was wir anbieten - Albert Schweitzer Kinderdorf Hessen ev
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Inhaltsverzeichnis<br />
Wer <strong>wir</strong> sind – <strong>was</strong> <strong>wir</strong> <strong>anbieten</strong>.............................................................................. 3<br />
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ask Familienberatungsstelle............... 4<br />
Vorwort...................................................................................................................... 5<br />
Väter erziehen Kinder! ............................................................................................. 6<br />
Kommentierte Statistik 2005...................................................................................19<br />
1. Beratung für Kinder, Jugendliche, Eltern und Familien .......................................19<br />
1.1 Gesamtzahl der beratenden Klienten .................................................................19<br />
1.2 Entwicklung der Klientenzahl..............................................................................20<br />
1.3 Verteilung der Klienten auf die Kommunen ........................................................20<br />
1.4 Lebensalter und Geschlecht der vorgestellten Kinder, Jugendlichen und jungen<br />
Erwachsenen......................................................................................................21<br />
1.5 Familiensituation.................................................................................................21<br />
1.6 Besondere Belastungen der vorgestellten Kinder und Jugendlichen .................22<br />
1.7 Nationalitäten der beratenen Menschen.............................................................23<br />
2. Beratungsprofil.........................................................................................................23<br />
2.1 Anregungen zur Kontaktaufnahme mit der Beratungsstelle ...............................23<br />
2.2 Anmeldegründe ..................................................................................................23<br />
2.3 Schwerpunkte der Beratung aus Sicht des SGB VIII..........................................24<br />
2.4 Einbeziehung der Väter ......................................................................................25<br />
2.5 Diagnostische Maßnahmen ................................................................................25<br />
2.6 Anzahl der Beratungsgespräche ........................................................................25<br />
2.7 Wartezeiten, Erstgespräche und Kooperation ....................................................26<br />
3. Prävention .................................................................................................................27<br />
3.1 Fachberatungen/ Fortbildungen für Fachkräfte ..................................................27<br />
3.2 Präventionsangebote für Kinder und Eltern........................................................27<br />
3.3 Sozialräumliche Arbeit im Main-Kinzig-Kreis/Kooperationen..............................28<br />
3.4 Mitarbeit in Gremien und Arbeitsgruppen außerhalb der Einrichtung.................29<br />
4. Fort- und Weiterbildungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ........................29<br />
5. Öffentlichkeitsarbeit - Infoveranstaltungen ...........................................................30
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
2
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Wer <strong>wir</strong> sind – <strong>was</strong> <strong>wir</strong> <strong>anbieten</strong><br />
Anschrift Träger<br />
ask Familienberatungsstelle <strong>Albert</strong>-<strong>Schweitzer</strong>-<strong>Kinderdorf</strong> <strong>Hessen</strong> e.V.<br />
Am Pedro-Jung-Park 11 Geleitstraße 66<br />
63450 Hanau 63456 Hanau<br />
� 0 61 81 - 27 06 20<br />
� 0 61 81 - 27 06 24<br />
� info@ask-familienberatung.de<br />
� www.ask-hessen.de<br />
Unser Auftrag<br />
Wir übernehmen im Auftrag des Main-Kinzig-Kreises die Aufgaben einer Familien- und<br />
Erziehungsberatungsstelle für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, Eltern und Familien<br />
des Altkreises Hanau mit ca. 150.000 Einwohnern.<br />
Unser Einzugsgebiet<br />
Die 12 Städte und Gemeinden des Altkreises Hanau:<br />
Bruchköbel, Erlensee, Großkrotzenburg, Hammersbach, Langenselbold, Maintal, Neuberg,<br />
Niederdorfelden, Nidderau, Ronneburg, Rodenbach, Schöneck.<br />
Unser Angebot für Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, Eltern und Familien<br />
� Erziehungsberatung, auch in türkischer und italienischer Sprache<br />
� Familien- und Elternberatung<br />
� Familientherapie<br />
� Beratung von Eltern mit Paarproblemen<br />
� Beratung bei Trennung und Scheidung<br />
� Unterstützung bei der Klärung der Umgangsregelung<br />
� Krisenintervention<br />
� Jugendberatung<br />
� Psychologische Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen<br />
� Elternkurse<br />
� Gruppenangebote für Kinder und Jugendliche<br />
� Themenzentrierte Elternabende in Kindertagesstätten und Schulen<br />
Unser Angebot für professionelle Erziehungspersonen (Erzieherinnen, Lehrer,<br />
Familienhelfer etc.)<br />
� Erziehungsberatung<br />
� Fachberatung<br />
� Fachvorträge<br />
� Fortbildungen<br />
� Supervision<br />
� Leitungscoaching<br />
Unser Angebot beruht auf Freiwilligkeit. Alle Mitarbeiter unterliegen der Schweigepflicht.<br />
Beratung und Therapie sind gebührenfrei.<br />
Unsere Öffnungszeiten<br />
Montag bis Donnerstag 09 00 – 17 00 Uhr, Freitag 9 00 – 13 00 Uhr<br />
Beratungstermine - auch Abendsprechstunden - finden je nach individueller Vereinbarung<br />
statt. Zeitnahe Termine für Ratsuchende in akuten Krisensituationen und für Jugendliche<br />
sind möglich.<br />
3
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der<br />
ask Familienberatungsstelle<br />
Hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
Mechthild Sckell, Diplom Psychologin,<br />
Psychologische Psychotherapeutin,<br />
Systemische<br />
Familientherapeutin und<br />
Supervisorin, Leiterin der<br />
Familienberatungsstelle<br />
Paul Scherfer-Samide, Diplom<br />
Pädagoge, Kinder- und<br />
Jugendlichenpsychotherapeut,<br />
Systemischer Familientherapeut<br />
Kirsten Heilmann, Diplom<br />
Sozialpädagogin, Systemische<br />
Familientherapeutin, zertifizierte<br />
Elterntrainerin, 0,5 Stelle<br />
Christiane Dworak, Verwaltung<br />
und Sekretariat<br />
Selbstständige Mitarbeiterinnen<br />
Ute Baumeister, Diplom<br />
Theologin, Systemische<br />
Familientherapeutin<br />
Selbstständige Mitarbeiterinnen mit geringem Stundenumfang<br />
Claudia Kollewe, Diplom Pädagogin, Gestalttherapeutin<br />
Dr. Univ. Rom Valentina Veneto<br />
Scheib, Diplom Psychologin,<br />
Psychologische Psychotherapeutin,<br />
Systemische Familientherapeutin<br />
Renate Kutscher, Diplom<br />
Sozialpädagogin, Systemische<br />
Familientherapeutin, zertifizierte<br />
Elterntrainerin, 0,5 Stelle<br />
Monika Neumann, Verwaltung<br />
und Sekretariat, 0,3 Stelle<br />
Angelika Lockwood, Diplom<br />
Pädagogin, Systemische<br />
Familientherapeutin<br />
Monika Wiedemann, Diplom Psychologin, Psychologische Psychotherapeutin, Systemische<br />
Familientherapeutin, zertifizierte Elterntrainerin<br />
4
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Vorwort<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
„Neue Väter braucht das Land?“<br />
Genau in die Zeit der Herausgabe unseres Jahresberichtes fällt die erste Lesung des<br />
Gesetzesentwurfes zum Elterngeld. Die Familienministerin Ursula von der Leyen hält eine<br />
Änderung der Männerrolle für überfällig. Sie fordert: „Die Vaterrolle muss genau so wichtig<br />
werden wie die Mutterrolle.“ Ergebnisse einer Untersuchung ihres Ministeriums ergaben,<br />
dass 2/3 der befragten Väter sich mehr Zeit für Erziehung und Betreuung nehmen würden,<br />
wenn sie keine finanziellen Nachteile befürchteten. Ca. 55% der Frauen glauben, dass<br />
Männer inkompetent seien, Kinder zu erziehen.<br />
Als systemische Familientherapeuten ist uns die Bedeutung der emotionalen<br />
Bindungsbereitschaft von Vätern und Müttern für eine gesunde Entwicklung von Kindern<br />
bewusst. Väterabwesenheit erhöht nachweislich das potentielle Risiko für<br />
Beeinträchtigungen im Leistungsbereich und vor allem auch in der psychosozialen<br />
Entwicklung wie etwa für spätere Beziehungsprobleme in der eigenen Partnerschaft. Auch<br />
aus diesem Grund ist uns die Einbeziehung und Beteiligung der Väter in den<br />
Beratungsprozess selbstverständlich.<br />
Paul Scherfer-Samide leistet in seinem Fachartikel einen Beitrag zur aktuellen politischen<br />
und gesellschaftlichen Diskussion über Familienmodelle und die Rolle des Vaters in der<br />
Familiendynamik.<br />
Wir möchten Sie mit diesem Jahresbericht über unsere Arbeit im Jahr 2005 informieren.<br />
Erneut können <strong>wir</strong> über eine sehr hohe Auslastung und eine weiterhin steigende Nachfrage<br />
nach unserem Beratungsangebot berichten. Im Jahr 2005 meldeten sich 578 Familien neu<br />
an. Insgesamt wurden über 800 Familien beraten.<br />
Die Wichtigkeit unserer Arbeit müssen <strong>wir</strong> nicht eigens herausstreichen, der Bedarf an<br />
qualifizierter Beratung steigt ständig und über die alarmierenden Verhaltensauffälligkeiten<br />
von Kindern und Jugendlichen <strong>wir</strong>d in den Medien berichtet. So informiert der bekannte<br />
Marburger Kinder- und Jugendpsychiater Helmut Remschmidt in diesen Tagen auf dem<br />
Deutschen Ärztetag in Magdeburg, dass 5% aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland<br />
behandlungsbedürftig sind. Weitere 10 - 13% seien verhaltensauffällig. Aggression, Alkohol-<br />
und Drogensucht, Depression, Suizid, Verhaltens- und Essstörungen seien auf dem<br />
Vormarsch.<br />
Bei fast 40% der uns vorgestellten Kinder und Jugendlichen wurden Beziehungsprobleme in<br />
der Familie als Anlass für die Beratung angegeben, bei 26% Schul- und Ausbildungsprobleme<br />
und bei mehr als 18% Entwicklungsauffälligkeiten.<br />
Durch qualifizierte Beratung, sorgfältige Diagnostik, vielfältige Gruppenangebote und durch<br />
zahlreiche Präventionsleistungen versuchen <strong>wir</strong> diesem negativen Trend zu begegnen.<br />
In Zeiten finanzieller Knappheit in den kommunalen Haushalten und nach Streichung der<br />
Landesmittel danken <strong>wir</strong> all denen, die unsere Arbeit unterstützt haben.<br />
Unser Dank gilt besonders dem Landrat Herrn Pipa, dem Kreisbeigeordneten Herrn André<br />
Kavai, dem Kreistag, dem Leiter des Jugendamtes Herrn Betz und seinem Team.<br />
Wir bedanken uns insbesondere bei unserem Träger, dem <strong>Albert</strong>-<strong>Schweitzer</strong>-<strong>Kinderdorf</strong><br />
<strong>Hessen</strong> e.V., der unsere Arbeit ideell und finanziell in erheblichem Umfang unterstützt.<br />
Bedanken möchten <strong>wir</strong> uns auch bei allen, die unsere Arbeit im vergangenen Jahr durch<br />
Spenden unterstützt haben.<br />
Und nicht zuletzt sagen <strong>wir</strong> allen Kindern, Jugendlichen, ihren Eltern und Erziehenden in<br />
Kindertagesstätten und Schulen Dank für das Vertrauen, das unsere Arbeit erst zu dem<br />
macht, <strong>was</strong> sie sein soll.<br />
Mechthild Sckell<br />
Leiterin der ask Familienberatungsstelle<br />
5
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Innovative Gleichberechtigungspolitik muss Männer,<br />
insbesondere Väter, zu einem veränderten aktiven Verhalten<br />
auffordern und sie als Bündnispartner für die Gleichverteilung<br />
von Erwerbs- und Familienarbeit gewinnen.<br />
Dr. Harald Seehausen<br />
Väter erziehen Kinder!<br />
Der Beitrag einer Erziehungsberatungsstelle zur Diskussion über Familienmodelle,<br />
das „partnerschaftliche Modell von Elternschaft“ und die Rolle der Väter<br />
von Paul Scherfer-Samide<br />
Der Artikel weist die aktuellen Tendenzen junger Väter auf, sich intensiver auf ihre Rolle als Bezugsperson für<br />
ihre Kinder einzulassen, <strong>was</strong> Zustimmung bei vielen (nicht nur „frauenbewegten“) Frauen, Teilen der Politik und<br />
manchen Unternehmen findet. In einer historischen und ökonomischen Betrachtung <strong>wir</strong>d die Hypothese<br />
aufgestellt, dass dieser Trend zu aktiver Vaterschaft ein notwendiger ist. In der Praxis der Erziehungs- und<br />
Familienberatung tauchen allerdings zu einem hohen Prozentsatz die abwesenden oder wenig<br />
verantwortungsvollen Väter auf, so die Erfahrung des Autors, der aus systemischer und<br />
entwicklungspsychologischer Sicht aktive Väter begrüßt und diese unterstützt. So begleitete er auch das<br />
Väterprojekt der „familienfreundlichen“ Gemeinde Hammersbach im Main-Kinzig-Kreis durch Beratungen und<br />
durch zwei Seminare für Erzieher und Erzieherinnen der Gemeindekindertagesstätten, die er gemeinsam mit dem<br />
Frankfurter Sozialwissenschaftler Dr. Harald Seehausen durchführte.<br />
1. Ein Überblick über aktuelle gesellschaftliche Trends zum Thema<br />
Ein Streifzug durch die Medienlandschaft zeigt deutlich: Die Themen Partnerschaft,<br />
Verhältnis der Geschlechter, Familienleben, die Rollen von Mutter und Vater in der Familie<br />
stehen hoch im Kurs. Die These von der „Krise der bürgerlichen Familie“ mag für ein<br />
„strukturkonservatives“ 1 Modell zutreffen, gibt aber nicht die bei den Menschen vorhandenen<br />
Wünsche nach Bindungen und nach Kindern wieder 2 . Besonders bei jungen Vätern gibt es<br />
einen starken Trend, sich intensiv mit ihrer Rolle auseinanderzusetzen:<br />
„Das traditionelle Männerbild ist brüchig geworden. Männer leben in einem Spannungsfeld<br />
von <strong>wir</strong>tschaftlichen Zwängen, familiärem Strukturwandel und widersprüchlichen beruflichen<br />
und gesellschaftlichen Erwartungen…. Männer erleben das „Vater sein“ als Bereicherung<br />
ihres Lebens. Gleichzeitig geht die Identität stiftende Bedeutung der Erwerbstätigkeit<br />
zurück.“ 3<br />
„Immer mehr Männer überdenken in den letzten Jahren ihr Selbstverständnis in Hinblick auf<br />
ihre künftige oder aktuelle Verantwortung und ihre Erwartungen als Vater. Das bestätigen<br />
auch die Ergebnisse der aktuellen Untersuchung „Männer im Aufbruch – Wie Deutschlands<br />
Väter sich selbst und wie ihre Frauen sie sehen“. 4 Dortigen Ergebnissen zufolge haben 20%<br />
der deutschen Männer sich einem neuen Männerbild zugewandt und bemühen sich – auch<br />
gegen noch bestehende gesellschaftliche Strömungen – u. a. um eine verstärkte<br />
1 Diesen Begriff verwendete U. von der Leyen, Bundesfamilienministerin, in der Sendung „Sabine<br />
Christiansen“ am 30.04.2006, um das Elternpaarmodell zu bezeichnen, bei dem der Mann als der<br />
Ernährer das Geld verdient und die Frau die Hausfrau- und Mutterrolle einnimmt.<br />
2 Vgl. Informationsdienst Soziale Indikationen, Ausgabe 17, Januar 1997, S. 1 ff. Die Soziologen Hill<br />
und Kopp kommen nach einer historisch vergleichenden Analyse zum Ergebnis, dass man im Verlauf<br />
des 20. Jahrhunderts nicht von einer linearen Abnahme der Tendenz zu heiraten und Kinder in die<br />
Welt zu setzen sprechen könne.<br />
3 Aktionsforum Männer & Leben, Impulse geben…, Januar 2006, S.4, www.kinder-machen-vaeter.de<br />
4 Zulehner, Paul; Volz, Rainer 1998: Männer im Aufbruch - …<br />
6
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Familienorientierung. Etwa 60% der Männer nehmen pragmatisch bis unsicher ihre Rolle<br />
wahr, während ein Anteil von 19% noch dem traditionellen Männerbild entspricht.“ 5<br />
„Wer Karriere machen will, hat kein Privatleben, lautet die Ordensregel der<br />
Unternehmenswelt. Doch der eherne Grundsatz wankt. Jüngere Manager denken anders.<br />
Sie wollen nicht mehr verzichten. Anders als ihre älteren Vorgesetzten wünschen diese<br />
Führungskräfte sich beides: Kind und Karriere. Sie streben nach beruflichem Erfolg und sind<br />
nicht bereit, die intakte Beziehung zu Frau und Kindern auf dem Altar der Managerehre zu<br />
opfern.“ 6<br />
„Wie passen Kinder und Karriere zusammen? Volker Baisch, Leiter des Väterzentrums in<br />
Hamburg, hilft Männern bei der Beantwortung dieser Frage. …Väterzentrum - das klang<br />
nach Männergruppe und selbst gestrickten Socken. „Die Vorurteile waren natürlich da“, sagt<br />
Baisch, „aber jetzt erfährt die Vaterrolle immer mehr Aufwertung.“ Heute holen auch Werber,<br />
Manager und Ingenieure im Väterzentrum Rat ein.“ 7<br />
Die Situation von Familien und die Rollen des Vaters und der Mutter in der Familie sind in<br />
den letzten Jahren verstärkt in den Blickpunkt öffentlichen Interesses gerückt. Seien es die<br />
„Bündnisse für Familien“, von der SPD-Politikerin und ehemaligen Bundesministerin Renate<br />
Schmidt initiiert, oder die Stiftung „Familie hat Zukunft“ der Hessischen Landesregierung:<br />
Zahlreiche Ansätze dokumentieren das Interesse, dass sich bei den „Hauptakteuren“ der<br />
Familie und im sozialen Umfeld von Familien et<strong>was</strong> bewegen möge. Die Verbesserung der<br />
Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Väter und Mütter scheint eine zentrale<br />
gesellschaftliche Aufgabestellung der Gegenwart zu sein. 8<br />
Dabei ist wohl eine Grundannahme, dass die Geburtenziffer in einer von Überalterung<br />
betroffenen Gesellschaft dann wieder ansteigen kann, wenn sich gesellschaftliche<br />
Wertorientierungen nicht ausschließlich an technologischen und ökonomischen<br />
Spitzenleistungen ausrichten, oder individuelle Zielsetzungen sich nicht ausschließlich auf<br />
die Werte Selbstver<strong>wir</strong>klichung und Freiheit beziehen. Ein wachsender Trend ist es,<br />
Familienarbeit, gerade auch wenn sie von Männern erbracht <strong>wir</strong>d, in aller Öffentlichkeit als<br />
ehrenhafte und wertvolle Arbeitsleistung zu betrachten, obwohl sie kurzfristig keinen oder nur<br />
einen geringen ökonomischen Nutzen für den bringt, der sie leistet. 9<br />
Die Forderungen der Frauenbewegung nach gleichen Zugangs- und Aufstiegschancen für<br />
Frauen in die und in der Berufswelt, nach gleichverantwortlicher Beteiligung der Männer an<br />
der Erziehungs- und Hausarbeit - vor 25 Jahren noch ein Thema ökologischer, intellektueller<br />
und linker Zirkel - <strong>wir</strong>d heute von breiten bürgerlichen und konservativen Kreisen<br />
aufgegriffen, gelebt und umgesetzt. 10 Lehrerehepaare, Arztehepaare, freiberuflich tätige<br />
Paare, ökologisch orientierte Handwerkerpaare leben schon seit Jahren Familienmodelle, die<br />
beiden Partnern den gleichen Zugang zu Beruf und Familie ermöglichen. Relativ neu ist es,<br />
dass es starke Anstrengungen gibt, dieses „partnerschaftliche Modell von Elternschaft“ in<br />
den Rang eines gesellschaftlichen Leitbildes zu erheben.<br />
Natürlich sind es auch die wachsenden Zahlen junger Männer selbst, die diese Bewegung<br />
vorangebracht haben: Sie wollen nicht mehr nur die Ernährer ihrer Kinder sein, sondern<br />
wollen sie heranwachsen sehen, sie erziehen, in enger Beziehung zu ihnen leben 11 .<br />
5<br />
Richter, Robert; Verlinden, Martin Münster 2000, Vom Mann zum Vater, S. 9<br />
6<br />
Managermagazin Heft 7/2004, S. 148 ff.<br />
7<br />
Lufthansa exclusive, Heft 1/2006, S. 12 ff.<br />
8<br />
Vgl auch die Studie von Fthenakis, Minsel, Die Rolle des Vaters in der Familie, veröffentlicht vom<br />
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Juli 2001<br />
9<br />
Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass dieser Trend natürlich auch einen heftigen „Gegenwind“<br />
bei „Strukturkonservativen“ (s.o.) entfacht.<br />
10<br />
Siehe die aktuelle Gesetzesinitiative der Familienministerin zur Erziehungszeit von Vätern.<br />
11<br />
Vgl. z.B. die Aktivitäten des „Väterforums Offenbach“ e.V., Broschüre: „Ich bin gerne Vater“,<br />
Hrsg.:www.hessenstiftung.de<br />
7
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Darüber hinaus haben Unternehmer entdeckt, dass es einfach zu teuer ist, wenn hoch<br />
qualifizierte Frauen längere Zeit dem Arbeitsprozess fern bleiben, um ihre Kinder zu<br />
versorgen und zu erziehen 12 . Da sollen doch auch mal die jungen Väter Elternzeit nehmen,<br />
denkt man heute in vielen Unternehmen, zumal Männer bei dieser Gelegenheit<br />
Qualifikationen und Erfahrungen sowohl als Chaos- und Zeitmanager als auch als<br />
Menschen-Führer erwerben, die im beruflichen Alltag wieder sehr nutzbringend sein<br />
können. 13<br />
2. Historische, ökonomische und analytische Gedanken zum gegenwärtigen<br />
Verhältnis der Geschlechter<br />
Die französische Philosophin Elisabeth Badinter untersuchte in ihrem Buch „Ich bin Du“ das<br />
Verhältnis der Geschlechter zueinander in verschiedenen historischen Epochen 14 .<br />
„In der Frühgeschichte der Menschheit hat es weder Matriarchat noch Patriarchat gegeben.<br />
Eine komplementäre Arbeitsteilung verband (männliche) Jäger und (weibliche)<br />
Sammlerinnen im Bewusstsein von Gegenseitigkeit und Wertschätzung. Technische<br />
Erfindungen und <strong>wir</strong>tschaftliche Umwälzungen – im Zusammenhang mit dem<br />
Sesshaftwerden, mit der Erfindung von Ackerbau und Viehzucht – gaben dann dem Mann<br />
ein wachsendes Gewicht und drängten die Frau immer mehr in eine untergeordnete, oft<br />
ausgebeutete Stellung. Aber das Patriarchat, das alle Macht aus der bestimmenden Rolle<br />
des Vaters herleitete und in der Figur des Gottvaters ideologisch überhöhte, ist nur eine<br />
geschichtliche Durchgangsphase. Schon die französische R<strong>ev</strong>olution hatte die Gleichheit<br />
aller Menschen verkündet. Die Frauen nahmen die Parole beim Wort und erkämpften sich<br />
Schritt für Schritt die ihnen vorenthaltenen Rechte. Erst die „Mutation“ zum androgynen<br />
Menschen jedoch hat das r<strong>ev</strong>olutionäre Gleichheitsideal Wirklichkeit werden lassen.“ 15<br />
Eine wesentliche Aus<strong>wir</strong>kung des Patriarchats auf das Verhältnis der Geschlechter ist die<br />
Ausformulierung, Ideologisierung und soziale Konstruktion des Unterschiedes der<br />
Geschlechter: Der Mann <strong>wir</strong>d zum Helden, zum Gestalter der Geschichte, die Frau <strong>wir</strong>d auf<br />
die Rollen von Ehefrau und Mutter reduziert, gleichzeitig fürchtet der Mann ihre geheimen<br />
und magischen Fähigkeiten, sie <strong>wir</strong>d zur „Hexe“. Ein geradezu „fratzenhaftes“ Aufbegehren<br />
gelingt dem Patriarchat im Faschismus: Der Mann ver<strong>wir</strong>klicht sich als Kriegsheld, versucht,<br />
dem Tod die Stirn zu bieten, vernichtet „unwertes Leben“. Die Frau findet ihre „reale Natur“<br />
als immer wieder Leben Gebärende.<br />
Die Macht des Patriarchates ist gebrochen, seit Frauen immer häufiger Zugang in die<br />
Berufswelt finden, Empfängnisverhütung üblich geworden ist, der Schwangerschaftsabbruch<br />
- eine extreme Konfliktsituation - legalisiert ist und Frauen nicht mehr Tauschobjekte für die<br />
Beziehungen von Männern darstellen. (Autokratische Herrscher schafften sich durch alle<br />
Zeiten hinweg sichere Bundesgenossen, indem sie ihnen ihre Töchter zur Frau gaben.)<br />
Die Angleichung der Geschlechter, die die heutige Gesellschaft mit sich bringt, bedeutet aber<br />
auch Verunsicherung, weil Vertrautes schwindet und Unbekanntes sich öffnet. 16 Pessimisten<br />
fürchten in dieser Situation den „großen Krieg“, der auf die ursprünglichen „Naturen“ der<br />
Geschlechter zurückwerfen <strong>wir</strong>d. Moralisten beklagen den „Verfall der alten Werte und<br />
Orientierungen“ und behaupten, die Natur werde uns schon wieder einholen.<br />
Badinter sieht als deutliche Hinweise für den unaufhaltsamen Trend zur Angleichung der<br />
Geschlechter die Tatsachen, dass zum einen Frauen Soldatinnen werden und sich an<br />
12<br />
„Unternehmen profitieren vom besseren Einsatz ihrer Forscherinnen“<br />
http://.europa.eu.int/rapid/pressReleaseAction.do?reference=IP/06<br />
13<br />
Inhalt eines Vortrages, den Dr. W.Weiß, damals Gleichstellungsbeauftragter der Deutschen<br />
Lufthansa AG, bei einer Veranstaltung zur „Familienfreundlichkeit“ am 16.6.2003 in Hammersbach<br />
hielt<br />
14<br />
E. Badinter, „Ich bin Du“ München 1987<br />
15<br />
ebenda, Einführung<br />
16<br />
ebenda, S. 190 ff<br />
8
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Kriegshandlungen beteiligen und dass es zum anderen für Männer normal <strong>wir</strong>d, Kleinkinder<br />
zu „bemuttern“. 17<br />
Der Soziologe Lothar Böhnisch 18 beschreibt das Verhältnis der Geschlechter, in dem er<br />
näher auf die Bedingungen der Produktion eingeht. In der vorindustriellen Gesellschaft kam<br />
der Hausfrau als Ehefrau des Handwerkers, des freien Bauern oder des Feudalherrn eine<br />
gewisse Machtstellung als Herrin über den Haushalt und das Gesinde zu. Die Entwicklung<br />
der industriellen Produktion führte aber immer mehr zur Trennung von Privathaushalt und<br />
Produktionsbereich, damit sank auch der Einfluss der Frau auf die Gestaltung der<br />
Produktion. Die Kleinfamilie hatte ihre Bedeutung ausschließlich in der Reproduktion<br />
männlicher Arbeitskraft und in der Pflege und Aufzucht der Kinder. Böhnisch spricht von der<br />
hegemonialen Männlichkeit. 19<br />
Mit der Weiterentwicklung der industriellen Produktion zum „digitalisierten Kapitalismus“ 20<br />
schwindet die Bedeutung spezifisch männlicher Fähigkeiten für den Wertschöpfungsprozess.<br />
Die Unternehmen heute brauchen den Typus des „abstract worker“, der „soziale Bindungen<br />
und Geschlechtszugehörigkeit in der Privatheit zurücklassen muss“. Ob Mann oder Frau,<br />
wichtiger als Geschlechtsmerkmale werden beruflich verwertbare Fähigkeiten und<br />
Kenntnisse.<br />
An diese Analyse von Böhnisch lässt sich der Gedanke anknüpfen, dass sich die<br />
spätkapitalistische Gesellschaft im rapiden Wandel von der Produktions- zur Dienstleistungs-<br />
, Wissens-, Kommunikations- und Entwicklungsgesellschaft befindet. 21 Dies erfordert hohe<br />
kommunikative, intellektuelle und kreative Potenziale der in ihr erfolgreichen Menschen.<br />
Psychologisches „know how“ und gute Arbeits- und Beziehungsfähigkeiten – gerade auch im<br />
Stress und im Konflikt – erhalten immer größere Bedeutung. 22<br />
Wenn bereits Vorschul- und Grundschulkinder differenzierte kommunikative Konflikt-<br />
Strategien erwerben, die auch Geschlechtsstereotype hinterfragen 23 , kann die heute<br />
bedeutsame Formel der „partnerschaftlichen Beziehung von Elternpaaren“ keine<br />
theoretische Leerformel mehr bleiben. Die Mehrheit der Individuen füllt sie zwar noch mit der<br />
klassischen Form der Arbeitsteilung, weil auf Grund der in der Regel besseren<br />
Verdienstmöglichkeiten für Männer diese traditionelle Form für die meisten Paare noch die<br />
ökonomisch lukrativere ist.<br />
Die wachsende Bedeutung der Formel von der „partnerschaftlichen Beziehung von<br />
Elternpaaren“ hat in den subjektiven Bedürfnissen und Fantasien der Paare aber längst den<br />
gleichberechtigten Zugang von Männern und Frauen zu beruflichen<br />
Entwicklungsmöglichkeiten und zu familiärem Beziehungsleben konkret werden lassen 24 .<br />
Auf der Ebene gesellschaftlicher Leitbilder steht das „partnerschaftliche Beziehungsmodell<br />
von Elternpaaren“ zumindest gleichwertig neben dem eher patriarchalischen Modell „Papa ist<br />
17<br />
ebenda, S. 195<br />
18<br />
L. Böhnisch, Männliche Sozialisation, Weinheim, München, 2004<br />
19<br />
ebenda, S. 25 ff.. Geprägt wurde der Begriff von dem Soziologen R.W. Connel<br />
20<br />
Ebenda, S.44<br />
21<br />
Ein Beispiel: Im Daimler-Benz-Werk Rastatt bedienen und überwachen in der<br />
Karosseriekonstruktion derzeit pro Schicht 200 Mitarbeiter 900 Roboter. Obwohl diese Roboter<br />
theoretisch eine Lebensdauer von über 30 Jahren besitzen, werden sie voraussichtlich in Fünf-Jahres-<br />
Zyklen gegen neue, dann wieder weiterentwickelte, ausgetauscht.<br />
22<br />
Im Jahr 1996 wies Ellis Huber auf einem Kongress für Familientherapeuten in Aachen darauf hin,<br />
dass das 6. Kondratieff gesellschaftlicher Entwicklung sich auf die psychosoziale Gesundheit und die<br />
psychosoziale Kompetenz der Menschen beziehe. Kondratieff, russischer Volks<strong>wir</strong>t, 1892-1938. Er<br />
entwickelte eine heute noch hoch interessante Theorie über gesellschaftlichen Entwicklungszyklen.<br />
23<br />
Siehe das Projekt „Abenteuer Konflikt“ (Langosch/Müller) der ask Familienberatung für Kitas der<br />
Stadt Nidderau oder das Projekt „Faustlos“ (M. Cierpka) der Stelle „KISCH“ für Kitas und<br />
Grundschulen des Main-Kinzig-Kreises<br />
24<br />
Insofern werden die von Badinter Anfang der 1980er Jahre dargelegten Analysen vom Trend zum<br />
„androgynen Geschlecht“ bestätigt.<br />
9
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Ernährer und Mama die Familienmanagerin“. Vertreter einer konservativen Richtung, die aus<br />
der biologischen Konstitution von Frauen deren „natürliche“ Destination primär für die<br />
Hausfrau- und Mutterrolle ableiten wollen, werden in der Regel von einem aufgeklärten<br />
Mittelschichtpublikum milde belächelt. 25<br />
J. Rauch trägt zahlreiche Beispiele dafür zusammen, dass selbst im Tierreich „Väter“<br />
verbindlich Pflege- und Beziehungsaufgaben für die nachfolgende Generation<br />
übernehmen. 26<br />
W. Fthenakis beschreibt in seinem Gutachten „Facetten der Vaterschaft“ 27 , dass die<br />
Vaterrolle keine von der Natur vorgegebene unverrückbare Struktur hat, sondern in ihren<br />
Ausprägungen immer schon von historischen, ökonomischen, sozialen und psychologischen<br />
Einflussfaktoren verändert und verwandelt worden ist. Er empfiehlt der Bundesregierung, in<br />
ihren Entscheidungen Voraussetzungen dafür zu verbessern, dass Väter sich über die<br />
Aufgabe des Geldverdienens hinaus als Bezugsperson und Gestalter in den Alltag der<br />
Familie einbringen können. Er warnt allerdings auch vor einer Überschätzung der Bewegung<br />
der „neuen Väter“. Es gehe erst einmal um mehr Gestaltungsräume für die junge Familie, die<br />
sich ihr persönliches Modell der Rollenteilung konkret erarbeiten wolle und hierzu auch<br />
Chancen erhalten müsse.<br />
In der Tat stecken ja auch noch starke Widerstände gegen die Umsetzung des<br />
„partnerschaftlichen Beziehungsmodells von Elternpaaren“ in ökonomischen Faktoren: Die<br />
meisten der von uns beratenen Familienväter berichten, dass die augenblickliche<br />
<strong>wir</strong>tschaftliche Situation ihres Unternehmens sie zwinge, im Beruf hoch engagiert und<br />
jederzeit zu Überstunden bereit zu sein. Die hohen Arbeitslosenzahlen verschärfen diesen<br />
Druck auf Lohnabhängige. Die Entwicklungen verlaufen offenbar widersprüchlich: Einerseits<br />
werden in der Arbeitswelt - wie oben beschrieben - höhere psychosoziale Kompetenzen von<br />
Arbeitnehmern gefordert. Unternehmer versuchen, ihre Mitarbeiter als differenzierte<br />
Persönlichkeiten zu sehen, somit auch deren familiäre Einbindungen zu berücksichtigen<br />
(„Familienfreundlichkeit“), um sie letztlich hoch für die Arbeit und das Unternehmen zu<br />
motivieren. Auf der anderen Seite propagieren Unternehmer, dass deutsche Arbeitnehmer<br />
im Weltvergleich zu wenig arbeiten und eine zeitliche Ausweitung und weitere Intensivierung<br />
der Erwerbsarbeit in der globalisierten Welt unvermeidlich seien. Die familien- und<br />
partnerschaftsfeindlichen Aus<strong>wir</strong>kungen dieser Forderung werden damit den Arbeitnehmern<br />
zur privaten Bewältigung aufgeschultert. 28<br />
Die Widerstände gegen die Realisierung des „partnerschaftlichen Beziehungsmodells“<br />
stecken aber sicher auch im bewussten oder unbewussten Festhalten an<br />
Verhaltensgewohnheiten. Eine aktuelle Studie zu „Besonderheiten der Zeitverwendung von<br />
Frauen und Männern“ der Autorinnen Sellach, Enders-Dragässer und Libuda-Köster kommt<br />
zum Schluss, dass Männer und Frauen in ihrer individuellen Zeiteinteilung<br />
geschlechtsspezifischen Mustern folgen.<br />
„Männer entscheiden über ihre Zeit in Abhängigkeit von der Zeit, die sie im Erwerbs- und<br />
Einkommensspielraum einsetzen. Frauen entscheiden über ihre Zeit in Abhängigkeit von der Zeit, die<br />
sie im Sozialspielraum einsetzen.<br />
Für Männer rangieren Aktivitäten im sozialen Bereich und im Bereich von Freizeit fast gleichrangig,<br />
während Frauen eine eindeutigere Rangfolge von Aktivitäten haben. Nach dem Sozialspielraum hat<br />
der Erwerbs- und Einkommensspielraum zweite Priorität, erst danach setzen sie Freizeitaktivitäten.<br />
25<br />
So z.B. in der Talkshow „Nachtcafe“ mit Wieland Backes im SWR3 zum Thema „Lebensläufe von<br />
Müttern“, ausgestrahlt im Februar 2006<br />
26<br />
Judith Rauch, „Das neue Bild vom Vater“ in Geo Wissen, Heft 37, 2006, S. 30 ff..<br />
27<br />
Wassilios Fthenakis, „Facetten der Vaterschaft“, Hrsg. vom Bundesministerium für Familie,<br />
Senioren, Frauen und Jugend, März 2006<br />
28<br />
Vgl. z.B. die Positionen von Hans-Olaf Henkel (früher IBM) und Rudolf Frisch (Weleda) in der<br />
Sendung „Christiansen“ vom 30.04.2006<br />
10
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Für Männer sind eher Ausbildung und Beruf die ihre Zeitverwendung beeinflussenden Faktoren,<br />
während für Frauen eher die Anwesenheit von Kindern im Haushalt bedeutsam ist.“ 29<br />
Mit anderen Worten: Angesichts der Situationen in der Arbeitswelt und bei Berücksichtigung<br />
der bei Männern und Frauen vorhandenen Verhaltensgewohnheiten werden noch viele<br />
Auseinandersetzungen im politischen Raum, in Unternehmen, Behörden und Verbänden, in<br />
Familien und Paarbeziehungen notwendig sein, bis das neue Leitbild einer<br />
partnerschaftlichen Elternschaft für viele Familien gültig konkret im Alltag ankommen <strong>wir</strong>d.<br />
3. Wie versuchen <strong>wir</strong> als FamilienberaterInnen und -therapeutInnen in unserer<br />
Beratungsstelle diesen gesellschaftlichen und individuellen Trends gerecht zu<br />
werden?<br />
Als systemisch denkende FamilienberaterInnen und FamilientherapeutInnenn begrüßen <strong>wir</strong><br />
die Propagierung des partnerschaftlichen Leitbildes für Elternpaare.<br />
Zu häufig noch sind <strong>wir</strong> in unserer Arbeit mit den negativen Folgen der patriarchalischen<br />
Struktur im Geschlechterverhältnis konfrontiert:<br />
Wir erleben immer wieder Männer und Frauen, die sich gegenseitig gering schätzen, sich<br />
und ihre Anliegen wechselseitig ignorieren, sich misstrauisch begegnen und sich immer<br />
wieder in eskalierende Kampfsituationen verwickeln. Sie schaffen es nicht, sich gegenseitig<br />
als Ergänzung, Entlastung und Bereicherung zu verstehen und die Sorge und Arbeit für die<br />
gemeinsamen Kinder gemeinsam zu schultern.<br />
Wir erleben, dass eindeutig häufiger Männern als Frauen Zeit- und Finanzbudgetplanungen<br />
ohne Berücksichtigung der Bedürfnisse der anderen Familienmitglieder vornehmen.<br />
Wir erleben Versuche – und dies häufiger bei Mütter als bei Väter, den jeweils anderen<br />
Elternteil aus Beziehungen zu und Verantwortung für die Kinder heraus zu drängen.<br />
Wir erleben Verantwortungslosigkeit, Grenzverletzungen, Sucht und Gewalt, die häufig zu<br />
Motivationsverlust, Desorientierungen, Traumatisierungen und psychischen Erkrankungen<br />
beim Partner / der Partnerin und den Kindern führen.<br />
Meine Überzeugung (und damit auch eine Quelle für meine beruflichen Motivation) ist, dass<br />
diese beschriebenen negativen Verhaltensweisen nicht (nur) einem „Bösen“, einem dem<br />
„Individuum innewohnenden Abstraktum“ (in Abwandlung der Marx-Formulierung)<br />
entspringen, sondern dem „Ensemble“ der über die Jahrhunderte entwickelten<br />
Umgangsformen und Haltungen von Männern und Frauen zueinander, die eben von einem<br />
patriarchalischem Verhältnis der Geschlechter geprägt sind. Das christliche Gebot der<br />
Nächstenliebe, die Aufklärung, die rechtliche Gleichstellung der Geschlechter und die<br />
Erkenntnisse der modernen Sozialwissenschaften haben die Chancen dafür verbessert,<br />
dass in immer mehr familiäre Beziehungen humane Muster Eingang finden können.<br />
Ein solches humanes und partnerschaftliches Verhalten der Eltern verspricht bessere<br />
Lebens- und Entwicklungsbedingungen für die Kinder und erhöht die Wahrscheinlichkeit für<br />
eine höhere Lebenserwartung der Eltern selbst.<br />
Als systemische FamilienberaterInnen und –therapeutInnen sehen <strong>wir</strong> es u. a. als unsere<br />
Aufgabe an, verdrängte und als „Symptom“ verzerrt wahrnehmbare Bedürfnisse und<br />
Anliegen von Familienmitgliedern zu erspüren, zu ihrer Wahrnehmung zu ermutigen, - zu<br />
helfen, diese in den Diskurs der Familie einzubringen, dabei zu unterstützen, dass die<br />
Aushandlungsprozesse konstruktiv und gerecht gelingen können und somit Familien in einen<br />
besseren Balancezustand gelangen können.<br />
Wenn Eltern partnerschaftlich kooperieren, sich in ihrer Unterschiedlichkeit gegenseitig<br />
wertschätzen, anstehende Aufgaben und Probleme immer wieder lösungsorientiert<br />
diskutieren und erarbeitete Strategien verbindlich und einvernehmlich umsetzen, stellen sie<br />
29 Besonderheiten der Zeitverwendung von Frauen und Männern, Sellach u.a., eine Veröffentlichung<br />
des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, Dezember 2005<br />
11
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
ein ideales und zeitgemäßes Kommunikations- und Kooperationsmodell für ihre Kinder dar,<br />
das letztere gut auf ihre Zukunft in der demokratischen und offenen Arbeits-, Leistungs- ,<br />
Kommunikations- und Beziehungsgesellschaft vorbereitet.<br />
Gleichzeitig müssen <strong>wir</strong> uns, wenn <strong>wir</strong> Elternpaarbeziehungen mit dem Maßstab des<br />
„partnerschaftlichen Modells von Elternschaft“ messen wollen, allerdings auch oft<br />
zurückhalten: In einigen Fällen ist es sogar notwendig sich z. B. klar zu machen, dass<br />
manche unsere Vorfahren fünf oder sechs Generationen vor uns aus <strong>wir</strong>tschaftlichen<br />
Gründen gar nicht die Chance hatten, Familien zu bilden. Ich denke hier an Menschen, die<br />
sich als Tagelöhner, Knechte, Mägde oder Vagabunden durchschlagen mussten 30 . Sehr<br />
krass kann man formulieren: Als Familie zusammen zu leben ist also, historische betrachtet,<br />
für manche Individuen ein relativ neuer Versuch das Leben zu führen. Auch aus diesen<br />
historischen Überlegungen erwächst der Respekt vor den Problemlösungsansätzen der uns<br />
aufsuchenden Menschen.<br />
Pädagogisch und psychologisch gesehen ist die Bestärkung vorhandener, wenn auch noch<br />
rudimentärer, konstruktiver Ansätze, in bestimmten Fällen effizienter für die Unterstützung<br />
von positiven Entwicklungen 31 als die Konfrontation mit zu hohen Standards wie zum<br />
Beispiel dem „partnerschaftlichen Modell von Elternschaft“.<br />
Und doch versuchen <strong>wir</strong> grundsätzlich, Väter in die Beratungsprozesse einzubeziehen,<br />
gerade auch bei Trennungs- und Scheidungssituationen.<br />
Die Themen Trennung und Scheidung sind in Erziehungsberatungsstellen bundesweit in<br />
einem sehr hohen Maß vertreten, wie Mechthild Sckell in unserem Jahresbericht 2004<br />
bereits dokumentiert und diskutiert hat.<br />
Seit 1994 haben <strong>wir</strong> die Beteiligung der Väter im Beratungsprozess statistisch erfasst und im<br />
jeweiligen Jahresbericht dokumentiert, eine Maßnahme zur Qualitätskontrolle unserer Arbeit.<br />
Jetzt nach 12 Jahren ist festzustellen, dass die Quote der erfolgreichen Einbeziehung der<br />
Väter in die Beratungen immerhin um die 60%-Marke pendelt. Erziehung, Beziehung als<br />
Thema, insbesondere als Thema von Beratungen bleibt allerdings auch in der Erfahrung<br />
unserer Einrichtung eine Domäne der Frauen 32 . Das hält uns nicht davon ab, die häufig<br />
anzutreffende „Nicht-Kommunikation“ von Vätern im Hinblick auf ihre Aus<strong>wir</strong>kungen auf<br />
Partnerinnen und Kinder immer wieder zu thematisieren. 33<br />
Unsere Beobachtungen sind, dass die Abwesenheit der Väter oder deren konsequente<br />
Nicht-Anteilnahme am Entwicklungsgeschehen ihrer Kinder zu folgenden negativen<br />
Erscheinungen führen können: (In Klammern stehen die z. T. unbewussten Impulse<br />
betroffener Kinder.)<br />
• Geringes Selbstwertgefühl des Kindes („Papa hält mich nicht für wichtig!“)<br />
• Ängste („Papa beschützt mich nicht!“)<br />
• Überzogene Selbstdarstellung oder stark ausgeprägtes oppositionelles Verhalten<br />
(„Ich muss et<strong>was</strong> anstellen, damit Papa sich endlich mal um mich kümmert!“)<br />
• Geringschätzung von Frauen und Müttern („Papa lässt nicht erkennen, dass er die<br />
Mama respektiert oder sie mag!“)<br />
• Eskalationen in der Pubertät („Papa hält sich ja auch nicht daran, andere zu<br />
respektieren oder Absprachen einzuhalten!“)<br />
Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Anzumerken ist, dass Jungen vermutlich aufgrund ihrer<br />
Identifikation mit dem Vater häufiger in dieser Weise auffallen. Diese Beobachtung konnten<br />
<strong>wir</strong> allerdings auch bei Mädchen machen. 34<br />
30 Vgl. Hundsalz, Die Erziehungsberatung, Weinheim 1995, S. 48<br />
31 Vgl. die Arbeit von Maria Aarts, www.martemeo.de<br />
32 74% unserer Anmeldungen in 2005 wurden von Müttern vorgenommen.<br />
33 Vgl. Watzlawick u.a. Menschliche Kommunikation, 1974<br />
34 Sehr differenzierte Materialien zur Vater-Kind-Beziehung finden sich im bereits erwähnten<br />
Gutachten von Fthenakis: Facetten der Vaterschaft, a.a.O.<br />
12
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Daher ist es für unser Team eine „Standard-Situation“, einer allein erziehenden Mutter, die<br />
sich uns mit ihrem Kind wegen Erziehungsschwierigkeiten vorstellt, mit Nachdruck den<br />
Vorschlag zu unterbreiten, den getrennt lebenden Vater des Kindes in die Beratung<br />
einzubeziehen.<br />
Unabhängig von einer besonderen Betrachtung der Rolle junger Väter sehen <strong>wir</strong>, dass die<br />
Situation junger Familien heute häufig folgende belastenden Merkmale aufweist:<br />
• Die erforderliche berufliche Mobilität führt oft zum Verlust gut erreichbarer familiärer<br />
Unterstützungssysteme. Hier sollten durch vorhandene Ressourcen<br />
(Kindertagesstätten, Vereine, Selbsthilfegruppen) noch mehr Ersatz-Angebote<br />
gemacht werden.<br />
• Die im Beruf erworbenen hohen Ansprüche an Perfektion stehen oft im Konflikt mit<br />
den alltäglichen Chaos-Situationen im Zusammenleben mit kleinen Kindern. Die<br />
Eltern werden unzufrieden und missmutig, daraus entwickelt sich leicht ein<br />
Teufelskreis negativer Erfahrungen, Bestätigungen, Verfestigungen und Selbstbilder,<br />
der auch die Kinder einbezieht. Junge Eltern brauchen mehr Informationen über<br />
psychologische Entwicklungsabläufe bei Kindern und Kleinkindern.<br />
• Entlastungsversuche von Unternehmen für junge Familien orientieren sich nicht<br />
genug an den innerfamiliären Notwendigkeiten und zu stark an <strong>wir</strong>tschaftlichen<br />
Überlegungen. Unternehmen sollten die besondere Belastungssituation junger<br />
Familien sensibel würdigen. Menschen können, bei geeigneten Bedingungen, an<br />
ihren Aufgaben wachsen. Das Ergebnis können belastbare und kreative<br />
Persönlichkeiten mit hoher Loyalität gegenüber dem Unternehmen sein.<br />
• Die pädagogisch-psychologische Bedeutung der Präsenz des Vaters als lebendige<br />
Person für seine Kinder <strong>wir</strong>d immer noch zu häufig unterschätzt. Ein neues Vaterbild<br />
ist hoffentlich im Werden.<br />
• Junge Paare sind zu wenig qualifiziert für das „Kleinunternehmen Familie“: Wichtige<br />
Module sind „gute Kommunikationsfähigkeit in Konfliktsituationen“ und die<br />
Entwicklung eines realistischen Verständnisses davon, <strong>was</strong> eine „gute Beziehung“ ist.<br />
Anders gesagt: Paare messen sich zu häufig am Trugbild fortwährender Harmonie<br />
und intensiver Verliebtheit als Maßstab einer gelungenen Beziehung.<br />
• Schließlich sollte die Bereitschaft größer sein, in kritischen Situationen frühzeitig<br />
externe Berater aufzusuchen. Je früher ein Problem mit einem kompetenten Berater<br />
besprochen <strong>wir</strong>d, desto geringer ist der Aufwand, Lösungspotentiale zu mobilisieren.<br />
Resümierend bleibt fest zu halten: Wir spüren die Suche von immer mehr Elternpaaren nach<br />
kommunikativen Lösungen für Krisensituationen: Es gibt eine wachsende Bereitschaft von<br />
Eltern, für Erziehungs- und Beziehungsfragen entsprechend kompetente Beratungsstellen<br />
aufzusuchen. Als durchaus ansteigend sehen <strong>wir</strong> auch die Bereitschaft der Väter an, sich in<br />
Erziehungsfragen zu engagieren und gegebenenfalls auch mit zu einer Beratung zu<br />
kommen.<br />
Als Beispiel mag die Situation des Ehepaares P. beide etwa 40 Jahre alt, zwei Kinder 10 und<br />
12 Jahre alt, dienen:<br />
Beide Ehepartner stammen aus italienischen Familien, sie selbst sind als Kinder nach Deutschland<br />
gekommen und hier aufgewachsen. Herr P. nimmt telefonisch Kontakt zur Beratungsstelle auf,<br />
nachdem er von einer „Katastrophe“ betroffen sei, wie er sagt: Seine Frau zog Hals über Kopf mit<br />
beiden Kindern zu ihrer Schwester. Zum ersten Termin erscheint das Paar gemeinsam. Er erklärt,<br />
dass er seine Frau immer noch liebe und alles tun wolle, damit sie wieder zu ihm zurückkehre,<br />
weshalb er ihr auch vorgeschlagen habe zur Paarberatung zu kommen.<br />
13
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Sie erklärt als Grund für ihren Schritt, aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen, sie habe das<br />
Gefühl, ihrem Mann alles gegeben zu haben, aber zu wenig zurück zu bekommen. Sie sei durchaus<br />
an der Fortsetzung der Beziehung interessiert, aber diese müsse „anders“ werden.<br />
Deutlich <strong>wir</strong>d, wie sehr beide italienisch-stämmigen, katholischen, gut in Deutschland integrierten<br />
Menschen in ihren familiären Traditionen verhaftet sind. Beide haben die jeweiligen Schritte viel Mut<br />
und Überwindung gekostet: Sie löste sich von der Tradition, dass eine Ehefrau alles zu ertragen hat<br />
und beginnt ihre Wünsche nach einer neuen Gestaltung des Beziehungskontraktes zu artikulieren. Er<br />
reagiert nicht, wie man erwarten könnte, tief beleidigt und kompromisslos auf ihre „Provokation“,<br />
sondern beginnt zu versuchen sie zu verstehen und sein eigenes Verhalten in Frage zu stellen. Der<br />
Aushandlungsprozess zwischen den beiden gleichberechtigten Beziehungspartnern um die<br />
Neugestaltung ihrer Beziehung kann beginnen.<br />
Auch in unserer präventiven Arbeit hat die Unterstützung der Entwicklung<br />
partnerschaftlicher Beziehungsformen von Elternpaaren einen wichtigen Stellenwert. Wir<br />
unterstützen z.B. das Väterprojekt der „familienfreundlichen Kommune“ Hammersbach, die in<br />
unserem Einzugsgebiet liegt. In diesem Rahmen gestaltete der Autor dieses Artikels<br />
gemeinsam mit Dr. Harald Seehausen 35 zwei Seminare für Erzieherinnen der<br />
Hammersbacher Kindertagesstätten mit. Der Inhalt des einen Seminars war die<br />
Beschäftigung mit den Wandlungen der Vaterrolle. Die Hammersbacher Kindertagesstätten<br />
arbeiten intensiv an der Einbeziehung der Väter in ihren Alltag mit den Kindern. Die<br />
praktischen Erfahrungen sind von Karin Ortiz an anderer Stelle dokumentiert 36 .<br />
Das Thema des zweiten Seminars war die Auseinandersetzung mit Fragen einer<br />
geschlechterdemokratisch reflektierten Jungenerziehung. Die theoretischen Beiträge für<br />
dieses Seminar werden im Folgenden referiert.<br />
4. Beiträge zu einer geschlechterdemokratischen Jungenerziehung<br />
Im Vorfeld des Seminars sprachen die ErzieherInnen über ihre Beobachtungen, dass Mütter<br />
ihre Söhne häufig als wild, ungezügelt, schlecht zu lenken, unaufmerksam, wenig einfühlsam<br />
beschrieben. Nicht wenige der Mütter schlussfolgerten im Gespräch daraus, dass ihre Söhne<br />
früher oder später psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen würden müssen. Die<br />
Väter derselben Söhne erschienen eher gelassen bei der Erörterung dieser Beobachtungen<br />
und kamen nicht auf den Gedanken, die spätere Notwendigkeit von Psychotherapie für ihre<br />
Söhne zu erwägen.<br />
Im Seminar gingen die Teilnehmer nun nicht der Frage nach, ob die Einschätzungen der<br />
Mütter oder die der Väter über ihre Söhne die richtigeren seien. Vielmehr unterstellten <strong>wir</strong><br />
zunächst die Vermutung, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in den<br />
Verhaltensweisen von Jungen und Mädchen durch „ein komplexes Gefüge von biologischen<br />
Faktoren, Sozialisationsprozessen in Familien und Institutionen sowie Wahrnehmungs- und<br />
Zuschreibungsprozessen der sozialen Umgebung“ bedingt sein dürften.<br />
Um zielgerichtet und <strong>wir</strong>kungsvoll eingreifen zu können, wurde vorgeschlagen, sich<br />
intensiver mit geschlechtsspezifischen Wirkfaktoren der sozialen Umgebung<br />
auseinanderzusetzen. Es wurde die Frage gestellt, welche Leitbilder von Männlichkeit auf<br />
kleine Jungen <strong>wir</strong>ken.<br />
35<br />
Dr. Harald Seehausen, Frankfurter Agentur für Innovation und Forschung, FAIF, Vgl. Zeit in und für<br />
Familien.., Beitrag zum 7. Familienbericht des Bundes, Hrsg.:BAG der freien Wohlfahrtspflege e.V.<br />
u.a. 2004, S.25 ff.<br />
36<br />
K. Ortiz: Der andere Kindergarten – Kindergarten der Gemeinde Hammersbach, in Kita aktuell, Heft<br />
2/2004<br />
14
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Hier wurde das typisch amerikanische Modell, das aber durch die enge mediale Anbindung<br />
auch deutliche Aus<strong>wir</strong>kungen auf das Männerbild in Westeuropa haben dürfte, zu Hilfe<br />
gezogen, so wie es Walter Hollstein dokumentierte 37 :<br />
• „No sissy stuff: Der Knabe und spätere Mann muss alles vermeiden, <strong>was</strong> auch nur<br />
den Anschein des Mädchenhaften, Weichen und Weiblichen hat. Seine männliche<br />
Identität erreicht er nur in klarer Absetzung vom anderen Geschlecht.<br />
• The big wheel: Der Knabe und spätere Mann muss erfolgreich sein. Erfolg stellt sich<br />
ein über Leistung, Konkurrenz und Kampf. Erfolg garantiert Position, Status und<br />
Staussymbole. Nur wer Erfolg hat, ist ein richtiger Mann.<br />
• The sturdy oak: Der Knabe und spätere Mann muss wie eine Eiche im Leben<br />
verwurzelt sein. Er muss seinen Mann stehen, hart, zäh, unerschütterlich, jedem<br />
Sturm trotzend, sich immer wieder aufrichtend, unbesiegbar.<br />
• Giv`em hell: Der Knabe und spätere Mann ist wie ein Pionier im Wilden Westen oder<br />
ein Held auf dem Baseball-Platz. Er wagt alles, setzt sich ein, ist aggressiv, mutig,<br />
heftig und wild, er ist der „winner“….“<br />
In der Diskussion zeigte sich, dass gerade auch bewusste Frauen dieses Männlichkeitsbild<br />
faszinierend finden können, wenn es um die Komponenten Fürsorglichkeit, Empathie und<br />
Verantwortungsgefühl für die eigene Partnerin und Familie ergänzt <strong>wir</strong>d 38 . Aber gerade die<br />
Entwicklung letzterer Fähigkeiten <strong>wir</strong>d durch die Ausprägung der „martialischen Seite“ der<br />
Männlichkeit eingeschränkt 39 .<br />
Um die Sicht für die destruktiven, die Schattenseiten, des männlichen Leitbildes zu schärfen<br />
wurde weitere empirisch abgesicherte Gesichtspunkte herangezogen 40 :<br />
• „Das eingeschränkte Gefühlsleben: Männer sind im Zwang emotionaler Kontrolle<br />
gebunden. Als Folge solch eingeschränkter Emotionalität entstehen Feindseligkeiten,<br />
Wut, die sich – aufgestaut – nicht selten explosionsartig in Aggressionen und Gewalt<br />
entladen.<br />
• Die Homophobie: Männer haben Angst vor der Nähe zu anderen Männern. Ein Mann,<br />
der seine eigene Feminität oder seine Anziehungskraft auf andere Männer fürchtet,<br />
ist versucht, sich und andere von seiner Heterosexualität zu überzeugen, indem er<br />
alle weiblichen, interpersonalen und intimen Gefühle oder Impulse unterdrückt. Diese<br />
Angst fördert – als Abwehr - kausal autoritäres, rigides und intolerantes Verhalten.<br />
• Die Kontroll- Macht- und Wettbewerbszwänge: Männer lernen früh, ihren Selbstwert<br />
über Erfolg zu bestimmen. Kontrolle, Macht und Wettbewerb sind Garanten dieses<br />
Erfolges. Umgekehrt schließen sie Ethos, Mitmenschlichkeit, Liebe und Fürsorge aus.<br />
• Das gehemmte sexuelle und affektive Verhalten: Männer spalten die eigene<br />
Sexualität von Zärtlichkeit und Emotionalität ab und erleben sie unter dem Aspekt von<br />
Leistung und Dominanz. Dabei <strong>wir</strong>d der Mann sexuell zum Opfer seiner eigenen<br />
Obsession von Erfolg und Macht.<br />
• Die Sucht nach Leistung und Erfolg: Sie ist die zwanghafte Notwendigkeit, das<br />
eigene Mannsein immer wieder neu erfahrbar zu machen und zu messen. Männer<br />
beziehen Selbstwertgefühl und Lebenssinn nur über ihre Arbeit und deren<br />
Gratifikation. Ihr Leben ist Tun und Haben, nicht Lassen und Sein.<br />
• Die unsorgsame Gesundheitspflege. Männer missachten körperliche Warnsignale,<br />
sind nur schlecht in der Lage zu entspannen, gehen nur selten zum Arzt.<br />
Körperpflege, psychische Hygiene und medizinische Vorsorge werden als<br />
unmännlich betrachtet. Schon der bloße Gang zum Arzt <strong>wir</strong>d als Eingeständnis<br />
weiblicher Schwäche gewertet. Ein richtiger Mann braucht keine Hilfe.“<br />
37<br />
Hollstein, Der Kampf der Geschlechter, München, 1993, S. 168 ff.<br />
38<br />
Vgl. auch Maja Storch: Die Sehnsucht der starken Frau nach dem starken Mann, München 2002<br />
39<br />
Benjamin, nach Hollstein, a.a.O..<br />
40<br />
Hollstein, a.a.O., S. 249 ff.<br />
15
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Auch von einer eher empathischen Seite wurde der unterschiedlichen Phänomenologie von<br />
Männern und Frauen nachgespürt, den „Archetypen“ von Männlichkeit und Weiblichkeit oder<br />
dem Ying und Yang Prinzip der chinesischen Mythologie. 41 :<br />
Schließlich richtete sich das Augenmerk des Seminars auf die besondere<br />
Beziehungsdynamik zwischen Mutter und Sohn, um auch hierdurch das Verständnis für die<br />
psychische Situation kleiner Jungen zu überprüfen und zu differenzieren.<br />
Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn ist eine gegengeschlechtliche und <strong>wir</strong>d dadurch<br />
beeinflusst, so die Unterstellung verschiedener AutorInnen 42 . Nie ist der Frau ein männliches<br />
Wesen so nah und so zugewandt wie ihr eigener Sohn. Es kann sich eine besondere<br />
Intimität entwickeln, die den <strong>wir</strong>klichen Mann, den Vater, „außen“ vor der symbiotischen<br />
Beziehung lässt. Die Mutter kann Bedürfnisse und Fantasien in die Richtung entwickeln, den<br />
Sohn zu „ihrem Traummann“ zu formen, d.h. sie empfindet dann das Bedürfnis, starken<br />
Einfluss auf das „Werden“ des Sohnes zu nehmen.<br />
Gleichzeitig weiß die Mutter aber auch, dass der Sohn eben Mann ist, damit anders ist.<br />
Zuviel Empathie, zuviel mütterliche Nähe könnte ihn ja in seiner männlichen Orientierung<br />
ver<strong>wir</strong>ren, also muss sie auf Distanz gehen und dem Sohn Distanz signalisieren. („Er <strong>wir</strong>d<br />
ein Mann werden, anders als ich, ich kann ihn nicht <strong>wir</strong>klich verstehen. In seinem eigenen<br />
Interesse muss er fort von mir, hin zu den Männern. Er soll ja ein erfolgreicher Mann unter<br />
Männern werden.“) 43<br />
Aus der Sicht des Sohnes stellt sich die Ambivalenz in der mütterlichen Zuwendung<br />
hypothetisch folgendermaßen dar:<br />
Einerseits spürt er die Begeisterung der Mutter über seine Existenz, ihre intensive<br />
Aufmerksamkeit, die sehr verheißungsvoll ist. Er erlebt ihr grenzenloses Verständnis, dass<br />
ihn wenig sensibel für die Impulse anderer werden lässt. Er erlebt aber auch den harten<br />
Gestaltungswillen der Mutter, ihre Eingriffe, die sich möglicherweise. weniger auf seine<br />
realen Möglichkeiten als vielmehr auf ihre Idealvorstellungen beziehen und ihn somit<br />
vielleicht überfordern.<br />
Schließlich erlebt er die innere Distanzierung der Mutter. Die Verheißung, das große<br />
Versprechen endet in einer nüchternen Abkühlung.<br />
Aus diesem „Wechselbad“ eben nicht unbefangener Gefühlserlebnisse heraus ist die<br />
Heftigkeit der Vermeidung der Identifikation der Söhne mit dem Nicht-Mann-Wesen 44 zu<br />
verstehen oder positiv formuliert: die starke Sehnsucht der Söhne danach, zu sein wie der<br />
Vater, der aufgrund seiner - in der Regel - häufigen Abwesenheit in der Wahrnehmung des<br />
Jungen eher die Gestalt eines Fabelwesens als die eines Menschen aus Fleisch und Blut<br />
hat.<br />
Badinter zitiert zu diesem Thema Margret Mead 45 , die schon viel früher zu ähnlichen<br />
Einschätzungen kam:<br />
„Mead leitet aus ihrer Untersuchung von sieben Inselvölkern der Südsee die Überzeugung<br />
ab, dass das Stillen, durch das eine Bindung zwischen dem Kind und der weiblichen Brust<br />
entsteht, die psychologische Entwicklung des Menschen entscheidend bestimmt. Beim<br />
Mädchen ist es die Grundlage für eine Identifikation mit seinem eigenen Geschlecht, die<br />
einfach und unkompliziert ist und ohne weiteres akzeptiert werden kann. Für den Knaben<br />
41<br />
Vgl.: Maja Storch, a.a.O., Vgl hierzu auch Hans Jellouschek, Mit dem Beruf verheiratet, 1997<br />
42<br />
Ch. Olivier, Jokastes Kinder, Düsseldorf 1988; Böhnisch, L., Winter, R., Männliche Sozialisation,<br />
Weinheim, München , 1993; W. Neumüller, B. Süffke, Den Mann zur Sprache bringen, Tübingen<br />
2004; Schnack, D., Neutzling, R., Kleine Helden in Not, Hamburg, 1990.<br />
43<br />
Zu vermuten ist, dass die Beziehung zwischen Müttern und Töchtern in der frühen Phase einfacher,<br />
unbefangener, funktionaler ist, weil sie eben nicht diese beschriebene Ambivalenz der Mutter-Sohn-<br />
Beziehung beinhaltet. Siehe auch den weiteren Text.<br />
44<br />
Vgl.Carol Hagemann-White nach Böhnisch, Winter, a.a.O.<br />
45<br />
E. Badinter, Ich bin Du, S. 216 f<br />
16
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
bedeutet das Stillen dagegen eine Umkehrung der späteren Rollen: (Die Mutter dringt ein<br />
und er empfängt. Um ein Mann zu werden muss er diese Passivität aufgeben. M. Mead) So<br />
ist das erste Erlebnis des kleinen Mädchens ein Erlebnis der Nähe zu seiner eigenen Natur,<br />
Mutter und Kind gehören zum gleichen Typ. Der kleine Junge dagegen lernt, dass er<br />
beginnen muss, sich von der ihm nächsten Person zu unterscheiden, dass er niemals ganz<br />
er sein <strong>wir</strong>d, wenn er das nicht tut. (Unterstreichung durch den Autor) Während also das<br />
kleine Mädchen sich vom Beginn des Lebens an so akzeptieren kann, wie es ist, <strong>wir</strong>d dem<br />
Jungen für den Erwerb seiner geschlechtlichen Identität eine Anstrengung abverlangt. Das<br />
Mädchen lernt zu sein, der Junge lernt, dass er et<strong>was</strong> tun muss, um ein Teil der<br />
Erwachsenenwelt zu werden. Das Mädchen weiß, dass seine Weiblichkeit in der Geburt von<br />
Kindern ihren Höhepunkt erreicht, für den Jungen dagegen <strong>wir</strong>d es nie eine so handgreifliche<br />
Gewissheit geben. Die Rolle des Mannes innerhalb der Fortpflanzung beschränkt sich auf<br />
einen einzigen Begattungsakt. Und einen sicheren Beweis der Vaterschaft gibt es …<br />
(zunächst) nicht.“<br />
Aus der Analyse der hoch ambivalenten frühen Mutter-Sohn-Symbiose (bei väterlicher<br />
Zurückhaltung oder Abwesenheit) entwickelten Böhnisch und Winter das Konzept der<br />
Externalisierung: 46 Diese sei typisches Kennzeichen männlicher Sozialisation und zeige sich<br />
in Verhaltensmerkmalen wie: Stummheit, Einsamkeit, Körperferne, Angst vor<br />
Homosexualität, Rationalität – als Abwehr störender Emotionen, Kontrolle als Abwehr von<br />
Unsicherheit 47 .<br />
Beeindruckend ist die Parallelität dieser – intuitiven - Analysen zu den oben zitierten<br />
empirischen Befunden von W. Hollstein über typisch männliche Eigenschaften.<br />
Die Beschäftigung mit der frühen Mutter-Sohn-Beziehung erweckt für praxisorientierte<br />
FamilienberaterInnen den Eindruck, dass Mütter am Beginn ihrer Beziehung zu ihrem Sohn<br />
in einer „double-bind-Situation“ stecken: Entweder, sie binden den Sohn zu stark, <strong>was</strong> ihn<br />
unselbstständig machen kann, oder sie stoßen ihn zu früh und zu heftig in die Ablösung, <strong>was</strong><br />
ihn Selbstvertrauen kosten kann. Völlig unabhängig von dem, wozu sie sich entscheidet, es<br />
gibt immer Anteile in ihr selbst oder Personen in ihrer Umgebung, die ihr signalisieren, es sei<br />
„nicht richtig“, <strong>was</strong> sie tue.<br />
Hier steckt offenbar ein Dilemma jeder individuellen Mutter-Sohn-Beziehung: Das, <strong>was</strong><br />
zwischen einer konkreten Mutter und ihrem Sohn als Bindung und als Ablösung angemessen<br />
ist, kann erst in einem längeren Prozess des Einfühlens und Handelns, Überprüfens und neu<br />
Handelns, Austarierens, in einem ständigen „Versuch-und-Irrtum-Verfahren“ erarbeitet<br />
werden.<br />
Anwendungsorientierte FamilienberaterInnen müssen zu dem Schluss kommen: Sinnvoller<br />
als von der Mutter allein kann dieser Prozess von zwei Menschen, eben von Mutter und<br />
Vater gemeinsam, gestaltet werden. Die Chance, schneller zu erkennen, sicherer zu<br />
handeln, klarere Orientierung zu geben, <strong>wir</strong>d verbessert, wenn beide, eben Frau und Mann,<br />
sich diese Arbeit des Einfühlens und Handelns teilen. Allerdings werden beide sich zunächst<br />
aufgrund ihrer unterschiedlichen Sichtweisen zwangsläufig in Auseinandersetzungen über<br />
diese Thematik verwickeln. Hier geht es dann darum, den Einstieg in den<br />
„partnerschaftlichen“, respektvollen Stil der Auseinandersetzung zwischen Vater und Mutter<br />
um die Frage, <strong>was</strong> der für sie und ihr Kind passende Weg ist, zu entwickeln. Gleichzeitig <strong>wir</strong>d<br />
durch das gemeinsame Agieren von beiden Gender-Typen 48 der Gefahr vorgebeugt, dass<br />
der Sohn sich zu sehr in Nähe-Distanz-Abgrenzungskämpfe mit seiner Mutter einerseits und<br />
in fantasiegelenkte Nacheiferungsbemühungen nach einem nebulösen Mann-Vater-Bild<br />
andererseits verliert. Wenn Väter sich früh einfühlsam und positiv auf Mutter und Kind<br />
beziehen, können sie helfen, diese gerade für kleine Jungen schwierige Situation zu<br />
46 L. Böhnisch, R. Winter, a.a.O.<br />
47 Vgl. auch W. Neumann, B. Süfke, a.a.O., S. 25 ff.<br />
48 R.J. Stoller definierte 1968 die Unterscheidung zwischen biologischem begründetem Sex einerseits<br />
und Gender als Sozialisationsprodukt andererseits. R.J. Stoller, Sex and Gender, New York 1968<br />
17
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
ent<strong>wir</strong>ren. Die Väter können ihre Frauen nach der Geburt bestätigen und entlasten und sie<br />
können sich dem Kind als zusätzliche, Zuwendung und Sicherheit schenkende<br />
Identifikationsfigur <strong>anbieten</strong>.<br />
Zugespitzt kann man also die Hypothese formulieren: Die wachsende Bereitschaft von<br />
Müttern, Erwerbsarbeit aufzunehmen und die Tendenz von Vätern, sich um frühe Bindungen<br />
zu ihren Söhnen zu bemühen, stellen keine Bedrohung der Kultur dar, sondern können eher<br />
ein unbefangenes und damit psychisch gesünderes Aufwachsen künftiger Generationen von<br />
Männern befördern.<br />
Für Erzieherinnen und Erzieher in Kindertagesstätten lässt sich folgendes Fazit formulieren:<br />
Das klassische Männlichkeitsbild – „der richtige Mann muss ein Kämpfer sein, er darf seine<br />
Gefühle nicht wahrnehmen...“, (u.s.w., siehe oben) - hat großen Einfluss auf kleine Jungen.<br />
Die konstruktive Auseinandersetzung der ErzieherInnen mit diesem Leitbild sollte aber nicht<br />
konfrontativ und abwertend erfolgen, sondern sollte die Sehnsüchte der Jungen verstehend<br />
respektieren und sie während der wachsenden Selbst- und Lebenserfahrung der „kleinen<br />
Helden 49 “ in ein differenzierteres Selbstkonzept integrieren, das Empathie für sich und<br />
andere zulässt und wachsen lässt.<br />
Der Begriff des „Helden“ hat im letzten Jahrhundert durch Aggressionskriege und<br />
Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Pervertierung und damit Entwertung erfahren. In<br />
der jüngeren und amerikanisierten Form ist der Held des „big wheel“ (s.o.) in erster Linie<br />
<strong>wir</strong>tschaftlich erfolgreich. Auch hier ist eine kritische Distanzierung gegenüber diesen<br />
Wertvorstellungen sinnvoll.<br />
Gemeint ist hier mit dem Begriff „Held“ eine starke, mutige Person, die sich unerschrocken,<br />
aber auch überlegt und kompetent und damit letztlich erfolgreich für eine allseits anerkannte<br />
gute Sache, aber auch für seine eigenen Interessen einsetzt, jemand, der beim Beschreiten<br />
seines Weges gute soziale Kontakte entwickeln kann, sich Bündnispartner schaffen kann<br />
und sich gegen Willkür, Übergriffe, hinterhältige Machenschaften wehren kann. Der Held<br />
schützt Schwache und Unterlegene und sorgt letztlich für Gerechtigkeit und sozialen<br />
Ausgleich.<br />
Heldentum in diesem Sinn 50 ist nicht an ein Geschlecht gebunden, es kann Jungen und<br />
Mädchen als Vorbild dienen. In seinen auf das jeweilige Alter von Kindern ausgerichteten<br />
Formen hilft es dabei, die moralischen Grundwerte und den Charakter zu formen.<br />
Aus all diesen Überlegungen <strong>wir</strong>d einsichtig, wie wichtig die Einbeziehung von Vätern und<br />
Männern auch in die Erfahrungswelt von Vorschul- und Grundschulkindern ist.<br />
An dieser Stelle danke ich der Leiterin der Beratungsstelle, Mechthild Sckell, meinen Kolleginnen Kirsten<br />
Heilmann, Renate Kutscher und Valentina Veneto Scheib und natürlich -last but not least- meiner Frau Brigitte<br />
Samide für die Gewährung von Freiräumen während des Schreibens und ihre konstruktive Kritik am Text.<br />
49 Vgl. D. Schnack, R. Neutzling, a.a.O.<br />
50 Vgl.: H. Jellouschek, Mit dem Beruf verheiratet, 1997<br />
18
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Kommentierte Statistik 2005<br />
1. Beratung für Kinder, Jugendliche, Eltern und Familien<br />
1.1 Gesamtzahl der beratenden Klienten<br />
Im Jahr 2005 wurde das Team der ask Familienberatungsstelle in insgesamt 801 Fällen<br />
tätig. Hinter dem Begriff „Fall“ verbirgt sich das Kind oder der Jugendliche mit seiner Familie<br />
oder der Jugendliche / junge Erwachsene alleine oder Elternteile alleine. Dabei können eine<br />
Familie oder Teile der Familie nur einmal oder auch häufiger Kontakt zu unserer<br />
Beratungsstelle haben. Für unsere Statistik <strong>wir</strong>d jeder Klient mit seiner Familie nur einmal<br />
gezählt, unabhängig, ob bei einer Beratungsvereinbarung mit einer Person oder mit<br />
mehreren Familienmitgliedern gearbeitet worden ist. Die Gesamtzahl von 801 Fällen setzt<br />
sich aus 223 aus dem Vorjahr weiter betreuten Familien und 578 neu im Berichtsjahr 2005<br />
aufgenommenen Ratsuchenden zusammen. 593 Beratungen konnten im Berichtsjahr<br />
abgeschlossen werden.<br />
Anzahl der Klienten 2005<br />
Neuaufnahmen 578<br />
Übernahme aus dem<br />
223<br />
Vorjahr<br />
Insgesamt 801<br />
Davon abgeschlossene<br />
Beratungen<br />
593<br />
Bestand am 31.12.2005 208<br />
Die im Jahr 2005 neu angemeldeten Klienten sind im Jahr 2004 nicht in Beratung beim ask<br />
gewesen, können aber durchaus in früheren Jahren schon Kontakt zu uns gehabt haben.<br />
Bei den aus dem Vorjahr weiter betreuten Familien kann es sich zum einen um Klienten<br />
handeln, die sich im Jahr 2004 angemeldet haben. In wenigen Fällen handelt es sich um<br />
Familien, die schon mehrere Jahre in unserer Beratungsstelle unterstützt wurden.<br />
Längerfristig beraten werden vorwiegend mehrfach belastete Familien mit emotional<br />
auffälligen Kindern.<br />
Dass Erziehungsberatung so häufig in Anspruch genommen <strong>wir</strong>d, liegt zum einen an ihren<br />
Rahmenbedingungen: Neben der Kostenfreiheit sind dies Freiwilligkeit und<br />
Schweigepflicht.<br />
Zum anderen <strong>wir</strong>d dieses Angebot von hochqualifizierten Fachkräften aus den Bereichen<br />
Psychologie, Psychotherapie, Pädagogik und Sozialpädagogik erbracht. Diese sind mit<br />
unterschiedlichen Arbeitsmethoden und Thematiken vertraut. In unserer<br />
Familienberatungsstelle verfügen alle Berater und Beraterinnen über Zusatzausbildungen in<br />
systemischer Familientherapie und haben darüber hinaus noch verschiedene<br />
Zusatzausbildungen z. B. in Verhaltens- und Gesprächspsychotherapie, in Elterntrainings<br />
und/oder in systemischer Supervision. Drei der Fachkräfte sind approbierte<br />
PsychotherapeutInnen.<br />
19
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
1.2 Entwicklung der Klientenzahl<br />
In der folgenden Tabelle <strong>wir</strong>d dargestellt, wie sich die Anzahl der Familien und Einzelpersonen,<br />
die beraten wurden, in den letzen fünf Jahren entwickelt hat.<br />
1000<br />
800<br />
600<br />
400<br />
200<br />
0<br />
2001 2002 2003 2004 2005<br />
Neue Anmeldungen<br />
Gesamtzahl der Familien<br />
Im Kalenderjahr wandten sich 578 Familien neu an uns. Damit wurde unser Angebot von der<br />
B<strong>ev</strong>ölkerung et<strong>was</strong> häufiger angenommen als in den Vorjahren.<br />
1.3 Verteilung der Klienten auf die Kommunen<br />
Die ask Familienberatungsstelle <strong>wir</strong>d von Menschen aus allen Orten ihres Einzugsgebietes<br />
aufgesucht. Eine besonders starke Nachfrage gab es im Jahr 2005 aus den Kommunen<br />
Bruchköbel, Erlensee, Langenselbold und Schöneck, wenn man die Zahl der beratenen<br />
Familien aus diesen Orten in Beziehung zur aktuellen Zahl der Wohnb<strong>ev</strong>ölkerung sieht.<br />
Verteilung der Ratsuchenden auf Orte in unserem Einzugsgebiet<br />
2004 in % 2005 in % Verteilung der Wohnb<strong>ev</strong>ölkerung in %<br />
Bruchköbel 14,7% 15,1% 13,5%<br />
Erlensee 9,7% 10,3% 8,5%<br />
Großkrotzenburg 5,7% 5,6% 5,0%<br />
Hammersbach 4,2% 3,7% 3,0%<br />
Langenselbold 9,5% 11,4% 8,0%<br />
Maintal 15,8% 18,5% 26,0%<br />
Neuberg 3,0% 2,4% 4,0%<br />
Nidderau 15,5% 12,0% 11,5%<br />
Niederdorfelden 2,1% 1,5% 2,0%<br />
Rodenbach 8,6% 7,0% 8,0%<br />
Ronneburg 2,3% 1,0% 2,0%<br />
Schöneck 7,3% 9,0% 7,0%<br />
Umkreis 1,5% 2,5%<br />
Summe 99,9% 100%<br />
20
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
1.4 Lebensalter und Geschlecht der vorgestellten Kinder, Jugendlichen und<br />
jungen Erwachsenen<br />
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf 593 abgeschlossene Beratungen. Dabei<br />
wurde je Familie nur jeweils das angemeldete Kind bzw. der oder die Jugendliche gezählt.<br />
In der Altersverteilung dominiert wie schon in den Vorjahren das Grundschulalter<br />
(6 bis 9 Jahre). In der Geschlechterverteilung zeigt sich der hohe Anteil an vorgestellten<br />
Jungen im Vorschul- und Schulalter im Vergleich zu dem Anteil der vorgestellten<br />
Mädchen. Bei der Altersgruppe der 15 bis 18-Jährigen überwiegt die Zahl der Mädchen<br />
leicht. Insgesamt werden mehr Jungen als Mädchen vorgestellt. Diese Zahlenverhältnisse<br />
finden sich auch in den Statistiken fast aller Erziehungsberatungsstellen bundesweit<br />
Lebensalter und Geschlecht der vorgestellten Kinder, Jugendlichen und jungen<br />
Erwachsenen<br />
Jungen Mädchen Gesamt<br />
Kleinkinder<br />
(0 bis unter 3 Jahre)<br />
Kindergartenkinder<br />
(3 bis unter 6 Jahre)<br />
Grundschulalter a<br />
(6 bis unter 9 Jahre)<br />
Grundschulalter b und<br />
Förderstufe<br />
(9 bis unter 12 Jahre)<br />
Pubertierende<br />
(12 bis unter 15 Jahre)<br />
Jugendliche<br />
(15 bis unter 18 Jahre)<br />
junge Erwachsene<br />
(18-27 Jahre)<br />
Anzahl Prozent Anzahl Prozent Anzahl Prozent<br />
7 1,2% 8 1,4% 15 2,6%<br />
59 10,0% 48 8,1% 107 18,1%<br />
80 13,6% 47 8,0% 127 21,6%<br />
63 10,7% 58 9,8% 121 20,5%<br />
49 8,3% 40 6,8% 89 15,1%<br />
43 7,3% 48 8,1% 91 15,4%<br />
22 3,7% 18 3,1% 40 6,8%<br />
Summen 323 54,7% 267 45,3% 590 100%<br />
1.5 Familiensituation<br />
Die familiäre Situation der angemeldeten Kinder und Jugendlichen stellt sich<br />
folgendermaßen dar: ca. 48% der Kinder leben bei ihren leiblichen Eltern, über 33% leben in<br />
einer Ein-Eltern-Familie, meist bei den Müttern, und über 15% leben in einer neu<br />
zusammengesetzten Familie. Insgesamt lebten etwa 52% der vorgestellten Kinder,<br />
Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht mit ihren beiden leiblichen Eltern zusammen 51 .<br />
51 Vgl. hierzu die jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes, veröffentlicht Anfang Juni 2006:<br />
Danach setzen sich Familien in Deutschland wie folgt zusammen: Ehepaare mit Kindern 73%, allein<br />
Erziehende 21%, Lebensgemeinschaften mit Kindern 6%. Hier <strong>wir</strong>d allerdings keine Aussage über<br />
den Anteil neu zusammen gesetzter Familien gemacht.<br />
21
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Lebensorte der jungen Menschen (in Prozent)<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
47,8<br />
33,4<br />
15,3<br />
0,9 1,9 0,9<br />
Kinderzahl in den beratenen Familien (in Prozent)<br />
5 u. mehr Kinder<br />
4 Kinder<br />
3 Kinder<br />
2 Kinder<br />
1 Kind<br />
1,4<br />
2,7<br />
13,1<br />
37,3<br />
bei leibl. Eltern<br />
bei Alleinerz.<br />
Stieffamilie<br />
Groß-/Pflegeeltern<br />
eigene Wohnung<br />
Sonstiges<br />
0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50<br />
1.6 Besondere Belastungen der vorgestellten Kinder und Jugendlichen<br />
In der folgenden Tabelle <strong>wir</strong>d deutlich, dass fast die Hälfte der angemeldeten Kinder und<br />
Jugendlichen von Trennung bzw. Scheidung betroffen sind. Bei fast jeder 3. Familie wurde<br />
eine Mehrfachbelastung diagnostiziert werden. Etwa 17% der Kinder stammen aus Familien,<br />
in denen mindestens eine andere Muttersprache als Deutsch gesprochen <strong>wir</strong>d. Etwa jede<br />
zehnte Familie war mit Arbeitslosigkeit mindestens eines Elternteils konfrontiert.<br />
Besondere Belastungen der vorgestellten jungen Menschen<br />
(N = 593), Mehrfachnennungen sind möglich<br />
Art der Belastung Absolut In Prozent<br />
Trennung /Scheidung 284 48,1%<br />
Vielfach belastete Familie 183 31,0%<br />
Migration (hierzu gehören auch Aussiedler) 102 17,3%<br />
Multikulturelle Zusammensetzung d. Familie 82 13,9%<br />
Arbeitslosigkeit der Eltern 59 10,0%<br />
Gewalt in der Partnerschaft 46 7,8%<br />
Tod eines Familienmitglieds 42 7,1%<br />
Vernachlässigung 28 4,8%<br />
Misshandlung (seelische, körperliche) 26 4,4%<br />
Bezug von Arbeitslosengeld 24 4,1%<br />
Überschuldung der Familie 22 3,7%<br />
Sexualisierte Gewalt 11 1,9%<br />
45,4<br />
22
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
1.7 Nationalitäten der beratenen Menschen<br />
Bei etwa 75% aller angemeldeten Kinder und Jugendlichen haben beide Eltern die<br />
deutsche Staatsangehörigkeit. Unter den beratenden Eltern sind etwa 14% binational,<br />
d.h. ein Elternteil deutsch, ein Elternteil anderer Nationalität. Bei etwa 10% der beratenen<br />
Familien stammen beide Eltern nicht aus Deutschland.<br />
Nationalitäten der Eltern (Angaben in Prozent)<br />
100<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
2. Beratungsprofil<br />
0<br />
76,7 74,8<br />
15,8<br />
7,4<br />
13,4<br />
2004 2005<br />
9,7<br />
beide deutsch binational beide nicht deutsch<br />
2.1 Anregungen zur Kontaktaufnahme mit der Beratungsstelle<br />
In der folgenden Tabelle ist dargestellt, welche Personen oder Institutionen einen Besuch<br />
unserer Beratungsstelle empfohlen haben. Die meisten Menschen (42%) werden durch die<br />
eigene Öffentlichkeitsarbeit der Beratungsstelle auf das Angebot aufmerksam. Mehr als jeder<br />
10. Klient kam aufgrund der Empfehlung einer Kindertagestätte. Über 10% der Menschen<br />
kamen aufgrund der Empfehlung durch Bekannte, die selbst früher hier bei uns beraten<br />
wurden.<br />
Empfehlung zum Besuch der Familienberatungsstelle durch<br />
absolut In Prozent<br />
Öffentlichkeitsarbeit der Beratungsstelle 248 42,0%<br />
Kita 66 11,2%<br />
Ehemalige Klienten 62 10,5%<br />
Schule 45 7,6%<br />
Arzt 35 5,9%<br />
Andere Beratungsstelle 34 5,8%<br />
Jugendamt 23 3,9%<br />
Gericht 10 1,7%<br />
Sonstige 70 8,5%<br />
2.2 Anmeldegründe<br />
„Beziehungsprobleme in der Familie“ sind bei fast 40% der Menschen der Anmeldegrund für<br />
die Familienberatungsstelle. Zusammen mit dem Grund „Trennung oder Scheidung“ sind sie<br />
bei fast drei Viertel der Anmeldungen die Hauptursachen für die Anmeldung.<br />
Mit etwa 26% stehen „Schul- und Ausbildungsprobleme“ an dritter Stelle.<br />
23
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
Bei dieser statistischen Erfassung konnten bis zu zwei Gründe pro Anmeldung vom Berater /<br />
von der Beraterin angegeben werden.<br />
Anmeldegründe für die Beratung (Kriterien siehe Hessisches Statistisches Landesamt)<br />
Prozentanteil (n=593)<br />
Beziehungsprobleme in der Familie 39,5%<br />
Trennung/Scheidung der Eltern 35,9%<br />
Schul- oder Ausbildungsprobleme des jungen Menschen 26,1%<br />
Entwicklungsauffälligkeiten des jungen Menschen 18,3%<br />
Anzeichen für sexuelle Gewalt am jungen Menschen 1,9%<br />
Anzeichen für Misshandlung am jungen Menschen 1,5%<br />
Straftat des jungen Menschen 0,9%<br />
Suchtprobleme des jungen Menschen 0,9%<br />
Wohnungsprobleme der Familie 0,3%<br />
sonstige Probleme in der Familie 20,9%<br />
2.3 Schwerpunkte der Beratung aus Sicht des SGB VIII<br />
Die Beratungen der Familienberatungsstelle finden auf der rechtlichen Basis des SGB VIII<br />
statt. Werden die einzelnen Beratungsfälle den einzelnen Paragrafen des SGB VIII<br />
zugeordnet, <strong>wir</strong>d deutlich, dass über die Hälfte der Fälle Erziehungsberatungen sind (§ 28).<br />
Bei etwa einem Drittel handelt es sich um Trennungs- und Scheidungsberatungen oder<br />
Paarberatungen (§ 17). Beratungen von jungen Menschen allein, seien sie volljährig oder<br />
auch noch nicht volljährig, nehmen einen Anteil von etwa 9% der Fälle ein.<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Erziehungsberatung<br />
Rechtliche Zuordnung der Beratungen<br />
54,4<br />
Partnerschaft, Trennung<br />
30,3<br />
Personensorge u. Umgang<br />
8,6 4,6<br />
Junge Erwachsene<br />
4,4<br />
Minderjährige<br />
24
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
2.4 Einbeziehung der Väter<br />
Familienmitglieder, insbesondere Väter, mit in den Beratungsprozess einzubeziehen ist<br />
uns grundsätzlich ein wichtiges, fachliches Anliegen, das in der Mehrzahl der Familien<br />
auch gelingt. Bei über 60% der Fälle nahm der Vater an der Beratung teil 52 .<br />
2.5 Diagnostische Maßnahmen<br />
Familientherapeutisch orientierte Beratung schließt die Familiendiagnostik direkt mit ein.<br />
Durch Familienanamnesen, Genogrammarbeit, Familienerstinterviews und systemische<br />
Gesprächsmethoden findet Familiendiagnostik statt. Dies ist ein großer und wichtiger<br />
Bestandteil unserer fachlichen Arbeit.<br />
Testpsychologische Untersuchungen im Bereich der Persönlichkeits- und<br />
Leistungsdiagnostik wurden bei 117 Kindern und Jugendlichen (20% aller Fälle)<br />
angewandt, wenn spezielle Fragestellungen dies erforderten. Insgesamt wurden 285<br />
diagnostische Maßnahmen durchgeführt.<br />
2.6 Anzahl der Beratungsgespräche<br />
Diese statistischen Zahlen können nur eine Tendenz wiedergeben. Unser fachliches<br />
Verständnis ist, dass <strong>wir</strong> für jede individuelle Familiensituation und für jede Problemlage eine<br />
möglichst angemessene Anzahl der Beratungsstunden und Beratungsdichte <strong>anbieten</strong> wollen.<br />
Dabei müssen <strong>wir</strong> manchmal Kompromisse angesichts der hohen Nachfragen nach<br />
Beratung machen. Unsere Erfahrung ist, dass in manchen Fällen eine gezielte<br />
Erziehungsberatung in einer Sitzung abgeschlossen sein kann. In anderen Fällen,<br />
insbesondere bei Familien mit verhaltensauffälligen Kindern, bei hoch strittigen Eltern, bei<br />
Familien mit Gewaltproblematiken u. ä. können andererseits über 20 Beratungsstunden im<br />
mind. 14-Tage-Rhythmus notwendig sein, um eine erste Lösung in der chronifizierten<br />
Familiensituation zu gewährleisten. Gerade bei jungen Menschen machen <strong>wir</strong> die Erfahrung,<br />
dass nach einer primären Phase der therapeutischen Vertrauensbildung mit<br />
Weiterverweisungen sehr behutsam umgegangen werden muss, um nicht im<br />
therapeutischen setting das bekannte Muster (Beziehungsabbruch, „hängen lassen“, „nicht<br />
kümmern“) scheinbar zu wiederholen.<br />
Abgesehen von der Tatsache, dass niedergelassene Psychotherapeuten, insbesondere<br />
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten in der Regel oft mehr als sieben Monate<br />
Wartezeit haben.<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
24%<br />
Beratungskontakte pro Familie<br />
37%<br />
26%<br />
9%<br />
1 2 bis 4 5 bis 9 10 bis<br />
14<br />
Anzahl von Familien in %<br />
52 Siehe auch den Fachartikel in diesem Jahresbericht<br />
3%<br />
15 bis<br />
19<br />
1%<br />
20 und<br />
mehr<br />
25
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
2.7 Wartezeiten, Erstgespräche und Kooperation<br />
Durchschnittlich betrug die Wartezeit von der in der Regel telefonischen Anmeldung bis zum<br />
Erstgespräch 17,2 Tage.<br />
Pro Woche führt das Team der Beratungsstelle regulär acht Erstgespräche. Wenn sich<br />
Familien oder insbesondere junge Menschen in einer akuten Krisensituation befinden, bieten<br />
<strong>wir</strong> über diese acht Termine hinaus kurzfristig Kriseninterventionsgespräche an. Dies<br />
geschieht pro Woche im Jahresdurchschnitt drei Mal.<br />
Nach einem ausführlichen Erstgespräch werden – falls erforderlich – weitere Termine mit<br />
einem individuell vereinbarten Beratungsauftrag abgesprochen. Als mehrfach belastet hat<br />
das Team der Beratungsstelle 183 von 593 beratenen Familien diagnostiziert, das entspricht<br />
31%.<br />
Bei diesen Familien hat sich die beratende Fachkraft in vielen Fällen entschieden, zusätzlich<br />
zur Beratung bei der ask Familienberatungsstelle Kontakt zu anderen Stellen vor zu<br />
schlagen. Weiterverweisungen an das Jugendamt mit Einverständnis der Betroffenen<br />
erfolgten von uns dann, wenn andere ambulante, stationäre oder teilstationäre<br />
Jugendhilfemaßnahmen in Form von Hilfen zur Erziehung notwendig wurden und die<br />
ambulante Erziehungsberatung nicht mehr ausreichend war.<br />
Bei insgesamt 121 Beratungsprozessen (20,5%) nahmen MitarbeiterInnen der Beratungsstelle<br />
nach Absprache mit dem beratenen Menschen Kontakt zu anderen Stellen auf. Insgesamt<br />
wurden etwa 200 Arbeitskontakte zu anderen Stellen in 2005 durchgeführt.<br />
Hier die Verteilung auf die verschiedenen angesprochenen Stellen:<br />
25%<br />
20%<br />
15%<br />
10%<br />
5%<br />
0%<br />
Jug A; 25%<br />
Schule; 25%<br />
Kita; 19%<br />
Arzt/Klinik; 18% Justiz; 2,50%<br />
andere Stellen;<br />
11%<br />
26
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
3. Prävention<br />
Präventives Arbeiten, dass das SGB VIII als Auftrag der Erziehungsberatungsstellen<br />
definiert, ist ein fester Bestandteil unserer Familienberatungsstelle. Es zielt darauf ab, das<br />
Auftreten bzw. die Verschärfung von sozialen, psychischen oder gesundheitlichen<br />
Problemen bei Kindern, Jugendlichen und ihren Familien zu verhindern.<br />
Die präventive Multiplikatorenarbeit und die präventive Information gehören somit zu den<br />
Aufgabenschwerpunkten der Familienberatungsstelle. Ziele sind hier Eltern, ErzieherInnen,<br />
Lehrkräften u.a. zu schulen und zu sensibilisieren, damit Probleme in der Entwicklung von<br />
Kindern und Jugendlichen frühzeitig erkannt werden und adäquate Interventionsmöglichkeiten<br />
gefunden werden können. Durch Öffentlichkeitsarbeit und politische Einflussnahme<br />
sollen möglichst frühzeitig Belastungen in Lebensfeldern von Kindern und Jugendlichen<br />
identifiziert und Veränderungen be<strong>wir</strong>kt werden.<br />
3.1 Fachberatungen/ Fortbildungen für Fachkräfte<br />
Folgende Projekte, Fortbildungen, Seminare und Fachberatungen fanden im Berichtszeitraum<br />
statt:<br />
• Projekte: „Abenteuer-Konflikt - Frühe Gewaltprävention in der Kita“<br />
• „Wie sag ich es? – Elterngespräche sicher und konstruktiv führen“<br />
• „Leitung einer Kindertagesstätte – Zwischen allen Stühlen oder Einflussnahme<br />
überall?“ (fortlaufende Gruppe)<br />
• „Männliche Leitbilder und Sozialisation von Jungen“<br />
• „Der Einfluss von Medien auf Kinder “<br />
• „Entspannung für Kinder“<br />
• Teamsupervisionen<br />
• Einzelfallsupervisionen<br />
• Einzelcoachings<br />
• Pädagogische und Psychologische Fachberatungen<br />
3.2 Präventionsangebote für Kinder und Eltern<br />
• Therapeutische Gruppen für Kinder im Alter von 8-13 Jahren: „Mama und Papa<br />
haben sich getrennt“<br />
• Elternkurse „Starke Eltern - starke Kinder“<br />
• Elternkurse mit Methoden des Video-Home-Trainings: „Erziehen durch guten<br />
Kontakt“<br />
• Für Eltern, die sich als Elternbeiräte engagieren wollen: „Eltern machen sich fit!“<br />
• Gesprächsgruppe für Frauen zu allen Fragen der Familie und der Erziehung<br />
27
ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
• Themenzentrierte Elternabende:<br />
� „Kinder stark machen, Eltern unterstützen“<br />
� „Kinder stärken, Kinder schützen“<br />
� „Liebe, Grenzen, Konsequenzen“<br />
� „Regeln; Grenzen; Konsequenzen“<br />
� „Kinder stark machen gegen Drogen!“<br />
� „Wenn im Kinderzimmer die Fetzen fliegen…Konflikte unter Kindern“<br />
� „Wenn Martin wieder ausrastet…“, Umgang mit Aggression und Gewalt<br />
� „Erziehung gestern - Erziehung heute? Was passt zu wem bei welchem Kind?“<br />
� „Wie lösen <strong>wir</strong> Konflikte in der Familie?“<br />
� Erziehung in der Familie – reine Nervensache?“<br />
� „Kinder trauern anders“<br />
3.3 Sozialräumliche Arbeit im Main-Kinzig-Kreis/Kooperationen<br />
Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Familienberatungsstelle kooperierten im Sinne einer<br />
sozialräumlichen fachlichen Vernetzung mit folgenden Institutionen:<br />
• Jugendamt des Main-Kinzig-Kreises<br />
• Psychologische Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensberatung, Erziehungsberatung,<br />
Diakonisches Werk Hanau<br />
• fjb Familien- und Jugendberatung im Fachbereich für Soziale Dienste der Stadt<br />
Hanau<br />
• Psychologische Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche, Gelnhausen<br />
• Ehe-, Familien- und Beratungsstelle Hanau<br />
• Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie Herborn, Außenstelle Ambulanz Hanau<br />
• Niedergelassene Kinder- und Jugendpsychiater<br />
• Psychotherapeutische Praxen<br />
• Kinderarztpraxen<br />
• Behindertenwerk Main-Kinzig, Pädagogische Frühförderstelle, Hanau<br />
• Jugend- und Drogenberatung des Diakonischen Werkes, Hanau<br />
• „Lawine“ Beratungsstelle für Betroffene von sexuellem Missbrauch<br />
• Frauenhaus Hanau<br />
• Frauenbüro der Kommunen Schöneck und Nidderau, Frauenbüro des<br />
Main-Kinzig-Kreises<br />
• <strong>Albert</strong>-<strong>Schweitzer</strong>-<strong>Kinderdorf</strong> Hanau - Vernetzung bei ambulanten Jugendhilfemaßnahmen<br />
• Kriminalpolizei Hanau, „K 12 Sitte und Häusliche Gewalt“<br />
• Schulpsychologischer Dienst des Staatlichen Schulamtes<br />
• Schulen<br />
• Gesundheitsamt des Main-Kinzig-Kreises<br />
• Gesundheitsamt des Main-Kinzig-Kreises, Sozialpsychiatrischer Dienst<br />
• Klinikum Stadt Hanau<br />
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ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
• Klinikum Stadt Hanau, Klinikseelsorge<br />
• St. Vinzenz Krankenhaus, Hanau<br />
• Amtsgericht Hanau, Familiengericht<br />
• Caritasverband Hanau, Sozialdienst<br />
• Frankfurter Agentur für Innovation und Forschung ( Dr. H. Seehausen)<br />
• Institut für Scheidungs- und Trennungsberatung (IST), Frankfurt<br />
• Agentur für Arbeit, Psychologischer Dienst<br />
• Balance – Beratung und Therapie bei Essstörungen e.V., Frankfurt<br />
• Welle e.V. Maintal<br />
3.4 Mitarbeit in Gremien und Arbeitsgruppen außerhalb der Einrichtung<br />
• Stimmberechtigtes Mitglied im Jugendhilfeausschuss des Main-Kinzig-Kreises<br />
(Delegierte des DPWV)<br />
• Arbeitskreis § 78 Hilfen zur Erziehung<br />
• Arbeitskreis „Sexuelle Gewalt“<br />
• Arbeitskreis „Kinder- und Jugendpsychiatrie“<br />
• Projekt „Familienfreundliche Gemeinde Hammersbach“<br />
• „Runder Tisch “Fortbildungsprogramm für pädagogische Fachkräfte“<br />
• Runder Tisch Bischofsheim (Vernetzung im Brennpunkt)<br />
• Arbeitskreis der Psychosozialen Beratungsstellen der Stadt Hanau<br />
• Stellenleiterkonferenz der Hessischen Erziehungsberatungsstellen<br />
• Aktionsforum „ Männer und Leben“<br />
4. Fort- und Weiterbildungen der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />
An folgende Fortbildungs- und Weiterbildungsveranstaltungen nahmen Mitarbeiter und<br />
Mitarbeiterinnen im Berichtsjahr teil:<br />
• Weiterbildung „Systemische Paartherapie“, Institut für Familientherapie Weinheim<br />
• Fortbildung „Was Scheidungskinder stärkt: Protektivfaktoren, Bewältigungshilfen,<br />
Gruppenangebote“, Evangelisches Zentralinstitut für Familienberatung Berlin<br />
• Fortbildung „Systemische Frischzellenkur“, Institut für Familientherapie Weinheim<br />
• Fortbildung „ADS/ADHS - Möglichkeiten familien- systemischtherapeutischer<br />
•<br />
Intervention“, Institut für phasische Familientherapie, Wiesbaden<br />
„Bildschirmmedien - Wirkungen und Risiken für die seelische Entwicklung von<br />
Kindern und Jugendlichen“, LAG Tagung , Frankfurt<br />
• Fachtag „Lesen- und Schreibenlernen – (k)ein Kinderspiel“,<br />
Medinet Comenius-Schule, Bad Orb<br />
• Fachtag „Der Hessische Bildungsplan für Kinder von 0 bis 10 Jahren“, Zentralstelle<br />
für Kinderbetreuung im Jugendamt des MKK<br />
• Fachtag „AD(H)S“, Rehbergklinik, Herborn<br />
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ask Familienberatungsstelle Hanau Jahresbericht 2005<br />
• „Keine sexualisierte Gewalt gegen Jungen und Mädchen im Internet“, Hessisches<br />
Sozialministerium<br />
• Fachtag „Marte Meo: Videounterstütztes Lernen für Eltern und Erzieherinnen“, Institut<br />
für systemische Beratung, Hanau,<br />
• Balint-Gruppe, Prof. Dr. Adrian Gärtner, Oberursel<br />
• Regelmäßige Teamsupervision<br />
• Regelmäßige Einzelfallsupervision<br />
• Interner Fortbildungstag „Beratung von hochstrittigen Eltern “, Dr. B. Böttger,<br />
Paarinstitut Frankfurt<br />
5. Öffentlichkeitsarbeit - Infoveranstaltungen<br />
Durch Öffentlichkeitsarbeit wurden Kinder, Jugendliche und Eltern sowie Multiplikatoren und<br />
Fachkräfte über die Angebote und besondere Projekte der ask Familienberatungsstelle<br />
detailliert informiert. Spezifisches Fachwissen konnte so an eine breite Öffentlichkeit<br />
weitergegeben werden.<br />
• Pressegespräch anlässlich der Vorstellung des Jahresberichts 2004<br />
• Pressegespräch nach Beendigung von Projekten zur frühen Gewaltprävention in zwei<br />
Kindertagesstätten in Nidderau<br />
• Interview mit dem Magazin der Süddeutschen Zeitung zum Thema“ Erziehen Eltern<br />
ihre Kinder nicht mehr?“<br />
• Radiointerview beim WDR, Köln zum Thema: „Binationale Paare“<br />
• Mit<strong>wir</strong>kung an einer Info-Woche für Schüler einer Gesamtschule zum Thema: „Liebe,<br />
Sexualität, Aids“<br />
• Vorstellung des Projektes „Familienfreundliche Gemeinde Hammersbach“ vor<br />
Vertretern des Kreistages des Main-Kinzig-Kreises<br />
• Verteilung von Flyern zu spezifischen Gruppenangeboten an Eltern, Multiplikatoren<br />
und Fachöffentlichkeit<br />
• Herausgabe des neuen Folders<br />
• Neuer Internetauftritt mit Informationen zu Angeboten der Beratungsstelle<br />
• Verteilung des Jahresberichtes an Kooperationspartner und Multiplikatoren<br />
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