26.08.2013 Aufrufe

DIE WELT (Sonderausgabe 09/10) - Europäischer Wettbewerb

DIE WELT (Sonderausgabe 09/10) - Europäischer Wettbewerb

DIE WELT (Sonderausgabe 09/10) - Europäischer Wettbewerb

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Seite WR2 <strong>DIE</strong> <strong>WELT</strong> T a g d e r<br />

Von Ricarda Landgrebe<br />

Vor etwa einem Jahr sitzt Florian<br />

Schober am Deich in<br />

Bremerhaven und liest in<br />

„Effie Briest“. Der Junge aus Bayern<br />

absolviert am Alfred-Wegener-Institut<br />

für Polar- und Meeresforschung<br />

ein Praktikum. In seinen<br />

freien Stunden liegt der damals 18-<br />

Jährige also auf dem Rasen und ist<br />

in den Fontane-Roman vertieft.<br />

Und plötzlich ist er da, der Einfall –<br />

und der Drang herauszufinden, ob<br />

etwas dran ist an seiner vagen Vermutung.<br />

An der Idee, Flechten als<br />

Mittel zur Rekonstruktion des Klimas<br />

zu nutzen.<br />

Während seines Praktikums lernt<br />

Florian Schober, was man aus Muschelstrukturen<br />

ablesen kann. Dem<br />

Abiturienten gefällt das Praktikum,<br />

aber irgendetwas fehlt ihm. Er will<br />

selbst etwas entdecken. Etwas ganz<br />

Eigenes. Diesen Drang verspürt er<br />

schon als Grundschulkind. Da liegt<br />

er im Sommer auf der Wiese und<br />

beobachtet Wolken. Nicht einfach<br />

so, sondern mit wissenschaftlichem<br />

Anspruch. Florian will Wetterprognosen<br />

erstellen. Akribisch misst er<br />

jede Viertelstunde die Temperatur<br />

und blickt hinauf in den Himmel.<br />

„Meine Voraussagen waren immer<br />

falsch“, erzählt er heute lachend.<br />

Im Gegensatz zu seinen kindlichen<br />

Forschungsversuchen stimmt<br />

die Idee mit den Flechten. Schober<br />

hat entdeckt, dass man Klimaveränderungen<br />

vergangener Jahrhunderte<br />

feststellen kann, indem man die<br />

Rindenstruktur der Flechten vermisst.<br />

„Das ist so ähnlich wie mit<br />

den Jahresringen bei einem Baum“,<br />

erklärt er. Die Idee, auf diese Weise<br />

Klimasituationen in der Vergangenheit<br />

nachzuvollziehen, ist eine<br />

wichtige Ergänzung zu bestehenden<br />

Methoden, weil Flechten ein<br />

hohes Alter erreichen und in fast jeder<br />

Klimazone verbreitet sind.<br />

Für diese völlig neue Methode<br />

der Klimamessung hat Florian<br />

Schober den Bundespreis „Jugend<br />

forscht“ in der Kategorie Geo- und<br />

Raumwissenschaften gewonnen.<br />

Woher sein Interesse für Naturwissenschaft<br />

rührt, kann er nicht<br />

Hobbys: Politik, Bildung – und viele <strong>Wettbewerb</strong>e gewinnen<br />

Von Sophia Seiderer<br />

Mit 20 hat sich Eray Demirtop<br />

schon mehr engagiert als<br />

so mancher 60-Jähriger.<br />

Da ist sich der junge Bremer sicher.<br />

Er sei doch das beste Beispiel dafür,<br />

dass die Thesen von Thilo Sarrazin<br />

nicht stimmen. Demirtops Eltern<br />

stammen aus der Türkei, der Vater,<br />

ein Unternehmer, kam schon als<br />

Kind nach Deutschland, die Mutter<br />

in den 1980er-Jahren. Sie ist Krankenschwester.<br />

Ihr Sohn hat gerade<br />

ein 1,0-Abitur in Bremen geschrieben,<br />

hat mit einem Jurastudium<br />

begonnen, ist soeben in<br />

die Studienstiftung des Deutschen<br />

Volkes aufgenommen worden.<br />

„Und ich bin wirklich froh,<br />

dass meine Eltern keine<br />

Akademiker sind wie bei<br />

vielen meiner Freunde.<br />

Die hatten schon mehr<br />

Druck als ich. Meine<br />

Eltern haben immer<br />

gesagt: Gib dein<br />

Bestes und wenn es<br />

nicht klappt, ist es<br />

auch okay.“ Eray<br />

Demirtop hat sein<br />

Bestes gegeben. Er hat für<br />

den <strong>Wettbewerb</strong> „Jugend forscht“<br />

untersucht, ob Bohnen unter Einfluss<br />

von klassischer Musik schneller<br />

wachsen – sie tun es tatsächlich.<br />

Da hat er den dritten Platz belegt.<br />

„Da war ich schon etwas enttäuscht,<br />

dass es nur der dritte Platz war. Für<br />

den ganzen Aufwand. Ich bin extra<br />

morgens immer früher aufgestanden,<br />

um die Bohnen mit Mineralwasser<br />

und Musik zu versorgen“,<br />

erzählt er. Doch er hat Spaß<br />

an <strong>Wettbewerb</strong>en gefunden.<br />

Und der Preis bei<br />

„Jugend forscht“ bleibt<br />

nicht sein letzter. Während<br />

seiner Schulzeit<br />

nimmt er an einer ganzen<br />

Reihe von <strong>Wettbewerb</strong>en<br />

teil. An „Jugend<br />

debattiert“,<br />

an „Jugend testet“,<br />

„Jugend<br />

musiziert“, am<br />

Demokratiewettbewerb<br />

und<br />

mit einem Projekt<br />

über die „Bremer<br />

Räterepublik“ am<br />

Geschichtswettbewerb<br />

des Bundespräsidenten.<br />

„Ein 1,0-Abiturabschluss oder eine<br />

gute Universität bringen einem<br />

vielleicht viel Anerkennung. Mir<br />

haben aber meine außerschulischen<br />

Aktivitäten und mein Engagement<br />

wesentlich mehr gebracht“,<br />

erzählt Eray Demirtop. Daran sei er<br />

persönlich gewachsen, sei mutiger<br />

geworden, selbstbewusster. Demirtop<br />

ist stellvertretender Vorsitzender<br />

der Jusos in Bremen-Nord, war<br />

lange Zeit Schülersprecher, hat Diskussionsrunden<br />

organisiert und<br />

will demnächst ein freiwilliges Projekt<br />

starten auf Europaebene.<br />

Seit diesem Semester studiert er<br />

an der Universität in Bremen.<br />

„Doch ich will nächstes Jahr wechseln“,<br />

erzählt er. Er bewerbe sich<br />

gerade an den Universitäten. An<br />

der renommierten Bucerius Law<br />

School in Hamburg und in Oxford,<br />

für Wirtschaftswissenschaften.<br />

Vielleicht will er später mal in einer<br />

Unternehmensberatung arbeiten.<br />

Langfristig aber wohl eher in<br />

der Politik, sagt Demirtop. „Wobei<br />

ich zugeben muss, dass mir so langsam<br />

schon etwas die Lust an der<br />

Politik genommen wird. Unehrlichkeit<br />

und Machtspielchen sind<br />

nicht so mein Ding.“ Für Eray, der<br />

als Vorbild Willy Brandt nennt, ist<br />

Engagement selbstverständlich,<br />

nicht nur in der Politik. „Ich könnte<br />

auch für eine Hilfsorganisation arbeiten.<br />

Ich möchte gerne etwas verändern,<br />

mich für etwas einsetzen.“<br />

Wenn er zum Tag der Talente in<br />

Berlin ist, würde er der Bildungsministerin<br />

schon gerne sagen, dass<br />

es wichtig wäre, endlich das<br />

BAföG zu erhöhen und begabte<br />

junge Menschen besser zu fördern,<br />

auch persönlich und ideell. Außerdem<br />

habe ein junger Mensch meist<br />

viele Talente. Demirtop hat zum<br />

Beispiel Chinesisch in der Schule<br />

gelernt – das würde er gerne weiter<br />

tun. „Doch dafür muss ich auch<br />

jobben gehen oder Nachhilfe geben,<br />

genauso wie für meinen Saxofon-<br />

oder Gitarrenunterricht“, sagt<br />

er. Wenn bildungsarme Kinder<br />

nicht in Bildungsarmut bleiben<br />

sollen, dann müsse man das durchbrechen.<br />

Die Autorin ist 26 Jahre alt und arbeitet<br />

als Volontärin der Axel<br />

Springer Akademie in der Redaktion<br />

Reportage und Politik der<br />

<strong>WELT</strong>-Gruppe. Ihre Ausbildung<br />

schließt sie zum Jahresende ab<br />

+<br />

Wir fahren nach<br />

Sie sind Tüftler und Denker, Forscher und Rechengenies. Sie begeistern sich für Musik, Theater und Kunst. Sie stellen Fragen nach dem Zusamm menleben in unserer Gesellschaft und zu moralischen Werten der Menschheit. Aus ganz Deutschland<br />

kommen die etwa 300 Preisträger, die am Tag der Talente in der Hauptstadt teilnehmen. Sechs Preisträger aus unterschiedlichen <strong>Wettbewerb</strong>en st tellen wir an dieser Stelle vor, porträtiert von sechs jungen Journalisten der Axel Springer Akademie<br />

Die Flechten von Bäumen erzählen<br />

vom Klima der Vergangenheit<br />

genau sagen. „Vielleicht hatte mein<br />

Vater einen Einfluss“, vermutet der<br />

19-Jährige und erzählt von den gemeinsamen<br />

Besuchen im Deutschen<br />

Museum in München. „Ich<br />

war schon immer begeistert von allem,<br />

was mit einer extrem scharfen<br />

Logik zu tun hat.“ Es gab Zeiten, in<br />

denen der Nachwuchsforscher als<br />

Streber verschrien war. „In der<br />

fünften und sechsten Klasse war es<br />

besonders schwierig“, berichtet er.<br />

„Ich habe sogar überlegt, die Schule<br />

zu wechseln.“ Aber mit der Zeit hören<br />

die fiesen Sprüche auf, Schober<br />

erfährt Anerkennung, wird sogar<br />

zum Oberstufensprecher gewählt.<br />

Wahrscheinlich, weil er Menschen<br />

mit Neugierde und Offenheit begegnet.<br />

„Ich will Menschen genauso<br />

ergründen und verstehen wie<br />

meine Forschungen.“<br />

Und so freut er sich beim Tag der<br />

Talente besonders darauf, all die<br />

anderen Teilnehmer kennenzulernen.<br />

„Ich bin vor allem auf die aberwitzigen<br />

Diskussionen gespannt“,<br />

sagt er. Wenn so viele Nachwuchsforscher<br />

zusammenkommen, könnten<br />

spannende neue Ideen entstehen.<br />

„Das beginnt dann oft schon<br />

mit der Relativitätstheorie zum<br />

Frühstück.“<br />

In seiner Freizeit macht Florian<br />

Schober Musik. Seit der zweiten<br />

Klasse spielt er Klavier. Er hat sogar<br />

schon mehrmals bei „Jugend musiziert“<br />

teilgenommen. Mittlerweile<br />

kann er sich nur noch selten ans<br />

Klavier setzen. Denn seit der Auszeichnung<br />

von „Jugend forscht“<br />

stehen viele neue Projekte an. Demnächst<br />

will er Flechten aus der Antarktis<br />

untersuchen. Im Oktober beginnt<br />

Schober in Erlangen ein Studium<br />

der Molekularen Biologie.<br />

Nur eine Sache stört ihn: „Forschen<br />

ist zu 99 Prozent nichts anderes als<br />

Daten sammeln. Wenn man manchmal<br />

nicht weiterkommt, nervt das.“<br />

Vielleicht bringt ihn „Effi Briest“ in<br />

solchen Momenten weiter.<br />

Die Autorin ist 24 Jahre alt und absolviert<br />

bis Juli 2011 ihre Ausbildung<br />

an der Axel Springer Akademie.<br />

Zurzeit arbeitet sie im Ressort<br />

Lifestyle bei BILD.de<br />

PA/DPA-TOBIAS HASE<br />

Wie viel Privatsphäre benötigt ein<br />

Fisch in seinem Schwarm?<br />

Von Jens Nagler<br />

So viel ist sicher: Lukas Dieterle<br />

ist schon durch seine Herkunft<br />

belastet. Da, wo der 20-<br />

Jährige herkommt, gibt es bei technischen<br />

Problemen eine viel beachtete<br />

Losung: „Do muasch halt no a<br />

bissle tüftla!“ Tüftler sind sie in Baden-Württemberg.<br />

Schließlich<br />

kommen große Erfinder wie Gottlieb<br />

Daimler, Carl Benz oder Robert<br />

Bosch aus dem Ländle. Namen, die<br />

heute für große Arbeitgeber stehen.<br />

Von daher ist es beinahe logisch,<br />

dass Lukas Dieterle den Bundespreis<br />

bei „Jugend forscht“ gewonnen<br />

hat. Dieterle kommt aus Unadingen<br />

im Südschwarzwald, zwischen<br />

Donaueschingen und Titisee-Neustadt<br />

gelegen. Trotzdem<br />

unterscheidet sich Dieterles Leistung<br />

von denen der oben genannten<br />

Industrie-Riesen. Autos und Motorsägen<br />

kann der Mensch greifen,<br />

er weiß, was er damit tun kann. Dieterle<br />

hingegen erforscht etwas, dessen<br />

Nutzen sich nicht sofort erschließt.<br />

Er untersucht das<br />

„Schwarmverhalten von Fischen in<br />

Wasser und Silizium“.<br />

„Ja, das klingt schon etwas abstrakt“,<br />

gibt der junge Mann zu. Das<br />

Wort „etwas“ erscheint dabei zunächst<br />

wie die Untertreibung des<br />

Jahres. Dieterle versucht zu erklären:<br />

„In der Realität geht es darum,<br />

das Schwarmverhalten von Fischen<br />

zu beobachten und am Computer<br />

zu simulieren.“ Weil Dieterle schon<br />

in der Schule ein Faible für Biologie<br />

und Physik hatte, ist ihm die Frage<br />

nach dem Sinn des Ganzen nicht<br />

ganz geheuer. Mit purem Selbstverständnis<br />

sagt er: „Damit legt man<br />

Grundlagen in der Verhaltensforschung.<br />

Es gibt dadurch eine neue<br />

Definition von Schwarmverhalten,<br />

mit der sich weitere Definitionen<br />

erarbeiten lassen.“<br />

Dieterle und seine Mit-Forscher<br />

Thomas Irion und Florian Schreier<br />

wollten es genau wissen. Auf die<br />

Idee kamen sie durch ihren damali-<br />

JUGEND FORSCHT<br />

gen Mathe-Lehrer, der im Unterricht<br />

einmal einen Fisch-Schwarm<br />

simulierte. „Der war ganz stolz“,<br />

feixt Dieterle, „aber wir haben<br />

gleich gedacht, dass sich seine Fische<br />

völlig unrealistisch bewegen<br />

und gesagt: Das können wir besser!“<br />

So fanden sie beispielsweise<br />

heraus, dass man bei Sumatrabarben<br />

ab acht Fischen von einem<br />

Schwarm sprechen kann. Dieterle:<br />

„Uns geht es dabei nicht nur um<br />

den Abstand, sondern tatsächlich<br />

um eine Privatsphäre der Fische.“<br />

Heißt: Wie viel Freiraum braucht<br />

ein Fisch um sich herum, der ihn<br />

aber gleichzeitig noch Teil des<br />

Schwarms sein lässt? Spätestens<br />

hier hört es auf, abstrakt zu sein:<br />

Das unterschiedliche Verhalten der<br />

Fische lasse Rückschlüsse auf den<br />

Menschen zu, sagt Dieterle: „In unterschiedlichen<br />

Kulturkreisen<br />

brauchen die Menschen unterschiedlich<br />

viel Privatsphäre. Wenn<br />

sich zum Beispiel Südländer unterhalten,<br />

gehen sie viel näher an den<br />

Gesprächspartner heran, als Deutsche<br />

das für gewöhnlich tun.“<br />

Für seine Forschungsarbeit maß<br />

Dieterle anfangs Fotos mit einem<br />

Geodreieck ab und übertrug die Ergebnisse<br />

in Tabellen. „Wir haben<br />

uns zweimal die Woche getroffen<br />

und saßen immer so zwei bis vier<br />

Stunden zusammen. Vor rund drei<br />

Jahren ging das los.“ Nebenher trainierte<br />

der Fan des SC Freiburg noch<br />

ein Jugendteam des SV Unadingen<br />

und spielte selbst aktiv Fußball.<br />

Leidtragende war vor allem Freundin<br />

Fabienne. „Sie hat das aber mit<br />

mir durchgestanden“, sagt Dieterle<br />

mit einem Augenzwinkern, „als ich<br />

ihr erzählt habe, dass wir Bundessieger<br />

geworden sind, dachte sie<br />

dann erst, ich verarsche sie.“<br />

Hat er nicht. Mittlerweile haben<br />

die drei Jung-Forscher eine Software<br />

entwickelt, mit der sich das<br />

Schwarmverhalten der Fische simulieren<br />

lässt. Dieterle ist sicher,<br />

dass dies auch für Menschen von<br />

Bedeutung sein kann. Mehr noch:<br />

Ein Unglück wie die Tragödie auf<br />

der Loveparade, so der junge Wissenschaftler,<br />

hätte verhindert werden<br />

können – durch eine Analyse<br />

des Schwarmverhaltens. „Bei solchen<br />

Veranstaltungen könnte man<br />

die durchschnittliche Privatsphäre<br />

berechnen, die jeder Besucher um<br />

sich herum braucht“, erklärt Dieterle.<br />

„Kameras könnten die Szenerie<br />

dann beobachten und sofort Alarm<br />

schlagen, wenn das Minimum an<br />

Privatsphäre unterschritten wird.“<br />

Spätestens, wenn diese Erfindung<br />

Leben rettet, wird klar: Baden-<br />

Württemberg hat den nächsten großen<br />

Tüftler hervorgebracht.<br />

Der Autor ist 26 und arbeitet als<br />

Volontär in der Sportredaktion der<br />

„Bild“ in Stuttgart. Seine Ausbildung<br />

an der Axel Springer Akademie<br />

endet im Sommer 2011<br />

PRIVAT<br />

Von Maria Gerber<br />

Es ist dieser Lena-Effekt, der<br />

auch bei Julienne Mbodjé<br />

wirkt. Die Grand-Prix-Gewinnerin<br />

Lena Meyer-Landrut<br />

wirkt authentisch und liebenswert<br />

und gewinnt sofort alle Sympathien.<br />

So ist das auch, wenn man die<br />

14-jährige Julienne zum ersten Mal<br />

trifft. Innerhalb von sieben Sekunden<br />

hat sie einen um den Finger gewickelt.<br />

Sie selbst würde das natürlich<br />

bestreiten. „Ich bin Juli, 14 Jahre<br />

alt und mein Leben ist Musik. Ach<br />

ja, und ich finde, ich bin ganz schön<br />

selbstständig“, sagt Julienne. Seit<br />

Februar lebt sie in Berlin und besucht<br />

das Musikgymnasium Carl<br />

Von Nina Paulsen<br />

Das Ende der Geschichte hat<br />

Kreske Lütgens offen gelassen.<br />

Ganz bewusst. Weil<br />

sich die blonde Mutter in ihrem<br />

Storyboard dagegen entschieden<br />

hat, dem bettelnden Kind zu helfen,<br />

steht am Ende schwarz auf weiß die<br />

große Frage: Ist es an der Zeit für<br />

neue moralische Werte? „Das muss<br />

sich jeder selbst überlegen“, sagt<br />

Kreske und gibt damit Denkanstöße.<br />

Auch deshalb zählt ihr Storyboard<br />

beim Europäischen <strong>Wettbewerb</strong><br />

zu den besten Arbeiten.<br />

Auch wie Kreskes eigene Geschichte<br />

weitergeht, ist offen. Sie ist<br />

19 Jahre alt, hat das Abitur in der Tasche<br />

und ein ganzes Leben vor sich.<br />

Sie weiß noch nicht, wohin sie ihre<br />

Reise führen wird. Ob sie tatsächlich<br />

Kunst studieren will oder etwas<br />

anderes. Ob es sie nach Kiel zieht,<br />

das nahe ihrer Heimatstadt Kronshagen<br />

liegt, oder doch den Schritt<br />

nach Hamburg an die Elbe wagt.<br />

Oder soll es lieber erst mal ins Ausland<br />

gehen? Vielleicht. Vielleicht<br />

auch nicht. Kreske hat noch keinen<br />

klaren Fahrplan. Nur eines steht<br />

bislang unumstößlich fest: Wichtig<br />

„Ich bin Juli, 14 Jahre alt, und<br />

mein Leben ist Musik“<br />

Philipp Emanuel Bach, das mit der<br />

Hanns-Eisler-Hochschule für Musik<br />

kooperiert. Neben dem normalen<br />

Unterricht studiert Julienne im<br />

Hauptfach Gesang und kann sich<br />

somit schon jetzt auf ihr Musikstudium<br />

vorbereiten.<br />

Wer das hübsche Mädchen aus<br />

Niedersachsen kennenlernt, das im<br />

Gespräch oft lächelt und überhaupt<br />

ganz nett und unkompliziert wirkt,<br />

verschätzt sich. Julienne ist nicht<br />

das Girl-next-Door, das von einer<br />

Karriere als Pop-Sternchen träumt.<br />

Das wird einem schlagartig klar,<br />

wenn man sie singen hört. Ihre tiefe<br />

Stimme ist so voluminös, dass man<br />

meint, sie hätte einen riesigen<br />

Klangkörper. Dabei hat sie eine<br />

ist die Kunst – das war bei ihr schon<br />

immer so.<br />

Bereits als Kind hat Kreske gern<br />

gemalt und gezeichnet. Auf dem<br />

Gymnasium war deshalb auch<br />

schnell klar, dass Kunst das erste<br />

Leistungsfach sein würde. Heute<br />

arbeitet sie am liebsten mit Acryl<br />

und hat in Berlin, beim Tag der Talente,<br />

auch einen Design-Workshop<br />

belegt. „Ich bin gespannt, was dort<br />

passieren wird und was man dort<br />

lernen kann“, sagt sie.<br />

Im Moment absolviert Kreske ein<br />

freiwilliges kulturelles Jahr in einem<br />

kleinen Kulturbüro im Nordseestädtchen<br />

Niebüll. Bis zum<br />

nächsten August wird das dauern.<br />

Und danach geht es weiter. Irgendwie,<br />

irgendwo. Eine klare Linie, die<br />

zierliche Statur. Wer der raumgreifenden<br />

Stimme lauscht, wird nebenher<br />

schlecht etwas anders machen<br />

können: außer zuhören und<br />

vielleicht etwas melancholisch<br />

werden. „Ich mag meine Stimme<br />

und bin froh, dass ich sie habe. Das<br />

klingt vielleicht ein bisschen eingebildet“,<br />

sagt Julienne und klingt dabei<br />

überhaupt nicht eingebildet.<br />

Wenn sie übt, dann hört sie ihre<br />

Stimme gern, aber sie findet es<br />

schrecklich, sich selbst auf Band zu<br />

hören. „Ich habe keinen festen Plan<br />

für jeden Tag, der mir vorschreibt,<br />

wann und wie viel ich singen muss.<br />

Ich übe zwar jeden Tag, mal in der<br />

Schule, mal zu Hause, aber manchmal<br />

singe ich nur 20 Minuten in<br />

Kreske jedoch immer im Kopf behalten<br />

wird, führt von Amsterdam<br />

via Brüssel, Lyon und Marseille<br />

über Barcelona und Lissabon bis<br />

nach Paris. Drei Wochen war sie<br />

mit einer Freundin auf dieser Route<br />

unterwegs – mit einem Interrail-Ticket<br />

der Bahn. Ein Abenteuer, das<br />

dadurch noch abenteuerlicher wurde,<br />

dass die Mädchen jede Nacht<br />

bei einem anderen Menschen auf<br />

dem Sofa übernachtet haben.<br />

„Couchsurfing“ heißt diese Art zu<br />

Reisen, quasi die moderne Form<br />

des klassischen Rucksacktourismus.<br />

„Wir haben so viele interessante<br />

und nette Leute kennengelernt“,<br />

erzählt Kreske. Eine Panne<br />

allerdings passierte in Barcelona:<br />

„Da haben sie uns die Schuhe geklaut.“<br />

Die Reise war für Kreske der Aufbruch<br />

in ihr Leben nach dem Gymnasium.<br />

Eine ihrer letzten Amtshandlungen<br />

dort war das Anfertigen<br />

ihres Storyboards. Im Kunst-<br />

Leistungskurs, als Schulaufgabe.<br />

„Zwei Wochen vor der Abi-Prüfung<br />

hat uns der Lehrer vom Europäischen<br />

<strong>Wettbewerb</strong> erzählt. Wir<br />

sollten uns alle einen Beitrag überlegen<br />

und die besten hat er dann<br />

meinem m Zimmer und wenn ich<br />

dann d mit dem Fahrrad in die Stadt<br />

fahre, f dann summe ich eben auf<br />

dem d Fahrrad weiter.“ Es sei praktisch,<br />

t dass sie ihr Instrument, ihre<br />

Stimme, S immer dabeihabe.<br />

Mit diesem Instrument hat Julienne<br />

e auch schon einige Preise abgeräumt.<br />

r Beim <strong>Wettbewerb</strong> „Jugend<br />

musiziert“ m holte sie in der Kategorie<br />

r „Pop-Gesang“ die höchstmögliche<br />

c Punktzahl und trug den Bundessieg<br />

d davon. Mit dem Titel „Out<br />

here h on my own“ aus dem Musical<br />

„Fame“ „ gewann sie den NDR-Kulturradio-Preis.<br />

t<br />

„Alle in meiner Familie<br />

m sind stolz auf mein Talent“,<br />

sagt s die 14-Jährige, die eigentlich<br />

auch a eine gute Naturwissenschaft-<br />

Viele kleine Bilder lassen de en Betrachter nach neuen Werten fragen<br />

SCHMIDT-DOMINE;PRIVAT<br />

T a l e n t e<br />

Berlin!<br />

eingeschickt“, e<br />

sagt Kreske. Zwei<br />

Wochen W vor der Abi-Prüfung – eine<br />

Zeit, Z in der sie und ihre Mitschüler<br />

eigentlich e andere Dinge im Kopf<br />

hatten h und ihnen der Stress der<br />

Klausurenzeit K<br />

in den Knochen<br />

steckte. s „Ein bisschen merkwürdig<br />

war w diese Aufgabe zu diesem Zeitpunkt<br />

p schon“, sagt die 19-Jährige.<br />

Aber weil sie gerade in Sachen<br />

Kunst K immer gern mit viel Liebe<br />

zum z Detail an die Arbeit geht, hat<br />

sie s auch in dieses Werk so viel<br />

Energie E gesteckt, wie sie parallel<br />

zum z Abi-Stress abzwacken konnte.<br />

15 1 Punkte bekam Kreske vom Lehrer<br />

r für ihr Storyboard, das beim Europäischen<br />

r <strong>Wettbewerb</strong> als „Beste<br />

Arbeit A des Themas“ ausgezeichnet<br />

wurde. w<br />

Kunst, das wusste schon Friedrich<br />

r Schiller, ist eine Tochter der<br />

Freiheit. F Kreske ist frei. Sie wird<br />

noch n viel Kunst hervorbringen. So<br />

viel v ist sicher.<br />

Die D Autorin ist 27 Jahre alt und arbeitet<br />

b als Volontärin in der Wirtschafts-Redaktion<br />

s<br />

des „Hamburger<br />

Abendblatts“. A<br />

Ihre Ausbildung an<br />

der d Axel Springer Akademie wird<br />

sie s im Dezember abschließen<br />

lerin hätte werden können. Ihre beiden<br />

Tanten und die Mutter sind Mathematikerinnen;<br />

der Vater arbeitet<br />

im kaufmännischen Bereich, ihre<br />

Schwester studiert Internationales<br />

Management. „Ich wollte immer<br />

singen und habe schon mit drei Jahren<br />

im Kinderchor mitgemacht.“<br />

Das Einzige, was ihr schwerfällt,<br />

sind die Fächer Physik und Chemie.<br />

Da liegt ihr der Workshop „Dramaturgie<br />

und Gesang“, den sie beim<br />

Tag der Talente besuchen wird, wesentlich<br />

mehr. „Ich weiß noch gar<br />

nicht genau, was mich dort erwartet,<br />

aber ich finde es toll, dass dort<br />

so unterschiedliche Leute aus allen<br />

möglichen Bereichen zusammentreffen.<br />

Es wird bestimmt super.“<br />

Das klingt nach echter Vorfreude.<br />

Kein Wunder, denn vor Julienne liegt<br />

ein Wochenende voller Gesang.<br />

Nur einmal während des Gesprächs<br />

wird Julienne Mbodjé für<br />

wenige Augenblicke nachdenklich:<br />

auf die Frage, was sie machen würde,<br />

wenn es mit dem Gesangsstudium<br />

doch nicht klappen sollte. „Darüber<br />

habe ich noch nie nachgedacht“, sagt<br />

sie. „Etwas anderes als Gesang kann<br />

ich mir nicht vorstellen.“<br />

Die Autorin ist 28 Jahre und arbeitet<br />

als Volontärin der Axel Springer<br />

Akademie zurzeit in der Wissenschaftsredaktion<br />

der <strong>WELT</strong>-Gruppe.<br />

Ihre Ausbildung wird sie Ende des<br />

Jahres abschließen<br />

CHRISTIAN HAHN<br />

Schlaue Schwestern holen<br />

Medaillen in Mathe und Physik<br />

Von Benjamin Gajkowski<br />

Es fing alles mit einer Acht an.<br />

Einem Fahrstuhl. Und einem<br />

Spieltelefon aus Plastik. Das<br />

war vor knapp 16 Jahren. Lisa Sauermann<br />

(Foto links) war gerade einmal<br />

ein Jahr und drei, vielleicht auch<br />

vier Monate alt. Da erkannte sie die<br />

Zahl auf der Anzeige im Fahrstuhl,<br />

jedes Mal, wenn ihr Vater mit ihr<br />

hinauffuhr in die Dresdner Wohnung<br />

im achten Stock. Und dann<br />

sagte sie immer, was sie da sah: die<br />

Zahl Acht. „Na ja, zumindest habe<br />

ich irgendetwas gebrummelt“, sagt<br />

Lisa Sauermann. „Zunächst noch<br />

vollkommen unverständlich für<br />

meine Eltern.“<br />

Zumindest bis Weihnachten 1995.<br />

Denn da bekam sie ein Plastikspielzeugtelefon<br />

geschenkt. Da war Lisa<br />

eineinhalb Jahre alt. „Und als ich damit<br />

gespielt habe, muss ich wohl die<br />

Acht wiedererkannt haben“, sagt Lisa<br />

Sauermann. „Denn jedes Mal,<br />

wenn ich die Zahl auf dem Telefon<br />

berührte, murmelte ich die gleichen<br />

Laute, wie im Fahrstuhl. Ich habe<br />

die Zahl also wiedererkannt.“<br />

Seitdem ist viel passiert. Lisa Sauermann<br />

hat drei Goldmedaillen gewonnen<br />

und eine Silbermedaille bei<br />

insgesamt vier Mathematik-Olympiaden,<br />

bei denen sie in den letzten<br />

Jahren angetreten ist. Einem <strong>Wettbewerb</strong>,<br />

bei dem sich die besten<br />

Schüler der ganzen Welt messen.<br />

Seit 1959 schickt jedes Land sechs<br />

Jugendliche dorthin. 2007 nach Hanoi.<br />

2008 nach Madrid. 20<strong>09</strong> nach<br />

Bremen. Und 20<strong>10</strong> nach Astana, im<br />

Norden Kasachstans. Im <strong>Wettbewerb</strong><br />

muss jeder Schüler zwei Klausuren<br />

mit jeweils drei Aufgaben lösen.<br />

Und das unter Zeitdruck: In nur<br />

viereinhalb Stunden müssen die<br />

Aufgaben geknackt sein.<br />

„Aber das kenne ich mittlerweile“,<br />

sagt Lisa Sauermann. „Das übt<br />

man automatisch, wenn man sich<br />

auf den <strong>Wettbewerb</strong> vorbereitet. Da<br />

wird man nicht mehr nervös, wenn<br />

man eine Stunde vor einem Blatt Papier<br />

sitzt und einem nichts einfällt.<br />

Denn irgendwann, ganz plötzlich,<br />

ist die Aufgabe gelöst.“<br />

So wie bei der sogenannten Grashüpfer-Aufgabe<br />

bei der letzten Ma-<br />

+<br />

thematik-Olympiade. Eine der kompliziertesten<br />

Rechnungen in dem<br />

Jahr, die zugleich als zweitschwierigste<br />

Rechnung in der gesamten<br />

Olympiade gilt. So komplex, dass<br />

nur drei Teilnehmer sie lösen konnten.<br />

Lisa war eine davon. „Das fühlt<br />

sich dann furchtbar toll an. Denn<br />

dann ist die Lösung auf einen Schlag<br />

da. Wie aus dem Nichts“, sagt Lisa,<br />

die am Mathematikunterricht mittlerweile<br />

nicht mehr mitmachen<br />

muss „und dort nur noch mit einem<br />

Viertel Ohr zuhört“ – eine Abmachung<br />

mit der Lehrerin.<br />

Ob sie denn täglich Mathematik<br />

büffelt? „Nein“, sagt Lisa Sauermann.<br />

„Das ist ja nicht so wie bei einem<br />

Leistungssportler. Die bauen<br />

viel schneller ab. Nur vor der Olympiade,<br />

da hänge ich mich schon<br />

mehr rein. Und löse Aufgaben, die<br />

ich mir aus dem Internet besorge.“<br />

Mit ihrer Begabung ist Lisa in ihrer<br />

Familie kein Einzelfall. Ihre jüngere<br />

Schwester Anne Sauermann ist<br />

genauso talentiert. Aber nicht in<br />

Mathematik, sondern in Physik. Die<br />

15-Jährige hat schon bei der „International<br />

Junior Science Olympiade“<br />

(IJSO) teilgenommen, einem <strong>Wettbewerb</strong>,<br />

bei dem sich Schüler unter<br />

16 Jahren in Biologie, Physik und<br />

Chemie messen, indem sie theoretische<br />

Aufgaben lösen und ein Experiment<br />

durchführen müssen. Anne<br />

Sauermann hat dort eine Gold- und<br />

eine Silbermedaille gewonnen.<br />

Was die beiden nach ihrem Abitur<br />

machen wollen, wissen sie auch<br />

schon. Studieren. Anne entweder<br />

Physik oder physikalische Chemie<br />

oder Materialwissenschaften. Auf<br />

jeden Fall etwas naturwissenschaftliches.<br />

Lisa Mathematik. In welcher<br />

Stadt, dass wisse sie aber noch<br />

nicht. Aber „auf jeden Fall hier in<br />

Deutschland“. Und nach dem Abschluss<br />

vielleicht gleich an der Universität<br />

bleiben, dort arbeiten, forschen.<br />

„Das wäre schon was“, sagt<br />

Lisa. Aber bis dahin ist ja noch Zeit.<br />

Und es gibt noch jede Menge Olympiaden.<br />

Der Autor ist 29 Jahre alt, Volontär<br />

an der Axel Springer Akademie,<br />

seine Stammredaktion ist die<br />

<strong>WELT</strong>-Gruppe<br />

Talentschmiede<br />

■ Alle Porträts der Preisträger auf<br />

dieser Doppelseite stammen von<br />

Studenten der Axel Springer Akademie,<br />

Deutschlands modernster Journalistenschule.<br />

Die Plätze an der Akademie<br />

sind begehrt: Jedes Jahr werden<br />

aus Hunderten von Bewerbern<br />

die 40 besten Talente ausgesucht.<br />

Während der zweijährigen Ausbildung<br />

lernen junge Journalisten das Handwerk<br />

von Grund auf, einen Schwerpunkt<br />

bildet die Crossmedia-Ausbildung.<br />

Gerade hat ein Lehrgang für<br />

seine Abschluss-Website den renommierten<br />

Grimme-Preis gewonnen. Die<br />

Akademie wurde für „Einfallsreichtum<br />

und visionäres Denken“ mit dem<br />

Innovationspreis der Initiative „Land<br />

der Ideen“ ausgezeichnet. Sie unterhält<br />

eine Exklusiv-Partnerschaft mit<br />

der Columbia School of Journalism –<br />

jeder Lehrgang reist am Ende der<br />

Ausbildung nach New York. Die Axel<br />

Springer Akademie ist weltweit die<br />

einzige Journalistenschule, deren<br />

Studenten eine eigene Tageszeitung<br />

produzieren, <strong>WELT</strong> KOMPAKT. Daneben<br />

ist sie ein Thinktank des Verlags<br />

und Vorreiter bei der Entwicklung<br />

neuer journalistischer Formate. Weitere<br />

Informationen, auch zu Praktika<br />

und Hospitanzen, unter:<br />

www.axel-springer-akademie.de<br />

PRIVAT<br />

PA/DPA/STACHE<br />

<strong>DIE</strong> <strong>WELT</strong>: Frau Bundesministerin,<br />

viele Schüler und Schulabgänger<br />

gelten als bildungsschwach. Ist ein<br />

Tag der Talente in dieser Situation<br />

das richtige Signal?<br />

Annette Schavan: Ja, es ist das richtige<br />

Signal. Die Preisträgerinnen und<br />

Preisträger spüren, dass wir ihre<br />

Leistungen wahrnehmen – und wie<br />

wichtig sie für unser Land sind. Wir<br />

senden damit auch das Signal aus,<br />

dass sich Leistung lohnt. Der Tag<br />

der Talente zeigt sehr eindrucksvoll,<br />

wie vielfältig die Begabungen<br />

in unserem Land sind. Dabei ist mir<br />

auch wichtig, dass deutlich wird: Jeder<br />

kann etwas leisten.<br />

Die deutsche Wirtschaft lebt vom<br />

Erfindungsreichtum im Lande,<br />

braucht also die Begabten. Werden<br />

diese wiederum genug gefördert?<br />

Schavan: Die Bundesregierung fördert<br />

begabte junge Menschen auf<br />

vielfältige Weise: Zuallererst sind<br />

da natürlich die Begabtenförderungswerke,<br />

die das Bundesministerium<br />

für Bildung und Forschung<br />

(BMBF) mit Stipendienmitteln für<br />

rund 23 000 Studierende und 3700<br />

Promovierende unterstützt. Dazu<br />

kommen Initiativen wie die Begabtenförderung<br />

Berufliche Bildung,<br />

das Aufstiegsstipendium und das<br />

nationale Stipendienprogramm.<br />

Die deutsche Wirtschaft und der<br />

Bund unterstützen mit diesem neuen<br />

Programm künftig gemeinsam<br />

besonders begabte Studierende mit<br />

je 300 Euro im Monat. Unser Ziel ist<br />

es, später einmal acht Prozent eines<br />

Studentenjahrgangs mit diesem<br />

neuen Programm zu fördern. Dafür<br />

brauchen wir in Deutschland eine<br />

neue Stipendienkultur.<br />

Sollten Studiengebühren bundesweit<br />

abgeschafft werden?<br />

Schavan: Studiengebühren können<br />

den Universitäten helfen, die Studienbedingungen<br />

zu verbessern. Ich<br />

stelle bei meinen Besuchen an Universitäten<br />

immer wieder fest, dass<br />

sich Ausstattung und Angebot<br />

durch Studiengebühren deutlich<br />

verbessert haben. Damit niemand<br />

aus finanziellen Gründen auf ein<br />

Studium verzichtet, gibt es ja auch<br />

das BAföG und die KfW-Studienkredite.<br />

Und die besonders begabten<br />

Studierenden konnten schon<br />

immer ein Stipendium der Begabtenförderungswerke<br />

beantragen<br />

und bekommen künftig zusätzliche<br />

Unterstützung durch das nationale<br />

Stipendienprogramm.<br />

Der Staat kann nicht alles regeln.<br />

Was können Eltern für ihre begabten<br />

Kinder tun?<br />

September 20<strong>10</strong><br />

Bundesministerin für Bildung und Forschung: Prof. Dr. Annette Schavan (CDU)<br />

„Wir senden ein Signal aus, dass<br />

sich Leistung lohnt“<br />

Bundesministerin Annette Schavan im Gespräch<br />

Zur Person<br />

■ Annette Schavan, geboren 1955 in<br />

Jüchen, Kreis Neuss, studierte<br />

Erziehungswissenschaft, Philosophie<br />

und katholische Theologie und<br />

promovierte 1980 mit einer Arbeit<br />

über Gewissensbildung. Danach<br />

arbeitete sie u. a. für die Bischöfliche<br />

Studienförderung Cusanuswerk,<br />

dessen Leiterin sie später<br />

wurde. 1987 bis 1988 war sie<br />

Bundesgeschäftsführerin der Frauen-Union<br />

sowie 1994 bis 2005<br />

Vizepräsidentin des Zentralkomitees<br />

der Deutschen Katholiken. Seit<br />

1998 ist sie stellvertretende CDU-<br />

Vorsitzende. Von 1995 bis 2005<br />

war sie Kultusministerin in Baden-<br />

Württemberg, bevor sie im November<br />

2005 Bundesministerin für<br />

Bildung und Forschung wurde.<br />

Schavan: Eltern kommt in der Förderung<br />

ihrer Kinder natürlich eine<br />

Schlüsselrolle zu. Insofern tragen<br />

Eltern für die Bildung ihrer Kinder<br />

eine große Verantwortung. Anregungen<br />

aus dem Elternhaus sind für<br />

die Kinder eine wichtige frühe Förderung.<br />

Aber nicht alle Eltern können<br />

diese Anregungen geben. Da<br />

müssen zusätzlich Kindergärten<br />

und Schulen möglichst früh individuell<br />

fördern.<br />

Und was können begabte Kinder<br />

selbst tun, um ihrem Talent entsprechend<br />

vorwärtszukommen?<br />

Schavan: Manche Menschen denken,<br />

dass begabten Kindern alles<br />

zufällt und sie nichts für ihre Leistungen<br />

tun müssen. Das ist aber<br />

falsch. Talent allein führt nicht automatisch<br />

zu Erfolgen. Kinder brauchen<br />

Unterstützung von anderen,<br />

aber vor allem brauchen sie ihre<br />

Neugier und damit die Bereitschaft<br />

zum Lernen. Drei Punkte nennen<br />

mir junge Talente immer wieder:<br />

Durchhaltevermögen, wenn einmal<br />

etwas schiefgeht, Disziplin, immer<br />

an sich zu arbeiten, und auch Mut,<br />

Neues zu denken.<br />

Millionen junger Menschen beziehen<br />

ihren Talent-Begriff aus TV-<br />

Sendungen mit „Superstar“- oder<br />

„Model“-Titeln.<br />

Schavan: Um bei solch einer Sendung<br />

erfolgreich abzuschneiden,<br />

braucht man sicherlich auch Talent.<br />

Forscherinnen und Forscher brauchen<br />

allerdings eine andere Art von<br />

Talent. Für die Wissenschaft wäre<br />

es gut, wenn auch Forscher in der<br />

Gesellschaft als Stars angesehen<br />

würden – und nicht nur Sängerinnen<br />

und Fußballspieler. Schließlich<br />

schaffen junge Forscherinnen und<br />

Forscher die Grundlagen für den<br />

Wohlstand von morgen.<br />

Jetzt findet das fünfte Treffen für<br />

unsere jungen Begabten in Berlin<br />

statt – welche Lehren können Sie<br />

für Ihre Arbeit daraus ziehen?<br />

Schavan: Ich sehe jeden Tag der Talente<br />

als Bestätigung dafür, dass der<br />

eingeschlagene Kurs der richtige<br />

ist. Unser Land hat keine Rohstoffe.<br />

Es ist auf die Talente seiner Bürgerinnen<br />

und Bürger angewiesen.<br />

Diese vollbringen die Leistungen,<br />

die Deutschland voranbringen und<br />

unsere Zukunft sichern. Gerade die<br />

jungen Talente müssen wir stärken,<br />

damit sie weitermachen. Dass zum<br />

fünften Mal 300 Jugendliche unserer<br />

Einladung gefolgt sind, zeigt,<br />

welches Potenzial wir haben.<br />

PA/DPA-SOEREN STACHE<br />

Die Fragen stellte Klaus Ries<br />

Experiment mit Schülerin im August beim<br />

Jugendkongress zum Wissenschaftsjahr

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!