Ein Graukranich erobert Europa - Europäischer Wettbewerb
Ein Graukranich erobert Europa - Europäischer Wettbewerb
Ein Graukranich erobert Europa - Europäischer Wettbewerb
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<strong>Europa</strong> in der Schule –<br />
55. <strong>Europäischer</strong> <strong>Wettbewerb</strong> 2008<br />
<strong>Ein</strong> Zugvogel fliegt über <strong>Europa</strong>. Lass ihn von seinen<br />
Erlebnissen erzählen!<br />
- <strong>Ein</strong> <strong>Graukranich</strong> <strong>erobert</strong> <strong>Europa</strong> -<br />
Otto-Hahn-Schule A. E. K.<br />
Hanau Klasse 5
Die unsterblichen<br />
Kraniche rufen, weit<br />
tönt ihre Stimme.<br />
Ihre Gedanken<br />
schweifen in den<br />
weiten Himmel.<br />
Unten am herbstlichen<br />
Fluss steht ein Mensch,<br />
über ihm der helle Mond.<br />
Nicht weit ein Baum,<br />
von Tau bedeckt.<br />
Er wandert, ziellos, in<br />
Richtung der unendlichen<br />
Milchstraße.<br />
Der Wind bläst an ihm<br />
vorbei. Auch ich,<br />
so denkt der Mensch,<br />
möchte ganz frei sein.<br />
Der chinesische Dichter<br />
Jiang Yi Ning<br />
2
Der <strong>Graukranich</strong> (lat. Grus grus)<br />
Hallo, ich heiße Wolke und bin ein<br />
<strong>Graukranich</strong> (lat. Grus grus), auch Grauer<br />
oder Eurasischer Kranich genannt.<br />
<strong>Graukranich</strong>e sind Zugvögel. Das heißt, wir<br />
fliegen im Herbst in großen Schwärmen vom<br />
Norden in den Süden in unser<br />
Überwinterungsquartier und im Frühling die<br />
Strecke zurück in den Norden.<br />
So, aber jetzt wieder zu mir. <strong>Graukranich</strong>e<br />
können bis zu 1,6 Meter groß werden. Ich<br />
selbst bin 1,3 Meter groß, da die Weibchen<br />
immer etwas kleiner sind als die Männchen. Die Flügelspannweite beträgt etwa 2,2<br />
Meter bis 2,3 Meter. Von dem grauen Gefieder heben sich deutlich die schwarz-weiße<br />
Kopf- und Halszeichnung und die rote federlose Kopfplatte ab. Des <strong>Graukranich</strong><br />
schönster Schmuck jedoch ist die Schleppe. Diese über den kurzen Schwanz<br />
herabhängenden Federn dann sind die verlängerten Armschwingen der Flügel, die im<br />
Anregungszustand und während der Balz buschig aufgestellt werden. Das wirkt einfach<br />
größer und majestätischer. <strong>Ein</strong> auffälliges Merkmal ist der Schnabel. Er ist so groß wie<br />
der Kopf. Hahn und Henne sind am Gefieder kaum zu unterscheiden. Nur wenn sie<br />
nebeneinander stehen, sieht man, dass der männliche Vogel etwas größer ist. Männchen<br />
wiegen bis zu 7 kg, Weibchen bis zu 6 kg.<br />
Als Nahrung dienen uns Mais, Getreidekörner, Bohnen, Eicheln, Kartoffeln, Knospen,<br />
Samen und andere Pflanzenteile. In der Fortpflanzungszeit jedoch, fressen wir auch<br />
tierische Nahrung wie z. B. Insekten, Larven, Würmer, Schnecken, Frösche, Reptilien,<br />
Kleinsäuger und Fische.<br />
Das Brutgebiet der <strong>Graukranich</strong>e reicht von der Elbe in Deutschland über Skandinavien<br />
nach Polen und über die Ukraine nach Russland bis Asien. In Deutschland brüten etwa<br />
3000 Paare und somit ist hier der <strong>Graukranich</strong> in seinem Bestand (noch) nicht<br />
gefährdet. Für die Wahl des geeigneten Brutreviers spielen mehrere Faktoren eine<br />
Rolle. So muss genügend Nahrung vorhanden sein und das Revier muss Sicherheit und<br />
Ruhe zur Aufzucht der Jungen bieten. Hat der <strong>Graukranich</strong> sein geeignetes Brutrevier,<br />
baut er als Bodenbrüter sein Nest gemeinsam mit seinem Partner auf dem Boden.<br />
In Mitteleuropa beginnt die <strong>Graukranich</strong>henne, von März bis Mitte April ein bis zwei<br />
Eier im Abstand von ca. drei Tagen zu legen. Die Eier werden von beiden Partnern im<br />
Schnitt 29 bis 31 Tage gebrütet. Der Nachwuchs wird, weil Kraniche Nestflüchter sind,<br />
nach spätestens 30 Stunden von dem Nest weggeführt. Jungvögel<br />
tragen anfangs ein zimtbraunes Daunengefieder. Ihr fertiges<br />
Jugendkleid ist bis auf den sandfarbenen Kopf braun gefärbt.<br />
<strong>Graukranich</strong>e werden in Gefangenschaft bis zu 40 Jahre alt. In<br />
der Natur werden sie nur etwa 13 Jahre alt.<br />
Wir sind für unser lautes schmetterndes „Trompeten“ bekannt<br />
das wir durch den besonderen Bau und der enormen Länge (bis zu 1.30 m lang) der<br />
Luftröhre erreichen können. Das ist ein unverwechselbares Zeichen.<br />
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Jedes Jahr im Oktober machen sich etwa 100.000 – 160.000 Kraniche aus ihren<br />
Brutgebieten in Nordeuropa und der russischen Taiga auf den langen Weg in den Süden.<br />
Die Vögel folgen dabei der west- oder osteuropäischen Route.<br />
Die westliche Zugroute wird<br />
vorwiegend von den Kranichen<br />
benutzt, die in Deutschland,<br />
Schweden, Norwegen und in Polen<br />
brüten.<br />
Meine Truppe benutzt den<br />
westeuropäischen Zugweg. Dieser<br />
führt uns aus Mitteleuropa,<br />
Skandinavien, Polen, Weißrussland und<br />
den baltischen Staaten nach Spanien,<br />
Portugal und Frankreich bis hin nach<br />
Tunesien.<br />
<strong>Graukranich</strong>e sind Langstreckenzieher.<br />
Ihre Überwinterungsgebiete sind über 4000 km von ihren Brutgebieten<br />
entfernt. Langstreckenzieher ziehen meistens in der Nacht, <strong>Graukranich</strong>e jedoch am<br />
Tag. Das heißt, wir ziehen von früh morgens bis spät abends. Dadurch können wir die<br />
Thermik besser für unseren Segelflug nutzen und Kräfte sparen.<br />
Die normale Flughöhe liegt zwischen 200 Meter und 1000 Metern. Die maximale<br />
Flughöhe liegt bei 4600 Meter. <strong>Ein</strong>e Tagesstrecke kann bis zu 1000 km betragen. Die<br />
Durchschnittsgeschwindigkeit liegt bei 65 km/h. Mit Rückenwind sogar 130 km/h.<br />
Rastpausen werden am Lac du Der Chantecoq in der südlichen Champagne in Frankreich<br />
und der Laguna de Gallocanta eingenommen. Von dort ziehen wir weiter und erreichen<br />
unser Überwinterungsgebiet in Südspanien, die Korkeichenfelder der Estremadura in<br />
Andalusien.<br />
Es gibt eine ganz besondere Flugformation<br />
bei den <strong>Graukranich</strong>en, so wie bei allen<br />
anderen Zugvögeln. Diese heißt<br />
Keilformation. Sie ist wie ein Keil<br />
ausgerichtet. Das bewirkt, dass sie den<br />
Kontakt innerhalb der Gruppe sichern und<br />
durch die Keilformation der Luftwiderstand<br />
reduziert wird, wodurch wir sehr viel<br />
Energie sparen.<br />
So, aber jetzt zum Zug. Ich starte in der<br />
Rügen-Bock-Region. Diese Region ist der bedeutendste Kranichrastplatz in<br />
Mitteleuropa. Etwa ein Drittel der gesamten Population des westeuropäischen Zugweges<br />
rastet hier. Im Herbst rasten hier über 50.000 Kraniche aus Skandinavien, dem<br />
Baltikum und Polen gleichzeitig.<br />
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<strong>Ein</strong> <strong>Graukranich</strong> <strong>erobert</strong> <strong>Europa</strong><br />
Es war ein Tag, wie alle anderen. Anfangs. Nebel lag auf dem Wasser des Sees. Und<br />
Raureif übersäte die Wiesen, die Bäume am Waldrand, und das Schilf am Ufer. Die<br />
Sonne war noch nicht aufgegangen und somit schien der Mond noch blass am Himmel.<br />
Ich fröstelte, trotz der Wärme die von meinen Eltern ausging, und war noch ein<br />
bisschen schläfrig. Das war komisch für diese Jahreszeit. Es war Spätfrühling.<br />
Schläfrig standen meine Eltern bei mir. Doch ein plötzliches Rascheln im Unterholz ließ<br />
sie aufschrecken. Genauso wie mich. Auf einmal war meine Müdigkeit wie weggeblasen.<br />
Meine Eltern reckten die Hälse und spähten lauernd in Richtung Unterholz, wo das<br />
Geräusch hergekommen war. Doch nichts passierte. Vorerst. Erst als die Müdigkeit uns<br />
wieder überfallen hatte, regte sich wieder etwas. Plötzlich war ich hellwach. Wie meine<br />
Eltern. Schnell schoben mich Mama und Papa hinter einen nahe liegenden Stein. Ich<br />
versuchte etwas zu sehen, hob den Kopf und reckte meinen Hals so weit wie möglich.<br />
Doch ich sah einfach nichts. Der Stein war zu groß. Hinter dem Stein hervorzutreten<br />
wagte ich nicht. Ich hörte nur langsame Schritte und leises aufgeregtes Geflüster.<br />
Schließlich wagte ich es doch. Kurz spähte ich hinter dem Stein hervor.<br />
Es waren vier Männer. In Tarnanzügen. Langsam näherten sie sich unserem Nest. <strong>Ein</strong>er<br />
der Männer ging zu einem Hochsitz in der Nähe. Er stieg hinauf und holte ein Fernglas<br />
hervor, um damit nach uns Ausschau zu halten. Die Männer kamen immer näher und die<br />
Schritte wurden lauter. Plötzlich standen sie nur noch etwa 3 m vor uns. Meine Eltern<br />
flogen auf und stießen laute Warnrufe aus. Ich zögerte nicht und rannte um mein Leben.<br />
Mit wildem Zickzack wollte ich die Männer verwirren. Die Männer rasten los. Mir<br />
hinterher, ich atmete schnell. Zum Glück war ich wirklich schnell und flink. Doch die<br />
Männer waren auch schnell. Sehr schnell. Zu schnell für mich. Sie hatten mich fast<br />
eingeholt. Ich schoss auf einen kleinen Wald zu. Er war nicht sehr groß, eher klein.<br />
Natürlich folgten mir die Männer. <strong>Ein</strong>er von ihnen rief dem anderen etwas zu. Der nickte<br />
und rannte davon. Schade dass ich sie nicht verstehen konnte, denn sonst hätte ich von<br />
der Falle hinter dem nächsten Baum erfahren. Doch wie gesagt, ich verstand sie nicht.<br />
Ahnungslos rannte ich auf den Baum zu. Plötzlich sprang einer der Männer hinter dem<br />
Baum hervor. Erschrocken trat ich zur Seite, und der Mann fiel mitten in ein<br />
Schlammloch. Ich kicherte innerlich. Dann sprang ich über ihn und über das<br />
Schlammloch und rannte weiter. Ich drehte mich noch einmal um. Was ich später sehr<br />
bereuen sollte. Da ich ja nach hinten blickte, übersah ich eine Wurzel. Ich stolperte und<br />
fiel der Länge nach hin. <strong>Ein</strong>er der Männer packte mich. Vor Schreck biss ich ihm unsanft<br />
in den Arm. Fluchend ließ er mich los. Diese Gelegenheit nutzte ich um zu flüchten. Ich<br />
rannte davon. Bei der nächst besten Gelegenheit duckte ich mich flach auf den Boden.<br />
Durch mein braunes Daunenkleid wurde ich auf dem Boden fast unsichtbar. Selbst als<br />
die Männer nur einen Meter vor mir standen, sahen sie mich nicht. Die Männer schauten<br />
sich ratlos um. Wieder kicherte ich innerlich. Dennoch blieb ich flach auf dem Boden<br />
liegen. Die Männer näherten sich mir wieder. Ich hielt den Atem an. Lauernd<br />
begutachteten sie den Boden. Von dem Mann auf dem Hochsitz bekamen sie über Funk<br />
Anweisungen wo sie mich suchen sollten. Auf einmal blieb der Blick einer der Männer an<br />
mir hängen. Er trat näher auf mich zu. Ich begann zu zittern. Immer wieder drangen die<br />
Warnrufe meine Eltern zu mir. Warum konnten sie jetzt nicht herabstoßen und mich, ihr<br />
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Junges beschützen? Der Mann winkte die anderen heran. Auch sie kamen jetzt immer<br />
näher. Und dann ging alles ganz schnell. Sie umzingelten mich. Dann packte mich einer<br />
und stülpte mir eine schwarze Baumwollkapuze über damit ich nicht so in Stress gerate.<br />
Die Männer wogen mich, maßen mich und ich erhielt an den Beinen Ringe und Sender. Das<br />
Ganze dauerte nicht länger als 10 Minuten. Während der ganzen Aktion blieb ich vor<br />
Furcht und Angst ganz ruhig und bewegungslos. Später wurde ich wieder entlassen.<br />
Meine Eltern kamen zu mir und begutachteten erst einmal die komischen bunten Ringe<br />
und den Sender. Doch schon nach wenigen Tagen hatten ich und meine Eltern uns daran<br />
gewöhnt.<br />
Mit der Markierung durch Ringe und Sender kann man das<br />
Verhalten der Kraniche und der Natur in der sie leben erforschen<br />
und Daten erfassen, die für ihren Schutz erforderlich sind.<br />
Forscher in ganz <strong>Europa</strong> peilen mit mobilen Peilantennen<br />
besenderte Kraniche an. Die Werte werden alle 5 Minuten<br />
aufgezeichnet und in ein Computerprogramm eingearbeitet. Damit<br />
können Biologen den gesamten Tagesablauf eines Kranichs über die<br />
Ländergrenzen hinweg verfolgen. So können die Flugrouten, die<br />
bevorzugten Nahrungsplätze und das Leben und Verhalten der<br />
Kraniche, u. a. auch der <strong>Graukranich</strong>e erforscht werden. Nur durch<br />
diese vielen Informationen können wirksame Schutzprojekte<br />
erarbeitet werden. Seit 1998 werden Kraniche auch mit<br />
Satellitensendern bestückt. Die leichten Sender geben ständig Signale ab, die über<br />
Satelliten wieder zur Erde geleitet und ausgewertet werden. Entsprechend der<br />
Umlaufzeit der Satelliten kann man etwa alle 90 Minuten den genauen Standort<br />
ermitteln. Zugvögel kennen keine Grenzen - unter diesem Motto steht ein Projekt indem<br />
über das Internet zum ersten Mal weltweit die Flüge und Aufenthaltsorte der<br />
wandernden Vögel verfolgt werden können.<br />
<strong>Ein</strong> paar Wochen später, ich war etwa 11 oder 12 Wochen alt und konnte bereits fliegen,<br />
landeten andere <strong>Graukranich</strong>e in der Rügen-Bock-Region und fraßen sich Fettreserven<br />
für den langen Weiterflug an. Oft waren es große Gruppen. Es kamen immer mehr. Von<br />
Tag zu Tag wurde es voller auf Rügen. Hunderte, ach was, tausende waren es schon.<br />
Inzwischen fraßen ich und meine Eltern uns auch die erforderlichen Fettreserven an.<br />
Wir alle bevorzugen Mais den wir als Erntereste auf den Stoppelfeldern finden. Doch<br />
immer öfter ist nicht genug für alle da, dann finden wir auch die Neusaaten auf den<br />
Feldern sehr schmackhaft, zum Ärger der Bauern.<br />
Bislang erhielten die Bauern eine Ausgleichszahlung für ihre geplünderten Felder. Das<br />
war sehr teuer. Mittlerweile wird erfolgreich das Projekt „Ablenkfütterung“<br />
durchgeführt. In dem werden besondere Felder von den Bauern für Fütterungen zur<br />
Verfügung stellen. Dort wird extra für Kraniche Futter angebaut oder ein Teil der<br />
Ernte stehen gelassen, damit sie sich nicht über die Neusaaten auf den anderen Feldern<br />
hermachen. Das ist nicht nur besser für die Bauern sondern auch billiger für den Staat.<br />
Nach und nach wurde ich größer. Ich wuchs und wurde schwerer. Genau wie die anderen.<br />
Bis es endlich so weit war, es war Mitte Oktober, hatten wir uns alle viele Fettreserven<br />
6
angefressen. Ich war ganz aufgewühlt und aufgeregt. In den nächsten Tagen würden wir<br />
los fliegen. Ich zitterte und fragte meine Eltern dauernd wann es endlich losgehen<br />
würde. Ich tanzte mit meiner Freundin Trine immer wieder durch die Gegend. Und dann,<br />
dann war es endlich wirklich soweit. Der Morgen dämmerte. Schon einige Stunden zuvor<br />
hatten wir uns alle auf einem riesigen Feld versammelt. Oder eher auf mehreren<br />
riesigen Feldern. Es waren über 40.000 <strong>Graukranich</strong>e. Aufgeregt wippte ich auf meinen<br />
Füßen auf und ab. Und dann, als wäre ein Startschuss gefallen, hoben sich alle<br />
gleichzeitig in die Lüfte. Es war fantastisch. <strong>Ein</strong>fach so wunderbar. Ich flog zum ersten<br />
Mal die große Zugroute, ich war frei und unabhängig. Es war so unbeschreibliche schön<br />
zu fliegen. Inzwischen war die Sonne aufgegangen. Warm, herzlich und nicht so grell wie<br />
im Sommer. Irgendwie geheimnisvoll schien sie auf die von oben gold wirkenden Bäume.<br />
Der See. In ihm spiegelten sich die Büsche, Bäume, Gestrüpp, das Gras und das Schilf.<br />
Alles wirkt in dieser Jahreszeit leicht golden. Auch der See bekam etwas von dem<br />
geheimnisvollen Sonnenlicht ab. Ja, es gab keinen Zweifel, es war Herbst und er war<br />
wirklich sehr schön. Ich schaute nach unten. Alles wurde immer kleiner. Die Felder, die<br />
Büsche, die Steine. <strong>Ein</strong>fach alles. Ich atmete tief ein. Dabei schloss ich die Augen. Dann<br />
atmete ich wieder aus. Das war toll, der Wind im Gesicht, das Gefühl von Freiheit und<br />
das Gefühl der Unabhängigkeit. Nach wenigen Stunden verdunkelte sich der Himmel<br />
bereits. Der Wind wurde stärker und es begann zu regnen. " <strong>Ein</strong> Sturm zieht auf! Wir<br />
müssen landen!", rief Euro, ein Freund meiner Eltern." Ja", sagte Mama. Und zu meinem<br />
Vater gewandt:" Ich gebe es vorne weiter!" Und weg war sie. Inzwischen peitschte uns<br />
der Wind regelrecht in die Gesichter. Nach vielen langen Minuten kam Mama zurück. Sie<br />
war ziemlich außer Atem." Wir landen in der Nähe der Elbe!"<br />
Als wir an der Elbe ankamen, zuckten schon Blitze vom Himmel. Es regnete in Strömen.<br />
Wir, meine Eltern, ich und Trines Familie suchten einen großen Unterstellplatz.<br />
Tatsächlich fanden wir einen, doch der war schon überfüllt. Wir versuchten uns noch<br />
dazu zu quetschen. Nach mehreren Stunden verzogen sich Sturm und Gewitter endlich.<br />
Das Gras war nass und glitschig.<br />
Die Elbe war über ihre Ufer hinaus getreten. Es war zwar es kein richtiges Hochwasser,<br />
aber dennoch stand viel unter Wasser. Bald hoben wir uns wieder in die Luft und flogen<br />
weiter. Am Abend landeten wir in einem seichten Gewässer. Dieser bot und Schutz vor<br />
Füchsen, Wildschweinen und anderen Nesträubern und Raubtieren. In den nächsten<br />
Tagen passierte nichts Besonderes. Hin und wieder einmal sahen wir fast<br />
ausgetrocknete Seen und abgeholzte Wälder. Doch dann, dann passierte etwas<br />
Schlimmes. Es dämmerte bereits. Gerade wollten wir uns herab lassen, weil wir ein<br />
Gewässer entdeckt hatten, da fiel auf einmal ein Schuss. In wilder Panik flogen wir auf<br />
und versuchten uns in Sicherheit zu bringen, doch da traf ein zweiter Schuss knapp an<br />
einem von uns vorbei. Und noch einer, ein dritter, vierter, ein fünfter. Immer mehr<br />
<strong>Graukranich</strong>e stürzen tot herab. Ich versuchte mich in großer Panik in Sicherheit zu<br />
bringen. Plötzlich sah ich einer der Kugeln, mit denen die Männer schossen, direkt auf<br />
mich zukommen. Gleich bist du tot, schoss es mir durch den Kopf. Ich schloss die Augen<br />
und biss die Zähne zusammen. Ich wartete auf den Schmerz, aber er kam nicht. Ich<br />
machte die Augen wieder auf. Ich blutete nicht. Und ich fiel auch nicht herab. War das<br />
möglich? Da kam Mama angeflogen." Das ist ja noch einmal gut gegangen! Der Schuss ist<br />
knapp an dir vorbei! "Der Schuss hatte mich gar nicht getroffen?! Warum war ich denn<br />
nicht gleich darauf gekommen? Weitere Schüsse fielen. Sie rissen mich aus meinen<br />
7
Gedanken. Wir wichen immer wieder aus, verfielen in Panik und flogen auf. Immer mehr<br />
tote Kraniche stürzten ab. Endlich fielen keine Schüsse mehr, die Männer waren weg.<br />
Trotzdem waren wir alle immer noch aufgewühlt. Erst nach einiger Zeit hatten wir uns<br />
beruhigt.<br />
Die Gefahr, die den Kranichen in einigen Ländern droht, durch illegalen Abschuss, das<br />
Ausnehmen ihrer Nester und das <strong>Ein</strong>fangen von Jungvögeln, nimmt zu. Gleichzeitig<br />
wächst aber auch die Zahl ihrer Freunde und Beschützer auf allen Kontinenten.<br />
Menschen aus Ost und West, Süd und Nord, aus „reichen“ wie aus „armen“ Ländern<br />
arbeiten zusammen zum Schutz der Kraniche.<br />
Dann war alles wieder wie immer. Am Abend suchten wir uns einen geeigneten Platz zum<br />
schlafen. Und bei der Morgendämmerung flogen wir wieder los. Wir überquerten Berge,<br />
Täler, Felder, Wiesen, Gebirgsketten, Flüsse und Seen. Nach mehreren Wochen kamen<br />
wir endlich am Lac du Der Chantecoq einem Stausee in Frankreich an. Er ist ein<br />
Rastplatz für viele Zugvögel. Zu denen auch wir gehören. Wir landeten. Die Gruppen<br />
teilten sich auf. Fast alle suchten sich eigene Plätze. Ich sah Erschrockenheit und<br />
Entsetzen auf den Gesichtern meiner Eltern. "Was ist denn?", fragte ich. "Es ist so<br />
anders.", antwortete Mama. Sie bewegte den Schnabel kaum. "Der Stausee war früher<br />
nicht so ... na ja wie soll man sagen? … leer. Es war nicht so viel Wasser weg!", sagte<br />
Papa. Mir fiel nichts auf, ich war ja das erste Mal hier. Ich wollte diese Rastpausen hier<br />
schließlich genießen und mir wieder Fettreserven anzufressen. Später machte ich mich<br />
mit meinen Eltern auf die Suche nach Futter. So ging es etwa zwei Wochen. Wir suchten<br />
Futter, tranken und es passierte eigentlich nicht besonderes.<br />
Alle Kraniche brauchen zum Leben und Großziehen ihrer Jungen wasserreiche<br />
Feuchtgebiete. Dort finden sie ihre Nahrung. Nur dort schlafen und nisten sie, denn nur<br />
hier finden die Jungen Schutz vor Fressfeinden wie Füchse, Wildschweine und<br />
streunenden Hunde. Leider werden diese Gebiete weltweit vom Menschen trocken<br />
gelegt und zerstört. Damit zwingen wir die Kraniche sich andere Gebiete zu suchen, die<br />
aber auch woanders immer weniger werden.<br />
Der Lac du Der Chantecoq war eigentlich<br />
ganz schön. Trotz des viel wenigeren<br />
Wassers. <strong>Ein</strong>es Tages aber kam es anders.<br />
Es war Spätnachmittag. Die Sonne<br />
schien warm auf uns herab und kleine<br />
Insekten tummelten sich in dem hohen<br />
Gras. Libellen schwirrten übers Wasser<br />
und ein paar Frösche quakten ein Konzert<br />
auf Seerosenblättern. Ich suchte gerade<br />
Futter. Da regte sich etwas unter meinen<br />
Füßen. Die Erde zitterte. <strong>Ein</strong> Erdbeben!<br />
Die Erde zitterte immer mehr und bald<br />
bebte die Erde richtig. Ich bekam Angst. Immer wackeliger wurde sie. Ich rief nach<br />
meinen Eltern. Doch vergebens. Sie kamen nicht. Immer und immer wieder rief ich nach<br />
8
ihnen. <strong>Ein</strong> Baum krachte um. Ich erschrak so sehr, dass ich auf der bebenden Erde das<br />
Gleichgewicht verlor und umfiel. Ich versuchte mich wieder aufzurappeln, woran ich<br />
jedoch immer wieder scheiterte. Plötzlich erschien ein Spalt in einem der Felsen. Er<br />
wurde größer. Und tiefer. Und breiter. Immer mehr weitete er sich. Noch einmal<br />
probiert ich mich aufzurappeln. Doch wieder scheiterte ich kläglich. Mein Herz und mein<br />
Atem wurden schneller. Der Spalt war nicht mehr weit von mir entfernt. Und auf einmal<br />
gelang es mir aufzustehen. Gerade wollte ich mich vom Boden abstoßen und davon<br />
fliegen, als plötzlich der Spalt genau unter mir erschien. Der eine Fuß war auf der einen<br />
Seite, der andere auf der anderen Seite. Er war schon so breit, dass ich mich nicht<br />
mehr vom Boden abstoßen konnte. Schließlich war der Spalt so breit, dass ich hineinfiel.<br />
Durch meine Angst vergaß ich ganz wozu ich Flügel hatte. Ich blickte nach unten. Gleich<br />
würde ich auf dem Boden aufkommen. Auf einmal hörte ich gedämpfte Stimmen. Flieg,<br />
Wolke! FLIEG! Es waren meine Eltern. Natürlich! Ich breitete meine Flügel aus und stieß<br />
mich kräftig vom Boden ab. Ich flog hinauf, aus dem Spalt heraus. Erleichtert atmete<br />
ich ein. Ich war ja so erleichtert. Jetzt hörte auch das Erdbeben langsam auf. Ich flog<br />
zu meinen Eltern. Auch sie waren unverletzt und erleichtert mich zu sehen.<br />
Nach ein paar weiteren Tagen machten wir uns schließlich wieder auf den langen Weg.<br />
Ich freute mich riesig. Ja, wir alle waren wieder in unserem Element. Der Luft. Es tat<br />
gut. Das laute Geschnatter und Trompeten der anderen und die endlose Freiheit. Es war<br />
sehr schönes Wetter. Die Sonne lachte und nur ein paar weiße Wölkchen standen am<br />
Himmel über uns. Ich schloss die Augen. Echtes Glücksgefühl durchströmte mich. Ich<br />
wusste nicht, woher das kam. Aber es war wunderbar. Das reichte mir. Ich vertraute<br />
dem Glücksgefühl und ließ mich von ihm leiten. Ich glaubte alles wäre gut. Das allerdings<br />
bereute ich später. Doch noch traute ich dem Gefühl. Wir landeten in einem flachen<br />
Gewässer. Ich hatte riesigen Durst. Ich wollte etwas trinken und nahm das immer lauter<br />
werdende Geschnatter und Trompete der anderen <strong>Graukranich</strong>e nicht war. Ich trank<br />
etwas von dem Wasser. Es schmeckte ein bisschen komisch. Und auch die Farbe war<br />
alles andere als gewöhnlich. Dennoch ahnte ich nichts Böses. Am nächsten Morgen<br />
wachte ich mit starken Bauchkrämpfen auf. Und auch andere Kraniche, die wie ich was<br />
von dem Wasser getrunken hatten, beklagten sich wegen schlimmer Bauchkrämpfe. Die<br />
ganze Zeit stöhnte ich und schaffte es nicht einmal aufzustehen. Mit diesen<br />
Voraussetzungen konnten wir unmöglich weiterfliegen. Meine Mutter kam zu mir. Im<br />
Schnabel hatte sie Kräuter.<br />
"Ich hoffe die helfen!", sagte sie. Ich auch, dachte ich. Ich schlang die Kräuter<br />
hinunter. Sie schmeckten bitter. Ich verzog das Gesicht. Vor Schmerz und Ekel<br />
zugleich. Erwartungsvoll sah meine Mutter mich an "Und, ist es besser geworden?",<br />
fragte sie leise. Ich schüttelte den Kopf. Ich fragte Mama: "Was ist wenn ich sterbe,<br />
Mama? Ich will nicht sterben." Dann brachen mir die Tränen aus. Auch Mamas Augen<br />
füllten sich mit Tränen." Du wirst nicht sterben", flüsterte sie. Daran hatte ich meine<br />
Zweifel. Meine Mutter beugte sich zu mir herab und gab mir einen Schnabelkuss. Ich<br />
schluchzte auf. Da kam Papa. Er war ziemlich außer Atem." Ich weiß, woran es liegt"<br />
Seine Augen leuchteten " es ist das Wasser. Seht ihr dahinten das Industriegebiet? Da<br />
ist eine Firma die ihr Abwasser in den See laufen lässt. Das sind unter anderem auch<br />
viele chemische Stoffe". "Und was müssen wir machen?", fragte Mama. " Ich weiß es<br />
nicht", sagte Papa traurig. Er senkte den Kopf. Schon am frühen Abend schliefen meine<br />
Eltern. Ich nicht. Die Krämpfe waren zu stark. Plötzlich hörte ich Schritte. Ich hob den<br />
9
Kopf und reckte meinen Hals. Schon wollte ich aufstehen und wegfliegen, doch ich<br />
schaffte es nicht. Auf einmal wurde ich von einem Menschen gepackt, ein Biologe<br />
wahrscheinlich, und behutsam untersucht. Ich bekam eine Spritze. Sofort schlief ich<br />
ein und bekam nichts mehr mit. Am nächsten Morgen ging es mir schon wieder richtig<br />
gut. Auch den anderen ging es scheinbar prächtig. Nach einer Erholungspause flogen wir<br />
weiter. Wochenlang flogen wir über Wälder, Berge, Täler und Gebirge. Nach vielen<br />
Wochen Flug kamen wir an dem zweiten großen Rastplatz an. Der Laguna de Gallocanta.<br />
Dort blieben wir etwa eine halbe Woche. Dann flogen wir weiter. Wir flogen bis in die<br />
Nacht hinein. Dann, nach vielen, endlos langen Wochen kamen wir endlich an unserem<br />
Reiseziel an. Unser Winterquartier, die parkähnlichen, weitläufigen Stein- und<br />
Korkeichenwälder der Estremadura in Südwestspanien. Dort war der Tisch reichlich<br />
gedeckt. Es gab für alle reichlich nahrhafte Eicheln, die wir uns mit dem iberischen<br />
Hausschwein, dem Rothirsch, Wildschwein, der Ringeltaube und noch vielen anderen<br />
Tieren teilten. Es war wunderbar. <strong>Ein</strong>fach nur herrlich. Wir waren in der Nähe eines<br />
großen Berges gelandet. An einem riesigem See. Die Sonne lachte strahlend. Sie schien<br />
Fröhlichkeit zu verbreiten. Denn sowohl ich, als auch die anderen schienen überglücklich.<br />
Weiße Wolken hingen an dem überirdisch blau strahlenden Himmel. Der See schimmerte<br />
in allen blauen und grünen Tönen. Kleine Insekten wie Käfer, Bienen und Grashüpfer<br />
tummelten sich auf den endlos langen Wiesen. Blumen in allen Farben gab es reichlich.<br />
Und wenn man nach oben sah, fand man dort ein kleines Gebirge. Auf den Gipfeln der<br />
riesigen Berge lag Schnee. Weiß und gleichmäßig überzog er die Bergspitzen. Es sah aus<br />
als hätte man Puderzucker auf die Gipfel gestreut. Also, wie schon gesagt, es war<br />
wunderbar.<br />
Die Stiftung Europäisches Naturerbe und die Zoologische Gesellschaft Frankfurt hat in<br />
Rorrejon el Rubio in der Estremadura ein Kranich-Informationszentrum aufgebaut. Dort<br />
werden Projekte entwickelt wie Bauern und die Kraniche friedlich nebeneinander leben<br />
können.<br />
Auch in Deutschland gibt es seit 1996 in der Rügen-Bock-Region, dem größten<br />
mitteleuropäischen Rastplatz der Kraniche, ein Kranich-Informationszentrum. Es liegt<br />
14 km von Stralsund entfernt in Groß Mohrdorf. Es wurde vom „Kranichschutz<br />
Deutschland“ gegründet.<br />
Glücklicherweise setzen sich viele Menschen und schon einige Länder für den Erhalt von<br />
Vogelzugrastplätzen ein. In Deutschland gibt es erste Erfolge, in den Elbtalauen gibt es<br />
nach langer Zeit wieder Kraniche.<br />
SCHÜTZT DIE KRANICHE!<br />
10
Quellenverzeichnis<br />
- Lufthansa Report<br />
Daten – Fakten – Hintergrund<br />
Medienservice zum Luftverkehr<br />
- Jahresarbeit Biologie LK der Freiherr-vom-Stein-Schule, Hessisch-Lichtenau<br />
Thema: Das Zugverhalten von Vögeln, am Beispiel des <strong>Graukranich</strong>s<br />
Von Rosanna Köhler, vom 16.04.2007<br />
- www.kraniche.de<br />
- www.nabu.de<br />
- www.erfurt-web.de<br />
- www.lufthansa.com<br />
- www.aalberghus.de<br />
- www.naturfoto-schiersmann.de<br />
- http://bad-kreuznach.pollidia.de<br />
- http://de.wikipedia.org<br />
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