Gegen den Trend 2001 - Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen ...
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GEGEN DEN TREND ’<strong>2001</strong><br />
Faszinosum Gewalt<br />
Das Ende <strong>der</strong> Vernunft?<br />
Nicht nur auf Grund <strong>der</strong> Ereignisse <strong>der</strong> ersten<br />
Hälfte des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts empfin<strong>den</strong> viele<br />
die neuaufkommen<strong>den</strong> rechtsextremistischen und<br />
auslän<strong>der</strong>feindlichen Aktionen als Skandal. Hirnloser<br />
Hass und Gewalt machen auch das alte<br />
Aufklärungsmodell fraglich, nach dem vernünftige<br />
Einsicht die Grundlage von gesellschaftlicher<br />
Entwicklung ist.<br />
Ist es <strong>den</strong>n so, dass alle Gruppierungen einer<br />
Gesellschaft „Einsicht“ haben und haben wollen?<br />
O<strong>der</strong> gibt es Gruppen, die sich aller „vernünftigen<br />
Einsicht“ versperren? Hat vielleicht die Gewalt ihre<br />
eigenen Strukturen und Einsichten, die sich <strong>der</strong><br />
Vernunft entziehen? Und, wenn dem so ist, wie<br />
können solche Strukturen entstehen und aus<br />
welchem Grunde? Dieser Beitrag behauptet, dass<br />
von <strong>der</strong> Gewalt eine Faszination ausgeht, die <strong>den</strong><br />
Menschen existentieller ergreift als die Vernunft<br />
und sich deshalb auch <strong>den</strong> Grün<strong>den</strong> <strong>der</strong> Vernunft<br />
verschließt. Eine solche gewalttätige, faszinierende<br />
Lebenshaltung entsteht, wenn die eigene<br />
Existenz nicht mehr gespürt wird und die Ausübung<br />
von Gewalt in dem Täter eine Ekstase auslöst,<br />
die ihm sagt: Du lebst. Eine solche Haltung ist<br />
aber keine „echte“ Teilhabe am Sein, son<strong>der</strong>n<br />
impliziert eine Suchtstruktur des Täters. D.h. <strong>der</strong><br />
Täter wird immer wie<strong>der</strong> Gewalt anwen<strong>den</strong>, um<br />
sich am Leben zu spüren. Die Suchtstruktur verhin<strong>der</strong>t<br />
wie<strong>der</strong>um, dass <strong>der</strong> Täter Vernunftgrün<strong>den</strong><br />
20_ZWISCHEN BEGEISTERUNG UND GEWALT …<br />
zugänglich sein kann. Präventionen gegen Gewalt<br />
können daher nicht länger auf Aufklärungsmodelle<br />
setzen, son<strong>der</strong>n müssen auf Gemeinschaft und<br />
Erleben setzen. Dabei kann das „Erleben“ nicht<br />
auf Aufklärung zielen und die Gemeinschaft nicht<br />
als eine Zusammenfassung von Randgruppierungen<br />
meinen. Gesellschaftliche <strong>Gegen</strong>entwürfe<br />
müssen lebbar sein und nicht in <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Verweigerung en<strong>den</strong>, die schnell in Gewalt<br />
umschlagen kann. Deshalb plädiert dieser Artikel<br />
für eine Gesellschaft, die aus vielen, verschie<strong>den</strong>en<br />
Gemeinschaften besteht, die alle ihr Recht<br />
zum Leben haben, weil sie sich alle um die große<br />
Gemeinschaft, die <strong>der</strong> Gesellschaft, bemühen. Und<br />
das nicht aus Vernunftgrün<strong>den</strong>, son<strong>der</strong>n auf Grund<br />
von Erfahrung.<br />
Kein Leben ohne Beziehung<br />
Das Schlagwort unserer Zeit ist „Subjekt“. Ein<br />
Subjekt setzt gegenüber <strong>der</strong> restlichen Welt einen<br />
eigenen Standort. Welches sind die Bedingungen<br />
für die Selbstsetzung des Subjektes? Zu keinem<br />
Zeitpunkt unseres Lebens sind wir allein. Selbst in<br />
<strong>der</strong> Psychoanalyse, die ein Subjekt im Sinne von<br />
<strong>Gegen</strong>über behauptet, integriert das Ich sich in ein<br />
Geschehen, das Ich und An<strong>der</strong>es umgreift. Durch<br />
diesen glücklichen Wi<strong>der</strong>spruch wird das Ich zu<br />
einem Teilaspekt einer Atmosphäre, die viele<br />
umgreift. Jacques Lacan behauptet, das jedes<br />
menschliche Leben bei seiner Geburt ohnmächtig<br />
und verraten ins Dasein stürzt. 1 Erst wenn es sich<br />
in einem Spiegel als Mensch begreife, setze die<br />
Erlösung ein. Wer aber ist dieser Spiegel, wenn