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Die Nacht ist vorgedrungen - Evangelische Gemeinde Erlangen ...

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Wolfgang Schoberth<br />

Predigt am 2. Adventssonntag, 9.12.2012<br />

„<strong>Die</strong> <strong>Nacht</strong> <strong>ist</strong> <strong>vorgedrungen</strong>“ (EG 16)<br />

(Vor der Predigt: Strophe1–3)<br />

Liebe <strong>Gemeinde</strong>,<br />

man kann über dieses Adventslied nicht sprechen, ohne die Biographie seines Autors zu<br />

bedenken, des Märtyrers Jochen Klepper, dessen Todestag sich übermorgen zum siebzigsten<br />

Male jährt. Am Morgen des 11. Dezember 1942 fand die Haushälterin die Leichen Jochen<br />

Kleppers, seiner Frau Hanni und deren Tochter Renate in der Küche; an der Tür war<br />

vorsorglich ein Zettel angebracht worden mit der Aufschrift: Vorsicht Gas. Sie hatten sich das<br />

Leben genommen, weil man ihnen die Zwangsscheidung angedroht hatte und den beiden<br />

Frauen die Deportation in ein Vernichtungslager bevorstand. Am Tag zuvor war der letzte<br />

Versuch gescheitert, eine Ausreisgenehmigung zu erhalten.<br />

Jochen Klepper hatte 1938 eine Sammlung ge<strong>ist</strong>licher Gedichte veröffentlicht, unter dem<br />

bezeichnenden Titel „Kyrie“ – Herr! Einige dieser Gedichte wurden bald vertont und machten<br />

Klepper zu einem der populärsten Kirchenlieddichter. Dazu haben sicher die Vertonungen<br />

beigetragen, die sehr bald entstanden, wie bei unserem Lied. Schon ein Jahr später entstand<br />

die Komposition von Johannes Petzold, die in dem charakter<strong>ist</strong>ischen Wechsel von Moll und<br />

phrygisch, das noch etwas dunkler klingt, den Ton des Kleppergedichts ganz authentisch<br />

aufnimmt. <strong>Die</strong>se Lieder sind geprägt von der Erfahrung der Bedrohung und des Leides; das<br />

macht die Hoffnung, die aus weitergeben, so glaubwürdig. „<strong>Die</strong> <strong>Nacht</strong> <strong>ist</strong> <strong>vorgedrungen</strong>“ – sie<br />

<strong>ist</strong> nicht vergangen, die Dunkelheit <strong>ist</strong> noch nicht dem Licht gewichen. Aber in dieser <strong>Nacht</strong><br />

<strong>ist</strong> das Licht erschienen; und das verändert alles.<br />

Jochen Kleppers Glaube war geprägt von seiner preußisch-protestantischen Herkunft; Glaube<br />

heißt für ihn ganz in der lutherischen Tradition nicht zuletzt das tapfer ertragene Leiden. Er<br />

war aufgewachsen in einem Pfarrhaus, studierte Theologie, übrigens auch in <strong>Erlangen</strong>,<br />

beendete aber sein Studium nicht, sondern wurde Journal<strong>ist</strong>, Rundfunkautor und Schriftsteller.<br />

Politisch eher nationalkonservativ war ihm der Gehorsam gegen die Obrigkeit<br />

Glaubenspflicht und jede politische Aktion zuwider. Zum Mißfallen seiner Familie hatte er<br />

1931 eine jüdische Frau geheiratet; darum und weil er einige Zeit der SPD angehört hatte,<br />

verlor er nach der Machtergreifung seine Stelle. Klepper sah also genau die beginnende<br />

Gewaltherrschaft; aber sein Weg war nicht der des aktiven Widerstandes. Er ging vielmehr<br />

den Weg des leidenden Ertragens dieser Prüfung, wie er sie verstand und aus Gottes Hand<br />

nehmen wollte.<br />

Ist es das Ertragen, was Gott von uns will? Ich glaube, daß wir hier sehr genau unterscheiden<br />

müssen. Es <strong>ist</strong> das eine, unausweichliches Leid zu ertragen, Ungerechtigkeit und Gewalt zu<br />

erdulden, wo keine Möglichkeit zur Veränderung besteht. Es <strong>ist</strong> ein anderes, Leiden zu<br />

überhöhen und den schieren Gehorsam zu rühmen. Auch das hat es ja in der Geschichte


unseres Luthertums gegeben. Kleppers Adventslied <strong>ist</strong> keine Glorifizierung des Leidens. Es<br />

spricht vielmehr die Sprache der Hoffnung, die Sprache des Advents, der auf Gott vertraut,<br />

weil er diesen Gott kennt und darum auf so eindrückliche Weise ganz ruhig werden kann. Es<br />

<strong>ist</strong> kein gemütliches, kein beschauliches Lied, aber gerade darum ein tröstendes Lied, weil es<br />

unseren Blick lenkt hin auf das Geschehen von Weihnachten. Es <strong>ist</strong> getragen vom Wissen, daß<br />

Gott selbst die <strong>Nacht</strong> erleuchtet. Und so formuliert das Lied, was wir an uns <strong>ist</strong> zu tun: Macht<br />

euch zum Stalle auf. Das <strong>ist</strong> das, was Gott vom uns will: Kommen und sehen, was hier<br />

geschieht; wahrnehmen und uns gefallen lassen, daß Gott handelt.<br />

Der Advent, liebe <strong>Gemeinde</strong>, <strong>ist</strong> eine Zeit zwischen den Zeiten. Es <strong>ist</strong> Hoffnung und<br />

Erinnerung zugleich, er kennt die Erfüllung und lebt doch ganz aus der Verheißung. Der<br />

Advent <strong>ist</strong> die Zeit der Vorbereitung darauf, daß wir wieder hineingehen in die Geschichte, in<br />

der Gott wegräumt, was uns trennt von ihm, in der Gott das Neue hervorgebracht hat. So <strong>ist</strong><br />

das auch mit Kleppers Lied: Es erzählt diese alte, ja die älteste aller Geschichten, daß Gott<br />

diese Welt und unser Leben will – auch da, wo es gebrochen <strong>ist</strong> und selbst da, wo es sich<br />

abwendet von ihm.<br />

Wir singen die vierte und fünfte Strophe.<br />

(EG 16, 4–5)<br />

Der Advent, liebe <strong>Gemeinde</strong>, <strong>ist</strong> die Zeit der Erwartung. Es <strong>ist</strong> die Zeit, in der wir die Stimme<br />

der Propheten hören, die sehnsüchtig auf Gottes herrliche Zukunft warten und gegen die Not<br />

ihrer Zeit und unserer Zeit daran festhalten, daß das Leben und die Liebe Gottes stärker <strong>ist</strong> als<br />

alle Gewalt. Wir hören die Stimme der Propheten, weil ihre Sehnsucht unsere <strong>ist</strong>. Im<br />

Predigttext für den heutigen Zweiten Adventssonntag, im 35. Kapitel des Buches Jesaja lesen<br />

wir geradezu als Auftrag und Befehl: Stärket die müden Hände und macht fest die wankenden<br />

Knie! Saget den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da <strong>ist</strong> euer Gott!«<br />

Das <strong>ist</strong> der Auftrag, der auch an uns Chr<strong>ist</strong>en geht. Jochen Klepper hat diesen Ruf gehört und<br />

<strong>ist</strong> so zu einem Propheten unserer Zeit geworden. Sein kleines Lied bezeugt die Hoffnung und<br />

die Verheißung, gerade weil es so wenig triumphierend <strong>ist</strong> und alle Spuren des beschädigten<br />

Lebens an sich trägt. Noch <strong>ist</strong> die Zeit der Erlösung nicht offenbar, noch <strong>ist</strong> die <strong>Nacht</strong> von<br />

Menschenleid und -schuld nicht vorbei. Das Glück, das uns aus dem Weihnachtsfest erreicht,<br />

muß das nicht verleugnen. Es <strong>ist</strong> nicht die verzweifelte Heiterkeit, die das Dunkle verdrängen<br />

muß und der Schuld nicht ins Gesicht sehen kann. <strong>Die</strong> Gewißheit aber, daß Gott am Werke <strong>ist</strong>,<br />

daß seine Zukunft Leben schenkt, auch wo Menschen Zerstörung säen, daß er alles, wirklich<br />

alles noch einmal ganz neu machen wird, die <strong>ist</strong> froh und getrost auch im Wissen um das, was<br />

dieser Zukunft Gottes noch entgegensteht. So heißt es weiter im Jesajabuch: Dann werden die<br />

Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die<br />

Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Als Jesus von<br />

Nazareth vom Täufer gefragt wird, ob er es <strong>ist</strong>, der kommen soll, dann zeigt er um sich: Vor<br />

aller Augen beginnt Gottes Reich wirklich zu werden unter uns. Jetzt schon – aber auf<br />

Zukunft hin. Klein wie ein Senfkorn oft, aber auch so stark der Baum. In der Freude über<br />

Gelingendes und Heiles, aber auch im Wissen um das Dunkel, das doch schon erhellt <strong>ist</strong>.<br />

Advent <strong>ist</strong> die Zeit des Wartens, die Chr<strong>ist</strong>innen und Chr<strong>ist</strong>en daran erinnert, daß Gottes<br />

Zukunft zu uns kommen wird, und das wir jetzt schon leben aus den Spuren dieser Zukunft<br />

unter uns.


Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande. Und wo es<br />

zuvor trocken gewesen <strong>ist</strong>, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen <strong>ist</strong>, sollen<br />

Brunnquellen sein. … <strong>Die</strong> Erlösten des Herrn werden wiederkommen und nach Zion kommen<br />

mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie<br />

ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.<br />

Amen.

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