Jesus ist kommen, Grund ewiger - Evangelische Gemeinde ...
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Predigt am 13. 1. 2013 in der Universitätskirche Erlangen<br />
zum Lied „<strong>Jesus</strong> <strong>ist</strong> <strong>kommen</strong> <strong>Grund</strong> <strong>ewiger</strong> Freude“ (EG 66)<br />
Gehalten von Prof. Dr. Dietrich Stollberg<br />
I. Ein schönes Lied, über das ich heute, am 1. Sonntag nach dem Fest<br />
der Erscheinung Chr<strong>ist</strong>i – Epiphanias –, predigen soll! Es hat mir<br />
immer sehr gut gefallen, weniger wegen seines Texts als wegen seiner<br />
Melodie. Im Dreivierteltakt wird hier der Freude Ausdruck verliehen.<br />
Das war um 1736, als dieses Lied entstand, wohl etwas ziemlich Neues,<br />
auch wenn die Melodie vielleicht ursprünglich nicht dafür, sondern<br />
für ein Sololied – mit einem Umfang über eine Oktave hinaus und mit<br />
für einen <strong>Gemeinde</strong>choral ungewöhnlichen Schleifen („Melismen“<br />
nennt das die Wissenschaft) - , geschrieben wurde. Sie stammt<br />
eventuell von dem Kantor Johann Ludwig Hille aus Glaucha bei<br />
Halle, einem Freund Bachs. Diese Melodie stand auf einem drei Jahre<br />
vor dem Text entstandenen Köthener Notenblatt, das der Verfasser des<br />
Textes, der Seelsorger der Köthener Fürstin, Pfarrer Johann Ludwig<br />
Konrad Allendorf, vermutlich gekannt hat. Man weiß das alles nicht<br />
genau. Jedenfalls <strong>ist</strong> es auch hier wie so oft: Die Musik macht aus dem<br />
Text ein schönes und – in diesem Fall auch ein fröhliches - Lied.<br />
II. Wenden wir uns nun dem Text zu! Das ursprünglich 23 Strophen<br />
umfassende Lied – bei 23 denkt man an Ps 23: „Der Herr <strong>ist</strong> mein<br />
Hirte“ - <strong>ist</strong> ein Loblied auf Chr<strong>ist</strong>us. Man könnte es mit dem<br />
Philipperbrief des Paulus so zusammenfassen: „Freuet euch in dem<br />
Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!“ (Phil 4, 4)<br />
Das Thema wird im ersten Vers formuliert: „<strong>Jesus</strong> <strong>ist</strong> <strong>kommen</strong>,<br />
<strong>Grund</strong> <strong>ewiger</strong> Freude.“ Es <strong>ist</strong> aber nicht nur ein Chr<strong>ist</strong>uslob, sondern<br />
spezieller: ein Ausdruck immerwährender Freude darüber, dass der<br />
Messias in <strong>Jesus</strong> ge<strong>kommen</strong> <strong>ist</strong>. Er <strong>ist</strong> da, den man lange erwartet und<br />
erhofft hatte.<br />
III. Und wer <strong>ist</strong> der Messias, der Chr<strong>ist</strong>us, wie Allendorf ihn pre<strong>ist</strong>? „A<br />
und O, Anfang und Ende“, die Einheit von Gott und Mensch, die<br />
große Nähe des Schöpfers. „Gottheit und Menschheit vereinen sich<br />
beide“ - da merkt man, dass ein Theologe diesen Text verfasst hat.<br />
(Allendorff, Pfarrerssohn aus Josbach bei Marburg, war Hofprediger<br />
in Köthen, gehörte als Schüler von August Hermann Francke einem<br />
Kreis von Hallenser lutherischen Piet<strong>ist</strong>en an, und hat 132 Lieder<br />
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verfasst. Zurück zur Theologie:) Schon im Jahre 451 hatte man sich<br />
auf dem Konzil von Chalkedon in der Chr<strong>ist</strong>enheit auf die Formel<br />
geeinigt, Chr<strong>ist</strong>us sei „in zwei Naturen unvermischt und unverwandelt,<br />
ungetrennt und ungeschieden“, als zugleich wahrer Mensch und<br />
wahrer Gott zu verstehen. (Damals einigte man sich übrigens auch auf<br />
das trinitarische Gottesverständnis.)<br />
Was fangen wir nun heute mit diesen theologischen Definitionen an,<br />
die damals die Gemüter der chr<strong>ist</strong>lichen <strong>Gemeinde</strong>n bis hin auf den<br />
Marktplatz erregt haben sollen? Mir hilft da die Vorstellung weiter,<br />
dass es sich bei der Chr<strong>ist</strong>ologie, der Lehre von Chr<strong>ist</strong>us, eigentlich um<br />
Anthropologie handele, eine Lehre vom Menschen. Hier wird etwas<br />
über uns gesagt. Wir Menschen warten immer auf das Große, Gottes<br />
Hilfe und Rettung, Erfüllung unseres Lebens, auf das Himmlische<br />
Jerusalem, ja auf Gott selbst. Und nun die Freude über die<br />
tatsächliche Erfüllung, die Erlösung (übrigens – im Wagner-Jahr sei's<br />
erlaubt daran zu erinnern - eines der Themen Richard Wagners), über<br />
das Glück, über die Liebe und das Leben.<br />
Zugleich aber wird hier auch Wichtiges über Gott gesagt: Er sei nicht<br />
fern und fremd, sondern nah – so nah, dass er sich mit dem Menschen<br />
vereinigt. Man hat immer wieder von „Gott in uns“ gesprochen, kann<br />
das aber auch umdrehen: Wir in Gott. Martin Luther sprach vom<br />
„fröhlichen Wechsel“: Gott wird Mensch und Knecht, wir werden<br />
geradezu Götter und Herren. Das singen wir mit Nicolaus Herman<br />
(EG 27, 5 f.) an Weihnachten: „Er wird ein Knecht und ich ein Herr,<br />
das mag ein Wechsel sein! Wie könnt’ es doch sein freundlicher, das<br />
herze Jesulein.“ Das bedeutet, dass die alte Trennung zwischen der<br />
bösen Welt und dem Reich Gottes aufgehoben <strong>ist</strong>: „Heut’ schleußt er<br />
wieder auf die Tür zum schönen Paradeis; der Cherub steht nicht<br />
mehr dafür, Gott sei Lob, Ehr' und Preis.“<br />
Freilich dürfen wir bei aller Bege<strong>ist</strong>erung für die Aufhebung der<br />
Grenzen zwischen den zwei Welten die andere dialektische<br />
Formulierung Martin Luthers nicht vergessen, damit wir nicht<br />
unreal<strong>ist</strong>isch werden: Der Mensch sei immer zugleich Gerechter und<br />
Sünder (simul iustus et peccator). Als solcher bleiben wir aber Gottes<br />
Kinder, seine Erben, Mitglieder seiner Familie, Herrinnen und Herren<br />
– wenn wir das glauben, d. h. damit rechnen, davon ausgehen und uns<br />
2
darauf verlassen.<br />
IV. Werfen wir einen Blick auf die anderen im EG abgedruckten<br />
Strophen des Liedes!<br />
„Nun springen die Bande, Stricke des Todes, die reißen entzwei.“<br />
<strong>Jesus</strong> wird als Befreier gepriesen „aus Sünde und Schande“, aber eben<br />
sogar aus dem Tod. Der Tod <strong>ist</strong> nicht länger zu verstehen als „der<br />
Sünde Sold“. Scham und Schuld, schlechtes Gewissen und böse<br />
Neigungen verlieren ihre Macht über uns, sollen uns nicht länger<br />
tyrannisieren, wenn wir an <strong>Jesus</strong> und seine Botschaft von Gottes Nähe<br />
glauben.<br />
„<strong>Jesus</strong> <strong>ist</strong> <strong>kommen</strong>, der starke Erlöser.“ Er besiegt in der überlegenen<br />
Kraft Gottes den „gewappneten Starken“, den Satan, wie er Lk 11, 21<br />
f. beschrieben wird.<br />
„Der Fürst des Lebens“ besiegt mit seinem Tod den ewigen Tod. „Tod,<br />
wo <strong>ist</strong> dein Sieg? Hölle, wo <strong>ist</strong> dein Stachel?“ fragt siegesgewiss Paulus<br />
(1. Kor 15, 55). Und Luther (EG 101, 4) dichtet: „Die Schrift hat<br />
verkündet das, wie ein Tod (der Tod Jesu) den andern (den Tod als<br />
Strafe für die Sünde) fraß.“ Deshalb <strong>ist</strong> <strong>Jesus</strong> „die Ursach zum Leben“<br />
(8). Jesu Tod <strong>ist</strong> „ein Opfer für Sünden“ heißt es in Strophe 6, die<br />
archaische Vorstellung vom die Götter besänftigenden Opfer wird<br />
durch dieses einmalige und letzte Opfer außer Kraft gesetzt. Deshalb<br />
gilt es, <strong>Jesus</strong> als „König der Ehren“ (5) anzubeten, der uns „die Krone<br />
des Lebens“ gewährt – ebenfalls ein biblisches Bild (u. a. Jak 1, 12,<br />
Offb 2, 10). <strong>Jesus</strong> <strong>ist</strong> die lebendige Quelle (7) der Barmherzigkeit<br />
Gottes, von der schon in Ps 36, 10 die Rede <strong>ist</strong>.<br />
Am Schluss (9) werden wir noch einmal wie am Anfang eingeschworen<br />
auf das „Gnadenpanier“, das Wappen bzw. die Flagge des Kreuzes, die<br />
der Heerschar Chr<strong>ist</strong>i vorausgetragen wird. Und wie Himmel und<br />
Erde es allen Völkern, „den Heiden“, erzählen sollen, so sollen wir es<br />
„aller Welt Enden“ weitersagen: „<strong>Jesus</strong> <strong>ist</strong> <strong>kommen</strong>.“ Mit einem Gebet<br />
endet das Ganze: „Amen, o Jesu, du wollst uns vollenden.“<br />
V. Aus diesem Lied ließe sich zusammen mit den im Gesangbuch nicht<br />
abgedruckten Strophen eine ganze Chr<strong>ist</strong>ologie (Lehre von Chr<strong>ist</strong>us)<br />
entwickeln. Aber das können wir jetzt natürlich nicht machen. Ich will<br />
Ihnen aber die verschiedenen Ehrentitel Jesu aus den übrigen<br />
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Strophen wenigstens kurz nennen. Es <strong>ist</strong> eine ganze L<strong>ist</strong>e: <strong>Jesus</strong> wird<br />
„die lieblichste Krone“ seines Vaters, also Gottes, genannt, „mein<br />
Heiland, der lebet“, Gott wird als „Hirte“ bezeichnet, der „sein<br />
Hirtenamt treulich verwaltet“ (auf Ps 23 habe ich schon hingewiesen)<br />
und <strong>Jesus</strong> für uns gesandt hat, <strong>Jesus</strong> sei „der Morgenstern, der uns im<br />
Herzen aufgeht,“ und „Mittler“, ja „Liebesmagnet“ und „Me<strong>ist</strong>er zu<br />
helfen“, „Trost aller Betrübten“, „Herzensfreund“ und „Anmut der<br />
Seelen“, „lieblichste Rose im Tal“, „der Schönste von allen“, „Sonne der<br />
Blinden“, „Schloss (also Zuflucht und Heimat) der Verjagten“, „Stab<br />
derer“, die auf der Wanderschaft sind, „Schatz (also Reichtum) der<br />
Verarmten“, Schmuck der Nackten, Schutz vor Feinden. <strong>Jesus</strong> sei „ein<br />
Vater der Waisen“ und „Vormund der Schwachen“, „ein Weg süßer<br />
Weide“, „Zuflucht in Nöten“.<br />
Wir sehen: In der Sprache des piet<strong>ist</strong>ischen Barock Hallescher<br />
Prägung <strong>ist</strong> dieses Lied ein einziger Lobpreis auf den Chr<strong>ist</strong>us, wie er<br />
sich, durchaus anhand der Heiligen Schrift, dem Köthener<br />
Hofprediger darstellt.<br />
Wenn ich das Lied biblisch zusammenfassen soll, dann denke ich wie<br />
schon anfangs an den Philipperbrief des Paulus (2, 6 – 11): Er, der<br />
Chr<strong>ist</strong>us, „... hielt es nicht für eine Anmaßung, Gott gleich zu sein,<br />
aber er entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den<br />
Menschen gleich und ... als Mensch erkannt … dass alle Zungen<br />
bekennen sollen, dass <strong>Jesus</strong> Chr<strong>ist</strong>us der Herr <strong>ist</strong>, zur Ehre Gottes, des<br />
Vaters.“<br />
VI . Zum Schluss <strong>ist</strong> es mir wichtig, noch etwas zur Bedeutung des<br />
Liedes heute zu sagen. Es <strong>ist</strong> ja noch ganz aus der traditionellen und<br />
lutherisch - altpiet<strong>ist</strong>ischen Binnenperspektive des Glaubens<br />
geschrieben. Wir können und müssen heute, um zu verstehen, worum<br />
es hier geht, zugleich aus einer kritischen Außenperspektive auf den<br />
Mythos blicken und können nicht mehr unbefangen sozusagen in ihm<br />
leben. Die Dimensionen von Transzendenz des Göttlichen und<br />
Immanenz des Menschlichen verstehen wir nicht mehr als Gegensätze,<br />
sondern als ineinander liegend: Himmel und Erde gehören zusammen.<br />
Unser Glaube an eine alles überschreitende Wirklichkeit vollzieht sich<br />
ja hier auf dieser Erde und in unseren endlichen Körpern mit unseren<br />
endlichen Möglichkeiten. Auch die Transzendenz <strong>ist</strong> eine immanente<br />
Kategorie. Wir <strong>kommen</strong> aus der Immanenz nicht hinaus.<br />
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Sagt nicht der geheimnisvolle Mythos von der Menschwerdung Gottes<br />
Ähnliches? Nur wenn Gott zu uns kommt, können wir ihn<br />
wahrnehmen. Wir können von uns aus nicht in sein Reich, seine – von<br />
uns geglaubte – Realität hineinschauen oder gar hineingehen. Gott <strong>ist</strong><br />
zu groß, um von uns Kleinen gesehen, zu grenzenlos, um von uns<br />
Begrenzten erfahren zu werden. Aber wenn er in unsere Grenzen<br />
eingeht, dann <strong>ist</strong> das möglich. Gott wird also Mitmensch, und darin<br />
können wir ihn und uns wahrnehmen.<br />
In diesem Sinne können wir mit Rudolf Bohren beten:<br />
„Lehre mich erkennen, wie du wohnst in denen, die mit mir wohnen. In<br />
allen Gläubigen - ich ergänze: in allen Mitmenschen - lehre mich ehren<br />
deine Gegenwart.“<br />
Und der Friede Gottes, der höher <strong>ist</strong> als alle Vernunft, bewahre eure<br />
Herzen und Sinne in Chr<strong>ist</strong>us <strong>Jesus</strong>!<br />
(G.:) Amen!<br />
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