Komplementarität von aussagepsychologischer und klinisch - Asanger
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Weiterbildung<br />
AUSSAGEPSYCHOLOGISCHE UND KLINISCH-PSYCHOLOGISCHE METHODIK<br />
Merkmalen bzw. Kriterien, welche in einem<br />
argumentativen Prozess am Einzelfall orientiert<br />
diskutiert werden. Integrativ soll dann<br />
eine Entscheidung herbeigeführt werden, ob<br />
eine intentionale Falschaussage wahrscheinlich<br />
ausgeschlossen werden kann.<br />
Unklar bleibt bis auf Weiteres, wie die Integration<br />
der Kriterien im Einzelfall erfolgt. Eine<br />
Standardisierung der Aggregation der Merkmalsausprägungen<br />
im Einzelfall ist nach der<br />
einschlägigen wissenschaftlichen Literatur <strong>und</strong><br />
dem Studium zahlreicher <strong>aussagepsychologischer</strong><br />
Gutachten durch den Verfasser dieses<br />
Beitrages nicht ersichtlich. Gelitz (2011) weist<br />
ebenfalls auf diese Schwäche der aggregierten<br />
merkmalsorientierten Inhaltsanalyse hin <strong>und</strong><br />
verweist u.a. auf eine Laborstudie <strong>von</strong> Steck et<br />
al. (2010), wonach in der Aggregation erfüllter<br />
Realkennzeichen ein signifikanter Unterschied<br />
zwischen Eigenerlebnissen <strong>und</strong> nacherzählten<br />
Erlebnissen nicht nachweisbar ist <strong>und</strong> auch der<br />
Unterschied zwischen wirklichen <strong>und</strong> erf<strong>und</strong>enen<br />
Erlebnissen nicht sehr überzeugend ist.<br />
Der Gutachter verfügt zudem über einen<br />
entscheidungsrelevanten Spielraum, ob ein<br />
Kriterium erfüllt ist oder nicht, sowie wie viele<br />
Kriterien oder welche Kriterien eine hinreichend<br />
hohe Aussagequalität rechtfertigen.<br />
Es werden subjektive Entscheidungen getroffen,<br />
weswegen eine argumentative Absicherung<br />
<strong>und</strong> eine transparente <strong>und</strong> nachvollziehbare<br />
Gewichtung unablässig ist. Genau<br />
dieses Prozedere wird jedoch äußerst selten<br />
hinreichend explizit dargelegt. Zwar werden<br />
in der Regel die einzelnen Qualitätsmerkmale<br />
anhand der zur Disposition stehenden<br />
Aussage einzeln <strong>und</strong> sukzessive geprüft. Die<br />
Aggregation bzw. Zusammenführung bleibt<br />
danach allerdings oft intransparent.<br />
Der konkrete Integrationsprozess der Kriterien<br />
bleibt auch deswegen häufig unklar, weil eine<br />
Quantifizierung bzw. Messbarmachung der<br />
Kriterien letztlich nicht möglich ist. Wohl aber<br />
ist eine qualitative Operationalisierung, die ei-<br />
nem hermeneutischen Vorgehen näher ist als<br />
dem Vorgehen in der experimentellen Psychologie,<br />
angemessen <strong>und</strong> auch praktikabel.<br />
Die erfolgende qualitative Gewichtung, die<br />
subjektiven Entscheidungen unterliegt, die<br />
auch anders getroffen werden könnten, muss<br />
im Sinne der wissenschaftlichen Qualitätsmerkmale<br />
Transparenz, Nachvollziehbarkeit<br />
<strong>und</strong> argumentative Interpretationsabsicherung<br />
(vgl. Mayring, 2002) erfolgen. Dabei ist<br />
auch die Nähe zum Gegenstand (d.h. die im<br />
Einzelfall zugr<strong>und</strong>eliegende Aussage) als wissenschaftliches<br />
Gütekriterium unabdingbar.<br />
Wissenschaftliche Studien, welche statistische<br />
Größen hervorbringen, sind beim<br />
gebotenen aussagepsychologischen Vorgehen<br />
letztlich wenig bzw. höchstens indirekt<br />
brauchbar. So geht eine etwaige Argumentation,<br />
dass x Prozent <strong>von</strong> Aussagenden einer<br />
bestimmten Kohorte simulierte Aussagen<br />
hervorbringen, sich in x Prozent der in einer<br />
Studie analysierten Aussagen ein bestimmtes<br />
Kriterium y-fach gezeigt hat oder dass<br />
bestimmte Amnesien in x Prozent der untersuchten<br />
Fälle vorgekommen sind, an der Fragestellung<br />
eines aussagepsychologischen<br />
Gutachtens vorbei, da immer der konkrete<br />
Einzelfall als Einzelfall zu untersuchen ist.<br />
Eine statistische Verteilung kann zwar eine<br />
Tendenz darlegen, im Einzelfall ist jedoch immer<br />
zu prüfen, ob die allgemeine bzw. statistische<br />
Tendenz auch im zugr<strong>und</strong>eliegenden<br />
Fall vorliegt bzw. welche nachvollziehbaren<br />
Gründe für eine alternative Erklärungs-Hypothese<br />
in Frage kommen. In diesem Kontext<br />
bekommt der Terminus „Alternativhypothese“<br />
einen erkenntnismethodischen Sinn –<br />
als ggf. plausible, argumentativ nachvollziehbar<br />
zu machende Abweichung <strong>von</strong> einer wie<br />
auch immer gearteten „Norm“.<br />
Sowohl über die prinzipielle Sinnhaftigkeit,<br />
die Aussagequalität über einzelne Qualitätsmerkmale<br />
zu operationalisieren als auch über<br />
24 ZPPM Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft, Psychologische Medizin 10 JG. (2012) HEFT 3