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DIE WELT (Sonderausgabe 09/10) - Europäischer Wettbewerb

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Informationen zu<br />

Stipendien in<br />

Deutschland:<br />

www.stipendienlotse.de<br />

Bildungsministerin<br />

Annette Schavan<br />

lädt zum<br />

Tag der Talente<br />

300 Sieger von<br />

Jugendwettbewerben<br />

nach Berlin ein. Die<br />

Teilnehmer sollen<br />

anderen Jugendlichen<br />

Mut machen. „Man<br />

muss nur wollen“,<br />

meint Melda Akbas.<br />

Die junge Autorin<br />

wird bei der<br />

Veranstaltung mit auf<br />

dem Podium sitzen<br />

Von Melda Akbas<br />

Als ich an meinem Buch<br />

schrieb, fehlte es mir<br />

häufiger, als mir lieb<br />

war, an Kraft. Oft<br />

wünschte ich mir, der<br />

Tag hätte nicht 24 Stunden, sondern<br />

doppelt so viele, und ich brauchte<br />

überhaupt keinen Schlaf. Aber so<br />

war es leider nicht. Ich war damals<br />

gerade 18 Jahre alt, ging in die zwölfte<br />

Klasse und versuchte, mein Abitur<br />

einigermaßen hinzubekommen.<br />

Das war an sich schon anstrengend<br />

genug, denn es bedeutete, dass ich<br />

pro Halbjahr vier Leistungskurs-<br />

Klausuren und fünf in den Grundkursen<br />

über mich ergehen lassen<br />

musste. Dazu kamen eine Menge<br />

Referate und Tests, die mit in die<br />

Gesamtwertung einflossen. Und die<br />

ganz normalen Hausaufgaben<br />

mussten auch noch irgendwie erledigt<br />

werden. Je weiter ich mich dem<br />

Schulende näherte, umso stressiger<br />

wurde es. Denn ich hatte ja auch<br />

noch fünf Prüfungskomponenten<br />

fürs eigentliche Abi vorzubereiten,<br />

von den Aufgaben fürs Zentralabitur<br />

ganz abgesehen.<br />

Um ehrlich zu sein: Manchmal<br />

stand ich ziemlich ratlos da. Als hätte<br />

ich nur eine kleine Kinderschaufel,<br />

um damit einen Riesenberg beiseitezuschaffen.<br />

Aber anscheinend<br />

war es mir noch nicht chaotisch genug.<br />

Ich musste ausgerechnet in<br />

dieser Zeit auch noch ein Buch<br />

schreiben. Nein, heldenhaft war das<br />

nicht. Eher ein Fehler in der Planung.<br />

Aber so bin ich: etwas chao-<br />

Von Uwe Sauerwein<br />

Mögen andere Mädchen in ihrem<br />

Alter sich für ganz andere Dinge begeistern:<br />

Kristina Kleins große Leidenschaft<br />

ist die Mathematik. Die<br />

14-jährige Hamburgerin hat erfolgreich<br />

an bundesweiten und internationalen<br />

<strong>Wettbewerb</strong>en teilgenommen.<br />

Weil sie ebenso flott Chinesisch<br />

lernt, überlegt Kristina, demnächst<br />

auch bei einem <strong>Wettbewerb</strong><br />

für Fremdsprachen mitzumachen.<br />

Wenn Vico Ludwig aus Schwarzenbek<br />

in Schleswig-Holstein Langeweile<br />

hat, schnappt er sich seine<br />

Videokamera und filmt Züge. Mit<br />

neun Jahren hat der Gymnasiast<br />

seinen Film „Zugfahrt zur Oma“<br />

völlig alleine realisiert. Dafür erhielt<br />

der heute Elfjährige den Deutschen<br />

Jugendvideopreis. Kai-Uwe<br />

Demasius aus Schleswig will nach<br />

seinem Zivildienst Elektrotechnik<br />

studieren. Eine Erfindung des 19-<br />

Jährigen, ein Elektrofeldmeter-<br />

Chip, wird momentan in einem Un-<br />

Deutschlands Rohstoff ist Talent<br />

tisch, aber doch ziemlich arbeitswütig.<br />

Verzweifelt war ich manchmal,<br />

trotzdem dachte ich meistens:<br />

Irgendwie schaffe ich das schon.<br />

„So wie ich will“ heißt mein Buch.<br />

Darin erzähle ich von meinem Leben<br />

als Migrantenkind, hier in Berlin.<br />

Aber der Titel könnte ebenso<br />

gut als Überschrift für mein Leben<br />

stehen: So wie ich will! Der Wille<br />

ist, glaube ich, das Entscheidende.<br />

Bei mir ist jedenfalls der Wille immer<br />

zuerst da. Ich wollte das Abitur<br />

machen. Und ich wollte dieses Buch<br />

schreiben. Genauso wie ich vorher<br />

Klassensprecherin werden wollte<br />

und Sprecherin des Bezirksschülerausschusses<br />

und dann des Landesschülerausschusses.<br />

Dafür gab es<br />

viele Gründe, aber der entscheiden-<br />

ternehmen bei Dresden hergestellt.<br />

Dafür wurde Kai-Uwe bereits als<br />

Schüler mit dem Sonderpreis „Invent<br />

a Chip“ ausgezeichnet.<br />

Kristina, Vico und Kai-Uwe sind<br />

nur drei von etwa 300 Talenten, die<br />

vom 18. bis 20. September zum großen<br />

Treffen nach Berlin kommen.<br />

Der Tag der Talente ist eine Initiative<br />

des Bundesministeriums für Bildung<br />

und Forschung (BMBF). Seit<br />

2006 treffen sich auf Einladung des<br />

BMBF einmal im Jahr Preisträger<br />

von bundesweiten Schüler- und Jugendwettbewerben<br />

in der Hauptstadt.<br />

Ziel ist es, auf die vielfältigen<br />

Begabungen von Jugendlichen aufmerksam<br />

zu machen. Nicht nur die<br />

Teilnehmer, alle jungen Leute sollen<br />

ermutigt werden, ihren eigenen<br />

Weg zu gehen. Das TIPI, das stimmungsvolle<br />

Veranstaltungszelt in<br />

unmittelbarer Nähe zu Kanzleramt<br />

und Reichstag, ist auch in diesem<br />

Jahr Hauptschauplatz. Hier werden<br />

die Talente für ihre preisgekrönten<br />

Leistungen ausgezeichnet.<br />

PA/DPA-TOBIAS KLENSCHMIDT<br />

Melda Akbas ist 19 Jahre<br />

alt und lebt in Berlin. Bei<br />

C. Bertelsmann erschien ihr<br />

Buch „So wie ich will. Mein<br />

Leben zwischen Moschee<br />

und Minirock“. Beim Tag<br />

der Talente diskutiert sie<br />

zur Frage „Woher kommt die<br />

Energie für dein Schaffen?“<br />

de war, dass ich wollte. Deshalb ließ<br />

ich mich auf alle möglichen Posten<br />

und Verpflichtungen ein und überlegte<br />

erst danach, wie ich die Arbeit<br />

bewältigen könnte. Vielleicht steckt<br />

ein kleiner Workaholic in mir. Ich<br />

mache gern mal Urlaub, aber dauernd<br />

nur rumhängen und nichts tun<br />

– das liegt mir nicht, da werde ich<br />

hibbelig. Dann doch lieber Sitzungen<br />

im Kinder- und Jugendparlament<br />

und was es da noch alles gab.<br />

Weil das in meinen Augen auch viel<br />

mehr Sinn macht. Und das ist der<br />

zweite Punkt, den ich wichtig finde.<br />

Andere können von dem, was ich<br />

mache, halten, was sie wollen –<br />

wenn ich das Gefühl habe, ich kann<br />

mit dieser Arbeit etwas bewirken,<br />

etwas ändern oder wenigstens anschubsen,<br />

dann ist das eine riesige<br />

Motivation für mich.<br />

Nehmen wir nur mal die Toiletten<br />

in meiner alten Schule. Grausam.<br />

Eklig. Und viel zu oft verstopft.<br />

Aber gerade, weil die meisten lieber<br />

weggesehen oder einen großen Bogen<br />

darum gemacht haben, dachte<br />

ich: Dagegen muss etwas unternommen<br />

werden! Es dauerte ziemlich<br />

lange, wir mussten lange und immer<br />

wieder Druck machen, aber am Ende<br />

wurden die schlimmsten Toiletten<br />

dann saniert. Das war vielleicht<br />

ein tolles Gefühl: zu wissen, dass<br />

man etwas geschafft, dass es sich gelohnt<br />

hat. Aber solche Erfolgserlebnisse<br />

kann man sich eben nur selbst<br />

verschaffen, indem man seinen Hintern<br />

hochkriegt und was anpackt.<br />

Der dritte Punkt, und das ist sozusagen<br />

die Krönung der Motivation,<br />

Der 5. Tag der Talente bietet noch<br />

viel mehr. Während eines abwechslungsreichen<br />

Wochenendes werden<br />

die Jugendlichen unter anderem<br />

in Workshops mit Naturwissenschaftlern<br />

und Informatikern<br />

experimentieren und sich mit<br />

Künstlern aus Musik, Literatur und<br />

Film austauschen. In Anlehnung an<br />

TAG DER TALENTE<br />

SONDERAUSGABE<br />

betrifft den Spaßfaktor. Ich hatte<br />

Spaß daran, mit meinen Freundinnen<br />

in der Cafeteria zu sitzen und<br />

die nächste Umfrage fürs Schul-<br />

Jahrbuch auszutüfteln. Genauso wie<br />

ich Spaß daran hatte, durch die Arbeit<br />

in der Schülervertretung Jugendliche<br />

aus anderen Klassen oder<br />

Schulen kennenzulernen und mich<br />

mit ihnen anzufreunden, wenn sie<br />

so tickten wie ich. Ich konnte mich<br />

mit ihnen über alles Mögliche und<br />

manchmal auch Unmögliche austauschen,<br />

musste ja nicht immer<br />

hochintellektuell sein. Entscheidend<br />

war, dass man die Gedanken<br />

des anderen erfuhr, darüber diskutierte,<br />

Argumente austauschte, was<br />

mich bestimmt nicht dümmer<br />

machte.<br />

Wenn Arbeit auch noch Spaß<br />

macht – also, was will man mehr?<br />

Und wenn am Ende sogar etwas dabei<br />

herauskam wie die renovierten<br />

Toiletten, dann schloss sich ein<br />

Kreis: Wille – Sinn – Spaß. Das ist<br />

meine eigene kleine Glücksformel.<br />

Wenn man die einmal begriffen und<br />

verinnerlicht hat, geht vieles leichter.<br />

Und dann hat man auch den<br />

Mut, immer wieder neue Aufgaben<br />

in Angriff zu nehmen, zu kämpfen.<br />

Ist auf jeden Fall besser, als nur herumzumeckern,<br />

wie das andere machen,<br />

die ein Problem damit haben,<br />

selbst mal den Rücken krumm zu<br />

machen.<br />

Ich will nicht verheimlichen, dass<br />

es für mich noch einen anderen<br />

Grund gab, in all den Gremien mitzumachen<br />

und mir Arbeit aufzuladen<br />

wie ein Packesel. Diese Gre-<br />

das Wissenschaftsjahr der Energie<br />

lautet das übergreifende Motto für<br />

alle Diskussionen und Workshops<br />

„Spannung“. In einer Interviewrunde<br />

werden Autorin Melda Akbas,<br />

Literat Jörg Albrecht, Schwimmerin<br />

Antje Buschschulte, Forscher<br />

Andreas Neuzner und Gedächtnisweltmeisterin<br />

Dorothea<br />

+<br />

mien waren, zumindest für eine gewisse<br />

Zeit, auch Zufluchtsorte für<br />

mich. Meine Eltern sind aufgrund<br />

ihrer Herkunft ziemlich konservativ<br />

eingestellt. Ich dagegen halte mich<br />

für modern. Zwar bin ich irgendwie<br />

auch den Traditionen verhaftet,<br />

aber doch modern. Dadurch prallten<br />

bei uns zu Hause manchmal<br />

zwei Welten aufeinander, Denkwelten<br />

vor allem. Es fing schon damit<br />

an, dass sie der Meinung waren,<br />

man sollte keine Arbeit machen, für<br />

die man nicht bezahlt wird. Ich dagegen<br />

hatte lauter ehrenamtliche<br />

Posten und fand das in Ordnung.<br />

Mein Aktionismus war also auch eine<br />

kleine Revolte gegen meine Eltern.<br />

Das soll jetzt aber nicht so klingen,<br />

als hätten meine Eltern mir nur<br />

Steine in den Weg gelegt. Ohne ihre<br />

Erziehung wäre ich niemals so geworden,<br />

und das meine ich positiv.<br />

Sie wollten immer, dass ich in der<br />

Schule fleißig lerne und ein gutes<br />

Abitur mache. Sie gingen zu den Elternabenden<br />

und kümmerten sich<br />

darum, dass ich meine Hausaufgaben<br />

erledigte und meine Schulsachen<br />

in Ordnung hielt. Sie konnten<br />

mein Engagement vielleicht nicht<br />

immer verstehen, aber ich bin sicher:<br />

Tief drinnen waren sie stolz<br />

auf ihre Tochter, auch wenn sie es<br />

nicht immer so zeigten. Anders<br />

meine Tante Zeynep. Sie gilt in unserer<br />

Familie als die Radikale, hat<br />

ihren eigenen Kopf, ist Atheistin<br />

und fest davon überzeugt: Wer sich<br />

durchsetzen will, muss etwas dafür<br />

tun. Und das ist bei ihr nicht nur ein<br />

Seitz Fragen zum Thema „Woher<br />

kommt die Energie für dein Schaffen?“<br />

beantworten. Hans Joachim<br />

Schellnhuber, Direktor des Potsdam<br />

Instituts für Klimafolgenforschung,<br />

wird am letzten Tag die<br />

Festrede halten. Dass beim Tag der<br />

Talente der Spaß keinesfalls zu<br />

kurz kommt, dafür sorgen unter an-<br />

Spruch, sie lebt auch danach. Immerhin<br />

war sie eines der ersten<br />

Gastarbeiterkinder, die in Deutschland<br />

ein Wirtschaftsstudium absolvierten<br />

– und das als Frau. Heute arbeitet<br />

sie als Lehrerin. Ich bewundere<br />

sie für ihre Art, von der ich immer<br />

wieder profitieren kann. Was<br />

ich auch anfange, sie macht mir<br />

stets Mut, lobt mich, kann aber auch<br />

kritisch sein, wenn sie der Meinung<br />

ist, ich könnte etwas besser machen.<br />

Tante Zeynep war es auch, die<br />

mich auf die Idee brachte, ein Praktikum<br />

bei der Türkischen Gemeinde<br />

Deutschland zu machen. Und<br />

hier komme ich wieder auf den An-<br />

derem Konzerte, Filmvorführungen<br />

und Spiele.<br />

Neben einem nationalen Stipendiumprogramm<br />

und zwölf bundesweit<br />

tätigen Begabtenförderungswerken<br />

bilden Jugendwettbewerbe<br />

einen besonderen Schwerpunkt bei<br />

der Begabtenförderung der Bundesregierung.<br />

<strong>Wettbewerb</strong>e wie<br />

„Jugend forscht“, Mathe-, Physikoder<br />

Chemie-Olympiaden oder<br />

kulturelle <strong>Wettbewerb</strong>e wie „Jugend<br />

musiziert“ bieten Jugendlichen<br />

ganz andere Möglichkeiten,<br />

ihre Ideen zu verwirklichen und Fähigkeiten<br />

zu messen, als es der<br />

Schulalltag könnte. Junge Talente<br />

haben hier die Möglichkeit, die Faszination<br />

für die Forschung und den<br />

Spaß an der Wissenschaft zu entdecken.<br />

Die erfolgreiche Teilnahme<br />

kann ein Sprungbrett zur Aufnahme<br />

in die Studienstiftung des deutschen<br />

Volkes sein. Viele frühere<br />

Preisträger messen dem <strong>Wettbewerb</strong><br />

rückblickend für ihren erfolgreichen<br />

Weg große Bedeutung zu.<br />

SEPTEMBER 20<strong>10</strong><br />

fang zurück. Eigentlich wollte ich<br />

dort nur während der Ferien ein<br />

Praktikum absolvieren, dann wurde<br />

aber viel mehr daraus. Ein ganzes<br />

Projekt entstand daraus, bei dem es<br />

darum ging, Kinder von Migranten<br />

zu motivieren, sich in der Schule<br />

und in den Schülergremien mehr zu<br />

engagieren. Mir war aufgefallen,<br />

dass bei den meisten Schülern, die<br />

einen ähnlichen familiären Hintergrund<br />

haben wie ich, in dieser Hinsicht<br />

vieles schiefläuft. Die meisten<br />

gehen nur zur Schule, weil sie müssen,<br />

und kümmern sich sonst um<br />

nichts. Ehrenamtliche Arbeit? Fehlanzeige.<br />

Das wollte ich ändern. Weil<br />

ich dachte, dass das Sinn macht.<br />

Und – trotz aller Arbeit und trotz aller<br />

Rückschläge – es bereitete mir<br />

Spaß, so ein Projekt auf die Beine zu<br />

stellen.<br />

Da war sie also wieder, meine<br />

kleine Glücksformel: Wille – Sinn –<br />

Spaß. Vielleicht stellt ihr euch die<br />

Frage selbst einmal: Was ist es eigentlich,<br />

das mich antreibt? Woher<br />

kommt dieses Feuer, das mich<br />

manchmal die ganze Nacht durcharbeiten<br />

lässt. Ich wette, ihr kommt<br />

auf ein ähnliches Ergebnis wie ich.<br />

Denn jeder hat seine eigene kleine<br />

Glücksformel, die einen selbst dann<br />

noch beflügelt, wenn man mal einen<br />

schwachen Moment hat und glaubt,<br />

die eigene Kraft könnte nicht reichen.<br />

Und da wir hier beim Tag der<br />

Talente sind, noch eines: Talent<br />

wird uns gegeben, einsetzen müssen<br />

wir es selbst. Und das ist gleich<br />

wieder mit Arbeit verbunden. Aber<br />

das wollen wir ja, oder?<br />

Junge Leute sind die Forscher und Künstler von morgen<br />

Von der Mathematik-Olympiade bis zu „Jugend musiziert“: <strong>Wettbewerb</strong>e sind ein Schwerpunkt der Begabtenförderung durch den Bund<br />

<strong>Wettbewerb</strong>e wie „Jugend musiziert“<br />

zählen zur Begabtenförderung<br />

PA/DPA-ALEXANDER RÜSCHE<br />

Hier kann man mitmachen<br />

■ Um junge Talente zu finden<br />

und zu begeistern, fördert das<br />

Bundesministerium für Bildung<br />

und Forschung zahlreiche <strong>Wettbewerb</strong>e.<br />

■ Beispiele Naturwissenschaften:<br />

Jugend forscht; Auswahlwettbewerbe<br />

zu den Internationalen<br />

Biologie-, Chemie- und Physik-<br />

Olympiaden; European Junior<br />

Science Olympiade; Internationale<br />

Junior Science Olympiade; bun-<br />

desweiteMathematik-<strong>Wettbewerb</strong>e; Jugend gründet; Bundeswettbewerb<br />

Informatik; BundesUmwelt-<br />

<strong>Wettbewerb</strong>; Invent a chip<br />

■ Beispiele Kulturbereich:<br />

Bundeswettbewerb Fremdsprachen;<br />

Bundeswettbewerb Komposition;<br />

Internationales Film<br />

festival „up and coming“;<br />

Theatertreffen der Jugend; Treffen<br />

Junge Musik-Szene; Treffen Junger<br />

Autoren; Jugend musiziert<br />

Inhalt<br />

Wir fahren nach Berlin<br />

Sechs Teilnehmer am Tag der<br />

Talente, vorgestellt von Journalisten<br />

der Axel Springer Akademie S. 2/3<br />

Interview<br />

Bundesbildungsministerin Annette<br />

Schavan über die Notwendigkeit der<br />

Begabtenförderung S. 3<br />

Erfahrungen<br />

Wie Unternehmen und Institute an<br />

sich binden und was Eltern für ihre<br />

begabten Kinder tun können S. 4<br />

Der Tag der Talente auf<br />

www.welt.de/talente<br />

Gerade die Hartnäckigkeit bei der<br />

Beschäftigung mit Problemen, die<br />

Fähigkeit zur Organisation der eigenen<br />

Arbeit und die hohe Frustrationstoleranz<br />

zählen zu den wichtigsten<br />

Erfahrungen, die die Preisträger<br />

mitnehmen. Auch wenn<br />

Kristina, Vico oder Kai-Uwe, die<br />

eingangs genannten Preisträger,<br />

vielleicht als Überflieger erscheinen:<br />

Talent muss einem nicht unbedingt<br />

in die Wiege gelegt worden<br />

sein. „Jeder kann etwas tun“, dieser<br />

Aspekt ist Bundesbildungsministerin<br />

Annette Schavan besonders<br />

wichtig (s. Interview Seite 3).<br />

Junge Talente sind die Forscher<br />

und Künstler von morgen. Dies ist<br />

ein ganz wichtiges Signal, das der<br />

Tag der Talente ausstrahlt. So sollen<br />

Politik, Hochschulen und Wirtschaft<br />

ermutigt werden, Begabungen<br />

gezielt zu fördern und eine vorausschauende<br />

Talent- und Personalpolitik<br />

zu betreiben.<br />

www.bmbf.de/tagdertalente<br />

IMPRESSUM Eine Veröffentlichung der Tageszeitung <strong>DIE</strong> <strong>WELT</strong> Chefredakteur: Jan-Eric Peters Redaktion Sonderthemen Leitung: Astrid Gmeinski-Walter (V.i.S.d.P.), Klaus Ries (Stellvertr.) Redaktion: Uwe Sauerwein, Klaus Ries<br />

Produktion und Gestaltung: Elke Kaufmann Anzeigen: Philipp Zwez (verantw.), Stefanie Scheuer (stefanie.scheuer@axelspringer.de) Verlag und Druck: Axel Springer AG, Berlin Redaktionsschluss: 15.9.20<strong>10</strong><br />

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PA/DPA/TOBIAS HASE/SOEREN STACHE/JENS KALAENE; CHRISTIAN HAHN ; PRIVAT (3), TIPI; MONTAGE: JÖRG WIEGMANN


Seite WR2 <strong>DIE</strong> <strong>WELT</strong> T a g d e r<br />

Von Ricarda Landgrebe<br />

Vor etwa einem Jahr sitzt Florian<br />

Schober am Deich in<br />

Bremerhaven und liest in<br />

„Effie Briest“. Der Junge aus Bayern<br />

absolviert am Alfred-Wegener-Institut<br />

für Polar- und Meeresforschung<br />

ein Praktikum. In seinen<br />

freien Stunden liegt der damals 18-<br />

Jährige also auf dem Rasen und ist<br />

in den Fontane-Roman vertieft.<br />

Und plötzlich ist er da, der Einfall –<br />

und der Drang herauszufinden, ob<br />

etwas dran ist an seiner vagen Vermutung.<br />

An der Idee, Flechten als<br />

Mittel zur Rekonstruktion des Klimas<br />

zu nutzen.<br />

Während seines Praktikums lernt<br />

Florian Schober, was man aus Muschelstrukturen<br />

ablesen kann. Dem<br />

Abiturienten gefällt das Praktikum,<br />

aber irgendetwas fehlt ihm. Er will<br />

selbst etwas entdecken. Etwas ganz<br />

Eigenes. Diesen Drang verspürt er<br />

schon als Grundschulkind. Da liegt<br />

er im Sommer auf der Wiese und<br />

beobachtet Wolken. Nicht einfach<br />

so, sondern mit wissenschaftlichem<br />

Anspruch. Florian will Wetterprognosen<br />

erstellen. Akribisch misst er<br />

jede Viertelstunde die Temperatur<br />

und blickt hinauf in den Himmel.<br />

„Meine Voraussagen waren immer<br />

falsch“, erzählt er heute lachend.<br />

Im Gegensatz zu seinen kindlichen<br />

Forschungsversuchen stimmt<br />

die Idee mit den Flechten. Schober<br />

hat entdeckt, dass man Klimaveränderungen<br />

vergangener Jahrhunderte<br />

feststellen kann, indem man die<br />

Rindenstruktur der Flechten vermisst.<br />

„Das ist so ähnlich wie mit<br />

den Jahresringen bei einem Baum“,<br />

erklärt er. Die Idee, auf diese Weise<br />

Klimasituationen in der Vergangenheit<br />

nachzuvollziehen, ist eine<br />

wichtige Ergänzung zu bestehenden<br />

Methoden, weil Flechten ein<br />

hohes Alter erreichen und in fast jeder<br />

Klimazone verbreitet sind.<br />

Für diese völlig neue Methode<br />

der Klimamessung hat Florian<br />

Schober den Bundespreis „Jugend<br />

forscht“ in der Kategorie Geo- und<br />

Raumwissenschaften gewonnen.<br />

Woher sein Interesse für Naturwissenschaft<br />

rührt, kann er nicht<br />

Hobbys: Politik, Bildung – und viele <strong>Wettbewerb</strong>e gewinnen<br />

Von Sophia Seiderer<br />

Mit 20 hat sich Eray Demirtop<br />

schon mehr engagiert als<br />

so mancher 60-Jähriger.<br />

Da ist sich der junge Bremer sicher.<br />

Er sei doch das beste Beispiel dafür,<br />

dass die Thesen von Thilo Sarrazin<br />

nicht stimmen. Demirtops Eltern<br />

stammen aus der Türkei, der Vater,<br />

ein Unternehmer, kam schon als<br />

Kind nach Deutschland, die Mutter<br />

in den 1980er-Jahren. Sie ist Krankenschwester.<br />

Ihr Sohn hat gerade<br />

ein 1,0-Abitur in Bremen geschrieben,<br />

hat mit einem Jurastudium<br />

begonnen, ist soeben in<br />

die Studienstiftung des Deutschen<br />

Volkes aufgenommen worden.<br />

„Und ich bin wirklich froh,<br />

dass meine Eltern keine<br />

Akademiker sind wie bei<br />

vielen meiner Freunde.<br />

Die hatten schon mehr<br />

Druck als ich. Meine<br />

Eltern haben immer<br />

gesagt: Gib dein<br />

Bestes und wenn es<br />

nicht klappt, ist es<br />

auch okay.“ Eray<br />

Demirtop hat sein<br />

Bestes gegeben. Er hat für<br />

den <strong>Wettbewerb</strong> „Jugend forscht“<br />

untersucht, ob Bohnen unter Einfluss<br />

von klassischer Musik schneller<br />

wachsen – sie tun es tatsächlich.<br />

Da hat er den dritten Platz belegt.<br />

„Da war ich schon etwas enttäuscht,<br />

dass es nur der dritte Platz war. Für<br />

den ganzen Aufwand. Ich bin extra<br />

morgens immer früher aufgestanden,<br />

um die Bohnen mit Mineralwasser<br />

und Musik zu versorgen“,<br />

erzählt er. Doch er hat Spaß<br />

an <strong>Wettbewerb</strong>en gefunden.<br />

Und der Preis bei<br />

„Jugend forscht“ bleibt<br />

nicht sein letzter. Während<br />

seiner Schulzeit<br />

nimmt er an einer ganzen<br />

Reihe von <strong>Wettbewerb</strong>en<br />

teil. An „Jugend<br />

debattiert“,<br />

an „Jugend testet“,<br />

„Jugend<br />

musiziert“, am<br />

Demokratiewettbewerb<br />

und<br />

mit einem Projekt<br />

über die „Bremer<br />

Räterepublik“ am<br />

Geschichtswettbewerb<br />

des Bundespräsidenten.<br />

„Ein 1,0-Abiturabschluss oder eine<br />

gute Universität bringen einem<br />

vielleicht viel Anerkennung. Mir<br />

haben aber meine außerschulischen<br />

Aktivitäten und mein Engagement<br />

wesentlich mehr gebracht“,<br />

erzählt Eray Demirtop. Daran sei er<br />

persönlich gewachsen, sei mutiger<br />

geworden, selbstbewusster. Demirtop<br />

ist stellvertretender Vorsitzender<br />

der Jusos in Bremen-Nord, war<br />

lange Zeit Schülersprecher, hat Diskussionsrunden<br />

organisiert und<br />

will demnächst ein freiwilliges Projekt<br />

starten auf Europaebene.<br />

Seit diesem Semester studiert er<br />

an der Universität in Bremen.<br />

„Doch ich will nächstes Jahr wechseln“,<br />

erzählt er. Er bewerbe sich<br />

gerade an den Universitäten. An<br />

der renommierten Bucerius Law<br />

School in Hamburg und in Oxford,<br />

für Wirtschaftswissenschaften.<br />

Vielleicht will er später mal in einer<br />

Unternehmensberatung arbeiten.<br />

Langfristig aber wohl eher in<br />

der Politik, sagt Demirtop. „Wobei<br />

ich zugeben muss, dass mir so langsam<br />

schon etwas die Lust an der<br />

Politik genommen wird. Unehrlichkeit<br />

und Machtspielchen sind<br />

nicht so mein Ding.“ Für Eray, der<br />

als Vorbild Willy Brandt nennt, ist<br />

Engagement selbstverständlich,<br />

nicht nur in der Politik. „Ich könnte<br />

auch für eine Hilfsorganisation arbeiten.<br />

Ich möchte gerne etwas verändern,<br />

mich für etwas einsetzen.“<br />

Wenn er zum Tag der Talente in<br />

Berlin ist, würde er der Bildungsministerin<br />

schon gerne sagen, dass<br />

es wichtig wäre, endlich das<br />

BAföG zu erhöhen und begabte<br />

junge Menschen besser zu fördern,<br />

auch persönlich und ideell. Außerdem<br />

habe ein junger Mensch meist<br />

viele Talente. Demirtop hat zum<br />

Beispiel Chinesisch in der Schule<br />

gelernt – das würde er gerne weiter<br />

tun. „Doch dafür muss ich auch<br />

jobben gehen oder Nachhilfe geben,<br />

genauso wie für meinen Saxofon-<br />

oder Gitarrenunterricht“, sagt<br />

er. Wenn bildungsarme Kinder<br />

nicht in Bildungsarmut bleiben<br />

sollen, dann müsse man das durchbrechen.<br />

Die Autorin ist 26 Jahre alt und arbeitet<br />

als Volontärin der Axel<br />

Springer Akademie in der Redaktion<br />

Reportage und Politik der<br />

<strong>WELT</strong>-Gruppe. Ihre Ausbildung<br />

schließt sie zum Jahresende ab<br />

+<br />

Wir fahren nach<br />

Sie sind Tüftler und Denker, Forscher und Rechengenies. Sie begeistern sich für Musik, Theater und Kunst. Sie stellen Fragen nach dem Zusamm menleben in unserer Gesellschaft und zu moralischen Werten der Menschheit. Aus ganz Deutschland<br />

kommen die etwa 300 Preisträger, die am Tag der Talente in der Hauptstadt teilnehmen. Sechs Preisträger aus unterschiedlichen <strong>Wettbewerb</strong>en st tellen wir an dieser Stelle vor, porträtiert von sechs jungen Journalisten der Axel Springer Akademie<br />

Die Flechten von Bäumen erzählen<br />

vom Klima der Vergangenheit<br />

genau sagen. „Vielleicht hatte mein<br />

Vater einen Einfluss“, vermutet der<br />

19-Jährige und erzählt von den gemeinsamen<br />

Besuchen im Deutschen<br />

Museum in München. „Ich<br />

war schon immer begeistert von allem,<br />

was mit einer extrem scharfen<br />

Logik zu tun hat.“ Es gab Zeiten, in<br />

denen der Nachwuchsforscher als<br />

Streber verschrien war. „In der<br />

fünften und sechsten Klasse war es<br />

besonders schwierig“, berichtet er.<br />

„Ich habe sogar überlegt, die Schule<br />

zu wechseln.“ Aber mit der Zeit hören<br />

die fiesen Sprüche auf, Schober<br />

erfährt Anerkennung, wird sogar<br />

zum Oberstufensprecher gewählt.<br />

Wahrscheinlich, weil er Menschen<br />

mit Neugierde und Offenheit begegnet.<br />

„Ich will Menschen genauso<br />

ergründen und verstehen wie<br />

meine Forschungen.“<br />

Und so freut er sich beim Tag der<br />

Talente besonders darauf, all die<br />

anderen Teilnehmer kennenzulernen.<br />

„Ich bin vor allem auf die aberwitzigen<br />

Diskussionen gespannt“,<br />

sagt er. Wenn so viele Nachwuchsforscher<br />

zusammenkommen, könnten<br />

spannende neue Ideen entstehen.<br />

„Das beginnt dann oft schon<br />

mit der Relativitätstheorie zum<br />

Frühstück.“<br />

In seiner Freizeit macht Florian<br />

Schober Musik. Seit der zweiten<br />

Klasse spielt er Klavier. Er hat sogar<br />

schon mehrmals bei „Jugend musiziert“<br />

teilgenommen. Mittlerweile<br />

kann er sich nur noch selten ans<br />

Klavier setzen. Denn seit der Auszeichnung<br />

von „Jugend forscht“<br />

stehen viele neue Projekte an. Demnächst<br />

will er Flechten aus der Antarktis<br />

untersuchen. Im Oktober beginnt<br />

Schober in Erlangen ein Studium<br />

der Molekularen Biologie.<br />

Nur eine Sache stört ihn: „Forschen<br />

ist zu 99 Prozent nichts anderes als<br />

Daten sammeln. Wenn man manchmal<br />

nicht weiterkommt, nervt das.“<br />

Vielleicht bringt ihn „Effi Briest“ in<br />

solchen Momenten weiter.<br />

Die Autorin ist 24 Jahre alt und absolviert<br />

bis Juli 2011 ihre Ausbildung<br />

an der Axel Springer Akademie.<br />

Zurzeit arbeitet sie im Ressort<br />

Lifestyle bei BILD.de<br />

PA/DPA-TOBIAS HASE<br />

Wie viel Privatsphäre benötigt ein<br />

Fisch in seinem Schwarm?<br />

Von Jens Nagler<br />

So viel ist sicher: Lukas Dieterle<br />

ist schon durch seine Herkunft<br />

belastet. Da, wo der 20-<br />

Jährige herkommt, gibt es bei technischen<br />

Problemen eine viel beachtete<br />

Losung: „Do muasch halt no a<br />

bissle tüftla!“ Tüftler sind sie in Baden-Württemberg.<br />

Schließlich<br />

kommen große Erfinder wie Gottlieb<br />

Daimler, Carl Benz oder Robert<br />

Bosch aus dem Ländle. Namen, die<br />

heute für große Arbeitgeber stehen.<br />

Von daher ist es beinahe logisch,<br />

dass Lukas Dieterle den Bundespreis<br />

bei „Jugend forscht“ gewonnen<br />

hat. Dieterle kommt aus Unadingen<br />

im Südschwarzwald, zwischen<br />

Donaueschingen und Titisee-Neustadt<br />

gelegen. Trotzdem<br />

unterscheidet sich Dieterles Leistung<br />

von denen der oben genannten<br />

Industrie-Riesen. Autos und Motorsägen<br />

kann der Mensch greifen,<br />

er weiß, was er damit tun kann. Dieterle<br />

hingegen erforscht etwas, dessen<br />

Nutzen sich nicht sofort erschließt.<br />

Er untersucht das<br />

„Schwarmverhalten von Fischen in<br />

Wasser und Silizium“.<br />

„Ja, das klingt schon etwas abstrakt“,<br />

gibt der junge Mann zu. Das<br />

Wort „etwas“ erscheint dabei zunächst<br />

wie die Untertreibung des<br />

Jahres. Dieterle versucht zu erklären:<br />

„In der Realität geht es darum,<br />

das Schwarmverhalten von Fischen<br />

zu beobachten und am Computer<br />

zu simulieren.“ Weil Dieterle schon<br />

in der Schule ein Faible für Biologie<br />

und Physik hatte, ist ihm die Frage<br />

nach dem Sinn des Ganzen nicht<br />

ganz geheuer. Mit purem Selbstverständnis<br />

sagt er: „Damit legt man<br />

Grundlagen in der Verhaltensforschung.<br />

Es gibt dadurch eine neue<br />

Definition von Schwarmverhalten,<br />

mit der sich weitere Definitionen<br />

erarbeiten lassen.“<br />

Dieterle und seine Mit-Forscher<br />

Thomas Irion und Florian Schreier<br />

wollten es genau wissen. Auf die<br />

Idee kamen sie durch ihren damali-<br />

JUGEND FORSCHT<br />

gen Mathe-Lehrer, der im Unterricht<br />

einmal einen Fisch-Schwarm<br />

simulierte. „Der war ganz stolz“,<br />

feixt Dieterle, „aber wir haben<br />

gleich gedacht, dass sich seine Fische<br />

völlig unrealistisch bewegen<br />

und gesagt: Das können wir besser!“<br />

So fanden sie beispielsweise<br />

heraus, dass man bei Sumatrabarben<br />

ab acht Fischen von einem<br />

Schwarm sprechen kann. Dieterle:<br />

„Uns geht es dabei nicht nur um<br />

den Abstand, sondern tatsächlich<br />

um eine Privatsphäre der Fische.“<br />

Heißt: Wie viel Freiraum braucht<br />

ein Fisch um sich herum, der ihn<br />

aber gleichzeitig noch Teil des<br />

Schwarms sein lässt? Spätestens<br />

hier hört es auf, abstrakt zu sein:<br />

Das unterschiedliche Verhalten der<br />

Fische lasse Rückschlüsse auf den<br />

Menschen zu, sagt Dieterle: „In unterschiedlichen<br />

Kulturkreisen<br />

brauchen die Menschen unterschiedlich<br />

viel Privatsphäre. Wenn<br />

sich zum Beispiel Südländer unterhalten,<br />

gehen sie viel näher an den<br />

Gesprächspartner heran, als Deutsche<br />

das für gewöhnlich tun.“<br />

Für seine Forschungsarbeit maß<br />

Dieterle anfangs Fotos mit einem<br />

Geodreieck ab und übertrug die Ergebnisse<br />

in Tabellen. „Wir haben<br />

uns zweimal die Woche getroffen<br />

und saßen immer so zwei bis vier<br />

Stunden zusammen. Vor rund drei<br />

Jahren ging das los.“ Nebenher trainierte<br />

der Fan des SC Freiburg noch<br />

ein Jugendteam des SV Unadingen<br />

und spielte selbst aktiv Fußball.<br />

Leidtragende war vor allem Freundin<br />

Fabienne. „Sie hat das aber mit<br />

mir durchgestanden“, sagt Dieterle<br />

mit einem Augenzwinkern, „als ich<br />

ihr erzählt habe, dass wir Bundessieger<br />

geworden sind, dachte sie<br />

dann erst, ich verarsche sie.“<br />

Hat er nicht. Mittlerweile haben<br />

die drei Jung-Forscher eine Software<br />

entwickelt, mit der sich das<br />

Schwarmverhalten der Fische simulieren<br />

lässt. Dieterle ist sicher,<br />

dass dies auch für Menschen von<br />

Bedeutung sein kann. Mehr noch:<br />

Ein Unglück wie die Tragödie auf<br />

der Loveparade, so der junge Wissenschaftler,<br />

hätte verhindert werden<br />

können – durch eine Analyse<br />

des Schwarmverhaltens. „Bei solchen<br />

Veranstaltungen könnte man<br />

die durchschnittliche Privatsphäre<br />

berechnen, die jeder Besucher um<br />

sich herum braucht“, erklärt Dieterle.<br />

„Kameras könnten die Szenerie<br />

dann beobachten und sofort Alarm<br />

schlagen, wenn das Minimum an<br />

Privatsphäre unterschritten wird.“<br />

Spätestens, wenn diese Erfindung<br />

Leben rettet, wird klar: Baden-<br />

Württemberg hat den nächsten großen<br />

Tüftler hervorgebracht.<br />

Der Autor ist 26 und arbeitet als<br />

Volontär in der Sportredaktion der<br />

„Bild“ in Stuttgart. Seine Ausbildung<br />

an der Axel Springer Akademie<br />

endet im Sommer 2011<br />

PRIVAT<br />

Von Maria Gerber<br />

Es ist dieser Lena-Effekt, der<br />

auch bei Julienne Mbodjé<br />

wirkt. Die Grand-Prix-Gewinnerin<br />

Lena Meyer-Landrut<br />

wirkt authentisch und liebenswert<br />

und gewinnt sofort alle Sympathien.<br />

So ist das auch, wenn man die<br />

14-jährige Julienne zum ersten Mal<br />

trifft. Innerhalb von sieben Sekunden<br />

hat sie einen um den Finger gewickelt.<br />

Sie selbst würde das natürlich<br />

bestreiten. „Ich bin Juli, 14 Jahre<br />

alt und mein Leben ist Musik. Ach<br />

ja, und ich finde, ich bin ganz schön<br />

selbstständig“, sagt Julienne. Seit<br />

Februar lebt sie in Berlin und besucht<br />

das Musikgymnasium Carl<br />

Von Nina Paulsen<br />

Das Ende der Geschichte hat<br />

Kreske Lütgens offen gelassen.<br />

Ganz bewusst. Weil<br />

sich die blonde Mutter in ihrem<br />

Storyboard dagegen entschieden<br />

hat, dem bettelnden Kind zu helfen,<br />

steht am Ende schwarz auf weiß die<br />

große Frage: Ist es an der Zeit für<br />

neue moralische Werte? „Das muss<br />

sich jeder selbst überlegen“, sagt<br />

Kreske und gibt damit Denkanstöße.<br />

Auch deshalb zählt ihr Storyboard<br />

beim Europäischen <strong>Wettbewerb</strong><br />

zu den besten Arbeiten.<br />

Auch wie Kreskes eigene Geschichte<br />

weitergeht, ist offen. Sie ist<br />

19 Jahre alt, hat das Abitur in der Tasche<br />

und ein ganzes Leben vor sich.<br />

Sie weiß noch nicht, wohin sie ihre<br />

Reise führen wird. Ob sie tatsächlich<br />

Kunst studieren will oder etwas<br />

anderes. Ob es sie nach Kiel zieht,<br />

das nahe ihrer Heimatstadt Kronshagen<br />

liegt, oder doch den Schritt<br />

nach Hamburg an die Elbe wagt.<br />

Oder soll es lieber erst mal ins Ausland<br />

gehen? Vielleicht. Vielleicht<br />

auch nicht. Kreske hat noch keinen<br />

klaren Fahrplan. Nur eines steht<br />

bislang unumstößlich fest: Wichtig<br />

„Ich bin Juli, 14 Jahre alt, und<br />

mein Leben ist Musik“<br />

Philipp Emanuel Bach, das mit der<br />

Hanns-Eisler-Hochschule für Musik<br />

kooperiert. Neben dem normalen<br />

Unterricht studiert Julienne im<br />

Hauptfach Gesang und kann sich<br />

somit schon jetzt auf ihr Musikstudium<br />

vorbereiten.<br />

Wer das hübsche Mädchen aus<br />

Niedersachsen kennenlernt, das im<br />

Gespräch oft lächelt und überhaupt<br />

ganz nett und unkompliziert wirkt,<br />

verschätzt sich. Julienne ist nicht<br />

das Girl-next-Door, das von einer<br />

Karriere als Pop-Sternchen träumt.<br />

Das wird einem schlagartig klar,<br />

wenn man sie singen hört. Ihre tiefe<br />

Stimme ist so voluminös, dass man<br />

meint, sie hätte einen riesigen<br />

Klangkörper. Dabei hat sie eine<br />

ist die Kunst – das war bei ihr schon<br />

immer so.<br />

Bereits als Kind hat Kreske gern<br />

gemalt und gezeichnet. Auf dem<br />

Gymnasium war deshalb auch<br />

schnell klar, dass Kunst das erste<br />

Leistungsfach sein würde. Heute<br />

arbeitet sie am liebsten mit Acryl<br />

und hat in Berlin, beim Tag der Talente,<br />

auch einen Design-Workshop<br />

belegt. „Ich bin gespannt, was dort<br />

passieren wird und was man dort<br />

lernen kann“, sagt sie.<br />

Im Moment absolviert Kreske ein<br />

freiwilliges kulturelles Jahr in einem<br />

kleinen Kulturbüro im Nordseestädtchen<br />

Niebüll. Bis zum<br />

nächsten August wird das dauern.<br />

Und danach geht es weiter. Irgendwie,<br />

irgendwo. Eine klare Linie, die<br />

zierliche Statur. Wer der raumgreifenden<br />

Stimme lauscht, wird nebenher<br />

schlecht etwas anders machen<br />

können: außer zuhören und<br />

vielleicht etwas melancholisch<br />

werden. „Ich mag meine Stimme<br />

und bin froh, dass ich sie habe. Das<br />

klingt vielleicht ein bisschen eingebildet“,<br />

sagt Julienne und klingt dabei<br />

überhaupt nicht eingebildet.<br />

Wenn sie übt, dann hört sie ihre<br />

Stimme gern, aber sie findet es<br />

schrecklich, sich selbst auf Band zu<br />

hören. „Ich habe keinen festen Plan<br />

für jeden Tag, der mir vorschreibt,<br />

wann und wie viel ich singen muss.<br />

Ich übe zwar jeden Tag, mal in der<br />

Schule, mal zu Hause, aber manchmal<br />

singe ich nur 20 Minuten in<br />

Kreske jedoch immer im Kopf behalten<br />

wird, führt von Amsterdam<br />

via Brüssel, Lyon und Marseille<br />

über Barcelona und Lissabon bis<br />

nach Paris. Drei Wochen war sie<br />

mit einer Freundin auf dieser Route<br />

unterwegs – mit einem Interrail-Ticket<br />

der Bahn. Ein Abenteuer, das<br />

dadurch noch abenteuerlicher wurde,<br />

dass die Mädchen jede Nacht<br />

bei einem anderen Menschen auf<br />

dem Sofa übernachtet haben.<br />

„Couchsurfing“ heißt diese Art zu<br />

Reisen, quasi die moderne Form<br />

des klassischen Rucksacktourismus.<br />

„Wir haben so viele interessante<br />

und nette Leute kennengelernt“,<br />

erzählt Kreske. Eine Panne<br />

allerdings passierte in Barcelona:<br />

„Da haben sie uns die Schuhe geklaut.“<br />

Die Reise war für Kreske der Aufbruch<br />

in ihr Leben nach dem Gymnasium.<br />

Eine ihrer letzten Amtshandlungen<br />

dort war das Anfertigen<br />

ihres Storyboards. Im Kunst-<br />

Leistungskurs, als Schulaufgabe.<br />

„Zwei Wochen vor der Abi-Prüfung<br />

hat uns der Lehrer vom Europäischen<br />

<strong>Wettbewerb</strong> erzählt. Wir<br />

sollten uns alle einen Beitrag überlegen<br />

und die besten hat er dann<br />

meinem m Zimmer und wenn ich<br />

dann d mit dem Fahrrad in die Stadt<br />

fahre, f dann summe ich eben auf<br />

dem d Fahrrad weiter.“ Es sei praktisch,<br />

t dass sie ihr Instrument, ihre<br />

Stimme, S immer dabeihabe.<br />

Mit diesem Instrument hat Julienne<br />

e auch schon einige Preise abgeräumt.<br />

r Beim <strong>Wettbewerb</strong> „Jugend<br />

musiziert“ m holte sie in der Kategorie<br />

r „Pop-Gesang“ die höchstmögliche<br />

c Punktzahl und trug den Bundessieg<br />

d davon. Mit dem Titel „Out<br />

here h on my own“ aus dem Musical<br />

„Fame“ „ gewann sie den NDR-Kulturradio-Preis.<br />

t<br />

„Alle in meiner Familie<br />

m sind stolz auf mein Talent“,<br />

sagt s die 14-Jährige, die eigentlich<br />

auch a eine gute Naturwissenschaft-<br />

Viele kleine Bilder lassen de en Betrachter nach neuen Werten fragen<br />

SCHMIDT-DOMINE;PRIVAT<br />

T a l e n t e<br />

Berlin!<br />

eingeschickt“, e<br />

sagt Kreske. Zwei<br />

Wochen W vor der Abi-Prüfung – eine<br />

Zeit, Z in der sie und ihre Mitschüler<br />

eigentlich e andere Dinge im Kopf<br />

hatten h und ihnen der Stress der<br />

Klausurenzeit K<br />

in den Knochen<br />

steckte. s „Ein bisschen merkwürdig<br />

war w diese Aufgabe zu diesem Zeitpunkt<br />

p schon“, sagt die 19-Jährige.<br />

Aber weil sie gerade in Sachen<br />

Kunst K immer gern mit viel Liebe<br />

zum z Detail an die Arbeit geht, hat<br />

sie s auch in dieses Werk so viel<br />

Energie E gesteckt, wie sie parallel<br />

zum z Abi-Stress abzwacken konnte.<br />

15 1 Punkte bekam Kreske vom Lehrer<br />

r für ihr Storyboard, das beim Europäischen<br />

r <strong>Wettbewerb</strong> als „Beste<br />

Arbeit A des Themas“ ausgezeichnet<br />

wurde. w<br />

Kunst, das wusste schon Friedrich<br />

r Schiller, ist eine Tochter der<br />

Freiheit. F Kreske ist frei. Sie wird<br />

noch n viel Kunst hervorbringen. So<br />

viel v ist sicher.<br />

Die D Autorin ist 27 Jahre alt und arbeitet<br />

b als Volontärin in der Wirtschafts-Redaktion<br />

s<br />

des „Hamburger<br />

Abendblatts“. A<br />

Ihre Ausbildung an<br />

der d Axel Springer Akademie wird<br />

sie s im Dezember abschließen<br />

lerin hätte werden können. Ihre beiden<br />

Tanten und die Mutter sind Mathematikerinnen;<br />

der Vater arbeitet<br />

im kaufmännischen Bereich, ihre<br />

Schwester studiert Internationales<br />

Management. „Ich wollte immer<br />

singen und habe schon mit drei Jahren<br />

im Kinderchor mitgemacht.“<br />

Das Einzige, was ihr schwerfällt,<br />

sind die Fächer Physik und Chemie.<br />

Da liegt ihr der Workshop „Dramaturgie<br />

und Gesang“, den sie beim<br />

Tag der Talente besuchen wird, wesentlich<br />

mehr. „Ich weiß noch gar<br />

nicht genau, was mich dort erwartet,<br />

aber ich finde es toll, dass dort<br />

so unterschiedliche Leute aus allen<br />

möglichen Bereichen zusammentreffen.<br />

Es wird bestimmt super.“<br />

Das klingt nach echter Vorfreude.<br />

Kein Wunder, denn vor Julienne liegt<br />

ein Wochenende voller Gesang.<br />

Nur einmal während des Gesprächs<br />

wird Julienne Mbodjé für<br />

wenige Augenblicke nachdenklich:<br />

auf die Frage, was sie machen würde,<br />

wenn es mit dem Gesangsstudium<br />

doch nicht klappen sollte. „Darüber<br />

habe ich noch nie nachgedacht“, sagt<br />

sie. „Etwas anderes als Gesang kann<br />

ich mir nicht vorstellen.“<br />

Die Autorin ist 28 Jahre und arbeitet<br />

als Volontärin der Axel Springer<br />

Akademie zurzeit in der Wissenschaftsredaktion<br />

der <strong>WELT</strong>-Gruppe.<br />

Ihre Ausbildung wird sie Ende des<br />

Jahres abschließen<br />

CHRISTIAN HAHN<br />

Schlaue Schwestern holen<br />

Medaillen in Mathe und Physik<br />

Von Benjamin Gajkowski<br />

Es fing alles mit einer Acht an.<br />

Einem Fahrstuhl. Und einem<br />

Spieltelefon aus Plastik. Das<br />

war vor knapp 16 Jahren. Lisa Sauermann<br />

(Foto links) war gerade einmal<br />

ein Jahr und drei, vielleicht auch<br />

vier Monate alt. Da erkannte sie die<br />

Zahl auf der Anzeige im Fahrstuhl,<br />

jedes Mal, wenn ihr Vater mit ihr<br />

hinauffuhr in die Dresdner Wohnung<br />

im achten Stock. Und dann<br />

sagte sie immer, was sie da sah: die<br />

Zahl Acht. „Na ja, zumindest habe<br />

ich irgendetwas gebrummelt“, sagt<br />

Lisa Sauermann. „Zunächst noch<br />

vollkommen unverständlich für<br />

meine Eltern.“<br />

Zumindest bis Weihnachten 1995.<br />

Denn da bekam sie ein Plastikspielzeugtelefon<br />

geschenkt. Da war Lisa<br />

eineinhalb Jahre alt. „Und als ich damit<br />

gespielt habe, muss ich wohl die<br />

Acht wiedererkannt haben“, sagt Lisa<br />

Sauermann. „Denn jedes Mal,<br />

wenn ich die Zahl auf dem Telefon<br />

berührte, murmelte ich die gleichen<br />

Laute, wie im Fahrstuhl. Ich habe<br />

die Zahl also wiedererkannt.“<br />

Seitdem ist viel passiert. Lisa Sauermann<br />

hat drei Goldmedaillen gewonnen<br />

und eine Silbermedaille bei<br />

insgesamt vier Mathematik-Olympiaden,<br />

bei denen sie in den letzten<br />

Jahren angetreten ist. Einem <strong>Wettbewerb</strong>,<br />

bei dem sich die besten<br />

Schüler der ganzen Welt messen.<br />

Seit 1959 schickt jedes Land sechs<br />

Jugendliche dorthin. 2007 nach Hanoi.<br />

2008 nach Madrid. 20<strong>09</strong> nach<br />

Bremen. Und 20<strong>10</strong> nach Astana, im<br />

Norden Kasachstans. Im <strong>Wettbewerb</strong><br />

muss jeder Schüler zwei Klausuren<br />

mit jeweils drei Aufgaben lösen.<br />

Und das unter Zeitdruck: In nur<br />

viereinhalb Stunden müssen die<br />

Aufgaben geknackt sein.<br />

„Aber das kenne ich mittlerweile“,<br />

sagt Lisa Sauermann. „Das übt<br />

man automatisch, wenn man sich<br />

auf den <strong>Wettbewerb</strong> vorbereitet. Da<br />

wird man nicht mehr nervös, wenn<br />

man eine Stunde vor einem Blatt Papier<br />

sitzt und einem nichts einfällt.<br />

Denn irgendwann, ganz plötzlich,<br />

ist die Aufgabe gelöst.“<br />

So wie bei der sogenannten Grashüpfer-Aufgabe<br />

bei der letzten Ma-<br />

+<br />

thematik-Olympiade. Eine der kompliziertesten<br />

Rechnungen in dem<br />

Jahr, die zugleich als zweitschwierigste<br />

Rechnung in der gesamten<br />

Olympiade gilt. So komplex, dass<br />

nur drei Teilnehmer sie lösen konnten.<br />

Lisa war eine davon. „Das fühlt<br />

sich dann furchtbar toll an. Denn<br />

dann ist die Lösung auf einen Schlag<br />

da. Wie aus dem Nichts“, sagt Lisa,<br />

die am Mathematikunterricht mittlerweile<br />

nicht mehr mitmachen<br />

muss „und dort nur noch mit einem<br />

Viertel Ohr zuhört“ – eine Abmachung<br />

mit der Lehrerin.<br />

Ob sie denn täglich Mathematik<br />

büffelt? „Nein“, sagt Lisa Sauermann.<br />

„Das ist ja nicht so wie bei einem<br />

Leistungssportler. Die bauen<br />

viel schneller ab. Nur vor der Olympiade,<br />

da hänge ich mich schon<br />

mehr rein. Und löse Aufgaben, die<br />

ich mir aus dem Internet besorge.“<br />

Mit ihrer Begabung ist Lisa in ihrer<br />

Familie kein Einzelfall. Ihre jüngere<br />

Schwester Anne Sauermann ist<br />

genauso talentiert. Aber nicht in<br />

Mathematik, sondern in Physik. Die<br />

15-Jährige hat schon bei der „International<br />

Junior Science Olympiade“<br />

(IJSO) teilgenommen, einem <strong>Wettbewerb</strong>,<br />

bei dem sich Schüler unter<br />

16 Jahren in Biologie, Physik und<br />

Chemie messen, indem sie theoretische<br />

Aufgaben lösen und ein Experiment<br />

durchführen müssen. Anne<br />

Sauermann hat dort eine Gold- und<br />

eine Silbermedaille gewonnen.<br />

Was die beiden nach ihrem Abitur<br />

machen wollen, wissen sie auch<br />

schon. Studieren. Anne entweder<br />

Physik oder physikalische Chemie<br />

oder Materialwissenschaften. Auf<br />

jeden Fall etwas naturwissenschaftliches.<br />

Lisa Mathematik. In welcher<br />

Stadt, dass wisse sie aber noch<br />

nicht. Aber „auf jeden Fall hier in<br />

Deutschland“. Und nach dem Abschluss<br />

vielleicht gleich an der Universität<br />

bleiben, dort arbeiten, forschen.<br />

„Das wäre schon was“, sagt<br />

Lisa. Aber bis dahin ist ja noch Zeit.<br />

Und es gibt noch jede Menge Olympiaden.<br />

Der Autor ist 29 Jahre alt, Volontär<br />

an der Axel Springer Akademie,<br />

seine Stammredaktion ist die<br />

<strong>WELT</strong>-Gruppe<br />

Talentschmiede<br />

■ Alle Porträts der Preisträger auf<br />

dieser Doppelseite stammen von<br />

Studenten der Axel Springer Akademie,<br />

Deutschlands modernster Journalistenschule.<br />

Die Plätze an der Akademie<br />

sind begehrt: Jedes Jahr werden<br />

aus Hunderten von Bewerbern<br />

die 40 besten Talente ausgesucht.<br />

Während der zweijährigen Ausbildung<br />

lernen junge Journalisten das Handwerk<br />

von Grund auf, einen Schwerpunkt<br />

bildet die Crossmedia-Ausbildung.<br />

Gerade hat ein Lehrgang für<br />

seine Abschluss-Website den renommierten<br />

Grimme-Preis gewonnen. Die<br />

Akademie wurde für „Einfallsreichtum<br />

und visionäres Denken“ mit dem<br />

Innovationspreis der Initiative „Land<br />

der Ideen“ ausgezeichnet. Sie unterhält<br />

eine Exklusiv-Partnerschaft mit<br />

der Columbia School of Journalism –<br />

jeder Lehrgang reist am Ende der<br />

Ausbildung nach New York. Die Axel<br />

Springer Akademie ist weltweit die<br />

einzige Journalistenschule, deren<br />

Studenten eine eigene Tageszeitung<br />

produzieren, <strong>WELT</strong> KOMPAKT. Daneben<br />

ist sie ein Thinktank des Verlags<br />

und Vorreiter bei der Entwicklung<br />

neuer journalistischer Formate. Weitere<br />

Informationen, auch zu Praktika<br />

und Hospitanzen, unter:<br />

www.axel-springer-akademie.de<br />

PRIVAT<br />

PA/DPA/STACHE<br />

<strong>DIE</strong> <strong>WELT</strong>: Frau Bundesministerin,<br />

viele Schüler und Schulabgänger<br />

gelten als bildungsschwach. Ist ein<br />

Tag der Talente in dieser Situation<br />

das richtige Signal?<br />

Annette Schavan: Ja, es ist das richtige<br />

Signal. Die Preisträgerinnen und<br />

Preisträger spüren, dass wir ihre<br />

Leistungen wahrnehmen – und wie<br />

wichtig sie für unser Land sind. Wir<br />

senden damit auch das Signal aus,<br />

dass sich Leistung lohnt. Der Tag<br />

der Talente zeigt sehr eindrucksvoll,<br />

wie vielfältig die Begabungen<br />

in unserem Land sind. Dabei ist mir<br />

auch wichtig, dass deutlich wird: Jeder<br />

kann etwas leisten.<br />

Die deutsche Wirtschaft lebt vom<br />

Erfindungsreichtum im Lande,<br />

braucht also die Begabten. Werden<br />

diese wiederum genug gefördert?<br />

Schavan: Die Bundesregierung fördert<br />

begabte junge Menschen auf<br />

vielfältige Weise: Zuallererst sind<br />

da natürlich die Begabtenförderungswerke,<br />

die das Bundesministerium<br />

für Bildung und Forschung<br />

(BMBF) mit Stipendienmitteln für<br />

rund 23 000 Studierende und 3700<br />

Promovierende unterstützt. Dazu<br />

kommen Initiativen wie die Begabtenförderung<br />

Berufliche Bildung,<br />

das Aufstiegsstipendium und das<br />

nationale Stipendienprogramm.<br />

Die deutsche Wirtschaft und der<br />

Bund unterstützen mit diesem neuen<br />

Programm künftig gemeinsam<br />

besonders begabte Studierende mit<br />

je 300 Euro im Monat. Unser Ziel ist<br />

es, später einmal acht Prozent eines<br />

Studentenjahrgangs mit diesem<br />

neuen Programm zu fördern. Dafür<br />

brauchen wir in Deutschland eine<br />

neue Stipendienkultur.<br />

Sollten Studiengebühren bundesweit<br />

abgeschafft werden?<br />

Schavan: Studiengebühren können<br />

den Universitäten helfen, die Studienbedingungen<br />

zu verbessern. Ich<br />

stelle bei meinen Besuchen an Universitäten<br />

immer wieder fest, dass<br />

sich Ausstattung und Angebot<br />

durch Studiengebühren deutlich<br />

verbessert haben. Damit niemand<br />

aus finanziellen Gründen auf ein<br />

Studium verzichtet, gibt es ja auch<br />

das BAföG und die KfW-Studienkredite.<br />

Und die besonders begabten<br />

Studierenden konnten schon<br />

immer ein Stipendium der Begabtenförderungswerke<br />

beantragen<br />

und bekommen künftig zusätzliche<br />

Unterstützung durch das nationale<br />

Stipendienprogramm.<br />

Der Staat kann nicht alles regeln.<br />

Was können Eltern für ihre begabten<br />

Kinder tun?<br />

September 20<strong>10</strong><br />

Bundesministerin für Bildung und Forschung: Prof. Dr. Annette Schavan (CDU)<br />

„Wir senden ein Signal aus, dass<br />

sich Leistung lohnt“<br />

Bundesministerin Annette Schavan im Gespräch<br />

Zur Person<br />

■ Annette Schavan, geboren 1955 in<br />

Jüchen, Kreis Neuss, studierte<br />

Erziehungswissenschaft, Philosophie<br />

und katholische Theologie und<br />

promovierte 1980 mit einer Arbeit<br />

über Gewissensbildung. Danach<br />

arbeitete sie u. a. für die Bischöfliche<br />

Studienförderung Cusanuswerk,<br />

dessen Leiterin sie später<br />

wurde. 1987 bis 1988 war sie<br />

Bundesgeschäftsführerin der Frauen-Union<br />

sowie 1994 bis 2005<br />

Vizepräsidentin des Zentralkomitees<br />

der Deutschen Katholiken. Seit<br />

1998 ist sie stellvertretende CDU-<br />

Vorsitzende. Von 1995 bis 2005<br />

war sie Kultusministerin in Baden-<br />

Württemberg, bevor sie im November<br />

2005 Bundesministerin für<br />

Bildung und Forschung wurde.<br />

Schavan: Eltern kommt in der Förderung<br />

ihrer Kinder natürlich eine<br />

Schlüsselrolle zu. Insofern tragen<br />

Eltern für die Bildung ihrer Kinder<br />

eine große Verantwortung. Anregungen<br />

aus dem Elternhaus sind für<br />

die Kinder eine wichtige frühe Förderung.<br />

Aber nicht alle Eltern können<br />

diese Anregungen geben. Da<br />

müssen zusätzlich Kindergärten<br />

und Schulen möglichst früh individuell<br />

fördern.<br />

Und was können begabte Kinder<br />

selbst tun, um ihrem Talent entsprechend<br />

vorwärtszukommen?<br />

Schavan: Manche Menschen denken,<br />

dass begabten Kindern alles<br />

zufällt und sie nichts für ihre Leistungen<br />

tun müssen. Das ist aber<br />

falsch. Talent allein führt nicht automatisch<br />

zu Erfolgen. Kinder brauchen<br />

Unterstützung von anderen,<br />

aber vor allem brauchen sie ihre<br />

Neugier und damit die Bereitschaft<br />

zum Lernen. Drei Punkte nennen<br />

mir junge Talente immer wieder:<br />

Durchhaltevermögen, wenn einmal<br />

etwas schiefgeht, Disziplin, immer<br />

an sich zu arbeiten, und auch Mut,<br />

Neues zu denken.<br />

Millionen junger Menschen beziehen<br />

ihren Talent-Begriff aus TV-<br />

Sendungen mit „Superstar“- oder<br />

„Model“-Titeln.<br />

Schavan: Um bei solch einer Sendung<br />

erfolgreich abzuschneiden,<br />

braucht man sicherlich auch Talent.<br />

Forscherinnen und Forscher brauchen<br />

allerdings eine andere Art von<br />

Talent. Für die Wissenschaft wäre<br />

es gut, wenn auch Forscher in der<br />

Gesellschaft als Stars angesehen<br />

würden – und nicht nur Sängerinnen<br />

und Fußballspieler. Schließlich<br />

schaffen junge Forscherinnen und<br />

Forscher die Grundlagen für den<br />

Wohlstand von morgen.<br />

Jetzt findet das fünfte Treffen für<br />

unsere jungen Begabten in Berlin<br />

statt – welche Lehren können Sie<br />

für Ihre Arbeit daraus ziehen?<br />

Schavan: Ich sehe jeden Tag der Talente<br />

als Bestätigung dafür, dass der<br />

eingeschlagene Kurs der richtige<br />

ist. Unser Land hat keine Rohstoffe.<br />

Es ist auf die Talente seiner Bürgerinnen<br />

und Bürger angewiesen.<br />

Diese vollbringen die Leistungen,<br />

die Deutschland voranbringen und<br />

unsere Zukunft sichern. Gerade die<br />

jungen Talente müssen wir stärken,<br />

damit sie weitermachen. Dass zum<br />

fünften Mal 300 Jugendliche unserer<br />

Einladung gefolgt sind, zeigt,<br />

welches Potenzial wir haben.<br />

PA/DPA-SOEREN STACHE<br />

Die Fragen stellte Klaus Ries<br />

Experiment mit Schülerin im August beim<br />

Jugendkongress zum Wissenschaftsjahr


Seite WR4 <strong>DIE</strong> <strong>WELT</strong> September 20<strong>10</strong><br />

Tag der Talente<br />

2003 gewann Andreas Neuzner mit seinem solarbetriebenen MP3-Player bei „Jugend forscht“. Der heute 25-Jährige (kleines Foto) arbeitet im Max-Planck-Institut an seiner Promotion<br />

Tor zur Welt der Wissenschaft<br />

Wie Andreas Neuzner,<br />

ehemaliger Preisträger bei<br />

„Jugend forscht“, mit Hilfe<br />

seiner frühen Erfolge nun<br />

Karriere als Physiker macht<br />

Von Carola Schüren<br />

Schon immer war die Elektronik<br />

seine Spielwiese. Das<br />

fing in der Kindheit an.<br />

Häufig durfte Andreas<br />

Neuzner (heute 25) seinen Vater zur<br />

Arbeit begleiten, der als Arzt in einem<br />

Krankenhaus arbeitete – und<br />

bald konnte der kleine Junge einen<br />

Defibrillator von einem EKG unterscheiden.<br />

„Das war für mich wie eineRaumschiff-Enterprise-Szenerie“,<br />

sagt Neuzner.<br />

Später ging er auf das Weidig-<br />

Gymnasium in Butzbach bei Gießen<br />

und besuchte dort die Elektronik-<br />

AG, die von einem Physiklehrer angeboten<br />

wurde. Neuzner lernte einige<br />

Grundlagen und erkannte, dass<br />

er elektronische Erfindungen mit<br />

seinem Taschengeld finanzieren<br />

konnte. „Denn viele der standardisierten<br />

Bauelemente sind spottbillig“,<br />

sagt Neuzner.<br />

Als die Schul-AG irgendwann<br />

nicht mehr angeboten wurde, bastelte<br />

er einfach zu Hause weiter. Für<br />

Von Sebastian Geisler<br />

Firmen leben von den Fähigkeiten<br />

und dem Einsatz ihrer Mitarbeiter.<br />

Logisch, dass jedes Unternehmen<br />

versucht, die möglichst besten<br />

Nachwuchskräfte zu sich zu holen.<br />

Doch die muss man unter den zahlreichen<br />

Bewerbern erst mal finden.<br />

So genannte Assessment-Center<br />

mit Denkaufgaben und gruppendynamischen<br />

Tests sind in größeren<br />

Konzernen längst Standard. Trotzdem<br />

wird es für die Unternehmen<br />

schwieriger, aussichtsreichen<br />

Nachwuchs zu gewinnen: Laut einer<br />

Erhebung des Deutschen Industrie-<br />

und Handelskammertags<br />

melden bereits jetzt 70 Prozent der<br />

1600 befragten Unternehmen Probleme<br />

bei der Besetzung von Stellen<br />

mit Fachkräften an. Und durch<br />

den demografischen Wandel wird<br />

die Lücke in Zukunft noch weiter<br />

auseinanderklaffen, bis 2030 könnten<br />

sechs Millionen Arbeitskräfte<br />

zwischen 20 und 64 Jahren fehlen.<br />

Umso wichtiger ist es für die Firmen,<br />

junge Talente zu entdecken<br />

und an sich zu binden. „Es ist wichtig,<br />

das gesamte Spektrum an Talenten<br />

auszuschöpfen. Besonders leis-<br />

50 Euro ersteigerte der Schüler bei<br />

Ebay ein Oszilloskop, er kaufte sich<br />

einen Lötkolben und baute eine<br />

Fernbedienung für seinen Computer.<br />

„Ich fand die Elektronik dahinter<br />

spannend“, sagt er.<br />

Diese Neugier blieb auch später<br />

seine Motivation – und wenn Neuzner<br />

für neue Erkenntnisse mal einen<br />

etwas teureren Mikrochip benötigte,<br />

schrieb er diverse Firmen im<br />

Ausland an. „Als Schüler hat man<br />

damals bei vielen Unternehmen offene<br />

Türen eingerannt“, erinnert<br />

sich Neuzner, „ich habe nicht nur<br />

das Material, sondern oft auch sehr<br />

nette Briefe bekommen.“<br />

Auch deutsche Firmen waren<br />

darunter – vonseiten der Schule jedoch<br />

gab es selten Interesse und<br />

kaum aktive Förderung des findigen<br />

Jugendlichen. Bis Andreas Neuzner<br />

den Bundessieg bei „Jugend<br />

forscht“, dem größten europäischen<br />

Jugendwettbewerb, im Bereich<br />

Naturwissenschaften und<br />

Technik gewann. „Das war 2003 und<br />

plötzlich schrieb sich sogar das<br />

tungsstarke Jugendliche für die betriebliche<br />

Ausbildung zu motivieren,<br />

ist ebenso wichtig wie die<br />

individuelle Förderung Leistungsschwacher<br />

schon in der Schule“,<br />

sagt Barbara Dorn, Leiterin der Bildungsabteilung<br />

der Bundesvereinigung<br />

der Deutschen Arbeitgeberverbände<br />

(BDA). Eine bewährte, attraktive<br />

Möglichkeit für Jugendliche<br />

ist etwa das Duale Studium, das<br />

eine klassische betriebliche Ausbildung<br />

mit einem Hochschulstudium<br />

verbindet. „Aber auch während einer<br />

normalen betrieblichen Ausbildung<br />

ist es wichtig, dass junge Menschen,<br />

die besonders begabt sind,<br />

auch besonders gefördert werden“,<br />

so Dorn. So bieten Firmen ihren<br />

Nachwuchskräften etwa Sprachkurse<br />

oder Ausbildungsabschnitte<br />

im Ausland oder schulen unternehmerische<br />

Fähigkeiten in selbst verantworteten<br />

Azubi-Firmen.<br />

Noch weiter geht die Deutsche<br />

Telekom, mit rund <strong>10</strong> 000 Auszubildenden<br />

einer der größten Ausbildungsbetriebe<br />

in Deutschland, mit<br />

ihrer Initiative „Bologna@Telekom“.<br />

Das Angebot ermöglicht es<br />

seit diesem Jahr jährlich rund 200<br />

besonders leistungsstarken Mitar-<br />

Weidig-Gymnasium Begabtenförderung<br />

auf die Fahnen“, so Neuzner,<br />

der damals mit einem solarbetriebenen<br />

MP3-Player gewonnen hatte.<br />

Mit seinem nächsten Projekt – einem<br />

digitalen System für Modellflugzeuge,<br />

das sich an den Gravitations-<br />

und Magnetfeldern der Erde<br />

orientiert und auf diese Weise den<br />

Flieger in einer stabilen Lage hält –<br />

bekam er zwei Geldpreise und eine<br />

Reise nach China zum „China Adolecents<br />

Science and Technology Innovation<br />

Contest“. Ein erster großer<br />

Ausflug in die internatonale<br />

Welt der Wissenschaft und viel öffentliches<br />

Interesse. „Durch meine<br />

Erfolge als Jugendlicher habe ich<br />

weltweit sehr viele interessante<br />

Menschen und Unternehmen kennengelernt.<br />

Die Auszeichnungen<br />

haben mir sehr bei meinem weiteren<br />

Werdegang geholfen“,<br />

schwärmt Neuzner. Mit dem besten<br />

naturwissenschaftlichen Abitur seiner<br />

Schule ging er an die TU München,<br />

begann ein Physikstudium<br />

und wurde dank seiner Biografie in<br />

die Studienstiftung des deutschen<br />

Volkes aufgenommen, das größte<br />

und älteste deutsche Begabtenförderungswerk.<br />

Der Münchner Physikstudent<br />

lernte Russisch und ging<br />

für ein Jahr nach St. Petersburg. „Es<br />

war fantastisch“, sagt Neuzner, „ich<br />

war einer von sieben Westeuropäern<br />

auf dem Campus, ich war dort<br />

ein absoluter Exot.“<br />

In München studierte er nach<br />

dem Auslandsaufenthalt weiter an<br />

beitern, etwa nach Beendigung ihrer<br />

Ausbildung und nach zwei Jahren<br />

erster Erfahrungen im Job ein<br />

Bachelor-Studium zu absolvieren.<br />

Wer etwa den IT-Ausbildungsberuf<br />

Fachinformatiker gelernt hat, kann<br />

so noch zum „Bachelor of Engineering“<br />

werden. Auch ein späteres<br />

Master-Studium ist berufsbegleitend<br />

möglich. Dafür hat die Telekom<br />

gezielt Hochschulen und Studienangebote<br />

ausgesucht.<br />

„Wir fördern diese Qualifizierung,<br />

indem wir den Teilnehmern<br />

die Hälfte der Studiengebühren bezahlen<br />

und zusätzliche Freiräume<br />

zum Lernen etwa vor Prüfungen<br />

oder für Präsenzphasen an der<br />

Hochschule schaffen“, sagt Markus<br />

Lecke, Leiter des Teams Bildungspolitik<br />

bei der Deutschen Telekom.<br />

„Wir begegnen damit nicht nur<br />

dem drohenden Fachkräftemangel,<br />

sondern wir binden die jungen und<br />

aufstrebenden Talente damit auch<br />

an uns.“ Besonderen Bedarf, so Lecke,<br />

werde die Telekom in Zukunft<br />

an Informatikern, Ingenieuren und<br />

Vertriebs-Experten haben. Dies fördere<br />

man schon jetzt.<br />

„Im Rahmen der Personalentwicklung<br />

wird in den Unternehmen<br />

der Technischen Universität. Ein<br />

junger, nicht überlaufener Campus,<br />

urteilt Neuzner, mit vielen externen<br />

Forschungsinstituten. Eine Rarität<br />

in der deutschen Hochschullandschaft,<br />

wo stets über zu volle Hörsäle<br />

und schlecht ausgestattete Labors<br />

geklagt wird. Zeitgleich bekam<br />

Neuzner die Möglichkeit, beim<br />

Max-Planck-Institut für Quanten-<br />

Kultursieger<br />

Anne-Sophie Mutter 1980<br />

■ Anne-Sophie Mutter zählt seit<br />

vielen Jahren zu den besten Geigerinnen<br />

der Welt. Als Sechsjährige<br />

gewann sie den 1. Preis mit besonderer<br />

Auszeichnung beim Musikwettbewerb<br />

„Jugend musiziert“.<br />

Auch viele andere Karrieren im<br />

künstlerischen Bereich begannen<br />

mit erfolgreicher Teilnahme an<br />

Bundeswettbewerben, etwa die von<br />

Rabea Edel (Treffen Junger Autoren),<br />

der Schauspielerin Julia Richter<br />

(Theatertreffen der Jugend) oder<br />

dem Satiriker Bodo Wartke (Treffen<br />

Junge Musik-Szene). usi<br />

sehr genau das Profil des jungen<br />

Mitarbeiters beobachtet und überlegt,<br />

wie man es weiterentwickeln<br />

kann“, sagt Barbara Dorn vom BDA.<br />

Wichtig sei aber auch, dass die<br />

Mitarbeiter ihren Wissenshunger<br />

stillen können. „Vor allem Menschen<br />

mit großer Begabung benötigen<br />

geistiges Futter“, sagt Heinz-<br />

Detlef Scheer. Der Unternehmens-<br />

+<br />

optik als Werkstudent anzufangen.<br />

Er schrieb für die Forschungsanstalt<br />

seine Diplomarbeit und wurde als<br />

Doktorand übernommen. Nun arbeitet<br />

er an seiner Promotion für eines<br />

der international bekanntesten<br />

Wissenschaftsinstitute der Bundesrepublik.<br />

Eine Bilderbuchkarriere.<br />

„Wir haben traumhafte Arbeitsbedingungen“,<br />

so Neuzner, „und<br />

was den Laboralltag angeht, haben<br />

wir alle Möglichkeiten.“ Die Promotion<br />

wird von Licht-Materie-<br />

Wechselwirkungen handeln. Es<br />

geht darum, einzelne Atome mit<br />

Hilfe von Laserlicht zu fangen, ihre<br />

Dymamik zu untersuchen und darauf<br />

aufbauend zu kontrollieren.<br />

Das alles findet statt vor dem Hintergrund<br />

eines zukünftigen potentiellen<br />

Quantencomputers, der bestimmte<br />

Berechnungen um Größenordnungen<br />

schneller als alle<br />

herkömmlichen Computer ausführen<br />

könnte. Neuzner forscht in einer<br />

international besetzten Arbeitsgruppe,<br />

man verständigt sich auf<br />

Englisch: „Ich bin bislang sehr zufrieden<br />

mit meinem Lebenslauf.“<br />

Ob Neuzner der Wissenschaft<br />

auch nach der Promotion erhalten<br />

bleibt, ist noch offen. Bisweilen liebäugelt<br />

der Elektronik-Experte mit<br />

einem Posten als Fernsehredakteur<br />

in einer Wissenschaftssendung,<br />

„weil viele spannende Themen aus<br />

der Physik zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit<br />

bekommen“. Ganz sicher<br />

würde Andreas Neuzner auch<br />

in dieser Branche Erfolg haben.<br />

Große Talente sehnen sich nach großen Herausforderungen<br />

Für Firmen wird es immer schwieriger, aussichtsreichen Nachwuchs an sich zu binden. Viele Unternehmen starten daher spezielle Förderprogramme<br />

PA/DPA-KARL STAEDELE<br />

coach hat – selbst hochbegabt – einen<br />

Intelligenzquotienten von<br />

mehr als 130: „Wer sich bei seiner<br />

Arbeit unterfordert fühlt, geht ein.<br />

Große Talente und vor allem junge<br />

Menschen sehnen sich nach Herausforderungen.“<br />

Wenn Mitarbeiter<br />

die Möglichkeit zur kreativen<br />

Entfaltung haben, profitiere daher<br />

auch das Unternehmen. „So moti-<br />

Thomas Nesch gewann als Daimler-Azubi den <strong>Wettbewerb</strong> „Jugend forscht“. Während<br />

seiner Hochschulausbildung unterstützt ihn das Unternehmen weiter<br />

JUGEND FORSCHT/MPQ<br />

JUGEND FORSCHT<br />

Begabung ist nicht zwangsläufig<br />

der Schlüssel zum Erfolg<br />

Was Eltern für ihre talentierten Kinder tun können<br />

Von Maggie Riepl<br />

„Die Probleme hast du natürlich<br />

nicht, du mit deinen Wunderkindern“,<br />

meinten andere Mütter zu<br />

mir, wenn ihr Kind mal wieder eine<br />

Fünf geschrieben hatte, und ich<br />

spürte den leicht genervten Unterton.<br />

Dabei sind meine zwei, Felix<br />

und Sophie (inzwischen 25 und 22<br />

Jahre alt), keine Supertalente, die<br />

Klassen übersprungen haben.<br />

Erstgeborene sind klug, Jüngere<br />

sind clever, heißt es. Felix war immer<br />

ein aufgewecktes Kind, seine<br />

Warum-Fragen als Dreijähriger<br />

brachten uns an den Rand des<br />

Wahnsinns. In der Grundschule<br />

musste er wenig tun, auf dem Gymnasium<br />

schon mehr, und auch das<br />

1,8er-Abitur fiel ihm nicht ohne<br />

Lernen in den Schoß. Sophie, die<br />

kleine Schwester, war immer neidisch,<br />

weil sie sich viel mehr für ihre<br />

guten Noten anstrengen, länger<br />

und intensiver lernen musste. Und<br />

immer glaubte, sie wäre die Doofe,<br />

weil sie in Mathe jahrelang Nachhilfe<br />

hatte. Dabei hat sie ihr Abi<br />

auch mit 1,9 gemacht. Bei ihr war es<br />

reine Disziplin, dass sie immer fleißig<br />

war und oft statt auf Partys zu<br />

gehen für eine Klausur lernte, obwohl<br />

wir sie nie gedrängt haben. Im<br />

Gegenteil, ich habe oft gesagt: Du<br />

brauchst jetzt eine Pause, damit<br />

dein Kopf wieder frei wird. Wir<br />

sind dann spazieren oder ins Kino<br />

gegangen oder haben Pizza gegessen.<br />

Ja, ich hatte Glück, dass meine<br />

Kinder immer sehr diszipliniert<br />

waren. Und dadurch problemlos<br />

durch die Schule gekommen sind.<br />

Selbst in der Pubertät gab es keine<br />

gravierenden Hänger, sondern sie<br />

hatten immer noch ausreichend<br />

Ehrgeiz. Ich weiß nicht, was ich gemacht<br />

hätte, wenn sie sich völlig<br />

verweigert hätten. Dabei waren sie<br />

keine „Ich liebe die Schule“-Kinder,<br />

höchstens die ersten zwei Jahre.<br />

Danach nur noch allmorgendliches<br />

Gemaule. Ich konnte ihnen auch<br />

nur die Notwendigkeit dieser Bildungseinrichtung<br />

vermitteln, aber<br />

nicht den Spaß daran, denn ich habe<br />

Schule gehasst vom ersten Tag<br />

an. Insofern hatte ich Verständnis,<br />

habe nicht gemeckert und sie fühlten<br />

sich verstanden. Mein Spruch<br />

war: Ihr seid nicht blöd, also schafft<br />

ihr das Abitur. Was ihr später<br />

macht, ob ihr studieren wollt – eure<br />

Sache. Aber schafft die Voraussetzung<br />

dafür, dass euch alle Türen offen<br />

stehen.<br />

Natürlich war es nicht nur ein<br />

Selbstläufer, wir haben die Kinder<br />

von klein auf gefördert, indem wir<br />

abends vorgelesen und die Begeis-<br />

Begabtenförderung<br />

■ Zwölf Förderwerke unterstützen<br />

bundesweit besonders befähigte<br />

und motivierte Studierende und<br />

Promovierende:<br />

Cusanuswerk<br />

Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk<br />

Evangelisches Studienwerk Villigst<br />

Friedrich-Ebert-Stiftung<br />

Friedrich-Naumann-Stiftung<br />

Hanns-Seidel-Stiftung<br />

Hans-Böckler-Stiftung<br />

viert man die Menschen am besten<br />

und sorgt dafür, dass jeder sein Potenzial<br />

einbringen kann“, so Scheer.<br />

Schwieriger ist das bei solchen<br />

Nachwuchskräften, die zwar erkennbar<br />

eine herausragende Begabung<br />

mitbringen, aber in anderen<br />

Bereichen Defizite haben. Siemens<br />

will mit dem Programm zur „speziellen<br />

Förderung des Nachwuchses“<br />

Jugendlichen eine Chance geben,<br />

die – oft auch migrationsbedingt –<br />

wegen mangelnder Schulleistungen<br />

oder Defiziten in ihren Basiskompetenzen<br />

bisher keinen Ausbildungsplatz<br />

haben. Eine Erfolgsgeschichte:<br />

Wer begabt ist, aber etwa<br />

die deutsche Sprache nicht ausreichend<br />

spricht, wird in Sprachkursen<br />

geschult. Ein heute 25-jähriger<br />

Teilnehmer war mit nur geringen<br />

Sprachkenntnissen und einem Realschulabschluss<br />

aus Kasachstan<br />

gekommen. Bei Siemens macht er<br />

nun eine Ausbildung zum Elektroniker<br />

– seine Fähigkeiten hatten<br />

dort beeindruckt, auch wenn es mit<br />

der Sprache haperte. Vor Kurzem<br />

hat er seine Zwischenprüfung mit<br />

der Note Eins abgeschlossen. „Aus<br />

talentierten Jugendlichen, die auf<br />

den ersten Blick durch das Raster<br />

terung für Bücher geweckt haben.<br />

Wir haben versucht, ihnen die Welt<br />

zu erklären und ihnen eine gute Allgemeinbildung<br />

zu verschaffen. Liebe,<br />

Verständnis, Zeit für Freizeit,<br />

Spiel und Spaß, aber auch klare Linien<br />

– mehr gute Tipps kann ich eigentlich<br />

nicht geben. „Das war intuitiv<br />

das Richtige“, sagt Michaela<br />

Axt-Gadermann, Professorin an<br />

der Universität Coburg, die sich<br />

ausführlich mit dem Thema Kinderförderung<br />

beschäftigt hat.<br />

Ihrer Meinung nach sind viele<br />

Kinder heute überfordert, weil die<br />

Eltern zu hohe Ansprüche haben<br />

und aus ihren Sprösslingen kleine<br />

Einsteins machen wollen. Kinder<br />

sind zum Teil auch Statussymbol<br />

und besonders, wenn es vermeintliche<br />

Wunderkinder sind. Dabei ist<br />

■ Glück und Zufriedenheit<br />

der Kinder sollten immer an<br />

erster Stelle stehen<br />

Begabung nicht zwangsläufig der<br />

Schlüssel zum Erfolg im Leben,<br />

meint Axt-Gadermann. Viele Eltern<br />

vergessen, wie wichtig Freizeit<br />

für Kinder ist. Hobbys, Toben und<br />

Spielen, Bewegung fördern Kinder<br />

mehr als permanentes Lernen.<br />

„Wunderkinder“ sollten gefördert<br />

werden, zum Beispiel durch Matheoder<br />

Erfinder-Klubs, um sie nicht<br />

zu unterfordern. Vor allem aber ist<br />

es wichtig, Interessen zu fördern,<br />

die nichts mit Schule zu tun haben,<br />

an denen die Kinder Freude haben,<br />

wie Musik oder Sport. Die Coburger<br />

Professorin berichtet von Testergebnissen,<br />

nach denen Kinder,<br />

die gut balancieren können, eine<br />

Note besser in Deutsch und Mathe<br />

sind als Kinder mit schlechter Koordination.<br />

Wichtig ist immer auch<br />

das liebevolle Zuhause mit positiver<br />

Ermunterung statt Druck. Eine<br />

sichere emotionale Bindung, so die<br />

Forschung, ist die wesentliche<br />

Grundlage für die optimale Hirnentwicklung.<br />

Auch Fernsehen und Computer<br />

müssen nicht verteufelt werden.<br />

Axt-Gadermann: „Laut Studien<br />

sind nicht jene Kinder in der Schule<br />

am besten, die gar kein Fernsehen<br />

gucken, sondern die, die das Richtige<br />

gucken.“ Glück und Zufriedenheit<br />

der Kinder sollten immer an<br />

erster Stelle stehen, schon kleine<br />

Veränderungen des Lebensstils<br />

können allen Kindern im Rahmen<br />

der individuellen Möglichkeiten<br />

das Lernen erleichtern. Wie sagte<br />

schon Goethe: „Zwei Dinge sollten<br />

Kinder von ihren Eltern bekommen:<br />

Wurzeln und Flügel.“<br />

Heinrich-Böll-Stiftung<br />

Konrad-Adenauer-Stiftung<br />

Rosa-Luxemburg-Stiftung<br />

Stiftung der Deutschen Wirtschaft<br />

Studienstiftung des dt. Volkes<br />

Tipps im Internet unter<br />

www.stipendienlotse.de<br />

www.karg-stiftung.de<br />

www.bildung-und-begabung.de<br />

www.bildungsserver.de<br />

fallen, kann man mit einer qualifizierten<br />

Ausbildung klasse Mitarbeiter<br />

machen“, sagt Ausbildungsleiter<br />

Günther Hohlweg.<br />

Wie sehr sich Stipendien, Förderprogramme<br />

und <strong>Wettbewerb</strong>e zur<br />

Talentförderung lohnen, beweist<br />

Thomas Nesch. Als Daimler-Auszubildender<br />

siegte er 2008 bei „Jugend<br />

forscht“ mit seiner Entwicklung<br />

eines Flüssigkeitssensors für<br />

das Lackieren in der Autoproduktion.<br />

Nach der Ausbildung holte<br />

Nesch an der Technischen Oberschule<br />

in Stuttgart sein Abitur nach<br />

und arbeitete als Teilzeitkraft parallel<br />

weiter bei Daimler. Ab Oktober<br />

will er an der University of Cambridge<br />

„Engineering“ studieren.<br />

Daimler schafft ihm den Freiraum:<br />

eine Freistellung mit Wiedereinstellungsgarantie.<br />

Das Beispiel des<br />

21-Jährigen zeigt, welche beruflichen<br />

Vorteile sich aus der Teilnahme<br />

an einem Jugendwettbewerb ergeben<br />

können – nicht zuletzt durch<br />

das Engagement von Unternehmen.<br />

Der Autor ist 24 Jahre alt, Absolvent<br />

der Axel-Springer-Akademie<br />

und arbeitet als Redakteur in der<br />

Lokalredaktion der <strong>WELT</strong>-Gruppe

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