EUK-Dialog 2006 neu 2 - Eisenbahn-Unfallkasse
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Unfallversicherung<br />
Wie kam es zum Unfall?<br />
Der Versicherte war zum Zeitpunkt<br />
des Unfalles (1999) als<br />
Kraftfahrer beschäftigt und sollte<br />
im Auftrag seines Arbeitgebers<br />
mit einem Tanksattelzug<br />
Waren nach Belgien transportieren.<br />
Bei der Auftragsentgegennahme<br />
erfuhr er, dass die<br />
Fahrt von Belgien unmittelbar<br />
weiter geführt werden sollte<br />
nach Holland und alsdann nach<br />
Italien. Die Gesamtdauer der<br />
Tour betrug somit ca. eine Woche.<br />
Nach Übernahme des Sattelzugs<br />
fuhr der Versicherte<br />
weisungsgemäß zur ersten Ladestelle,<br />
wo er auch übernachtete.<br />
Am darauf folgenden Morgen<br />
bemerkte er, dass er seine<br />
ärztlich verordneten blutdrucksenkenden<br />
Medikamente zu<br />
Hause vergessen hatte. Nach<br />
Start seiner Tour fuhr er aufgrund<br />
dessen nicht den direkten<br />
Weg zu seinem ersten Ziel in<br />
Belgien, sondern er fuhr zunächst<br />
in Richtung seiner Wohnung,<br />
um dort die vergessenen<br />
Tabletten zu holen. Auf diesem<br />
Weg kam es ohne Fremdeinwirkung<br />
zu einem Verkehrsunfall,<br />
bei welchem sich der Versicherte<br />
schwere Verletzungen zuzog.<br />
Wie entschieden die<br />
zuständige<br />
Berufsgenossenschaft<br />
und das Sozialgericht<br />
in erster Instanz?<br />
Mit der Begründung, dass sich<br />
der Unfall nicht bei der versicherten<br />
Tätigkeit ereignet habe,<br />
lehnte die zuständige Berufsgenossenschaft<br />
(BG) eine Entschädigung<br />
ab.<br />
Gegen die Entscheidung der BG<br />
legte der Versicherte Widerspruch<br />
ein und gegen den anschließend<br />
ablehnenden Widerspruchsbescheid<br />
wurde Klage<br />
vor dem zuständigen Sozialgericht<br />
(SG) eingereicht. Das SG<br />
hat die beklagte BG zur Entschädigungsleistung<br />
verurteilt,<br />
da der Versicherte bei seinem<br />
Verkehrsunfall unter dem Schutz<br />
der gesetzlichen Unfallversicherung<br />
gestanden habe, weil nach<br />
Auffassung des SG die Beschaffung<br />
der Medikamente betrieb-<br />
10<br />
Wegeunfall – oder nicht?<br />
Ist eine vom direkten Weg abweichende Fahrt auch dann<br />
versichert, wenn man diese durchführt, um vergessene Medikamente<br />
zu holen? Wie bereits in früheren Beiträgen des <strong>EUK</strong>-<br />
<strong>Dialog</strong> berichtet, ist insbesondere hinsichtlich der Frage nach<br />
dem Versicherungsschutz auf dem Weg zur oder von der<br />
Arbeitsstätte eine allgemeingültige Aussage zum Bestehen des<br />
Versicherungsschutzes nur schwer zu treffen. Jeder Fall ist<br />
meistens einer separaten Beurteilung zu unterziehen, da sich<br />
gerade dieser Bereich aus versicherungsrechtlicher Sicht mannigfaltig<br />
und komplex darstellt.<br />
Peter Heinen, Referatsleiter allgemeines Versicherungsrecht,<br />
Organisation und EDV bei der <strong>EUK</strong> in Frankfurt am<br />
Main, möchte nachfolgend anhand eines im Jahr 2004 seitens<br />
des Bundessozialgerichtes (BSG) entschiedenen Falles näher<br />
erläutern, ob eine Abweichung vom direkten Weg auch dann<br />
unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht,<br />
wenn diese zustande kam, um zu Hause vergessene Medikamente<br />
zu holen.<br />
lichen Zwecken gedient habe.<br />
Ohne die blutdrucksenkenden<br />
Arzneimittel hätte die Fahrt, deren<br />
Dauer sich erst zu Beginn<br />
der Tour abgezeichnet hatte,<br />
nicht durchgeführt werden können.<br />
Es bestand nach Ansicht<br />
des SG im Falle einer mehrtägigen<br />
Unterbrechung der Medikamenteneinnahme<br />
die Gefahr<br />
einer schweren „Entgleisung“<br />
des Blutdrucks mit nachfolgender<br />
Fahruntüchtigkeit. Es müsse<br />
demnach ein innerer Zusammenhang<br />
des zum Unfall führenden<br />
Weges mit der Arbeitstätigkeit<br />
des Versicherten bejaht<br />
werden.<br />
Berufungsverfahren vor<br />
dem Landessozialgericht<br />
Auf die Berufung der beklagten<br />
BG hat das zuständige Landessozialgericht<br />
(LSG) die erstinstanzliche<br />
Entscheidung aufgehoben<br />
und die Klage des Versicherten<br />
abgewiesen. Als Begründung<br />
wurde angegeben,<br />
dass das Holen der zu Hause<br />
vergessenen Medikamente sich<br />
als Maßnahme zur Erhaltung der<br />
Gesundheit darstelle, welche<br />
grundsätzlich dem persönlichen<br />
Lebensbereich zuzuordnen sei.<br />
Da der Versicherte bereits seit<br />
geraumer Zeit an Bluthochdruck<br />
leide und entgegen der Annahme<br />
des SG bereits vor Arbeits-<br />
beginn von der möglichen Dauer<br />
des Transports gewusst habe,<br />
sei der Medikamentenbedarf<br />
nicht unerwartet aufgetreten.<br />
Deshalb ist er dem eigenwirtschaftlichen<br />
Bereich zuzuordnen.<br />
Dass er die Arzneimittel für<br />
die ordnungsgemäße Durchführung<br />
der Tour zwingend benötigt<br />
habe, begründe überdies<br />
nicht den erforderlichen inneren<br />
Zusammenhang zwischen dem<br />
zum Unfall führenden Abweg<br />
und der versicherten betrieblichen<br />
Tätigkeit.<br />
Da der Versicherte die Medikamente<br />
nicht ausschließlich zur<br />
Verrichtung seiner versicherten<br />
Tätigkeit benötigte, sondern<br />
primär ein eigenes Interesse an<br />
seiner Gesunderhaltung verfolgt<br />
habe, ist nach Auffassung des<br />
LSG die Rechtsprechung des<br />
Bundessozialgerichts (BSG) auf<br />
diesen Fall nicht anwendbar,<br />
wonach das Holen eines vergessenen,<br />
aber zur Verrichtung<br />
der versicherten Tätigkeit notwendigen<br />
Gegenstandes unter<br />
dem Schutz der gesetzlichen<br />
Unfallversicherung steht.<br />
Revisionsverfahren vor<br />
dem Bundessozialgericht<br />
Der Versicherte (Kläger) war aus<br />
seiner Sicht naturgemäß mit der<br />
Entscheidung des LSG nicht<br />
einverstanden. Mit seiner Revi-<br />
sion vor dem BSG beklagte er<br />
eine so genannte „Verletzung<br />
des materiellen Rechts“. Im vorliegenden<br />
Fall habe die Einnahme<br />
der blutdrucksenkenden<br />
Mittel nicht nur mittelbar der<br />
Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen<br />
Verpflichtungen gedient,<br />
sondern er habe damit rechnen<br />
müssen, ohne die rezeptpflichtigen<br />
Medikamente seine Arbeit<br />
spätestens nach Ablauf von zwei<br />
Tagen nicht mehr fortsetzen zu<br />
können. Dass der Medikamentenbedarf<br />
vorhersehbar gewesen<br />
sei, ändere nichts daran,<br />
dass ihm das Vergessen der<br />
Tabletten erst kurz vor Beginn<br />
der Tour bewusst geworden sei<br />
und er sie im Interesse der Erhaltung<br />
seiner Arbeitskraft habe<br />
holen müssen.<br />
Nach Auffassung des BSG ist<br />
die Klage des Versicherten allerdings<br />
unbegründet. Der Versicherte<br />
hat sich zum Unfallzeitpunkt<br />
nicht auf dem durch den<br />
Auftrag vorgegebenen Betriebsweg<br />
nach seinem Ziel in Belgien<br />
befunden. Der Abweg wurde<br />
allein deshalb gewählt, um das<br />
blutdrucksenkende Arzneimittel<br />
von zu Hause zu holen. Das<br />
Besorgen von Medikamenten<br />
zählt zu den Maßnahmen der<br />
Erhaltung oder Wiederherstellung<br />
der Gesundheit und ist<br />
grundsätzlich dem persönlichen<br />
Lebensbereich des Versicherten<br />
und nicht der versicherten<br />
Tätigkeit zuzurechnen. Hier besteht<br />
somit kein Schutz aus dem<br />
Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung,<br />
auch wenn das<br />
Besorgen der Medikamente<br />
mittelbar der Erfüllung von Verpflichtungen<br />
aus dem Arbeitsverhältnis<br />
dient. Insbesondere<br />
die Tatsache, dass der Versicherte<br />
vor Antritt seiner Tour<br />
von deren Dauer wusste, hätte<br />
ihm ermöglicht, rechtzeitig die<br />
notwendigen Medikamente<br />
vorab zu beschaffen. Das Vergessen<br />
ist nach Ansicht des<br />
BSG der privaten Sphäre zuzurechnen<br />
und begründet nicht<br />
eine Bejahung des Schutzes aus<br />
dem Bereich der gesetzlichen<br />
Unfallversicherung. <br />
<strong>EUK</strong><strong>Dialog</strong> 2/<strong>2006</strong>