte<br />
Testament das Zusammenleben <strong>der</strong> Menschen regelt.<br />
Eine Fülle von Geboten und Vorschriften beschreiben,<br />
wie im Einzelnen verfahren wer<strong>den</strong> soll,<br />
wenn jemand sich außerhalb des zulässigen Verhaltens<br />
bewegt. Die Anweisungen darüber, wie dann<br />
zu verfahren sei, waren nicht gerade zimperlich.<br />
5.Mose 21,18 Wenn jemand einen wi<strong>der</strong>spenstigen<br />
und ungehorsamen Sohn hat, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Stimme
Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />
seines Vaters und seiner Mutter nicht gehorcht<br />
und auch, wenn sie ihn züchtigen, ihnen nicht<br />
gehorchen will, so sollen ihn Vater und Mutter<br />
ergreifen und zu <strong>den</strong> Ältesten <strong>der</strong> Stadt führen und<br />
zu dem Tor des Ortes und zu <strong>den</strong> Ältesten <strong>der</strong><br />
Stadt sagen: Dieser unser Sohn ist wi<strong>der</strong>spenstig<br />
und ungehorsam und gehorcht unserer Stimme<br />
nicht und ist ein Prasser und Trunkenbold. So<br />
sollen ihn steinigen alle Leute seiner Stadt, dass<br />
er sterbe, und du sollst so das Böse aus deiner<br />
Mitte wegtun, dass ganz Israel aufhorche und sich<br />
fürchte.<br />
Gewalt war legitim als pädagogisches Mittel bis<br />
hin zur Todesstrafe selbst gegen die eigene Nachkommenschaft.<br />
Für das, was jemand verbrochen<br />
hat, muss ihm auch Vergeltung wi<strong>der</strong>fahren, sonst<br />
gerät die Gesellschaft aus <strong>der</strong> Ordnung. „Auge um<br />
Auge, Zahn um Zahn“ ist das bekannte Schlagwort<br />
des ius talionis, des Vergeltungsrechtes. Zu be<strong>den</strong>ken<br />
ist, dass diese gesetzlichen Regelungen<br />
immerhin schon eine kulturelle Errungenschaft<br />
sind, indem sie einer ungezügelten Rache ein<br />
geregeltes Verfahren <strong>der</strong> Vergeltung gegenüberstellten.<br />
Gewalt soll begrenzt wer<strong>den</strong> und nicht<br />
unkontrolliert hervorbrechen.<br />
...und im Großen<br />
Wessen alltägliches Leben so von Gewalt geprägt<br />
ist, wer durch die Drohung von Strafe auf geordneten<br />
Lebensbahnen gehalten wird, für <strong>den</strong> wird<br />
auch Gott in Gleicherweise sein Handeln in <strong>der</strong><br />
Welt gestalten. Die geschichtlichen Ereignisse und<br />
Katastrophen sind dann durch Gottes Handeln<br />
heraufgeführt. Das Schema ist einfach: Gnade<br />
zeigt sich in siegreichen Unternehmungen, wenn<br />
sich das Volk an die Gebote hält. Wenn das Volk<br />
die Gebote verachtet, schickt Gott militärische<br />
Nie<strong>der</strong>lagen, Eroberungen und Plün<strong>der</strong>ungen. Gott<br />
hält Gericht und straft sein Volk – so deuten die<br />
Geschichtstheologen das Auf und Ab von Sieg und<br />
Nie<strong>der</strong>lage vom Anfang <strong>der</strong> Eroberung des gelob-<br />
ten Landes bis hin zu <strong>der</strong> großen Katastrophe von<br />
586 v.Chr. als die Neubabylonier unter Nebukadnezar<br />
Jerusalem erobern und <strong>den</strong> Tempel zerstören.<br />
2.Kön.24,18-20: Einundzwanzig Jahre alt war<br />
Zedekia, als er König wurde; und er regierte elf<br />
Jahre zu Jerusalem. Seine Mutter hieß Hamutal,<br />
eine Tochter Jirmejas aus Libna. Und er tat, was<br />
dem HERRN missfiel, wie Jojakim getan hatte.<br />
Denn so geschah es mit Jerusalem und Juda um<br />
des Zornes des HERRN willen, bis er sie von seinem<br />
Angesicht wegstieß.<br />
Es hatte nur wenige Zeiten gegeben, in <strong>den</strong>en „von<br />
Dan bis Beersheba“ ein je<strong>der</strong> unter seinem Feigenbaum<br />
und Weinstock in Frie<strong>den</strong> sitzen konnte.<br />
Gewalt ist immer eine Bedrohung gewesen und<br />
oftmals hatte das Volk darunter zu lei<strong>den</strong>. Wenn<br />
<strong>der</strong> „Hüter Israels“ wirklich nicht schläft und<br />
schlummert (Psalm 121,4), dann musste man<br />
irgendwie erklären, weshalb immer wie<strong>der</strong> fremde<br />
Mächte sich nicht davon abbringen ließen, mit<br />
ihren Kriegsheeren durchs Land zu ziehen. Die<br />
Deutung <strong>der</strong> kleinen und großen Katastrophen als<br />
Strafe für unbotmäßiges Verhalten von Volk und<br />
König ist schnell bei <strong>der</strong> Hand. Zudem korrespondiert<br />
sie mit <strong>den</strong> Alltagserfahrungen von Gewalt<br />
als Strafe für Verfehlungen und Übertretungen <strong>der</strong><br />
Gebote.<br />
Der an<strong>der</strong>e Gott<br />
Trotzdem: neben <strong>den</strong> Erzählungen von dem gewaltigen<br />
und gewalttätigen Gott fin<strong>den</strong> sich auch<br />
noch ganz an<strong>der</strong>e Seiten seines Wesens beschrieben.<br />
Da ist <strong>der</strong> Gott, <strong>der</strong> <strong>den</strong> Kain wegen seines<br />
Mordes an seinem Bru<strong>der</strong> Abel nicht tötet, son<strong>der</strong>n<br />
ihm sein Leben lässt. Statt Todesstrafe nur<br />
lebenslänglich eine unstete und flüchtige Existenz.<br />
Da ist <strong>der</strong> Gott, <strong>der</strong>, nach dem fast hun<strong>der</strong>tprozentigen<br />
Auslöschen <strong>der</strong> Menschheit durch die Sintflut,<br />
plötzlich Gewissenbisse bekommt und sich<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_93<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />
ernsthaft vornimmt, nie wie<strong>der</strong> so zu strafen. Es<br />
scheint neben <strong>der</strong> Rede von dem eifern<strong>den</strong> Gott<br />
auch noch <strong>den</strong> Gedanken an einen Gott zu geben,<br />
<strong>der</strong> in unmenschlicher o<strong>der</strong> besser übermenschlicher<br />
Weise seinen Geschöpfen Nachsichtigkeit<br />
gewährt.<br />
Spuren dieser an<strong>der</strong>en Seite Gottes fin<strong>den</strong> sich an<br />
vielen Stellen. So gibt es z.B. in <strong>den</strong> Kriegsgesetzen<br />
neben <strong>den</strong> Anweisungen darüber, wie die<br />
Städte <strong>der</strong> An<strong>der</strong>sgläubigen zu vernichten seien<br />
(5. Mose 20,10-18), auch ungewohnt nachsichtige<br />
Regelungen:<br />
5. Mose 20,5-7: Und die Amtleute sollen mit dem<br />
Volk re<strong>den</strong> und sagen: Wer ein neues Haus gebaut<br />
hat und hat’s noch nicht eingeweiht, <strong>der</strong> mache<br />
sich auf und kehre heim, auf dass er nicht sterbe<br />
im Krieg und ein an<strong>der</strong>er es einweihe. Wer einen<br />
Weinberg gepflanzt hat und hat seine Früchte<br />
noch nicht genossen, <strong>der</strong> mache sich auf und<br />
kehre heim, dass er nicht im Kriege sterbe und ein<br />
an<strong>der</strong>er seine Früchte genieße. Wer mit einem<br />
Mädchen verlobt ist und hat es noch nicht heimgeholt,<br />
<strong>der</strong> mache sich auf und kehre heim, dass er<br />
nicht im Krieg sterbe und ein an<strong>der</strong>er hole es<br />
heim.<br />
Ja, sogar <strong>den</strong> Furchtsamen wird die Kriegslast<br />
abgenommen und sie wer<strong>den</strong> nach Hause entlassen:<br />
5. Mose 20,8: Und die Amtleute sollen weiter mit<br />
dem Volk re<strong>den</strong> und sprechen: Wer sich fürchtet<br />
und ein verzagtes Herz hat, <strong>der</strong> mache sich auf<br />
und kehre heim, auf dass er nicht auch das Herz<br />
seiner Brü<strong>der</strong> feige mache, wie sein Herz ist.<br />
Merkwürdige Töne in einer rauen Zeit, in <strong>der</strong> das<br />
eigene Überleben immer wie<strong>der</strong> auf dem Spiel<br />
stand. Aber vielleicht ein Fingerzeig dafür, dass<br />
hinter dem Gewaltsamen, von dem auch das<br />
Gottesbild nicht ausgenommen war, schon etwas<br />
aufleuchtet, das hinweist auf eine neue Sicht-<br />
94_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
weise. Hoffnung auf einen Frie<strong>den</strong>, <strong>der</strong> nicht mehr<br />
durch das Auslöschen <strong>der</strong> Feinde mit Hilfe göttlicher<br />
Gewalt geschieht. Es wächst die Sehnsucht<br />
nach einem Gott, <strong>der</strong> nicht mehr die Schlachtreihen<br />
Israels anführt, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> dafür sorgt,<br />
dass <strong>der</strong> Teufelskreis <strong>der</strong> Gewalt unterbrochen<br />
wird und die Völker nicht mehr übereinan<strong>der</strong><br />
herfallen.<br />
Jesaja 2,1-5: Dies ist’s, was Jesaja, <strong>der</strong> Sohn des<br />
Amoz, geschaut hat über Juda und Jerusalem: Es<br />
wird zur letzten Zeit <strong>der</strong> Berg, da des HERRN Haus<br />
ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle<br />
Hügel erhaben, und alle Hei<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> herzulaufen,<br />
und viele Völker wer<strong>den</strong> hingehen und sagen:<br />
Kommt, laßt uns auf <strong>den</strong> Berg des HERRN gehen,<br />
zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre<br />
seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen!<br />
Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des<br />
HERRN Wort von Jerusalem. Und er wird richten<br />
unter <strong>den</strong> Hei<strong>den</strong> und zurechtweisen viele Völker.<br />
Da wer<strong>den</strong> sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und<br />
ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein<br />
Volk wi<strong>der</strong> das an<strong>der</strong>e das Schwert erheben, und<br />
sie wer<strong>den</strong> hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu<br />
führen. Kommt nun, ihr vom Hause Jakob, laßt uns<br />
wandeln im Licht des HERRN!<br />
Die Vision einer neuen Form <strong>der</strong> Begeisterung:<br />
Menschen verfallen nicht mehr dem Blutrausch,<br />
son<strong>der</strong>n wer<strong>den</strong> vom Wissensdurst getrieben. Ihr<br />
Fernweh wird durch Bildungsreisen kuriert und<br />
muss nicht mehr durch Eroberungszüge gestillt<br />
wer<strong>den</strong>. Ihre Erfindungskraft konzentriert sich auf<br />
die Verbesserung <strong>der</strong> landwirtschaftlichen Anbauund<br />
Erntemetho<strong>den</strong> im Rückgriff auf die ehemaligen<br />
Raub- und Plün<strong>der</strong>werkzeuge.<br />
Frie<strong>den</strong> ist möglich in einer Welt, die von Vergebung<br />
geprägt ist. Vergebung, die von Gott<br />
ausgeht, sich in <strong>den</strong> Menschen entfaltet und ihr<br />
Miteinan<strong>der</strong>leben prägt. Nach dem Untergang<br />
Jerusalems hofft <strong>der</strong> Prophet Jeremia auf diese
Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />
neue Zeit, in <strong>der</strong> es einen neuen Bund geben wird<br />
zwischen Gott und <strong>den</strong> Menschen.<br />
Jeremia 31,33-34 son<strong>der</strong>n das soll <strong>der</strong> Bund sein,<br />
<strong>den</strong> ich mit dem Hause Israel schließen will nach<br />
dieser Zeit, spricht <strong>der</strong> HERR: Ich will mein Gesetz<br />
in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und<br />
sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.<br />
Und es wird keiner <strong>den</strong> an<strong>der</strong>n noch ein Bru<strong>der</strong><br />
<strong>den</strong> an<strong>der</strong>n lehren und sagen: »Erkenne <strong>den</strong><br />
HERRN«, son<strong>der</strong>n sie sollen mich alle erkennen,<br />
beide, klein und groß, spricht <strong>der</strong> HERR; <strong>den</strong>n ich<br />
will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde<br />
nimmermehr ge<strong>den</strong>ken.<br />
Ein vergeben<strong>der</strong> Gott, <strong>der</strong> seinen Geist schickt,<br />
damit Menschen auf seinen Wegen zum Leben<br />
wandeln. Und wenn sie Um- und Irrwege gehen,<br />
wer<strong>den</strong> sie nicht zurückgeprügelt, son<strong>der</strong>n sie<br />
dürfen freiwillig umkehren, weil Vergebung und<br />
neue Liebe auf sie warten. Diese Vision Jeremias<br />
zeigt, wie sich das Bild Gottes im Laufe <strong>der</strong> Zeit<br />
und <strong>der</strong> geschichtlichen Erfahrungen verwandelt<br />
hat. Aus dem Kriegsgott kleiner, um ihr Leben<br />
kämpfen<strong>der</strong> Stämme wird ein Weltgott, <strong>der</strong> die<br />
Menschen zu mehr befähigen kann als nur sich<br />
möglichst effektiv und ausdauernd die Schädel<br />
einzuschlagen.<br />
Runter mit <strong>der</strong> Hasskappe – rauf<br />
mit dem Helm des Heils!<br />
Diese Spur des Gottes, <strong>der</strong> <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> will und<br />
alles Er<strong>den</strong>kliche dafür tut, wird im neuen Testament<br />
vollends deutlich.<br />
Epheser 6,13-17: Deshalb ergreift die Waffenrüstung<br />
Gottes, damit ihr an dem bösen Tag Wi<strong>der</strong>stand<br />
leisten und alles überwin<strong>den</strong> und das Feld<br />
behalten könnt. So steht nun fest, umgürtet an<br />
euren Len<strong>den</strong> mit Wahrheit und angetan mit dem<br />
Panzer <strong>der</strong> Gerechtigkeit, und an <strong>den</strong> Beinen<br />
gestiefelt, bereit, einzutreten für das Evangelium<br />
des Frie<strong>den</strong>s. Vor allen Dingen aber ergreift <strong>den</strong><br />
Schild des Glaubens, mit dem ihr auslöschen<br />
könnt alle feurigen Pfeile des Bösen, und nehmt<br />
<strong>den</strong> Helm des Heils und das Schwert des Geistes,<br />
welches ist das Wort Gottes.<br />
Was sich martialisch anhört, ist bei näherer Betrachtung<br />
eher als defensive Bewaffnung zu verstehen.<br />
Es fehlen Speer und Bogen – typische<br />
Distanzwaffen für Angreifer. Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Schild<br />
des Glaubens ist ein schönes Bild – er dient zum<br />
Auslöschen <strong>der</strong> Aggression des Bösen. Aber Auslöschen<br />
reicht – es ist nicht die Rede vom Zurückschießen!<br />
Aggressionen ins Leere laufen lassen<br />
mit Hilfe des Glaubens – wie kann das geschehen?<br />
Ist es überhaupt möglich? Was muss dieser Glaube<br />
beinhalten, damit es möglich wer<strong>den</strong> kann? Es<br />
fängt wohl damit an, dass Jesus in Gott nicht mehr<br />
<strong>den</strong> Rohrstockpädagogen <strong>der</strong> alten Zeit gesehen<br />
hat. Er hat sich selbst von einem neuen Bild von<br />
Gott leiten lassen und gleichzeitig ist in ihm dieses<br />
neue Bild Gottes geoffenbart wor<strong>den</strong>..<br />
Lukas 13,1-4: Es kamen aber zu <strong>der</strong> Zeit einige, die<br />
berichteten ihm von <strong>den</strong> Galiläern, <strong>der</strong>en Blut<br />
Pilatus mit ihren Opfern vermischt hatte. Und<br />
Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Meint ihr,<br />
dass diese Galiläer mehr gesündigt haben als alle<br />
an<strong>der</strong>n Galiläer, weil sie das erlitten haben? Ich<br />
sage euch: Nein; son<strong>der</strong>n wenn ihr nicht Buße tut,<br />
werdet ihr alle auch so umkommen. O<strong>der</strong> meint<br />
ihr, dass die achtzehn, auf die <strong>der</strong> Turm in Siloah<br />
fiel und erschlug sie, schuldiger gewesen sind als<br />
alle an<strong>der</strong>n Menschen, die in Jerusalem wohnen?<br />
Unheil, Unglück, Katastrophen sind nicht Strafen<br />
eines zornigen Gottes für die Übertretung seiner<br />
Gebote. Gott übt damit nicht Rache für unbotmäßiges<br />
Verhalten. Das „Warum“ wird nicht geklärt,<br />
aber abgewiesen wird diese allzu einfache Erklärung<br />
<strong>der</strong> negativen Welterfahrungen. Gott verübt<br />
keine Gewalttaten, er schubst keinen Turm um, um<br />
Menschen in ihre Schranken zu weisen. Sie sind<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_95<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />
für ihn zu wertvoll, als dass er so grob mit ihnen<br />
umginge. Aus dieser Überzeugung entwickelt<br />
Jesus Christus seinen Umgang mit <strong>den</strong> Menschen.<br />
Sie sind für ihn alle – die Guten wie die Bösen –<br />
Kin<strong>der</strong> des himmlischen Vaters, <strong>der</strong> die Sonne<br />
aufgehen lässt über Gerechte wie Ungerechte. So<br />
sind selbst die Menschen unter <strong>der</strong>en Feindseligkeit<br />
man zu lei<strong>den</strong> hat, nicht Feinde im endgültigen<br />
Sinn. Auch für sie lohnt sich das Gebet:<br />
Matthäus 5,43-45: Ihr habt gehört, dass gesagt ist<br />
(3. Mose 19,18): »Du sollst deinen Nächsten lieben«<br />
und deinen Feind hassen. Ich aber sage<br />
euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch<br />
verfolgen, damit ihr Kin<strong>der</strong> seid eures Vaters im<br />
Himmel. Denn er läßt seine Sonne aufgehen über<br />
Böse und Gute und läßt regnen über Gerechte und<br />
Ungerechte.<br />
„Liebet eure Feinde!“ – das ist <strong>der</strong> vielleicht steilste<br />
Satz <strong>der</strong> Welt- und Geistesgeschichte. Um ihn<br />
<strong>den</strong>ken und erst recht leben zu können, muss man<br />
schon so etwas wie einen „Helm des Heils“, eine<br />
„Glaubenskappe“ auf dem Kopf haben – eine<br />
Gründung <strong>der</strong> eigenen Existenz in <strong>der</strong> Zusage<br />
Gottes, in seinem Erbarmen. Ein festes Vertrauen<br />
auf sein Wohlwollen trotz aller üblen Welterfahrung,<br />
die so oft dagegen zu sprechen scheint. Und<br />
dann muss auch noch eine Übertragung stattfin<strong>den</strong>:<br />
dass dieses Wohlwollen Gottes nicht exklusiv<br />
nur für einen selber und die paar Gutmenschen um<br />
einen herum gilt, son<strong>der</strong>n dieses Wohlwollen<br />
erstreckt sich auf alle Menschen und keiner kann<br />
jemals davon ausgeschlossen wer<strong>den</strong>. Es ist die<br />
pure Zumutung und wer ihr folgen kann, muss<br />
begeistert sein, muss von Gottes Geist mit diesem<br />
Glauben erfüllt wor<strong>den</strong> sein. Es geht um eine<br />
Begeisterung <strong>der</strong> neuen Art als Kreativität für <strong>den</strong><br />
Frie<strong>den</strong>.<br />
Matthäus 5,38-41: Ihr habt gehört, dass gesagt ist<br />
(2. Mose 21,24): »Auge um Auge, Zahn um Zahn.«<br />
Ich aber sage euch, dass ihr nicht wi<strong>der</strong>streben<br />
96_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
sollt dem Übel, son<strong>der</strong>n: wenn dich jemand auf<br />
deine rechte Backe schlägt, dem biete die an<strong>der</strong>e<br />
auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will<br />
und dir deinen Rock nehmen, dem laß auch <strong>den</strong><br />
Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile<br />
mitzugehen, so geh mit ihm zwei.<br />
Wie kann ich dem Feind <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong> für seine<br />
Feindschaft entziehen – das ist die Leitfrage unter<br />
<strong>der</strong> Jesus auf dieses Problem <strong>der</strong> kleinen und<br />
großen menschlichen Beziehungsstörungen blickt.<br />
Das alte Schema <strong>der</strong> „geregelten Rache“ – also<br />
nur das dem an<strong>der</strong>en zerstören, was er bei mir<br />
o<strong>der</strong> <strong>den</strong> Meinen zerstört hat und ihm nicht darüber<br />
hinaus heimzahlen – greift nicht mehr. Es ist<br />
die alte Form <strong>der</strong> „Rohrstockpädagogik“: <strong>der</strong><br />
An<strong>der</strong>e muss spüren, was er falsch gemacht hat,<br />
soll am eigenen Leibe erfahren, was er An<strong>der</strong>en<br />
angetan hat. In <strong>der</strong> Rache entlädt sich die Spannung,<br />
die durch die Untat im Opfer aufgebaut<br />
wurde. Aber in <strong>den</strong> seltensten Fällen ist damit die<br />
Sache erledigt und aus <strong>der</strong> Welt geschafft. Meistens<br />
wird neue Spannung aufgebaut, die sich im<br />
Täter entwickelt und ihn nun seinerseits auf Rache<br />
sinnen lässt. Ein Kreislauf ohne Ende mit <strong>der</strong><br />
Aussicht auf Steigerung <strong>der</strong> Gewalt. Eine Rache,<br />
die keine Einsicht beim Täter hervorruft, bleibt<br />
ohne Erfolg und beendet die Feindschaft nicht.<br />
Kreativität für das Evangelium<br />
des Frie<strong>den</strong>s<br />
Was kann man <strong>der</strong> Feindschaft entgegenstellen<br />
ohne selber feindselig zu sein. Jesus nennt mehrere<br />
Beispiele, wie er mit Feindschaft umgehen<br />
würde. Es sind Formen des aktiven aber gewaltfreien<br />
Wi<strong>der</strong>standes:<br />
Die an<strong>der</strong>e Backe hinhalten, wenn man auf die<br />
rechte Backe geschlagen wird: auf die rechte<br />
Backe kann jemand normalerweise nur mit dem<br />
Handrücken <strong>der</strong> linken Hand schlagen. Das war im<br />
alten Orient eine außeror<strong>den</strong>tlich beleidigende
Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />
Geste gewesen. Es geht also um Beleidigung und<br />
nicht um Prügelei. Die an<strong>der</strong>e Backe hinhalten<br />
meint: steige auf die Beleidigung nicht mit einer<br />
<strong>Gegen</strong>beleidigung ein, lass dich nicht in Feindschaft<br />
hineinziehen, son<strong>der</strong>n mache dem an<strong>der</strong>en<br />
bewusst, was er getan hat. Sei dabei aktiv und<br />
lass dich nicht in die Opferrolle hineindrängen.<br />
Zu dem Rock auch noch <strong>den</strong> Mantel geben – das<br />
spielt an auf eine Situation vor Gericht, in <strong>der</strong> es<br />
um Pfändung geht. Der Mantel war oftmals <strong>der</strong><br />
letzte Besitz und Schutz vor <strong>der</strong> Kälte <strong>der</strong> Nacht.<br />
Zu dem Mantel auch noch das Untergewand herzugeben<br />
bedeutete, nackt vor Gericht zu stehen –<br />
eine Peinlichkeit und Schande, die aber zu Lasten<br />
des For<strong>der</strong>n<strong>den</strong> ging.<br />
Zu <strong>der</strong> ersten Meile auch noch die zweite mitzugehen<br />
– das greift ein Gesetz <strong>der</strong> römischen Besatzungsmacht<br />
auf, nach dem je<strong>der</strong> Legionär einen<br />
Ju<strong>den</strong> dazu zwingen konnte, ihm sein Gepäck eine<br />
Meile weit zu tragen. Eine schwere Demütigung<br />
ganz gewiss. Aber nach <strong>der</strong> einen Meile nicht<br />
einfach stehen zu bleiben, son<strong>der</strong>n fröhlich pfeifend<br />
<strong>den</strong> Rucksack auch noch weiter zu tragen –<br />
das ist eine äußerst souveräne Art von Protest, die<br />
<strong>der</strong> Besatzer machtlos hinnehmen muss. (Vergleiche<br />
dazu auch die ausführliche Interpretation<br />
dieser Stelle bei: Walter Wink, Der dritte Weg Jesu,<br />
in: Schritte gegen Tritte, S. 40-44; o<strong>der</strong> auch im<br />
Internet: http://bs.cyty.com/elmbs/wink.htm)<br />
Überbiete das, was <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e von dir for<strong>der</strong>t, er<br />
kann dann nicht auf deine Aggression reagieren.<br />
Es geht also nicht darum, kleinbeizugeben, son<strong>der</strong>n<br />
darum, dem Täter seine eigene Feindseligkeit<br />
bewusst zu machen. Den Teufelskreis von Erniedrigung<br />
und Rache, von Gewalt und <strong>Gegen</strong>gewalt zu<br />
durchbrechen, dazu braucht es diese Kreativität<br />
für <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong>. Sie wächst aus <strong>der</strong> Begeisterung<br />
für <strong>den</strong> Weg, <strong>den</strong> Jesus selbst gegangen ist – bis<br />
hin zum Kreuz. Die Abkehr von dem alten Schema<br />
von Schuld und Strafe und die Entdeckung <strong>der</strong><br />
Vergebung und <strong>der</strong> grundsätzlichen und unwi<strong>der</strong>ruflichen<br />
Menschenfreundlichkeit Gottes sind<br />
wichtige Meilensteine auf diesem Weg.<br />
Wenn heute Gewalt in allen ihren Spielarten als<br />
problematisch empfun<strong>den</strong> wird, dann hat das<br />
seine Wurzeln auch in diesem neuen Gottesbild,<br />
das schon im Alten Testament aufgeleuchtet hat<br />
und dann in Jesus Christus sichtbar gewor<strong>den</strong> ist.<br />
Begeisterung von diesem Gott und durch diesen<br />
Gott kann die Kreativität freisetzen, die dazu hilft,<br />
Gewalt zu überwin<strong>den</strong>.<br />
Praxisbeispiel<br />
„Liebet eure Feinde!“ dieses Wort Jesu ist wohl nur<br />
auf dem Hintergrund seines Gottes- und Menschenbilds<br />
zu verstehen. Gott ist für Jesus jemand,<br />
dessen Liebe we<strong>der</strong> durch das gewonnen noch<br />
durch das zerstört wer<strong>den</strong> kann, was ein Mensch<br />
in seinem Leben an Taten vollbringt. Der Mensch<br />
ist und bleibt ein geliebtes Wesen und sei er noch<br />
so schlecht. „Liebet eure Feinde“ heißt, sich von<br />
dieser Perspektive Gottes anrühren zu lassen. Es<br />
bedeutet nicht, dass sich Gemeinheit und Gewalt<br />
einfach so nie<strong>der</strong>kuscheln lassen – so naiv war<br />
Jesus nun wirklich nicht. Aber damit überhaupt<br />
Kreativität für die Überwindung von Gewalt freigesetzt<br />
wer<strong>den</strong> kann, muss zwischen <strong>der</strong> Schuld und<br />
dem Schuldigen unterschie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>. Sich diese<br />
Unterscheidung bewusst zu machen, ist Ziel dieser<br />
Methode:<br />
Wir phantasieren einen<br />
Lebenslauf<br />
Auf einem großen Blatt Papier liegt eine Babypuppe<br />
o<strong>der</strong> eine Babyfoto. Wir sammeln Gedanken<br />
zu dem, was ein Neugeborenes für uns bedeutet.<br />
Etwa: schutzlos, offenes Buch, noch nicht fertig,<br />
Hardware, die noch Software braucht, etwas, das<br />
wachsen will und wachsen wird, unschuldig,<br />
angewiesen, positive Gefühle. Die Einfälle wer<strong>den</strong><br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_97<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Der Herr <strong>der</strong> Heerscharen - Biblische Streiflichter zum Thema Gewalt<br />
auf dem Papier um die Babypuppe notiert. Dann<br />
wird ein etwas größerer Umriss als „Hülle“ um die<br />
Babypuppe herum aufgezeichnet. Wir überlegen,<br />
welche Entwicklung das Kind durchmacht. Kin<strong>der</strong>garten<br />
und Grundschule – welche Erfahrungen<br />
wer<strong>den</strong> damit verbun<strong>den</strong> sein? Kampf<br />
um Spielzeug, Freundschaften, Feindschaften,<br />
… Die Begriffe wer<strong>den</strong> um <strong>den</strong> ersten<br />
Umriss herum notiert. Dann folgt ein<br />
weiterer Umriss, <strong>der</strong> eine weitere<br />
Entwicklungsstufe markiert: Sortierung<br />
in <strong>der</strong> OS – wer kommt wohin?<br />
Ich bin, was ich in <strong>der</strong> Schule leiste;<br />
ich darf weiter von zu Hause weggehen,<br />
aber es wird auch gefährlicher;<br />
ich muss stark sein und mich behaupten.<br />
Eine dritte und vierte<br />
„Hülle“ markieren weitere Entwicklungsstufen<br />
mit eigenen Erfahrungen.<br />
Leben in <strong>der</strong> Clique, was läuft<br />
am Wochenende, sich stark fühlen in<br />
<strong>der</strong> Gruppe, vielleicht auch eigenen<br />
Taten in Richtung Gemeinheit und Gewalt.<br />
Am Ende blicken wir gemeinsam auf die<br />
Babypuppe und dem, was sich daraus<br />
entwickelt hat. Wir merken, je<strong>der</strong> Mensch<br />
fängt sein Leben an als ein schutzbedürftiges,<br />
hilfloses, unschuldiges (wir lassen<br />
jetzt mal die Erbsün<strong>den</strong>lehre beiseite), liebenswertes<br />
Wesen an. Es legen sich Erfahrungen und<br />
Handlungen um dieses Anfangswesen herum – es<br />
verliert viel von seiner ursprünglichen Liebenswürdigkeit,<br />
vielleicht gibt es sogar Grund zum Hass.<br />
Aber worauf würde sich <strong>der</strong> Hass richten? Auf das<br />
Wesen, das in <strong>der</strong> Mitte <strong>der</strong> „Hüllen“ liegt, o<strong>der</strong><br />
auf das, was als „Hülle“, als Erfahrungen und<br />
Taten zu dem Menschen dazu gekommen ist?<br />
Kann <strong>der</strong> Blick noch zu diesem Ausgangspunkt<br />
hindurch dringen? Das wäre <strong>der</strong> Perspektivenwechsel,<br />
<strong>den</strong> Jesus von Nazareth eingeleitet hat.<br />
98_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Vor Gott kann <strong>der</strong> Mensch seine Würde und seinen<br />
Wert nicht verlieren – auch nicht durch seine Taten.<br />
Gott blickt hindurch zu dem, was <strong>der</strong> Mensch<br />
einmal war. Nicht auf <strong>den</strong> sogenannten „guten<br />
Kern“, son<strong>der</strong>n auf das, was einmal klein<br />
angefangen hat: ein schutzloses, liebenswürdiges<br />
Geschöpf, das atmet und schreit<br />
und Wärme und Zuwendung braucht. Ist es<br />
möglich, diesen gottgeliebten Kern in<br />
jedem Menschen zu entdecken – auch<br />
und gerade in <strong>den</strong>en, mit <strong>den</strong>en das<br />
Leben schwer ist?<br />
Ralph-Ruprecht Bartels
›› Dekade zur<br />
Überwindung<br />
von Gewalt<br />
<strong>2001</strong>-2010
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />
Ein Programm zur Überwindung<br />
<strong>der</strong> Gewalt<br />
Das Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong><br />
Kirchen zur Überwindung <strong>der</strong> Gewalt hat seinen<br />
kirchengeschichtlichen Vorlauf nicht nur in <strong>der</strong><br />
Programmentwicklungsgeschichte des ÖRK selber.<br />
Auf ihn soll gleich Bezug genommen wer<strong>den</strong>,<br />
damit die Dekade zur Überwindung von Gewalt<br />
historisch eingeordnet wer<strong>den</strong> kann. Und, um es<br />
vorwegzunehmen, es handelt sich hier für mein<br />
Dafürhalten um <strong>den</strong> Beginn eines kirchengeschichtlichen<br />
Durchbruches <strong>der</strong> volkskirchlichen<br />
Ernstnahme <strong>der</strong> Tradition <strong>der</strong> jesuanischen Gewaltlosigkeit<br />
in einer Breitenwirkung, die es so<br />
bisher nicht gegeben hat. Immer gab es in <strong>der</strong><br />
Kirchengeschichte diese Tradition, stellvertretend<br />
seien hier nur Franziskus von Assisi und die historischen<br />
Frie<strong>den</strong>skirchen benannt. Sie haben sich<br />
vor allem auch auf die Bergpredigt bezogen.<br />
Die Dekade des ÖRK greift auf die paulinische<br />
Weiterführung <strong>der</strong> jesuanischen Tradition zurück,<br />
was auch deshalb wichtig ist, weil damit erkennbar<br />
wird, dass Paulus in <strong>der</strong> Kontinuität <strong>der</strong> Überlieferung<br />
bleibt. Das Programm zur Überwindung<br />
von Gewalt, und <strong>der</strong> Schwerpunkt soll bei <strong>der</strong><br />
Überwindung liegen, greift zurück auf Röm 12, 21<br />
„Lass dich nicht vom Bösen überwin<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n<br />
überwinde das Böse mit Gutem“.<br />
Mit dieser Wahrheit hat in <strong>der</strong> Neuzeit vor allem<br />
ein Hinduist mit viel Sympathien für das Christentum<br />
ernst gemacht. Um <strong>der</strong> historischen Redlichkeit<br />
willen muss deshalb von ihm gesprochen<br />
wer<strong>den</strong>. Dies ist insofern auch bedeutsam, als es<br />
in Zukunft zur Überwindung von Gewalt nicht nur<br />
auf <strong>den</strong> Dialog <strong>der</strong> Konfessionen, son<strong>der</strong>n auch<br />
<strong>der</strong> Weltreligionen ankommt. Es handelt sich um<br />
Mahatma Gandhi, dessen gesamtes Leben eine<br />
praktische Auslegung und ein Umsetzen dessen<br />
war, was Jesus in <strong>der</strong> Bergpredigt (Mt. 5 - 7) lehrt.<br />
Ein an<strong>der</strong>er großer Christ unseres Jahrhun<strong>der</strong>ts,<br />
100_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
<strong>der</strong> wie kein an<strong>der</strong>er für die Lehre und Praxis<br />
gewaltfreien Handelns steht, beruft sich ausdrücklich<br />
auf ihn, so dass ich das Hauptanliegen<br />
Gandhis durch ihn, durch Martin Luther - King jr.,<br />
erkennbar wer<strong>den</strong> lassen möchte. Martin Luther -<br />
King jr. schrieb: „Dann wurde ich mit Leben und<br />
Lehre Mahatma Gandhis bekannt. Mich fesselte<br />
sein Eintreten für <strong>den</strong> gewaltlosen Wi<strong>der</strong>stand.<br />
Gandhis Konzept des satyagraha (satya ist Wahrheit,<br />
die <strong>der</strong> Liebe gleicht, und graha ist Kraft;<br />
satyagraha bedeutet also Wahrheit-Kraft o<strong>der</strong><br />
Liebe-Kraft) schien mir sehr bedeutungsvoll. Je<br />
tiefer ich in die Lehre Gandhis eindrang, desto<br />
mehr schwand meine Skepsis hinsichtlich <strong>der</strong><br />
Kraft <strong>der</strong> Liebe. Zum erstenmal erkannte ich, dass<br />
die christliche Lehre <strong>der</strong> Liebe, wie sie in <strong>der</strong><br />
Gewaltlosigkeit Gandhis zum Ausdruck kam, eine<br />
<strong>der</strong> mächtigsten Waffen ist, die ein unterdrücktes<br />
Volk in seinem Kampf um die Freiheit ergreifen<br />
kann … Aber die Gewaltlosigkeit bewirkt etwas in<br />
<strong>den</strong> Herzen <strong>der</strong>er, die sich ihr verschreiben. Sie<br />
gibt ihnen eine neue Selbstachtung. Sie legt<br />
bisher ungeahnte Quellen <strong>der</strong> Kraft und des Mutes<br />
frei. Und endlich rührt sie auch das Gewissen des<br />
Gegners so sehr an, dass die Aussöhnung zur<br />
Wirklichkeit wird.“ ( Martin Luther - King jr., Kraft<br />
zum Lieben, Konstanz 1971, S.229 ff.)<br />
Das, was Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann als<br />
Ertrag einer bibliodramatischen Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit <strong>der</strong> Bergpredigt während einer Konferenz<br />
<strong>der</strong> VELKD in ihrem neuen Buch beschreibt, nämlich<br />
dass die Bergpredigt zu Gewaltfreiheit, nicht<br />
aber zur Wi<strong>der</strong>standlosigkeit aufruft, (Margot<br />
Käßmann, Gewalt überwin<strong>den</strong>, Hannover 2000, S.<br />
49) ist hier schon vorweggenommen und zwar im<br />
Horizont politischer und gesellschaftlicher Auseinan<strong>der</strong>setzungen,<br />
die, wie wir wissen, sowohl für<br />
Gandhi als auch für Martin Luther King jr. tödlich<br />
endeten. Bei<strong>den</strong> Menschen war diese Konsequenz<br />
ihrer Option für die Gewaltfreiheit Jesu deutlich,<br />
trotzdem blieben sie bei ihrem Programm <strong>der</strong><br />
Überwindung von Gewalt durch gewaltfreies
Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />
Handeln. Das diese Wahrheit und Kraft <strong>der</strong> Botschaft<br />
Jesu jetzt auch in <strong>den</strong> Volkskirchen theologisch<br />
und praktisch wie<strong>der</strong> entdeckt wird und<br />
Raum gewinnt, weckt Hoffnung für die politische<br />
und gesellschaftliche Rolle <strong>der</strong> Kirchen in <strong>der</strong><br />
Zukunft.<br />
Es gibt einen roten Fa<strong>den</strong> <strong>der</strong> Gewaltkritik und <strong>der</strong><br />
Überwindung <strong>der</strong> Gewalt schon in <strong>der</strong> Bibel, und<br />
zwar in bei<strong>den</strong> Testamenten (siehe Jürgen Ebach,<br />
Das Erbe <strong>der</strong> Gewalt - eine biblische Realität und<br />
ihre Wirkungsgeschichte, Gütersloh 1980) Er zieht<br />
sich dann durch die Kirchengeschichte hindurch<br />
und durchwirkt wie Sauerteig die Geschichte <strong>der</strong><br />
ökumenischen Bewegung und nun auch hoffentlich,<br />
aktuell und wirkungsmächtig, Leben, Lehre<br />
und Praxis <strong>der</strong> Kirchen, die im Ökumenischen Rat<br />
zusammengeschlossen sind. Dass sich für die<br />
lutherischen Landeskirchen in <strong>der</strong> Frage von Gewalt<br />
und Gewaltüberwindung ein theologischer<br />
Paradigmenwechsel ankündigt, sei nur an zwei<br />
theologischen Gedankengängen <strong>der</strong> lutherischen<br />
Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann aufgezeigt.<br />
Zum einen stellt sie, ausgehend von einer intensiven<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Bergpredigt und<br />
dem Schicksal Jesu fest, dass Gewaltfreiheit in<br />
das Zentrum des Evangeliums gehört (Margot<br />
Käßmann, s.o. S.58). Zum an<strong>der</strong>en zieht sie aus<br />
dieser Erkennnis auch die ekklesiologischen<br />
Konsequenzen. Nach lutherischem Verständnis ist<br />
gemäß CA VII (Confessio Augustina) die Kirche die<br />
Versammlung <strong>der</strong> Heiligen, in <strong>der</strong> das Evangelium<br />
rein gelehrt und die Sakramente recht verwaltet<br />
wer<strong>den</strong>. „Dies könnte <strong>der</strong> gemeinsame Bezugspunkt<br />
im ökumenischen Dialog wer<strong>den</strong>, um die<br />
Gewaltfreiheit im esse bzw. im Sein <strong>der</strong> Kirche zu<br />
verankern, da alle drei großen Traditionen des<br />
Christentums - Orthodoxie, römischer Katholizismus<br />
und Reformation - Evangelium und Sakrament<br />
als fundamental für die Kirche ansehen. Und<br />
Gewaltfreiheit steht, wie aufgezeigt, im Zentrum<br />
des Evangeliums“ (Margot Käßmann, s.o. S. 58).<br />
Gewaltfreiheit und Engagement für die Überwin-<br />
dung von Gewalt haben ihre Begründung also<br />
nicht nur im Bereich des ethischen Handelns des<br />
einzelnen Christen, son<strong>der</strong>n es geht hier in Zukunft<br />
um das Sein und das Wesen <strong>der</strong> Kirche<br />
selbst.<br />
Die Geschichte <strong>der</strong> ÖRK - Dekade<br />
Die ÖRK - Dekade zur Überwindung <strong>der</strong> Gewalt<br />
und ihre Programmatik ist Ergebnis eines langen<br />
Prozesses <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> neuzeitlichen<br />
ökumenischen Bewegung. Schon auf <strong>der</strong> Gründungsversammlung<br />
des Weltkirchenrates 1948<br />
in Amsterdam wurde noch unter dem Eindruck<br />
des Zweiten Weltkrieges das Zeugnis formuliert:<br />
„Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“ ( EKD<br />
Texte 3, Kirche und Frie<strong>den</strong>, S. 156 ff.). Seitdem<br />
beschäftigt sich die ökumenische Bewegung mit<br />
Fragen des Krieges und des Frie<strong>den</strong>s, <strong>der</strong> Gewaltanwendung<br />
und <strong>der</strong> Gewaltüberwindung. Zu einer<br />
eindeutig pazifistischen Grundhaltung konnte man<br />
sich im Laufe <strong>der</strong> Jahrzehnte nicht durchringen,<br />
obwohl man dem sehr nahe kam.<br />
Es sind hier in aller kürze zwei Entwicklungsstränge<br />
zu benennen, die konsequent auf die ÖRK<br />
- Dekade zuführen:<br />
1.Die Vollversammlungen und Zentralausschusssitzungen<br />
des ÖRK:<br />
1968 Die ÖRK Vollversammlung in Uppsala verabschiedete<br />
ein ökumenisches Programm zur<br />
Bekämpfung des Rassismus. Intensiv wurde<br />
damals die Frage nach <strong>der</strong> „gerechten Revolution“<br />
und „gerechten Gewaltanwendung“<br />
diskutiert vor dem Hintergrund bewaffneter<br />
Befreiungsbewegungen in <strong>der</strong> Dritten Welt<br />
und des Kampfes gegen Rassismus, vor<br />
allem in Südafrika. Es wurde ein Studienprozess<br />
in Gang gesetzt zum Thema „Gewalt,<br />
Gewaltfreiheit und <strong>der</strong> Kampf für soziale<br />
Gerechtigkeit“.<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_101<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />
1975 Die ÖRK Vollversammlung in Nairobi führte<br />
zu einer Erklärung <strong>der</strong> Delegierten, bereit zu<br />
sein, ohne <strong>den</strong> Schutz von Waffen zu leben.<br />
Diese Erklärung gab vielen christlichen<br />
Frie<strong>den</strong>sgruppen einen neuen Anschub, auch<br />
neue Gruppe entstan<strong>den</strong>, vor allem bekannt<br />
wurde die Aktion „Ohne Rüstung Leben“. Die<br />
Frie<strong>den</strong>sbewegung insgesamt bekam kräftigen<br />
Aufwind.<br />
1983 Die ÖRK Vollversammlung in Vancouver<br />
beschloss einen „Konziliaren Prozess für<br />
Frie<strong>den</strong>, Gerechtigkeit und Bewahrung <strong>der</strong><br />
Schöpfung“. Die Frage nach Gewalt und<br />
Gewaltüberwindung wird zum eigentlichen<br />
Bindeglied <strong>der</strong> drei Themenbereiche, die die<br />
entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Menscheitsprobleme <strong>der</strong><br />
<strong>Gegen</strong>wart und Zukunft ansprechen.<br />
1991 Die ÖRK Vollversammlung in Canberra konnte<br />
sich angesichts des Golfkrieges auf eine<br />
Ablehnung militärischer Interventionen nicht<br />
einigen, obwohl ein Konsens <strong>der</strong> Kirchen<br />
greifbar schien, jede theologische Legitimation<br />
von Gewalt in Zukunft abzulehnen. (siehe<br />
Margot Käßmann, Was steht ihr da und seht<br />
zum Himmel,Hannover 1999 S.136)<br />
1994 Der ÖRK Zentralausschuss beschloss in<br />
Johannesburg ein „Programm zur Überwindung<br />
<strong>der</strong> Gewalt“ im Angesicht <strong>der</strong> Überwindung<br />
<strong>der</strong> rassistischen Gewalt in Südafrika.<br />
1996 Als erste Konkretisierung des Beschlusses<br />
entsteht das Programm „Friede für die Stadt“<br />
(Peace to the city). Es soll in sieben internationalen<br />
Großstädten mit hohem Gewaltpotential<br />
Initiativen <strong>der</strong> Gewaltüberwindung<br />
ermutigen, stärken, stützen und vernetzen.<br />
1998 Die 8. Vollversammlung des ÖRK in Harare<br />
beschliesst eine „Ökumenische Dekade zur<br />
Überwindung <strong>der</strong> Gewalt“.<br />
102_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
2. Konziliarer Prozess für Frie<strong>den</strong>, Gerechtigkeit<br />
und Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung<br />
Ausgehend von <strong>der</strong> ÖRK - Vollversammlung in<br />
Vancouver entwickelten sich verschie<strong>den</strong>e Bestrebungen,<br />
vor allem auch in Deutschland (damals<br />
noch BRD und DDR), auf ein Weltkonzil für<br />
Frie<strong>den</strong> und Gerechtigkeit hinzuwirken. Diese<br />
Bestrebungen beriefen sich auf eine Rede von<br />
Dietrich Bonhoeffer, die dieser 1934 auf <strong>der</strong> Insel<br />
Fanö, anlässlich einer ökumenischen Jugendkonferenz<br />
gehalten hatte. Er ahnte einen neuen<br />
Weltkrieg und for<strong>der</strong>te das eine „große ökumenische<br />
Konzil <strong>der</strong> Heiligen Kirche Christi aus aller<br />
Welt“, das <strong>den</strong> Krieg verbieten und <strong>den</strong> Söhnen<br />
<strong>der</strong> Völker die Waffen aus <strong>der</strong> Hand nehmen<br />
sollte (Dietrich Bonhoeffer, London 1933 - 35,<br />
DBW Band 13, S.299 - 301). Es kann hier nicht<br />
weiter ausgeführt wer<strong>den</strong>, warum ein Konzil we<strong>der</strong><br />
damals noch infolge von Vancouver zustande<br />
kam. Aber die Bestrebungen blieben nicht ergebnislos.<br />
1989 fand eine Europäische Ökumenische Versammlung<br />
für Frie<strong>den</strong> in Gerechtigkeit in<br />
Basel statt, mit Beteiligung <strong>der</strong> römisch -<br />
katholischen Kirche.<br />
1990 kam es schließlich zu einer Weltversammlung<br />
des ÖRK für Gerechtigkeit, Frie<strong>den</strong><br />
und Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung in Seoul in<br />
Korea. Die Teilnehmen<strong>den</strong> dieser Konferenz<br />
gingen einen sogenannten Bundesschluss<br />
und eine Selbstverpflichtung ein, in ihren<br />
Kirchen für diesen Bundesschluss und seine<br />
praktischen Konsequenzen einzutreten. Stellvertretend<br />
sei hier nur ein Bundesschluss<br />
benannt, für eine Kultur aktiver und lebensfreundlicher<br />
Gewaltlosigkeit - nicht als Flucht<br />
vor Gewalt und Unterdrückung, son<strong>der</strong>n<br />
als Einsatz für Gerechtigkeit und Befreiung<br />
(epd Dokumentation, Frankfurt 2.4.1990,<br />
S. 25).
Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />
Insgesamt kann und muss man also sagen, dass<br />
die „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ eine<br />
Konsequenz aus dem jahrzehntelangen Ringen um<br />
und aus dem Engagement für Gerechtigkeit, Frie<strong>den</strong><br />
und Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung des Ökumenischen<br />
Rates <strong>der</strong> Kirchen ist.<br />
Das Programm <strong>der</strong> Dekade<br />
Am 3./4. Februar <strong>2001</strong> wird die internationale<br />
Eröffnung <strong>der</strong> ÖRK - Dekade erfolgen, und zwar<br />
während <strong>der</strong> Sitzung des Zentralausschusses des<br />
ÖRK in Potsdam und Berlin. Der Zentralausschuss<br />
hat ein Rahmenkonzept verabschiedet, das <strong>der</strong><br />
Dekade erste erkennbare Konturen verleiht. Es<br />
geht dem Zentralausschuss am Ende dieses gewalttätigen<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts um ein deutliches Zeugnis:<br />
„Wir sind <strong>der</strong> festen Überzeugung, dass die<br />
Kirchen aufgerufen sind, vor <strong>der</strong> Welt ein klares<br />
Zeugnis abzulegen von Frie<strong>den</strong>, Versöhnung und<br />
Gewaltlosigkeit, die auf Gerechtigkeit grün<strong>den</strong>.“<br />
(M. Käßmann, s.o. S.148) Und es geht um praktische<br />
Zeichen und Konsequenzen: „Wir müssen<br />
aufhören, reine Zuschauer <strong>der</strong> Gewalt zu sein o<strong>der</strong><br />
sie lediglich zu beklagen. Wir müssen uns aktiv um<br />
ihre Überwindung sowohl innerhalb als auch<br />
außerhalb <strong>der</strong> Kirchenmauern bemühen.“ (M.<br />
Käßmann, s.o. S. 149) Der Schwerpunkt des Programmes<br />
liegt also eindeutig auf dem Aspekt <strong>der</strong><br />
Überwindung, auf dem Willen, konstruktive Wege<br />
aufzuzeigen und umzusetzen. „Beim methodischen<br />
Ansatz wird man daher die positiven Erfahrungen<br />
<strong>der</strong> Kirchen und Gruppen herausstellen,<br />
die an <strong>der</strong> Überwindung von Gewalt arbeiten. Die<br />
Dekade zur Überwindung von Gewalt muss aus<br />
<strong>den</strong> Erfahrungen und <strong>der</strong> Arbeit von Gemein<strong>den</strong><br />
und Gemeinschaften erwachsen...Deshalb wird die<br />
Dekade Bemühungen um die Überwindung unterschiedlicher<br />
Formen <strong>der</strong> Gewalt von Seiten <strong>der</strong><br />
Kirchen, ökumenischen Organisationen und Zivilgesellschaftlichen<br />
Bewegungen hervorheben und<br />
miteinan<strong>der</strong> verknüpfen.“ (epd Dokumentation<br />
38/99, S. 30)<br />
Im Rahmenkonzept des Zentralausschusses wer<strong>den</strong><br />
folgende Ziele gesetzt, auf die in <strong>den</strong> kommen<strong>den</strong><br />
zehn Jahren in zwei Etappen hingearbeitet<br />
wer<strong>den</strong> soll. Es wird dabei davon ausgegangen,<br />
dass die neunte Vollversammlung des ÖRK im Jahr<br />
2005 einen ersten Höhepunkt markieren wird, <strong>der</strong><br />
dazu dienen soll, die bis dahin erreichten Ergebnisse<br />
aufzuarbeiten und <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong><br />
Dekade einen neuen Schub und neue Motivation<br />
zu geben. Die Ziele sind:<br />
• Ganzheitliche Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem<br />
breiten Spektrum von direkter wie auch struktureller<br />
Gewalt zu Hause, in Gemeinschaften und<br />
auf internationaler Ebene, und lernen von lokalen<br />
und regionalen Analysen <strong>der</strong> Gewalt und<br />
Wegen zu ihrer Überwindung;<br />
• Auffor<strong>der</strong>ung an die Kirchen, Geist, Logik und<br />
Ausübung von Gewalt zu überwin<strong>den</strong>;<br />
• auf jede theologische Rechtfertigung von Gewalt<br />
zu verzichten und erneut die Spiritualität<br />
von Versöhnung und aktiver Gewaltlosigkeit zu<br />
bekräftigen;<br />
• Gewinnung eines neuen Verständnisses von<br />
Sicherheit im Sinne von Zusammenarbeit und<br />
Gemeinschaft statt Herrschaft und Konkurrenz;<br />
• Lernen von <strong>der</strong> Spiritualität An<strong>der</strong>sgläubiger<br />
und ihren Möglichkeiten, Frie<strong>den</strong> zu schaffen,<br />
Zusammenarbeit mit Gemeinschaften An<strong>der</strong>sgläubiger<br />
bei <strong>der</strong> Suche nach Frie<strong>den</strong>, und<br />
Auffor<strong>der</strong>ung an die Kirchen, sich mit dem<br />
Missbrauch religiöser und ethnischer I<strong>den</strong>tität<br />
in pluralistischen Gesellschaften auseinan<strong>der</strong>zusetzen;<br />
• Protest gegen die zunehmende Militarisierung<br />
unserer Welt und insbeson<strong>der</strong>e gegen die Verbreitung<br />
von Feuer- und Handfeuerwaffen.<br />
(nach epd Nr. 38/99, S. 30)<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_103<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />
ÖRK - Dekade und evangelische<br />
Jugendarbeit<br />
Die Landesjugendkammer <strong>der</strong> evangelisch - lutherischen<br />
Landeskirche Hannovers hat am 12.11.00<br />
während ihrer Tagung im Sachsenhain beschlossen,<br />
das Thema <strong>der</strong> ÖRK - Dekade zu einem<br />
Schwerpunktthema <strong>der</strong> Arbeit <strong>der</strong> <strong>Evangelischen</strong><br />
Jugend in <strong>den</strong> nächsten Jahren zu machen.<br />
Dies ist sowohl folgerichtig mit Blick auf die Zielgruppen<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen, als auch<br />
mit Blick auf mögliche methodische Vorgehensweisen<br />
im Rahmen <strong>der</strong> Dekade. Dass die Zunahme<br />
<strong>der</strong> Gewaltanwendung an Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />
in unserer Gesellschaft, als auch durch<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendliche, eine Herausfor<strong>der</strong>ung<br />
auch für die Jugendverbandsarbeit ist, kann nicht<br />
bestritten wer<strong>den</strong>. Es gibt in <strong>der</strong> Jugendarbeit<br />
vielfältige Ansätze <strong>der</strong> Präventionsarbeit und des<br />
konstruktiven Umgangs mit Konflikten und <strong>der</strong>en<br />
Austragung, die ausbaufähig sind und zwischen<br />
verschie<strong>den</strong>en Trägern verbandlicher und kommunaler<br />
Jugendarbeit vernetzt wer<strong>den</strong> können. Gerade<br />
dies ist ja ein Grundanliegen <strong>der</strong> Dekade.<br />
Im Bereich <strong>der</strong> methodischen Ansätze und Vorgehensweisen,<br />
die im Rahmenkonzept benannt wer<strong>den</strong><br />
hat Jugendarbeit Kompetenzen, die eingebracht wer<strong>den</strong><br />
können. Neben <strong>den</strong> Stichworten: ➨Kampagnen,<br />
➨Bildungsarbeit, ➨Gottesdienst und Spiritualität,<br />
➨Geschichten erzählen, seien auch noch hinzugefügt<br />
➨Internationale ökumenische Jugendbegegnungsarbeit<br />
und ➨Erinnerungs- und Ge<strong>den</strong>kstättenarbeit.<br />
Die Liste ist sicher noch nicht vollständig.<br />
Die Landesjugendkammer hat alle ihre Ausschüsse,<br />
Glie<strong>der</strong>ungen, <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong>en und die<br />
Verbände eigener Prägung aufgefor<strong>der</strong>t zu untersuchen<br />
und zu benennen, welche Bezüge es in <strong>der</strong><br />
konkreten praktischen Arbeit mit Kin<strong>der</strong>n und<br />
Jugendlichen vor Ort zum Thema <strong>der</strong> ÖRK- Dekade<br />
gibt. Dies wird zusammengetragen und analysiert<br />
104_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
wer<strong>den</strong>, um bestehende Handlungsansätze aufzunehmen,<br />
auszubauen und auch darauf aufbauend<br />
neue Ansätze zu entwickeln. Die anstehen<strong>den</strong><br />
größeren Veranstaltungen <strong>der</strong> nächsten Jahre, wie<br />
z.B. <strong>der</strong> Landesjugendsonntag und das Landesjugendcamp,<br />
wer<strong>den</strong> sicherlich vom Thema <strong>der</strong><br />
Gewaltüberwindung geprägt und dominiert sein.<br />
Natürlich wird darauf zu achten sein, dass des<br />
Guten nicht zuviel geschieht. Auch in an<strong>der</strong>en<br />
gesellschaftlichen Zusammenhängen ist dieses<br />
Thema zur Zeit dran und Jugendliche wer<strong>den</strong> damit<br />
konfrontiert. Vor allem auch im Raum <strong>der</strong> Schulen.<br />
Deshalb wird Jugendarbeit auf ein eigenes Profil<br />
achten müssen. Dies kann zum einen darin bestehen,<br />
dass uns durch <strong>den</strong> ökumenischen Kontext<br />
eine kritische Sichtweise zu Verfügung steht,<br />
die auch nach <strong>den</strong> Ursachen von Gewalt fragt,<br />
sowohl direkter als auch struktureller Gewalt. Dies<br />
kann uns davor bewahren, in vor<strong>der</strong>gründigen<br />
Präventionsaktionismus zu verfallen, <strong>der</strong> gesellschaftliche,<br />
politische und wirtschaftliche Zusammenhänge<br />
ausblendet. Zum an<strong>der</strong>en haben wir<br />
Freiräume und methodische Kompetenzen, gepaart<br />
mit Phantasie und Kreativität, die es uns<br />
ermöglichen sollten, unseren spezifischen Beitrag<br />
zu leisten, damit die Ziele <strong>der</strong> ÖRK - Dekade erreicht<br />
wer<strong>den</strong> können.<br />
Zum Abschluss noch ein Bogen zum eigentlichen<br />
Thema des Heftes, dessen Schwerpunkt ja auch<br />
auf <strong>der</strong> Begeisterung liegen soll. Nur mit dieser, im<br />
positiven Sinn, wird die Dekade ein Erfolg wer<strong>den</strong>.<br />
„Die Ökumenische Dekade zur Überwindung von<br />
Gewalt erfüllt <strong>den</strong> Zweck, die Begeisterung und<br />
Erwartungen von Kirchen, ökumenischen Organisationen,<br />
Gruppen und Bewegungen weltweit zu<br />
bündeln, um einen positiven, praktischen und<br />
einzigartigen Beitrag <strong>der</strong> Kirchen zur Errichtung<br />
einer Frie<strong>den</strong>skultur zu leisten. Der Entwurf und<br />
<strong>der</strong> methodische Ansatz <strong>der</strong> Dekade zur Überwindung<br />
von Gewalt sollten zielgerichtet und zugleich<br />
offen für Kreativität sein und die Dynamik <strong>der</strong>
Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />
Kirchen und verschie<strong>den</strong>en gesellschaftlichen<br />
Gruppen nutzen.“ (epd - Dokumentation Nr. 38/<br />
99, S.32)<br />
Für die evangelisch - lutherische Landeskirche<br />
Hannovers hat es schon zwei ermutigende kirchliche<br />
Signale gegeben, dass die ÖRK - Dekade ein<br />
Schwerpunkt kirchlicher<br />
Arbeit <strong>der</strong><br />
nächsten Jahre<br />
wer<strong>den</strong> soll. Zum<br />
einen hat die<br />
Landesbischöfin<br />
Dr. Margot Käßmann<br />
ihren<br />
Syno<strong>den</strong>bericht<br />
am 18.06.2000<br />
unter diesen<br />
Schwerpunkt<br />
gestellt, zum<br />
an<strong>der</strong>en hat<br />
sie in <strong>der</strong> Marktkirche<br />
Hannovers<br />
zu einem ökumenischen Dekadegottsdienst am<br />
3.09.00 eingela<strong>den</strong>, <strong>der</strong> einen ersten eindrucksvollen<br />
Einblick gab, welche Potentiale <strong>der</strong> Entfaltung<br />
und Vernetzung bezüglich <strong>der</strong> Dekade in unserer<br />
Landeskirche schlummern. Sie hat damit aus ihrer<br />
Sicht künftige Prioritäten kirchlicher Arbeit deutlich<br />
gemacht.<br />
Dass die Evangelische Jugend unserer Landeskirche<br />
zügig und konsequent auf das Thema <strong>der</strong><br />
Dekade zugegangen ist, zeigt, dass sie die Zeichen<br />
<strong>der</strong> Zeit erkannt hat und ihre Jugendarbeit in <strong>der</strong><br />
Lage ist, auf aktuelle kirchliche und gesellschaftliche<br />
Entwicklungen einzugehen.<br />
Siegfried Rupnow<br />
Die herzförmigen<br />
Hände über <strong>der</strong> fragmentierten<br />
Erde symbolisieren<br />
die Notwendigkeit<br />
und die Hoffnung, Gewalt<br />
zu überwin<strong>den</strong>. Die gelbe<br />
Erde bedeutet Hoffnung<br />
inmitten von Unruhe, während<br />
die scharfen Kanten<br />
<strong>der</strong> grünen Form auf die<br />
Gefahr hindeuten, in <strong>der</strong><br />
sich die Erde befindet. Die<br />
Bewegung <strong>der</strong> Schrift um die<br />
Erde herum deutet die Dynamik<br />
dieser weltweiten Initiative an.<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_105<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Dekade zur Überwindung von Gewalt <strong>2001</strong>-2010 - ein Programm des Ökumenischen Rates <strong>der</strong> Kirchen<br />
106_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …
» Praxisbeispiele
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Praxisbeispiele<br />
Ich brauche Platz<br />
Material: zwei Stühle o<strong>der</strong> eine kleine Bank<br />
Übung zu dritt. Zwei Mädchen sitzen auf zwei<br />
Stühlen (o<strong>der</strong> einer kleinen Bank). In <strong>der</strong> Mitte ist<br />
soviel Platz, dass noch eine Person sitzen könnte.<br />
Dort nimmt die dritte Person Platz. Alle drei schließen<br />
die Augen, besinnen sich auf sich selbst und<br />
versuchen dann, sich möglichst bequem hinzusetzen.<br />
Anschließend wer<strong>den</strong> die Rollen so getauscht,<br />
dass jede einmal in <strong>der</strong> Mitte sitzt.<br />
Ich breche aus<br />
Die Teilnehmerinnen bil<strong>den</strong> einen Kreis und fassen<br />
sich an <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong>. Ein Mädchen steht in <strong>der</strong><br />
Mitte und versucht <strong>den</strong> geschlossenen Kreis zu<br />
durchbrechen. Wenn sie ausgebrochen ist, kann<br />
sie sich im Kreis einen Platz wählen, mit dem<br />
sie zufrie<strong>den</strong> ist. Die Mädchen im Kreis dürfen<br />
nicht miteinan<strong>der</strong> sprechen, son<strong>der</strong>n sollen das<br />
Verhalten des ausbrechen<strong>den</strong> Mädchens beobachten.<br />
Auswertungsgespräch:<br />
(Das erste Wort hat das Mädchen, das in <strong>der</strong> Mitte<br />
stand.)<br />
• Wie hast du dich in <strong>der</strong> Mitte gefühlt?<br />
108_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Auswertungsgespräch:<br />
• Konnte ich mir Platz verschaffen?<br />
• Wurde ich verdrängt?<br />
• Ist es mir leicht gefallen, Druck auszuüben?<br />
• Ist es mir leicht gefallen, Druck auszuhalten?<br />
• An welcher Stelle habe ich meine Kraft eingesetzt,<br />
an welcher Stelle habe ich sie zurückgenommen?<br />
• Erlebe ich ähnliche Situationen in meinem<br />
Alltag, wie geht es mir mit solchen Erlebnissen?<br />
• Hat es zu lange gedauert?<br />
• Was haben die an<strong>der</strong>en Mädchen beobachtet?<br />
• Wie versuchte das Mädchen auszubrechen?<br />
Setzte sie neben <strong>den</strong> körperlichen auch noch<br />
an<strong>der</strong>e Kräfte ein?<br />
• Nach welchen Kriterien suchte sie schließlich<br />
einen neuen Platz im Kreis?<br />
• Waren die Versuche des Kreises sehr intensiv,<br />
das Mädchen am Ausbrechen zu hin<strong>der</strong>n?<br />
aus:<br />
Pfadfin<strong>der</strong>innenschaft St. Georg, Arbeitshilfe<br />
„Starke Mädchen“ zur Prävention von sexueller<br />
Gewalt an Mädchen und Frauen, 1993
Rück‘ mir nicht auf die Pelle<br />
Öffentliche sexuelle Belästigungen von Mädchen<br />
in <strong>der</strong> Pubertät sind gang und gäbe. Der Cartoon<br />
erlaubt es Mädchen, darüber zu sprechen.<br />
Gesprächsleitfa<strong>den</strong><br />
Ein 12jähriges Mädchen sitzt in <strong>der</strong> Straßenbahn.<br />
Sie hört Musik über Kopfhörer und schaut ganz<br />
versunken durch das Fenster. Obgleich noch viele<br />
an<strong>der</strong>e Plätze frei sind, setzt sich ein Mann direkt<br />
neben sie und macht sich sehr breit - bedrängt sie<br />
mit seinem Körper. PIötzlich spürt sie seine Hand<br />
an ihrem Oberschenkel. Der Übergriff geschieht<br />
wie nebenher, scheinbar zufällig, als ließen sich<br />
die Berührungen nicht vermei<strong>den</strong>. Doch die Tarnung<br />
mißlingt. Jetzt reicht’s! Wütend blickt das<br />
Mädchen <strong>den</strong> Belästiger an. Aus dieser Stimmung<br />
heraus bläst sie mit ihrem Kaugummi eine große<br />
Blase und knallt ihm diese auf die Brille. Dabei<br />
schreit sie: »Uuups - ist aber auch schrecklich eng<br />
hier!«<br />
Der Mann ist von <strong>der</strong> spontanen Abwehr des<br />
Mädchens vollkommen überrascht. Damit hat er<br />
nicht gerechnet! Die Situation wird peinlich. Das<br />
Mädchen ist für ihn unberechenbar. Er hält es für<br />
ratsam, <strong>den</strong> Platz zu räumen, und schleicht sich<br />
aus <strong>der</strong> Sitzreihe. Zwei Kin<strong>der</strong> auf <strong>den</strong> hinteren<br />
Plätzen solidarisieren sich mit dem Mädchen und<br />
rufen laut »Bravo«.<br />
Kommentar<br />
Ganz plötzlich und ohne Vorwarnung befindet sich<br />
das Mädchen in einer Belästigungssituation. Diese<br />
überfallartigen Übergriffe ohne »VorgeplänkeI« erleben<br />
Mädchen täglich. Auch die HauptdarsteIlerin<br />
des Cartoons »trifft es« aus heiterem HimmeI.<br />
Das Mädchen erkennt die Situation. Für sie besteht<br />
kein Zweifel daran, dass <strong>der</strong> Mann sie mit<br />
Für die Arbeit mit Mädchen (jungen Frauen)<br />
voller Absicht sexuell belästigt. Doch sie zeigt klar<br />
und deutlich ihren Wi<strong>der</strong>willen und ihre Entschlossenheit,<br />
ihr Recht auf Platz und Bewegungsfreiheit<br />
zu verteidigen. Wenn <strong>der</strong> Kerl unhöflich ist, dann<br />
kann sie es auch sein! Sie fackeIt nicht lange und<br />
weiß genau, wie die Pläne des Belästigers durchkreuzt<br />
wer<strong>den</strong> können.<br />
Methodische Uberlegungen<br />
Jedes Mädchen sollte erst einmal selbständig<br />
anhand <strong>der</strong> Fragen zu dem Cartoon SteIlung beziehen.<br />
Anschließend kann die Gruppe die Situation<br />
in <strong>der</strong> Straßenbahn nachspielen. Es empfiehlt sich,<br />
während des SpieIs verschie<strong>den</strong>e Wi<strong>der</strong>standsformen<br />
auszuprobieren (verrückt spielen, unhöflich<br />
sein, weglaufen, treten usw. Die Täterrolle<br />
können und sollen auch schüchterne Mädchen<br />
übernehmen.<br />
Anschließend können die Mädchen sich eine <strong>der</strong><br />
SelbstbestimmungsregeIn aussuchen und diese in<br />
<strong>der</strong> Gruppe als Ich-Botschaft laut wie<strong>der</strong>holen.<br />
Z.B.: »Ich steIle meinen Schutz und meine Sicherheit<br />
an erste SteIle … Ich vertraue meinem Gefühl<br />
…« usw. Die Mädchen sollen aussprechen, was sie<br />
spüren, wenn sie diesen Satz sagen, und was sie<br />
dazu bewogen hat, gerade diese Regel auszusuchen.<br />
Oft sind Jugendliche stark verunsichert, weil<br />
sie meinen, sie könnten sich »so etwas« nicht<br />
erlauben, o<strong>der</strong> aber sie spüren, wie wichtig diese<br />
Regeln sind und wie gut es ihnen tut, sie laut zu<br />
sagen. Häufig fällt die Wahl auf Regeln, die entwe<strong>der</strong><br />
wenig beherzigt o<strong>der</strong> schon angewendet<br />
wur<strong>den</strong>. Geben Sie <strong>den</strong> Mädchen die SelbstbestimmungsregeIn<br />
und lassen Sie die einzeInen<br />
Regeln von <strong>den</strong> Kin<strong>der</strong>n illustrieren.<br />
Erklären Sie <strong>den</strong> Mädchen, was eine sexueIle<br />
Belästigung ist! Entschei<strong>den</strong>d ist auch hier das<br />
Verhalten und die Handlung des Belästigers -<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_109<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Für die Arbeit mit Mädchen (jungen Frauen)<br />
110_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …
weniger die Frage, ob er bekannt o<strong>der</strong> fremd ist.<br />
Erzählen Sie eine erIebte Belästigung und wie Sie<br />
sich gefühlt und reagiert haben. Ohne weitere<br />
Auffor<strong>der</strong>ung wer<strong>den</strong> die Mädchen danach über<br />
eigene Erfahrungen berichten.<br />
Beachten Sie jede Erzählung. Manchmal brauchen<br />
Mädchen Formulierungshilfe, z.B. wenn sie sich<br />
schämen, Geschlechtsteile zu benennen. Je<strong>der</strong> Bericht<br />
sollte mit einer positiven Bemerkung über das Mädchen<br />
abgeschlossen wer<strong>den</strong>. Wenn Sie merken, dass<br />
Mädchen sich über Humor und Lachen Distanz zum<br />
ErIebten schaffen, dann machen Sie einfach mit.<br />
Fragestellungen<br />
• Wie hat sich das Mädchen gefühlt, als <strong>der</strong> Mann<br />
sie belästigte?<br />
• Gab es eine Möglichkeit, <strong>der</strong> Belästigung auszuweichen?<br />
• Darf ein Mädchen unfreundlich sein, wenn sie<br />
belästigt wird?<br />
• WeIche Arten <strong>der</strong> Belästigungen kennst Du?<br />
Regeln zur Selbstbestimmung für Mädchen<br />
(ab 11 Jahre)<br />
1 . SteIle Deinen Schutz und Deine Sicherheit an die<br />
erste SteIle, wenn jemand Deine Gefühle und<br />
Deinen Körper nicht achten o<strong>der</strong> verIetzen will.<br />
2. Dein Körper gehört Dir! Du bestimmst, wer ihm<br />
nahe kommen und ihn anfassen darf!<br />
3. Wenn dich jemand bedrängt und unangenehm<br />
berührt, überIege nicht, was diese Person von<br />
dir wilI. ÜberIege was Du willst!<br />
4. Vertraue deinem Gefühl! Wenn sich Berührungen<br />
unangenehm o<strong>der</strong> komisch anfühlen und<br />
Für die Arbeit mit Mädchen (jungen Frauen)<br />
Du Angst und Unsicherheit spürst, dann traue<br />
diesem Gefühl. Meist stimmt es.<br />
5. Manchmal kommt das Gefühl erst später, wenn<br />
Du Dich daran wie<strong>der</strong> erinnerst. Beachte es<br />
genauso!<br />
6. Du darfst wie ein Hund die unangenehmen<br />
Berührungen abschütteIn o<strong>der</strong> sie mit <strong>der</strong> Hand<br />
wegstreichen. Sofort nachdem es passiert ist,<br />
o<strong>der</strong> auch im nachhinein.<br />
7. Du darfst Nein sagen, unfreundlich sein, verrückt<br />
spielen, nicht gehorchen, weglaufen,<br />
herumschreien, treten. Alles ist für Dich erlaubt,<br />
wenn Du glaubst, in Gefahr zu sein.<br />
8. Wenn Du Nein sagst, dann meine auch Nein.<br />
Lache nicht, wenn Du innerlich voll Ärger bist.<br />
Zeige, was Du fühlst und willst.<br />
9. Sprich mit Deinen Freundinnen über unangenehme<br />
Erlebnisse. Du kannst Dir sicher sein,<br />
dass sie Dir glauben, weil sie Ähnliches erIebt<br />
haben. Wenn Du darüber sprichst, dann verpflichte<br />
Deine Freundinnen nicht, darüber zu<br />
schweigen. Überlegt, wer es alles wissen soll<br />
und darf!<br />
aus: Irmgard Schaffrin/Dorothee Wolters,<br />
Auf <strong>den</strong> Spuren starker Mädchen, Cartoons für<br />
Mädchen - diesseits von Gut und Böse, Köln 1993<br />
Hrsg.: Zartbitter e.V., Kontakt- und Informationsstelle<br />
gegen sexuellen Mißbrauch an Mädchen<br />
und Jungen, Sachsenring 2-4, 50677 Köln,<br />
Tel.: 0221/312055<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_111<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />
Elektrischer Draht<br />
Ziel: Erlernen von Problemlösungsstrategien;<br />
Zusammenarbeit; För<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Diskussionsfähigkeit<br />
Teilnehmer: 10 – 15<br />
Alter: ab 14<br />
Material: - zwei Bäume von ca. 5 m<br />
- ein ca. 5 m langes Seil<br />
- ein 2,00 m langes, 15 cm breites<br />
und mindestens 10 cm dickes<br />
Brett<br />
Beschreibung: Das Seil wird zwischen die bei<strong>den</strong><br />
Bäume in einer Höhe von 1,50 m<br />
gespannt. Der Spielleiter erklärt,<br />
dass es elektrisch gela<strong>den</strong> sei.<br />
Aufgabe <strong>der</strong> Teilnehmer ist es, die<br />
gesamte Gruppe von einer Seite<br />
des Seiles auf die an<strong>der</strong>e zu bringen,<br />
wobei das Seil nicht berührt<br />
wer<strong>den</strong> darf. Als Hilfsmittel steht<br />
das Brett zur Verfügung.<br />
Die Regeln sind wie folgt:<br />
- Wenn ein Teilnehmer <strong>den</strong><br />
„Draht“ berührt, muß er neu<br />
beginnen. Für je<strong>den</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Teilnehmer, <strong>der</strong> <strong>den</strong>jenigen zu<br />
diesem Zeitpunkt berührt hat,<br />
gilt das Gleiche; gleichgültig, ob<br />
er bereits auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />
war o<strong>der</strong> nicht.<br />
- Wenn das Brett <strong>den</strong> „Draht“<br />
berührt, müssen die, die das<br />
112_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Brett gehalten haben, von vorn<br />
beginnen.<br />
- Die Bäume, um die das Seil<br />
gespannt ist, stehen ebenfalls<br />
„Unter Strom“.<br />
Variationen: (1) Der „elektrische Draht“ kann<br />
mit Hilfe eines dritten Baumes als<br />
Dreieck gespannt wer<strong>den</strong>. Alle<br />
Teilnehmer müssen in die innere<br />
Fläche des Dreiecks gelangen.<br />
(1.1) Bei dieser Variante ist es auch<br />
möglich, das Seil in unterschiedlichen<br />
Höhen zu spannen (Zum<br />
Beispiel von Baum A zu B eine<br />
Höhe von 1,50 , von B zu C eine<br />
Höhe von 1,40 m und von C zu A<br />
eine Höhe von 1,30 m). Der Spielleiter<br />
kann je nach Gruppenzusammenstellung<br />
bestimmen,<br />
wieviele Teilnehmer über das niedrig,<br />
wieviele über das 1,30 m hoch<br />
gespannte Seil hinüberdürfen.<br />
Erfahrungen: Die Problemstellungen bei dieser<br />
Übung for<strong>der</strong>t die Überlegung, wie<br />
die letzte Person die an<strong>der</strong>e Seite<br />
des „Drahtes“ erreichen kann.<br />
Gruppen, die wild drauflosarbeiten,<br />
wer<strong>den</strong> sich sehr schnell vor<br />
diesem Problem sehen. Es müssen<br />
also sowohl eine Taktik als auch<br />
Personen nach beson<strong>der</strong>en Eigenschaften<br />
diskutiert und ausgewählt<br />
wer<strong>den</strong>.
Säureteich<br />
Ziel: Erlernen von Problemlösungsstrategien;<br />
Zusammenarbeit; För<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Diskussionsfähigkeit<br />
Teilnehmer: 10 –14<br />
Alter: ab 14 Jahre<br />
Material: - ein Baum o<strong>der</strong> jede an<strong>der</strong>e<br />
besteigbare stabile Plattform, an<br />
<strong>der</strong> ein Seil befestigt wer<strong>den</strong> kann<br />
- ein Kletterseil (30 m)<br />
- ein Seil (20 m)<br />
- ein Klettergurt mit Karabiner<br />
- ein Kletterhelm<br />
- ein <strong>Gegen</strong>stand (zum Beispiel<br />
Apfel)<br />
- ein Tuch zum Augenverbin<strong>den</strong><br />
Beschreibung: Das Seil wird an <strong>den</strong> En<strong>den</strong> zusammengeknotet<br />
und vor dem<br />
Baum als Kreis ausgelegt. In <strong>den</strong><br />
Mittelpunkt wird <strong>der</strong> Apfel gestellt.<br />
Aufgabe <strong>der</strong> Gruppe ist es, mit<br />
Hilfe des Kletterseils, des Klettergurtes<br />
mit Helm und des Baumes<br />
<strong>den</strong> Apfel innerhalb einer halben<br />
Stunde aus dem Kreis zu holen.<br />
Der Kreis stellt einen Teich mit<br />
giftiger Säure dar.<br />
Kürzung o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Auflagen wie<br />
z.B. Augenverbin<strong>den</strong> <strong>der</strong> betreffen<strong>den</strong><br />
Person, Hände auf <strong>den</strong> Rücken<br />
bin<strong>den</strong>, etc. erhöhen <strong>den</strong> Schwierigkeitsgrad.<br />
Die gängigste Lösung ist, ein Ende<br />
des Kletterseils in einer maximalen<br />
Höhe von 2,50 m am Baum zu<br />
befestigen (<strong>der</strong> Knoten sollte auf<br />
Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />
alle Fälle vom Betreuer überprüft<br />
wer<strong>den</strong>). Eine Person legt Klettergurt<br />
und Helm an, besteigt <strong>den</strong><br />
Baum und klinkt <strong>den</strong> Karabiner in<br />
das Kletterseil ein. Der Rest <strong>der</strong><br />
Gruppe hält das Kletterseil über<br />
<strong>den</strong> Kreis hinweg gestrafft. Nun<br />
kann sich die Person am Kletterseil<br />
in Richtung Apfel hinunterhangeln<br />
und ihn aufnehmen.<br />
Variationen: (1) Es ist eine sehr interessante<br />
Erschwerung <strong>der</strong> Aufgabe, <strong>der</strong><br />
Person im Klettergurt die Augen zu<br />
verbin<strong>den</strong>.<br />
(2) Je nach Gruppe kann <strong>der</strong> Spielleiter<br />
die Zeitvorgabe verlängern<br />
o<strong>der</strong> verkürzen.<br />
Erfahrungen: Dieses Spiel verlangt Einfallsreichtum<br />
<strong>der</strong> Gruppe. Es gilt eine Taktik<br />
und die geeignete Person für die<br />
Aufgabe zu fin<strong>den</strong>. Die wichtigste<br />
Funktion des Betreuers o<strong>der</strong> Spielleiters<br />
liegt in <strong>der</strong> Sicherheitsüberwachung.<br />
Er hat darauf zu achten,<br />
dass das Kletterseil richtig an <strong>den</strong><br />
Baum geknotet ist und dass sowohl<br />
Klettergurt als auch Helm<br />
ordnungsgemäß angelegt sind.<br />
Man sollte dieses Spiel auf keinen<br />
Fall mit Kin<strong>der</strong>n unter 18 Jahren<br />
spielen. Der Betreuer müßte voraussichtlich<br />
aus sichterheitstechnischen<br />
Grün<strong>den</strong> oft eingreifen<br />
und würde so die Eigeninitiative<br />
<strong>der</strong> Teilnehmer unterdrücke. Damit<br />
wäre <strong>der</strong> Zweck des Spieles verfehlt.<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_113<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />
Das Spinnennetz<br />
Ziel: Erlernen von Problemlösungsstrategien,<br />
Zusammenarbeit; För<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Diskussionsfähigkeit.<br />
Teilnehmer: 10 –12<br />
Alter: ab 14 Jahre<br />
Material: - zwei Bäume im Abstand von<br />
ca. 4m<br />
- ein langes Seil o<strong>der</strong> Nylonschnur<br />
Beschreibung: Zwischen <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> Bäumen wird<br />
ein Spinnennetz mit Hilfe des Seils<br />
gespannt. Es sollte 0,5 m über dem<br />
Bo<strong>den</strong> beginnen und eine Höhe<br />
von 2m haben. Je nach Teilnehmerzahl<br />
müssen zwischen 10 –12<br />
Löcher in dem Netz in verschie<strong>den</strong>en<br />
Höhen vorhan<strong>den</strong> sein.<br />
Aufgabe <strong>der</strong> Gruppe ist es, alle<br />
Teilnehmer durch die Löcher im<br />
Netz zu schleusen, wobei jede<br />
Berührung des Netzes untersagt<br />
ist.<br />
Wenn das Netz berührt wurde,<br />
muss die gesamt Gruppe von vorn<br />
beginnen. Außerdem darf jedes<br />
Loch nur einmal benutzt wer<strong>den</strong>.<br />
Derjenige, <strong>der</strong> einmal durch das<br />
Netz hindurch ist, darf nicht mehr<br />
auf die an<strong>der</strong>e Seite zurück, um<br />
<strong>den</strong> Restlichen zu helfen. Die Hilfe<br />
kann nur auf <strong>der</strong> Seite geschehen,<br />
auf <strong>der</strong> er sich im Moment befindet.<br />
Variationen: (1)Wenn jemand das Netz berührt,<br />
muss nicht die ganze Gruppe noch<br />
mal beginnen; <strong>der</strong> Befreffende<br />
114_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
bekommt stattdessen eine beson<strong>der</strong>e<br />
Aufgabe: sich die Augen zu<br />
verbin<strong>den</strong>, ein Lied beim Durchsteigen<br />
des Netzes zu singen, eine<br />
o<strong>der</strong> beide Hände auf <strong>den</strong> Rücken<br />
zu bin<strong>den</strong>, einen <strong>Gegen</strong>stand mit<br />
durch das Netz zu nehmen, etc.<br />
(2) Der Spielleiter kann als zusätzliches<br />
„Loch“ <strong>den</strong> Weg unter dem<br />
Netz, jedoch nicht über dem Netz<br />
anbieten.<br />
Erfahrungen: Diese Übung för<strong>der</strong>t neben dem<br />
Erlernen von Problemlösungensstrategien<br />
(Aufgabe akzeptieren,<br />
Plan fassen und ausprobieren) die<br />
Zusammenarbeit und die Diskussionsfähigkeit<br />
einer Gruppe, da sie<br />
wie die an<strong>der</strong>en von einem Individuum<br />
nicht zu lösen ist.<br />
Der Spielleiter sollte zu Beginn<br />
betonen, dass es sich bei dieser<br />
Übung um eine Gruppenaktivität<br />
handelt. Die Aufgabe ist erst erfüllt,<br />
wenn alle Gruppenmitglie<strong>der</strong><br />
die an<strong>der</strong>e Seite des Netzes erreicht<br />
haben. Es wird wahrscheinlich<br />
einige geben, die sich sofort<br />
ein für sie leichtes Loch aussuchen.<br />
Wie die restlichen Teilnehmer<br />
hinüberkommen, ist ihnen im<br />
ersten Moment nicht so wichtig.<br />
Ansonsten kann ich diese Übung<br />
nur empfehlen, sie weckt großen<br />
Ehrgeiz, da sie am Anfang fast<br />
unmöglich zu lösen erscheint.<br />
Aus: Reiners, Annette: Praktische Erlebnispädagogik,<br />
Alling, 1997
Konkurrenz unter Jungen<br />
- möglicher Auslöser von Gewalt<br />
Einleitung: Ist die Konkurrenz unter Jungen das<br />
auslösende Moment für Gewalt? Geht<br />
man <strong>der</strong> ursprünglichen Bedeutung<br />
von Konkurrenz nach, so bedeutet es<br />
im Lateinischen: Wettstreit. Sicherlich<br />
im klassischen Sinne von fairem Wettstreit.<br />
In unserer Zeit ist damit stärker<br />
<strong>der</strong> Akzent des Ausstechens, besser<br />
sein als <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e verbun<strong>den</strong>. Jungen<br />
stehen in ständigem Wettstreit, in<br />
ständiger Konkurrenz zu einan<strong>der</strong>.<br />
Beobachten können wir das an ständigen<br />
Rangeleien und Schubsereien.<br />
Darüber hinaus sind Jungen häufig in<br />
Situationen des sich gegenseitig<br />
Ausstechens verwickelt. Egal ob es um<br />
Kleidung, um Cool sein, um körperliche<br />
Leistung, Rauchen, Alkohol, o<strong>der</strong><br />
Mädchen geht. In diesen täglichen<br />
kleinen Auseinan<strong>der</strong>setzungen lernen<br />
sie unter an<strong>der</strong>em Durchsetzungsvermögen<br />
und Willensstärke.<br />
Doch wird es <strong>den</strong> Jungen zum Verhängnis,<br />
wenn sich diese Dynamik<br />
verselbstständigt, o<strong>der</strong> wenn sie<br />
ausschließlich von solchen tagtäglichen<br />
Bestätigungen durch Rangeleien<br />
abhängig wer<strong>den</strong>. In <strong>der</strong> Übersteigerung<br />
dieses Bedürfnisses liegt die<br />
Gefahr. Jungen geht es häufig darum,<br />
in <strong>der</strong> Selbstdarstellung und Außenwirkung<br />
immer ein wenig an<strong>der</strong>s,<br />
besser dazustehen, als die An<strong>der</strong>en.<br />
Ein wenig mehr Aufmerksamkeit für<br />
sich zu bekommen, ein bisschen mehr<br />
zu sein als <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e. Dabei ist <strong>der</strong><br />
Kern <strong>der</strong> Streites eigentlich ziemlich<br />
nebensächlich. Das Prinzip des Konkurrierens,<br />
des Ausstechens an sich ist<br />
wichtig. In diesem Prozess gibt es<br />
Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />
immer zwei Seiten: einen Gewinner<br />
und einen Verlierer. Ist es erreicht, die<br />
Überlegenheit o<strong>der</strong> eigene Bedürfnisse<br />
zu demonstrieren, hat das Verhalten<br />
auch immer einen Verlierer produziert,<br />
<strong>der</strong> kleiner, schwächer, weniger, hässlicher<br />
ist, als man selbst.<br />
Jungen, die sich häufig in <strong>der</strong> Verliererposition<br />
wie<strong>der</strong>fin<strong>den</strong>, sehen sich, um<br />
ihr Selbstwertgefühl wie<strong>der</strong> aufzubauen,<br />
zunehmend in die Situation<br />
gedrängt, mit „aller Gewalt” ihre<br />
Persönlichkeit o<strong>der</strong> ihre Position in <strong>der</strong><br />
Gruppe verteidigen zu müssen. Sie<br />
überschreiten in ihrem übersteigerten<br />
Eifer dann häufig die Grenzen an<strong>der</strong>er.<br />
Verliert ein Junge diese Konkurrenz<br />
zum gleichen Geschlecht, so besteht<br />
für ihn immer noch die Möglichkeit,<br />
seine Überlegenheit gegenüber Mädchen<br />
zu betonen. „Ich war besser, als<br />
das beste Mädchen”. Somit kann er<br />
seinen angekratzten Selbstwert wenigstens<br />
teilweise zurückzugewinnen.<br />
Das Prinzip des Konkurrierens ist im<br />
männlichen Denken fest verankert und<br />
bestimmt das Verhalten zu <strong>den</strong> Geschlechtsgenossen.<br />
Der Mythos des<br />
„Einzelkämpfers” ( Ich schaffe das<br />
schon alleine ), steht <strong>der</strong> Solidarität<br />
unter Jungen im Wege. Somit wird eine<br />
vertrauensvolle und hilfsbereite Atmosphäre<br />
zwischen <strong>den</strong> Jungen verhin<strong>der</strong>t.<br />
Spiel: Der große Reiz<br />
Thema: Gewalt und Aggression<br />
Einleitung:Eine Aufgabe <strong>der</strong> Arbeit mit Jungen ist<br />
es, sie aus diesen Konkurrenzsituati-<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_115<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />
onen herauszuholen, ihre Solidarität<br />
untereinan<strong>der</strong> zu för<strong>der</strong>n<br />
und somit zur Vermeidung von<br />
Gewaltanwendung beizutragen.<br />
Dazu ist es erfor<strong>der</strong>lich ihnen<br />
diese Konkurrenzsituationen vor<br />
Augen zu führen und gemeinsam<br />
nach Alternativlösungen zu<br />
suchen.<br />
Aufgabe ist es, sie von dem<br />
Zwang zu befreien, immer besser,<br />
schneller o<strong>der</strong> stärker sein<br />
zu müssen als <strong>der</strong> An<strong>der</strong>e. Das<br />
folgende Spiel bietet Jungen die<br />
Möglichkeit im spielerischen<br />
Wettstreit an<strong>der</strong>e Verhaltensweisen<br />
anzu<strong>den</strong>ken, bzw. im Rollenspiel<br />
auszuprobieren und als<br />
mögliche Verhaltensmuster für<br />
sich kennenzulernen.<br />
Zielgruppe: Jungen im Alter ab 12 Jahren; auf<br />
Freizeiten und in Gruppenstun<strong>den</strong><br />
entwe<strong>der</strong> aus einer<br />
Jugendgruppe, Konfirman<strong>den</strong>gruppe,<br />
o<strong>der</strong> einer Projektgruppe<br />
in einer Schule.<br />
Teilnehmerzahl mindestens 8<br />
Dauer: ca. 2 Stun<strong>den</strong><br />
Zielformulierung: Die Jungen sollen in einer spielerischen<br />
Situation im Wettstreit<br />
um Punkte Konflikt und Konkurrenzsituationen<br />
gewaltfrei<br />
lösen lernen. Sie sollen erleben,<br />
dass Nachgeben nicht „uncool<br />
sein“ bedeutet. Sie sollen erleben,<br />
dass an<strong>der</strong>e Jungen ähnliche<br />
Erfahrungen im Erleben von<br />
Konkurrenz machen.<br />
Ablauf: Der große Reiz ( in Anlehnung an<br />
die Fernsehsendung „Der große<br />
116_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Preis”) kann in vielen verschie<strong>den</strong>en<br />
Ausprägungen und unter<br />
verschie<strong>den</strong>sten Themenstellungen<br />
gespielt wer<strong>den</strong>. Wichtig<br />
hierbei ist, dass Fragen und<br />
Aufgaben von <strong>den</strong> Leiten<strong>den</strong><br />
selbst ausgesucht und durchdacht<br />
wor<strong>den</strong> und auf die Gruppe<br />
abgestimmt wor<strong>den</strong> sind.<br />
Somit sind die hier abgedruckten<br />
Fragen und Aufgaben als<br />
Anregung zu verstehen.<br />
Als Leitung muss ich mir die<br />
Fragen selbst zutrauen, um ein<br />
Gespür zu haben, was <strong>den</strong><br />
Jungen bei <strong>der</strong> Beantwortung an<br />
Gefühlen begegnen kann.<br />
Zu Beginn des Spiels wer<strong>den</strong><br />
Kleingruppen von 2 - 4 Spielern<br />
gebildet, die sich bei <strong>der</strong> Beantwortung<br />
<strong>der</strong> Fragen o<strong>der</strong> bei <strong>der</strong><br />
Erfüllung <strong>der</strong> Aufgabe unterstützen.<br />
Die erste Aufgabe <strong>der</strong><br />
Kleingruppe vor Spielbeginn ist<br />
es, sich einen Namen zu geben.<br />
Nun beginnt ein Team von <strong>den</strong><br />
verdeckten, nur mit Punktzahlen<br />
versehenen Fel<strong>der</strong>n zu <strong>den</strong><br />
verschie<strong>den</strong>en Überschriften<br />
eine Frage auszuwählen. Das<br />
gewählte Feld wird umgedreht<br />
und die Frage/Aufgabe laut<br />
vorgelesen. Das Recht des<br />
Wählens geht nach je<strong>der</strong> Frage<br />
zum nächsten Team über. Die<br />
Punktevergabe o<strong>der</strong> Lösung <strong>der</strong><br />
Aufgabe entscheidet nicht die<br />
Spielleitung, son<strong>der</strong>n alle urteilen<br />
über Antwort und Punkteverteilung.<br />
aus: Halbe Hem<strong>den</strong> - ganze Kerle<br />
Landesstelle Jugendschutz Nie<strong>der</strong>sachsen
Jungen<br />
Zähle vier Möglichkeiten<br />
auf, wie Jungen<br />
einen Streit/Konflikt<br />
been<strong>den</strong> können? WeIche<br />
Möglichkeit wählst<br />
Du am häufigsten?<br />
Zähle Gründe auf<br />
warum Jungen sich<br />
prügeln? Welche Gründe<br />
kennst Du von Dir?<br />
Du hast einen heftigen<br />
Streit mit Deinem Vater<br />
über das Schuleschwänzen.<br />
Spiel die<br />
Streitsituation nach.<br />
Spiele ein Gespräch<br />
von zwei Jungen in<br />
Deinem Alter mit <strong>der</strong><br />
Frage nach: Was fin<strong>den</strong><br />
Jungen so interessant<br />
an Rambo?<br />
Jungen<br />
20<br />
40<br />
60<br />
80<br />
Lösungen<br />
WeIches Signal/Äußerung<br />
würde Dich stoppen,<br />
weiter auf einen<br />
an<strong>der</strong>en einzuschlagen?<br />
Joker<br />
Erzähle eine Begebenheit<br />
von Dir, in <strong>der</strong> Du<br />
gestritten hast, und<br />
vielleicht auch geschlagen<br />
hast? Wie bist Du<br />
da für Dich zu einem<br />
Ende gekommen?<br />
Folgende Situation: Du<br />
betrittst eine Straßenbahn.<br />
Es ist nur ein<br />
Sitzplatz frei. Ein<br />
Klassenkamerad, <strong>den</strong><br />
Du nicht lei<strong>den</strong> kannst<br />
versucht es ebenfalls.<br />
Was passiert?<br />
Lösungen<br />
20<br />
40<br />
60<br />
80<br />
Für die Arbeit mit Jungen (jungen Männern)<br />
Gewalt<br />
VervolIständige folgen<strong>den</strong><br />
Satz in drei Varianten.<br />
Gewalt ist, wenn ...<br />
Assoziiere Worte zum<br />
Thema Gewalt mit <strong>den</strong><br />
Anfangsbuchstaben von<br />
Gewalt: G -E-W -A -L-T<br />
Gibt es für Dich eine<br />
Grenze zwischen Gewalt<br />
und Aggression?<br />
Wo ist sie? Beschreibe<br />
<strong>den</strong> Unterschied mit<br />
Deinen Worten.<br />
Beschreibe eine Situation,<br />
Begebenheit in<br />
<strong>der</strong> Du Opfer gewor<strong>den</strong><br />
bist. Welche Gefühle<br />
sind da bei Dir hochgekommen?<br />
Gewalt<br />
20<br />
40<br />
60<br />
80<br />
Konflikte<br />
Beschreibe das Bild.<br />
Was geht in Dir vor<br />
wenn Du es siehst?<br />
Beschreibe eine Situation,<br />
in <strong>der</strong> Du Dich körperlich<br />
gewehrt hast.<br />
Was hast Du gefühlt?<br />
Beschreibe einen<br />
Konflikt, <strong>der</strong> Dich<br />
innerlich hin und her<br />
gerissen hat. Wie bist<br />
Du da wie<strong>der</strong> herausgekommen?<br />
Beschreibe, wie Du<br />
Dich abregst, wenn Du<br />
Dich ins Unrecht gesetzt<br />
fühlst. Welche<br />
Möglichkeiten hast<br />
Du?<br />
Konflikte<br />
20<br />
40<br />
60<br />
80<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_117<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />
Lebenskurve: Erfahrungen von Gewalt<br />
Einleitung: JedeR von uns hat Gewalt in<br />
unterschiedlicher Form in<br />
ihrem/seinem Leben schon<br />
einmal erfahren. Diese Einheit<br />
gibt die Möglichkeit sich<br />
im vertrauten Rahmen über<br />
Gewalterfahrungen auszutauschen<br />
und Solidarität in <strong>der</strong><br />
erlebten Situation durch die<br />
Äußerungen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
Teilnehmen<strong>den</strong> zu erfahren.<br />
Zielgruppe: Diese Einheit erfor<strong>der</strong>t ein<br />
hohes Maß an Vertrauen<br />
innerhalb <strong>der</strong> Gruppe und zur<br />
Gruppenleitung. Die Teilnehmen<strong>den</strong><br />
sollten sich gut<br />
kennen. Vielleicht auf einer<br />
gemeinsamen Freizeit sein,<br />
o<strong>der</strong> schon eine längere Zeit<br />
in einer Gruppe zusammen<br />
sein und mindestens 16 Jahre<br />
alt sein.<br />
Zielformulierungen: Die Teilnehmen<strong>den</strong> sollen<br />
anhand <strong>der</strong> Lebenskurve<br />
konkrete Erlebnisse aus<br />
Anzahl<br />
6 •<br />
5 •<br />
4 •<br />
3 •<br />
2 •<br />
1<br />
•<br />
118_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
ihrem persönlichen Bereich<br />
mit Gewaltstrukturen und<br />
Gewalt benennen. In einem<br />
weiteren Schritt sollen die<br />
Gefühle <strong>der</strong> Teilnehmen<strong>den</strong><br />
zur Sprache kommen. Die<br />
Teilnehmen<strong>den</strong> sollen erkennen,<br />
dass sie mit ihren Gefühlen<br />
nicht allein sind.<br />
Ablauf: JedeR Teilnehmende erhält<br />
ein Arbeitsblatt mit dem<br />
Koordinatenkreuz „Lebenskurve”.<br />
Die Teilnehmen<strong>den</strong><br />
tragen ihre individuellen<br />
Erfahrungen in das Arbeitsblatt<br />
ein.<br />
Auswertung: In welchen Situationen habe<br />
ich Gewalt erlebt?<br />
Welche Person waren / sind<br />
daran beteiligt?<br />
Welche Gefühle hat das bei<br />
mir ausgelöst?<br />
Wie gehe ich damit um?<br />
Wie bin ich damit umgegangen?<br />
• • • •<br />
5 10 15 20<br />
Lebensalter
Grenzen wahrnehmen<br />
Einleitung: Begeisterung kennt keine<br />
Grenzen habe ich vorhin behauptet.<br />
Im Sturme <strong>der</strong> Begeisterung<br />
kommt es schnell zu<br />
Grenzverletzungen an<strong>der</strong>er. Die<br />
folgende Übung soll Möglichkeiten<br />
aufzeigen, die eigene<br />
Grenze und die <strong>der</strong>/des An<strong>der</strong>en<br />
kennenzulernen.<br />
Zielgruppe: Die Gruppe sollte vertraut miteinan<strong>der</strong><br />
sein. Sie sollte sich<br />
entwe<strong>der</strong> auf einer Freizeit befin<strong>den</strong>,<br />
o<strong>der</strong> aber schon längere<br />
Zeit in einer Gruppe zusammen<br />
sein. Alter ab 16 Jahren.<br />
Zielformulierung: Die TN sollen ihre eigenen Grenzen<br />
deutlicher erfahren und die<br />
Grenzen an<strong>der</strong>er akzeptieren<br />
lernen. Unsichtbare persönliche<br />
Grenzen sollen durch die Übung<br />
visualisiert wer<strong>den</strong>.<br />
Ablauf: Ein TN steht auf <strong>der</strong> einen Seite<br />
des Raumes mit dem Gesicht<br />
Burgspiel<br />
Einleitung: Grenzüberschreitungen sind ein<br />
gewaltsames Eindringen in <strong>den</strong><br />
Persönlichkeitsbereich an<strong>der</strong>er.<br />
Grenzverletzungen geschehen<br />
manchmal auch unbewußt.<br />
Die folgende Übung will die<br />
Grenzen in Form eines Spieles<br />
deutlich machen und <strong>den</strong> Teilnehmen<strong>den</strong><br />
Wege eröffnen,<br />
Grenzen nicht gewaltsam und<br />
unbewusst zu überschreiten.<br />
Durch diese Übung wer<strong>den</strong> die<br />
Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />
zur Wand. Der/die an<strong>der</strong>e TN<br />
steht auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite des<br />
Raumes, das Gesicht auf <strong>den</strong><br />
Rücken des an<strong>der</strong>en gerichtet.<br />
Auf Kommando des 1. TN setzt<br />
sich <strong>der</strong> 2. TN langsam in Bewegung,<br />
Richtung 1. TN. DieseR<br />
versucht das langsam Näherkommen<br />
des 2. TN zu erspüren<br />
und sagt „Stopp” wenn es ihm/<br />
ihr zu dicht wird. Dann dreht er/<br />
Sie sich um und betrachtet die<br />
Entfernung zum 2. TN.<br />
Auswertung: Wie dicht habe ich <strong>den</strong> 2. TN an<br />
mich herangelassen?<br />
War meine Vermutung mit <strong>der</strong><br />
tatsächlichen Entfernung i<strong>den</strong>tisch?<br />
Was hab ich in meinem Rücken<br />
gespürt?<br />
Wo liegt meine körperliche<br />
Grenze?<br />
Wie ist es mir mit dem auf<br />
<strong>den</strong> an<strong>der</strong>en Zugehen ergangen?<br />
Teilnehmen<strong>den</strong> in ihrer Kreativität<br />
und Sensibilisierung für<br />
einan<strong>der</strong> gestärkt.<br />
Zielgruppe: Dieses Spiel eignet sich für<br />
Gruppen auf Freizeiten o<strong>der</strong><br />
auch im Schulbereich.<br />
Alter ab 12 Jahren, aber auch für<br />
jüngere.<br />
Zielformulierung: Die Teilnehmen<strong>den</strong> sollen<br />
Grenzen erkennen und durch<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_119<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />
Burgspiel (Variante)<br />
Kreativität vorsichtig öffnen<br />
lernen.<br />
Ablauf: Es wird eine Mädchen- und eine<br />
Jungengruppe gebildet. Die einen<br />
gehen hinaus, die an<strong>der</strong>en<br />
bil<strong>den</strong> einen dichten Kreis und<br />
setzten sich auf <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong>. Sie<br />
verabre<strong>den</strong> ein Zeichen auf das<br />
hin sich <strong>der</strong> Kreis öffnen (Bein<br />
streicheln, Ärmel aufkrempeln,<br />
sanft am Ohrläppchen zupfen,<br />
o.ä.). Die Gruppe von draußen<br />
kommt herein und versucht das<br />
Zeichen zu fin<strong>den</strong>, in dem sie<br />
mögliche Verhaltensweisen<br />
gemeinsam ausprobieren. Die<br />
Zielformulierung: Einübung (gewaltfreier) Problemlösungen<br />
Ablauf: Eine Gruppe wird in zwei Kleingruppen<br />
unterteilt. Die einen<br />
gehen Hinaus. Die an<strong>der</strong>en<br />
bil<strong>den</strong> einen dichten Kreis auf<br />
dem Bo<strong>den</strong>. Die Gruppe von<br />
außen hat als Ziel in die Burg zu<br />
gelangen. Die Gruppe von innen<br />
soll das verhin<strong>der</strong>n.<br />
Auswertung: Die TN sowohl in <strong>der</strong>, als auch<br />
außerhalb <strong>der</strong> Burg sollten<br />
über ihre Erfahrungen/Gefühle<br />
re<strong>den</strong>. Dabei sollte<br />
Praxisbeispiel (Väter) für die thematische Arbeit<br />
mit Jungen (männlichen Jugendlichen):<br />
Gemischtgeschlechtliche Gruppen können in zwei<br />
geschlechtshomogene Untergruppen aufgeteilt<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
120_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Personen im Kreis lassen sich<br />
z. B. auf die Nase stupsen und<br />
öffnen <strong>den</strong> Kreis erst wenn das<br />
verabredete Zeichen von einem<br />
gefun<strong>den</strong> wurde.<br />
Auswertung: Die Teilnehmen<strong>den</strong> sowohl in<br />
<strong>der</strong>, als auch außerhalb <strong>der</strong><br />
Burg sollten über ihre Erfahrungen/Gefühle<br />
re<strong>den</strong> können.<br />
Anmerkung: Wichtigste Regel für dieses<br />
Spiel ist kein aggressives, o<strong>der</strong><br />
unangenehmes Verhalten zuzulassen.<br />
Es geht um kreative<br />
Ideen im Blick auf Grenzöffnungen.<br />
auch thematisiert wer<strong>den</strong>, wie<br />
eine Lösung zustande kam<br />
und wie die Gruppe kooperiert<br />
hat.<br />
Anmerkung: Kommt es zu einem konfrontativem<br />
Verhalten <strong>der</strong> äußeren<br />
Gruppe, lässt sich daran sehr<br />
gut über das Thema Gewalt<br />
re<strong>den</strong>. In einem zweiten Durchgang<br />
kann sehr gut die an<strong>der</strong>e<br />
Variante des Burgspiels erprobt<br />
wer<strong>den</strong>. Wenn man vor hat,<br />
beide Varianten auszuprobieren,<br />
sollte diese Variante zuerst<br />
durchgeführt wer<strong>den</strong>.<br />
Lies <strong>den</strong> Text bis zum Ende durch.<br />
(Wenn möglich, die Musikversion von <strong>der</strong> Gruppe<br />
„Die Ärzte“ anhören.)
Was für ein Männerbild wird hier transportiert<br />
bzw. welche männlichen Rollenzuschreibungen<br />
wer<strong>den</strong> thematisiert?<br />
Welche Alternativen gibt es?<br />
Was für ein Frauenbild wird hier transportiert?<br />
Welche Möglichkeiten gibt es für Mädchen und<br />
Frauen, sich gegen männliche Gewalt zu wehren?<br />
In einer Bar sprach er<br />
mich an.<br />
Er war betrunken und<br />
er roch nach Schweiß.<br />
Er sagte: „Junge, hör<br />
mir zu, da gibt es<br />
etwas, das ich besser<br />
weiß.<br />
Die Emanzipation ist<br />
<strong>der</strong> gerechte Lohn, für die verweichlichte Männerschaft.<br />
Doch du kannst mir vertrauen zwischen Männern<br />
und Frauen,<br />
gibt es einen Unterschied, <strong>der</strong> ganz gewaltig klafft.“<br />
Und was ich dann hörte, was mich total empörte,<br />
es wie<strong>der</strong>zugeben fehlt mir fast die Kraft.<br />
Er sagte: Manchmal, aber nur manchmal, haben<br />
Frauen ein kleines bisschen Haue gern.<br />
Manchmal, aber nur manchmal, haben Frauen ein<br />
kleines bisschen Haue gern.<br />
Ich sagte: „Laß´ mich in Ruh´. Ich hör´ Dir nicht<br />
mehr zu, Du stinkbesoffenes Machoschwein!“<br />
Das hörte er nicht gern. Er fing an, an mir zu zerren.<br />
Kurz darauf fing ich mir eine ein.<br />
Er schrie: „Stell´ Dich nicht blind! Du bist doch kein<br />
Kind. Ich mach Dich alle, dann weißt Du Bescheid!“<br />
Doch statt mir noch eine zu zimmern, fing er an zu<br />
wimmern, jetzt tat <strong>der</strong> Typ mir plötzlich leid.<br />
Er fing an zu flehen, ich sollte endlich verstehen.<br />
Sein Mundgeruch brachte mir Übelkeit.<br />
Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />
Manchmal haben Frauen…<br />
Die Ärzte (M/T: Felsenheimer)<br />
Was passiert (worin liegt die Gefahr), wenn Radiosen<strong>der</strong><br />
das Lied nicht bis zum Ende ausspielen?<br />
Wird das Lied <strong>der</strong> tatsächlichen Gewalt gegen<br />
Mädchen und Frauen gerecht?<br />
Ist die Art und Weise des Liedes geeignet, das<br />
Problem <strong>der</strong> Gewalt gegen Mädchen und Frauen<br />
angemessen zu problematisieren?<br />
Er sagte: Manchmal, aber nur manchmal, haben<br />
Frauen ein kleines bisschen Haue gern.<br />
Manchmal, aber nur manchmal, haben Frauen ein<br />
kleines bisschen Haue gern.<br />
Ich stieß ihn weg und rannte nach Haus´, das<br />
mußte ich meiner Freundin erzählen.<br />
Ich ließ nichts aus, es sprudelte aus mir raus. Die<br />
Ungewissheit fing an mich zu quälen.<br />
Das war mir noch nie passiert. Ich war wie traumatisiert,<br />
und etwas neugierig war ich auch.<br />
Da lächelte sie und hob ihr Knie, und rammte es<br />
mit voller Wucht in meinen Bauch.<br />
Als ich nach Atem rang und ihre Stimme erklang,<br />
umwehte sie ein eisiger Hauch.<br />
Sie sagte: Manchmal, aber nur manchmal, haben<br />
Frauen ein kleines bisschen Haue gern.<br />
Manchmal, aber nur manchmal, haben Frauen ein<br />
kleines bisschen Haue gern.<br />
Immer, ja wirklich<br />
immer, haben<br />
Typen wie<br />
Du, was auf die<br />
Fresse verdient.<br />
Immer, ja wirklich<br />
immer, haben<br />
Typen wie<br />
Du, was auf die<br />
Fresse verdient.<br />
© Sascha Lüthje<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_121<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />
Begeisterung kennt keine Grenzen<br />
Wer lässt sich nicht gerne von etwas begeistern?<br />
Ich je<strong>den</strong>falls bin mit Begeisterung bei vielen<br />
Aktionen dabei, sei es nun das Spielen, eine Sportveranstaltung<br />
meines Lieblingsvereins o<strong>der</strong> aber<br />
bei meiner Lieblingsmusik auf einem Konzert.<br />
Begeisterung ist für mich eine gefühlsmäßige<br />
Zustimmung zu einer Sache/Idee/Aktion, o.ä. In<br />
<strong>der</strong> evangelischen Jugendarbeit versuchen wir mit<br />
unseren Angeboten Jugendliche und Kin<strong>der</strong> zu<br />
begeistern. Deshalb sind unsere Angebote zum<br />
einen sehr vielfältig, und zum an<strong>der</strong>en haben sie<br />
einen hohen Begeisterungswert. Begeisterung<br />
wird in Freizeiten, Aktionen, Spielsituationen,<br />
Konzerten und Gottesdiensten erlebbar.<br />
Durch die Erlebnisgesellschaft hervorgerufen, wird<br />
<strong>der</strong> Drang zu immer mehr Erleben und Begeisterung<br />
größer. Die Schwelle <strong>der</strong> Begeisterungsfähigkeit<br />
steigt an und erfor<strong>der</strong>t somit ein ständig<br />
sich selbst übertreffendes Erlebnisangebot (Kick,<br />
Events, Thrill).<br />
Allerdings bedeutet Begeisterung noch keine<br />
eindeutige I<strong>den</strong>tifikation o<strong>der</strong> reflektierte Zustimmung<br />
mit <strong>der</strong> Sache an sich, son<strong>der</strong>n sie beinhaltet,<br />
dass ich mich emotional von dem Geist, <strong>der</strong><br />
dieser Sache/Aktion/Idee innewohnt, anstecken<br />
und mittragen lasse. Dieses „unreflektierte Verhalten”<br />
birgt die Gefahr des Umkippens <strong>der</strong> Begeisterung<br />
in Gewalt o<strong>der</strong> Euphorie. Wie schnell kann<br />
Begeisterung kennt keine Grenzen<br />
Einleitung: Menschen lassen sich von unterschiedlichen<br />
Dingen und auch<br />
unterschiedlich stark o<strong>der</strong><br />
schnell begeistern. Die folgende<br />
Übung für Jugendliche ab<br />
12 Jahren auf einer Freizeit o<strong>der</strong><br />
während einer Gruppen-/Schulstunde<br />
bietet die Möglichkeit,<br />
122_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
aus <strong>der</strong> Begeisterung für einen Fußballverein in<br />
<strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit an<strong>der</strong>en Vereinen im<br />
Falle einer sportlichen Nie<strong>der</strong>lage „eine gewaltige<br />
Begeisterung” wer<strong>den</strong>.<br />
Begeisterung für eine Person, eine Idee, die in<br />
Euphorie umschlägt und zur Folge hat, dass eigenes<br />
Verhalten grenzenlos wird und die Grenzen<br />
an<strong>der</strong>er überschreitet. Zum Beispiel, wenn ich<br />
versuche eine An<strong>der</strong>e/einen An<strong>der</strong>en von meiner<br />
Idee „mit Gewalt” zu überzeugen.<br />
An<strong>der</strong>erseits ist Begeisterung für das eigene Erleben<br />
von großer Bedeutung, <strong>den</strong>n sie wird<br />
zur eigenen Antriebsfe<strong>der</strong>, zum Motor meines<br />
Handelns für/in dieser Angelegenheit. Ein reflektiertes<br />
Verhalten meinerseits macht aus <strong>der</strong><br />
Begeisterung stärker ein zielgerichtetes Interesse.<br />
Insofern schwankt Begeisterung immer zwischen<br />
<strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong> Grenzüberschreitung, sowohl<br />
meiner eigenen Grenze, als auch <strong>der</strong> an<strong>der</strong>er<br />
Menschen.<br />
In <strong>der</strong> pädagogischen Arbeit mit Kin<strong>der</strong>n und<br />
Jugendlichen soll es auch darum gehen, diese<br />
Gradwan<strong>der</strong>ung zwischen Begeisterung und<br />
Gewalt deutlich zu machen und die Sensibilität für<br />
<strong>den</strong> „Punkt des Kippens” zu erfahren. Die folgen<strong>den</strong><br />
Übungen bieten dazu Gelegenheit und Anregungen.<br />
die verschie<strong>den</strong>en Formen von<br />
Begeisterung sichtbar wer<strong>den</strong> zu<br />
lassen.<br />
Zielformulierung:Die Teilnehmen<strong>den</strong> sollen erleben,<br />
dass Begeisterung individuell<br />
unterschiedlich geäußert<br />
und wahrgenommen wird.
Ablauf: Alle Teilnehmen<strong>den</strong> stehen im<br />
Kreis und wer<strong>den</strong> aufgefor<strong>der</strong>t<br />
Begeisterung gleichzeitig pantomimisch<br />
darzustellen. Die<br />
Unterschiede im Ausdruck von<br />
Begeisterung wer<strong>den</strong> sicherlich<br />
deutlich wer<strong>den</strong>.<br />
Auswertung: Welche Form des Ausdrucks von<br />
Begeisterung habe ich für mich<br />
gewählt?<br />
Welche Formen habe ich bei <strong>den</strong><br />
an<strong>der</strong>en gesehen?<br />
Gruppenarbeit zum Thema Begeisterung<br />
Einleitung: In <strong>der</strong> vorangegangen Übung ist<br />
die Unterschiedlichkeit von Begeisterung<br />
deutlich gewor<strong>den</strong>.<br />
Ebenso unterschiedlich sind die<br />
Dinge/Aktionen für die Menschen<br />
sich begeistern können.<br />
In <strong>der</strong> folgen<strong>den</strong> Gruppenstunde<br />
sollen die Teilnehmen<strong>den</strong> die<br />
Gelegenheit erhalten, sich über<br />
ihre Bereiche <strong>der</strong> Begeisterung<br />
auszutauschen.<br />
Zielformulierung: Die Teilnehmen<strong>den</strong> sollen durch<br />
<strong>den</strong> Austausch erfahren, dass<br />
Menschen sich für unterschiedliche<br />
Dinge begeistern können. Sie<br />
sollen die Begeisterung an<strong>der</strong>er<br />
für an<strong>der</strong>e Dinge akzeptieren lernen<br />
und diese nicht bewerten.<br />
Ablauf: 1. Schritt: Einzelarbeit:<br />
Die Teilnehmen<strong>den</strong> erhalten das<br />
Arbeitsblatt und bearbeiten<br />
dieses jedeR für sich alleine<br />
unter folgen<strong>der</strong> Fragestellung:<br />
Wovon lässt du dich begeistern?<br />
Wofür kannst du dich begeistern?<br />
Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />
Alternative: Es wer<strong>den</strong> Bil<strong>der</strong> von Menschen<br />
in Situationen <strong>der</strong> Begeisterung<br />
ausgelegt. JedeR Teilnehmende<br />
kann sich ein Bild auswählen<br />
und dann in einer Austauschrunde<br />
begrün<strong>den</strong>:<br />
❒ Musik<br />
❒ Sportarten überhaupt<br />
❒ Fußball<br />
❒ Personen<br />
❒ Aktionen<br />
❒ Ideen<br />
❒ Hobbys<br />
❒ Autos<br />
❒ Technik<br />
❒ Freizeiten<br />
❒ Fernsehen<br />
❒ ______________<br />
❒ ______________<br />
Warum habe ich dieses Bild<br />
gewählt hat?<br />
Was ist das Begeisternde für<br />
mich an dieser Situation?<br />
Kenne ich ähnliche Situationen<br />
von mir?<br />
2. Schritt: Kleingruppenarbeit:<br />
Die Teilnehmen<strong>den</strong> tauschen<br />
ihre Einzelergebnisse in Kleingruppen<br />
zu 5 Personen aus und<br />
stellen Gemeinsamkeiten bzw.<br />
Unterschiede fest. Sie erstellen<br />
eine Hit-Liste <strong>der</strong> drei meistgenannten<br />
Bereiche.<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_123<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Für die Arbeit mit Mädchen und Jungen/Männern und Frauen<br />
3. Schritt: Plenum:<br />
Im Plenumsgespräch wer<strong>den</strong> die<br />
„Hit - Listen <strong>der</strong> Begeisterung<br />
vorgestellt und auf Mehrfachnennungen<br />
überprüft. Ein Gruppentrend<br />
kann sichtbar wer<strong>den</strong>.<br />
4. Schritt: Einzelarbeit im Plenum<br />
Die Teilnehmen<strong>den</strong> sollen folgen<strong>den</strong><br />
Fragen für sich beantworten.<br />
Was ist es genau, was<br />
dich begeistert? Wie äußert sich<br />
deine Begeisterung?<br />
124_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Was bist du bereit dafür zu tun?<br />
Wo gibt es für dich Grenzen?<br />
Der Austausch erfolgt im Plenumsgespräch.<br />
Anmerkung: Antworten und Einschätzungen<br />
sollen besprochen und diskutiert<br />
wer<strong>den</strong>. Eine Bewertung<br />
<strong>der</strong> Aussagen ist, auch von <strong>den</strong><br />
Teilnehmen<strong>den</strong>, bewusst zu<br />
vermei<strong>den</strong>.<br />
Martin Bauer
Gewaltorientierte Spiele mit <strong>der</strong> Playstation - ein Selbstversuch<br />
Gewaltorientierte Spiele mit <strong>der</strong> Playstation<br />
- ein Selbstversuch<br />
1. Die Idee<br />
Immer wie<strong>der</strong> wird diskutiert, ob gewaltbetonte<br />
Filme und Spiele Jugendliche dazu bringen, auch<br />
selbst häufiger Gewalt anzuwen<strong>den</strong>. Wir haben die<br />
Probe auf’s Exempel gemacht und uns selbst<br />
getestet. Wir wollten herausfin<strong>den</strong> und wahrnehmen,<br />
wie wir uns während des Spiels verhalten<br />
und ob unmittelbare Wirkungen beobachtbar sind.<br />
Natürlich ist auf diese Weise nicht zu ermitteln,<br />
wie häufiges Spielen sich langfristig auswirkt.<br />
Durch <strong>den</strong> Selbstversuch wer<strong>den</strong> Jugendliche aber<br />
auf die Möglichkeit dieses Effektes aufmerksam<br />
gemacht und für Nebenwirkungen ihrer Spielbegeisterung<br />
sensibilisiert. Dabei ist entschei<strong>den</strong>d,<br />
dass sie durch gegenseitige Beobachtung<br />
lernen und nicht Erwachsene als „Spielver<strong>der</strong>ber”<br />
ihre Lieblingsspiele verteufelen.<br />
Und ganz ehrlich: Playstationspiele machen Spaß!<br />
Wir haben sogar diskutiert, ob es sich dabei nicht<br />
um eine Art Geländespiel mit fortgesetzten Mitteln,<br />
nämlich im Cyberspace, handelt.<br />
2. Der Versuchsaufbau<br />
Pro 6 Teilnehmer wer<strong>den</strong> benötigt: eine Playstation,<br />
Spiele (möglichst für zwei Spieler), ein<br />
Fernseher (möglichst großer Bildschirm; allerdings<br />
spielen viele Jugendliche auch oft auf kleineren<br />
Bildschirmen), Beobachtungsbögen, eine Uhr/<br />
Wecker, evtl. eine Videokamera mit Stativ. Der<br />
Raum wird folgen<strong>der</strong>maßen arrangiert:<br />
Der Einsatz einer Videokamera hängt von <strong>den</strong><br />
technischen Möglichkeiten ab. Er ist ausgesprochen<br />
lohnend, weil sich einzelne Sequenzen<br />
wie<strong>der</strong>holen lassen und auch die Spieler selbst<br />
Gelegenheit haben, sich zu beobachten. Ein Nachteil<br />
kann die in <strong>der</strong> Regel längere Auswertungsdauer<br />
sein. Möglicherweise besteht zu Beginn<br />
eine gewisse Kamerascheu. Wird die Kamera aber<br />
mit Stativ fest aufgebaut und läuft einfach durch,<br />
gerät sie schnell in Vergessenheit.<br />
Die Uhr wird hinter <strong>den</strong> Spielern aufgebaut. Damit<br />
wer<strong>den</strong> die Spieler nicht irritiert und die Beobachter<br />
können sich problemlos zeitlich orientieren.<br />
Eine Spielphase sollte zwischen 10 und 20 Minuten<br />
dauern, um einerseits <strong>den</strong> Spielern ein<br />
„eintauchen” in das Spiel zu ermöglichen und<br />
an<strong>der</strong>erseits die Beobachter nicht zu überfor<strong>der</strong>n.<br />
Die Zeitleiste auf dem Beobachtungsbogen ist entsprechend<br />
anzupassen. Die Beobachter schweigen<br />
während <strong>der</strong> Spielphase. Je<strong>der</strong> Beobachter ist<br />
jeweils nur für einen Mitspieler zuständig.<br />
3. Durchführung<br />
In unserem Testdurchlauf haben wir Spielphasen<br />
von 10 Minuten erprobt. Dabei füllten die Beobachter<br />
folgen<strong>den</strong> Bogen aus:<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_125<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Gewaltorientierte Spiele mit <strong>der</strong> Playstation - ein Selbstversuch<br />
Spiel:<br />
Beobachter:<br />
Beobachteter Mitspieler:<br />
➡ Beurteile die Körperhaltung/Körperspannung des Mitspielers:<br />
P entspannt ➠ sehr angespannt/engagiert<br />
nach 1 Minute ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />
nach 2 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />
nach 3 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />
nach 4 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />
nach 5 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />
nach 6 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />
nach 7 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />
nach 8 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />
nach 9 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />
nach 10 Minuten ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏ ❏<br />
➡ Welche Zeichen von Aggressivität konntest Du wahrnehmen?<br />
➡ Notiere typische (auch körperliche) Äußerungen:<br />
für die 2. Minute:<br />
für die 4. Minute:<br />
für die 6. Minute:<br />
für die 8. Minute:<br />
für die 10. Minute:<br />
126_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
➠
Die anschließende Reflexion erfolgte in drei bzw.<br />
vier Phasen. Der Leiter/die Leiterin kann in <strong>der</strong><br />
jeweiligen Phase einige Impulsfragen liefern:<br />
1. Phase: Zunächst durften sich die Mitspieler<br />
äußern:<br />
• Wie habt ihr euch gefühlt?<br />
• Wie habt ihr euch selbst wahrgenommen?<br />
• Habt ihr jetzt Ärger im Bauch o<strong>der</strong> eher<br />
ein Glücksgefühl?<br />
2.Phase: Die Beobachter sind an <strong>der</strong> Reihe:<br />
• Was habt ihr gesehen?<br />
3. Phase: Das Spiel insgesamt kann reflektiert<br />
wer<strong>den</strong>:<br />
• Wie wird in dem Spiel mit Gewalt<br />
umgegangen?<br />
• Was macht daran Spaß / was begeistert<br />
euch? Warum?<br />
4. Phase: Am Ende des gesamten Selbstversuchs<br />
kann eine eher allgemeine Diskussionsrunde<br />
angeschlossen wer<strong>den</strong>:<br />
• Glaubt ihr, dass die Spieler während<br />
des Spiels aggressiver gewor<strong>den</strong> sind?<br />
• Welche Spiele machen euch am meisten<br />
Spaß/bringen <strong>den</strong> größten Kick?<br />
• Haben diese Spiele irgendetwas mit<br />
dem wirklichen Leben zu tun?<br />
Es lohnt sich, alle Impulse noch einmal auf die<br />
geplante Zielgruppe hin zu durch<strong>den</strong>ken, <strong>den</strong>n von<br />
<strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Reflexionsgespräche hängt ab, ob<br />
eine Sensibilisierung für die verharmlosen<strong>den</strong><br />
o<strong>der</strong> gewaltverherrlichen<strong>den</strong> Aspekte <strong>der</strong> Spiele<br />
erreicht wird.<br />
4. Unsere Erfahrungen und Tipps zur Durchführung<br />
des Versuchs in Schulklassen und Jugendgruppen<br />
Wir haben <strong>den</strong> Playstation-Selbstversuch mit<br />
sechs 13-15jährigen Jugendlichen einer Gruppe<br />
aus <strong>der</strong> Kirchengemeinde durchgeführt. Alle waren<br />
Gewaltorientierte Spiele mit <strong>der</strong> Playstation - ein Selbstversuch<br />
interessiert dabei und haben sich anschließend<br />
auch <strong>der</strong> Diskussion gestellt.<br />
Die Beobachter konnten ermitteln, dass die Mitspieler/innen<br />
ganz unterschiedlich angespannt<br />
waren, am stärksten oft dann, wenn ihr „Leben”<br />
massiv bedroht war. Je tiefer <strong>der</strong>/die Einzelne in<br />
das Spiel eintauchte, desto häufiger kam es zu<br />
ungehemmten Spontanäußerungen wie „Wo bist<br />
du Kanake?”. Das bot wie<strong>der</strong>um gute Ansatzpunkte<br />
für die Reflexion.<br />
Die Beobachter/innen waren teilweise überfor<strong>der</strong>t.<br />
Das lag weniger an ihren Fähigkeiten, als<br />
vielmehr daran, dass sie begannen im Spiel mitzufiebern<br />
und <strong>den</strong> Spieler/innen Tipps zu geben. Es<br />
ist also wichtig, <strong>den</strong> Beobachtern räumlich eine<br />
gewisse Distanz zu schaffen, damit sie auch gedanklich<br />
Abstand halten können.<br />
Aufgrund <strong>der</strong> meist begrenzten Zeit ist nicht jedes<br />
Spiel gleichermaßen geeignet (s. Kleine Quellenkunde).<br />
Bei Schulklassen wäre zu überlegen, statt einem<br />
zwei o<strong>der</strong> drei Beobachtungs-Arrangements zu<br />
schaffen. Es war <strong>den</strong> Jugendlichen durchweg<br />
wichtig, auch selbst zum Spielen zu kommen.<br />
5. Kleine Quellenkunde zu geeigneten (aktuellen)<br />
Spielen<br />
An dieser Stelle kann nur ein grober Überblick geliefert<br />
wer<strong>den</strong>. Wer einzelne Spielbeschreibungen,<br />
Rezensionen und repräsentative Fotos von Spielszenen<br />
sucht, schaut am besten unter http://<br />
games.hotvision.de nach. Dort gibt es ein Archiv zu<br />
nahezu allen auf dem Markt befindlichen Spielen.<br />
➡ Beat’em-up-Spiele<br />
Bei dieser Gruppe von Spielen geht es um ein<br />
Duell zweier Spieler, die sich – wie <strong>der</strong> Name<br />
schon sagt – „fertigmachen” müssen.<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_127<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Gewaltorientierte Spiele mit <strong>der</strong> Playstation - ein Selbstversuch<br />
• Tekken I, II und III: Ein echter Klassiker. Die<br />
Spieler wählen eine bestimmte Person, <strong>der</strong>en<br />
Schlag- und Kampftechniken sie im Laufe des<br />
Spiels immer besser kennenlernen. Dadurch<br />
entsteht eine hohe I<strong>den</strong>tifikation mit <strong>der</strong> kämpfen<strong>den</strong><br />
Figur. Erinnert ein bißchen an Kung-fu-<br />
Filme.<br />
Ähnlich sind:<br />
• Virtual Fighter<br />
• Dead or alive<br />
➡ Action-Spiele<br />
Hier ist nur wenig Strategie gefragt. Es geht – wie<br />
<strong>der</strong> Name schon sagt – um die Action.<br />
• Jedi Power Battles (Star Wars Episode 1): Außergewöhnlich<br />
ist hier, dass die zwei Spieler gemeinsam<br />
kämpfen. In einem Szenario, das an<br />
die Star Wars Filme angelehnt ist, kämpfen sie<br />
gemeinsam für das Gute.<br />
• Syphon Filter I und II: Special-Forces-Typ<br />
kämpft gegen zahlreiche Wi<strong>der</strong>sacher, die alle<br />
im Dienst eines Terroristen stehen, <strong>der</strong> mit<br />
biologischen Waffen die Welt vernichten will.<br />
Die Version II des Spiels bietet als Zusatzoption<br />
<strong>den</strong> Duellmodus. Dabei können zwei Spieler in<br />
Häuserkampfmanier mit Handfeuerwaffen bis<br />
zum Granatwerfer gegeneinan<strong>der</strong> antreten.<br />
➡ Action-Adventure-Spiele<br />
enthalten auch Strategieelemente.<br />
• Resi<strong>den</strong>t Evil I, II und III ist <strong>der</strong> Klassiker in<br />
diesem Bereich. Genexperimente machten fast<br />
alle Menschen zu Zombies. Der Spieler hat die<br />
Aufgabe <strong>den</strong> Professor, <strong>der</strong> für diese Experimente<br />
verantwortlich ist, zu fin<strong>den</strong> und zu<br />
vernichten. Dabei wird nicht nur gegen Zombis<br />
gekämpft, son<strong>der</strong>n auch beispielsweise gegen<br />
Dobermänner. Im Ganzen blutrünstig und spannend.<br />
Resi<strong>den</strong>t Evil wird allerdings nur von<br />
einem Spieler allein gespielt.<br />
Hier – wie auch bei an<strong>der</strong>en Gewaltspielen – gibt<br />
es eine deutsche sowie eine unzensierte ameri-<br />
128_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
kanische Version, die sich im Brutalitätsgrad noch<br />
einmal voneinan<strong>der</strong> unterschei<strong>den</strong>.<br />
➡ Arcade-Adventure-Spiele<br />
bedeutet, dass in Echtzeit Aufträge zu lösen sind<br />
und während des Spiels immer wie<strong>der</strong> neue Aufträge/Nachrichten<br />
einer imaginären Kommandozentrale<br />
o.ä. eingespielt wer<strong>den</strong>.<br />
• GTa 1 und 2. Als Gangster erfüllt <strong>der</strong> Spieler<br />
diverse Aufträge. Er kann dabei Autos kapern,<br />
Waffen einsetzen, Menschen überfahren, usw.<br />
➡ Command & Conquer (C & C)<br />
ist ein Echtzeit-Strategiespiel, bei dem es darum<br />
geht, einen Stützpunkt aufzubauen, von dem aus<br />
die jeweils gegnerische Partei bekämpft wird. Es<br />
wird ein Krieg zwischen <strong>der</strong> Brotherhood of Nod<br />
und <strong>der</strong> Global Defense Initiative simuliert. Das<br />
Spiel ist relativ kompliziert und dauert mindestens<br />
eine Stunde.<br />
Dieses Spiel hat sowohl Nachfolger- als auch<br />
Nachahmerspiele hervorgebracht, z.B.:<br />
• C & C II<br />
• Red Alert<br />
• Rise of the Tiberium Sun<br />
6. Und was bringt’s?<br />
Der Playstation-Selbstversuch kann mit Sicherheit<br />
keine empirischen Daten liefern. Aber er bietet<br />
eine gute Möglichkeit, mit <strong>den</strong> Jugendlichen ernsthaft<br />
ins Gespräch zu kommen. Über das Medium<br />
des Versuchs kommen die Jugendlichen untereinan<strong>der</strong><br />
ins Gespräch und setzen sich mit <strong>der</strong> Gewalt/Begeisterung-Thematik<br />
auseinan<strong>der</strong>. Der<br />
Lehrer bzw. die Leiterin übernimmt dabei lediglich<br />
eine mo<strong>der</strong>ierende Rolle. Die Methodik wird viele<br />
Jugendliche überraschen, aber gerade dadurch<br />
kommt großes Interesse auf. Wir können <strong>den</strong><br />
Selbstversuch wärmstens weiterempfehlen.<br />
Christian Ceconi-Solle
Das Bauwagenprojekt „Paule“<br />
zur Überwindung von Gewalt<br />
Das Bauwagenprojekt „Paule“ zur Überwindung<br />
von Gewalt<br />
1. Entstehung des Projektes:<br />
Motivation: Den entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Impuls hat dieses<br />
Projekt durch die Dekade des Ökumenischen<br />
Rates <strong>der</strong> Kirchen (ÖRK) „Overcome violence - die<br />
Gewalt überwin<strong>den</strong>” erhalten. „Laß dich nicht vom<br />
Bösen überwin<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n überwinde das Böse<br />
mit dem Guten.” (Röm 12,21) In ihrem Syno<strong>den</strong>bericht<br />
rief die Landesbischöfin Dr. Margot Käßmann<br />
im Mai 2000 zu mehr Einmischung und<br />
Kreativität <strong>der</strong> Christen in <strong>der</strong> Frage nach dem<br />
Umgang mit Gewalt auf: „Wir sollten als Kirche<br />
nicht länger ein Lamento über Gewalt anstimmen<br />
o<strong>der</strong> schweigen, son<strong>der</strong>n selbst aktiv wer<strong>den</strong> bei<br />
<strong>der</strong>en Überwindung.” Das Projekt „Bauwagen<br />
Paule” ist seither <strong>der</strong> Versuch, basisnah im Handlungsbereich<br />
<strong>der</strong> Kirche konkret vor Ort die globalen<br />
Themen des ÖRK umzusetzen.<br />
Theologisch entschei<strong>den</strong>d für die Entstehung von<br />
Aktionen und Projekten wie dem Bauwagenprojekt<br />
ist die Wirkung des Heiligen Geistes als „spiritus<br />
creator” (schöpferischer Geist). Demnach erschließt<br />
<strong>der</strong> Heilige Geist <strong>den</strong> menschlichen Geist<br />
für sein Wirken, bewegt, treibt und motiviert ihn<br />
über die Grenzen von Trägheit, Mutlosigkeit und<br />
Resignation hinaus. Die Wirkung des Heiligen<br />
Geistes unter uns Menschen ist grundlegend<br />
initiiert in <strong>der</strong> Menschwerdung Gottes in Jesus<br />
Christus. Gott ist eben nicht allein als Gott im<br />
Himmel geblieben, son<strong>der</strong>n wahrer Mensch gewor<strong>den</strong><br />
und bringt auf dieser Basis Menschen in<br />
Bewegung bzw. zur Begeisterung, als wahrer<br />
Mensch und wahrer Gott. Als solcher ist er am<br />
Kreuz nicht im Tod geblieben, son<strong>der</strong>n von <strong>den</strong><br />
Toten auferstan<strong>den</strong>. Er hat <strong>den</strong> Tod überwun<strong>den</strong><br />
heißt in unserem Kontext: er hat die menschliche<br />
Das Bauwagenprojekt „Paule“ zur Überwindung von Gewalt<br />
Unfähigkeit überwun<strong>den</strong>, sich von seinem Geist<br />
begeistern und bewegen zu lassen. Er hat uns<br />
Menschen die Perspektive <strong>der</strong> Begeisterung auf<br />
ein schöpferisches, geistgewirktes Leben hin<br />
eröffnet.<br />
2. Ziel: Overcome violence - die Gewalt überwin<strong>den</strong><br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendliche sollen in die Lage versetzt<br />
wer<strong>den</strong>, Gewalt, gewalttätige Strukturen und<br />
eigenes Aggressionspotential zu erkennen und<br />
positiv zu prägen, bzw. angemessen damit umzugehen.<br />
Sie sollen in diesem Prozeß die grundlegende<br />
Bedeutung <strong>der</strong> biblischen Botschaft<br />
erleben, erfahren und reflektieren.<br />
Die Arbeit mit „Paule” hat ein Profil: Alle Angebote<br />
beziehen sich in ihrer spezifischen Art und Weise<br />
auf das Thema <strong>der</strong> Dekade „Gewalt überwin<strong>den</strong>”.<br />
Dabei geht es um einen Mix aus Erfahrungsaustausch,<br />
Übungen, Reflexion und Spiel. So sollen<br />
Inhalte und Metho<strong>den</strong> zur gewaltfreien Bearbeitung<br />
von Konflikten unter Aufnahme entsprechen<strong>der</strong><br />
Impulse aus <strong>der</strong> biblischen Botschaft<br />
vermittelt wer<strong>den</strong>.<br />
3. Der Ausbau des Bauwagens<br />
„Der Umbau dieses Wagens kam mir vor wie die<br />
Entwicklung einer Raupe zum Schmetterling”, so<br />
eine ältere Frau aus <strong>der</strong> Gemeinde. Der Innenausbau<br />
und die Außenarbeiten benötigten in <strong>der</strong> Zeit<br />
von April bis zur Einweihung am 3. September<br />
2000 700 Arbeitsstun<strong>den</strong>. Das alles geschah mit<br />
großer Beteiligung von freiwilligen Jugendlichen<br />
und Senioren. Dieses Engagement steigerte <strong>den</strong><br />
Bekanntheitsgrad des Projektes, beson<strong>der</strong>s bei<br />
<strong>der</strong> Zielgruppe <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen und<br />
erhöhte die Möglichkeit zur I<strong>den</strong>tifikation.<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_129<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Das Bauwagenprojekt „Paule“ zur Überwindung von Gewalt<br />
Innenausbau: Ausbau <strong>der</strong> vorhan<strong>den</strong>en Innenausstattung,<br />
<strong>der</strong> Decken-, Wand- und Fußbo<strong>den</strong>verkleidung,<br />
Verlegen <strong>der</strong> elektrischen Leitungen,<br />
Verschalung <strong>der</strong> Decke und Seitenwände mit<br />
Profilbrettern, Verlegen von Laminat als Fußbo<strong>den</strong>,<br />
Installierung <strong>der</strong> Küchen- und Schrankeinrichtung,<br />
Streicharbeiten, etc.<br />
Außenarbeiten: Abnehmen des Wellblechs, Reparatur<br />
des Wandgerüstes, Isolierung, Verschalung<br />
mit Blockhausbrettern, Fensterlä<strong>den</strong>, Streicharbeiten,<br />
Reparatur des Daches, Herstellung eines<br />
Glockenturmes, Überholen <strong>der</strong> Bremsanlage,<br />
Installierung einer Lichtanlage, etc.<br />
4. Die Arbeit mit<br />
„Paule”:<br />
Mit „Paule” gibt<br />
es drei Bereiche<br />
<strong>der</strong> AntigewaltundPräventionsarbeit:<br />
• In öffentlichen Schulen<br />
• An sozialen Brennpunkten<br />
• Mit kirchlichen Gruppen<br />
In öffentlichen Schulen: Es geht konkret um Projekte,<br />
die seitens <strong>der</strong> Kirche in zeitlich überschaubaren<br />
Angeboten im Alltag <strong>der</strong> Schulen durchgeführt<br />
wer<strong>den</strong>. Schulklassen sollen innerhalb ihres<br />
Schulalltages positiv geprägt wer<strong>den</strong> und <strong>den</strong><br />
Charakter <strong>der</strong> Schule mitbestimmen. Inhalte<br />
kirchlicher Handlungs- und Lernfel<strong>der</strong> wer<strong>den</strong><br />
als Konsequenz biblischer Überlieferung und<br />
Werte <strong>den</strong> SchülerInnen zur Orientierung angeboten.<br />
Durchgeführt wer<strong>den</strong> Projekttage und Unterrichtseinheiten<br />
zum Thema „Gewalt überwin<strong>den</strong>”,<br />
Beteiligung des Bauwagen-Teams am SchülerInnengottesdienst<br />
<strong>der</strong> Sek 2 am Buß- und Bettag<br />
zum Thema „Zivilcourage?!”, SchülerInnencafe auf<br />
130_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
dem Schulhof, Malwettbewerb mit Kunstkursen<br />
und AGs etc.<br />
In sozialen Brennpunkten: Mit offenen Angeboten<br />
vor Ort sollen gerade die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen<br />
erreicht wer<strong>den</strong>, die nur bedingt an sozialen Angeboten<br />
<strong>der</strong> Kirche, bzw. <strong>der</strong> Vereine teilnehmen. Die<br />
Erkenntnis <strong>der</strong> „Sozialbilanz” <strong>der</strong> Stadt Hameln,<br />
mehr wohnortnahe Angebote für Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />
zu schaffen, hat die städtische Jugendarbeit<br />
in Hameln verän<strong>der</strong>t. Der Bauwagen „Paule”<br />
ist jetzt Teil des Konzeptes <strong>der</strong> Stadt Hameln in <strong>der</strong><br />
„dezentralen und offenen Jugendarbeit”, weil<br />
„Paule” aufsuchende Arbeit leistet. Es wird dort<br />
ein Raum <strong>der</strong> Begegnung angeboten, wo die<br />
Jugendlichen bereits ihre Treffpunkte haben, bzw.<br />
leicht hinkommen. In beson<strong>der</strong>en Aufgabengebieten,<br />
wie z.B. in sozialen Brennpunkten,<br />
können flexible Angebote <strong>der</strong> Situation vor Ort am<br />
ehesten gerecht wer<strong>den</strong>.<br />
Z.Zt. (Dezember 2000) bietet „Paule” einmal<br />
wöchentlich einen offenen Treffpunkt an. Zielgruppe<br />
sind 20 Jugendliche aus z.T. „schwierigen<br />
Verhältnissen” im Alter von 12 bis 17 Jahren, die<br />
im Stadtteil durch provozierendes und schockierendes<br />
Verhalten aufgefallen sind. Unter dem<br />
Motto „bekämpft nicht die Jugendlichen, son<strong>der</strong>n<br />
ihre Probleme” ist <strong>der</strong> Bauwagen Ort niedrigschwelliger<br />
Begegnung mit Tee, Musik, warmem<br />
Raum, Gesprächen und angemessenen Spielangeboten.<br />
Mit kirchlichen Gruppen: In <strong>der</strong> Gemeinde gibt<br />
es seit Jahren <strong>den</strong> Zirkus „Gerhardy”. Hier entdecken<br />
die 40 Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen ihre verborgenen<br />
Talente, lernen das soziale Miteinan<strong>der</strong><br />
und erleben die Kirche als einen Ort kennen, wo<br />
sie auch gemeinsamen Spaß haben können.<br />
Weil zu jedem Zirkus ein Zirkuswagen gehört,<br />
ist <strong>der</strong> Bauwagen als Materialwagen und Publikumsmagnet<br />
für verschie<strong>den</strong>e Auftritte vorgesehen.
Die Gruppen des traditionellen Konfiman<strong>den</strong>unterrichtes<br />
und des Hoyaer Modells bin<strong>den</strong><br />
„Paule” in ihre Paddeltouren auf <strong>der</strong> Weser ein,<br />
indem sie ihn als Campingmobil zum Übernachten<br />
und Kochen nutzen. Der Pfadfin<strong>der</strong>Innenstamm<br />
„Kreuzfähnlein” des VCP buchte „Paule” für ein<br />
Zeltlager im Sommer.<br />
5. 10 Artikel zur Gewaltvermeidung<br />
Situativ und an <strong>den</strong> Bedürfnissen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und<br />
Jugendlichen orientiert, wer<strong>den</strong> kurze Einheiten<br />
als „in” o<strong>der</strong> „out” Impulse angeboten. Entsprechend<br />
wird die Glocke im Turm geläutet. Es handelt<br />
sich dabei um kurze, gemeinsame Run<strong>den</strong>,<br />
nicht länger als sieben Minuten, zu Beginn und/<br />
o<strong>der</strong> zum Ende des jeweiligen Angebotes. Hier<br />
wer<strong>den</strong> Absprachen getroffen, Regeln diskutiert,<br />
Ideen gesammelt aber auch spirituelle Impulse<br />
gegeben, z.B. mit einer Meditation zu Steinen,<br />
Kerzen und Bil<strong>der</strong>n, kurzen Gebeten o<strong>der</strong> mit<br />
einem Lied aus <strong>der</strong> Musikszene mit religiösem<br />
Inhalt etc.<br />
Aus <strong>der</strong> inhaltlichen Arbeit am Bauwagen sind die<br />
„10 Artikel zur Gewaltvermeidung” hervorgegangen.<br />
Sie sind Produkt bisheriger und bieten eine<br />
Grundlage zukünftiger Diskussionen.<br />
1. Wir achten die Würde unserer Mitmenschen.<br />
2. Wir leisten jedem Menschen Beistand gegen<br />
Schikane, auch wenn wir nicht seine Meinung<br />
teilen.<br />
3. Wir wollen <strong>den</strong> Anfängen von Psychoterror<br />
in unserem Umfeld (Schule, Clique etc) wehren.<br />
4. Wir üben Toleranz.<br />
5. Wir begegnen Fehlern von frem<strong>den</strong> Menschen<br />
ebenso nachsichtig wie unseren eigenen.<br />
6. Wir beteiligen uns nicht an <strong>der</strong> Entstehung von<br />
Gerüchten. Miteinan<strong>der</strong> und nicht übereinan<strong>der</strong><br />
re<strong>den</strong>!<br />
Das Bauwagenprojekt „Paule“ zur Überwindung von Gewalt<br />
7. Wir erklären, dass wir die Schwachen stützen<br />
und verpflichten uns, auf Gerechtigkeit in<br />
unserem Umfeld zu bestehen.<br />
8. Wir erklären, dass wir nieman<strong>den</strong> schikanieren.<br />
9. Wir wollen uns Mühe geben, mit jedem in<br />
unserer Nähe höflich und offen zusammenzuarbeiten<br />
und Problemen nicht aus dem Weg zu<br />
gehen.<br />
10. Wir verpflichten uns, gegen Mobbing gemeinsam<br />
vorzugehen - gemeinsam, nicht einsam.<br />
6. Mobilität ermöglicht Kooperation:<br />
Mobilität ist die beste Vorraussetzung für eine<br />
übergreifende Zusammenarbeit zwischen Kirche,<br />
Schulen, Vereinen und Initiativen.<br />
„Paule kann man mieten!” ist das Motto, mit dem<br />
an<strong>der</strong>e Einrichtungen aufgefor<strong>der</strong>t wer<strong>den</strong>, „Paule”<br />
auch für ihre selbstbestimmten Zwecke im Rahmen<br />
ihrer Antigewalt o<strong>der</strong> Präventionsarbeit vor<br />
Ort zu nutzen. Die lokale wie überregionale Kooperation<br />
gehört zum Grundwesen des Projektes. Das<br />
paulinische Bild vom Leib und seinen Glie<strong>der</strong>n (1.<br />
Kor. 12) kann als biblische Vision einen kreativen<br />
Prozess einleiten, <strong>der</strong> seine Wurzeln in <strong>der</strong> biblischen<br />
Tradition offenlegt, pflegt und weitersagt.<br />
Der Prozess einer Vernetzung von Maßnahmen zur<br />
Überwindung von Gewalt kann als eine Chance betrachtet<br />
wer<strong>den</strong>, kreativ und geistesgegenwärtig<br />
am Netzwerk des Geistes Gottes im pluralen Leben<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft mitzuwirken. Diese pneumatologische<br />
Perspektive verbietet eine institutionell<br />
verengte Sicht <strong>der</strong> Kirche auf die Binnenperspektive<br />
<strong>der</strong> eigenen Organisation. Je breiter Gewaltprävention<br />
angelegt ist, desto mehr Aussicht auf<br />
Erfolg hat sie nach menschlichem Ermessen. Das<br />
konzentrierte Auftreten öffentlicher Einrichtungen<br />
för<strong>der</strong>t bei betroffenen Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />
das Gefühl ernstgenommen zu wer<strong>den</strong>.<br />
In <strong>der</strong> Stadt Hameln: Das Projekt ist Teil einer<br />
Projektgruppe, die sich die Umsetzung und<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_131<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Das Bauwagenprojekt „Paule“ zur Überwindung von Gewalt<br />
Begleitung von konkreten Projekten zur Überwindung<br />
von Gewalt in <strong>der</strong> Stadt Hameln zum Ziel<br />
gesetzt hat. Diese Gruppe ist beauftragt vom<br />
„Kriminalpräventionsrat” <strong>der</strong> Stadt, besteht aus 14<br />
Personen und trifft sich einmal im Monat. In ihr<br />
sind VertreterInnen des Stadtrates, <strong>der</strong> städtischen<br />
Kin<strong>der</strong>- und Jugendsozialarbeit, <strong>der</strong> Polizei,<br />
<strong>der</strong> Schulen, <strong>der</strong> Sportvereine und an<strong>der</strong>er sozialer<br />
Einrichtungen vertreten. Die Person aus dem<br />
Bauwagenprojekt ist die bisher einzige aus einer<br />
kirchlichen Initiative - kirchliches Engagement im<br />
säkularen kommunalen Raum.<br />
In <strong>der</strong> Kirche: Das Projekt „Paule” ist an die<br />
evang.-luth. Paul-Gerhardt Kirchengemeinde<br />
angebun<strong>den</strong>, ist aber ein Projekt des Kirchenkreises<br />
Hameln-Pyrmont. Folglich geschieht die<br />
Entwicklung einer Konzeption des Projektes, die<br />
Planung und Durchführung <strong>der</strong> Angebote in enger<br />
Zusammenarbeit mit dem Kirchenkreisjugenddienst,<br />
<strong>der</strong> Jugend-AG und dem Jugendkonvent des<br />
Kirchenkreises. Ziel ist, dass „Paule” mit dem<br />
Trecker (23,5 km/h) auch bei überregionalen<br />
Veranstaltungen wie dem Landesjugendcamp,<br />
Kirchentagen, <strong>der</strong> Synode etc. zum Einsatz<br />
kommt.<br />
7. Teamarbeit<br />
„Die Sache Jesu braucht Begeisterte, sein Geist<br />
sucht sie auch unter uns.” (P. Janssens) Die Angebote<br />
sollen überwiegend durch ein geschultes<br />
Team von ehrenamtlichen Jugendlichen und jungen<br />
Erwachsenen im Alter von 16-30 Jahre vorbereitet<br />
und durchgeführt wer<strong>den</strong>. Für die Aktion und<br />
die jeweilige Bedarfslage muss jedes mitwirkende<br />
Team gut qualifiziert sein, auch in religionspädagogischer<br />
Hinsicht. Dazu wer<strong>den</strong> Ressourcen<br />
und Kompetenzen gesammelt, gesucht und genutzt.<br />
Bisher sind es 10 Personen, die an kurz- o<strong>der</strong> mittelfristigen<br />
Zielen im Projekt mitwirken. Durch die<br />
132_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
persönliche Erfahrung im Umgang mit Gewalt bei<br />
sich und an<strong>der</strong>en befassen sie sich in diesem Team<br />
regelmäßig mit einem konkreten Teilaspekt aus ihrem<br />
direkten Lebensumfeld. Sie wer<strong>den</strong> von <strong>der</strong><br />
Problemdarstellung über die Lösungssuche und<br />
die Planung <strong>der</strong> jeweiligen Maßnahme bis zu ihrer<br />
Umsetzung beteiligt. Dabei handelt es sich überwiegend<br />
um überschaubare Problembereiche, die<br />
über das Projekt zeitnah gelöst wer<strong>den</strong> sollen. Die<br />
Gewinnung, Ausbildung und Einarbeitung von ehrenamtlichen<br />
MitarbeiterInnen ist unverzichtbar für<br />
die Nachhaltigkeit und Breitenwirkung des Projektes.<br />
Um die Beteiligung und Schulung <strong>der</strong> Mitarbeiten<strong>den</strong><br />
zu gewährleisten, trifft sich das Team einmal<br />
im Monat zu einem Abend o<strong>der</strong> einem Fachtag. Bei<br />
diesen Treffen wurde gemeinsam das „Paule-Konzept”<br />
entworfen, bedürfnisorientierte Angebote geplant<br />
und reflektiert, sowie konkrete Anfragen und<br />
Schwerpunkte <strong>der</strong> weiteren Arbeit besprochen. Die<br />
Ergebnisse des Engagements sind unmittelbar erfahrbar<br />
und vermitteln damit das notwendige Maß<br />
an Erfolgserlebnissen: Die Arbeit macht Spaß!!<br />
8. Ausblick<br />
Es ist geplant<br />
und von <strong>der</strong><br />
zuständigen<br />
Kommission in<br />
Hannover am<br />
8. November<br />
2000 beschlossen,<br />
ab Mai <strong>2001</strong> eine DiakonIn einzustellen,<br />
die z.T. aus dem Beschäftigungfonds <strong>der</strong><br />
Landeskirche Hannovers bezahlt wird. Für die<br />
anfallen<strong>den</strong> Personalkosten von jährlich 15.000<br />
DM, sowie etwa 10.000 DM Sachkosten wer<strong>den</strong><br />
noch Geldgeber gesucht. Im März <strong>2001</strong> soll ein<br />
„Freundeskreis Paule” ins Leben gerufen wer<strong>den</strong>,<br />
<strong>der</strong> die Arbeit finanziell und ideell begleitet.<br />
Daniel Petzold
Gewalt in unseren Straßen<br />
Jugendliche sind immer häufiger Opfer von Gewalt<br />
– ein Jugendlicher, <strong>der</strong> selber an einem<br />
schönen Sommerabend in einer nie<strong>der</strong>sächsischen<br />
Stadt Opfer gewor<strong>den</strong> ist, hat aufgeschrieben,<br />
wie so eine Eruption von Gewalt abläuft.<br />
Erlebnisse eines 16- Jährigen<br />
Eigentlich ist <strong>der</strong> Platz nicht gerade verrufen.<br />
Sicher, weil er ein Treffpunkt <strong>der</strong> Skater ist, hängen<br />
da viele Jugendliche herum. Aber ansonsten<br />
ist dort eigentlich alles im grünen Bereich. Gleich<br />
nebenan tobt das Leben in <strong>den</strong> angesagten Szene-<br />
Kneipen. Wir sitzen kurz nach 23.00 Uhr an <strong>der</strong><br />
Bushaltestelle und warten auf <strong>den</strong> letzten Bus.<br />
Plötzlich kommen zwei Jungs auf uns zu, die sich<br />
gegenseitig laut anbrüllen – sie scheinen sich zu<br />
streiten. Wir <strong>den</strong>ken uns nichts dabei und blieben<br />
sitzen, doch in dem Moment, als sie an uns vorbeigehen,<br />
drehen sie sich um und bleiben stehen.<br />
Sie bauen sich direkt vor uns, so dass wir nicht<br />
weglaufen können. Ziemlich kräftige Typen – uns<br />
wird mulmig und wir ahnen schon, was die bei<strong>den</strong><br />
von uns wollen. Sie fangen an, uns Fragen zu<br />
stellen. Belangloses Zeug. Sie wollen wissen, wo<br />
wir wohnen, wo wir zur Schule gehen. Dann geben<br />
sie uns Befehle. Wir haben mehr nicht zu re<strong>den</strong>, es<br />
sei <strong>den</strong>n, sie for<strong>der</strong>n uns dazu auf. Sie fragen<br />
meinen Kumpel aus welchem Land er komme. Er<br />
will sich dazu nicht äußern. „Hast du <strong>den</strong>n keinen<br />
Stolz in dir, dass du nicht zu deinem Land stehst?“<br />
schnauzen sie ihn an. Mein Kumpel fängt an zu<br />
Gewalt in unseren Straßen<br />
Dieser konkrete Vorfall läuft nach einem verbreiteten<br />
Schema ab. Es kann gefragt wer<strong>den</strong>,<br />
welche Handlungsalternativen in <strong>den</strong> einzelnen<br />
Abschnitten des Dramas möglich gewesen wären.<br />
stottern – ich merke, wie die Angst ihn verwirrt.<br />
Wie es genau gekommen ist, kann ich gar nicht<br />
mehr sagen. Aber plötzlich fangen sie an, mir mit<br />
ihren Fäusten ins Gesicht zu schlagen. Merkwürdigerweise<br />
tat es im ersten Moment gar nicht<br />
weh. Ich möchte abhauen – aber es ist aussichtslos.<br />
Hoffentlich komme ich da wie<strong>der</strong> raus! Dann<br />
sehe ich P. - einen Bekannten, <strong>der</strong> an uns vorbeigeht.<br />
Vielleicht meine Rettung. Ich hoffe, dass er<br />
die bei<strong>den</strong> kennt und mit ihnen re<strong>den</strong> kann. Ich<br />
rufe P. zu und er kommt sofort zu uns her. Die<br />
bei<strong>den</strong> lassen mich und gehen jetzt auf ihn los.<br />
Um sie abzuwehren schlägt P. dem einen sofort ins<br />
Gesicht. Aber er hat keine Chance. Die bei<strong>den</strong><br />
prügeln jetzt auf ihn ein. Mein Kumpel und ich<br />
nutzen die Gelegenheit und rennen zu einer <strong>der</strong><br />
Kneipen, um Hilfe zu holen. Vor <strong>der</strong> Kneipe stehen<br />
Männer so um die 30. Doch lei<strong>der</strong> fühlt sich<br />
keiner dazu in <strong>der</strong> Lage, uns gegen zwei jugendliche<br />
Schläger zu verteidigen. O<strong>der</strong> sie haben einfach<br />
keine Lust, ihr Bier warten zu lassen. Am<br />
liebsten hätte ich dem einen das Blut aus meinem<br />
Gesicht auf sein piekfeines weißes Hemd geschmiert.<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_133<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Gewalt in unseren Straßen<br />
Vaterland<br />
Konstantin Wecker schrieb 1979 unter dem Eindruck<br />
von neu erwachten nationalistischen und<br />
rechtsextremistischen Aktivitäten das Lied „Vaterland“.<br />
In ihm wird deutlich, welches Gedankengut<br />
in <strong>den</strong> entsprechen<strong>den</strong> Gruppen <strong>den</strong> Einzelnen<br />
fasziniert und in tragische Situationen hineinführen<br />
kann. An<strong>der</strong>erseits wird an die deutsche Geschichte<br />
von 1933-1945 erinnert, in <strong>der</strong> schon<br />
einmal die „grausamen Stiefel“ die Menschlichkeit<br />
zertrampelt hatten. „Recht und Ordnung“ und<br />
„Männer aus Stahl und Granit“ mit einem lohnen<strong>den</strong><br />
Ziel vor Augen - ganz schnell wird daraus die<br />
Vaterland<br />
Vater, sag mir, ist das wahr<br />
warst Du wirklich ein Sozi in die dreiß´ger Jahr´<br />
warst Du wirklich damals im Wi<strong>der</strong>stand<br />
hast gekämpft gegen´s eigene Vaterland<br />
Vater i muß mi schame´<br />
i möchte´ an an<strong>der</strong>n Name´<br />
in <strong>der</strong> Schul´, Du glaubst net wie an peinlich das ist<br />
da haoßen´s dir an Kommunist.<br />
Und <strong>der</strong> Buer träumt von Recht und Ordnung<br />
von einem g´sun<strong>den</strong> gra<strong>den</strong> Tritt<br />
und im Geist hört er´s marschieren<br />
und im Geist marschiert er scho‘mit<br />
und <strong>der</strong> Vater weiß niet aus noch ei<br />
so weit is‘ scho‘ g‘komme mit <strong>der</strong> Druckerei<br />
mit Kommunistenhatz und Berufsverbot<br />
und Wirtschaftswun<strong>der</strong> und Arbeitsnot.<br />
Da wehrs‘t Dich dei‘ Leben lang gegen all <strong>den</strong> Schutt<br />
und dann machen´s dafür deinen Sohn kaputt.<br />
Und <strong>der</strong> Vater nimmt sich eine Nacht lang Zeit<br />
und erzählt dem Buer‘m von <strong>der</strong> Unmenschlichkeit<br />
von Krieg und KZ, von <strong>der</strong> Feigheit <strong>der</strong> Leit‘<br />
und er blehrt, paß auf, die machen sich bald<br />
wie<strong>der</strong> breit<br />
und dann packt <strong>der</strong> Buer seine Sache‘<br />
sagt Vater, da muß ich doch lache‘.<br />
134_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Rechtfertigung von Gewalt gegen An<strong>der</strong>sartige<br />
und An<strong>der</strong>s<strong>den</strong>kende. Spannend die Frage, ob es<br />
erst zur Katastrophe kommen muss, o<strong>der</strong> ob schon<br />
im Vorfeld eine Möglichkeit zur „Bekehrung“<br />
bestände – gerade auch in Hinsicht auf die Erfahrungen<br />
des Vaters.<br />
Obwohl in bayrischem<br />
Dialekt gesungen, empfiehlt<br />
es sich, das Lied<br />
vorzuspielen, nicht zuletzt<br />
deswegen, weil Wecker es sehr engagiert vorträgt.<br />
Du kannst es doch überall lesen,<br />
des is doch ganz an<strong>der</strong>s g‘wesen,<br />
und dann träumt er von hohen Stiefeln<br />
und von Männern aus Stahl und Granit<br />
und im Geist da hört er Trompeten<br />
und im Geist da maschiert er scho‘ mit.<br />
Und <strong>der</strong> Vater, woaß net aus noch ei‘,<br />
so weit ist scho‘g‘ komme mit <strong>der</strong> Duckerei,<br />
mit...<br />
Und a‘ paar Woche‘ später steht <strong>der</strong> Buer vor <strong>der</strong> Tür<br />
und zittert und flüstert, i ko nix dafür,<br />
die mache‘ ernst, die basteln Granaten,<br />
die rechen vom Volkssturm und Attentaten<br />
Vater, i‘muß mi schame‘,<br />
i möchte‘ an an<strong>der</strong>n Name‘,<br />
mir ham, i trau‘ mer‘s gar nich‘sog‘n<br />
gestern Nacht im Streit an Mo daschlagen.<br />
Und <strong>der</strong> Vater <strong>den</strong>kt an früher,<br />
hört die grausamen Stiefel marschieren<br />
und im Geist marschieren die noch immer<br />
und scho‘ morgen kann des wie<strong>der</strong> passieren.<br />
Und wie a soviel‘ andre da kriegt er an Zorn,<br />
was ist bloß wie<strong>der</strong> aus Deutschland ‘wor<strong>den</strong><br />
mit.....<br />
aus: Konstantin Wecker (live), Polydor 1979
Schritte gegen Tritte<br />
Vom Umgang mit Gewalt - in Südafrika und bei uns<br />
Ein ökumenisches Lernprojekt für Schulen und Gemein<strong>den</strong><br />
Zwei Männer steigen in einen mit acht Passagieren<br />
besetzten Bus. „Deutschland zuerst,” brüllt <strong>der</strong><br />
eine und geht zielstrebig auf einen jungen Mann<br />
zu. Plump wird dieser angepöbelt. Es kommt zu<br />
einem kurzen verbalen Schlagabtausch; dann zu<br />
Handgreiflichkeiten. Die Situation wirkt bedrohlich.<br />
Wird jemand eingreifen? Welches Risiko geht<br />
er/sie dabei ein? Gibt es unterschiedliche Möglichkeiten<br />
und Metho<strong>den</strong>, deeskalierend in Gewaltsituationen<br />
zu wirken?<br />
Um solche Fragen und konkrete Hilfen zur Gewaltintervention<br />
geht es in dem Projekt „Schritte gegen<br />
Tritte”, das von Pastor Klaus Burckhardt, ELM<br />
Beauftragter für Mission und Ökumene in <strong>der</strong><br />
Landeskirche Braunschweig, gemeinsam mit<br />
religionspädagogischen Mitarbeitern des Hauses<br />
Kirchlicher Dienste Kassel entwickelt wurde. Pastor<br />
Burckhardt hat sich in zehnjährigem Gemeindedienst<br />
in Südafrika (1983 - 1993) intensiv mit<br />
dem Thema <strong>der</strong> Gewaltprävention und -intervention<br />
auseinan<strong>der</strong>gesetzt, beson<strong>der</strong>s in seiner Arbeit in<br />
einem Lager für Flüchtlinge und Landlose. Nach<br />
seiner Rückkehr stellte er Vergleiche zur deutschen<br />
Situation an und widmete sich dabei beson<strong>der</strong>s<br />
<strong>den</strong> Fragen <strong>der</strong> Entstehung von Gewalt, ihren<br />
Strukturen und Merkmalen unter Jugendlichen.<br />
Daraus entstand ein sechsstündiges Unterrichtsprojekt,<br />
das mit Hilfe verschie<strong>den</strong>er Medien (Videos,<br />
Ausstellung und 3-D Simulationsspiel zum<br />
Flüchtlingslager „Canaan”, Rollenspiele) versucht:<br />
1. Jugendlichen am Beispiel Südafrikas Gewaltursachen,<br />
-strukturen und -reaktionen bewusstzumachen,<br />
2. ihnen die Möglichkeit zu geben, eigene Gewalterfahrungen<br />
und Ausgrenzungsmechanismen im<br />
persönlichen Umfeld zu reflektieren,<br />
Gewalt in unseren Straßen<br />
3. konkrete Handlungs- und Interventionshilfen im<br />
Umgang mit Gewalt zu erarbeiten und<br />
4. biblisch fundierte Alternativen zur Gewaltanwendung<br />
zu entdecken.<br />
Das Projekt wurde bisher mit mehr als 17000<br />
Schülern verschie<strong>den</strong>er Schultypen (beson<strong>der</strong>s<br />
OS, HS, RS und BBS) <strong>der</strong> Klassen 6 - 13 durchgeführt.<br />
Dabei hat sich eine Zusammenarbeit mit<br />
MitarbeiterInnen aus Schule, Kirchengemeinde<br />
und Kommune bewährt, die für die Vorbereitung,<br />
Projektvorstellung im Lehrerkollegium und die<br />
Frage <strong>der</strong> Unterrichtsbegleitung und -nacharbeit<br />
verantwortlich ist. Das Projekt hat über <strong>den</strong> regionalen<br />
Bereich hinaus eine große Breitenwirkung<br />
und wird mittlerweile auch von 10 weiteren MultiplikatorInnen<br />
in Nie<strong>der</strong>sachsen, Sachsen-Anhalt<br />
und Hessen durchgeführt.<br />
In Braunschweig wird „Schritte gegen Tritte” als<br />
Impulsprojekt in einem Gesamtpaket von Anti-<br />
Gewaltmaßnahmen an Schulen angeboten, die auf<br />
ein Konfliktschlichterprogramm hinauslaufen<br />
(http://bs.cyty.com/elmbs/pbs.htm).<br />
Die Kosten (DM 200,00 pro Tag & Fahrtkosten<br />
& Vor- und Nachbereitung von 250,00) kommen<br />
einen Solidaritätsprojekt des Ev.-luth. Missionswerks<br />
i.N. (ELM) in Südafrika zugute.<br />
Konkrete Anfragen sind zu richten an:<br />
P. Klaus J. Burckhardt, ELM Beauftragter für Mission<br />
& Ökumene, Leonhardstr.39, 38102 Braunschweig,<br />
Tel: 0531-2702866 o<strong>der</strong> 71902, Fax: 0531-79772,<br />
Email: KJBURCK@aol.com<br />
Weitere Informationen, Presseartikel, Links, etc.<br />
sind unter <strong>der</strong> Homepage URL http://bs.cyty.com/<br />
elmbs/schritte.htm abrufbar.<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_135<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Gewalt in unseren Straßen<br />
Schritte gegen Tritte<br />
Ratschläge zum Verhalten<br />
in Bedrohungssituationen<br />
Vorbemerkungen:<br />
• Es gibt keinen 100% Schutz vor Überfällen und<br />
gewaltsamen Auseinan<strong>der</strong>setzungen. Je<strong>der</strong><br />
Mensch kann Opfer o<strong>der</strong> Beteiligter einer<br />
Gewalttat wer<strong>den</strong>. Doch die Wahrscheinlichkeit<br />
ist - trotz des von <strong>den</strong> Medien vermittelten<br />
Eindrucks - eher geringer anzusetzen, als es<br />
das subjektiv wahrgenommene Gefühl <strong>der</strong><br />
Bedrohung suggeriert.<br />
• Das statistische Datenmaterial zeigt, dass<br />
entgegen landläufiger Meinung:<br />
• die meisten Taten nicht von Gruppen, son<strong>der</strong>n<br />
von Einzeltätern, die meisten Tötungsdelikte<br />
von Erwachsenen, nicht von Jugendlichen<br />
begangen wer<strong>den</strong>,<br />
• die Opfer von Gewalttaten häufiger Männer als<br />
Frauen sind. (Hier ist allerdings die Dunkelziffer<br />
nicht gemeldeter und tabuisierter Gewalttaten<br />
nicht eingeschlossen!)<br />
• Das Erlernen asiatischer Kampfsportarten ist<br />
nur dann erfolgversprechend, wenn eine<br />
vernünftige Ausbildung durch LehrerInnen<br />
geschieht, die gleichzeitig die lebensbejahen-<br />
Folgende Regeln allerdings können - unter Berücksichtung<br />
<strong>der</strong> oben genannten Vorbemerkungen<br />
- durchaus sehr nützlich sein:<br />
• VORBEREITEN!<br />
Bereite dich auf mögliche Bedrohungssituationen<br />
seelisch vor: Spiel Situationen für dich<br />
allein und im Gespräch mit an<strong>der</strong>en durch. Werde<br />
dir grundsätzlich klar darüber, zu welchem persönlichen<br />
Risiko du bereit bist. Es ist besser,<br />
sofort die Polizei zu alarmieren und Hilfe herbeizuholen,<br />
als sich nicht für o<strong>der</strong> gegen das<br />
Eingreifen entschei<strong>den</strong> zu können und gar nichts<br />
zu tun.<br />
136_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
<strong>den</strong> und -för<strong>der</strong>n<strong>den</strong> Grundsätze dieser Sportarten<br />
mitvermittelt (z.B. Einheit von Körper,<br />
Seele, Geist, Entspannungsübungen und<br />
Körpergefühl, Einsatz zur Gewaltvermeidung,<br />
Nicht-Aggression).<br />
• Das Tragen und die Anwendung von Waffen<br />
führt in fast allen Fällen zu einer Eskalation<br />
<strong>der</strong> Gewaltspirale! Dies gilt auch für Kampfmittel,<br />
die juristisch nicht als Waffen gelten<br />
(z.B. Butterfly-Messer, bestimmte Reizgase<br />
etc). Oft kommt es vor, dass die eigene Waffe<br />
gegen <strong>den</strong>/die WaffenträgerIn eingesetzt wird.<br />
• Je<strong>der</strong>/jede sollte das tun, was er/sie sich in<br />
einer Krisen- bzw. Gewaltsituation zutraut.<br />
Meine eigene Persönlichkeitsstruktur entscheidet<br />
mit darüber, welches Verhalten ich in<br />
einer bestimmten Situation an <strong>den</strong> Tag legen<br />
kann. Dies kann ich jedoch nur herausfin<strong>den</strong>,<br />
indem ich mich in spielerisch mit erlebten o<strong>der</strong><br />
von an<strong>der</strong>en vorgegebenen ausgewählten<br />
Gewalt- bzw. Konfliktsituationen auseinan<strong>der</strong>setze<br />
(Rollenspiele, Forumtheather etc).<br />
Klaus Burckhardt<br />
• RUHIG BLEIBEN!<br />
Panik und Hektik vermei<strong>den</strong> und möglichst keine<br />
hastigen Bewegungen machen, die reflexartige<br />
Reaktionen herausfor<strong>der</strong>n könnten. Wenn ich „in<br />
mir ruhe”, bin ich kreativer in meinen Handlungen<br />
und wirke meist auch auf an<strong>der</strong>e Beteiligte beruhigend.<br />
• AKTIV WERDEN!<br />
Wichtig ist, sich von <strong>der</strong> Angst nicht zähmen zu<br />
lassen. Eine Kleinigkeit zu tun ist besser, als über<br />
große Hel<strong>den</strong>taten nachzu<strong>den</strong>ken. Wenn du Zeuge<br />
o<strong>der</strong> Zeugin von Gewalt bist: Zeige, dass du bereit<br />
bist, gemäß deinen Möglichkeiten einzugreifen.
Ein einziger Schritt, ein kurzes Ansprechen, jede<br />
Aktion verän<strong>der</strong>t die Situation und kann an<strong>der</strong>e<br />
dazu anregen, ihrerseits einzugreifen.<br />
• VERLASSE DIE DIR ZUGEWIESENE OPFER-<br />
ROLLE!<br />
Wenn du angegriffen wirst: Flehe nicht, und verhalte<br />
dich nicht unterwürfig. Sei dir über deine<br />
Prioritäten im klaren und zeige deutlich, was du<br />
willst. Ergreif die Initiative, um die Situation in<br />
deinem Sinne zu prägen: Schreib dein eigenes<br />
Drehbuch!<br />
• HALTE DEN KONTAKT ZUM ANGREIFER!<br />
Stelle Blickkontakt her und versuche, Kommunikation<br />
herzustellen bzw. aufrechtzuerhalten.<br />
• REDEN UND ZUHÖREN!<br />
Teile das Offensichtliche mit, sprich ruhig, laut<br />
und deutlich. Hör zu, was dein Gegner bzw. Angreifer<br />
sagt. Aus seinen Antworten kannst du deine<br />
nächsten Schritte ableiten.<br />
• NICHT DROHEN ODER<br />
BELEIDIGEN!<br />
Mach keine geringschätzigen<br />
Äußerungen über <strong>den</strong><br />
Angreifer. Versuche nicht,<br />
ihn einzuschüchtern, ihm<br />
zu drohen o<strong>der</strong> Angst zu<br />
machen. Kritisiere sein<br />
Verhalten, aber werte ihn persönlich nicht ab.<br />
(Also: nicht „Du bist schlecht”, son<strong>der</strong>n „Das ist<br />
schlecht”)<br />
• HOL DIR HILFE!<br />
Sprich nicht eine anonyme Masse an, son<strong>der</strong>n<br />
einzelne Personen. Dies gilt sowohl für Opfer als<br />
auch für Zuschauerinnen und Zuschauer. Sie sind<br />
bereit zu helfen, wenn jemand an<strong>der</strong>es <strong>den</strong> ersten<br />
Schritt macht o<strong>der</strong> sie persönlich angesprochen<br />
wer<strong>den</strong>.<br />
Gewalt in unseren Straßen<br />
• TU DAS UNERWARTETE!<br />
Fall aus <strong>der</strong> Rolle, sei kreativ, und nutz <strong>den</strong> Überraschungseffekt<br />
zu deinem Vorteil aus.<br />
• VERMEIDE MÖGLICHST JEDEN KÖRPER-<br />
KONTAKT!<br />
Wenn du jemandem zu Hilfe kommst, vermeide es<br />
möglichst, <strong>den</strong> Angreifer anzufassen, es sei <strong>den</strong>n,<br />
Ihr seid in <strong>der</strong> Überzahl, so dass Ihr jeman<strong>den</strong><br />
beruhigend festhalten könnt. Körperkontakt ist in<br />
<strong>der</strong> Regel eine Grenzüberschreitung, die zu weiterer<br />
Aggression führt. Wenn nötig, nimm lieber<br />
direkten Kontakt zum Opfer auf.<br />
(nach: Ralf-Erik Posselt: Handbuch „Schule Ohne<br />
Rassismus”, S. 83 f.)<br />
Dazu noch einige Ratschläge <strong>der</strong> Polizei Hamburg:<br />
„Die Gewalt nimmt zu. Gerade in Großstädten. Wer<br />
nicht hilft, wird selbst zum Mittäter.“ Das Urteil<br />
<strong>der</strong> Polizei ist hart. Dabei wäre Helfen so einfach.<br />
Doch nur wenige tun es. Die Polizei hat sechs<br />
Regeln für mehr Courage erarbeitet. Die Polizei-<br />
Psychologin Claudia Brockmann erläutert sie:<br />
1) Ich helfe, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen:<br />
Je<strong>der</strong> hat die Möglichkeit zu helfen, ohne in die<br />
direkte Konfrontation zum Täter zu gehen.<br />
Häufig reicht es, wenn <strong>der</strong> Täter mitbekommt,<br />
dass er beobachtet wird.<br />
2) Ich for<strong>der</strong>e an<strong>der</strong>e direkt zu Mithilfe auf: Je mehr<br />
Personen an einem Tatort versammelt sind,<br />
desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass<br />
jemand hilft - ein Phänomen. Viele haben Angst,<br />
sich zu blamieren o<strong>der</strong> einen Fehler zu machen.<br />
Ein Tip: Fangen Sie an, aber handeln Sie nicht<br />
alleine, son<strong>der</strong>n for<strong>der</strong>n Sie ganz gezielt an<strong>der</strong>e<br />
Passanten zur Mithilfe auf. Vielleicht so: „Junger<br />
Mann mit <strong>der</strong> roten Jacke! Helfen Sie mir<br />
bitte!”<br />
3) Ich beobachte genau und merke mir <strong>den</strong> Täter:<br />
Eine gute Täterbeschreibung hilft <strong>der</strong> Polizei<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_137<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Gewalt in unseren Straßen<br />
enorm. Wichtig sind Alter, Aussehen, Kleidung<br />
und Fluchtrichtung. Auch kann es sinnvoll sein,<br />
dem Täter in sicherer Distanz zu folgen - schon<br />
viele Täter haben dadurch entnervt ihre Flucht<br />
aufgegeben.<br />
4) Ich rufe Hilfe: Es ist so lächerlich wenig nötig,<br />
um zu helfen: Wählen Sie <strong>den</strong> Notruf 110. Sagen<br />
Sie, was genau passiert und wo es passiert.<br />
Legen Sie nicht gleich wie<strong>der</strong> auf, warten Sie auf<br />
eine mögliche Rückfrage <strong>der</strong> Polizei.<br />
5) Ich kümmere mich um das Opfer: Für die Opfer<br />
dauert es eine schiere Ewigkeit, bis Polizei,<br />
Feuerwehr o<strong>der</strong> Rettungsdienst am Tatort sind.<br />
Auch wenn Sie sich in Erster Hilfe nicht sicher<br />
sind, leisten Sie deshalb wenigstens seelischen<br />
Beistand, trösten Sie und fragen, wie Sie das<br />
Opfer unterstützen können.<br />
6) Ich stelle mich als Zeuge zur Verfügung: Um<br />
Täter zu bestrafen bedarf es Zeugen. Rennen<br />
Sie nicht weg, wenn Sie eine Straftat o<strong>der</strong> ein<br />
Unglück beobachtet haben - auch wenn viele<br />
an<strong>der</strong>e scheinbar das gleiche gesehen haben.<br />
Mel<strong>den</strong> Sie sich bei <strong>der</strong> Polizei. Und wenn Sie es<br />
eilig haben: Hinterlassen Sie wenigsten Ihren<br />
Namen und Ihre Telefonnummer. Opfer und<br />
Polizei wer<strong>den</strong> es Ihnen danken.<br />
Helfen Sie unbedingt! Auch wenn es Sie Mühe<br />
und Überwindung kostet. Es könnte sein, daß<br />
auch Sie einmal die Hilfe an<strong>der</strong>er Menschen<br />
benötigen. Auch deshalb gilt in Deutschland:<br />
Unterlassene Hilfe ist strafbar!<br />
Zum Hintergrund <strong>der</strong> Hamburger Ratschläge aus<br />
einem Internet-Chat zum Thema „Gewalt”:<br />
Sie schrie um Hilfe, schlug wild um sich, doch <strong>der</strong><br />
junge Mann war stärker. Er riß ihr die Hose runter,<br />
drückte die 17jährige in die Ecke <strong>der</strong> Sitzbank und<br />
vergewaltigte sie. Beschämt blickten die an<strong>der</strong>en<br />
Fahrgäste zur Seite. Niemand half, griff ein o<strong>der</strong><br />
rief die Polizei. Nicht einmal als Zeugen stellten<br />
sie sich zur Verfügung. Hamburgs Medien schrieen<br />
auf vor Empörung: Wie konnte so ein Fall in <strong>der</strong><br />
138_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Schnellbahnlinie 21 geschehen? Wie konnten an<strong>der</strong>e<br />
Fahrgäste teilnahmslos die Tat hinnehmen?<br />
Noch immer ist <strong>der</strong> junge Mann nicht gefasst.<br />
Und so geht je<strong>den</strong> Abend die Angst in Hamburgs<br />
Schnellbahnen mit auf Reisen.<br />
„Wer nichts tut, macht mit”, urteilt Hamburgs<br />
Polizei. Sie startete im Frühjahr eine ungewöhnliche<br />
Kampagne für mehr Zivilcourage. Polizisten<br />
verteilten in Bussen und Bahnen 250.000 Kärtchen<br />
mit sechs wichtigen Verhaltensregeln. „Wir<br />
for<strong>der</strong>n nicht zu falschem Hel<strong>den</strong>tum auf”, sagte<br />
Hamburgs Innensenator Wrocklage. Er for<strong>der</strong>te<br />
aber mehr Courage, bei Straftaten o<strong>der</strong> Unglücken<br />
zu helfen.<br />
Unterstützt wird die Aktion von Prominenz aus<br />
Film, Kultur und Sport. Box-Weltmeister Dariusz<br />
Michalczewski ruft ebenso zu mehr Mut im Alltag<br />
auf wie Schauspielerin Hannelore Hoger,<br />
Fußballer Carsten Pröpper, Krimi-Legende Jürgen<br />
Roland o<strong>der</strong> Regisseur Christoph Schlingensief.<br />
Polizeibehör<strong>den</strong> an<strong>der</strong>er Bundeslän<strong>der</strong> haben die<br />
Aktion aufmerksam verfolgt und wollen sie wie<strong>der</strong>holen.<br />
„Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrie<strong>den</strong>”, sagte<br />
Polizei-Sprecherin Ulrike Swe<strong>den</strong> gegenüber AOL.<br />
Für Polizei-Präsi<strong>den</strong>t Ernst Uhrlau steht fest: „Wir<br />
konnten die Bereitschaft <strong>der</strong> Bürger, Opfern von<br />
Straftaten zu helfen, wie<strong>der</strong> wachrütteln.” Allein<br />
die Internet-Seiten zu diesem Thema haben 4500<br />
Interessierte aufgerufen. Jetzt will die Polizei das<br />
Thema auch in an<strong>der</strong>e Institutionen hineintragen.<br />
In Schulen und Universitäten beispielsweise,<br />
sagte Sprecherin Swe<strong>den</strong>.<br />
Entworfen wurde die Kampagne von <strong>der</strong> Werbeagentur<br />
„Springer & Jacoby”. Sie spendete ihr<br />
kreatives Potential. Heraus kam eine Kampagne<br />
mit beklemmendem Tenor. Beispiel: „Hier wurde<br />
gestern ein Mädchen Opfer von sechs Tätern. Einer<br />
vergewaltigte sie, fünf schauten weg.”
10 Regeln zur Deeskalation in Gewaltsituationen<br />
I. In Beziehung treten mit ation, <strong>der</strong> Situ sich<br />
einmischen Genau hinsehen! Wenn Jungen sich<br />
prügeln o<strong>der</strong> wenn Jungen Mädchen bedrängen<br />
und belästigen, ist das Ernst und nicht Spiel. Deshalb:<br />
Nicht wegsehen, son<strong>der</strong>n Stellung beziehen.<br />
II. Per sonale Konfrontation Sich als Person ohne<br />
pädagogisch-verständnisvolle Fassade bemerkbar<br />
machen. So nicht: „Du, ich weiß, dass du sauer bist,<br />
aber ich find’ das irgendwie nicht gut jetzt.” Son<strong>der</strong>n:<br />
„Schluss damit! Hier wird nicht geprügelt.“ „O<strong>der</strong>:<br />
So etwas will ich von euch/dir nie wie<strong>der</strong> mitkriegen!”<br />
Gewalt in unseren Straßen<br />
will, aber kein Gegner ist. Ihn auf sich und die<br />
Realität beziehen. Auf <strong>den</strong> Bo<strong>den</strong> <strong>der</strong> Tatsachen<br />
bringen. Laut wer<strong>den</strong>: „Was macht ihr hier eigentlich?”,<br />
„Euer Streit interessiert mich nicht/ich hab<br />
damit nichts zu tun, aber das (Gewalt) läuft hier<br />
nicht!”, „Schluss damit! Seht ihr nicht, dass er/sie<br />
Angst hat/verletzt ist/ sich nicht wehren kann?”<br />
VII. Nicht entw eichen assen l Gewaltsituation<br />
nicht durch Flucht <strong>der</strong> Gewalthandeln<strong>den</strong> abbrechen<br />
lassen - nach dem Motto: „Ist doch nichts<br />
passiert”. „Hier geblieben! Erst wird euer Streit<br />
geklärt, dann könnt ihr gehen!”<br />
III. Trennung <strong>der</strong> ontrahenten K<br />
Weitere Gewaltanwendungen<br />
durch Trennung <strong>der</strong> Gewalthandeln- VIII. Erns t nehmen „Ich nehme dich mit dem, was<br />
<strong>den</strong> verhin<strong>der</strong>n. Opfer und Täter müssen sofort du sagst, beim Wort und ernst!” Auch die Gewalt-<br />
getrennt wer<strong>den</strong>.<br />
handlung mit ihrer interpersonalen Aussage wörtlich<br />
nehmen und damit <strong>den</strong> Schüler für seine<br />
IV. Sofor t und eindeutig Grenz en setz en Kei- Gewalthandlung verantwortlich machen. Beschönerlei<br />
Gewalt o<strong>der</strong> Androhung von Gewalt gegen<br />
sich selbst als Intervenierende/n zulassen.<br />
nigen ist dann nicht mehr möglich.<br />
IX. Sp iegeln„Das<br />
hier war kein Spaß, dein Tun hat<br />
V. Per sonale W ertung Eigene Bewertung <strong>der</strong> Ge- Konsequenzen.” Konsequenzen in Form von persamtsituation<br />
deutlich machen, aber nicht moralisönlicher Ablehnung durch <strong>den</strong> Pädagogen/die<br />
sieren. „Ich verbiete dir das! Hier läuft so was nicht!” Pädagogin, einer Meldung an die Schulleitung etc.<br />
Und: Eine Ankündigung ist keine leere Drohung.<br />
VI. Einsch tzung, ob depressiv e o<strong>der</strong> cha otische<br />
Gew altkrise orliegt v Beispiele: Ein Eifersuchts-<br />
Sie muss auch umgesetzt wer<strong>den</strong>!<br />
drama ist eine depressiv verengte Krise, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> X. Begleitung ch nadem<br />
Ge waltende Der/die<br />
Gewalthandelnde nur noch die scheinbare Überle- Pädagoge/in soll nicht aus dem Kontakt gehen,<br />
genheit <strong>der</strong> Partnerin sieht. In diesem Fall: Weiten, son<strong>der</strong>n im Kontakt bleiben, bis die Situation<br />
d.h.: ihn auf seine Stärken bzw. auf an<strong>der</strong>e Perso- deeskaliert ist, bis festgestellt wer<strong>den</strong> kann: „Es<br />
nen, die ihn mögen, aufmerksam machen. „Du bist ist bei <strong>den</strong> Handeln<strong>den</strong> angekommen“. Nicht die<br />
schließlich nicht allein. Das kann doch je<strong>der</strong> sehen, Schüler/innen wie<strong>der</strong> zusammenkommen lassen,<br />
dass Peter, Uli, Karin dich gerne haben.” „Meinst wenn damit gerechnet wer<strong>den</strong> muss, dass weiter<br />
du, Rita tut es nicht auch weh, dass ihr nicht mehr<br />
zusammen seid?“ Gruppengewalt hat einen zumeist<br />
geprügelt, belästigt wird.<br />
chaotischen Krisenverlauf. Je<strong>der</strong> ist gegen je<strong>den</strong>, Ausgearbeitet von: Kontakt- und Beratungsstelle<br />
auch Unbeteiligte wer<strong>den</strong> angegriffen; dann en- Männer gegen Männer-Gewalt e.V., Institut for<br />
gen, d.h.: dem Gewalthandeln<strong>den</strong> deutlich ma- Male, Burkhard Oelemann, Joachim Lempert,<br />
chen, dass <strong>der</strong>/die Intervenierende nur schlichten Mühlendamm 66, 22087 Hamburg<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_139<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
›› Literaturliste<br />
und<br />
Deeskalations-<br />
Seminare
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Literatur: Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt - Kirchen für Frie<strong>den</strong> und Wie<strong>der</strong>versöhnung -<br />
Bücher zur Dekade (DOV):<br />
Margot Käßmann<br />
Gewalt überwin<strong>den</strong>: Eine Dekade des Ökumenischen<br />
Rates <strong>der</strong> Kirchen, Hannover 2000<br />
Bücher zum Thema „Gewalt“:<br />
Hans-Eckhard Bahr<br />
Aggression und Lebenslust. Kooperieren statt<br />
konfrontieren, Düsseldorf, 1994<br />
Eckhard Bahr<br />
Verfluchte Gewalt. Dokumentierte Geschichten,<br />
Leipzig, 1992<br />
Georg Baudler<br />
Die Befreiung von einem Gott <strong>der</strong> Gewalt, Düsseldorf,<br />
1999<br />
Heidrun Bründel, Klaus Hurrelmann<br />
Gewalt macht Schule. Wie gehen wir mit aggressiven<br />
Kin<strong>der</strong>n um? München 1994<br />
Christian W. Büttner<br />
Frie<strong>den</strong>sbriga<strong>den</strong>: Zivile Konfliktbearbeitung mit<br />
gewaltfreien Metho<strong>den</strong>. Münster, 1995<br />
Tilman Evers (Hrsg.)<br />
Ziviler Frie<strong>den</strong>sdienst - Fachleute für <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong>.<br />
Idee – Erfahrungen – Ziele, Opla<strong>den</strong>, 2000<br />
EKD (Hrsg.)<br />
Gewalt gegen Frauen als Thema <strong>der</strong> Kirche. Ein<br />
Bericht in zwei Teilen, Gütersloh 2000<br />
Erich Fromm<br />
Anatomie <strong>der</strong> menschlichen Destruktivität, rororo<br />
sachbuch, Hamburg 1977<br />
Wolfgang Huber<br />
Die tägliche Gewalt. <strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> Ausverkauf <strong>der</strong><br />
Menschenwürde, Freiburg i.B., 1993<br />
142_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Paul Hugger, Ulrich Stadler (Hrsg.)<br />
Gewalt. Kulturelle Formen in Geschichte und<br />
<strong>Gegen</strong>wart, Zürich, 1995<br />
René Girard<br />
Das Heilige und die Gewalt, Frankfurt a.M., 1992<br />
Hildegard Goss-Mayer<br />
Wie Feinde Freunde wer<strong>den</strong>, Freiburg-Basel-Wien,<br />
1996<br />
Günther Gugel, Uli Jäger<br />
Gewalt muß nicht sein. Eine Einführung in frie<strong>den</strong>spädagogisches<br />
Denken und Handeln, Verein<br />
für Frie<strong>den</strong>spädagogik Tübingen e.V., 1994<br />
G. Ma<strong>der</strong>, W.-D. Eberwein, W.R. Vogt<br />
Frie<strong>den</strong> durch Zivilisierung? Probleme – Ansätze –<br />
Perspektiven, in: Schriftenreihe des Österreichischen<br />
Studienzentrums für Frie<strong>den</strong> und Konfliktlösung<br />
– ÖSFK (Hrsg.), Band 1, Münster 1996<br />
Joh. Esser, Dieter v. Kietzell, Barbara Ketelhut,<br />
Joachim Romppel<br />
Frie<strong>den</strong> vor Ort. Alltagsfrie<strong>den</strong>sforschung - Subjektentwicklung<br />
– Partizipationspraxis, agenda<br />
Frie<strong>den</strong> 19, Münster 1996<br />
Wilhelm Heitmeyer u.a.<br />
Gewalt. Schattenseiten <strong>der</strong> Individualisierung aus<br />
unterschiedlichen Milieus, München, 2. Aufl., 1996<br />
Wolfgang Redwanz<br />
Schritte gegen Gewalt, pädagogische Konzepte<br />
<strong>der</strong> Gewaltprävention, Hg.: Bundeszentrale für<br />
politische Bildung (BpB), Berliner Freiheit 7, 53111<br />
Bonn. Fax: 0 18 88/515-309; ag4@bpb.bund.de;<br />
www.bpb.de<br />
Kurt Singer<br />
Zivilcourage wagen — wie man lernt, sich einzumischen,<br />
Piper Verlag, München, 190 Seiten
Literatur: Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt - Kirchen für Frie<strong>den</strong> und Wie<strong>der</strong>versöhnung -<br />
Robert Spaemann<br />
Zur Kritik <strong>der</strong> politischen Utopie. Zehn Kapitel politischer<br />
Philosophie, Stuttgart 1977 (Beson<strong>der</strong>s die<br />
Begriffsklärung im Artikel: Moral und Gewalt,<br />
S. 77-103)<br />
Helmut Lukesch<br />
Wenn Gewalt zu Unterhaltung wird ... Regensburg<br />
1994 (Gewalt im Fernsehen)<br />
Hans-Uwe Otto, Roland Merten (Hrsg.)<br />
Rechtsradikale Gewalt im vereinigten Deutschland.<br />
Jugend im Umbruch, Opla<strong>den</strong> 1993<br />
Wolfgang Sofsky<br />
Traktat über die Gewalt, Frankfurt a.M., 1994, 2.Aufl.<br />
Wolfgang R. Vogt, Eckard Jung (Hrsg.)<br />
Kultur des Frie<strong>den</strong>s: Wege zu einer Welt, Darmstadt<br />
1997<br />
Ulrike C. Wasmuht<br />
Geschichte <strong>der</strong> deutschen Frie<strong>den</strong>sforschung:<br />
Entwicklung, Selbstverständnis, Politischer Kontext,<br />
Münster 1998<br />
Zivilcourage<br />
Anleitung zum kreativen Umgang mit Konflikten<br />
und Gewalt. Agenda Verlag, Münster 1995, 142 S.<br />
Zeitschriften und Aufsätze:<br />
Margot Käßmann<br />
Ökumenische Dekade „Gewalt überwin<strong>den</strong>“, Junge<br />
Kirche – Zeitschrift europ. Christinnen und Christen,<br />
Febr. 1999, 60. Jhg. , S. 83 ff<br />
epd-Dokumentation<br />
Dekade zur Überwindung von Gewalt. Botschaft<br />
und Rahmenkonzeption und Bewaffnete Konflikte<br />
und Völkerrecht. Memorandum und Empfehlungen,<br />
ÖRK Zentralausschuss ´99, Nr. 38/99<br />
(Bestellung: Tel 069/580 98-189 Fax 069/ 580 98<br />
- 226, E-Mail gep-publ@epd.de<br />
Son<strong>der</strong>heft: Gewalt überwin<strong>den</strong><br />
Junge Kirche – Zeitschrift europ. Christinnen und<br />
Christen, Mai 2000, 61. Jhg.<br />
Son<strong>der</strong>heft: Religionen als Quelle von Gewalt?<br />
Concilium Internationale Zeitschrift für Theologie,<br />
33. Jhg., September 1997, Heft 4<br />
Ausrottung <strong>der</strong> Armut – Überwindung von Gewalt:<br />
Themen <strong>der</strong> Oekumene, Nr. 61 – September 2000,<br />
III. Quartal<br />
Christ sein weltweit – Gewalt überwin<strong>den</strong>:<br />
Material f. Gemein<strong>den</strong> und Gruppen; 2000<br />
Hrsg.: Ev. Missionswerk in Deutschland e.V.<br />
Programm zur Überwindung von Gewalt; Zusammengestellt<br />
von Salpy Eskidjian<br />
Oekumenischer Rat <strong>der</strong> Kirchen, Genf 1997 (vergriffen?)<br />
Gewalt überwin<strong>den</strong>: Werkstatt zur Ökumenischen<br />
Dekade, 19.bis 21. Januar 2000<br />
in <strong>der</strong> Ev. Akademie Bad Boll, Protokolldienst 8/<br />
2000<br />
Lateinamerika: Wer stoppt die Gewalt?<br />
In: <strong>der</strong> überblick. Zeitschrift für ökum. Begegnung<br />
und intern. Zusammenarbeit, Heft 1 1998<br />
Krieg gegen die Frauen<br />
<strong>der</strong> überblick, Heft 2, 1993<br />
Ernst von <strong>der</strong> Recke<br />
Warum hast du gleich geschlagen, in: zivil - Zeitschrift<br />
für Frie<strong>den</strong> und Gewalt-Freiheit, 3/2000, S.36 f<br />
Tobias Kaufmann<br />
Frie<strong>den</strong> fängt beim Fußball an, in: zivil – Zeitschrift<br />
für Frie<strong>den</strong> und Gewaltfreiheit, 3/2000 S. 33 f<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_143<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Literatur: Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt - Kirchen für Frie<strong>den</strong> und Wie<strong>der</strong>versöhnung -<br />
Gewaltfreie Konfliktbearbeitung<br />
antimilitarismus information (ami) 25. Jhrg.,<br />
Heft 12, Dezember 1995<br />
Thomas Rödl<br />
Zivil handeln. Gewaltfrei Alternativen, AG Frie<strong>den</strong>spädagogik,<br />
München, 98<br />
Joachim Zierau<br />
Alternativen zur militärischen Konfliktbearbeitung,<br />
in: Grenzen <strong>der</strong> Versöhnung: Handreichung zur<br />
Frie<strong>den</strong>sdekade Aktion Sühnezeichen Frie<strong>den</strong>sdienste,<br />
Göttingen 1995<br />
Zeitschrift: Probleme des Frie<strong>den</strong>s, Pax Christi<br />
(Hrsg.), Komzi Verlag, Idstein<br />
• Frie<strong>den</strong>s- statt Militäreinsätze. Freiwillige Frie<strong>den</strong>sdienste<br />
im Aufwind, 2-3/1994<br />
• Jenseits <strong>der</strong> Gewalt. Arbeit für <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> in Ex-<br />
Jugoslawien, 1-2/1996<br />
• Aufstehen gegen Kulturen <strong>der</strong> Gewalt. Beispiel<br />
Türkei, 3/1997<br />
• Der konziliare Prozeß. Gemeinsam für Gerechtigkeit,<br />
Frie<strong>den</strong> und Bewahrung <strong>der</strong> Schöpfung, 1-2/1998<br />
Gewaltverherrlichung kann gefährlich sein, Ursula<br />
Nuber<br />
Interview mit H. Selg und H. Lukesch zu Gewaltdarstellungen<br />
in <strong>den</strong> Medien, in: Psychologie<br />
Heute April 1999, S. 45-49<br />
Arbeitsmaterialen:<br />
Arbeitsgruppe SOS-Rassismus NRW (Hrg.)<br />
»Spiele, Impulse und Übungen«, SOS-Rassismus,<br />
Haus Villigst, 58239 Schwerte, Tel. 02 304/75 51 90<br />
Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt,<br />
Braunschweig, Reinhard Koch, Rechtsextremismus<br />
und Gewalt.<br />
Ein Verzeichnis <strong>der</strong> in Braunschweig verfügbaren<br />
Medien und Materialien, Verzeichnis 9, 1994<br />
144_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen<br />
und Jugend (Hrsg.) »Störenfriede«,<br />
Broschürenstelle Bundesministerium für Familie,<br />
Senioren, Frauen und Jugend, Postfach 20 15 51,<br />
53145 Bonn Fon: 0180/53 29-3 29<br />
Klaus Burckhardt,<br />
Schritte gegen Tritte. Vom Umgang mit Gewalt in<br />
Südafrika und bei uns, Evangelisches Missionswerk<br />
in Deutschland (EMW), Hamburg<br />
K. Fuller, W. Kerntke<br />
Konflikte selber lösen – Mediation für Schule und<br />
Jugendarbeit, Verlag an <strong>der</strong> Ruhr, 1996<br />
K. Fuller, W. Kerntke<br />
Konflikte selber lösen – Mediation für Schule und<br />
Jugendarbeit, Verlag an <strong>der</strong> Ruhr, 1996<br />
R.-E. Posselt, Kl. Schumacher<br />
Projekthandbuch: Gewalt und Rassismus. Handlungsorientierte<br />
und offensive Projekte, Aktionen<br />
und Ideen zur Auseinan<strong>der</strong>setzung und Überwindung<br />
von Gewalt und Rassismus in Jugendarbeit,<br />
Schule und Betrieb, Mühlheim a.d.R., 1993<br />
Peace to the City. Stories of Hope. Video-Serie zur<br />
Kampagne „Peace to the City“<br />
WCC Publicationes, P.O. Box 2100, 1211 Geneva 2,<br />
Switzerland<br />
Dokumentation des Modellvorhabens „Ausbildung<br />
in ziviler Konfliktbearbeitung“, Forum<br />
Ziviler Frie<strong>den</strong>sdienst<br />
<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> Dienst für <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> (AGDF)<br />
u.a. Hrsg., 1997<br />
Detlef Beck – Barbara Müller<br />
Gewaltfreie Nachbarschaftshilfe, BSV Min<strong>den</strong>,<br />
1994<br />
»Publik-Forum«<br />
Dossier: »Den braunen Vormarsch stoppen«.
Literatur: Ökumenische Dekade zur Überwindung von Gewalt - Kirchen für Frie<strong>den</strong> und Wie<strong>der</strong>versöhnung -<br />
Dort sind auch »Initiativen für ein freundliches<br />
Land« vorgestellt. Publik-Forum, Postfach 2010,<br />
61410 Oberursel www.publik-forum.de<br />
Internetadressen:<br />
www.arbeitsstelle-moeve.de<br />
www.wcc-coe.org<br />
(ÖRK Website mit vielen Informationen)<br />
www.afg-hannover.de<br />
Zusammengestellt von:<br />
Joachim Zierau, Pastor, Arbeitsstelle KDV & ZDL<br />
& Frie<strong>den</strong>sdienste im Amt für Gemeindedienst,<br />
0511-1241-468<br />
Deeskalations-Seminare<br />
(und Informationen dazu) bieten an:<br />
Arbeitsgruppe SOS-Rassismus NRW<br />
Haus Villigst, 58239 Schwerte, Tel.: 02304-755190,<br />
e-mail: AG-SOS-R@GISMO.GUN.de<br />
ARIC-NRW (Anti-Rassismus-Informations-Centrum)<br />
Nie<strong>der</strong>str. 5, 47051 Duisburg, Tel.<br />
und Fax: 0203/284873, e-mail: ARIC@wirehub.nl<br />
o<strong>der</strong>: aric@project.fido.de<br />
Aktion Courage<br />
c/o Ulrich Nehls, Lankauer Weg 1, 23879 Mölln,<br />
Tel.: 04542-87345<br />
Bildungs- und Begegnungsstätte für gewaltfreie<br />
Aktion<br />
Kirchstr. 14, 29462 Wustrow, Tel.: 05843-507<br />
Ghandi Informationszentrum<br />
Lübecker Str. 44, 10559 Berlin 21, Tel.: 030-3941420<br />
Graswurzelwerkstatt, Scharnhorststr. 6, 50733<br />
Köln 60, Tel.: 0221-765842<br />
Frie<strong>den</strong>s- und Begegnungsstätte Mutlangen e.V.<br />
Forststr. 3, 73557 Mutlangen, Tel.: 07171-75661.<br />
Werkstatt für gewaltfreie Aktion Ba<strong>den</strong><br />
Römerstr. 32, 69115 Heidelberg, Tel.: 06221/16197<br />
Bund für soziale Verteidigung, Frie<strong>den</strong>splatz 1a,<br />
32378 Min<strong>den</strong>, Tel.: 0571/29456<br />
Pädagogisches Institut des Schulreferats München<br />
c/o Wunibald Heigl, Herrnstr. 19, 80539 München,<br />
Tel.: 089-23327965 Fax.: 089-23328749<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_145<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Informationen über die AEJN<br />
Zur Arbeit <strong>der</strong> AEJN<br />
In <strong>der</strong> <strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>Evangelischen</strong><br />
Jugend in Nie<strong>der</strong>sachsen (AEJN) haben sich 10<br />
Jugendverbände aus <strong>den</strong> 5 Landeskirchen, <strong>den</strong><br />
Verbän<strong>den</strong> eigener Prägung und <strong>den</strong> Freikirchen<br />
zusammengeschlossen, um u. a. „gemeinsame<br />
Belange bei staatlichen, kirchlichen und sonstigen<br />
öffentlichen Stellen“ zu vertreten. Wesentliche<br />
Grundlage <strong>der</strong> verbandlichen Jugendarbeit<br />
sind weiterhin Jugendgruppen, Projekt- und Aktionsgruppen.<br />
Sie haben wechselnde inhaltliche<br />
Schwerpunkte und sind Teil <strong>der</strong> Freizeit, die Jugendliche<br />
und junge Erwachsene gemeinsam<br />
gestalten, in <strong>der</strong> sie soziale Aktionen durchführen<br />
und sich mit religiösen, gesellschaftspolitischen<br />
und politischen Fragen auseinan<strong>der</strong>setzen. Hinzu<br />
kommen Seminare, Wochenendfreizeiten, Zeltlager,<br />
internationale Jugendbegegnungen, Jugendgottesdienste<br />
und offene Angebote für nicht<br />
organisierte Jugendliche. Ein nicht unerheblicher<br />
Anteil <strong>der</strong> Aktivitäten wird mit öffentlichen Mitteln<br />
geför<strong>der</strong>t. 1.486 Freizeiten- bzw. Bildungsmaßnahmen<br />
(davon 759 Freizeiten und 727 Bildungsmaßnahmen)<br />
haben die zehn Mitgliedsverbände<br />
<strong>der</strong> AEJN im Jahr 1999 durchgeführt . An diesen<br />
Veranstaltungen nahmen 44.142 Personen (davon<br />
22.913 weiblich und 21.229 männlich) teil.<br />
Insgesamt konnten 268.969 Teilnehmertage<br />
(TNT=Anzahl <strong>der</strong> Personen multipliziert mit Tagen)<br />
gezählt wer<strong>den</strong>. Mit mehr als 31.000 TeilnehmerInnen<br />
bei 759 Freizeitmaßnahmen dürften die<br />
evangelischen Jugendverbände zu <strong>den</strong> größten<br />
Anbietern im Jugendhilfebereich in Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
zählen. Dazu müssen eine Vielzahl von weiteren<br />
Freizeiten <strong>der</strong> örtlichen Ebene gerechnet wer<strong>den</strong>,<br />
die von dieser Statistik nicht erfasst wer<strong>den</strong>.<br />
Bei einer Auflistung <strong>der</strong> Altersstruktur ist erkennbar,<br />
dass bei <strong>den</strong> genannten Maßnahmen 17.500<br />
Jugendliche aus dem Segment <strong>der</strong> 14 -18 Jährigen<br />
stammen, ca. 7.000 Personen zum Zeitpunkt <strong>der</strong><br />
Erhebung zwischen 19 und 26 Jahre alt waren.<br />
146_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
Über 15.000 Kin<strong>der</strong> im Alter von 6 -13 Jahren nahmen<br />
an Freizeiten teil.<br />
Die Mitgliedsverbände zählten 16.978 Ehrenamtliche,<br />
die für die unterschiedlichsten Angebotsformen<br />
<strong>der</strong> Jugendarbeit aktiv tätig waren. 52%<br />
davon sind weiblich - 48% sind männlich. Diese<br />
Statistik weist nur ein Teilsegment <strong>der</strong> Angebotsvielfalt<br />
<strong>der</strong> Jugendverbände aus. Regelmäßig stattfin<strong>den</strong>de<br />
Gruppenzusammenkünfte, Projekte o<strong>der</strong><br />
Wochenendveranstaltungen kommen noch dazu.<br />
Fazit: Jede Mark, die <strong>den</strong> Mitgliedsverbän<strong>den</strong> <strong>der</strong><br />
AEJN vom Land Nie<strong>der</strong>sachsen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />
öffentlichen Stellen zur Verfügung gestellt wer<strong>den</strong>,<br />
ist gut angelegt. Verwendungsnachweise wer<strong>den</strong><br />
<strong>den</strong> zuständigen Stellen zur Überprüfung regelmäßig<br />
vorgelegt.<br />
Dazu kommen die Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen, die<br />
sich regelmäßig in Gruppen und Projekten, häufig<br />
wöchentlich o<strong>der</strong> 14-tägig treffen. Allein im<br />
Bereich <strong>der</strong> Ev. Jugend <strong>der</strong> hannoverschen Landeskirche<br />
gibt es mehr als 3.540 Kin<strong>der</strong>- und Jugendgruppen.<br />
Zur Arbeit Ehrenamtlicher<br />
Ehrenamtliches Engagement ist nach wie vor die<br />
tragende Säule <strong>der</strong> Jugendarbeit und insbeson<strong>der</strong>e<br />
<strong>der</strong> Jugendverbandsarbeit. Jugendverbände<br />
wer<strong>den</strong> seit ihrer Gründung von Ehrenamtlichen,<br />
d.h. von freiwilligen und unbezahlten Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeitern getragen und gestaltet. Mit<br />
ihrem Engagement sichern sie das gesamte Verbandsleben<br />
von regelmäßiger Gruppenarbeit über<br />
die Leitung von Bildungs- und Freizeitmaßnahmen<br />
bis zur politischen Vertretung. Es sind Ehrenamtliche,<br />
die Projekte, Freizeiten und die alltäglichen<br />
Angebote erst möglich machen. Nach <strong>der</strong> oben<br />
erwähnten Aktivitätenübersicht <strong>der</strong> AEJN wur<strong>den</strong><br />
16.978 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
gezählt.
Die Mitgliedsverbände <strong>der</strong> AEJN haben Strukturen<br />
und Rahmenbedingungen geschaffen, damit junge<br />
Menschen<br />
• durch religiöse, allgemeine und politische<br />
Bildung in ihrer Persönlichkeitsentwicklung<br />
geför<strong>der</strong>t wer<strong>den</strong>;<br />
• ihre Interessen innerhalb ihres eigenen Jugendverbandes<br />
artikulieren;<br />
• ihre Bedürfnisse und Anliegen in <strong>der</strong> kirchlichen<br />
und politischen Öffentlichkeit vertreten;<br />
Als Grundlage dient die Überzeugung, wie sie z. B.<br />
in <strong>der</strong> Präambel <strong>der</strong> Ordnung für die ev. Jugendarbeit<br />
in <strong>der</strong> Ev.-luth. Landeskirche Hannovers formuliert<br />
ist:<br />
„Ev. Jugendarbeit will allen jungen Menschen das<br />
Evangelium von Jesus Christus in ihnen gemäßer<br />
Weise bezeugen, sie mit <strong>der</strong> biblischen Botschaft<br />
in ihrer Lebenswirklichkeit begleiten und sie<br />
ermutigen, in <strong>der</strong> Nachfolge Jesu Christi als mündige<br />
Christen kirchliches Leben mitzugestalten und<br />
Verantwortung in <strong>der</strong> Welt wahrzunehmen.“<br />
<strong>Arbeitsgemeinschaft</strong> <strong>der</strong> Ev. Jugend in Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
(AEJN): evangelische Jugendarbeit <strong>der</strong><br />
Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig, Ev.-luth.<br />
Landeskirche Hannovers, Ev.-luth. Kirche in Ol<strong>den</strong>burg,<br />
Ev.-luth. Landeskirche Schaumburg-<br />
Lippe, Evangelisch-reformierte Kirche (Synode<br />
ev.-ref. Kirchen in Bayern und Nordwestdeutschland),<br />
Jugendwerk <strong>der</strong> ev.-meth. Kirche Nie<strong>der</strong>sachsen,<br />
Gemeindejugendwerke Nie<strong>der</strong>sachsen<br />
und Nordwestdeutschland des Bundes Ev.-freikirchlicher<br />
Gemein<strong>den</strong>, Jugendwerk des Bundes<br />
<strong>der</strong> freien <strong>Evangelischen</strong> Gemein<strong>den</strong>, CVJM in<br />
Nie<strong>der</strong>sachsen, Nie<strong>der</strong>sächsischer Jugendverband<br />
„Entschie<strong>den</strong> für Christus (EC)“ e.V.<br />
Postanschrift: Postfach 265, 30002 Hannover,<br />
Telefon (05 11) 12 41 - 5 71, Fax (05 11) 12 41 - 4 92<br />
e-mail: AEJN.@t-online.de<br />
Homepage: http://www.ejh.de/aejn.htm<br />
Informationen über die AEJN<br />
ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …_147<br />
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong>
GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Veröffentlichungen „<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong>“<br />
<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1992 vergriffen<br />
40 Tage ohne …Verzicht ein Gewinn<br />
- Fasten - ein leibliches Fest und ein<br />
religiöses Ereignis<br />
- Thema Alkohol<br />
- Thema Süßigkeiten<br />
- Thema Medienkosum<br />
<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1993 vergriffen<br />
Gewalt - gewaltfrei leben<br />
- Die Aktion<br />
- Gewalt in <strong>der</strong> Schule<br />
- Gewalt in <strong>der</strong> Freizeit<br />
- Gewalt in <strong>den</strong> Medien<br />
<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1994 DM 6,–<br />
Wettstreit statt Feindschaft<br />
- Die Aktion<br />
- Versuch einer Ist-Stands Beschreibung<br />
- Individuum und Gemeinschaft - Ich suche<br />
mich noch<br />
- Individuum und Gemeinschaft - „Es ist<br />
nicht gut, dass <strong>der</strong> Mensch allein sei...„<br />
- Werte und Orientierungen - Die an<strong>der</strong>en<br />
sind mein größter Wert<br />
<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1995 DM 6,–<br />
Fasten und Teilen<br />
- Option für die Schwachen<br />
- Jugend und Teilen<br />
- Macht teilen<br />
- Zeit - teilen statt totschlagen<br />
- Arbeit teilen<br />
- Geld/Besitz teilen<br />
- Begabung, Intelligenz, Talent und die<br />
Möglichkeit des Teilens<br />
- Fasten und Teilen im Horizont <strong>der</strong> Einen Welt<br />
<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1996 DM 6,50<br />
Kick, Fun & Thrill<br />
- von <strong>der</strong> Schiffsschaukel zum Euro-Disney<br />
- <strong>Trend</strong>s<br />
- Tanzen ist Trumpf<br />
- Beziehungskisten<br />
- Erleben gegen <strong>den</strong> <strong>Trend</strong><br />
- Erlebnispädagogik - Rettungsanker in<br />
schwieriger Zeit?<br />
148_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1997 vergriffen<br />
Surfen in die Zukunft<br />
- Runter von <strong>der</strong> Oberfläche<br />
- Ich-Styling<br />
- Kreativ sein im Internet<br />
- Die Computergesellschaft<br />
- Kommunikation<br />
- Zukunft in <strong>der</strong> Bibel<br />
<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1998 DM 6,50<br />
Erfolgreich leben<br />
- Erfolg, was ist das für mich<br />
- Je<strong>der</strong> ist seines Glückes Schmied? Von<br />
Leitbil<strong>der</strong>n und Idolen<br />
- Stell Dir vor, Du stellst Dich vor, und keiner<br />
stellt Dich ein!<br />
- Warum immer nur zu kurz kommen?<br />
Frauen und Erfolg<br />
- Die Geburtsstätte des Erfolgs: Die Stadt<br />
- Von Winnern und Losern: die geistliche Dimension des Erfolges<br />
- Impuls- und Erlebnisstationen zu biblischen „Erfolgstexten“<br />
<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 1999 DM 6,50<br />
Navigation braucht Orientierung<br />
- Orientierung<br />
- Vom Gebot zur Geschichte - Orientierung<br />
als Prozeß<br />
- Innerer Kompaß und Orientierungslosigkeit<br />
- Global + Ratlosigkeit = Angst<br />
- Lebensaufgaben im Jugendalter<br />
- Wertehammer<br />
- Werte und Orientierungen - Wir haben einen Traum - The dark side of the moon - Umgang mit Tod und Sterben<br />
- Wie gewinne ich Orientierung?<br />
<strong>Gegen</strong> <strong>den</strong> <strong>Trend</strong> 2000 DM 6,50<br />
Von Hel<strong>den</strong> und an<strong>der</strong>en Lichtgestalten<br />
- Einführung<br />
- Hel<strong>den</strong> - Begleiter auf dem Weg zur<br />
eigenen Persönlichkeit<br />
- Filmhel<strong>den</strong> in Aktion<br />
- Star Trek - Raumschiff Enterprise<br />
- Stars - Hel<strong>den</strong> in <strong>der</strong> Musikszene<br />
- Martin Luther King<br />
- Vom General zum Frie<strong>den</strong>sheld - Yitzchak Rabin<br />
- Heldinnen<br />
- Jungen - Männer - Hel<strong>den</strong><br />
- „Mir nach spricht Christus unser Held …“